Urteil des LAG Köln vom 03.08.2009

LArbG Köln (kläger, arbeitnehmer, kündigung, unwirksamkeit der kündigung, mitarbeiter, fehlerhaftigkeit, betriebsrat, bag, auswahl, arbeitsgericht)

Landesarbeitsgericht Köln, 5 Sa 43/09
Datum:
03.08.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
5.Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Sa 43/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 3 Ca 4953/07
Schlagworte:
Soziale Auswahl im Insolvenzverfahren
Normen:
§ 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Die Beschränkung der Nachprüfbarkeit der sozialen Auswahl in § 125
Abs. 1 Nr. 2 InsO bezieht sich auch auf die Bestimmung des Kreises der
vergleichbaren Arbeitnehmer und die Ermittlung der aus der
Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG herauszunehmenden
Arbeitnehmer.
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 25.09.2008 – 3 Ca 4953/07 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer betriebsbedingten Kündigung des
Arbeitsverhältnisses des Klägers.
2
Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter der Gemeinschuldnerin. Dort war der Kläger
aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 11 d. A.) als angelernter Arbeiter beschäftigt.
Der Kläger ist verheiratet und hat 3 Kinder. Er wurde von der Gemeinschuldnerin mit
Emaillierarbeiten im Akkord beschäftigt. Am 15.05.2007 wurde Insolvenz beantragt; am
01.06.2007 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum
Insolvenzverwalter bestellt (Beschluss des Amtsgerichts Köln Bl. 15 f. d. A.).
3
Durch Schreiben vom 01.06.2007 (Bl. 87 d. A.) zeigte der Beklagte
Masseunzulänglichkeit an.
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Nach Erstellung eines Gutachtens zur Prüfung der Frage, ob der Betrieb fortgeführt
werden könne oder nicht, schlossen der Beklagte und der bei der Gemeinschuldnerin
bestehende Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste, der vorsah, dass
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von den insgesamt etwa 60 Mitarbeitern der Gemeinschuldnerin 13 namentlich
bezeichnete Mitarbeiter, darunter der Kläger, gekündigt werden sollten. Diesbezüglich
enthielt der Interessenausgleich und die mit ihm verbundene Anlage Ausführungen
dazu, weshalb bestimmte Mitarbeiter nicht vergleichbar seien bzw. in die Sozialauswahl
nicht mit einzubeziehen seien (Interessenausgleich und Anlage vom 24.07.2007 – Bl.
91 ff. d. A.).
Mit Kündigungsschreiben vom 24.07.2007, dem Kläger zugegangen am 28.07.2007
kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31.10.2007. Hiergegen
richtete sich die fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage des Klägers.
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Durch Urteil vom 25.09.2008 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur
Begründung darauf abgestellt, der Kläger habe eine grobe Fehlerhaftigkeit bei der
Sozialauswahl nicht nachweisen können.
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Gegen das am 25.09.2008 verkündete Urteil hat der Kläger am 13.01.2009 Berufung
einlegen lassen und diese nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 04.03.2009
und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf den 25.04.2009 am
02.04.2009 begründen lassen.
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Der Kläger rügt den langen Zeitablauf zwischen Verkündung und Zustellung des
ausgefertigten Urteils. Das Arbeitsgericht habe zudem keinerlei Feststellungen zu der
Frage getroffen, ob überhaupt eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG vorgelegen
habe. Falls § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG Anwendung finden sollte, sei jedenfalls festzuhalten,
dass die getroffene Sozialauswahl grob fehlerhaft gewesen sei. Bei einer
eingeschränkten Überprüfbarkeit hätte daher die Unwirksamkeit der Kündigung
festgestellt werden müssen. Die grobe Fehlerhaftigkeit ergebe sich insbesondere im
Hinblick auf den Mitarbeiter A G , auf dessen Arbeitsplatz der Kläger selbst früher tätig
gewesen sei. Der Kläger sei auf nahezu allen Arbeitsplätzen im Betrieb der
Gemeinschuldnerin einsetzbar mit Ausnahme der Bereiche Büro, Mühle, Beize und
Labor. Diesbezüglich sei der Kläger im Rahmen seiner Betriebszugehörigkeit an
diversen Arbeitsplätzen eingesetzt gewesen. Diese seien sämtlich ohne Weiteres von
angelerntem Personal zu erbringen, so dass auch der Kläger hierzu ohne Weiteres in
der Lage sei. Vergleichbar seien insbesondere die Arbeitnehmer C , G , S , O , S , H , S
und H . Diese Arbeitnehmer seien zwingend in die Sozialauswahl mit einzubeziehen
gewesen. Angesichts des Umstandes, dass diese über weit weniger Sozialpunkte als
der Kläger verfügten, führe dies zur groben Fehlerhaftigkeit der durchgeführten
Sozialauswahl. Zu berücksichtigen sei, dass der Kläger im Akkord Spitzenleistungen für
die Gemeinschuldnerin tagtäglich erzielt habe, während dort nach wie vor Mitarbeiter
beschäftigt seien, die dem Kläger das Wasser nicht reichen könnten. Insoweit sei die
ausgesprochene Kündigung willkürlich. Die Kündigung sei zudem von sachfremden
Erwägungen bestimmt, denn der Kläger sei nur deshalb gekündigt worden, weil er in der
vorangegangenen Zeit drei erfolgreiche Rechtsstreite gegen die Gemeinschuldnerin
geführt habe. Schließlich scheitere die Kündigung auch daran, dass der Beklagte im
fraglichen Zeitraum sogar regelmäßig Leiharbeiter eingesetzt habe. Die Kündigung
habe offensichtlich schon unter diesem Gesichtspunkt keine Grundlage gehabt. Soweit
das Landesarbeitsgericht die Auffassung einnehme, dass über den Vortrag des Klägers
Beweis zu erheben sei, beantrage der Kläger die Abänderung des erstinstanzlichen
Urteils und die Zurückverweisung an das Arbeitsgericht zwecks Durchführung der
Beweisaufnahme.
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Der Kläger beantragt,
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1. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 25.09.2008 – 3
Ca 4953/07 – wird festgestellt, dass die unter dem 24.07.2007 ausgesprochene,
am 28.07.2007 zugegangene Kündigung des am 01.09.1990 begründeten
Arbeitsverhältnisses unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis weder durch die
fristgerechte Kündigung vom 31.10.2007, hilfsweise zum nächstmöglichen
Termin aufgelöst worden ist, sondern unverändert über den 01.11.2007 hinaus
fortbesteht;
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2. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 25.09.2008 – 3
Ca 4953/07 – wird festgestellt, dass die vom Beklagten ausgesprochen
Aufforderung vom 13.11.2007, den Schlüssel für die Stempeluhr
zurückzugeben, unrechtens war, da das Arbeitsverhältnis aufgrund unwirksamer
Kündigung des Beklagten über den 01.11.2007 hinaus fortbesteht;
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3. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 25.09.2008 – 3
Ca 4953/07 – wird festgestellt, dass der Kläger nicht zum 31.10.2007 bei der
Gemeinschuldnerin ausgetreten ist;
13
hilfsweise
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4. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 25.09.2008 – 3
Ca 4953/07 – das Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur Beweisaufnahme
an das Arbeitsgericht Köln zurückzuverweisen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Zur wirtschaftlichen Situation der Gemeinschuldnerin hat der Beklagte vorgetragen,
dass die Gemeinschuldnerin etwa ab 2004 nicht mehr in der Lage gewesen sei, die von
ihr angebotenen Werkleistungen kostendeckend anzubieten. Trotz schlechter, am Markt
zu erzielender Preise seien Personal- und Energiekosten kontinuierlich gestiegen, so
dass sich die wirtschaftliche Situation der Insolvenzschuldnerin weiter verschlechter
habe. Nach einem bedeutenden Umsatzeinbruch Anfang 2007 sei die
Gemeinschuldnerin dann gezwungen gewesen, Eigenantrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens zu stellen. Eine Betriebsänderung liege schon aufgrund der Zahl
der gekündigten Arbeitnehmer im Verhältnis zur Gesamtzahl der Beschäftigten vor. Für
die Kündigung des Klägers seien keine sachfremden Erwägungen ausschlaggebend
gewesen. Der Kläger wisse genau, dass auch mit anderen Mitarbeiter wegen der
Probleme der Insolvenzschuldnerin in der Vergangenheit bzw. im Vorfeld der Insolvenz
rechtliche Auseinandersetzungen von Seiten der Arbeitnehmer betrieben worden seien
und die Insolvenzschuldnerin und auch der Beklagte als Insolvenzverwalter gleichwohl
nicht mit Kündigungen reagiert hätten. Von solchen Erwägungen ließen sich weder die
Insolvenzschuldnerin noch der Beklagte als Insolvenzverwalter leiten. Unzutreffend sei
die Behauptung des Klägers, es seien ständig Leiharbeitnehmer eingesetzt worden.
Leiharbeitnehmer seien lediglich vorübergehend aufgrund eines außergewöhnlich
hohen Krankenstandes von insgesamt sechs Mitarbeitern im Zeitraum vom 08.10.2007
bis zum 31.10.2007 eingesetzt worden.
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Schließlich sei die vorgenommene Sozialauswahl nicht grob fehlerhaft. Unter
Bezugnahme auf die Anlage des Interessenausgleichs beruft sich der Beklagte darauf,
dass eine Vergleichbarkeit mit den vom Kläger angeführten Arbeitnehmer nicht
bestanden habe und sich zudem die Richtigkeitsvermutung des Interessenausgleichs
mit Namensliste auch auf die Festlegung des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer
erstrecke.
19
Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet. Weder der
Kündigungsschutzantrag noch die weiteren Anträge des Klägers konnten Erfolg haben.
Die Klage war daher abzuweisen.
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A. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft gemäß § 64 ArbGG. Die Frist zur Einlegung
der Berufung ist gewahrt. Sie beginnt gemäß § 66 Abs. 1 S. 2 ArbGG mit der Zustellung
des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf
Monaten nach der Verkündung der erstinstanzlichen Entscheidung. Schon im Hinblick
darauf, dass die erstinstanzliche Entscheidung, die am 25.09.2008 verkündet wurde,
über mehrere Monate hinweg nicht als vollständig abgefasstes Urteil zugestellt wurde,
war die am 13.01.2009 eingelegt Berufung zulässig, da eine Berufungseinlegung vor
Zustellung des vollständig abgefassten Urteils zulässig ist (s. BAG, Urteil vom
16.06.2004 – 5 AZR 529/03 – NJOZ 2004, 3765).
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Die Berufung ist zudem innerhalb der bis zum 25.04.2009 verlängerten
Berufungsbegründungsfrist begründet worden.
24
B. In der Sache hatte das Begehren des Klägers jedoch keinen Erfolg.
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I. Der Kündigungsschutzantrag ist nicht begründet. Denn die Kündigung des Beklagten
hat das Arbeitsverhältnis rechtswirksam zum 31.10.2007 aufgelöst.
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1. Ein ausreichender Kündigungsgrund liegt vor. Nach § 125 InsO ist unter der
Voraussetzung, dass eine Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG geplant ist und
diesbezüglich ein Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat
zustande kommt, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich
bezeichnet sind, die Vorschrift des § 1 KSchG mit der Maßgabe anzuwenden, dass
vermutet wird, dass die Kündigung des Arbeitnehmers durch dringende betriebliche
Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder einer
Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen, bedingt
ist.
27
Die Voraussetzungen des § 125 InsO liegen vor.
28
a. Der Beklagte hat eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG geplant und
diesbezüglich einen Interessenausgleich mit dem im Betrieb der Gemeinschuldnerin
bestehenden Betriebsrat vereinbart. Das Vorliegen einer Betriebsänderung ergibt sich
bereits aus der Zahl der geplanten und durch den Interessenausgleich dann auch
realisierten Kündigungen im Verhältnis zur Gesamtbelegschaftsstärke. Anerkannt und
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durch § 112 a BetrVG bestätigt ist, dass auch eine Betriebseinschränkung durch reinen
Personalabbau eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG darstellt (ständige
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, siehe etwa BAG, Beschluss vom
28.03.2006 – 1 ABR 5/05 – NZA 2006, 932 ff.). Zur Beurteilung, ob ein Personalabbau
eine Betriebsänderung darstellt, sind die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG zugrunde
zu legen. Danach ist in Betrieben mit 60 oder mehr Arbeitnehmern eine
Betriebsänderung bereits dann gegeben, wenn mindestens 10 % der Arbeitnehmer
entlassen werden. Im vorliegenden Fall sollten von insgesamt etwa 60 Arbeitnehmern
13 gekündigt werden, so dass die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG eindeutig
überschritten sind und damit eine Betriebsänderung vorliegt.
b. Über die Betriebsänderung ist ein Interessenausgleich zwischen dem
Insolvenzverwalter und dem bei der Gemeinschuldnerin bestehenden Betriebsrat
zustande gekommen. In der mit dem Interessenausgleich verbundenen Anlage sind die
zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich bezeichnet. Damit sind die Voraussetzungen
des § 125 Abs. 1 S. 1 InsO erfüllt.
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c. Daraus resultiert die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wonach bei
Vorliegen dieser Voraussetzungen vermutet wird, dass ein betriebsbedingter
Kündigungsgrund bestand. Zugunsten des Beklagten wird daher vermutet, dass die
Kündigung betriebsbedingt unausweichlich war.
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Der Vortrag des Klägers ist nicht geeignet, diese Vermutungswirkung zu entkräften.
Soweit der Kläger vorträgt, die Kündigung sei durch sachfremde Erwägungen bestimmt,
weil der Kläger in der Vergangenheit in drei Fällen erfolgreich Rechtsstreite gegen die
Gemeinschuldnerin geführt habe, führt dieser Vortrag nicht zu einer Entkräftung der
Vermutungswirkung. Nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagtenseite
haben auch andere Arbeitnehmer Klageverfahren gegen die Gemeinschuldnerin
geführt. Der Kläger hat nicht vorzutragen vermocht, dass das Führen von
Rechtsstreitigkeiten ein konkretes Entscheidungskriterium beim Ausspruch von
Kündigungen gewesen wäre; es handelt sich um eine Spekulation des Klägers, die
durch detaillierteren Tatsachenvortrag nicht gestützt werden konnte. Soweit der Kläger
damit meint, die Verärgerung der Gemeinschuldnerin über vorangegangene
Rechtsstreite habe fortgewirkt und den Kündigungsentschluss der Gemeinschuldnerin
bzw. des Beklagten ausgelöst, vermag dieses Vorbringen nicht zu erklären, weshalb der
an diesen Rechtstreitigkeiten nicht beteiligte Betriebsrat einer solchen sachfremden
Erwägung im Interessenausgleich zugestimmt haben sollte. Der Annahme des Klägers
steht ferner entgegen, dass auch andere Arbeitnehmer Rechtsstreitigkeiten geführt
haben, gleichwohl aber – nach nicht bestrittener Darlegung der Beklagten - nicht
gekündigt worden sind. Diesbezüglich hat der Kläger nicht vorzutragen vermocht, dass
alle Arbeitnehmer, die zuvor Rechtsstreite geführt haben, gekündigt worden seien.
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Die Vermutungswirkung ist ferner nicht durch den vom Kläger behaupteten Einsatz von
Leiharbeitnehmern entkräftet. Nach der vom Kläger überreichten Unterlage, die die Zeit
vom 15.-19.10.2007 betrifft, ist ein Einsatz von Leiharbeitnehmern im Oktober 2007
erfolgt. Dem entspricht der Vortrag der Beklagtenseite, dass aufgrund hohen
Krankenstandes in der Zeit vom 08.10.-31.10.2007 Leiharbeitnehmer zum Einsatz
gekommen seien. Weitere Einsätze von Leiharbeitnehmern hat der Kläger nicht konkret
vorgetragen. Die pauschale Angabe, es seien Leiharbeitnehmer eingesetzt worden,
vermag einen konkreten Vortrag nicht zu ersetzen. Der vorübergehende Einsatz von
Leiharbeitnehmern an wenigen Tagen im Oktober 2007, zumal nach Ausspruch der
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streitgegenständlichen Kündigung vermag daher an der Vermutungswirkung des § 125
Abs. 1 Nr. 1 InsO nichts zu ändern. Von einem betriebsbedingten Kündigungsgrund ist
folglich auszugehen.
2. Die soziale Auswahl kann ebenfalls nicht beanstandet werden. Gemäß § 125 Abs. 1
Nr. 2 InsO kann angesichts des zustande gekommenen Interessenausgleichs mit
Namensliste die soziale Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden.
Damit ist die soziale Auswahl weitgehend der gerichtlichen Kontrolle entzogen. Grobe
Fehlerhaftigkeit liegt nur dann vor, wenn die Gewichtung der Sozialkriterien jede
Ausgewogenheit vermissen lässt (s. BAG, Urteil vom 21.01.1999 – 2 AZR 624/98 – DB
1999, 1862). Dabei bezieht sich die weitgehend beschränkte Nachprüfbarkeit durch die
Gerichte nicht nur auf die Bewertung der Sozialkriterien, sondern auch auf die
Sozialauswahl insgesamt, also auch auf die Bestimmung des Kreises der
vergleichbaren Arbeitnehmer (s. BAG, Urteil vom 28.08.2003 – 2 AZR 368/02 – NZA
2004, 432). Ebenfalls nur beschränkt nachprüfbar ist die Ermittlung der aus der
Sozialauswahl herauszunehmenden Leistungsträger i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG (s.
BAG, Urteil vom 17.11.2005 – 6 AZR 107/05 – BB 2006, 1636).
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Angesichts dieser in jeder Hinsicht beschränkten gerichtlichen Nachprüfbarkeit können
die im Interessenausgleich vorgenommenen Sozialauswahlüberlegungen, selbst unter
Zugrundelegung des Vortrags des Kläger, nicht als grob fehlerhaft klassifiziert werden.
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a. Der mehrfach, zuletzt noch im Schriftsatz vom 17.6.2009 wiederholte Vortrag des
Klägers, er habe immer Spitzenleistungen erbracht und die im Betrieb verbliebenen
Arbeitnehmer könnten ihm das Wasser nicht reichen, ist nicht geeignet, eine
Fehlerhaftigkeit, erst recht keine grobe Fehlerhaftigkeit, der Sozialauswahl zu
begründen. Leistungsgesichtspunkte sind kein Sozialauswahlkriterium i. S. d. § 125
Abs. 1 Nr. 2 InsO oder i. S. d. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG. Die soziale Auswahl erfolgt allein
nach den gesetzlich festgelegten Sozialkriterien.
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b. In die soziale Auswahl sind nur vergleichbare Arbeitnehmer einzubeziehen. Die
Vergleichbarkeit richtet sich nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen und damit nach der
bisher ausgeübten Tätigkeit (s. BAG, Urteil vom 05.06.2008 – 2 AZR 907/06 – NZA
2008, 1120). Die Entscheidung darüber, wer zum Kreis der vergleichbaren
Arbeitnehmer gehört, ist, wenn ein Interessenausgleich mit Namensliste zustande
kommt, der gerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogen: Beanstandet werden könnte
nur eine grobe Fehlerhaftigkeit der Bestimmung des Kreises der vergleichbaren
Arbeitnehmer (s. BAG, Urteil vom 28.08.2003 – 2 AZR 368/02 – NZA 2004, 432).
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Maßgebend für die Vergleichbarkeit ist damit in erster Linie die gemeinsame
Einschätzung von Insolvenzverwalter und Betriebsrat. Nur wenn bei dieser
Einschätzung grobe und evidente Fehler festgestellt werden können, ist eine
gerichtliche Beanstandung möglich.
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Im vorliegenden Fall haben Insolvenzverwalter und Betriebsrat dem
Interessenausgleich eine detaillierte Begründung zu den einzelnen Arbeitnehmer und
ihrer Vergleichbarkeit abgegeben. Die fehlende Vergleichbarkeit des Mitarbeiter G wird
damit begründet, dass er der einzige sei, der Backrohre emaillieren und schweißen
könne und zudem Vertretungsfunktion im Bereich Mühle habe. Hinsichtlich des
Mitarbeiters S wird ausgeführt, dass dieser ausgebildeter Schweißer sei. Der
Arbeitnehmer C sei der einzige Anlagenführer der Beize. Der Mitarbeiter O sei
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ausgebildeter Schichtmeister, der Mitarbeiter S sei der einzige Aufträger. Hinsichtlich
des Mitarbeiters H hat der Beklagte vorgetragen, er sei bei der Firma K eingesetzt und
diese verlange den Einsatz von dort geschulten Mitarbeitern, was bei Herrn H der Fall
sei, beim Kläger nicht. Der Mitarbeiter S sei der einzige, der die Boiler der Firma K
beschichten könne. Der Mitarbeiter H sei als Qualitätsmitarbeiter ausgebildet worden.
Der Kläger könne sich schließlich nicht mit dem Mitarbeiter S vergleichen, denn dieser
habe eine erheblich höhere Qualifikation, während der Kläger solche Tätigkeiten noch
nie ausgeführt habe und keinerlei Erfahrung im Vorspritzen und auch nicht im
Handspritzen habe.
Zwar ist der Kläger hinsichtlich all dieser Arbeitnehmer im Hinblick auf deren
Qualifikation anderer Auffassung. Welcher Bewertung zu folgen ist, kann letztlich
dahingestellt bleiben. Denn wegen der in § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO nur beschränkt
vorzunehmenden gerichtlichen Nachprüfung hat die gemeinsame – und im Einzelnen
begründete – gemeinsame Beurteilung durch Betriebsrat und Insolvenzverwalter
Vorrang: Der Gesetzgeber geht erkennbar davon aus, dass die gemeinsame
Beurteilung durch Insolvenzverwalter und Arbeitgeber zu sachgerechten Ergebnissen
führt. Nur bei grober Fehlerhaftigkeit, die nur gegeben ist, wenn ein ins Auge
springender schwerer Fehler vorliegt (vgl. BAG, Urteil vom 17.01.2008 – 2 AZR 405/08
– NZA-RR 2008, 571) können die Auswahlergebnisse beanstandet werden.
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Vorliegend ist festzuhalten, dass Anhaltspunkte für ins Auge springende Fehler nicht
ersichtlich sind. Selbst unter Zugrundelegung des klägerischen Vortrages handelt es
sich lediglich um den Normalfall der unterschiedlichen Bewertung der Vergleichbarkeit
der ausgeübten Tätigkeiten durch Arbeitnehmer einerseits und Arbeitgeber und
Betriebsrat andererseits. Dies rechtfertigt nicht die Annahme grober Fehlerhaftigkeit.
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Die Sozialauswahl kann daher nicht beanstandet werden.
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3. Die Kündigungsfrist des § 113 S. 2 InsO ist eingehalten. Sie beträgt drei Monate zum
Monatsende. Angesichts des Kündigungszugangs am 28.07.2007 wahrt die
ausgesprochene Kündigung die bis zum 31.10.2007 laufende Kündigungsfrist.
Insgesamt ist die ausgesprochene Kündigung daher rechtmäßig und hat das
Arbeitsverhältnis zum 31.10.2007 aufgelöst.
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II. Da die Kündigung das Arbeitsverhältnis rechtswirksam zum 31.10.2007 aufgelöst hat,
konnten die weiteren Feststellungsanträge, mit denen der Kläger die Feststellung
begehrt, dass die vom Beklagten ausgesprochene Aufforderung, den Schlüssel für die
Stempeluhr zurückzugeben, rechtswidrig war und ferner, die Feststellung, dass der
Kläger nicht zum 31.10.2007 bei der Gesamtschuldnerin ausgetreten sei, schon aus
diesem Grunde keinen Erfolg haben.
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III. Der Hilfsantrag auf Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht zur
Durchführung einer Beweisaufnahme musste ebenfalls abgewiesen werden.
Abgesehen davon, dass gemäß § 68 ArbGG eine Zurückverweisung unzulässig ist,
bestand kein Anlass für eine Beweisaufnahme über die klägerischen Behauptungen, er
sei mit verschiedenen Arbeitnehmern vergleichbar und ferner, die anderen Mitarbeiter
könnten ihm das Wasser nicht reichen. All diese Unterschiede zwischen der
klägerischen Beurteilung einerseits und der Beurteilung durch die Beklagten
andererseits sind aus den dargelegten Gründen wegen § 125 InsO der gerichtlichen
Nachprüfung entzogen.
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IV. Insgesamt hatte die Berufung des Klägers keinen Erfolg und musste mit der
Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden. Die Revision konnte nicht
zugelassen werden, da die Rechtssache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung hatte
und auch kein Fall von Divergenz vorlag.
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R e c h t s mi t t e l b e l e h r u n g :
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Gegen dieses Urteil ist für die Partei ein Rechtsmittel nicht gegeben.
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Gegen dieses Urteil ist für mangels ausdrücklicher Zulassung die Revision nicht
statthaft, § 72 Abs. 1 ArbGG. Wegen der Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision
selbständig durch Beschwerde beim
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Bundesarbeitsgericht
50
Hugo-Preuß-Platz 1
51
99084 Erfurt
52
Fax: (0361) 2636 - 2000
53
anzufechten auf die Anforderungen des § 72 a ArbGG verwiesen.
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Dr. Griese Moritz Groeneveld
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