Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 27.11.2009

LArbG Mainz: arbeitsgericht, ordentliche kündigung, versetzung, stadt, auflage, beendigung, arbeitsrecht, stellenbeschreibung, zeugnis, ausdehnung

LAG
Mainz
27.11.2009
6 Sa 541/09
Fehlerhafte Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Aktenzeichen:
6 Sa 541/09
9 Ca 1773/08
ArbG Mainz
Urteil vom 27.11.2009
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 4.6.209 - 9 Ca 1773/08 -
wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich mit seiner am 18. August 2008 zum Arbeitsgericht erhobenen Klage gegen die
Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Der 1950 geborene und verheiratete Kläger, der einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtet ist, und in
40672 C-Stadt wohnt, wird aufgrund eines mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossenen
Arbeitsvertrages vom 09. Februar 2005 seit dem 01. März 2005 als Gebietsverkaufsleiter von der
Beklagten - einem Unternehmen der Büromöbelbranche - mit einer Vergütung von zuletzt 5.250,-- € brutto
und unter Zurverfügungstellung eines Firmenfahrzeuges beschäftigt.
Der Anstellungsvertrag enthält in § 2 folgende Regelung:
§ 2 Tätigkeit
Herr D wird angestellt als Gebietsverkaufsleiter im Verkaufsgebiet Teil Nordrhein-Westfalen. PLZ-Gebiete:
40, 41, 42, 44, 45, 46, 47, 50, 51, 52, 53, 57, 58
Zum Aufgabengebiet gehören im wesentlichen nachfolgende Tätigkeiten:
- Betreuung und Unterstützung vorhandener Fachhandelspartner
- Gewinnung neuer Fachhandelspartner zur optimalen Ausschöpfung des Verkaufsgebietes
- Bearbeitung von Objekten (Endkunden) mit dem jeweiligen Fachhändler
- Angebotserstellung
- Führung des Berichtswesens über das hauseigene Informationssystem
- Durchführung von Schulungen beim Fachhändler oder im Werk
- Mitarbeit bei der Durchführung von Messen, Ausstellungen und Präsentationen
Darüber hinausgehende Details werden in einer separaten Stellenbeschreibung vereinbart. Die jeweils
gültige Stellenbeschreibung ist Bestandteil dieses Anstellungsvertrages.
Der Arbeitgeber behält sich vor, dem Arbeitnehmer andere zumutbare Tätigkeiten, die seinen
Vorkenntnissen entsprechen, oder ein anderes Gebiet zuzuweisen. Macht er hiervon Gebrauch, ist eine
Vergütungsanpassung möglich.
Mit Schreiben vom 17. Juli 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. August 2008 wegen
Wegfalls des Arbeitsplatzes durch Umstrukturierung der Verkaufsgebiete.
Wegen der weiteren erstinstanzlich geäußerten Rechtsauffassungen der Parteien wird auf den Tatbestand
des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 04. Juni 2009 (Bl. 3 - 6 = Bl. 136 - 139 d. A.) gemäß § 69 Abs. 2
ArbGG Bezug genommen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der
Beklagten vom 28.07.2008 nicht zum 31.08.2008 endet, sondern ungekündigt fortbesteht,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits
zu den bisherigen Bedingungen als Gebietsverkaufsleiter bei der Beklagten zu beschäftigen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich
Klageabweisung
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 04. Juli 2009 - 9 Ca 1773/08 - dem Begehren des Klägers
entsprochen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe die Sozialauswahl nicht
ausreichend berücksichtigt. Sie hätte dem Mitarbeiter Z. kündigen müssen, da die arbeitsvertragliche
Versetzungsklausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sei, habe die Beklagte ein Weisungsrecht
entsprechend § 106 GewO und hätte dem Kläger das Verkaufsgebiet des Mitarbeiters Z. im Münsterland
zuweisen können. Dieser Mitarbeiter sei erst seit Januar 2008 beschäftigt. Der Kläger habe nach der
Rechtsprechung des BAG (GS 27.02.1985 ArbG § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 14) einen Anspruch
auf tatsächliche Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
Gegen das der Beklagten am 14. August 2009 zugestellte Urteil richtet sich deren am 28. August 2009
eingelegte und am 14. Oktober 2009 begründete Berufung.
Die Beklagte bringt
zweitinstanzlich
das Arbeitsgericht verkenne, dass der Arbeitsvertrag des Klägers eine eindeutige örtliche Einschränkung
enthalte. Unter Ziffer 2 des Arbeitsvertrages vom 09. Februar 2005, der aufgrund des Betriebsüberganges
fortgelte, sei der Kläger als Gebietsverkaufsleiter im Verkaufsgebiet Teil Nordrhein-Westfalen und für die
dort aufgeführten Postleitzahlgebiete 40, 41, 42, 44, 45, 46, 47, 50, 51, 52, 53, 57, 58 eingesetzt. Folglich
habe der Kläger insbesondere nicht in dem Gebiet um Münster (Postleitzahlgebiet 48) eingesetzt werden
können. In dem vom Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 3.6.2004 - 2 AZR 577/03) entschiedenen Fall hätten
die Parteien den Ort der Arbeitspflicht des Klägers vertraglich nicht ausdrücklich geregelt und festgelegt,
so dass eine Beschränkung der Sozialauswahl auf die Niederlassung nicht habe abgeleitet werden
können. Das Arbeitsgericht hätte von Anfang an eine eingeschränkte örtliche Einsatzmöglichkeit im
Rahmen der Vergleichbarkeit berücksichtigen müssen. Der Kläger sei folglich nicht mit dem Arbeitnehmer
Z. vergleichbar. Folgte man der Auffassung des Arbeitsgerichts zur Unwirksamkeit der
Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag, wäre die Beklagte nicht in der Lage gewesen, aufgrund dieser
Klausel eine wirksame Versetzung vorzunehmen. Das Arbeitsgericht übersehe, dass die Ausübung des
billigen Ermessens gemäß § 106 GewO nur innerhalb des arbeitsvertraglich zulässigen Rahmens
erfolgen könne. Im Arbeitsvertrag sei aber eine Einschränkung auf bestimmte Postleitzahlengebiete
niedergelegt. Eine Versetzung in das Gebiet des Mitarbeiters Z. hätte auch deshalb den gesetzlichen
Spielraum überschritten, da der Kläger dann, ausgehend von seinem Wohnort in C-Stadt ein Gebiet hätte
abdecken müssen, in dessen Mittelpunkt das allein schon 130 km weit entfernte Münster liege und das in
seiner äußersten Entfernung noch weit darüber hinausginge. Im Übrigen fehle es auch an der
Vergleichbarkeit des Klägers mit den Mitarbeitern Y., X. und W.. Die arbeitsvertraglich mit dem Kläger
vereinbarten Postleitzahlgebiete deckten deren Gebiete nicht annähernd ab (Beweis: Zeugnis S.). Auch
der Einbeziehung der Mitarbeiter V., T., R. und M. sowie der Mitarbeiterin N. in der Sozialauswahl sei zu
widersprechen, weil deren betreute Gebiete soweit entfernt gelegen seien, dass eine einseitige
Versetzung des Klägers nicht möglich gewesen wäre. Im Übrigen seien die Mitarbeiter Y., X. und W. trotz
höheren Lebensalters des Klägers im Rahmen der Sozialauswahl vorzuziehen, da diese weitaus höhere
Berufszugehörigkeitszeiten aufwiesen. Für die vom Arbeitsgericht zuerkannte Weiterbeschäftigung
existiere das betreute Verkaufsgebiet nicht mehr.
Die Beklagte hat
zweitinstanzlich
das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 04. Juni 2009 - 9 Ca 1773/08 - abzuändern und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger hat,
Zurückweisung
der Berufung beantragt und erwidert, ihm könne arbeitsvertraglich ein anderes Verkaufsgebiet
zugewiesen werden, da in der Vergangenheit Außendienstmitarbeiter regelmäßig in andere Gebiete
versetzt worden seien. 2005 hätte eine "große neue Gebietsreform" stattgefunden und 2008 eine zweite.
Das Gebiet des Außendienstmitarbeiters L. sei auf das 4-fache vergrößert worden. Soweit die Beklagte
vortrage, ihm - dem Kläger - sei eine Fahrtstrecke von 130 km nicht zuzumuten, so betreuten die
Mitarbeiter J., H. und G. Gebiete mit größerer Ausdehnung. Auch die Mitarbeiter N., V., T., R. und M.
hätten in die Sozialwahl mit einbezogen werden müssen. Insoweit gelte der Grundsatz der
Änderungskündigung. Die Beklagte sei auf seinen - des Klägers - Vortrag, warum nach seiner Kündigung
Juniorverkäufer als Außendienstmitarbeiter in A-Stadt, Mannheim, Dillingen, Ingolstadt, Nürnberg und
Köln gesucht würden und ihm diese Stelle nicht angeboten worden seien, nicht eingegangen.
Zu den weiteren Ausführungen in der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom
14. Oktober 2009 (Bl. 207 - 217 d. A.) und zur Berufungsbeantwortung auf den Schriftsatz vom
10. November 2009 (Bl. 243 - 246 d. A.) nebst sämtlichen vorgelegten Unterlagen und die Feststellungen
in der Sitzungsniederschrift des Landesarbeitsgerichts vom 27. November 2009 (Bl. 250- 252 d. A.) Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
67 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO auch form- und fristgerecht eingelegt,
sowie begründet worden. Sie ist damit insgesamt zulässig.
II.
Das Arbeitsgericht hat dem angefochtenen Judikat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die dem
Kläger gegenüber ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 28. Juli 2008 nicht zu Beendigung des
Arbeitsverhältnisses zum 31. August 2008 geführt hat und ein Weiterbeschäftigungsanspruch als
Gebietsverkaufsleiter besteht.
Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt, da die Beklagte die nach § 1 Abs. 3
Satz 1 KSchG gesetzlich vorgegebene Sozialauswahl nicht hinreichend beachtet hat. Die Beklagte hätte
dem weniger schutzwürdigen Mitarbeiter Z. aufgrund seiner kürzeren Betriebszugehörigkeit kündigen
müssen.
1.
erkennen lassen, dass es für die rechtlich geforderte Vergleichbarkeit der in die Sozialauswahl
einzubeziehenden Arbeitnehmer u. a. auch darauf ankommt, ob der Kläger aufgrund des arbeitgeberseitig
bestehenden Direktionsrechts im Tätigkeitsgebiet des Mitarbeiters Z. hätte eingesetzt werden können
(vgl. BAG Urteil vom 03.06.2004 - 2 AZR 577/03). Im Rahmen der rechtlich geforderten horizontalen
Vergleichbarkeit (vgl. BAG 24.05.2005 - 8 AZR 398/04 - = AP BGB § 613 a Nr. 284.) ist weder eine
wechselseitige Austauschbarkeit gefordert (vgl. BAG 24.05.2005 a. a. O.) noch eine Identität der
Arbeitsplätze; es genügt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine
andersartige aber gleichwertige Tätigkeit ausüben kann (vgl. ErfK-Oetker, 10. Auflage, 430 KSchG § 1 Rz.
323 m. w. N.).
Aufgrund der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer steht fest, dass die
im Arbeitsvertrag ursprünglich vorgesehen Fixierung der Tätigkeit auf bestimmte Postleitzahlgebiete (40,
41, 42, 44, 45, 46, 47, 50, 51, 52, 53, 57 und 58) seit Beginn der Tätigkeit nicht eingehalten wurde. Der
Kläger hat - ohne qualifizierten Widerspruch der Beklagten - vorgetragen, dass 2005 eine große neue
"Gebietsreform" und 2008 eine zweite "Gebietsreform" stattgefunden hat und ihm er während der Laufzeit
seiner Beschäftigung sowohl außerhalb des ursprünglichen Verkaufsgebietes als auch im jetzigen
Verkaufsgebiet des Mitarbeiters Z. in Münster (Ausstattung der Norddeutschen Landesbank) und damit
außerhalb der ursprünglich arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit für bestimmte Postleitzahlgebiete mit
Wissen und Billigung der Beklagten eingesetzt war.
Entgegen der Ansicht der Berufung kann daher von einer von ihr wohl angenommenen Konkretisierung
der geschuldeten Arbeitsleistung ausschließlich in den im Arbeitsvertrag beschriebenen
Postleitzahlgebieten nicht ausgegangen werden. Unabhängig davon, dass selbst die langjährige
Ausübung einer bestimmten Tätigkeit nicht allein für die Annahme einer stillschweigenden Abänderung
eines Arbeitsverhältnisses ausreicht und zusätzliche Umstände gefordert werden, wonach der
Arbeitnehmer nur noch eine ganz bestimmte Tätigkeit ausschließlich schulden soll (vgl. BAG Urteil vom
29.09.2004 - 5 AZR 559/03 = EzA § 87 BetrVG 2001 Arbeitszeit Nr. 5; DLW-Dörner, Arbeitsrecht, 8.
Auflage Kapitel 1 Rz. 521 m. w. N.), fehlt es im vorliegenden Fall an einem Ausschließlichkeitscharakter für
eine Tätigkeit in den arbeitsvertraglich bezeichneten Postleitzahlgebieten. Schließlich ist der Kläger als
Gebietsverkaufsleiter im "Verkaufsgebiet Teil Nordrhein-Westfalen" eingestellt worden; damit hat sich die
Beklagte im Arbeitsvertrag durchaus die Möglichkeit einer Versetzung des Klägers in dem geographisch
umschriebenen Gebiet Nordrhein-Westfalen offen gehalten und dies - wie die Erörterung in der
mündlichen Verhandlung gezeigt haben- auch entsprechend nicht nur gegenüber dem Kläger, sondern
auch anderen Gebietsverkaufsleitern gegenüber praktiziert.
Der Kläger war damit ohne weiteres mit dem Mitarbeiter Z. vergleichbar. Dass die Sozialauswahl
bezogen auf den Mitarbeiter Z. fehlerhaft ist, folgt nicht nur daraus, dass der Kläger über 3 Jahre (seit
März 2005) und die Vergleichsperson erst seit Januar 2008 tätig ist, sondern auch daraus, dass sich die
Beklagte trotz des Hinweises des Klägers auf sein fortgeschrittenes Alter (geboren 1950) und seinen
Unterhaltspflichten gegenüber Ehefrau und Tochter auf den Vortrag beschränkt hat: "Herr Z. ist im
Münsterland eingesetzt". Hier genügte das einfache Bestreiten einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl
durch den Kläger (vgl. Ascheid/Preis/Schmidt - Kiel, Kündigungsrecht, 3. Aufl., G 1 KSchG Rz. 788 m. w. N.
BAG Urteil v. 21.7.1988 = NZA 1989, 264). Ob noch andere Außendienstmitarbeiter in die Sozialauswahl
hätten mit einbezogen werden müssen, kann offenbleiben.
Dahingestellt bleiben kann auch die Frage, ob die arbeitsvertragliche Versetzungsklausel nach § 307 Abs.
1 BGB unwirksam ist und damit ein nach § 315 BGB zu kontrollierendes Weisungsrecht nach § 106 GewO
entstanden ist. Von rechtlicher Bedeutung bleibt allein, dass die Beklagte eine ursprünglich vorgesehene
ortsbezogene Bindung im Arbeitsvertrag im Laufe der Durchführung des Arbeitsverhältnisses schlichtweg
nicht eingehalten hat.
2.
Beklagten, dass das vom Kläger betreute Verkaufsgebiet nicht mehr existiere, nicht. Es ist nämlich nach
wie vor - wenn auch möglicherweise mit einem anderen Zuschnitt - vorhanden. Nach Ausspruch einer
Kündigung ist der Weiterbeschäftigungsanspruch nach der im Übrigen für zutreffend gehaltenen
Rechtsprechung des BAG (GS 22.2.85 - GS 1/84)gegeben, der aus § 611, 613 BGB in Verbindung mit §
242 BGB - ausgefüllt durch die Wertentscheidungen der Artikel 1, 2 GG - abgeleitet wird. Dies gilt
insbesondere, wenn das Arbeitsverhältnis nach einem erfolgreich geführten Kündigungsschutzprozess
fortbesteht. Nur bei Vorliegen zusätzlich besonderer belasteter Umstände kann der Arbeitgeber nach
einem bereits ergangenen und noch nicht rechtskräftigen Urteil zur Unwirksamkeit einer Kündigung die
Verurteilung zur Weiterbeschäftigung abwehren (vgl. DLW-Dörner, Arbeitsrecht, Kapitel 4 Rz. 3397). Die
Begründung der Berufung zu einen anderweitigen Zuschnitt des Verkaufsgebietes reicht hierfür erkennbar
nicht aus.
III.
IV.
ArbGG).