Urteil des LAG Niedersachsen vom 18.12.2013

LArbG Niedersachsen: unwirksamkeit der kündigung, zahl, wirtschaftliche einheit, unternehmen, betriebsrat, arbeitsgericht, anzeigepflicht, begriff, stadt, niedersachsen

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Massenentlassungsanzeige im Gemeinschaftsbetrieb
1. Bei einer Personalreduzierung im Gemeinschaftsbetrieb zweier
Unternehmen, ist für die Anzeigepflicht nach § 17 Abs.1 KSchG auf die Zahl
der insgesamt von allen beteiligten Arbeitgebern zu Entlassenden im
Verhältnis zur Zahl der im Gemeinschaftsbetrieb in der Regel Beschäftigten
abzustellen.
2. Erstattet nur einer der Arbeitgeber für die in seinem Unternehmen
erfolgenden Entlassungen eine Anzeige nach § 17 KSchG, während der
andere wegen Nichterreichens der Verhältniszahlen des § 17 Abs. 1 KSchG
bezogen auf die von ihm Beschäftigten die Anzeige unterlässt, kann sich ein
von der Anzeige nicht erfasster Arbeitnehmer auf die zu niedrige Angabe
der Anzahl der zu Entlassenden mit der Folge der Rechtsunwirksamkeit der
Kündigung berufen.
3. Die unterlassene Anzeige wird auch im Fall des § 125 Abs.1 InsO nicht
dadurch geheilt, dass der Massenentlassungsanzeige des einen
Unternehmens ein Interessenausgleich mit Namensliste beigefügt wird, aus
dem sich die Anzahl der insgesamt zu Entlassenden, einschließlich derer
des Partnerunternehmens ergibt.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen 17. Kammer, Urteil vom 18.12.2013, 17 Sa
335/13
§ 125 InsO, § 17 KSchG
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen
(Ems) vom 14.03.2013 – 3 Ca 341/12 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen
betriebsbedingten Kündigung.
Der am 00.00.1956 geborene, ledige Kläger ist seit dem 01.02.1982 bei der H.
AG tätig. Sein Bruttoverdienst betrug zuletzt 3.171,30 €.
Die H. AG bildete mit der H. NC GmbH am Standort C-Stadt einen
Gemeinschaftsbetrieb, für den auch bei der letzten Betriebsratswahl ein
gemeinsamer Betriebsrat gewählt wurde.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 30.08.2012 wurde sowohl
über das Vermögen der H. NC GmbH als auch der H. AG das
Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Mit Schreiben vom 30.08.2012 erklärte der Beklagte dem Kläger gegenüber
die Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter Beachtung der Kündigungsfrist
des § 113 InsO mit Wirkung zum 30.11.2012. Das Kündigungsschreiben ging
dem Kläger am 30.08.2012 zu.
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Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schlossen der Beklagte und der
Betriebsrat noch am 30.08.2012 einen Interessenausgleich mit
Namensliste/Sozialplan. Der Interessenausgleich, wegen dessen genauen
Wortlaut auf die Anlage 1 zum Schriftsatz des Beklagten vom 22.11.2012 (Bl.
23 – 44 d. A.) verwiesen wird, sah vor, dass – ausgehend von 106 Mitarbeitern
im Gemeinschaftsbetrieb - insgesamt 28 Mitarbeiter von einer
Vertragsbeendigung betroffen sein sollten. Von diesen 28 Mitarbeitern waren
25 Mitarbeiter für die H. NC GmbH und 3 Mitarbeiter – darunter der Kläger – für
die H. AG tätig. In der dem Interessenausgleich als Anlage 1 angefügten
Namensliste sind diese 28 Mitarbeiter einschließlich des Klägers aufgelistet
(Anlage 1 zum Beklagtenschriftsatz vom 22.11.2012, Bl. 42 d. A.). Welche
Arbeitnehmer der Namensliste zum Interessenausgleich vom 30.08.2012 bei
der H. AG tätig waren, ist in der zweiten Spalte („ArbG“) der Namensliste an
dem Eintrag „AG“ zu erkennen. Der Beklagte erstattete nur für die zu
kündigenden Arbeitnehmer der Schuldnerin „H. NC GmbH“ unter Beifügung
des Interessenausgleichs mit Namensliste eine Anzeige nach § 17 KSchG. In
dieser Anzeige war der Kläger nicht angeführt; sie bezog sich hinsichtlich der
Gesamtzahl nur auf die zu Entlassenden der H. NC GmbH.
Der Kläger hat mit seiner beim Arbeitsgericht am 19.09.2012 eingegangenen
Kündigungsschutzklage die soziale Rechtmäßigkeit der Kündigung und
ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch der Kündigung
gerügt und mit am 11.03.2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz
bestritten, dass der Beklagte vor Ausspruch der Kündigungen die erforderliche
Massenentlassungsanzeige gem. § 17 KSchG bei der Bundesagentur für
Arbeit erstattet hat.
Der Kläger hat beantragt,
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den
Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 30.08.2012 –
zugestellt am 30.08.2012 – zum 30.11.2012 aufgelöst wird, sondern
ungekündigt darüber hinaus fortbesteht.
2. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen
Bedingungen als Kesselwärter zu einem Bruttomonatsgehalt von
3.500,00 € brutto weiter zu beschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass eine Betriebsänderung und
ein rechtswirksamer Interessenausgleich mit Namensliste vorgelegen hätten,
so dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der ausgesprochenen Kündigung
beendet worden sei. Auch sei der Betriebsrat ordnungsgemäß vor Ausspruch
der Kündigung angehört worden.
Das Arbeitsgericht Lingen hat mit Urteil vom 14.03.2013, auf dessen Inhalt zur
weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands und dessen
Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 92 – 100 d.
A.), 1. festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht
durch die Kündigung des Beklagten vom 30.08.2012 - zugestellt am
30.08.2012 – zum 30.11.2012 aufgelöst worden ist, 2. den Beklagten verurteilt,
den Kläger als Kesselwärter bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen, im Übrigen den Antrag
abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits zu 12 % dem Kläger und zu 88
% dem Beklagten auferlegt.
Gegen das ihm am 25.03.2013 zugestellte Urteil richtet sich die am 28.03.2013
beim Landesarbeitsgericht eingelegte und am 20.06.2013 innerhalb der
verlängerten Frist begründete Berufung des Beklagten.
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Er vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen zur Wirksamkeit der
ausgesprochenen Kündigung und ordnungsgemäßen Einhaltung des
Verfahrens nach § 102 BetrVG und ist der Auffassung, da die Grenzen des §
17 Abs. 1 KSchG für die H. AG nicht erreicht bzw. überschritten wurden, sei er
im Fall des bei der Schuldnerin „H. AG“ beschäftigten Klägers als der H. AG
nicht verpflichtet gewesen, eine Anzeige gem. § 17 KSchG zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 14.03.2013, Az.: 3 Ca 341/12,
abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner
Berufungserwiderungsschrift vom 21.08.2013, auf die die Kammer Bezug
nimmt.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren
wird außerdem ergänzend auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze
jeweils mit Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
Die gem. § 64 Abs. 1 und 2 c ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist
form- und fristgerecht i. S. d. §§ 66, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt
und begründet worden und auch im Übrigen zulässig.
B.
Die Berufung des Beklagten ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat
im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien
durch die Kündigung des Beklagten vom 30.08.2012 nicht aufgelöst worden ist
und den Beklagten verurteilt, den Kläger als Kesselwärter bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu
beschäftigen.
I.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des Beklagten vom
30.08.2012 nicht aufgelöst worden. Die Kündigung verstößt gegen § 17
KSchG, denn eine wirksame Massenentlassungsanzeige liegt nicht vor.
1. In § 17 Abs. 1 KSchG heißt es auszugsweise wörtlich, dass der Arbeitgeber
verpflichtet ist, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er
„1. in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60
Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,
2. in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500
Arbeitnehmern 10 von 100 der im Betrieb regelmäßig beschäftigten
Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer … innerhalb von 30
Kalendertagen entlässt. Den Entlassungen stehen andere
Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom Arbeitgeber
veranlasst werden.“
Nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG muss die Anzeige Angaben über den Namen
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des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes enthalten, ferner die
Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der
zu Entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den
Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und die
vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenen Arbeitnehmer.
Gleichzeitig hat der Arbeitgeber gem. § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG der Agentur
für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten, die
zumindest die in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 5 KSchG vorgesehenen Angaben
enthalten muss. In der Anzeige sollen ferner im Einvernehmen mit dem
Betriebsrat für die Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf
und Staatsangehörigkeit der zu entlassenen Arbeitnehmer gemacht werden.
Die Anzeige nach § 17 Abs. 1 KSchG ist schriftlich unter Beifügung der
Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen zu erstatten, § 17 Abs. 3
Satz 2 KSchG. Im Fall des § 125 Abs. 1 InsO ersetzt der Interessenausgleich
die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG.
2. Für die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG ist die Zahl der in einem
Betrieb erfolgenden Entlassungen im Verhältnis zur Zahl der in der Regel in
diesem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer ausschlaggebend. Der Begriff des
Betriebs in § 17 KSchG entspricht dabei dem der § § 1, 4 BetrVG (BAG vom
15.12.2011 – 8 AZR 692/10 – Rz. 73, AP Nr. 424 zu § 613 a BGB = EzA § 613
a BGB 2002 Nr. 132).
2.1 Für das Betriebsverfassungsgesetz gilt ein eigener Betriebsbegriff. Das
BetrVG setzt den Betrieb voraus und versteht darunter die organisatorische
Einheit, mit der Unternehmer ihre wirtschaftlichen oder ideellen Zwecke
verfolgen (BAG vom 07.08.1986 – 6 ABR 57/85 - AP Nr. 5 zu § 1 BetrVG 1972
= EzA § 4 BetrVG 1972 Nr. 5). Auch nach der Rechtsprechung des EuGH ist
für den Betriebsbegriff die wirtschaftliche Einheit der Organisation maßgebend
(ErfK-Kiel, 13. Auflage 2013, Rn 8 zu § 17 KSchG m.w.N.).
2.2. Dem mit § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG erstmals generell für den gesamten
Geltungsbereich des BetrVG gesetzlich geregelten gemeinsamen Betrieb fehlt
von Hause aus die rechtliche Identität des Betriebsinhabers. Die im
Gemeinschaftsbetrieb Beschäftigten sind arbeitsvertraglich verschiedenen
Arbeitgebern zugeordnet. Eine gesetzliche Definition des gemeinsamen
Betriebs fehlt. Die Neufassung des Gesetzes führt die schon vorhandene
Rechtsprechung fort. Diese ist daher weiterhin heranzuziehen (BAG vom
11.02.2004 – 7 ABR 27/03 - AP Nr. 22 zu § 1 BetrVG 1972 Gemeinsamer
Betrieb = EzA § 1 BetrVG 2001 Nr. 2). Ein gemeinsamer Betrieb liegt vor, wenn
mindestens zwei Unternehmen die in einer Betriebsstätte vorhandenen
materiellen und immateriellen Mittel für einen oder mehrere einheitliche
arbeitstechnische Zwecke zusammenfassen, ordnen, gezielt einsetzen und
der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen
Leitungsapparat gesteuert wird; dazu müssen sich die beteiligten
Unternehmen zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung
rechtlich verbunden haben. Diese einheitliche Leitung muss sich auf die
wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen
Angelegenheiten erstrecken (BAG vom 11.02.2004, a.a.O.).
3. Liegt ein Gemeinschaftsbetrieb mindestens zweier Unternehmen vor, ist bei
einer Personalreduzierung für die Anzeigepflicht nach § 17 Abs.1 KSchG auf
die Zahl der insgesamt von allen beteiligten Arbeitgebern zu Entlassenden im
Verhältnis zur Zahl der im Gemeinschaftsbetrieb in der Regel Beschäftigten
abzustellen. Erstattet nur einer der am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten
Arbeitgeber eine Massenentlassungsanzeige für die von ihm zu Entlassenden,
während der Andere dies für die von ihm zu Kündigenden – wegen
Nichterreichens der Verhältniszahlen des § 17 Abs. 1 KSchG bezogen auf
„seine Arbeitnehmer“ - unterlässt, stellt dies einen Verstoß gegen § 17 KSchG
dar.
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3.1 Im Streitfall haben die Schuldnerinnen „H. NC GmbH“ und „H. AG“ am
Standort C-Stadt unter einheitlicher Leitung einen gemeinsamen Betrieb im
oben genannten Sinne, gebildet, der durch die Insolvenzen beider Firmen
auch nicht aufgelöst wurde, sondern vielmehr von dem Beklagten als
Insolvenzverwalter beider Schuldnerinnen fortgeführt wird. Dies ist zwischen
den Parteien nicht streitig. Für beide Schuldnerinnen ist auch ein gemeinsamer
Betriebsrat gewählt, der mit dem Beklagten für den Gemeinschaftsbetrieb am
30.08.2012 einen Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen hat.
Der Interessenausgleich sah Entlassungen in dem Gemeinschaftsbetrieb in
einem die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 Ziff. 2 KSchG (28 von 106
Regelbeschäftigten) auslösenden Umfang vor.
3.2 Der Beklagte hat eine Massenentlassungsanzeige lediglich für die zu
entlassenden Arbeitnehmer erstattet, die einen Arbeitsvertrag mit der H. NC
GmbH hatten, nicht jedoch für die drei zu entlassenden Arbeitnehmer der H.
AG, darunter der Kläger. Hierzu war er jedoch verpflichtet, da der Begriff des
Betriebs in § 17 KSchG – wie oben ausgeführt - dem des § 1 BetrVG
entspricht. Zwar stellt § 17 auf eine Verpflichtung des Arbeitgebers ab, die
Anzeigepflicht bezieht sich aber auf den Betrieb unter Zugrundelegung des
betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriffs. Führen mehrere Arbeitgeber
gemeinsam einen Betrieb i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, so müssen sie für
die in ihrem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer ggf.
gemeinsam die Anzeige nach § 17 KSchG erstatten. Hierfür spricht nicht
zuletzt auch der ursprüngliche arbeitsmarktpolitische Sinn und Zweck der
Vorschrift des § 17 KSchG, nämlich Massenentlassungen zu verhindern oder
sich rechtzeitig auf zu erwartende Entlassungen größeren Umfangs
einzustellen (BAG vom 24.02.2005 – 2 AZR 207/04 - AP Nr. 20 zu § 17 KSchG
= EzA § 17 KSchG Nr. 14 m.w.N.). Wäre bei Gemeinschaftsbetrieben nur auf
das Verhältnis der von den einzelnen Arbeitgebern zu Entlassenden zu ihren
in der Regel Beschäftigten abzustellen, würde dies dem Gesetzeszweck nicht
gerecht.
3.3 Dahinstehen lassen konnte die Kammer, ob es unter Umständen auch
ausreicht, wenn einer der Arbeitgeber für die Gesamtzahl der zu entlassenden
Arbeitnehmer des Gemeinschaftsbetriebs (unter Einbeziehung auch der zu
entlassenen Arbeitnehmer des oder der weiteren Unternehmen) die Anzeige
nach § 17 KSchG erstattet. Denn im Streitfall hat der Beklagte als
Insolvenzverwalter der Hagedorn NC GmbH in der
Massenentlassungsanzeige nur die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer
der H. NC GmbH angeführt.
Nicht ausreichend ist insoweit, dass der Massenentlassungsanzeige des
Beklagten der Interessenausgleich mit Namensliste vom 30.08.2012 beigefügt
war. Auch wenn in diesem der Kläger als zu Entlassender aufgeführt und
ersichtlich war, dass die H. NC GmbH und die Hagedorn AG einen
Gemeinschaftsbetrieb bilden, liegt keine ordnungsgemäße
Massenentlassungsanzeige gegenüber der Arbeitsagentur vor. Denn nach §
125 Abs. 2 InsO ersetzt der Interessenausgleich nach Abs. 1 zwar die
Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 des
Kündigungsschutzgesetzes, nicht aber die Anzeige nach § 17 Abs. 1 KSchG.
4. Nach der Rechtsprechung des BAG führen Fehler bei den „Muss-Angaben“
nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG, zu denen auch die Angabe der Zahl der zu
entlassenden Arbeitnehmer gehört, zur Unwirksamkeit der
Massenentlassungsanzeige, wobei sich nur die Arbeitnehmer auf die zu
niedrige Angabe der Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer berufen können,
die die von der Massenentlassungsanzeige nicht erfasst sind (BAG vom
28.06.2012 – 6 AZR 780/10 – Rn 50, NZA 2012, 1029 ff.).
Da der Kläger von der vom Beklagten erstatteten Massenentlassungsanzeige
nicht erfasst ist, kann er sich auf die zu niedrige Angabe der Zahl der zu
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entlassenden Arbeitnehmer berufen. Das Fehlen einer nach § 17 Abs. 1
KSchG erforderlichen, den Anforderungen des § 17 Abs. 3 KSchG
genügenden Massenentlassungsanzeige hat die Unwirksamkeit der
Kündigung zur Folge. Denn in der Erklärung der Kündigung ohne wirksame
Massenentlassungsanzeige liegt gleichermaßen ein Verstoß gegen ein
gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB (BAG vom 21.03.2013 – 2 AZR 60/12 –
EzA § 17 KSchG Nr. 30 = NZA 2013, 966 ff.; vom 22.11.2012 – 2 AZR 371/11
– Rn 37, EzA § 17 KSchG Nr. 28 = NZA 2013, 845 ff.).
5. Der Kläger hat die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 17 KSchG auch
rechtzeitig geltend gemacht. Er hat zwar sein Feststellungsbegehren zunächst
nur auf die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung und Anhörung des
Betriebsrats gestützt. Gem. § 6 KSchG konnte er sich aber bis zum Schluss
der mündlichen Verhandlung erster Instanz auch auf andere, innerhalb der
Klagefrist des § 4 KSchG nicht geltend gemachte Unwirksamkeitsgründe
berufen. Der Kläger hat sich erstinstanzlich mit seinem am 11.03.2013 beim
Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz auf eine unterbliebene
Massenentlassungsanzeige berufen.
II.
Da die streitbefangene Kündigung rechtsunwirksam ist, kann der Kläger nach
der ständigen Rechtsprechung des BAG seit dem Beschluss des Großen
Senats vom 27.02.1985 (BAG GS vom 27.02.1985 – AP Nr. 14 zu § 611 BGB
Beschäftigungspflicht) auch die vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verlangen.
Tatsachen dafür, dass die Interessen des Beklagten an der
Nichtbeschäftigung die des Klägers an der Weiterbeschäftigung übersteigen,
hat der Beklagte auch im Berufungsverfahren nicht vorgetragen.
C.
Als unterlegene Partei hat der Beklagte die Kosten des Berufungsverfahrens
gem. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Die Revision war gem. § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zuzulassen.