Urteil des LAG Köln vom 04.02.2010

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Landesarbeitsgericht Köln, 6 Sa 1045/09
Datum:
04.02.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 Sa 1045/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Aachen, 2 Ca 2852/06
Schlagworte:
Ausschlussfrist; fristlose Kündigung; Schwerbehinderter;
Normen:
§§ 626 Abs. 2 BGB, 91 Abs. 2 SGB IX
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Von den Gerichten für Arbeitssachen ist die Einhaltung der
Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB unabhängig von einem
Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes nach § 91 SGB IX
eigenständig zu prüfen (im Anschluss an BAG vom 02.03.2006 - 2 AZR
46/05).
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 23.04.2009 verkündete
Urteil des Arbeitsgerichts Aachen
– 2 Ca 2852/06 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
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Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer weiteren außerordentlichen
fristlosen Kündigung der Beklagten vom 24.06.2006 (Kopie Bl. 7 d. A.) wegen des
Verdachts von Silberdiebstählen durch den Kläger, zu dem dieser am 16.05.2006
abschließend angehört wurde. Nachdem die Beklagte vom Antrag des Klägers auf
Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten am 02.06.2006 erfahren hatte, hörte sie
den Betriebsrat mit Schreiben vom 09.06.2006 (Kopie Bl. 174 ff. d. A.) zur beabsichtigten
(weiteren) außerordentlichen und fristlosen Kündigung an. Der Betriebsrat widersprach
mit Schreiben vom 15.06.2006 (Kopie Bl. 171 d. A.) unter Bezugnahme auf seine frühere
Stellungnahme vom 19.05.2006, weil keine neuen Sachhinweise vorgelegt worden
seien. Nach Zustimmung des Integrationsamts mit Bescheid vom 21.06.2006,
zugegangen am 23.06.2006, sprach die Beklagte die streitbefangene Kündigung aus.
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Von einer weitergehenden Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 69 Abs. 2
ArbGG abgesehen.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 23.04.2009
stattgegeben und den Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers abgewiesen, weil über
die vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen noch nicht rechtskräftig
entschieden worden sei. Mit ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, es handele sich
um eine Überraschungsentscheidung des Arbeitsgerichts, die ihren Anspruch auf
rechtliches Gehör verletzt habe. In der Sache ergebe sich der wichtige Grund für die
Kündigung daraus, dass der dringende Verdacht bestehe, der Kläger habe während der
Arbeitszeit aus Glätte Silber ausgeschmolzen und sich zuzueignen versucht.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 23.04.2009 – 2 Ca 2852/06 –
abzuändern, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil aus Rechtsgründen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes haben die Parteien auf
die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger erklärt, dass
sein Gleichstellungsantrag rechtskräftig zurückgewiesen worden sei.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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I. Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2
ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1,
64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
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II. In der Sache hat das Rechtsmittel aber keinen Erfolg.
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Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.
Es kann dahinstehen, ob das Vorbringen der Beklagten zum wichtigen Grund im Sinne
des § 626 Abs. 1 BGB wegen eines Verstoßes gegen die allgemeine
Prozessförderungspflicht nach den §§ 67 Abs. 3 ArbGG, 282 Abs. 2 ZPO verspätet ist
und nicht mehr zugelassen werden kann. Die Unwirksamkeit der Kündigung folgt bereits
aus § 626 Abs. 2 BGB, weil die zweiwöchige Ausschlussfrist nicht eingehalten wurde.
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Der Kläger hat die Einhaltung dieser Frist in der Klageschrift ausdrücklich bestritten. Mit
Rücksicht darauf war es Sache der Beklagten, näher darzulegen und gegebenenfalls zu
beweisen, sie habe von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen erst innerhalb
der letzten zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung Kenntnis erlangt (vgl. BAG vom
01.02.2007 – 2 AZR 333/06 -, NZA 2007, 744 m. w. N.). Allein die Hinweise in der
Berufungsbegründung, die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt und die
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Zustimmung des Integrationsamts liege vor, reichen hierzu nicht aus.
Soweit damit zum Ausdruck kommen sollte, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nach der
Zustimmung des Integrationsamts nicht mehr gesondert zu prüfen, trifft dies nicht zu.
Denn die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verdrängt die
Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 nicht. Mit dem bestandskräftigen
zustimmenden Verwaltungsakt des Integrationsamts steht auch nicht etwa zugleich fest,
dass die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist. Von den Gerichten für
Arbeitssachen ist die Einhaltung dieser Frist eigenständig zu prüfen (vgl. BAG vom
02.03.2006 – 2 AZR 46/05 -, NZA 2006, 1211). Nur wenn die Frist des § 626 Abs. 2
BGB nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt bereits abgelaufen ist,
will § 91 Abs. 5 SGB IX dem Umstand Rechnung tragen, dass es dem Arbeitgeber
regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist des §
626 Abs. 2 Satz 1 BGB die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen. Die Fristen
des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB und § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bestehen somit
selbstständig nebeneinander und verdrängen einander nicht gegenseitig (BAG, a. a. O.
m. w. N.).
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Aus dem unstreitigen Sachverhalt und dem Vortrag der darlegungsbelasteten Beklagten
ist die Wahrung der zweiwöchigen Ausschlussfrist nicht ersichtlich:
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Ein Dauertatbestand, aufgrund dessen die Zweiwochenfrist erst gar nicht zu laufen
begonnen hätte, liegt ersichtlich nicht vor. Ein etwa auf Dauer gestörtes
Vertrauensverhältnis führt nicht zu einem "Dauertatbestand" im Sinne der
Rechtsprechung. Es kommt nicht auf die Dauer des Vertrauensverlustes, sondern auf
die Dauer der Tatsachen an, die den Vertrauensverlust hervorrufen. Das etwaige
Fehlverhalten des Klägers ist jedoch abgeschlossen.
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Im Streitfall standen die kündigungserheblichen Fakten bzw. Verdachtsmomente
spätestens nach Anhörung des Klägers am 16.05.2006 fest, so dass die Frist an diesem
Tag zu laufen begann. Fristablauf war danach der 30.05.2006. Als die Beklagte am
02.06.2006 von dem Gleichstellungsantrag des Klägers erfuhr, war die Frist schon
abgelaufen.
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Der Kläger handelt auch nicht treuwidrig, indem er sich auf die Versäumung der Frist
des § 626 Abs. 2 BGB beruft. Dies käme in Betracht, wenn er die Vorschriften zum
Schutze schwerbehinderter Menschen bei Kündigungen ausgenutzt hätte, um dadurch
die Fristversäumung herbeizuführen. Davon kann hier nicht ausgegangen werden, weil
die Beklagte bereits unabhängig von der – im Ergebnis nicht bestehenden –
Schwerbehinderung des Klägers eine fristlose Kündigung unter Einhaltung der
Zweiwochenfrist ausgesprochen hat, für sie also keine Rechtsnachteil entstanden ist.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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IV. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere hatte
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den
besonderen Umständen des Einzelfalles beruht.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Wegen der Möglichkeit der
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Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
Dr. Kalb Franke Dose
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