Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 08.06.2005

LArbG Mainz: fristlose kündigung, verletzung arbeitsvertraglicher pflichten, wichtiger grund, anweisung, arbeitsgericht, beendigung, kontrolle, sonntagsarbeit, kündigungsfrist, spiel

LAG
Mainz
08.06.2005
10 Sa 62/05
Fristlose Kündigung wegen Manipulation der Arbeitszeiterfassung
Aktenzeichen:
10 Sa 62/05
2 Ca 1856/04
ArbG Kaiserslautern
Entscheidung vom 08.06.2005
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 06.01.2005, AZ: 2
Ca 1856/04, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen sowie einer hilfsweise ausgesprochenen
ordentlichen Kündigung.
Der am 18.07.1962 geborene Kläger war seit dem 19.04.1999 bei der Beklagten als Fahrer und zuletzt
auch als Tourenleiter beschäftigt. Seine Arbeitsvergütung, die sich auf der Grundlage eines
Stundenlohnes bemisst, belief sich zuletzt auf ca. 2.000,00 EUR brutto monatlich.
Zum Nachweis der von ihm erbrachten Arbeitszeit hatte der Kläger jeweils Arbeitsanfang und -ende in
einem sog. Fahr- und Arbeitsdispo einzutragen. Darüber hinaus war er verpflichtet, jeweils zu Beginn
seiner Arbeit eine Tachoscheibe in den LKW einzulegen und diese bei Beendigung seiner Arbeit wieder
herauszunehmen. Dies galt auch für Zeiten, in denen der Kläger nicht das Fahrzeug führte sondern
Bürotätigkeiten ausübte. Die Tachoscheibe diente bei der Beklagten somit - entsprechend einer
Stempeluhr - als Arbeitszeit-Kontrolleinrichtugng. Am 07.10.2004 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger
für Samstag, den 02.10.2004, in seinem Arbeitsdispo als Arbeitszeit 08.00 Uhr bis 12.00 Uhr eingetragen
hatte, während auf der Tachoscheibe nur eine Arbeitszeit von 08.00 Uhr bis 11.30 Uhr erkennbar war. Bei
den anschließenden Recherchen wurde ermittelt, dass der Kläger am 02.10.2004 nicht gearbeitet hatte.
Ein anderer Mitarbeiter der Beklagten hatte jedoch auf Bitte des Klägers für diesen die Tachoscheibe am
02.10.2004 im LKW eingelegt. Bei weiteren Ermittlungen stellte sich heraus, dass der Kläger den
betreffenden Mitarbeiter bereits am Freitag, dem 24.09.2004, gebeten hatte, am Folgetag die
Tachoscheibe um 07.45 Uhr einzulegen und sie um 13.00 Uhr wieder zu entfernen. Auch dieser Bitte des
Klägers war seitens des Mitarbeiters entsprochen worden.
Mit Schreiben vom 14.10.2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos sowie
hilfsweise auch ordentlich. Hiergegen richtet sich die vom Kläger am 22.10.2004 beim Arbeitsgericht
eingereichte Kündigungsschutzklage.
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, ihm sei die Anweisung erteilt worden, seine eventuelle sonntags
anfallenden Arbeitsstunden dadurch zu belegen, dass bereits samstags die Tachoscheibe in den LKW
eingelegt werde. Die betreffende Anweisung habe ihm der frühere Außenstellenleiter der Beklagten, der
Zeuge E. gegeben. Grund für diese Anordnung sei wohl der Wunsch gewesen, dass keine Belege
existieren sollten, aus denen hervorgehe, dass bei der Beklagten auch sonntags gearbeitet werde.
Nachdem der Außenstellenleiter E. das Unternehmen verlassen habe, habe er - der Kläger - dessen
Nachfolger, den Zeugen F. gefragt, ob er auch in Zukunft hinsichtlich etwaiger Sonntagsarbeit die
Tachoscheibe bereits samstags einlegen solle. Der Zeuge F. habe ihm geantwortet, dass dies in Ordnung
gehe. Sowohl am Sonntag, dem 26.09.2004, als auch am Sonntag, dem 03.10.2004 habe er sich zum
Betrieb der Beklagten begeben und dort Büroarbeit (Kontrolle und Ausarbeitung von Tourenplänen)
verrichtet und zwar in dem zeitlichen Umfang, der durch die bereits samstags eingelegten Tachoscheibe
ausgewiesen sei.
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor,
es stelle eine grobe und nicht hinzunehmende Störung des Vertrauensverhältnisses dar, wenn ein
Mitarbeiter Arbeitszeiten angebe, zu denen er nicht gearbeitet habe und dies auch noch dadurch
untermauere, dass er andere Mitarbeiter dazu anstifte, für ihn die Zeiterfassungskontrolle zu manipulieren.
Eine Anweisung an den Kläger, etwaige Sonntagsarbeit dadurch zu dokumentieren, dass er die
Tachoscheibe bereits samstags einlege, sei nie erteilt worden. Es treffe auch nicht zu, dass der Kläger an
den betreffenden Sonntagen gearbeitet habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 06.01.2005 abgewiesen. Hinsichtlich der maßgeblichen
Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 4 und 5 dieses Urteils (= Bl. 39 u. 40 d. A.) verwiesen.
Gegen das ihm am 18.01.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.01.2005 Berufung eingelegt und
diese am 31.01.2005 begründet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 06.01.2005, AZ: 2 Ca 1856/04, abzuändern und
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 14.10.2004
weder fristgemäß noch fristlos aufgelöst worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 11.05.2004 (Bl. 85 d. A.) durch
Vernehmung der Zeugen E. und F.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die
Sitzungsniederschrift vom 08.06.2005 (Bl. 91 - 95 d. A.) verwiesen.
Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils sowie auf die von den
Parteien im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
waren.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der
Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Klage ist nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist bereits durch die streitbefangene
außerordentliche Kündigung vom 14.10.2004 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Die fristlose
Kündigung erweist sich wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB sowie in
Ermangelung sonstiger Unwirksamkeitsgründe als rechtswirksam.
Ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB ist nach der gesetzlichen Definition gegeben, wenn
Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles
und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis für
die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des
Arbeitsverhältnisses fortzusetzen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt - ohne
die besonderen Umstände des Einzelfalles - (überhaupt) geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden.
Sodann ist zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, d. h. ob es dem
Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zu dem gemäß § 626 Abs. 1 BGB
relevanten Zeitpunkt fortzusetzen.
Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung als wirksam.
Der Kläger hat unstreitig einen anderen Mitarbeiter dazu veranlasst, sowohl am Samstag, dem
02.10.2004, als auch am Samstag, dem 25.09.2004, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Tachoscheibe in
den LKW einzulegen und diese, ebenfalls zu einem bestimmten Zeitpunkt, wieder zu entfernen. An den
betreffenden Samstagen hat der Kläger jedoch nicht gearbeitet. Da die betreffende Handhabung
(Einlegen einer Tachoscheibe zu Beginn der Arbeitszeit und deren Entfernung bei Beendigung der Arbeit)
bei der Beklagten zur Erfassung und Kontrolle der geleisteten Arbeitsstunden dient, hat der Kläger, der
von der Beklagten im Stundenlohn vergütet wurde, unter Zuhilfenahme des betriebsüblichen
Zeiterfassungssystems vorgetäuscht, an den betreffenden Samstagen gearbeitet zu haben. Darüber
hinaus hat er in dem von ihm auszufüllenden Fahr- und Arbeitsdispo
ebenfalls wahrheitswidrig für die beiden Samstage Arbeitsstunden eingetragen. Zwar hat der Kläger
behauptet, er sei angewiesen worden, seine eventuell sonntags erbrachten Arbeitsstunden dadurch zu
belegen, dass er bereits samstags die Tachoscheibe in den LKW einlegt. Diese Behauptung konnte die
Beklagte indessen widerlegen. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur
Überzeugung des Berufungsgerichts fest, dass dem Kläger die von ihm behauptete Anweisung nicht
erteilt worden war. Sowohl der Zeuge E. als auch der Zeuge F. haben anlässlich ihrer Vernehmung
glaubhaft und übereinstimmend bekundet, dass eine diesbezügliche Anordnung gegenüber dem Kläger
niemals getroffen wurde. Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Zeugen bestehen seitens des Gerichts
keinerlei Bedenken.
Das Verhalten des Klägers stellt ungeachtet seiner strafrechtlichen Bewertung eine äußerst
schwerwiegende Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar und ist zweifellos geeignet, einen wichtigen
Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Die Beklagte war auch nicht gehalten, dem Kläger zunächst
lediglich eine Abmahnung zu erteilen. Eine solche ist nämlich entbehrlich, wenn es sich - wie im Streitfall -
um einen besonders schweren Pflichtenverstoß handelt, bei dem der Arbeitnehmer von vornherein nicht
mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann und er sich bewusst sein muss, dass er seinen
Arbeitsplatz aufs Spiel setzt (vergl. Müller-Glöge, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 4. Auflage, §
626 BGB Rz. 49 m. N. a. d. R.).
Unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalles sowie der Interessen beider
Vertragsteile wiegt das Fehlverhalten des Klägers so schwer, dass der Beklagten nicht zugemutet werden
kann, den Kläger noch wenigsten bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, d. h. bis zum
31.12.2004 weiter zu beschäftigen. Dies gilt selbst dann, wenn man die Behauptung des Klägers als wahr
unterstellt, er habe die an den betreffenden Samstagen angegebenen Arbeitstunden jeweils am darauf
folgenden Sonntag erbracht. Diesbezüglich ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Kläger keinesfalls
bereits freitags Kenntnis davon haben konnte, welche Arbeitszeit er exakt am folgenden Sonntag
aufbringen musste, um die nach seiner Behauptung noch zu erledigende Arbeit fertigzustellen. Der Kläger
hätte somit unter Zugrundelegung seines eigenen Vorbringens sich sozusagen vorab "ins Blaue hinein"
bestimmte Arbeitszeiten aufzeichnen lassen, hinsichtlich deren Erbringung er keineswegs sicher sein
konnte. Zwar spricht zu Gunsten des Klägers insbesondere der Umstand, dass er gegenüber seiner
Ehefrau sowie zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist. Auch kann sein Lebensalter von 42 Jahren bei
Kündigungsausspruch sowie die allgemein schlechte Situation auf dem Arbeitsmarkt im Rahmen der
Interessenabwägung nicht unbeachtet bleiben. Andererseits hatte das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der
Kündigung erst ca. 5 ½ Jahre und somit noch nicht sehr lange bestanden. Demgegenüber ist jedoch zu
Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass der Kläger die Befugnis, seine Arbeitszeiten selbst durch
Eintragungen im Arbeitsdispo und durch Einlegung der Tachoscheibe zu dokumentieren, ausgenutzt und
dadurch das erforderliche Vertrauen in seine Redlichkeit und Zuverlässigkeit vollständig zerstört hat.
Dieser Vertrauensverlust wiegt deutlich schwerer als die zu Gunsten des Klägers sprechenden sozialen
Dieser Vertrauensverlust wiegt deutlich schwerer als die zu Gunsten des Klägers sprechenden sozialen
Gesichtspunkte.
Nach alledem war die Berufung mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge
zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien
keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbstständig durch
Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.