Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 16.05.2006

LArbG Mainz: betriebsrat, unterlassungspflicht, mitbestimmungsrecht, streik, arbeitsgericht, stadt, mehrarbeit, beschränkung, beteiligungsrecht, quelle

LAG
Mainz
16.05.2006
10 Ta 31/06
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates während eines Streiks
Aktenzeichen:
10 Ta 31/06
4 BV 109/05
ArbG Mainz
Entscheidung vom
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom
24.01.2006, Az. 4 BV 109/05, wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist der Betriebsrat im Verbrauchermarkt der Antragsgegnerin in C-Stadt. Mit Beschluss
des Arbeitsgerichts Mainz vom 13.10.2004 (Az. 4 BV 42/04) wurde der Antragsgegnerin aufgegeben, es
zu unterlassen, kurzfristige Änderungen der Mitarbeitereinsatzplanung im Sinne von § 2 Ziff. 3 der
Betriebsvereinbarung "Arbeitszeitregelung" vom 02.03.2004 für Mitarbeiter im Betrieb C-Stadt im Falle der
Beantragung zur Zustimmung durchzuführen, ohne Zustimmung des Betriebsrates bzw. eines Spruchs
einer Einigungsstelle. Zugleich wurde gegen die Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung
gegen diese Pflichten ein Ordnungsgeld von 500,00 EUR angedroht.
In der Zeit vom 18.07. bis 23.07.2005 wurde der Verbrauchermarkt der Antragsgegnerin bestreikt. Mit
Anträgen vom 05.07. und vom 18.07.2005 beantragte die Antragsgegnerin beim Betriebsrat dessen
Zustimmung zur Anordnung von Mehrarbeit bzw. zur "Arbeitszeitverschiebung" betreffend insgesamt fünf
Mitarbeiter im Zeitraum vom 18.07. bis 23.07.2005. Ausweislich des Inhalts der vom Betriebsrat zu den
Akten gereichten Antragsformulare begründete die Antragsgegnerin ihr Zustimmungsbegehren jeweils u.
a. mit dem Stichwort "Streik". Der Betriebsrat widersprach sämtlichen Anträgen ohne nähere Begründung.
Gleichwohl führte die Antragsgegnerin die betreffenden Maßnahmen durch.
Mit Antragschrift vom 07.10.2005 hat der Betriebsrat beantragt,
gegen die Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 7.000,00 EUR festzusetzen.
Zur Begründung dieses Antrages hat der Betriebsrat geltend gemacht, die Antragsgegnerin habe mit der
Durchführung der Arbeitszeitänderungen im Zeitraum vom 18.07. bis 23.07.2005 in insgesamt 14 Fällen
gegen ihre Unterlassungspflicht aus dem Beschluss des Arbeitsgerichts vom 13.10.2004 verstoßen.
Die Antragsgegnerin hat demgegenüber geltend gemachten, im Hinblick auf den Umstand, dass der
Betrieb in der Zeit vom 18.07. bis 23.07.2005 bestreikt worden sei, habe es einer Beteiligung des
Betriebsrats hinsichtlich der Durchführung der Arbeitszeitänderungen nicht bedurft.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 24.01.2006 zurückgewiesen. Gegen diesen, ihm am
01.02.2006 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 08.02.2006 sofortige Beschwerde eingelegt.
Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur
Entscheidung vorgelegt.
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die insgesamt zulässige sofortige Beschwerde des Betriebsrats hat in der Sache keinen Erfolg. Dem
Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen die Antragsgegnerin kann aus mehren rechtlichen
Gründen nicht entsprochen werden.
1.
Für das Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 23 Abs. 3 S. 2 BetrVG, welches der Betriebsrat mit seinem
Antrag betreibt, gelten nach § 85 Abs. 1 ArbGG die Vorschriften der §§ 704 - 915 h ZPO entsprechend. Zu
den allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen gehört daher u. a. nach § 724 ZPO die Erteilung einer
vollstreckbaren Ausfertigung des zu vollstreckenden Titels (vgl. Schwab/Weth/Walker, ArbGG, § 85
Randziffer 40). Vorliegend existiert - soweit ersichtlich - keine vollstreckbare Ausfertigung des zu
vollstreckenden Titels, nämlich des Beschlusses des Arbeitsgerichts vom 13.10.2004. Hierauf wurde der
Betriebsrat seitens des Beschwerdegerichts bereits mit Schreiben vom 21.03.2006 hingewiesen. Der
Betriebsrat hat daraufhin zwar am 05.04.2006 mitgeteilt, dass eine Vollstreckungsklausel beantragt
worden sei. Deren Erteilung hat der Betriebsrat indessen - trotz nochmaligen Hinweises durch Schreiben
des Beschwerdegerichts vom 19.04.2006 - nicht nachgewiesen. Auch aus der vom Beschwerdegericht
beigezogenen Akte des dem vorliegenden Vollstreckungsverfahrens zugrunde liegenden
Beschlussverfahrens des Arbeitsgerichts Mainz (Az. 4 BV 42/04) ist nicht ersichtlich, dass die erforderliche
Vollstreckungsklausel beantragt oder gar erteilt worden ist.
Der Antrag des Betriebsrates war daher bereits wegen Fehlens der allgemeinen
Vollstreckungsvoraussetzungen zurückzuweisen.
2.
Der Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes erweist sich jedoch auch deshalb als unbegründet,
weil die Antragsgegnerin nicht gegen eine ihr durch gerichtliche Entscheidung auferlegte
Unterlassungsverpflichtung zuwidergehandelt hat. Die Antragsgegnerin war nämlich nicht verpflichtet, den
Betriebsrat hinsichtlich der Festsetzung von Mehrarbeit und der Änderung der Verteilung der Arbeitszeit in
dem Zeitraum vom 18. - 23.07.2005 zu beteiligen.
Der Betriebsrat ist während eines Arbeitskampfes gehindert, einzelne Beteiligungsrechte bei Maßnahmen
des Arbeitgebers, die durch das Kampfgeschehen bedingt sind, auszuüben, weil sonst die
Chancengleichheit zwischen den Arbeitskampfparteien beeinträchtigt und der Betriebsrat auch
überfordert wäre, wenn er bei Maßnahmen mitwirken sollte, mit denen der Arbeitgeber den Streik der
Belegschaft oder dessen Auswirkungen auf den Betrieb begegnen will. Dies gilt auch für das
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der vorübergehenden Verlängerung der betrieblichen
Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Auch insoweit gebietet eine "arbeitskampfkonforme" Auslegung
ein Zurücktreten dieses Mitbestimmungsrechts während eines Streikgeschehens im Betrieb (BAG,
Beschluss vom 24.04.1979, Az. 1 ABR 43/77, m. w. N.). Nichts anderes kann demzufolge auch für das
Mitbestimmungsrecht § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG gelten.
Zwar enthält der rechtskräftige Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 13.10.2004 seinem Wortlaut
nach keine Beschränkung dahingehend, dass die Antragsgegnerin während der Dauer von
Arbeitskampfmaßnahmen nicht der titulierten Unterlassungspflicht unterliegt. Aus den
Entscheidungsgründen des betreffenden Beschlusses, die bei der Auslegung des Titels heranzuziehen
sind, ergibt sich jedoch, dass die im § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG normierten Beteiligungsrechte des
Betriebsrats nicht gerade auch auf die Fälle arbeitskampfbedingter Arbeitszeitregelungen erweitert
werden sollten.
Im Streitfall bezogen sich sämtliche arbeitszeitrelevanten Maßnahmen der Antragsgegnerin, auf die der
Betriebsrat seinen Zwangsvollstreckungsantrag stützt, auf den Zeitraum vom 18.07. - 23.07.2005, in
welchem unstreitig der Betrieb bestreikt wurde. Aus den vom Betriebsrat vorgelegten Anträgen der
Antragsgegnerin auf Zustimmung zu den einzelnen Arbeitszeiterhöhungen und Arbeitszeitänderungen
ergibt sich, dass die betreffenden Maßnahmen u. a. gerade auch im Hinblick auf den Arbeitskampf
durchgeführt werden sollten. Es ist daher - in Ermangelung entgegenstehender Anhaltspunkte - davon
auszugehen, dass diese Maßnahmen durch das Kampfgeschehen bedingt waren. Ein Beteiligungsrecht
des Betriebsrats bestand daher insoweit nicht.
III.
Nach alledem war die sofortige Beschwerde des Betriebsrates zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand keine Veranlassung. Diese Entscheidung ist daher
unanfechtbar.