Urteil des LAG Köln vom 19.03.2007

LArbG Köln: einstweilige verfügung, tarifvertrag, streik, friedenspflicht, arbeitsgericht, wahrscheinlichkeit, rechtswidrigkeit, gewerkschaft, partizipation, kenntnisnahme

Landesarbeitsgericht Köln, 12 Ta 41/07
Datum:
19.03.2007
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 Ta 41/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 6 Ga 22/06
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Kein Leitsatz
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten wird der
Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 16.11.2006 – 6 Ga 22/06 –
abgeändert:
Die Kosten des Verfahrens trägt der Verfügungskläger.
G r ü n d e :
1
I. Der Verfügungskläger hat die Verfügungsbeklagte auf Unterlassung eines
Solidaritätsstreiks in Anspruch genommen, zu dem v für den 09.03.2006 "ab 07:30 Uhr
bis ca. 09:30 Uhr" aufgerufen hatte. v verstoße damit gegen die Friedenspflicht wegen
des bereits am 13.09.2005 abgeschlossenen Tarifvertrages.
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Durch Beschluss vom 08.03.2006 hat das Arbeitsgericht ohne mündliche Verhandlung
die einstweilige Verfügung erlassen, wogegen die Verfügungsbeklagte Widerspruch
eingelegt hat. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16.11.2006 haben die
Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
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Das Arbeitsgericht hat daraufhin der Verfügungsbeklagten die Kosten des Rechtsstreits
auferlegt mit der Begründung: Die einstweilige Verfügung sei aufrecht erhalten worden,
weil es sich bei dem Streikaufruf nicht um einen solchen zu einem Erzwingungsstreik,
sondern um einen solchen zu einem Solidaritäts/Sympathiestreik gehandelt habe. Ein
solcher Streik sei grundsätzlich rechtswidrig; denn er diene nicht der unmittelbaren
Durchsetzung tariflicher Regelungen, sondern der Unterstützung eines Arbeitskampfes,
an dessen Ergebnis die Streikenden selbst nicht partizipierten, zumindest nicht direkt.
Im Übrigen habe zwischen den Parteien ein gültiger Tarifvertrag bestanden, der
Streikaufruf habe also gegen die bestehende Friedenspflicht verstoßen.
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Gegen diesen am 05.02.2007 zugestellten Beschluss hat die Verfügungsbeklagte am
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14.02.2007 sofortige Beschwerde eingelegt.
II. Die gemäß §§ 46 Abs. 2, 62 Abs. 2, 78 ArbGG, 91 a Abs. 2 S. 1, 567 ZPO zulässige
sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
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Nach § 91 a ZPO sind die Kosten des Verfahrens dem Verfügungskläger aufzuerlegen.
Nach § 91 a Abs. 1 S. 1 ZPO entscheidet das Gericht bei übereinstimmender
Erledigungserklärung, wie sie hier vorliegt, über die Kosten unter Berücksichtigung des
bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen. Dies bedeutet, dass im
Allgemeinen der ohne die Erledigung zu erwartende Verfahrensausgang bei der
Kostenentscheidung den Ausschlag gibt. Dabei reicht eine summarische Prüfung
(Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18.09.1992 – 1 BVR 1074/92 – NJW 93,
1060, 1061). Schwierige rechtliche Fragen zu klären, dient das Verfahren nicht, so dass
die Beurteilung der Erfolgsaussichten nach überwiegender Wahrscheinlichkeit genügt
(Zöller-Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., Rdnr. 94 zu § 91 a). Bei Anwendung dieser
Grundsätze sind die Kosten des Verfahrens dem Verfügungskläger aufzuerlegen, weil
bei summarischer Prüfung das Obsiegen der Verfügungsbeklagten wahrscheinlicher
gewesen wäre.
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1. Eine Streikmaßnahme kann angesichts der Bedeutung des Streikrechts (Art. 9 Abs. 3
GG) im einstweiligen Verfügungsverfahren nur dann untersagt werden, wenn sie
eindeutig rechtswidrig ist und dies glaubhaft gemacht wird. Die beantragte
Untersagungsverfügung muss zum Schutz des Rechts am eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb und zur Abwendung drohender wesentlicher Nachteile
geboten und erforderlich sein. Zur Prüfung, ob eine auf Unterlassung eines
Arbeitskampfes gerichtete einstweilige Verfügung im Sinne des § 940 ZPO zur
Anwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, hat eine Interessenabwägung
stattzufinden, in die sämtliche in Betracht kommenden materiellrechtlichen und
vollstreckungsrechtlichen Erwägungen sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen für
beide Parteien einzubeziehen sind (vgl. Landesarbeitsgericht Hessen, Urteil vom
02.05.2003 – 9 SaGa 636/03 – NZA 2000, 679, 680; Landesarbeitsgericht Köln,
Beschluss vom 12.12.2005 - 2 Ta 457/05 -; Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz im
Arbeitsgerichtsverfahren, 2. Aufl., S. 362 bis 364). Bei Anwendung dieser Grundsätze
hätte die einstweilige Verfügung wohl nicht erlassen werden dürfen.
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2. Es lässt sich nämlich nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit die Rechtswidrigkeit
des für den 09.03.2006 vorgesehenen Streiks feststellen, weil ein Verstoß gegen die
Friedenspflicht vorläge.
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a) Zwar war in dem zwischen der V und v am 13.09.2005 abgeschlossenen
Arbeitsvertrag auch die Arbeitszeit geregelt, nämlich in § 6 und der Streik hatte die
"Solidarität mit den Streikenden im Kampf gegen längere Arbeitszeit" zum Gegenstand,
betraf also den bereits tarifvertraglich geregelten Bereich der Arbeitszeit. Zu
berücksichtigen sind aber die im vorliegenden Fall gegebenen Besonderheiten, die sich
aus der im vorgenannten Tarifvertrag vereinbarten "Meistbegünstigtenklausel" ergeben.
Diese lautet:
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"Sofern die vertragsschließende Gewerkschaft v für ein oder mehrere
Bundesländer einen Tarifvertrag abschließt, der von den Regelungen des TVöD
oder der ihn ergänzenden Tarifverträge in den Bereichen Arbeitszeit und
Sonderzahlung (Zuwendung, Urlaubsgeld u. ä.) abweichende Inhalte hat oder
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beim Entgelt (insbesondere Einmalzahlung, Übergangskosten) für die Arbeitgeber
günstigere Regelungen enthält, vereinbaren die Tarifvertragsparteien ohne
weitere Verhandlungen folgendes:
Die rechtsverbindliche Unterschrift der Gewerkschaft v unter den
ausgehandelten Tarifvertrag gilt zugleich als unwiderrufliches Angebot an den
Bund und die V , die Regelungen des Tarifvertrags insgesamt oder in ihren
einzelnen Bestandteilen in den TVöD oder ihn ergänzende Tarifverträge
(ersetzend oder ergänzend) zu übernehmen. v verpflichtet sich, den Tarifvertrag
unverzüglich dem Bund und der V zur Kenntnis zu geben.
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Der Bund und die V können jeder für sich binnen einer Frist von vier Wochen
nach Kenntnisnahme des entsprechenden Tarifvertrages das Angebot schriftlich
annehmen."
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Das Landesarbeitsgericht folgt insoweit der Entscheidung des Landesarbeitsgericht
Hamm, Beschluss vom 24.07.2006 – 8 Sa 741/06 -. Dort ist unter Hinweis auf
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.02.2003 – 1 AZR 142/02 – AP Nr. 163 zu Art. 9 GG,
Arbeitskampf, näher dargelegt, dass die im TVöD getroffene Arbeitszeitregelung
zugunsten der Arbeitgeberseite "vereinbarungsoffen" gestaltet ist, die hier in Rede
stehende Streitmaßnahme also dazu diente, der nachteiligen Änderung des eigenen
Tarifvertrages entgegen zu wirken und insoweit die für die Zulässigkeit eines
Sympathiestreiks erforderliche Partizipation am Streikergebnis, wie das
Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 18.02.2003 fordert, vorliegt. Auch wenn die
Fallkonstellation, über die das Bundesarbeitsgericht im vorgenannten Urteil zu befinden
hatte, eine andere war als die vorliegende, lassen sich seine tragenden Ausführungen
auch auf den hier entschiedenen Fall übertragen. Damit kann man nicht sagen, die
Rechtswidrigkeit des Streiks lasse sich ohne weitere rechtliche Überprüfung feststellen
(vgl. zu diesem Gesichtspunkt Korinth, a. a. O., S. 364).
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b) Dabei war die Arbeitgeberseite angesichts der Gestaltung der
Meistbegünstigungsklausel darin frei, die Übernahme der fremden Tarifregelung ohne
Weiteres zu beschließen und somit für die zum Streik am 09.03.2006 aufgerufenen
Arbeitnehmer nachteilige Wirkungen umzusetzen. Im Beschluss des
Landesarbeitsgericht Hamm vom 24.07.2006 ist auch zutreffend ausgeführt, dass der
Zulässigkeit des Streiks nicht entgegen steht, dass vom Arbeitgeber etwas Unmögliches
verlangt werde (S. 6, 7 des Beschlusses). Darauf nimmt die beschließende Kammer
Bezug.
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3. Bei der erforderlichen Abwägung der Interessen ist zu berücksichtigen, dass die
Untersagung des Streiks zu dessen endgültigem Ende geführt hätte, wobei – wie
ausgeführt – die Arbeitnehmer durchaus ein eigenes legitimes Interesse verfolgten. Die
Arbeitskampfmaßnahme war zeitlich begrenzt, dementsprechend auch die Wirkungen
für die Verfügungsklägerin. Diese konnte dementsprechend auch nicht hinreichend
konkret darlegen, dass wesentliche Nachteile für sie drohten. Im Schriftsatz vom
07.11.2006 heißt es (S. 19): "Sie (die Nachteile) liegen im Wesentlichen darin, dass der
Streik auf jeden Fall länger als zwei Stunden gedauert haben würde und die Beklagte
dadurch fraglos und unstreitig erhebliche finanzielle Schäden erleidet, weil sie die
Gehaltsfortzahlungen stoppen und die Gehälter gesondert neu berechnen müssen.
Außerdem setze sie sich der Gefahr von weiteren Arbeitsgerichtsprozessen über die
Richtigkeit der Abrechnungen aus. Dass ein Streik im Krankenhaus auch immer
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Menschenleben gefährden kann, ist auch gerichtsbekannt." Dieser Vortrag ist teilweise
(soweit es um die finanziellen Einbußen geht) ersichtlich wenig überzeugend,
insbesondere wenn man die Bedeutung des Streikrechts als grundrechtlich geschütztes
Recht berücksichtigt, teilweise aber auch zu pauschal (soweit es um die Gefährdung
von Menschenleben geht). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass hinsichtlich letzterem der
Arbeitsablauf nicht so organisiert werden konnte, dass Gefahren für Leib und Leben der
Patienten auszuschließen war.
Bei dieser Sachlage ergibt sich bei der gebotenen, aber auch ausreichenden
summarischen Prüfung, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Zulässigkeit
des Streiks gesprochen hat.
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Gegen diesen Beschluss ist weiteres Rechtsmittel nicht gegeben. Anlass, die
Rechtsbeschwerde zuzulassen, bestand nicht (§ 574 ZPO).
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(Dr. Leisten)
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