Urteil des LAG Köln vom 08.06.2005

LArbG Köln: arbeitsgericht, auflösung, berechtigter, unternehmen, bedürfnis, abfindung, auflage, erstellung, buchhaltung, organisation

Landesarbeitsgericht Köln, 3 Sa 1435/04
Datum:
08.06.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 Sa 1435/04
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 19 Ca 3204/04
Schlagworte:
Arbeitsverlagerung, Austauschkündigung, Sozialauswahl,
Anforderungsprofil
Normen:
§ 1 Abs. 2, Abs. 3 KSchG, § 9 KSchG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Arbeitsverlagerung als Kündigungsgrund erfordert substanziierten
Sachvortrag des Arbeitgebers zum Vorliegen freier Arbeitskapazitäten
bei den übrigen Mitarbeitern. Die pauschale Angabe, die Arbeit habe
ohne Leistungsverdichtung problemlos umverteilt werden können,
genügt nicht.
2. Wird rechtskräftig die Unwirksamkeit einer Kündigung festgestellt, so
kann der Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des unwirksam
gekündigten Arbeitnehmers nicht unter Berufung auf den fehlenden
Beschäftigungsbedarf wegen einer zwischenzeitlich erfolgten
Einstellung einer Ersatzkraft ablehnen.
3. Die Befugnis des Arbeitgebers zur Aufstellung eines
Anforderungsprofils betrifft ausschließlich freie Arbeitsplätze.
4. Weitere im Zusammenhang mit einem Kündigungsschutzverfahren
erfolgende Zahlungsklagen dienen regelmäßig der Wahrnehmung
berechtigter Interessen und vermögen insofern keinen Auflösungsgrund
für den Arbeitgeber darzustellen.
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 23.09.2004 - 19 Ca 3204/04 - wird zurückgewiesen.
2. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen
betriebsbedingten Kündigung und die damit zusammenhängende Verpflichtung der
Beklagten zur Weiterbeschäftigung des Klägers sowie über ein weitergehendes
Auflösungsbegehren der Beklagten. Von einer erneuten Darstellung des Sachverhalts
wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 23.09.2004 stattgegeben. Es hat
festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die am 23.03.2004 übergebene Kündigung
vom gleichen Tag nicht aufgelöst worden ist und hat die Beklagte verurteilt, den Kläger
zu unveränderten Bedingungen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den
Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen. Gleichzeitig hat es den Auflösungsantrag
der Beklagten zurückgewiesen.
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Die Beklagte hat gegen dieses ihr am 25.10.2004 zugestellte Urteil am 19.11.2004
Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist am 27.01.2005 begründet. Sie wiederholt und vertieft ihren
erstinstanzlichen Sachvortrag und führt weiter aus, die Beklagte sei von der
Rechtswirksamkeit der gegenüber dem Kläger am 31.01.2003 mit Wirkung zum
30.04.2003 sowie der am 02.04.2003 ausgesprochenen fristlosen Kündigung
ausgegangen und habe daraufhin die zuvor im Rechnungswesen des Betriebes B der K
GmbH tätige Frau M V in ihre Abteilung Accounting und Control übernommen. Frau V
habe aufgrund ihrer früheren Tätigkeit detaillierte Kenntnisse über die steuerlichen
Zusammenhänge und über die Administration der S – Gruppe. Außerdem habe sie
durch nichts zu ersetzende Kenntnisse aus den vorangegangenen diesbezüglichen
Betriebsprüfungen. Auch seien die Kenntnisse von Frau V und damit deren
Beschäftigung bei der Beklagten unerlässlich für die zukünftig geplante eventuelle
Aufspaltung der K GmbH.
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Die Beklagte trägt weiter vor, der Arbeitsanfall im Bereich Accounting und Control habe
sich wesentlich verringert, da die Mitarbeiterzahl in den vergangenen Jahren
konzernweit um 1000 und in Deutschland um 200 Personen gesunken sei. Seit Juli
2002 seien auch Vereinfachungen in den Prozessen der Finanzbuchhaltung erfolgt.
Nach allem sei ein freier geeigneter Arbeitsplatz, auf den die Beklagte den Kläger hätte
versetzen können nachdem sich die Unwirksamkeit der ursprünglich erklärten
Kündigung herausgestellt habe, nicht vorhanden gewesen.
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Eine Sozialauswahl sei entfallen, weil der Kläger, der eine singuläre Funktion ausgeübt
habe, mit niemandem sozial vergleichbar sei. Insbesondere entfalle eine soziale
Vergleichbarkeit mit Frau V , weil der Kläger nicht auf der gleichen hierarchischen
Ebene wie diese beschäftigt sei und auch sein Jahresbruttoverdienst um mehr als
8.000,00 € über dem von Frau V gelegen habe. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass
der Arbeitgeber frei über das Anforderungsprofil für eine Stelle entscheiden könne und
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das Unternehmen sich entschlossen habe, auf Sachbearbeitungsebene generell keine
Mitarbeiter mit der Ausbildung zum Diplom-Kaufmann mehr zu beschäftigen. Außerdem
sei die Kündigung vor dem Hintergrund des Abbaus einer Hierarchieebene
gerechtfertigt. Schließlich stützt die Beklagte den Auflösungsantrag wie bereits
erstinstanzlich auf den Vortrag des Klägers im vorliegenden Rechtsstreit sowie auf sein
prozessuales Verhalten, wonach er die Beklagte mit unbegründeten Klagen überziehe.
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 23.09.2004 – 19 Ca 3204/04 –
abzuändern und die Klage abzuweisen;
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hilfsweise das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gemäß §§
9, 10 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung, die in das Ermessen des Gerichts
gestellt ist, die aber den üblichen Satz von einem halben Bruttomonatsgehalt
pro Beschäftigungsjahr nicht überschreiten sollte, zum 30.06.2004 aufzulösen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung ebenso wie den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag der
Beklagten zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung mit Rechtsausführungen und ist
weiterhin der Auffassung, bereits die unternehmerische Entscheidung der Beklagten sei
missbräuchlich. Es liege kein Wegfall einer Hierarchieebene vor und auch Frau V
verfüge über keine besonderen Kenntnisse, die ihre Beschäftigung unabweislich
erscheinen lasse. Vielmehr besitze der Abteilungsleiter Herr R , der seinerzeit
Vorgesetzter von Frau V bei der K GmbH gewesen sei, zumindest dieselben Kenntnisse
wie Frau V aus ihrer früheren Tätigkeit. Schließlich seien auch keine Gründe für eine
gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegeben, da der Kläger die Beklagte
insbesondere nicht mit unbegründeten Klagen überzogen habe. Was den
Prozessvortrag im vorliegenden Verfahren angehe sei im übrigen eher die Wortwahl der
Beklagtenseite, wonach es dem Kläger daran gelegen sei, den Arbeitgeber "finanziell
auszupressen" erheblich überzogen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auf die
Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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I.
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1. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 u. 2 ArbGG)
und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6
S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
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2. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der
Klage zu Recht in vollem Umfang stattgegeben und den hilfsweise gestellten
Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Zum einen ist die
streitgegenständliche Kündigung rechtsunwirksam und hat das zwischen den Parteien
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bestehende Arbeitsverhältnis nicht beendet. Zum anderen liegen hinreichende
Auflösungsgründe für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht vor.
a) Die streitgegenständliche Kündigung vom 23.03.2004 ist rechtsunwirksam, weil sie
weder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des
Klägers entgegenstehen bedingt ist (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG), noch die Beklagte eine
zutreffende Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG durchgeführt hat.
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aa) Die allgemeinen Anwendbarkeitsvoraussetzungen der §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1
KSchG sind unstreitig erfüllt.
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bb) Ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist
nicht gegeben.
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(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können sich
betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG aus
innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen wie z.B.
Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder
durch außerbetriebliche Gründe (z. B. Auftragsmangel oder Umsatzrückgang) ergeben
(BAG, Urteil vom 29.03.1990 – 2 AZR 369/89 - , BAGE 65, 61; Urteil vom 17.06.1999 – 2
AZR 141/99 - , BAGE 92, 71 jeweils m. w. N.). Diese betrieblichen Erfordernisse
müssen "dringend" sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebes notwendig
machen. Die Kündigung muss wegen der betrieblichen Lage unvermeidbar sein (so
bereits BAG, Urteil vom 24.10.1979 – 2 AZR 940/77 - , BAGE 32, 150).
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Entschließt sich der Arbeitgeber im Unternehmensbereich zu einer organisatorischen
Maßnahme, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die
Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt, so ist die Notwendigkeit
und Zweckmäßigkeit dieser Unternehmerentscheidung von den Arbeitsgerichten
inhaltlich nicht zu überprüfen. Es ist nicht Sache der Arbeitsgerichte, dem Arbeitgeber
eine "bessere" oder "richtigere" Unternehmenspolitik vorzuschreiben und damit in die
Kostenkalkulation des Arbeitgebers einzugreifen. Die Gestaltung eines Betriebes und
die Frage, ob und in welcher Weise sich jemand wirtschaftlich betätigen will, ist
Bestandteil der grundrechtlich geschützten unternehmerischen Freiheit, wie sie sich aus
Art. 2 Abs. 1, Art. 12 und Art. 14 GG ableiten lässt (BAG, Urteil vom 17.06.1999 – 2 AZR
522/98 – NZA 1999, 1095; Rost, Jahrbuch des Arbeitsrechts, Band 39, S. 83, 86).
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Von den Arbeitsgerichten voll nachzuprüfen ist demgegenüber, ob eine derartige
unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt. Wenn sich der Arbeitgeber auf
außer- oder innerbetriebliche Umstände beruft, darf er sich nicht auf schlagwortartige
Umschreibungen beschränken. Er muss seine tatsächlichen Angaben vielmehr so im
einzelnen darlegen und substantiieren, dass sie vom Arbeitnehmer mit Gegentatsachen
bestritten und vom Gericht überprüft werden können. Bei Kündigungen aus
innerbetrieblichen Gründen muss der Arbeitgeber dabei darlegen, welche
organisatorischen oder technischen Maßnahmen er angeordnet hat und wie die sich
von ihm behaupteten Umstände unmittelbar oder mittelbar auf die
Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer auswirken (BAG, Urteil
vom 17.06.1999 – 2 AZR 141/99 - , NZA 1999, S. 1098, 1099). Der Vortrag des
Arbeitgebers muss erkennen lassen, ob durch die innerbetriebliche Maßnahme das
Bedürfnis an der Tätigkeit des gekündigten Arbeitnehmers wegfällt (BAG, a. a. O.).
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(2) Wendet man diese vom Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung
vertretenen Grundsätze, denen sich die erkennende Kammer anschließt, auf den
vorliegenden Fall an, so erweist sich die streitgegenständliche Kündigung vom
23.03.2004 als unwirksam.
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Die Beklagte ist ihrer Darlegungslast hinsichtlich der von ihr behaupteten
unternehmerischen Entscheidung nicht nachgekommen. Sie hat insbesondere nicht
dargelegt, dass der Beschäftigungsbedarf für den Kläger entfallen ist.
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Sie hat hierzu zum einen vorgetragen, nach der im Frühjahr 2003 ausgesprochenen
Kündigung seien die bisherigen Arbeiten des Klägers auf die verbliebenen beiden
Mitarbeiter Herrn G und Frau D sowie auf die neueingestellte Frau V umverteilt worden.
Soweit es dabei um eine Arbeitsverlagerung auf die beiden Mitarbeiter G und D geht,
fehlt jeglicher substantiierter Sachvortrag der Beklagten zu entsprechenden freien
Arbeitskapazitäten dieser Mitarbeiter. Die Beklagte trägt lediglich vor, die Arbeit habe
problemlos ohne eine Leitungsverdichtung umverteilt werden können. Hier wäre es aber
nötig gewesen, die bisherige Arbeitsbelastung dieser beiden Mitarbeiter im einzelnen
darzustellen um deutlich zu machen, welche freien Kapazitäten durch umverteilte
frühere Arbeiten des Klägers aufgefüllt werden konnten.
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Zum anderen begründet die Beklagte die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit für den
Kläger mit der Übernahme von Frau V aus der Buchhaltung der K GmbH. Insoweit stellt
die Kündigung des Klägers, wie bereits die Erstinstanz zutreffend ausgeführt hat, eine
typische, unzulässige Austauschkündigung dar. Denn es war der Beklagten zwar nicht
verwehrt, nach der zunächst im Frühjahr 2003 ausgesprochenen Kündigung den
Arbeitsplatz des Klägers mit Frau V neu zu besetzen. Jedoch hätte die Beklagte,
nachdem die Unwirksamkeit dieser Kündigung rechtskräftig feststand, den Kläger
wieder in seinen alten Arbeitsplatz einweisen und gegebenenfalls das Arbeitsverhältnis
von Frau V beenden müssen. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, wird aus
diesen Umständen gerade deutlich, dass der Arbeitsplatz des Klägers nicht weggefallen
ist und vielmehr weiterhin Beschäftigungsbedarf für ihn besteht. Vom Vorliegen eines
dringenden betrieblichen Erfordernisses im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG kann danach
nicht ausgegangen werden.
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cc) Die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung scheitert auch an der gemäß
§ 1 Abs. 3 KSchG fehlerhaften Sozialauswahl.
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Nach dieser Vorschrift ist eine betriebsbedingte Kündigung auch dann sozial
ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl der Arbeitnehmer die Dauer der
Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die
Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.
Dies ist im Streitfall bezogen auf die Mitarbeiterin V jedenfalls zu bejahen. Frau V ist erst
im Jahr 2003 nach Ausspruch der ersten, unwirksamen Kündigung des Klägers von der
Beklagten eingestellt worden. Sie weist von daher die deutlich schlechteren Sozialdaten
gegenüber dem Kläger auf, der bereits seit März 1999 bei der Beklagten beschäftigt ist
und gegenüber seiner Ehefrau und zwei Kindern unterhaltspflichtig ist. Entgegen der
Rechtsauffassung der Beklagten sind bei Frau V auch frühere Beschäftigungszeiten aus
ihrer Tätigkeit für die K GmbH im Rahmen der Sozialauswahl nicht
berücksichtigungsfähig. Hierbei handelt es sich um die Tätigkeit für einen anderen
Arbeitgeber, die nicht angerechnet werden kann. Eine ausnahmsweise Anrechnung
ergibt sich auch nicht aus dem Rechtsinstitut des sogenannten Gemeinschaftsbetriebes,
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denn die Beklagte hat nicht dargelegt, dass das Unternehmen der Beklagten und das
der K GmbH einen solchen Gemeinschaftsbetrieb bilden. Vielmehr hat die Beklagte
sowohl erstinstanzlich als auch im Rahmen der Berufungsbegründungsschrift
ausdrücklich vorgetragen, dass die Beklagte selbst nur einen einzigen Betrieb in B habe
und dort 23 Arbeitnehmer beschäftige.
Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte (vgl. BAG, Urteil vom
10.02.1999 – 2 AZR 716/98 - , EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 38) hat auch die
Voraussetzungen für die sogenannte Leistungsträgerregelung in § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG
nicht dargetan. Nach dieser Vorschrift sind in die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1
KSchG Arbeitnehmer dann nicht einzubeziehen, wenn ihre Weiterbeschäftigung
insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen im berechtigten
betrieblichen Interesse liegt. Die Beklagte hat sich insoweit darauf berufen, dass die
Mitarbeiterin V über besondere Kenntnisse der K GmbH verfüge und dass diese
Kenntnisse für die Tätigkeit bei der Beklagten von entscheidender Bedeutung seien.
Derartige Kenntnisse können vorliegend unterstellt werden. Gleichwohl führt dies nicht
zu einer Herausnahme der Arbeitnehmerin V aus der Sozialauswahl mit dem Kläger im
Sinne des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG. Denn die Beklagte lässt insoweit unberücksichtigt,
dass nach dem unstreitigen Sachverhalt jedenfalls der Abteilungsleiter R über
dieselben Kenntnisse verfügt. Inwieweit dann bei einer Abteilung, die neben dem
Abteilungsleiter aus lediglich drei weiteren Mitarbeitern besteht, einer dieser Mitarbeiter
wegen der bereits beim Abteilungsleiter vorhandenen Kenntnisse von entscheidendem
betrieblichem Nutzen sein soll, ist nicht ersichtlich.
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dd) Lediglich am Rande ist zu erwähnen, dass auch die Berufung der Beklagten auf die
Erstellung eines geänderten Anforderungsprofils die streitgegenständliche
betriebsbedingte Kündigung nicht zu begründen vermag. Zwar ist es zutreffend wenn
die Beklagte ausführt, dass es allein dem Unternehmer obliege, über das
Anforderungsprofil für einzelne Stellen zu entscheiden. Dies hat das
Bundesarbeitsgericht zuletzt mit Urteil vom 24.06.2004 ( – 2 AZR 326/03 –, EzA § 1
KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132) bestätigt. Danach ist die Entscheidung
des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit bestimmten
Qualifikationen ausführen zu lassen, von den Arbeitsgerichten grundsätzlich jedenfalls
dann zu respektieren, wenn die Qualifikationsmerkmale einen nachvollziehbaren Bezug
zur Organisation der auszuführenden Arbeit haben. Die Beklagte lässt aber
unberücksichtigt, dass es dabei immer nur um die Aufstellung eines Anforderungsprofils
für einen freien, unbesetzten Arbeitsplatz geht. Keinesfalls kann der Arbeitgeber unter
Berufung auf die ihm obliegende Festlegung eines Anforderungsprofils im laufenden
Arbeitsverhältnis einseitig die an den jeweiligen Arbeitnehmer gestellten Anforderungen
verändern. Auf diese Weise würde unter Berufung auf die unternehmerische
Entscheidungsfreiheit ein gerichtlich nicht überprüfbarer Kündigungsgrund geschaffen.
Diese Zusammenhänge werden umso deutlicher, wenn man den Sachvortrag der
Beklagten, wonach die Bruttojahresvergütung der Arbeitnehmerin V um 8.000,00 €
geringer sei als diejenige des Klägers mit berücksichtigt. Dies verdeutlicht, dass
eigentlicher Kündigungsgrund die Verringerung der Personalkosten ist.
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b) Auch der zweitinstanzlich wiederholte Auflösungsantrag der Beklagten ist
unbegründet.
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aa) Gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers das
Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen
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Abfindung zu verurteilen, wenn festgestellt worden ist, dass das Arbeitsverhältnis durch
die Kündigung nicht aufgelöst worden ist, jedoch Gründe vorliegen, die eine den
Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Dabei sind nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts wegen der primären Zielsetzung des
Kündigungsschutzgesetzes, den Arbeitnehmer im Interesse eines wirksamen
Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses vor einem Verlust des Arbeitsplatzes durch
sozialwidrige Kündigungen zu bewahren, an den Auflösungsantrag des Arbeitgebers
strenge Anforderungen zu stellen (so bereits BAG, Urteil vom 05.11.1964, EzA § 7
KSchG Nr. 1; BAG, Urteil vom 16.05.1984, EzA § 9 KSchG n. F. Nr. 16; KR – Spilger, 7.
Auflage, § 9 KSchG Rn. 52). Im einzelnen kommen nur Umstände in Betracht, die das
persönliche Verhältnis zum Arbeitgeber, die Wertung der Persönlichkeit des
Arbeitnehmers, seiner Leistungen oder seiner Eignungen für die ihm gestellten
Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen (vgl. KR – Spilger, a.
a. O. Rn. 55 m. w. N.). Es ist erforderlich, dass die Zerrüttung des Arbeitsverhältnisses in
dem Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers ihren Grund hat. Dabei kann es
sich sowohl um prozessuale oder auch außerprozessuale Verhaltensweisen des
Arbeitnehmers handeln (vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und
Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Auflage, Rn. 1983). Lediglich unzutreffendere
Rechtsausführungen in Schriftsätzen sind demgegenüber durch die Wahrnehmung
berechtigter Interessen gedeckt und können daher nicht als Auflösungsgrund
herangezogen werden (KR – Spilger, a. a. O., Rnr. 56).
bb) Legt man diesen Maßstab an die beklagtenseits vorgetragenen Umstände an, so
liegt ein hinreichender Auflösungsgrund im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht vor.
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Die von der Beklagten angeführten vom Kläger eingeleiteten Klageverfahren stellen
keinen Auflösungsgrund dar. Hierbei handelt es sich vielmehr um die Wahrnehmung
berechtigter Interessen im vorgenannten Sinne, da der Kläger hier lediglich ungeklärte
Rechtspositionen gegenüber der Beklagten geltend macht und Zahlungen von ihr
begehrt. Zusätzlich muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass die
klageweise Geltendmachung von Zahlungsansprüchen durch den Kläger erst durch die
Kündigungen der Beklagten ausgelöst worden ist. Erst im Zusammenhang mit der
vermeintlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Kläger diese Ansprüche
überhaupt geltend gemacht. Wenn die Beklagte insoweit meint, der Kläger befinde sich
in einer derart herausgehobenen Position, dass man mit ihm jedenfalls nach der
Einleitung dieser Klageverfahren nicht mehr zusammen arbeiten könne, so erscheint
dies jedenfalls ohne zusätzliche Begründungen aus sich heraus nicht nachvollziehbar.
Auch ein um die Worte des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu gebrauchen "an
Prozessbetrug grenzendes" Verhalten des Klägers vermag die erkennende Kammer
nicht darin zu sehen, dass der Kläger einen zunächst unberücksichtigt gelassenen
Abzug von Arbeitslosengeld zwei Wochen später korrigiert hat. Erst recht kann in der
Geltendmachung eines Verzugszinssatzes von 8 % anstelle von 5 % über dem
Basiszinssatz kein Verhalten gesehen werden, dass den Arbeitgeber zur Auflösung des
Arbeitsverhältnisses berechtigen würde. Um wiederum mit den Worten des
Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu sprechen: Ein "finanzielles Auspressen" der
Beklagten ist der Kammer nicht ersichtlich. Schließlich wirft die Beklagte dem Kläger
vor, er habe ihr in nicht akzeptabler Weise vorgeworfen, einen Kündigungsgrund zu
konstruieren. Auch insoweit zeigt bereits der Ausgang des vorliegenden
Berufungsverfahrens, dass allein aus der Verfolgung des berechtigten
Bestandsschutzinteresses des Klägers kein Auflösungsgrund entstehen kann.
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II.
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Als unterliegende Partei ist die Beklagte nach §§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO
verpflichtet, die Kosten der Berufung zu tragen.
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Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Insbesondere hatte die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 72
Abs. 2 ArbGG, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls
beruht.
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R e c h t s m i t t el b e l e h r u n g
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Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf die Möglichkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
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(Dr. Kreitner) (Hahn) (Kornmüller)
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3 Sa 1435/04
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19 Ca 3204/04
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Arbeitsgericht Köln
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LANDESARBEITSGERICHT KÖLN
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Berichtigungs - BESCHLUSS
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In Sachen
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wird in dem Urteil vom 08.06.2005 auf Seite 7 Mitte das Wort "Leitungsverdichtung"
wegen eines offensichtlichen Schreibfehlers gem. § 319 Abs. 1 ZPO dahingehend
berichtigt, dass es anstelle dessen "Leistungsverdichtung" lautet.
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Köln, den 24.08.2005
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Der Vorsitzende der 3. Kammer
50
gez. Dr. Kreitner
51
Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht
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