Urteil des LAG Köln vom 08.01.2003

LArbG Köln: wiedereinsetzung in den vorigen stand, gewerkschaft, firma, eintragung im handelsregister, betriebsrat, satzung, unternehmen, arbeitsgericht, wahlergebnis, anfechtung

Landesarbeitsgericht Köln, 7 TaBV 57/02
Datum:
08.01.2003
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 TaBV 57/02
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Siegburg, 1 BV 1/02
Schlagworte:
Betriebsratswahl; Anfechtung; Wählbarkeit; Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand; Tarifzuständigkeit; im Betrieb vertretene Gewerkschaft;
Betriebsneugründung
Normen:
§§ 1, 8, 19 BetrVG; § 233 ZPO
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der
Beschwerdebe-gründungsfrist: Zur Abgrenzung des Verschuldens des
Anwalts und seiner Büroangestellten.
2. Zur Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft ver.di bei
Krankenhaushilfsbetrieben.
3. Werden in einem Krankenhaus eingesetzte Arbeitnehmer
verschiedener Fremdunternehmen mit eigenen Arbeitskräften in einem
neu gegründeten Unternehmen zusammengeführt, dessen
Unternehmenszweck in nicht-medizinischen Dienstleistungen aller Art
für das Krankenhaus besteht, und entsteht dabei ein neuer Betrieb mit
eigener Organisations- und Leitungsstruktur, so findet hierauf § 8 Abs. 2
BetrVG und nicht § 8 Abs. 1 BetrVG Anwendung.
Tenor:
Die Beschwerden der Beteiligten zu 2. bis 9. und
der Beteiligten zu 10. gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Siegburg vom 23.07.2002 in Sachen
1 BV 1/02 werden - nach Gewährung der Wiederein-
setzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung
der Beschwerdebegründungsfrist seitens der Be-
teiligten zu 2. bis 9. - zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1
I.
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Bei der Beteiligten zu 10. handelt es sich um ein neugegründetes, am 05.09.2001 ins
Handelsregister eingetragenes Unternehmen, dessen Gesellschaftszweck der
Eintragung im Handelsregister zufolge wie folgt definiert ist:
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"Die Durchführung aller nichtmedizinischen Dienstleistungstätigkeiten für das
Krankenhaus S sowie für Einrichtungen des Gesundheitswesens, die von mit der
Krankenhaus S G verbundenen Unternehmen betrieben werden, insbesondere
Reinigungstätigkeiten aller Art sowie der Tätigkeit des klinischen Hauspersonals (ibs.
Stationshilfen o.ä.), der allgemeinen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten (ibs. Etagenhilfen),
des Hol- und Bringedienstes, des Bettentransports, der Versorgung mit Speisen und
Getränken, der Dienstleistungen, die für die Erhaltung und Nutzung von Grundstücken
nebst daraufstehenden Gebäuden erforderlich sind sowie die Organisation der
Versorgung mit Produkten, die nicht Arzneimittel sind, und aller sonstigen
Dienstleistungen, die nicht unmittelbar der medizinischen Patientenversorgung dienen.
Ausgenommen sind Dienstleistungen im Bereich Haus-, Betriebs- und Medizintechnik."
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Die Beteiligte zu 10. nahm ihre Betriebstätigkeit mit der von ihr dafür geschaffenen
Organisationsstruktur zum 01.08.2001 auf. Bis dahin waren Reinigungsarbeiten und
Arbeiten in der Spülzentrale von Arbeitskräften einer Firma M mit Sitz in T
wahrgenommen worden. Arbeitnehmer/-innen einer Firma Widi hatten Aufgaben in der
Bettenzentrale wahrgenommen, das Krankenhausarchiv war von Mitarbeitern der
Krankenhaus S G geführt worden. Alle diese Arbeiten wurden in der Folgezeit bei der
Beteiligten zu 10. zusammengefasst. Hierzu wurden 83 Arbeitnehmer/-innen der Firma
M , elf Arbeiternehmer/-innen der Firma W sowie vier Arbeitnehmer/-innen der
Krankenhaus S G von der Beteiligten zu 10. übernommen. Ferner wurden im Zeitraum
bis Dezember 2001 sieben Arbeitnehmer/-innen neu eingestellt. Darüber hinaus war
zunächst zum 01.08.2001 die Übernahme weiterer ca. 15 Arbeitnehmer/-innen der
Krankenhaus S G für die Bereiche Logistik, Hol- und Bringedienste und Zentralarchiv
vorgesehen, die jedoch dann auf den 01.01.2002 verschoben wurde. Zu dem
Betriebsbereich der Beteiligten zu 10. gehört auch ein Zentrallager mit vier Mitarbeitern.
Die Krankenhaus S G ist Mehrheitsgesellschafterin der Beteiligten zu 10., die Firma M
ist als Minderheitsgesellschafterin ebenfalls an der Beteiligten zu 10. beteiligt.
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Bei der Firma M bestand seinerzeit kein Betriebsrat. Bei der Firma W war ein
einheitlicher Betriebsrat für alle Arbeitnehmer/-innen dieser Firma gewählt, also auch für
die nicht im Krankenhaus S eingesetzten. Bei der Krankenhaus S GmbH bestand und
besteht ebenfalls ein eigener Betriebsrat.
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Am 24.10.2001 wurde von der Belegschaft der Beteiligten zu 10. eine
Betriebsversammlung abgehalten, auf der ein Wahlvorstand gewählt wurde. Am Freitag,
dem 09.10.2001 erließ der Wahlvorstand ein Wahlausschreiben. Innerhalb der im
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Wahlausschreiben gesetzten Frist ging nur eine Kandidatenliste ein, welche elf Namen
umfasste, u.a. denjenigen der zum 01.10.2001 neu eingestellten Arbeitnehmerin A .
Am 28.11.2001 wies der Wahlvorstand die eingereichte Liste als ungültig zurück, weil er
die Kandidatin A gemäß § 8 Abs. 1 BetrVG nicht für wählbar hielt. Gleichzeitig setzte der
Wahlvorstand eine Nachfrist für neue Vorschläge bis zum 05.12.2001. Innerhalb dieser
Nachfrist wurde eine neue Liste eingereicht, auf der die Mitarbeiterin A nicht mehr
aufgeführt war. Die nachgereichte Liste setzte sich aus 13 Kandidaten zusammen,
wovon neun bereits auf der ersten Liste standen und vier erstmals kandidierten.
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Am Freitag, dem 21.12.2001 wurde die Betriebsratswahl durchgeführt. Nach dem vom
Wahlvorstand festgestellten Wahlergebnis wurden in den siebenköpfigen Betriebsrat
auch die Kandidatinnen C und M gewählt, welche erstmals auf der nachgereichten Liste
kandidiert hatten.
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Am 04.01.2002 hat die antragstellende Gewerkschaft v .d . die Wahlanfechtung beim
Arbeitsgericht Siegburg eingereicht. Sie hat die am 21.12.2001 durchgeführte
Betriebsratswahl für rechtsunwirksam gehalten, da sie an zahlreichen, im einzelnen
näher aufgeführten Mängeln des Wahlverfahrens leide. Insbesondere hat sich die
antragstellende Gewerkschaft darauf berufen, dass die erste, während der
ursprünglichen Vorschlagsfrist eingereichte Kandidatenliste nicht als ungültig hätte
zurückgewiesen werden dürfen. Entgegen der Auffassung des Wahlvorstands sei die
Mitarbeiterin A nämlich wählbar gewesen. Es gelte insoweit nicht § 8 Abs. 1 BetrVG,
sondern § 8 Abs. 2 BetrVG.
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Die antragstellende Gewerkschaft hat beantragt,
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festzustellen, dass die Wahl des Betriebsrats der
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Krankenhaus S D G vom
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21.12.2001 unwirksam ist.
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Der Betriebsrat und die übrigen Beteiligten haben beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Die Beteiligten zu 2. bis 10. haben die Betriebsratswahl für rechtswirksam gehalten. Sie
haben insbesondere die Auffassung des Wahlvorstands verteidigt, wonach die
Kandidatin A gemäß § 8 Abs. 1 BetrVG nicht wählbar gewesen sei.
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Die 1. Kammer des Arbeitsgerichts S hat mit Beschluss vom 23.07.2002 der Anfechtung
stattgegeben. Auf die Gründe des Beschlusses wird zur Vermeidung von
Wiederholungen Bezug genommen.
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Der arbeitsgerichtliche Beschluss wurde den Beteiligten zu 2. bis 10. am 29.07.2002
zugestellt. Die Beteiligte zu 10. (Arbeitgeberin) hat hiergegen am 23.08.2002, die
Beteiligten zu 2. bis 9. (Betriebsrat und seine Mitglieder) haben am 29.08.2002
Beschwerde eingelegt. Die Beteiligte zu 10. hat ihre Beschwerde nach entsprechend
gewährter Verlängerung der Begründungsfrist am 07.10.2002 begründet. Die
Beschwerdebegründung zur Beschwerde der Beteiligten zu 2. bis 9. ist, verbunden mit
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einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, am 14.10.2002 beim
Landesarbeitsgericht eingegangen.
Die Beteiligte zu 10. macht geltend, dass die antragstellende Gewerkschaft ver.di nicht
anfechtungsberechtigt gewesen sei. Zur Anfechtungsberechtigung im Sinne des § 19
Abs. 2 BetrVG genüge es nicht, dass ein Mitglied der Gewerkschaft - wie vorliegend
zuletzt unstreitig -- Arbeitnehmer des entsprechenden Betriebes sei. Vielmehr müsse die
Gewerkschaft für den Betrieb auch die Tarifzuständigkeit besitzen. Für Betriebe, deren
Gegenstand das Gebäudemanagement sei, wozu auch die Gebäudereinigung gehöre,
sei gemäß § 2 ihrer Satzung vielmehr die IG Bauen-Agrar-Umwelt zuständig.
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Darüber hinaus vertritt die Beteiligte zu 10. weiterhin die Auffassung, dass der
Wahlvorstand die Kandidatur der Mitarbeiterin A zu Recht unter Anwendung von § 8
Abs. 1 BetrVG zurückgewiesen habe. 98 von 105 wahlberechtigten Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern seien zum Zeitpunkt der Erstellung der Wählerliste bereits sechs Monate
und länger im Krankenhaus Siegburg und den damit verbundenen Einrichtungen
beschäftigt gewesen. Auf den Zeitpunkt der Gründung des Unternehmens der
Beteiligten zu 10. komme es nicht an.
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Die Beteiligten zu 2. bis 9. machen zunächst geltend, dass die
Beschwerdebegründungsfrist schuldlos versäumt worden sei. Auf die Ausführungen zur
Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Schriftsatz
vom 14.10.2002 nebst Anlagen einschließlich der eidesstattlichen Versicherung der
Anwaltsangestellten D N wird Bezug genommen.
22
In der Sache treten die Beteiligten zu 2. bis 9. der Rechtsauffassung der Beteiligten zu
10. bei.
23
Die Beteiligte zu 10. sowie die Beteiligten zu 2. bis 9. beantragen,
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unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts
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Siegburg vom 23.07.2002 den Antrag der antragstellenden
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Gewerkschaft auf Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl
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des Betriebsrats bei der Krankenhaus S D G vom 21.12.2001 zurückzuweisen.
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Die Beteiligten zu 2. bis 9. beantragen zusätzlich,
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ihnen wegen der Versäumung der Beschwerdebe-
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gründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen
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Stand zu gewähren.
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Die antragstellende Gewerkschaft beantragt,
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den Antrag der Beteiligten zu 2. bis 9. auf Wieder-
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einsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen
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sowie die Beschwerden der Beteiligten zu 2. bis
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10. zurückzuweisen.
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Die Antragstellerin verteidigt ihre Anfechtungsberechtigung. Sie führt aus, dass sie die
für den Betrieb der Beteiligten zu 10. tarifzuständige Gewerkschaft sei. Sie verweist
dazu auf Ziffer 1.4 ihrer Satzung, welche folgenden Wortlaut hat:
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1. Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr
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Dienstleistungen für die Allgemeinheit in öffentlichrechtlicher und privatrechtlicher Form,
insbesondere öffentliche Dienste, der Transport und Verkehr, die Ver- und
Entsorgungswirtschaft einschließlich der leitungsgebundenen Energieversorgung, der
Gesundheits- und Sozialdienste, Einrichtungen der Infrastrukturen und der Forschung
und Entwicklung, Umweltschutzdienste sowie bestimmte private Dienstleistungen.
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Hierzu gehören insbesondere:
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...
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Verwaltungen, Betriebe und Einrichtungen des öffentlichen und privaten
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Gesundheitswesens einschließlich der hygienischen Institute."
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Die Klinikum R -S G , welche das Krankenhaus und Herzzentrum S zwischenzeitlich
übernommen habe und fortführe, sei unzweifelhaft dem öffentlichen und privaten
Gesundheitswesen zuzurechnen. In Ziffer 2.2 des Gesellschaftsvertrages des
Trägerunternehmens heißt es nämlich:
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"Zweck der Gesellschaft ist die Förderung des öffentlichen Gesundheits-
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wesens. Ziel der Gesellschaft ist die Gewährleistung und Sicherstellung
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einer bedarfsgerechten medizinischen Versorgung der Bevölkerung in
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einem leistungsfähigen, wirtschaftlich gesicherten und eigenverantwort-
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lich wirtschaftenden Krankenhaus."
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Des weiteren verteidigt die antragstellende Gewerkschaft die vom Arbeitsgericht S
vertretene Auffassung, dass die Mitarbeiterin A gemäß § 8 Abs. 2 BetrVG wählbar
gewesen sei und der Wahlvorstand somit die erste Vorschlagsliste nicht habe
zurückweisen dürfen. Hierdurch sei auch das Wahlergebnis beeinflusst worden.
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Im übrigen nimmt die antragstellende Gewerkschaft Bezug auf die diversen weiteren
erstinstanzlich vorgebrachten Anfechtungsgründe.
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II.
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1. Die Beschwerden sind zulässig.
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1. Vorab ist festzustellen, dass die Beteiligten zu 3. bis 9., also die am 21.12.2001
gewählten Betriebsratsmitglieder, im vorliegenden Wahlanfechtungsverfahren
beteiligungsbefugt sind, da der Fortbestand ihrer betriebsverfassungsrechtlichen
Organstellung vom Ausgang des Verfahrens abhängt
(Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 4. Auflage, § 83, Rdnr. 61; Weth, Das
arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren, 1995, Seite 206).
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1. Alle Beteiligten haben ihre Beschwerden gemäß § 87 Abs. 2 i.V.m. § 66 Abs. 1 S.
1 ArbGG fristgerecht eingelegt. Die Beteiligte zu 10. hat ihre Beschwerde auch
fristgerecht begründet.
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1. Die Begründung der Beschwerde der Beteiligten zu 2. bis 9. ist allerdings erst am
14.10.2002, und somit nach Ablauf der am Montag, dem 30.09.2002 endenden
Beschwerdebegründungsfrist nach § 87 Abs. 2 i.V.m. § 66 Abs. 1 S. 1 und S. 2
ArbGG eingegangen. Die Beschwerdebegründung der Beteiligten zu 2. bis 9. war
somit verfristet.
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1. Den Beteiligten zu 2. - 9. konnte insoweit aber auf ihren innerhalb der in § 234
ZPO vorgesehenen Frist rechtzeitig gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gewährt werden.
2. Aufgrund des Vorbringens zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages,
welches durch eidesstattliche Versicherung der Anwaltsangestellten D N
ausreichend glaubhaft gemacht ist, steht zur Überzeugung der
Beschwerdekammer fest, dass den Beteiligten zu 2. - 9. an der Versäumung der
Beschwerdebegründungsfrist ein Verschulden nicht zugerechnet werden kann.
Bei der anwaltlich vertretenen Partei des Zivilprozesses, wozu auch das
arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren gehört, geht nur das eigene Verschulden
der Partei und das ihres anwaltlichen Prozessbevollmächtigten zu ihren Lasten.
Das Verschulden Dritter braucht sich die Partei dagegen nicht zurechnen zu
lassen.
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1. Ein Dritter in diesem Sinne ist auch die Büroangestellte des sachbearbeitenden
Anwalts. Wird die Frist aufgrund einer Fehlleistung einer solchen
Anwaltsangestellten versäumt, so kommt ein der Partei zurechenbares
Verschulden nur in Betracht, wenn der Anwalt seine Angestellte nicht
ordnungsgemäß eingewiesen, angeleitet und überwacht hat, oder wenn die
Kausalität der Fehlleistung für die Fristversäumung durch eine ordnungsgemäße
Organisation der Arbeitsabläufe in der Anwaltspraxis hätte vermieden werden
können.
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1. Vorliegend beruht die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist letztendlich
auf einer Fehlleistung der Anwaltsangestellten D N . Zwar hatte der
sachbearbeitende Anwalt selbst vor dem Hintergrund der von ihm im einzelnen
dargestellten außergewöhnlichen familiären Inanspruchnahme vergessen, wie
von ihm rechtzeitig beabsichtigt, Fristverlängerung zu bean-tragen. Dieses
Versehen des sachbearbeitenden Anwalts, welches im Arbeitsalltag immer wieder
einmal vorkommen kann, hätte jedoch nicht zu der Fristversäumnis führen
müssen, da hiergegen in der Anwaltspraxis des Prozessbevollmächtigten der
Beteiligten zu 2. - 9. grundsätzlich ausreichende Vorkehrungen getroffen worden
waren.
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1. Es war nämlich Aufgabe der Angestellten D N , einer ausgebildeten und seit über
neun Jahren in der Kanzlei tätigen Rechtsanwaltsfachangestellten, am Tag des
Fristablaufs den Fristenkalender daraufhin zu kontrollieren, ob die an dem
fraglichen Tag ablaufenden Fristen auch eingehalten worden waren. Wie aus der
eidesstattlichen Versicherung der Angestellten N vom 14.10.2002 hervorgeht, hat
diese am Nachmittag des Tages des Fristablaufs den Fristenkalender auch
kontrolliert. Ihre Fehlleistung bestand dann jedoch darin, dass sie ohne weitere
Nachprüfung darauf vertraute, dass die Frist eingehalten worden war, obwohl ihr
dafür keinerlei objektiv aussagekräftige Anhaltspunkte vorlagen und sie, da es
sich um den ersten Tag nach ihrem Urlaub handelte, insbesondere auch aus
eigener Anschauung keine Kenntnis von den Vorgängen haben konnte. Hätte die
Angestellte N ordnungsgemäß nachgeprüft, ob die Frist eingehalten worden war,
so wäre das Versehen des Anwalts noch rechtzeitig aufgefallen und hätte dieser
selbst oder einer seiner Sozien noch fristwahrend für den rechtzeitigen Zugang der
Begründung bei Gericht sorgen oder zumindest rechtzeitig einen
Verlängerungsantrag stellen können.
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1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 10. und die nach den vorstehenden
Ausführungen ebenfalls zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 2. - 9. sind in der
Sache jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht S hat in dem angegriffenen
Beschluss zu Recht festgestellt, dass die am 21.12.2001 im Betrieb der Beteiligten
zu 10. durchgeführte Betriebsratswahl rechtsunwirksam ist, weil ein wesentlicher
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Mangel im Wahlverfahren vorliegt, welcher auch das Wahlergebnis beeinflusst
hat.
1. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer bestehen keine Bedenken gegen die
Anfechtungsbefugnis der Gewerkschaft v .d .. Bei der Gewerkschaft v .d . handelte
es sich um eine im Zeitpunkt der Betriebsratswahl im Betrieb der Beteiligten zu 10.
vertretene Gewerkschaft im Sinne von § 19 Abs. 2 S. 1 BetrVG.
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1. Unstreitig war im Zeitpunkt der angefochtenen Wahl mindestens ein
Belegschaftsmitglied der Beteiligten zu 10. Mitglied bei der antragstellenden
Gewerkschaft.
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1. Bei der antragstellenden Gewerkschaft v .d . handelt es sich auch um die für den
Betrieb der Beteiligten zu 10. tarifzuständige Gewerkschaft. Die von der Beteiligten
zu 10. aufgeworfene Frage, ob auch eine Gewerkschaft die
Anfechtungsberechtigung nach § 19 Abs. 2 BetrVG besitzt, die zwar mit einem
oder mehreren Mitgliedern in der Belegschaft eines Unternehmens vertreten ist, für
dieses Unternehmen selbst aber keine Tarifzuständigkeit besitzt, kann hier somit
dahinstehen.
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1. Die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft v .d . für den Betrieb der Beteiligten zu 10.
folgt aus ihrer Satzung. Gemäß Ziffer 1.4 des Anhangs 1 der Satzung der
antragstellenden Gewerkschaft ist diese insbesondere für "Verwaltungen, Betriebe
und Einrichtungen des öffentlichen und privaten Gesundheitswesens" zuständig.
Bei dem Krankenhaus S und den mit diesem verbundenen, in gleicher
Trägerschaft stehenden Schwestereinrichtungen handelt es sich zweifelsfrei um
solche "Verwaltungen, Betriebe und Einrichtungen des öffentlichen und privaten
Gesundheitswesens". Dementsprechend ist die Tarifzuständigkeit der
Gewerkschaft v .d . für das Krankenhaus selbst auch, soweit ersichtlich,
unbestritten.
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1. Der Unternehmenszweck der Beteiligten zu 10. besteht aber gerade darin, für das
Krankenhaus S sowie für die mit diesem verbundenen Einrichtungen des
Gesundheitswesens Dienstleistungen aller Art zu erbringen, soweit diese nur
nichtmedizinischer Natur sind. Charakteristisch für die Beteiligte zu 10. ist es
somit, dass sie ihre Dienstleistungen nicht am freien Markt anbietet, sondern dass
ihr eigener Unternehmenszweck ausschließlich dem übergeordneten
Unternehmenszweck des Krankenhauses S und der mit diesem verbundenen
anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens zu dienen bestimmt ist.
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2. Von einem Gebäudereinigungsunternehmen, für das die Tarifzuständigkeit der IG-
Bauen-Agrar-Umwelt anzunehmen wäre, unterscheidet sich die Beteiligte zu 10.
überdies dadurch, dass der Reinigungsdienst nur eine unter einer Vielzahl
verschiedenster Dienstleistungsarten darstellt, die ihrem Unternehmenszweck
nach durchgeführt werden. Selbst innerhalb der Reinigungstätigkeiten wäre noch
zwischen den Gebäudereinigungstätigkeiten im herkömmlichen Sinne und
solchen Reinigungstätigkeiten anderer Art zu unterscheiden, die speziell in
Krankenhäusern anfallen. Hinzuweisen ist auch darauf, dass gerade
Dienstleistungen im Bereich der Haus- und Betriebstechnik vom
gesellschaftsvertraglich festgelegten Zweck der Beteiligten zu 10. ausgenommen
sind.
1. Die Beteiligte zu 10. unterhält somit einen rechtlich verselbstständigten
Hilfsbetrieb für ganz bestimmte, konkret bezeichnete Einrichtungen des
Gesundheitswesens und ist als solcher in den Kreis der "Verwaltungen, Betriebe
und Einrichtungen des öffentlichen und privaten Gesundheitswesens" gemäß
Ziffer 1.4 des Anhangs 1 der Satzung der Gewerkschaft ver.di. miteinzubeziehen.
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1. Dem kann auch nicht mit dem systematischen Argument begegnet werden, dass in
Ziffer 1.1 des Anhangs 1 der Satzung im Zusammenhang mit
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den Betrieben, Unternehmen und Konzernen der Telekommunikationsbranche, des
Postdienstes und der Postbank die "rechtlich angegliederten bzw. selbstständigen,
jedoch wirtschaftlich organisatorisch zugeordneten Dienstleistungsbetriebe" eigens
erwähnt sind, in Ziffer 1.4 des Anhangs 1 jedoch nicht. Für die Erwähnung der
"zugeordneten Dienstleistungsbetriebe" mag in Ziffer 1.1 des Anhangs 1 der Satzung
wegen der Eigenheiten der dort angesprochenen Branchen ein besonderes Bedürfnis
bestanden haben. Die Erwähnung dort ist jedoch eher beispielhaft auch für die übrigen
Zuständigkeitsbereiche zu sehen als dass insoweit ein systematischer Umkehrschluss
geboten sein könnte. l
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1. Dass zwischen der Gewerkschaft ver.di und der Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-
Umwelt ein Streit über die Tarifzuständigkeit für die neugegründete Beteiligte zu
10. bestünde, ist von keinem der Beteiligten vorgetragen worden und auch sonst
nicht ersichtlich. Nur in einem solchen Fall käme es jedoch auf die verbindliche
Entscheidungsbefugnis des für diese Frage beim DGB eingerichtetem
Schiedsgerichts an.
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1. Die Anfechtung der Wahl durch die Antragstellerin ist auch innerhalb der Zwei-
Wochenfrist des § 19 Abs. 2 S. 2 BetrVG erfolgt.
72
1. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist die Wahlanfechtung auch
materiell begründet. Der Wahlvorstand hätte die am 22.11.2001 bei ihm
eingegangene erste Vorschlagsliste mit elf Kandidaten nicht zurückweisen dürfen.
Die auf dieser Liste aufgeführte Kandidatin A war wahlberechtigt. Durch die
Zurückweisung der Liste hat der Wahlvorstand gegen wesentliche Vorschriften
über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen. Durch
diesen Verstoß ist das Wahlergebnis auch beeinflusst worden.
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1. Die Kandidatin A war wählbar, obwohl sie erst am 01.10.2001 in das
Unternehmen der Beteiligten zu 10. als Arbeitnehmerin eingetreten ist. Wie schon
das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ist im vorliegenden Fall nämlich auf § 8
Abs. 2 BetrVG und nicht auf § 8 Abs. 1 BetrVG abzustellen.
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1. Im Ausgangspunkt zutreffend führen die Beschwerdeführer aus, dass für die
Frage, ob es sich um einen neugegründeten Betrieb im Sinne des § 8 Abs. 2
BetrVG handelt, nicht auf das formale Gründungsdatum des Unternehmens
abzustellen ist, also den Zeitpunkt der Eintragung der Beteiligten zu 10. ins
Handelsregister, die am 05.09.2001 erfolgt ist. Maßgeblich ist vielmehr, wann der
Betrieb als eine arbeitstechnischen Zwecken dienende arbeitsorganisatorische
Einheit seine Tätigkeit aufgenommen hat. Auch dies war jedoch erst am
01.08.2001 der Fall.
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1. Zu Unrecht stellen die Beschwerdeführer darauf ab, dass die weitaus
überwiegende Mehrzahl der von der Beteiligten zu 10. übernommenen
Arbeitnehmer bereits länger als sechs Monate tatsächlich in den Räumlichkeiten
der Einrichtungen des Krankenhauses S gearbeitet haben. Zuvor bildeten die
Mitarbeiter der Firma M aus T , die Mitarbeiter der Firma W und die Mitarbeiter der
Krankenhaus S G , deren Arbeitsverhältnisse später auf die Beteiligte zu 10.
übergeleitet wurden, nämlich keinen einheitlichen Betrieb.
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1. Ein Betrieb ist eine strukturierte, organisatorische Einheit mit einer bestimmten
Leitungsstruktur. Die Arbeitnehmer der Firma M waren jedoch bis zur Gründung
der Beteiligten zu 10. in die Organisationsstruktur ihrer eigenen Firma
eingebunden. Das gleiche gilt für die Arbeitnehmer der Firma W und für die
Arbeitnehmer der Krankenhaus S G . Auch betriebsverfassungsrechtlich waren
diese Arbeitnehmer unterschiedlich zugeordnet. So war für die Mitarbeiter der
Krankenhaus S G der dort errichtete Betriebsrat zuständig, die Mitarbeiter der
Firma W gehörten zum Zuständigkeitsbereich des für alle Beschäftigten dieser
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Firma, auch soweit sie an gänzlich anderen Einsatzorten tätig waren, gewählten
Betriebsrats, während bei der Firma M kein Betriebsrat bestand. Erst im Zuge der
Gründung des Unternehmens der Beteiligten zu 10. wurde eine organisatorisch
vereinheitlichte Betriebsstruktur geschaffen, die die verschiedenen nicht-
medizinischen Dienstleistungszweige organisatorisch zusammenführte. Auch
entstand eine vereinheitlichte Leitungsstruktur für diesen Dienstleistungsbetrieb,
an deren Spitze die Geschäftsführung der Beteiligten zu 10. stand und steht. Es
handelt sich somit nicht um den Fall eines Betriebsübergangs, bei dem ein
bestehender Betrieb lediglich auf einen neuen Arbeitgeber übergeht, sondern um
die erstmalige Errichtung einer neuen Betriebsorganisation, die in dieser Identität
vorher nicht bestanden hat.
1. Es ist nach dem Sachvortrag der Beteiligten auch nicht ersichtlich, dass vor der
Gründung der Beteiligten zu 10. die im Krankenhaus S eingesetzten Mitarbeiter
der Firma M , der Firma W und der Krankenhaus S G , soweit sie später auf die
Beteiligte zu 10. als Arbeitnehmer übergegangen sind, je für sich eigene
Teilbetriebe gebildet hätten. So waren beispielsweise die Mitarbeiter der Firma M
in ganz verschiedenen Bereichen des Krankenhauses tätig, nämlich z.B. im
Reinigungsdienst einerseits, in der Spülküche andererseits. Selbst wenn sich aber
mehrere verstreut nebeneinander existierende Betriebe organisatorisch zu einem
neuen Betrieb umstrukturieren und zusammenschließen, liegt dennoch eine
Neuerrichtung im Sinne von § 8 Abs. 2 BetrVG vor, da die früheren Teilbetriebe mit
dem Zusammenschluss ihre Identität verlieren und in der anders strukturierten
Identität der neuen Organisationseinheit aufgehen (Fitting/Kaiser/Heither/Engels,
BetrVG, 21. Auflage, § 8 Rdnr. 61).
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1. Die unberechtigte Zurückweisung der Liste mit der Kandidatin A war nicht nur
geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen, sondern sie hat es tatsächlich
beeinflusst. Bei der Betriebsratswahl vom 21.12.2001 wurden nämlich mit den
Kandidatinnen C und M zwei Belegschaftsmitglieder in den Betriebsrat gewählt,
die auf der am 22.11.2001 eingereichten und richtigerweise gültigen
Vorschlagsliste nicht aufgeführt waren. Hätte der Wahlvorstand korrekt gehandelt
und die erste Liste zur Wahl zugelassen, hätten die Kandidatinnen C und M nicht
gewählt werden können. Hinzu kommt, das die von der Wahl ausgeschlossene
Kandidatin A möglicherweise gewählt worden wäre, wenn ihre Kandidatur
zugelassen worden wäre.
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1. Da somit bereits die Nichtzulassung der Kandidatin A die Anfechtung der
Betriebsratswahl vom 21.12.2001 rechtfertigt, kommt es auf die diversen weiteren
von der antragstellenden Gewerkschaft angeführten möglichen
Anfechtungsgründe nicht an. Auf sie braucht daher nicht weiter eingegangen zu
werden.
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Da das Arbeitsgericht die Betriebsratswahl zu Recht für ungültig erklärt hat, konnten die
Beschwerden der Beteiligten zu 2. - 10. keinen Erfolg haben.
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1. Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht
ersichtlich.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
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Gegen diesen Beschluss ist ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben. Auf den
Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingewiesen.
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(Dr. Czinczoll) (Zerlett) (Wollersheim)
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