Urteil des LAG Köln vom 19.10.2010

LArbG Köln (kündigung, kläger, arbeitnehmer, betriebsrat, anlage, bag, urkunde, verbindung, unwirksamkeit der kündigung, mitarbeiter)

Landesarbeitsgericht Köln, 12 Sa 793/10
Datum:
19.10.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
12.Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 Sa 793/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 9 Ca 1707/09
Schlagworte:
Interessenausgleich; Namensliste; feste Verbindung
Normen:
§ 1 Abs. 5 KSchG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Wird die Namensliste zu einem Interessenausgleich nach § 1 Abs. 5
KSchG nicht un-terzeichnet sondern paraphiert, ist nicht in jedem Falle
eine feste, körperliche Verbin-dung zum Interessenausgleich notwendig.
Eine das Schriftformgebot wahrende ein-heitliche Urkunde kann durch
andere Umstände gegeben sein, wozu etwa eine Ver-weisung auf die
Namensliste im Interessenausgleich zählt.
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 12.05.2010 (Az. 9 Ca 1707/09) wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten
sowie über die Weiterbeschäftigung des Klägers. Dieser ist am 28.08.1961 geboren,
verheiratet und zwei Kindern unterhaltspflichtig, wobei für eines der Kinder erst im
Februar 2009 ein Kinderfreibetrag auf seiner Steuerkarte eingetragen wurde. Er ist seit
dem 10.05.1985 bei der Beklagten als Blasmaschinen-/Produktionsarbeiter beschäftigt.
Als Maschinenführer war er bislang nicht tätig. Zuletzt erzielte er in der Entgeltgruppe 3
ein durchschnittliches monatliches Einkommen in Höhe von 2.500,00 € brutto. Die
Beklagte stellt Stahlfässer und Fibretrommeln her und beschäftigte im Zeitpunkt der
streitgegenständlichen Kündigung 96 Arbeitnehmer. Der Kläger war im Produktbereich
Stahlfässer an der Kunststoffbehälter-Blasmaschine tätig. Diese Maschine wird zur
Herstellung von Kunststofffässern benötigt, die später von außen mit Stahl ummantelt
werden. Zum Ende des Jahres 2008 gingen die Produktion und der Absatz dieser
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Kombifässer zurück. Am 29.01.2009 schloss die Beklagte mit ihrem Betriebsrat einen
Interessenausgleich ab, der einen Personalabbau vorsah. Hinsichtlich der einzelnen,
den Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten bedingenden Maßnahmen nimmt der
Interessenausgleich Bezug auf eine Anlage 2, in welcher die Anzahl der durch die
verschiedenen Änderungen jeweils wegfallenden Arbeitsplätze, insgesamt 17 an der
Zahl, aufgeführt ist. Unter anderem ist dort vorgesehen, die an der Blasmaschine bisher
von 3 Mitarbeitern erledigten Arbeiten künftig auf 2 Mitarbeiter zu verteilen. Hinsichtlich
der Konkretisierung der zu kündigenden Personen nimmt der Interessenausgleich
Bezug auf eine Anlage 3. Diese enthält eine Auflistung von 17 Namen. Der zweiseitige
Interessenausgleich ist auf der ersten Seite sowie auf jeder Seite der Anlagen von den
Betriebsparteien paraphiert und auf der zweiten Seite des Interessenausgleichs
unterschrieben worden. Ferner heißt es in Ziffer 2 des Interessenausgleichs, dass "der
Betriebsrat erklärt, dass das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG durchgeführt ist
und dass er dem Ausspruch der Kündigung der in Anlage 3 aufgeführten Mitarbeiter
nicht widerspricht." Hinsichtlich der Einzelheiten des Interessenausgleichs sowie seiner
Anlagen wird auf diesen (Bl. 30 – 37 d. A.) Bezug genommen. Mit Schreiben vom
29.01.2009 sowie vom 06.02.2009 bestätigte die Bundesagentur für Arbeit den Eingang
einer Massenentlassungsanzeige der Beklagten vom 29.01.2009. Mit Schreiben vom
29.01.2009, zugegangen am Folgetag, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des
Klägers zum 31.08.2009. Zum 01.03.2009 stellte sie ihn von der Erbringung der
Arbeitsleistung frei. In der Folgezeit – insbesondere von Juli bis Oktober 2009 – kam es
im Rahmen von Abwesenheitsvertretungen immer wieder zum Einsatz von
Leiharbeitnehmern, auch im Arbeitsbereich des Klägers.
Mit seiner am 18.02.2009 erhobenen, der Beklagten am 26.02.2009 zugestellten Klage
wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung.
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Er hat behauptet, die Abläufe an der Blasmaschine seien unverändert. Am 09.09.2009
seien etwa drei Leiharbeitnehmer an ihr zur Aushilfe mit Hilfstätigkeiten beschäftigt
worden, für die keine 6-monatige Anlernzeit nötig sei. Auch im Oktober und November
2009 seien teils an der Blasmaschine teils anderswo Leiharbeitnehmer eingesetzt
worden. Es liege kein Produktionsrückgang vor. Dem Interessenausgleich lasse sich
entnehmen, dass im Jahre 2008 im Bereich der Stahlfässer die höchste Produktionsrate
seit dem Jahre 2004 erreicht worden sei. Er sei bei Personalengpässen in allen
Bereichen der verschiedenen Fertigungsstraßen eingesetzt worden. Mehrmals habe er
angeboten, sich als Schichtführer einarbeiten zu lassen, was auch während der Dauer
der Kündigungsfrist durchführbar gewesen sei. An seiner Stelle seien jedoch weniger
lange beschäftigte Mitarbeiter zu Schichtführern befördert worden. Soweit die Beklagte
den Abbau von Arbeitsplätzen auf die Anschaffung von zwei neuen Maschinen stütze,
seien diese noch nicht in Betrieb genommen worden, da sie sich als sehr störanfällig
erwiesen hätten. Daher seien die dort zum Wegfall vorgesehenen Arbeitsplätze, an
denen er oftmals eingesetzt gewesen sei, noch vorhanden. Der Kläger hat die Ansicht
vertreten, die von der Beklagten vorgenommene Sozialauswahl sei nicht
nachvollziehbar, da Namen und Daten von vergleichbaren Mitarbeitern nicht genannt
worden seien. Aus diesem Grunde sei nicht ersichtlich, ob seine zwei Kinder
berücksichtigt worden seien. Vergleichbar seien die in der Verladung tätigen Mitarbeiter
A , S sowie der Maschinenbediener S Der Kläger hat behauptet, die Tätigkeit des
letztgenannten Mitarbeiters unterscheide sich nicht wesentlich von seiner eigenen. Das
Bedienen von Maschinen sei seiner Meinung nach kein geeignetes
Unterscheidungskriterium dar. Er hat weiterhin behauptet, von drei in der Verladung
aufeinander zu stapelnden Fässern könne er zwei aufeinander laden. Zudem würden
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die Mitarbeiter Piparo und Magalez auch als Springer eingesetzt. Der Kläger hat die
Ansicht vertreten, auch die drei anderen Betriebe der Beklagten seien in die
Sozialauswahl einzubeziehen. Schließlich hat er bestritten, dass der Betriebsrat
ordnungsgemäß angehört worden sei.
Er hat beantragt,
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1. festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der
Beklagten vom 29.01.2009, zugegangen am 30.01.2009, zum 31.08.2009 nicht
aufgelöst worden ist.
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2. die Beklagte zu verurteilen, für den Fall des Obsiegens mit dem
Feststellungsantrag ihn als Produktionsarbeiter bis zu einer rechtskräftigen
Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat behauptet, ab Oktober 2008 seien die ihr erteilten Aufträge im Vergleich zum
Vorjahr um etwa 50 % zurückgegangen. Zum Beginn des Jahres 2009 seien es noch ca.
40 % gewesen. Ursache sei, dass viele ihrer Großkunden Werke stillgelegt oder ihre
Produktion ins Ausland verlagert hätten. Durch Arbeitsplatzkombination und angepasste
Taktzeiten sei im Arbeitsbereich des Kläger ein Arbeitsplatz entfallen. Von den neuen
Maschinen sei die eine in der 22. Kalenderwoche 2009 in Betrieb genommen, die
andere in der 28. Kalenderwoche geliefert worden, jedoch aufgrund von Reparaturen
erst zum Jahreswechsel 2009/2010 einsetzbar. Eine Sozialauswahl sei im Falle des
Klägers nicht zu treffen gewesen. Die in diesem Bereich verbliebenen Mitarbeiter seien
als Schichtführer oder Gruppenleiter in die Entgeltgruppen 6 bzw. 11 eingruppiert. Auch
ihre sonstigen Mitarbeiter hätten Entgeltgruppe 5 und mehr. Die anderen Aufgaben an
der Blasmaschine erforderten eine 6-monatige Anlernzeit, während der Kläger nur
Hilfsarbeiten, namentlich einfache Montagetätigkeiten, verrichtet habe. Alle
Arbeitsplätze der Entgeltgruppe 4 und weniger - mit Ausnahme von Arbeitsplätzen in der
Verladung - seien abgebaut worden. Die Mitarbeiter P und M seien zwar in die
Entgeltgruppe 4 eingruppiert, müssten aber 22 kg schwere Fässer bis zu einer Höhe
von 1,89 Metern aufeinander stellen können, wozu der Kläger physisch nicht in der Lage
sei. Der Mitarbeiter S sei als Maschinenbediener in der Montagestraße in die
Entgeltgruppe 6 eingruppiert. Der Betriebsrat sei Anfang Dezember 2008 über die
geplanten personellen Maßnahmen informiert worden. In den Verhandlungen zum
Interessenausgleich seien ihm dann am 07.01.2009 die vollständigen Personaldaten
des Klägers, die Art und Gründe für die Kündigung sowie die Tätigkeit des Klägers und
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dessen Kündigungsfrist und -zeitpunkt genannt worden. Interessenausgleich und
zugehörige Anlagen seien durch Heftklammer miteinander verbunden worden.
Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 12.05.2010 die Klage abgewiesen. Es hat
seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass die Kündigung durch ein
dringendes betriebliches Erfordernis bedingt sei. Dies werde aufgrund der Nennung des
Klägers auf der im Interessenausgleich in Bezug genommenen und mit dieser
verbundenen Namensliste vermutet. Dass die Namensliste lediglich in einer Anlage
enthalten sei, schade nicht, da durch eine feste Klammerverbindung und die
durchgehende Paraphierung des Interessenausgleichs das Schriftformerfordernis
gewahrt sei. Auch liege angesichts des Erreichens des Schwellenwertes des § 17
KSchG eine Betriebsänderung vor. Der Kläger habe jedoch die Vermutung des § 1 Abs.
5 S. 1 KSchG nicht zu widerlegen vermocht. Den Rückgang des Arbeitsanfalls habe er
nur pauschal bestritten, so dass ein über den 31.08.2009 hinaus bestehender
unveränderter Arbeitsanfall und eine fehlerhafte Einschätzung der Betriebsparteien
ebenso wenig erkennbar seien, wie das Erfordernis des Einsatzes von
Leiharbeitnehmern zur Bewältigung des prognostizierten Arbeitsanfalls.
Vertretungsbedarf mit Leiharbeitern abzudecken, sei eine zulässige unternehmerische
Entscheidung. Die Kündigung sei auch nicht wegen grob fehlerhafter Sozialauswahl
unwirksam. Eine Sozialauswahl sei mangels vergleichbarer fortbestehender
Arbeitsplätze nicht durchzuführen gewesen. Durch den Hinweis darauf habe die
Beklagte ihre diesbezügliche Auskunftspflicht erfüllt. Die vom Kläger genannten
Kollegen seien nicht vergleichbar, die Kollegen B und K als Schichtführer bereits
hierarchisch nicht. Bei Herrn Saglam spreche dessen Eingruppierung in die
Entgeltgruppe 6 gegen eine grobe Fehlerhaftigkeit. Auch die Vergleichsgruppenbildung
bezüglich der Mitarbeiter M und P sei nicht zu beanstanden. Der Kläger behaupte selbst
nicht, Fässer auch in der dritten Stapelreihe laden zu können. Die Beklagte könne auch
nicht verpflichtet werden, durch die Kombination einzelner Tätigkeiten im
Verladebereich einen geeigneten Arbeitsplatz zu schaffen. Soweit die Kollegen P und M
zeitweise Springertätigkeiten verrichteten, begründe dies mithin nicht die Eignung des
Klägers für deren Arbeitsplatz. Auf die Unterhaltspflichten des Klägers komme es
mangels vergleichbarer Mitarbeiter nicht an. Andere Betriebe seien nicht in die Auswahl
einzubeziehen. Die Kündigung sei auch nicht wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung
unwirksam. Aufgrund der Interessenausgleichsverhandlungen sei von einem
ausreichenden Kenntnisstand des Betriebsrats über die Kündigungsgründe
auszugehen. Der Interessenausgleich enthalte mit den Angaben zur Zahl und
Verteilung der zu kündigenden Arbeitnehmer die Kernpunkte der die Kündigung
bedingenden unternehmerischen Maßnahme. Zudem habe der Betriebsrat die
Durchführung des Anhörungsverfahrens bestätigt. Auch der Anzeigepflicht nach § 17
KSchG sei die Beklagte nachgekommen.
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Gegen dieses, dem Kläger am 31.05.2010 zugestellte Urteil, hat dieser am 15.06.2010
Berufung eingelegt und mit am 15.07.2010 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz
begründet.
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Er behauptet, der Interessenausgleich sei nicht ausreichend fest mit der Namensliste
verbunden gewesen. Die am 12.05.2010 bestehende Heftung sei, wie sich aus den
Kopien des Interessenausgleiches ergebe, erst nachträglich erfolgt. Zudem seien in der
gesamten Zeit nach Ausspruch der Kündigung Leiharbeitnehmer im Betrieb beschäftigt
worden, im Oktober und November 2009 auch für Hilfstätigkeiten. Am 31.08.2010 seien
10 Leiharbeitnehmer im Betrieb tätig gewesen, eine Aushilfe davon bereits vier Monate,
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andere mehrere Wochen. Eine rückläufige Auftragslage sei nicht gegeben. Derzeit
arbeiteten die Produktionsmitarbeiter 9 bis 9,5 Stunden pro Tag. Auch samstags werde
gearbeitet. Er meint, die Sozialdaten und Auswahlkriterien für die Sozialauswahl seien
nicht dargelegt.
Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom
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12.05.2010, Az. 9 Ca 1707/10
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1. festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der
Beklagten vom 29.01.2009, zugegangen am 30.01.2009, zum 31.08.2009 nicht
aufgelöst worden ist,
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2. die Beklagte zu verurteilen, ihn im Falle des Obsiegens mit dem
Feststellungsantrag als Produktionsarbeiter bis zu einer rechtskräftigen
Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie behauptet, Namensliste und Interessenausgleich seien mittels Heftmaschine
verbunden worden. Es sei nicht zu beanstanden, wenn die Heftklammer zur Anfertigung
von Kopien entfernt werde. Das Vorbringen des Klägers zu den beschäftigten
Leiharbeitnehmern sei zu pauschal.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Akteninhalt Bezug genommen.
26
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
27
Die zulässige, insbesondere statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung
des Klägers (§§ 64 Abs. 1, 2 lit. c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG in Verbindung mit §§
519, 520 ZPO) ist unbegründet.
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I. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung der
Beklagten vom 29.01.2009 zum 31.08.2009 beendet worden. Die Kündigung ist
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insbesondere nicht unwirksam gemäß § 1 Abs. 1 KSchG, da sie durch dringende
betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb
der Beklagten entgegenstehen, im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG sozial
gerechtfertigt ist. Zutreffend hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Vorliegen
dieser dringenden betrieblichen Erfordernisse aufgrund des Interessenausgleichs
vom 29.01.2009 vermutet wird.
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1. Nach § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG wird vermutet, dass eine Kündigung durch dringende
betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist, wenn sie
aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG erfolgt und die Arbeitnehmer,
denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und
Betriebsrat namentlich bezeichnet sind. Die soziale Auswahl kann in diesem Fall
gemäß § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die
Vermutung greift allerdings nicht, wenn sich die Sachlage nach dem Zustandekommen
des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat (§ 1 Abs. 5 S. 3 KSchG). Die
Vermutungsbasis, d. h. die Betriebsänderung nach § 111 BetrVG, deren Kausalität für
die Kündigung und die ordnungsgemäße Benennung des Arbeitnehmers in einem
Interessenausgleich, hat der Arbeitgeber substantiiert darzulegen und gegebenenfalls
zu beweisen (BAG, Urteil vom 26.03.2009 – 2 AZR 296/07 – juris, Rn. 17). Die
Wirkungen des § 1 Abs. 5 S. 1 und 2 KSchG treten nur ein, wenn die Arbeitnehmer
denen gekündigt werden soll, "in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und
Betriebsrat namentlich bezeichnet" sind. Diese Voraussetzung ist nicht nur erfüllt, wenn
die Namensliste im Text des nach § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG schriftlich
niederzulegenden Interessenausgleichs enthalten ist, sondern auch dann, wenn
Interessenausgleich und Namensliste eine Urkunde bilden, die insgesamt dem
Schriftformerfordernis der §§ 125, 126 BGB genügt. Wird die Namensliste getrennt vom
dem Interessenausgleich erstellt, reicht es aus, wenn sie von den Betriebsparteien
unterzeichnet ist und in ihr auf den Interessenausgleich oder in diesem auf sie Bezug
genommen ist (BAG, Urteil vom 26.03.2009 – 2 AZR 296/07 –, juris, Rn. 20).
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a) Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, dass der der Kündigung
zugrundeliegende Interessenausgleich vom 29.01.2009 aufgrund einer beabsichtigten
Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG abgeschlossen worden ist. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann eine Betriebsänderung
auch durch bloßen Personalabbau erfolgen. Voraussetzung für die Annahme einer
wesentlichen Einschränkung ist, dass der Personalabbau eine relevante Zahl von
Arbeitnehmern erfasst. Maßgebend sind insoweit die Zahlen des § 17 KSchG, wobei in
größeren Betrieben mindestens 5 % der Belegschaft betroffen sein müssen. Erforderlich,
aber auch ausreichend ist, dass der Personalabbau auf einer einheitlichen
unternehmerischen Planung beruht. Maßgebender Anknüpfungspunkt für das
Mitbestimmungsrecht ist die unternehmerische Entscheidung, aus der sich ergibt, wie
viele Arbeitnehmer voraussichtlich insgesamt entlassen werden (BAG, Beschluss vom
28.03.2006 – 1 ABR 5/05 –, juris, Rn. 18). Gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KSchG ist
dieser Schwellenwert in Betrieben mit 60 – 499 Arbeitnehmern erreicht, wenn 10 % der
im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer betroffen sind. Im Kölner Betrieb der
Beklagten hätten mithin 10 Arbeitnehmer ausgereicht. Betroffen sind jedoch 17
Arbeitnehmer.
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b) Auch war der Kläger auf der Namensliste verzeichnet, die die Beklagte zusammen
mit dem Interessenausgleich als dessen Anlage 3 vorgelegt hat. Soweit der Kläger
bezweifelt, dass diese im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Interessenausgleichs
bereits fest mit diesem verbunden gewesen ist, war die Kammer der Auffassung, dass
eine fehlende feste Verbindung der Vermutungswirkung des Interessenausgleichs nicht
entgegen steht, da die Namensliste auch ohne diese Verbindung mit dem
Interessenausgleich eine einheitliche Urkunde bildet.
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aa) Auch Anlagen können Teil der Erklärung sein, wie dies insbesondere bei Verträgen
oft der Fall ist. Schließt die Namensunterschrift eine aus mehreren Bestandteilen
bestehende Urkunde räumlich ab, so erfordert die Schriftform des § 126 BGB nicht
einmal die körperliche Verbindung der einzelnen Blätter der Urkunde, wenn sich deren
Einheit aus fortlaufender Paginierung, fortlaufender Nummerierung der einzelnen
Bestimmungen, einheitliche graphische Gestaltung, dem inhaltlichen Zusammenhang
des Textes oder vergleichbaren Merkmalen zweifelsfrei ergibt. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG
verbietet nicht, dass die Liste mit den zu kündigenden Arbeitnehmern als Anlage zum
Interessenausgleich genommen wird, soweit aufgrund der oben bezeichneten Merkmale
zweifelsfrei feststeht, dass Namensliste und Interessenausgleich eine Urkunde bilden
(BAG, Urteil vom 07.05.1998 – 2 AZR 55/98 –, juris, Rn. 22 f.). Die Schriftform erfordert
auch keine körperliche Verbindung der Vertragsurkunde mit den ihr beigefügten
Anlagen, auf die in der Urkunde verwiesen wird, wenn sich die Einheit der Urkunde und
der Anlagen aus der Verweisung sowie den Unterschriften der Vertragspartner auf
jedem Blatt der Anlagen (BGH, Urteil v. 21.01.1999, VII ZR 93/97 – NJW 1999,1104)
oder entsprechender Paraphierung (BGH, Urteil vom 29.09.1999 – XII ZR 313/98 -, juris,
Rn. 69) zweifelsfrei ergibt (so auch LAG Hessen, Urteil vom 25.05.2009 – 17 Sa
1399/08 –, juris, Rn. 59). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können
auch bei Anlagen, die rechtsgeschäftliche Erklärungen enthalten, Paraphen die Einheit
zwischen Haupturkunde und Anlage ebenso dokumentieren wie Unterschriften. Soweit
der vollständigen Unterschrift im Rahmen der gesetzlichen Schriftform die Funktion der
Dokumentation und Bekräftigung des rechtsgeschäftlichen Erklärungswillens
beigemessen wird, ist diesem Erfordernis bereits durch die Unterzeichnung des
Hauptvertrages genügt, der die Anlage durch Verweisung zum Vertragsbestandteil
macht (BGH, Urteil vom 29.09.1999 – XII ZR 313/98 –, juris, Rn. 69). Der
Bundesgerichtshof hat insoweit entschieden, dass die Bezugnahme im Hauptvertrag auf
eine Anlage in Verbindung mit der Paraphierung der Anlage jedenfalls zur Wahrung der
Schriftform ausreicht (BGH, Urteil vom 18.12.2002 – XII ZR 253/01 –, juris, Rn. 15).
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bb) Hiervon abweichend hat das Landesarbeitsgericht Köln im Urteil vom 07.05.2007
(14 Sa 1403/06) angenommen, die Paraphierung der Namensliste ohne körperliche
Verbindung stehe der Annahme einer einheitlichen Urkunde entgegen (juris, Rn. 22). Es
hat dies damit begründet, dass die Formvorschrift verhindern solle, dass nachträgliche
Änderungen vorgenommen werden. Deshalb müsse dann, wenn die Haupturkunde
unterschrieben sei, in ihr auf eine nicht unterschriebene Anlage ausdrücklich Bezug
genommen werden und die Haupturkunde und die nachfolgende Anlage mittels einer
Heftung fest verbunden sein. Nur eine fest mit dem Interessenausgleich verbundene
Namensliste unterliege dem strafrechtlichen Schutz des § 267 StGB bzw. § 274 StGB
(LAG Köln, a. a. O., Rn. 25, 26, 28). Letztgenanntes Argument vermag jedoch nicht zu
überzeugen, da Urkunden im Sinne des Strafrechts verkörperte Erklärungen sind, die
ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis
Beweis zu erbringen und die ihren Aussteller erkennen lassen (Schönke-
Schröder/Kramer/Heine, 28. Aufl. 2010, § 267 StGB, Rn. 2). Die Urkunde muss nicht
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eigenhändig unterschrieben oder mit Handzeichen versehen sein (Schönke/Schröder,
a. a. O., Rn. 17). Eine Urkunde im Sinne des Strafrechts muss somit nicht dem
Schriftformerfordernis des § 126 BGB genügen. Durch eine Paraphe wird hinreichend
verdeutlicht, wer Urheber des Schriftstücks ist. Auch der Zweck, eine nachträgliche
Veränderung zu verhindern, gebietet nicht, eine feste körperliche Verbindung zu fordern.
Die Beseitigung einer Heftklammer stellt zudem kein unüberwindliches Hindernis dar.
Ist die Namensliste nicht paraphiert, ist deren Austausch, wenn nicht beide
Betriebsparteien mitwirken, durch Entfernen der Heftklammer und Neuheftung einfacher
zu bewerkstelligen, als bei einer ungehefteten, aber paraphierten Namensliste.
cc) Die dargestellten Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Dem Interessenausgleich
lässt sich mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass in der Anlage 3 zum
Interessenausgleich die zu kündigenden Arbeitnehmer benannt werden sollen. Im
Interessenausgleich wird somit auf die Namensliste Bezug genommen. Die Namensliste
selbst ist wiederum mit "Anlage 3 – wegfallende Arbeitsplätze im Werk Köln und
Namensliste" überschrieben. Zwar enthält die Namensliste keine Rückverweisung auf
den Interessenausgleich. Das Fehlen einer Rückverweisung steht jedoch nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Annahme einer einheitlichen Urkunde
nicht entgegen (BGH, Urteil vom 29.09.1999, a. a. O., Rn. 68). Weiterhin haben die
Betriebsparteien dadurch, dass sie, mit Ausnahme der die Unterschriften enthaltenden
Seite des Interessenausgleichs, jede Seite des Interessenausgleichs und der Anlagen
paraphiert haben, die Zusammengehörigkeit der Unterlagen deutlich gemacht. Zudem
ergibt sich aus der Namensliste, welchem Zweck sie dient, nämlich die vom Wegfall der
Arbeitsplätze im Werk Köln betroffenen Arbeitnehmer namentlich zu bezeichnen. Dies
stellt zwar keine Rückinbezugnahme auf den Interessenausgleich dar, wohl aber einen
inhaltlichen Zusammenhang her. Da mithin eine einheitliche Urkunde vorliegt, kann die
Frage, ob eine feste Verbindung im Zeitpunkt der Unterzeichnung vorlag, offen bleiben.
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c) Die demnach eingreifende Vermutung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG hat der Kläger nicht
zu widerlegen vermocht.
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aa) Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG kann der
Arbeitnehmer gemäß § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG in Verbindung mit § 292 ZPO darlegen,
dass in Wahrheit weiterhin eine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn besteht. Dazu ist
substantiierter Tatsachenvortrag erforderlich, der den gesetzlich vermuteten Umstand
nicht nur in Zweifel zieht, sondern ausschließt. Aufgrund der gesetzlichen Vermutung
braucht der Arbeitgeber die Betriebsbedingtheit einer Kündigung nicht im Einzelnen
darzutun. Der Arbeitnehmer muss hingegen substantiiert darlegen, weshalb der
Arbeitsplatz trotz der Betriebsänderung noch vorhanden ist oder wo sonst im Betrieb
oder Unternehmen er weiterbeschäftigt werden kann. Dabei können ihm
Erleichterungen durch eine abgestufte Verteilung der Darlegungs- und Beweislast
zugutekommen. Die Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung ist gleichwohl
erst widerlegt, wenn der Arbeitnehmer dartut und gegebenenfalls beweist, dass das
Beschäftigungsbedürfnis in Wirklichkeit nicht weggefallen ist (BAG, Urteil vom
05.11.2009 – 2 AZR 676/08 –, juris, Rn. 17).
38
bb) Zwar hat der Kläger dargetan, dass die Abläufe an der Blasmaschine unverändert
seien. Was damit aber genau gemeint ist, schildert er nicht. Soweit am 09.09.2009 drei
Leiharbeitnehmer an der Blasmaschine beschäftigt gewesen sein sollen, widerspräche
dies nur dann der im Interessenausgleich bezeichneten Maßnahme, aus drei
Arbeitsplätzen an der Blasmaschine zwei zu machen, wenn diese gleichzeitig dort
39
gearbeitet hätten. Dies jedoch hat der Kläger ebenso wenig behauptet wie die
Unmöglichkeit der Zusammenlegung der Arbeitsplätze angesichts der unstreitigen
Rückläufigkeit der Aufträge für diese Maschine. Soweit der Kläger im Übrigen die
Beschäftigung von Leiharbeitnehmern behauptet, ergibt sich daraus nicht, dass sein
Arbeitsplatz nicht weggefallen wäre. Er behauptet nämlich nicht, dass die Leiharbeiter
ständig an der Blasmaschine beschäftigt würden. Da die Qualifikation von
Leiharbeitnehmern unterschiedlich sein kann und deren Einsatzort unklar ist, wird durch
die Behauptung des Einsatzes von Leiharbeitnehmer nicht der Wegfall jeglicher
Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger in Zweifel gezogen Der Kläger hat auch nicht
dargetan, dass der Arbeitsanfall bei der Beklagten nur mit Leiharbeitnehmern zu
bewältigen sei. Ein ständiger Einsatz von Leiharbeitnehmern könnte zwar hierfür
sprechen; in substantiierter Form ist dies jedoch nicht dargetan. Da die
Leiharbeitnehmer zudem auf einem Arbeitsplatz eingesetzt sein müssten, für den der
Kläger geeignet ist, wird durch den Vortrag des Klägers die durch den
Interessenausgleich begründete Vermutung nicht widerlegt.
d) Die Vermutung ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich die Sachlage etwa
nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hätte.
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aa) Eine wesentliche Änderung der Sachlage liegt nur dann vor, wenn von einem
Wegfall der Geschäftsgrundlage auszugehen ist. Maßgebend für die Beurteilung der
wesentlichen Änderung ist der Kündigungszeitpunkt. Wesentlich ist die Änderung dann,
wenn nicht ernsthaft bezweifelt werden kann, dass beide Betriebspartner oder einer von
ihnen den Interessenausgleich in Kenntnis der späteren Änderung nicht oder mit einem
anderen Inhalt geschlossen hätten. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sich nachträglich
ergibt, dass nun gar keine oder eine andere Betriebsänderung durchgeführt werden soll,
oder wenn sich die im Interessenausgleich vorgesehene Zahl der zur Kündigung
vorgesehenen Arbeitnehmer erheblich verringert hat (BAG, Urteil vom 12.03.2009 – 2
AZR 418/07 –, juris, Rn. 20).
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bb) Eine derartige wesentliche Änderung der Sachlage ist indessen nicht ersichtlich.
Alleine aus der Tatsache, dass derzeit Samstagsschichten und Überstunden gefahren
werden, folgt nicht, dass sich die bei Abschluss des Interessenausgleichs
angenommene Auftragslage grundlegend verändert hätte. Insoweit ist insbesondere zu
berücksichtigen, dass nach Abbau des Personals Auftragsspitzen schwerer
aufgefangen werden können. In dieser Situation anfallende Überstunden lassen nicht
darauf schließen, dass das vorhandene Personal generell nicht zur Bewältigung der
Arbeit ausreicht. Der Kläger hat nicht bestritten, dass die Betriebsänderung durchgeführt
worden ist. Eine teilweise Verzögerung aufgrund von Reparaturarbeiten an einer neu
angeschafften Maschine, stellt keine wesentliche Änderung der Sachlage dar. Hiervon
ist nur ein Arbeitsplatz und dies auch nur für eine begrenzte Zeit betroffen. Dies
rechtfertigt nicht die Annahme, der Interessenausgleich wäre in Kenntnis dieser
Änderung nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen worden.
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2. Die Kündigung ist auch nicht unwirksam gemäß § 1 Abs. 3 KSchG.
43
a) Aufgrund des Interessenausgleichs mit Namensliste kann vorliegend nur eine grob
fehlerhafte soziale Auswahl zur Unwirksamkeit der Kündigung führen (§ 1 Abs. 3 S. 1,
Abs. 5 KSchG). Die Sozialauswahl ist grob fehlerhaft, wenn ein evidenter, ins Auge
springender Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit
vermissen lässt. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG räumt den Betriebsparteien einen weiten
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Spielraum bei der Sozialauswahl ein. Dies gilt nicht nur für die sozialen Indikatoren und
deren Gewichtung selbst, sondern auch für die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen
(BAG, Urteil vom 05.11.2009 – 2 AZR 676/08 –, juris, Rn. 21). b) Die Betriebsparteien
haben jedoch keine grob fehlerhafte Sozialauswahl vorgenommen. Der Kläger hat
bereits nicht im Einzelnen dargetan, welche Arbeitnehmer noch auf einem Arbeitsplatz
beschäftigt werden, der im Rahmen der Sozialauswahl als vergleichbar anzusehen
wäre. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestimmt sich der
Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer in erster
Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten
Tätigkeit. Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann,
wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung andersartige, aber
gleichwertige Tätigkeiten ausführen kann. Die Notwendigkeit einer kurzen
Einarbeitungszeit steht einer Vergleichbarkeit nicht entgegen (BAG, Urteil vom
05.06.2008 – 2 AZR 907/06 –, juris, Rn. 18). Hiervon ausgehend hat der Kläger keine
vergleichbaren Arbeitnehmer genannt. Jedenfalls ist nicht von einer grob fehlerhaften
Sozialauswahl auszugehen. Soweit der Kläger sich auf die Arbeitnehmer P und M
bezieht, behauptet der Kläger nicht, dass er in der Lage ist, deren Tätigkeit, zu der auch
das Stapeln von Fässern auf drei Ebenen gehört, vollständig zu übernehmen. Zu einer
Umgestaltung der Arbeitsplätze war die Beklagte jedoch nicht verpflichtet, da der
Zuschnitt der Arbeitsplätze der freien unternehmerischen Entscheidung unterliegt (vgl.
BAG, Urteil vom 22.09.2005 – 2 AZR 365/04 -, juris, Rn. 15; vgl. auch Urteil vom
16.12.2004 – 2 AZR 66/04 -, juris, Rn. 32 zur die Freiheit, das Anforderungsprofil eines
neuen oder veränderten Arbeitsplatzes festzulegen). Herr Saglam hingegen ist
Maschinenbediener in der Entgeltgruppe 6. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er
dessen Arbeitsplatz in überschaubarer Zeit hätte einnehmen können. Sein Vorbringen,
bei Personalengpässen in allen Bereichen der verschiedenen Fertigungsstraßen
eingesetzt worden zu sein, steht dem nicht entgegen, da er eingesteht, bislang nicht als
Maschinenführer gearbeitet zu haben. Zum Anforderungsprofil der Maschine des Herrn
Saglam und dessen Erfüllung durch seine Person schweigt sich der Kläger jedoch aus.
3. Die Kündigung ist schließlich auch nicht unwirksam gemäß § 102 Abs. 1 S. 3
BetrVG.
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a) Nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe für die
Kündigung mitzuteilen, d. h. er muss ihm schriftlich oder mündlich neben näheren
Informationen über die Person des betroffenen Arbeitnehmers die Art und den Zeitpunkt
der Kündigung und die seiner Ansicht nach maßgeblichen Kündigungsgründe mitteilen.
Der für den Arbeitgeber maßgebende Sachverhalt ist unter Angabe der Tatsachen, aus
denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, näher so zu beschreiben, dass der
Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die
Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über eine Stellungnahme
schlüssig zu werden. Kommt der Arbeitgeber diesen Anforderungen an seine
Mitteilungspflicht nicht oder nicht richtig nach und unterlaufen ihm insoweit bei der
Durchführung der Anhörung Fehler, ist die Kündigung unwirksam (BAG, Urteil vom
23.06.ö2009 – 2 AZR 474/07 -, juris, Rn. 34). Der Arbeitgeber ist auch bei Vorliegen
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eines Interessenausgleichs im Sinne des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG verpflichtet, den
Betriebsrat gemäß § 102 BetrVG zu der beabsichtigten Kündigung anzuhören. Die
Betriebsratsanhörung unterliegt in diesem Fall keinen erleichterten Anforderungen.
Allerdings muss er die dem Wegfall des Arbeitsplatzes und der Sozialauswahl zugrunde
liegenden Tatsachen, die dem Betriebsrat bereits aus den Verhandlungen zum
Abschluss eines Interessenausgleichs bekannt sind, im Anhörungsverfahren nicht
erneut mitteilen. Dies gilt zumindest dann, wenn zwischen den Verhandlungen über den
Interessenausgleich und der Anhörung ein überschaubarer Zeitraum liegt (BAG, Urteil
vom 05.11.2009 – 2 AZR 676/08 –, juris, Rn. 37).
Hat der Arbeitnehmer vorgetragen, es bestehe ein Betriebsrat, weswegen vor
Ausspruch einer Kündigung dessen Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG erforderlich
sei, so obliegt dem Arbeitgeber darzulegen, dass die Anhörung des Betriebsrats
ordnungsgemäß erfolgt ist. Da es sich um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der
Kündigung handelt, trifft den Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast. Auf einen
entsprechenden Prozessvortrag des Arbeitgebers darf sich der Arbeitnehmer aber nicht
darauf beschränken, die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung weiter pauschal mit
Nichtwissen zu bestreiten; vielmehr hat er nach § 138 Abs. 1 und 2 ZPO vollständig und
im Einzelnen darzulegen, ob der Betriebsrat entgegen der Behauptung des
Arbeitgebers überhaupt nicht angehört worden ist oder in welchen Punkten er die
tatsächlichen Erklärungen des Arbeitgebers über die Betriebsratsanhörung für falsch
oder für unvollständig hält (BAG, Urteil vom 24.04.2008 – 8 AZR 520/07 –, juris, Rn. 25).
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b) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann nicht von Fehlerhaftigkeit der
Betriebsratsanhörung ausgegangen werden. Dem Interessenausgleich, insbesondere
der Anlage 2 desselben, lässt sich die Maßnahme entnehmen, durch welche der
Arbeitsplatz des Klägers in Wegfall geraten soll. Zudem hat die Beklagte dargetan, dass
sie dem Betriebsrat die Personaldaten des Klägers sowie Kündigungsfrist und -
zeitpunkt genannt habe. Soweit sie dabei eine Unterhaltspflicht des Klägers nicht
genannt haben sollte, weil auf der Steuerkarte des Klägers im Januar 2009 nur ein
Kinderfreibetrag eingetragen war, führt dies nicht zur Fehlerhaftigkeit der
Betriebsratsanhörung, da die dem Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 BetrVG mitzuteilenden
Gründe für die Kündigung subjektiv terminiert sind. Der Arbeitgeber muss die aus seiner
Sicht tragenden Gründe mitteilen und dabei seinen Wissensstand richtig an den
Betriebsrat weitergeben. Er ist nicht verpflichtet, im Rahmen der Betriebsratsanhörung
die Richtigkeit dokumentierter Daten zu überprüfen. Er kann deshalb, solange er
anderes nicht weiß, von den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte ausgehen und dies
dem Betriebsrat mitteilen (BAG, Urteil vom 05.11.2009 – 2 AZR 676/08 –, juris, Rn. 40).
Im Rahmen der Sozialauswahl konnte die Unterhaltspflicht des Klägers ohnehin keine
Rolle spielen, da eine solche nicht durchgeführt worden ist. Vor diesem Hintergrund
hätte es dem Kläger oblegen, im Einzelnen darzutun, aus welchen Tatsachen die
Fehlerhaftigkeit der Anhörung folgen soll bzw. welche der Angaben der Beklagten zur
Betriebsratsanhörung er bestreiten möchte.
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4. Nach alldem sind Unwirksamkeitsgründe für die Kündigung nicht zu erkennen.
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II. Mangels Obsiegens des Klägers mit seinem Kündigungsschutzantrag ist der
Weiterbeschäftigungsantrag nicht zur Entscheidung angefallen.
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III. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG in Verbindung mit
§ 97 Abs. 1 ZPO.
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IV. Die Revision war nach § 72 Abs. 2 S. 2 ArbGG zuzulassen.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
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Gegen dieses Urteil kann von
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R E V I S I O N
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eingelegt werden.
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Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Revision muss
innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
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Bundesarbeitsgericht
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Hugo-Preuß-Platz 1
64
99084 Erfurt
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Fax: 0361 2636 2000
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eingelegt werden.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
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Die Revisionsschrift
muss
Bevollmächtigte
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1. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
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Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische
Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser
Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse
mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung
durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
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In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
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Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Dr. Rech Spicker Heider
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