Urteil des LAG Köln vom 02.04.2008

LArbG Köln: iura novit curia, umwandlung, arbeitsgericht, restaurant, anwendungsbereich, willkürverbot, anfang, vollzeitbeschäftigung, mehrarbeit, verfügung

Landesarbeitsgericht Köln, 7 Sa 864/07
Datum:
02.04.2008
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Sa 864/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Aachen, 9 Ca 5051/06
Schlagworte:
Teilzeitarbeitsverhältnis; Vollzeitstelle; Aufstockungswunsch;
Unternehmerentscheidung; Willkürverbot; arbeitsplatzbezogene
Sachgründe; Organisationskonzept
Normen:
§§ 8, 9 TzBfG; § 242 BGB; §§ 6 MTV Systemgastronomie 2000, 5 MTV
Systemgastronomie 2007
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Der Arbeitgeber kann einem Verlängerungswunsch nach § 9 TzBfG
nur entgegenhalten, dass er nach seinem unternehmerischen
Organisationskonzept nur Teilzeitkräfte beschäftigen wolle, wenn es
hierfür arbeitsplatzbezogene Erfordernisse gibt (Anschluss an BAG vom
15.08.2006, 9 AZR 8/06; BAG vom 13.02.2007, 9 AZR 575/05).
2. Die Behauptung eines Arbeitgebers der Systemgastronomie, sein
unternehmerisches Organisationskonzept sehe es vor, im
Servicebereich grundsätzlich nur Teilzeitkräfte zu beschäftigen, ist als
lediglich vorgeschoben zu werten, wenn tatsächlich diverse mit einem
Teilzeitvertrag ausgestattete Servicekräfte über lange Zeiträume
gleichbleibend im Umfang von weit mehr als einer Vollzeitstelle
eingesetzt werden.
3. Der Arbeitgeber kann dem Aufstockungsverlangen eines mit einem
Teilzeitarbeitsvertrag ausgestatteten Arbeitnehmers nicht
entgegenhalten, es fehle an einer freien Vollzeitstelle, wenn er den
Arbeitnehmer an dessen eigenen sogenannten „Teilzeitarbeitsplatz“
über 3,5 Jahre gleichbleibend mit durchschnittlich mehr als 184
Stunden/Monat beschäftigt hat.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Aachen vom 18.04.2007 in Sachen 9 Ca
5051/06 abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, den Arbeitsvertrag des Klägers mit Wirkung
zum 01.12.2006 von einer Teilzeitstelle in eine Vollzeitstelle
umzuwandeln, und zwar mit der Maßgabe, dass die Mindestarbeitszeit
des Klägers monatlich 170 Stunden beträgt.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten um eine Forderung des Klägers auf Umwandlung seines
Teilzeitarbeitsverhältnisses in eine Vollzeitstelle.
2
Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur
Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 9. Kammer des
Arbeitsgerichts Aachen dazu veranlasst haben, die Klage abzuweisen, wird auf
Tatbestand und Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 18.04.2007
Bezug genommen.
3
Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem Kläger am 21.06.07 zugestellt. Der Kläger hat
hiergegen am 20.07.07 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 21.09.07 am 24.08.07 begründen lassen.
4
Der Kläger vertritt die Auffassung, entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts seien die
Voraussetzungen des § 9 TzBfG erfüllt. Die Beklagte könne nicht damit gehört werden,
dass sie in ihrem Küchen- und Kassenbereich ausschließlich Teilzeitarbeitsstellen
vorhalte. Die dem Arbeitgeber zustehende Organisationsfreiheit dürfe nämlich nicht
dazu missbraucht werden, den in § 9 TzBfG eingeräumten Anspruch zu unterlaufen.
Demnach müsste die Entscheidung, in bestimmten Bereichen grundsätzlich nur
Teilzeitkräfte zu beschäftigen, durch arbeitsplatzbezogene Gründe gerechtfertigt werden
können. Dies sei hier nicht der Fall, wie sich schon daran zeige, dass nicht nur er selbst,
der Kläger, sondern auch zahlreiche andere Mitarbeiter im Arbeitsbereich des Klägers
weit über ihre vertragliche Teilzeitverpflichtung hinaus praktisch als Vollzeitkräfte
eingesetzt würden. Geschäftliche Stoßzeiten, wenn es sie denn tatsächlich gäbe,
könnten somit keine Auswirkung auf die Einteilung der Arbeitszeit der Arbeitnehmer
haben. Im Gegenteil sprächen die langen Öffnungszeiten der Beklagten gerade dafür,
Vollzeitarbeitnehmer zu beschäftigen, um die Personalfluktuation im Laufe des Tages in
Grenzen zu halten und die Arbeitsabläufe nicht zu stören.
5
Die Beklagte widerspreche sich auch selbst, wenn sie in ihrem Lokal Plakate aufhänge,
in denen das Publikum aufgefordert werde, sich "in diesem oder jedem anderen B
Restaurant auf eine Stelle als Kassen-/Küchenkraft in Vollzeit, Teilzeit oder auf
geringfügiger Basis" zu bewerben. Im Internet habe die Beklagte sogar per 26.06.2007
explizit fünf freie Vollzeitstellen "für die Fertigung und den Verkauf von Produkten,
Kundenbedienung und Kassieren" angeboten.
6
Der Kläger macht weiter geltend, durch die von ihm geleistete durchgängige Mehrarbeit
bis Anfang 2006 sei eine stillschweigende Vertragsänderung auf ein
Vollzeitarbeitsverhältnis zustande gekommen. Dass die Beklagte ihn, den Kläger, seit
Frühjahr 2006 nur noch in dem dem schriftlichen Arbeitsvertrag entsprechenden Umfang
als Teilzeitkraft einsetze, stelle ausschließlich eine Maßregelung seiner Person dar,
weil er zum damaligen Zeitpunkt arbeitsgerichtliche Klagen gegen die Beklagte erhoben
hätte. Dies hätten ihm der Restaurantleiter S und andere Mitarbeiter ausdrücklich
bestätigt.
7
Außerdem meint der Kläger, auch weil einem anderen Mitarbeiter gekündigt worden sei,
habe die Beklagte die Möglichkeit gehabt, seine vertragliche Teilzeitstelle in eine
Vollzeitstelle umzuwandeln.
8
Ferner beruft sich der Kläger nunmehr ausdrücklich auch auf einen Anspruch aus § 6
Abs. 1 Ziff. 8 des MTV der Systemgastronomie, abgeschlossen zwischen der
Gewerkschaft NGG und dem Bundesverband der Systemgastronomie e. V. Auch die
Anspruchsvoraussetzungen dieser Tarifnorm lägen vor. Das Arbeitsgericht habe es zu
Unrecht abgelehnt, auf diese Anspruchsgrundlage abzustellen.
9
Der Kläger und Berufungskläger beantragt nunmehr,
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die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom
18.04.2007, 9 Ca 5051/06, zu verurteilen, den Arbeitsvertrag des Klägers mit
Wirkung zum 01.12.2006 von einer derzeitigen Teilzeitstelle in eine
Vollzeitstelle umzuwandeln, und zwar mit der Maßgabe, dass die
Mindestarbeitszeit des Klägers mindestens 170 Stunden beträgt;
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hilfsweise hierzu
12
die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis auf weiteres mit einer
Mindestarbeitszeit von 170 Stunden monatlich zu beschäftigen.
13
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
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die Berufung einschließlich des Hilfsantrages zurückzuweisen.
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Die Beklagte meint, ein Anspruch des Klägers aus § 9 TzBfG sei nicht gegeben. Die
Beklagte schließt sich den tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen des
Arbeitsgerichts insoweit an.
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Die Beklagte wiederholt die Behauptung, dass es bei ihr bis heute keine freie
Vollzeitarbeitsstelle im Arbeitsbereich des Klägers gegeben habe. Sie beschäftige nur
vier Personen in Vollzeit, die ausschließlich im Management tätig seien. Die
Ausführungen des Klägers zur angeblichen Kündigung eines anderen Arbeitnehmers
seien unsubstantiiert und führten auch nicht zu einem Anspruch des Klägers auf
Vollzeitbeschäftigung. In der Regel würden bei ihr nur Teilzeitarbeitskräfte eingestellt.
Daran ändere auch der Plakataushang nichts, da es sich hierbei um ein von dem
Franchisegeber vorgegebenes Standardplakat handele, welches in allen B -
Restaurants aushänge und sich nicht auf das hier betroffene Restaurant beziehe, in
welchem der Kläger tätig sei.
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Weiter behauptet die Beklagte, die Arbeitszeit des Klägers sei im Jahr 2006 deswegen
auf das vertraglich vereinbarte Maß reduziert worden, weil man mit den
Arbeitsleistungen des Klägers nicht zufrieden gewesen sei. Eine Reduzierung sei auch
deshalb geboten gewesen, weil der Kläger aufgrund seines Rückenleidens einer
vollschichtigen Tätigkeit nicht mehr gewachsen (gewesen) sei.
18
Auf die von den Parteien erst- und zweitinstanzlich zur Akte gereichten Anlagen sowie
die Sitzungsprotokolle wird ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
20
I. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs.2 b) ArbGG
statthaft und wurde innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen
eingelegt und begründet.
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II. Die Berufung des Klägers ist auch in der Sache begründet. Der Kläger hat gegen die
Beklagte einen Anspruch darauf, dass sein Arbeitsvertrag mit Wirkung zum 01.12.2006
in eine Vollzeitstelle mit einer Mindestarbeitszeit von 170 Stunden monatlich
umgewandelt wird. Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus einer entsprechenden
Anwendung des § 9 TzBfG i. V. m. § 242 BGB, ferner aus § 6 Abs. 1 Ziff. 8 des MTV
Systemgastronomie vom 07.07.2000 bzw. § 5 Abs.4 MTV Systemgastronomie vom
15.10./23.10.2007 .
22
1. Gemäß § 9 TzBfG hat der Arbeitnehmer, der über einen Teilzeitarbeitsvertrag verfügt
und dementsprechend beschäftigt wird, aber eine Aufstockung seiner Arbeitzeit
wünscht, einen Anspruch darauf, bei der Besetzung eines entsprechenden freien
Arbeitsplatzes bevorzugt berücksichtigt zu werden. § 9 TzBfG gibt dem
teilzeitbeschäftigen Arbeitnehmer allerdings keinen Anspruch darauf, dass der
Arbeitgeber für ihn einen Arbeitsplatz mit einem höheren Arbeitszeitkontingent extra
schafft, der im unternehmerischen Organisationskonzept nicht vorgesehen ist. Es stellt
nämlich grundsätzlich einen Bestandteil der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit
dar, den Arbeitskräfteeinsatz zu organisieren und den vorhandenen Arbeitskräftebedarf
nach eigenem Gutdünken auf Voll- und Teilzeitarbeitsstellen zu verteilen.
23
2. Die unternehmerische Entscheidungsfreiheit findet jedoch wie stets so auch hier ihre
Grenze im allgemeinen Willkürverbot. Ferner ist sie dann nicht zu beachten, wenn die
Berufung hierauf seitens des Arbeitgebers offensichtlich nur vorgeschoben ist.
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3. Nach der neuesten Rechtsprechung des BAG (Urteile vom 15.08.2006, 9 AZR 8/06
und vom 13.02.2007, 9 AZR 575/05) findet die arbeitgeberseitige Organisationshoheit
im Anwendungsbereich des § 9 TzBfG ferner dort ihre Grenze, wo ihre konkrete Art der
Ausübung dazu führt, den in § 9 TzBfG vorgesehenen Rechtsanspruch des
Teilzeitarbeitnehmers zu unterlaufen.
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Dies ist insbesondere dann zu beachten, wenn der Arbeitgeber dem Wunsch eines
Arbeitnehmers mit Teilzeitarbeitsvertrag nach Vollzeitbeschäftigung entgegenhält, er
habe die Entscheidung getroffen, in seinem Betrieb oder in einem bestimmten
Arbeitsbereich desselben ausschließlich Teilzeitkräfte zu beschäftigen.
26
Das BAG führt hierzu aus:
27
"Für den Anwendungsbereich des § 9 TzBfG bestehen keine Bedenken, wenn der
Arbeitgeber für die ausschließliche Einrichtung von Teilzeitstellen arbeitsplatzbezogene
Gründe geltend machen kann… Dagegen ist dem Arbeitgeber nicht überlassen, ob er
generell nur Teilzeitstellen oder nur Vollzeitstellen einrichtet. Vielmehr ist hierfür das
Vorliegen arbeitsplatzbezogener Gesichtspunkte unerlässlich. Insoweit berühren sich
der Verringerungsanspruch des § 8 TzBfG und der Verlängerungsanspruch des § 9
TzBfG. Denn der Arbeitgeber kann den Verringerungsanspruch eines Arbeitnehmers
nicht mit dem bloßen Hinweis darauf abwehren, er wünsche keine Herabsetzung der
Arbeitszeit. Er braucht hierfür betriebliche Gründe. Das heißt, sobald ein Arbeitnehmer
eine Verringerung verlangt und es keine entgegenstehenden betrieblichen Gründe gibt,
ist die Arbeitszeit entsprechend zu verringern. Aus einem bisherigen Arbeitsplatz mit 30-
oder 40-Stundenwoche wird ein solcher mit 10 oder 20 Stunden. Die verbleibende
Restarbeitszeit wäre zu verteilen. Dabei geht es nicht darum, dem Arbeitgeber die
Gestaltungsmöglichkeit zu nehmen, nach seinem Ermessen den Beschäftigungsbedarf
festzulegen. Der gesetzlich eingeräumte Anspruch auf Berücksichtigung von
Verlängerungswünschen kann aber – insoweit greift auch die Richtlinie 77/81 EG des
Rates vom 15.12.1997 – nicht dadurch unterlaufen werden, dass ohne Rücksicht auf
arbeitsplatzbezogene Erfordernisse ausschließlich Teilzeitstellen mit einem ganz
bestimmten Stundenmaß eingerichtet werden." (BAG vom 15.08.2006 – 9 AZR 8/06 – I
5 b).
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4. Die Grundkonstellation des § 9 TzBfG besteht darin, dass ein teilzeitbeschäftigter
Arbeitnehmer die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes mit einem größeren
Arbeitszeitvolumen begehrt.
29
a. Der vorliegende Fall unterscheidet sich hiervon (nur) dadurch, dass der Kläger bereits
an seinem eigenen Arbeitsplatz von Beginn des Arbeitsverhältnisses an über Jahre in
dem gewünschten Umfang einer Vollzeitarbeitskraft beschäftigt worden ist, der
Arbeitgeber sich jedoch weigert, die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen entsprechend
anzupassen und den diesbezüglichen Wunsch des Klägers nunmehr dadurch
konterkariert, dass er im Mai 2006 dazu übergegangen ist, den Kläger plötzlich nur noch
im Umfang der Vereinbarungen des schriftlichen Arbeitsvertrages zu beschäftigen.
30
b. Die Interessenlage ist jedoch im Wesentlichen gleich. Einerseits hat vorliegend der
Kläger in Anbetracht der Entwicklung ab Mai 2006 ein berechtigtes Interesse daran,
seine arbeitsvertragliche Situation entsprechend den zuvor jahrelang tatsächlich
praktizierten Verhältnissen zu konsolidieren. Andererseits könnte der Arbeitgeber auch
in der Grundkonstellation des § 9 TzBfG dem Anspruch eines Teilzeitbeschäftigten nach
dieser Vorschrift nicht lediglich dadurch gerecht werden, dass er ihm mehr oder minder
regelmäßig Mehrarbeit zuweist.
31
5. Im vorliegenden Fall handelt die Beklagte bereits im Sinne von § 242 BGB
rechtsmissbräuchlich, wenn sie dem Begehren des Klägers nach Umwandlung seines
Arbeitsvertrages in eine Vollzeitstelle entgegenhält, in dem Einsatzbereich des Klägers
habe sie weder in der Vergangenheit noch jetzt freie Vollzeitstellen zur Verfügung. Die
von der Beklagten angeführte organisatorische Entscheidung, Vollzeitkräfte nur im
Management zu beschäftigen, nicht aber im übrigen Betriebsbereich, ist offensichtlich
nur vorgeschoben. Selbst wenn dies jedoch nicht der Fall wäre, könnte eine solche
Entscheidung vorliegend nicht durch arbeitsplatzbezogene Merkmale gerechtfertigt
werden.
32
Im Einzelnen:
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a. Die den Behauptungen der Beklagten folgende Wertung des Arbeitsgerichts, dass es
im Bereich der sog. Rotationskräfte in der Vergangenheit wie auch gegenwärtig an
einem freien Vollzeitarbeitsplatz im Betrieb der Beklagten gefehlt habe, wird der wahren
Sachlage nicht gerecht.
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aa. Die Beklagte hatte dem Kläger in dem Formulararbeitsvertrag vom 23.08.2002 zwar
nur einen Beschäftigungsumfang einer Teilzeitkraft mit durchschnittlich mindestens 30
Wochenstunden zugesichert, ihn aber von Anfang an für ca. dreieinhalb Jahre im
Umfang einer Vollzeitkraft und weit darüber hinaus tatsächlich eingesetzt. Das
Arbeitsverhältnis der Parteien begann Ende August 2002. Für September 2002 liegen
keine Zahlen vor. Wie sich aus den vom Kläger vorgelegten Abrechnungen der
Beklagten selbst jedoch ergibt, betrug die durchschnittliche Monatsarbeitszeit des
Klägers im 4. Quartal 2002
183,83 Stunden
von Januar 2003 bis Dezember 2005 hinweg durchschnittlich 184,57 Stunden pro
Monat,
Auch im Januar und Februar 2006 wurde der Kläger im Umfang einer Vollzeitkraft
beschäftigt.
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bb. Erst im Mai 2006 ging die Beklagte sodann ebenso plötzlich wie dauerhaft dazu
über, den Kläger nur noch im Umfang der zugesagten durchschnittlich ca. 30
Wochenstunden zu beschäftigen und zu vergüten.
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cc. Die über dreieinhalb Jahre hinweg praktizierten tatsächlichen Verhältnisse am
Arbeitsplatz des Klägers widerlegen die Behauptung der Beklagten, sie halte in ihrem
Betrieb außerhalb des Managements keine Vollzeitarbeitsstellen vor. Dies gilt um so
mehr, als der Kläger unwidersprochen vortragen konnte, dass neben ihm auch
zahlreiche andere Mitarbeiter außerhalb des Managementbereiches zwar nur mit
Teilzeitarbeitsverträgen ausgestattet waren oder sind, aber tatsächlich in weit darüber
hinaus gehendem, vergleichbarem Umfang wie er selbst eingesetzt worden sind bzw.
werden.
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dd. Daraus ergibt sich zugleich, dass das Organisationskonzept, auf das sich die
Beklagte beruft, nur vorgeschoben ist: Zwar vermeidet es die Beklagte, die Mitarbeiter
außerhalb des Managementbereiches mit Vollzeitarbeitsverträgen auszustatten. In
arbeitsorganisatorischer Hinsicht verteilt sie den in ihrem Betrieb außerhalb des
Managementbereiches bestehenden Arbeitskräftebedarf aber so, dass etliche
Mitarbeiter regelmäßig und dauerhaft in einem Umfang, der der Arbeitszeitverpflichtung
einer Vollzeitkraft entspricht und sogar noch darüber hinausgeht, eingesetzt werden.
38
ee. Hierzu passt ins Bild, dass die Beklagte, wie der Kläger mit Schriftsatz vom
04.03.2008 dokumentiert hat, zum 26.06.2007 für ihren Betrieb fünf freie Vollzeitstellen
"für die Fertigung und den Verkauf von Produkten, Kundenbedienung und Kassieren"
angeboten hat (Bl. 232 d. A.).
39
b. Die faktische Vollzeitstelle, auf der der Kläger selbst bereits seit dem Jahr 2002
beschäftigt wird, existiert auch über den Monat Mai 2006 hinaus fort.
40
aa. Zwar hat die Beklagte den Kläger seit diesem Zeitraum nur noch in dem
arbeitsvertraglich vereinbarten Mindestumfang einer Teilzeitkraft mit 30 Wochenstunden
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arbeitsvertraglich vereinbarten Mindestumfang einer Teilzeitkraft mit 30 Wochenstunden
arbeiten lassen.
bb. Der vom Kläger hergestellte Zusammenhang zwischen dieser Zäsur mit den zum
damaligen Zeitpunkt vom Kläger erhobenen arbeitsgerichtlichen Maßnahmen erscheint
jedoch auch für einen außenstehenden Dritten evident.
42
cc. Die von der Beklagten für diesen plötzlichen zeitlichen Einschnitt im Umfang des
Arbeitseinsatzes des Klägers vorgebrachten Alternativbegründungen erscheinen
dagegen weder plausibel, noch auch nur ansatzweise hinreichend substantiiert.
43
dd. Wenn die Beklagte allerdings anführt, sie habe den Kläger ab Mai 2006 deshalb nur
noch in geringerem Umfang beschäftigt, weil sie mit seinen Arbeitsleistungen nicht mehr
zufrieden gewesen sei, bzw. – so an anderer Stelle – weil der Kläger aufgrund seines
Rückenleidens "der Belastung einer vollschichtigen Tätigkeit nicht mehr gewachsen"
gewesen sei (so wörtlich im Schriftsatz der Beklagten vom 24.01.2008), so bestätigt die
Beklagte damit gerade, dass sie den Kläger, wenn dieser ihrer Meinung nach in seinen
Leistungen nicht nachgelassen hätte oder in seiner gesundheitlichen Leistungsfähigkeit
nicht beeinträchtigt gewesen wäre, auch über den Monat Mai 2006 hinaus im bisherigen
vollschichtigen Umfang hätte einsetzen können und eingesetzt hätte !
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c. Der Kläger hat seinen Wunsch auf Umwandlung seines Arbeitsvertrages in eine
Vollzeitstelle unstreitig mehrfach, zuletzt mit Anwaltsschreiben vom 27.07.2006,
gegenüber der Beklagten zum Ausdruck gebracht. Entgegen den Behauptungen der
Beklagten und entgegen der Wertung des Arbeitsgerichts hätte die Beklagte diesem
Wunsch damals wie auch später ohne Änderung ihrer betriebinternen
Arbeitsorganisationsstruktur entsprechen können. Dies ergibt sich aus der
dreieinhalbjährigen tatsächlichen Beschäftigung des Klägers im Umfang einer
Vollzeitkraft, aus der eigenen Argumentation der Beklagten zu den Gründen der
Umstellung im Mai 2006 und zuletzt wieder aus der vom Kläger beigebrachten
Internetanzeige zum 26.06.2007.
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d. Selbst wenn jedoch die Beklagte – was, wie soeben aufgezeigt, tatsächlich nicht der
Fall ist – in ihrem Betrieb für die Arbeitsbereiche außerhalb des Managements die
Entscheidung getroffen und auch praktiziert hätte, die hier anfallende Arbeit nur im
Umfang von Teilzeitkontingenten auf die Arbeitnehmer zu verteilen, wäre eine solche
Entscheidung als rechtlich nicht akzeptable Umgehung des § 9 TzBfG zu werten, da sie
durch arbeitsplatzbezogene Merkmale nicht gerechtfertigt werden könnte (hierzu BAG a.
a. O.).
46
aa. Die Einlassung der Beklagten, die Verteilung der Arbeit auf Teilzeitkräfte sei wegen
der in ihrem Betrieb üblichen "Stoßzeiten" geboten, erscheint gänzlich unsubstantiiert.
Weder lässt sich die Beklagte näher dazu ein, wann und in welchem Umfang solche
"Stoßzeiten" gegeben sein sollen, noch erläutert sie, aufgrund welcher Überlegungen
wegen solcher "Stoßzeiten" die ausschließliche Beschäftigung von Teilzeitkräften
naheliegt. Ohnehin schweigt sie sich dazu aus, nach welchem organisatorischen
Schema der Geschäftsbetrieb während der teilweise extrem langen Öffnungszeiten des
Lokals generell aufrecht erhalten wird.
47
bb. Vor allem zeigen die tatsächlichen Gegebenheiten, nämlich die Art des Einsatzes
des Klägers über dreieinhalb Jahre hinweg und ein entsprechender Einsatz etlicher
Kollegen des Klägers, dass eine solche angebliche Organisationsentscheidung
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tatsächlich nicht praktiziert wurde und wird.
cc. Das angebliche Fehlen einer freien Vollzeitstelle steht dem Begehren des Klägers
auf Aufstockung seines arbeitsvertraglichen Arbeitszeitumfangs auf eine Vollzeitstelle
somit nicht entgegen.
49
e. Die Vertragsänderung ist auch rückwirkend zulässig (BAG vom 23.01.2007, 9 AZR
393/06; BAG vom 24.09.2003, 5 AZR 282/02; BAG vom 09.11.2006, 2 AZR 509/05).
50
f. Der Kläger hat seinen Verlängerungswunsch auch geraume Zeit vor dem jetzt
begehrten Änderungstermin geltend gemacht.
51
g. Nicht zu beanstanden ist schließlich, dass der Kläger auf eine
Mindestarbeitsverpflichtung im Umfang von 170 Monatsstunden abstellt. Gemäß § 3 Ziff.
1 Abs. 1 MTV Systemgastronomie vom 07.07.2000 beträgt der tarifliche Umfang der
Arbeitszeit einer Vollzeitkraft in der Systemgastronomie sogar 173 Stunden.
52
6. Neben § 9 TzBfG i. V. m. § 242 BGB folgt der Anspruch des Klägers auch aus § 6
Abs. 1 Nr. 8 MTV Systemgastronomie vom 07.07.2000 (gleichlautend jetzt § 5 Abs.4
MTV Systemgastronomie vom 15./23.10.2007).
53
a. Die Anwendbarkeit des MTV Systemgastronomie auf das Arbeitsverhältnis der
Parteien hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 31.10.2007 ausdrücklich
unstreitig gestellt. Soweit ersichtlich sind beide Parteien tarifgebunden.
54
b. Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht erstinstanzlich offen gelassen, ob die
Voraussetzungen dieser tarifvertraglichen Anspruchsgrundlage erfüllt sind. Auf welche
Anspruchsgrundlage ein bestimmtes Rechtsschutzbegehren rechtlich zu stützen ist, ist
dem Anspruchsteller im Zweifel gleichgültig, es sei denn, er nimmt explizit eine
entsprechende Einschränkung vor, iura novit curia ! Eine solche gewollte
Einschränkung kann nicht allein dem Umstand entnommen werden, dass der Kläger in
seinem Klageantrag nur § 9 TzBfG zitiert, nicht jedoch die tarifliche
Anspruchsgrundlage.
55
c. Wie dem auch sei:
56
aa. Jedenfalls in der Berufungsinstanz beruft sich der Kläger ausdrücklich auch auf die
Anspruchsgrundlagen des MTV Systemgastronomie.
57
bb. Die Voraussetzungen dieser Tarifnorm sind auch erfüllt. Die "vereinbarte
Wochenarbeitszeit" ist im Arbeitsvertrag der Parteien vom 23.08.2002 mit
"durchschnittlich mindestens 30 Stunden" angegeben. Auf Anordnung der Beklagten hat
der Kläger indessen regelmäßig Arbeit, die über die vereinbarte Wochenarbeitszeit weit
hinausging, geleistet, und zwar nicht nur, wie der Tarifvertrag verlangt, über einen
Zeitraum von 3 Monaten, sondern über einen Zeitraum von nahezu dreieinhalb Jahren.
Der Ausnahmetatbestand des § 6 Abs.1 Nr.8 Satz 2 MTV Systemgastronomie 2000
(bzw. § 5 Abs.4 Satz 2 MTV Systemgastronomie 2007) liegt ersichtlich nicht vor.
58
cc. Der Kläger hat daher nunmehr auch einen tarifvertraglichen Anspruch auf
entsprechende Neugestaltung des Arbeitsvertrages.
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III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Ein gesetzlicher Grund für die
Zulassung der Revision liegt nicht vor.
60
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g :
61
Gegen diese Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben.
62
Dr. Czinczoll Binder Weber
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