Urteil des LAG Köln vom 22.10.2001

LArbG Köln: geschäftsführer, betriebsrat, ermächtigung, verfügungsbefugnis, entlassung, gehalt, arbeitsgericht, eigenschaft, zugang, vereitelung

Landesarbeitsgericht Köln, 2 Sa 206/01
Datum:
22.10.2001
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Sa 206/01
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, 5 Ca 403/00
Schlagworte:
Insolvenzeröffnungsverfahren, Nachteilsausgleich, Betriebsschließung,
Masseforderung
Normen:
§ 113 BetrVG; § 55 InsO
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Beschließen der vorläufige Insolvenzverwalter und der
Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin im
Insolvenzeröffnungsverfahren die vollständige Betriebsstilllegung, so
sind die daraufhin ausgesprochenen Kündigungen nicht deshalb
unwirksam, weil der Geschäftsführer den geheimen Vorbehalt hegte,
unter Entwendung eines Teils der Betriebsmittel eine Betriebsabteilung
fortzuführen. 2. Eine Betriebsstilllegung löst dann den Anspruch aus §
113 BetrVG aus, wenn so viele Kündigungen ausgesprochen sind, dass
der Betrieb ohne Zustimmung der Belegschaft nicht mehr fortgeführt
werden kann und der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats nicht
mehr zur Betriebsfortführung führen könnte. 3. Der Anspruch aus § 113
BetrVG stellt eine Insolvenzforderung und keine Masseforderung dar,
wenn die Stilllegung des Betriebs vor Insolvenzeröffnung begonnen
wurde. 4. § 55 Abs. 2 InsO kommt auch nicht analog zur Anwendung,
wenn ein sog. schwacher Insolvenzverwalter mit partieller Ermächtigung
zur Alleinvertretung tatsächlich nicht alleine gehandelt hat, sondern die
Kündigungen vom Geschäftsführer mit Zustimmung des
Insolvenzverwalters ausgesprochen wurden.
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn
vom 27.09.2000 - 5 Ca 403/00 - teilweise aufgehoben, soweit der
Beklagte zur Zahlung verurteilt wurde. Im übrigen wird die Berufung des
Beklagten und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Klarstellend
wird der Tenor wie folgt neu gefasst: 1) Auf den Hilfsantrag der Klägerin
werden weitere 26.689,30 DM als Nachteilsausgleichsanspruch gem. §
113 BetrVG zur Insolvenztabelle festgestellt. 2) Im übrigen wird die
Klage abgewiesen. 3) Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt
die Klägerin zu 12/13, der Beklagte zu 1/13. Die Kosten des
Berufungsverfahrens trägt die Klägerin. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer der Klägerin am 27.01.2000 durch den
Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin mit Zustimmung des Insolvenzverwalters
ausgesprochenen betriebsbedingten fristgerechten Kündigung, um die Wirksamkeit
einer weiteren, der Klägerin am 14.02.2000, durch den Insolvenzverwalter
ausgesprochenen Kündigung mit dreimonatiger Kündigungsfrist sowie um die Frage, ob
es sich bei einem dem Grunde nach unstreitigen, aus § 113 BetrVG hergeleiteten
Anspruch der Klägerin auf Nachteilsausgleich um eine Insolvenzforderung oder eine
Masseforderung handelt. Zusätzlich ist die Höhe dieses Anspruchs, soweit er 17.792,70
DM überschreitet zwischen den Parteien streitig.
2
Die Klägerin, 50 Jahre alt, war seit dem 15.09.1980 Arbeitnehmerin der Beklagten. Ihr
durchschnittliches Bruttomonatseinkommen betrug zuletzt 2.965,45 DM.
3
Ende 1999 wurde das Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der
Gemeinschuldnerin, deren Insolvenzverwalter der jetzige Beklagte ist, eingeleitet. Mit
Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 17.11.1999 ( AZ: 99 IN 154/99) wurde der
Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. In dem Beschluss wurde
einerseits angeordnet, dass die Gemeinschuldnerin nur noch mit Zustimmung des
vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam über ihr Vermögen verfügen kann (§ 21 Abs. 2
Nr. 2, 2.Alt. InsO). Dem Beklagten als vorläufigem Insolvenzverwalter wurde
ausdrücklich nicht die Rechtsstellung nach § 22 InsO eingeräumt. Allerdings wurde er
ermächtigt, auch allein mit rechtlicher Wirkung für die Gemeinschuldnerin zu handeln,
wobei er verpflichtet wurde, von dieser Ermächtigung nur in dringend erforderlichen
Fällen Gebrauch zu machen.
4
Am 18.01.2000 beschlossen der Geschäftsführer der Schuldnerin und der Beklagte als
deren vorläufiger Insolvenzverwalter die Betriebsstilllegung. Hiervon wurde der
Betriebsrat am darauffolgenden Tag unterrichtet. Ein Interessenausgleich mit dem
Betriebsrat konnte nicht erzielt werden. Der Betriebsrat unterlag auch in einem
arbeitsgerichtlichen Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit dem der
drohende Ausspruch der Kündigungen verhindert werden sollte. Mit Schreiben vom
27.01.2000 wurde der Klägerin wie auch den weiteren Mitarbeitern, deren Kündigung
keinem Zustimmungsvorbehalt unterlag, die Kündigung durch die Gemeinschuldnerin
mit Zustimmung des Beklagten ausgesprochen. Vorangegangen war eine schriftliche
Kündigungsanhörung des Betriebsrats. Am 01.02.2000 wurde das Insolvenzverfahren
eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der
Gemeinschuldnerin bestellt. In dieser Eigenschaft kündigte der Beklagte das
Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14.02.2000 erneut, nachdem er bezugnehmend auf
die Betriebsratsanhörung von Januar 2000 den Betriebsrat erneut hierzu angehört hatte.
5
Nach der Insolvenzeröffnung einigten sich der Betriebsrat und der Beklagte auf einen
Sozialplan. Derzeit ist das Verfahren nicht massearm. Auf die Insolvenzforderungen
können voraussichtlich 10 % geleistet werden.
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Der Betrieb ist zwischenzeitlich vollständig stillgelegt worden. Nach der Stilllegung der
Verwaltungsabteilung zum 31.05.2000 fand keine betriebliche Tätigkeit mehr statt.
7
Am 28.01.2000, noch vor Insolvenzeröffnung, versuchte der Geschäftsführer der
Beklagten ohne Kenntnis und Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters die
gesamte Sommerkollektion in seinen Kleinlaster zu verladen und aus dem Betrieb
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fortzuschaffen. Dieses wurde verhindert.
Die Klägerin hält die Kündigung vom 27.01.2000 für unwirksam, da tatsächlich nicht
eine vollständige Stilllegung des Betriebes beabsichtigt gewesen sei. Vielmehr habe
der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin vorgehabt, wenigstens die Musterabteilung
weiterzubetreiben. Er habe die Mitarbeiterinnen G , H , R und R sowohl vor als auch
nach dem 27.01.2000 angesprochen und ausdrücklich erklärt, er werde die
Musterabteilung selbst fortführen und die hierfür erforderlichen Maschinen aus der
Insolvenzmasse erwerben. Die Mitarbeiterinnen sollten mitteilen, welche Maschinen für
ihre Arbeit notwendig seien. Der Geschäftsführer habe geplant gehabt, hierfür entweder
eine Betriebsstätte im Kreis E zu suchen oder auf seinem Privatgrundstück in B M tätig
zu werden.
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Hieraus folge nicht nur, dass es einerseits an einem wirksamen Entschluss zur
Betriebsstilllegung fehle, sondern auch, dass die Kündigung unwirksam sei, weil
nunmehr tatsächlich eine Sozialauswahl hätte vorgenommen werden müssen und dass
die Kündigung wegen Fehlinformation des Betriebsrates unwirksam sei.
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Die weitere Kündigung vom 14.02.2000 hält die Klägerin ebenfalls wegen fehlerhafter
Betriebsratsanhörung für unwirksam. Denn bei dieser Kündigung sei nur auf die dem
Betriebsrat zur ursprünglichen Kündigung vorgelegten Unterlagen und den
seinerzeitigen Stilllegungsbeschluss verwiesen worden. Wenn bei der ersten
Kündigung ein Stilllegungsbeschluss jedoch nicht existiert habe, sei auch die zweite
Betriebsratsanhörung fehlerhaft.
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Die Klägerin hält darüber hinaus den dem Grunde nach unstreitigen Anspruch aus §
113 BetrVG für eine Masseforderung im Sinne des § 55 Abs. 2 InsO.
12
Wenn das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Insolvenzverwalters beendet
werde, so handele es sich um eine Masseforderung, da diese Kündigung erst nach
Insolvenzeröffnung ausgesprochen wurde. Auch im Falle der Wirksamkeit der ersten
Kündigung handele es sich um eine Masseforderung, da das Arbeitsverhältnis erst nach
Insolvenzeröffnung ende und unter Entlassung im Sinne des § 113 BetrVG die
Einstellung der Arbeit anzusehen sei. Selbst wenn man dieser Argumentation nicht
folge, sei jedenfalls wegen der im Bestellungsbeschluss des Amtsgerichts Bonn vom
17.11.1999 enthaltenen Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur
alleinigen Handlung für die Schuldnerin in dringenden Fällen § 55 Abs. 2 InsO analog
anzuwenden, so dass es sich auch aus diesem Grunde bei der
Nachteilsausgleichforderung um eine Masseverbindlichkeit handeln müsse.
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Hinsichtlich der Höhe der Nachteilsausgleichsforderung setzt die Klägerin für jedes
Beschäftigungsjahr ein Bruttogehalt an, begrenzt durch die Höchstbetragsregelung aus
§ 10 KSchG.
14
Die Klägerin hat beantragt festzustellen,
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1. dass das zwischen den Parteien seit dem 15.09.1980 bestehende
Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der K . S G vom 27.01.2000, zugegangen
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am selben Tage, nicht aufgelöst wurde oder wird
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien seit dem 15.09.1980 bestehende
Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 14.02.2000 nicht aufgelöst wurde oder
wird
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1. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu 1) und 2) den
Beklagten zu verurteilen, an sie eine Abfindung in Höhe von 44.482,00 DM nebst
4 % Zinsen seit 25.05.2000 zu zahlen
18
1. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu 1) bis 3) die
Nachteilsausgleichs-forderung der Klägerin in Höhe von 44.482,00 DM als
Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO zur Insolvenztabelle festzustellen.
19
Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
21
Er hat hinsichtlich der Kündigungen behauptet, der Geschäftsführer der
Gemeinschuldnerin habe als Angestellter eines Dritten ein Beschäftigungs-angebot
gehabt und in diesem Rahmen die Mitarbeiterinnen lediglich darauf angesprochen, ob
sie bereit seien, zu diesem Dritten ins Arbeitsverhältnis zu wechseln. Auch diese Pläne
hätten sich aber zerschlagen. Zudem seien sie dem Beklagten nicht zuzurechnen, da er
hiervon keine Kenntnis gehabt habe und den Aktivitäten nicht zugestimmt habe, wie
sich schon aus dem Versuch der heimlichen Entwendung der Musterkollektion ergebe.
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Hinsichtlich der Nachteilsausgleichsforderung ist der Beklagte der Ansicht, dass es sich
um eine Insolvenzforderung handele, da die Betriebs-schließung vor Insolvenzeröffnung
beschlossen worden sei und die Kündigungen ebenfalls vor Insolvenzeröffnung
ausgesprochen worden seien. Für eine Analogie des § 55 Abs. 2 InsO sei kein Raum,
da der Gesetzgeber hier ausdrücklich nur den sogenannten "starken"
Insolvenzverwalter gemeint habe. Hinsichtlich der Höhe des
Nachteilsausgleichsanspruchs hielt er zunächst ein Bruttomonatsgehalt wegen der
Unabweisbarkeit der Betriebsstilllegung für angemessen.
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Das Arbeitsgericht Bonn hat durch Urteil vom 27.09.2000 die
Nachteilsausgleichsforderung der Klägerin im Rahmen des geltend gemachten
Höchstbetrages als Masseforderung nebst Zinsen zugesprochen und die Klage im
Übrigen abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin soweit das Urteil sie beschwert in
vollem Umfang Berufung eingelegt. Der Beklagte hat zwischenzeitlich eine
Nachteilsausgleichsforderung in Höhe von 6 Brutto-monatsvergütungen zur
Insolvenztabelle festgestellt und hinsichtlich der darüber hinaus gehenden Verurteilung
zur Zahlung Berufung eingelegt.
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Die Klägerin beantragt unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom
27.09.2000 - 5 Ca 403/00 -,
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1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch
die Kündigung der K . S G vom 27.01.2000, Zugang am selben Tage, nicht
aufgelöst wurde oder wird
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1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch
die Kündigung vom 14.02.2000 nicht aufgelöst wurde oder wird
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Er beantragt,
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unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 27.09.2000 - 5
Ca 403/00 - die Klage auch insoweit abzuweisen, als ein Nachteils-ausgleich von
insgesamt mehr als 17.792,70 DM zur Insolvenztabelle festgestellt wird.
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Die Klägerin beantragt insoweit,
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die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
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Beide Parteien wiederholen ihren streitigen Vortrag zur Kündigung und vertiefen ihre
Rechtsansichten.
34
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die fristgerechten und im Übrigen zulässigen Berufungen beider Parteien sind nur
soweit es die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung angeht begründet, im Übrigen
nicht begründet.
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Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung vom 14.02.2000 zum 31.05.2000 beendet
worden, da diese Kündigung sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 des auf das
Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes ist. Dabei war
die Kündigung vom 14.02.2000 der Kündigung vom 27.01.2000 insoweit vorgreiflich, als
aufgrund von § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO das Arbeitsverhältnis mit kürzerer Frist beendet
werden konnte, als durch die zuvor vom Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin
ausgesprochene Kündigung.
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Da die Kündigung vom 14.02.2000 nach Insolvenzeröffnung ausgesprochen wurde,
kommt es für die Überprüfung, ob eine unternehmerische Entscheidung, den gesamten
Betrieb stillzulegen tatsächlich gegeben ist, ausschließlich darauf an, ob zum Zeitpunkt
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der Kündigung der ernstliche und endgültige Entschluss des Beklagten, die Betriebs-
und Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Dauer
aufzuheben, vor lag (vgl. BAG vom 18.01.2001 - 2 AZR 167/00 - EzA Schnelldienst
2001 Nr. 13 S. 6). Der Beklagte war bereits in seiner Eigenschaft als vorläufiger
Insolvenzverwalter bei Auswertung der betrieblichen Gegebenheiten zu dem Ergebnis
gelangt, dass der Betrieb nicht wirtschaftlich erfolgreich fortgeführt werden könne. Aus
diesem Grunde hat er bereits vor Insolvenzeröffnung von dem Geschäftsführer der
Gemeinschuldnerin den Ausspruch der Kündigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse
verlangt und den tatsächlich durchgeführten Kündigungen zugestimmt. Auch ist nichts
dafür vorgetragen, dass der Beklagte zu irgendeinem späteren Zeitpunkt noch
Rechtsgeschäfte abgeschlossen hätte, die auf einen Fortbestand des Unternehmens
zielten. Vielmehr ist die Gemeinschuldnerin nicht mehr werbend am Markt tätig
gewesen. Irgendwelche Rechtsgeschäfte, die nicht der Liquidation gedient hätten,
wurden auch seitens der Klägerin nicht vorgetragen. Tatsächlich wurde die Stilllegung
so wie vom Beklagten geplant auch durchgeführt. Bei Zugang der Kündigung war damit
hinreichend sicher, dass das Bedürfnis für die Beschäftigung der Klägerin mit Ablauf der
Kündigungsfrist entfallen sein wird.
Damit ist auch die hinsichtlich der Kündigung vom 14.02.2000 durchgeführte
Betriebsratsanhörung zutreffend erfolgt. Denn dem Betriebsrat ist unabhängig davon,
dass der Arbeitgeber nur zur subjektiv richtigen Mitteilung des Kündigungssachverhalts
verpflichtet ist, der für die Kündigungserklärung vom 14.02.2000 objektiv richtige
Tatbestand der Betriebsstilllegung als Kündigungsgrund mitgeteilt worden.
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Aufgrund der Wirksamkeit der Kündigung vom 14.02.2000 ist die Kündigung vom
27.01.2000 überholt. Der hiergegen gerichtete Kündigungsschutzantrag geht ins Leere.
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Der Klägerin steht der dem Grunde nach unstreitige Nachteilsausgleichsanspruch aus §
113 BetrVG nicht als Masseforderung, sondern lediglich als einfache
Insolvenzforderung nach § 38 InsO zu.
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Maßgeblich für die Abgrenzung, ob ein Nachteilsausgleichsanspruch aus § 113 Abs. 3
BetrVG Masseforderung oder Insolvenzforderung ist, ist die Frage, ob die Klägerin zur
Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits einen begründeten
Vermögensanspruch an die Gemeinschuldnerin hatte. Für das Vorliegen eines solchen
Anspruchs ist es ausreichend, wenn der Rechtsgrund für die Entstehung bereits vor
Insolvenzeröffnung gelegt wurde, ob der Anspruch in diesem Zeitpunkt bereits fällig ist,
ist ohne Bedeutung (vgl. BAG vom 03.04.1990 - 1 AZR 150/89 - AP-Nr. 20 zu § 113
BetrVG 1972).
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Die erkennende Kammer folgt dem Bundesarbeitsgericht auch dahingehend, dass die
Grundlage für den Nachteilsausgleichsanspruch bereits dann gelegt ist, wenn mit der
Betriebsänderung ohne zuvor versuchten Interessenausgleich begonnen wurde und
damit das betriebsverfassungs-widrige Vorgehen des Arbeitgebers feststeht. Denn §
113 BetrVG ist die Sanktion dafür, dass der Arbeitgeber den Verhandlungsanspruch des
Betriebsrates vereitelt. Die Entlassung einzelner Arbeitnehmer im Sinne des
Ausspruchs der Kündigung kann dabei auch erst nach Insolvenzeröffnung
vorgenommen werden. Denn ausgehend von dem Zweck des § 113 BetrVG ist der
Verhandlungsanspruch des Betriebsrates dann zunichte gemacht, wenn bereits so viele
Kündigungen zugegangen sind, dass der Arbeitgeber die geplante Betriebsstilllegung
nicht mehr einseitig rückgängig machen kann. Aus der Sicht des Betriebsrates werden
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Verhandlungen mit dem Arbeitgeber dann sinnlos, wenn dieser bereits in der Weise
Fakten geschaffen hat, dass er die Planungshoheit über die Stilllegung oder Fortführung
des Betriebes verloren hat. Das ist der Fall, wenn der Arbeitgeber als
Verhandlungspartner ein mögliches Ergebnis, welches auf Fortsetzung des Betriebes
lauten würde, nicht mehr alleine umsetzen kann, weil er hierzu der Zustimmung aller
bereits gekündigten Arbeitnehmer bedürfte.
Aus den vorgenannten Urteil des Bundesarbeitsgerichts sowie aus dem Urteil vom
23.08.1988 - 1 AZR 276/87 - NZA 1989 Seite 31 ergibt sich zudem auch, dass das
Bundesarbeitsgericht den Tatbestand der Entlassung im Sinne des § 113 BetrVG nicht
mit dem letzten Verlassen des Betriebsgeländes gleichsetzt, sondern unter diesen
Begriff sowohl die arbeitgeberseitige als auch die Arbeitnehmerkündigung und den
Aufhebungsvertrag subsumiert.
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Danach ergibt sich, dass die geplante Betriebsstilllegung bereits mit dem 27.01.2000,
dem Tag, an dem durch den Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin alle nicht
zustimmungsbedürftigen Kündigungen ausgesprochen wurden, begonnen wurde. Nach
diesem Datum war der Verhandlungsanspruch des Betriebsrates vereitelt, da ein
anderes Ergebnis als die Betriebsstilllegung vom Arbeitgeber nicht mehr einseitig
betrieblich umgesetzt werden konnte. Demgegenüber ist die Entlassung der Klägerin im
Sinne des Ausspruchs der letztendlich ihr Arbeitsverhältnis beendenden Kündigung
vom 14.02.2000 für die Begründung des Anspruchs als Insolvenzforderung nicht mehr
maßgeblich. Es handelt sich insoweit lediglich um den noch erforderlichen
Schadenseintritt, der zu der Vereitelung des Verhandlungsanspruchs des Betriebsrates
hinzutreten muss. Dieser Schadenseintritt kann, wie das Bundesarbeitsgericht in der
Entscheidung vom 03.04.1990 ausgeführt hat, auch erst nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens liegen.
45
Die Nachteilsausgleichsforderung aus § 113 BetrVG ist auch nicht deshalb als
Masseforderung zu behandeln, weil es sich um eine Verbindlichkeit im Sinne des § 55
Abs. 2 InsO handeln würde. Aus dem Beschluss des Amtsgerichts Bonn (99 IN 155/99)
vom 17.11.1999 ergibt sich, dass der Beklagte gerade nicht als sogenannter "starker"
vorläufiger Insolvenzverwalter im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 2 erste Alternative
eingesetzt wurde. Zwar ist der Wortlaut des § 55 Abs. 2 InsO (Verfügungsbefugnis
übergegangen) und derjenige des § 21 Abs. 2 Nr. 2 erste Alternative (Allgemeines
Verfügungsverbot auferlegt) nicht identisch. Allerdings ergibt sich aus § 22 Abs.1 InsO,
dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nur dann auf den vorläufigen
Insolvenzverwalter übergeht, wenn ein Verfügungsverbot für den Schuldner angeordnet
wurde. Daneben kann das Gericht Einzelanordnungen nach § 22 Abs. 2 InsO treffen, die
nicht zum Übergang der Verfügungsbefugnis führen. Damit ergibt sich, dass bei
unmittelbarer Anwendung des § 55 Abs.2 S.1 InsO vorliegend keine
Masseverbindlichkeiten entstanden sind, da die Verfügungsbefugnis nicht durch Erlass
eines allgemeinen Verfügungsverbots übergegangen war.
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Vorliegend kann allerdings dahingestellt bleiben, ob auf eine im Einzelfall erteilte
Ermächtigung an den vorläufigen Insolvenzverwalter, in dringenden Fällen allein zu
handeln, während grundsätzlich lediglich Zustimmungsvorbehalt angeordnet ist, § 55
Abs.2 InsO zumindest analog angewandt werden kann. Insoweit wird eine analoge
Anwendung zumindest für den Fall in Erwägung gezogen, dass ein Insolvenzverwalter
mit partieller Ermächtigung an Stelle der Gemeinschuldnerin tätig geworden ist. ( Vergl.:
Spliedt, ZIP 2001 S.1941) Denn selbst bei einer analogen Anwendung des § 55 Abs.2
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InsO fehlt es hier jedenfalls an der Voraussetzung, dass der streitige Anspruch eine
Verbindlichkeit ist, die vom vorläufigen Insolvenzverwalter aufgrund der Ausübung der
ihm eingeräumten Ermächtigung, allein für die Gesamtschuldnerin zu handeln,
begründet worden ist. Denn die vor Insolvenzeröffnung ausgesprochenen, den
Nachteilsausgleich auslösenden Kündigungen sind durch den Geschäftsführer der
Gemeinschuldnerin lediglich mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters
ausgesprochen worden. Somit beruhen die Nachteilsausgleichsansprüche jedenfalls
nicht auf einem allein vom Insolvenzverwalter bestimmten Sachverhalt, sondern stellen
sich als solche im Rahmen des regulären Zustimmungsvorbehaltes dar. Bei dem
Beginn der Durchführung der Betriebsstilllegung durch Ausspruch der Kündigungen hat
der Beklagte in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter gerade nicht von
der Möglichkeit des Alleinhandelns im Rahmen des Beschlusses des Amtsgerichts
Bonn vom 17.11.1999 Gebrauch gemacht. Es bleibt damit bei dem Regelfall, dass die
Masse gerade nicht dadurch geschmälert werden soll, dass vor Insolvenzeröffnung
bereits Masseverbindlichkeiten begründet werden. Gerade die Tatsache, dass der
Gesetzgeber einerseits den Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Insolvenzverwalters
einführt, andererseits alle die aus diesen Geschäften regelmäßig herrührenden
Verpflichtungen gleichwohl einfache Insolvenzforderungen werden, belegt, dass es sich
bei § 55 Abs. 2 InsO um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handelt, die
allenfalls im Rahmen einer größtmöglichen Masseerhaltung ausgelegt werden kann. (
Spliedt, a.a.O.)
Durch die Aufhebung des Zahlungsausspruchs, ist der erstinstanzlich hilfsweise
gestellte Feststellungsantrag über die Höhe der Nachteilsaus-gleichsforderung als
Insolvenzforderung der erkennenden Kammer zur Entscheidung angefallen.
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Insoweit ist die Berufung des Beklagten ist teilweise unbegründet. Das Arbeitsgericht
hat zutreffend bei der Berechnung der Höhe des Nachteilsausgleichs berücksichtigt,
dass dieser zum einen Ersatz für den Verlust des Arbeitsplatzes als solchen bezweckt,
zum anderen die Komponente beinhaltet, dass eine fühlbare Sanktion für die
Vereitelung des Verhandlungsanspruchs des Betriebsrats erforderlich ist. Wenn das
Arbeitsgericht in diesem Fall unter Beachtung der Höchstgrenze des § 10 KSchG ein
ganzes Gehalt pro Beschäftigungsjahr festlegt, so wird diese Überlegung auch von der
erkennenden Kammer getragen. Berücksichtigung findet dabei, dass regelmäßig im
Kammerbezirk bereits der Verlust des Bestandes des Arbeitsverhältnis mit einem
halben Gehalt pro Beschäftigungsjahr bewertet wird. Die Aufstockung auf ein ganzes
Gehalt wegen der Sanktionsfunktion erscheint damit im Verhältnis angemessen. Zudem
ist zu berücksichtigen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter und jetzige Beklagte in
der sicheren Erwartung, dass es sich ohnehin später nur um eine quotenmäßig zu
befriedigende Insolvenzforderung handeln werde, den Verhandlungsanspruch des
Betriebsrates übergangen hat. Er hat dabei bewusst in Kauf genommen, dass der Wert
des zu realisierenden Nachteilsausgleichsanspruchs letztlich immer noch deutlich unter
den möglichen Ansprüchen liegt, die sich bei einer Verzögerung des
Kündigungsausspruchs zugunsten der Arbeitnehmer ergeben hätten.
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Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Kosten erster Instanz folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO
und berücksichtigt, dass der Beklagte zunächst nur ein Gehalt als Insolvenzforderung
anerkannt hat. Die Kosten des Berufungsverfahrens waren nach § 92 Abs.2 ZPO zu
verteilen, da gemessen an den jeweils mit den Berufungen verfolgten Prozesszielen, die
Zuvielforderung des Beklagten geringfügig war, da sie nach ihrem tatsächlich zu
realisierenden Wert unter einem zwanzigstel des Gesamtwerts lag.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
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Gegen dieses Urteil kann von beiden Parteien Revision eingelegt werden. Die Revision
muss innerhalb einer Notfrist (eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert
werden) von einem Monat nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt, eingelegt werden. Die
Revision ist gleichzeitig oder innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung schriftlich zu
begründen. Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei
einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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(Olesch) (Pohen) (Wittig)
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