Urteil des LAG Hessen vom 03.12.2010

LAG Frankfurt: befristung, höchstdauer, tarifvertrag, arbeitsgericht, gesetzesmaterialien, fristverlängerung, fristablauf, unternehmen, quelle, begriff

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
10. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 Sa 659/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 14 TzBfG
Anzahl der Verlängerungen, Höchstdauer
Leitsatz
§ 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG ist dahingehend auszulegen, dass durch Tarifvertrag die
Anzahl der Verlängerungen und die Höchstdauer der Befristung abweichend von Satz 1
festgelegt werden können.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main
vom 25. März 2010 – 3 Ca 9095/09 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund
Befristung beendet wurde.
Der zur Zeit der Klageerhebung 36jährige Kläger, welcher einem Kind gegenüber
unterhaltspflichtig ist, war bei der Beklagten, einem Unternehmen des Sach- und
Sicherheitsgewerbes, seit dem 03. April 2006 als Geld- und Werttransportfahrer zu
einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von zuletzt ca. 2.200,-- Euro
beschäftigt.
Der erste zwischen den Parteien am 24. März 2006 abgeschlossene Arbeitsvertrag
war befristet vom 03. April 2006 bis zum 02. April 2007. Der am 26. März 2007
abgeschlossene Folgearbeitsvertrag sah eine Fristverlängerung bis zum 02. April
2008, der am 19. März 2008 abgeschlossene Folgearbeitsvertrag eine
Fristverlängerung bis zum 02. April 2009 und der am 26. März 2009
abgeschlossene Folgearbeitsvertrag eine Befristung bis zum 02. Oktober 2009 vor.
Im Arbeitsvertrag war unter Ziffer 4. unter anderem vereinbart, dass der
Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe für die Bundesrepublik
Deutschland (im Folgenden: MTV) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete mit der letzten Befristung am 02.
Oktober 2009.
Mit am 23. Oktober 2009 bei Gericht eingegangener Klageschrift hat der Kläger
geltend gemacht, dass die Befristung seines Arbeitsvertrages rechtsunwirksam
sei.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Befristung des letzten Arbeitsvertrages
sei rechtsunwirksam, weil sie ohne Sachgrund erfolgt sei und die Höchstdauer des
§ 14 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz überschritten habe. Soweit § 2 Abs. 6
MTV eine Befristung ohne Grund für einen Zeitraum bis zu 42 Monaten bei einer
viermaligen Verlängerungsmöglichkeit vorsehe, verstieße diese tarifvertragliche
Regelung gegen § 14 Abs. 2 Satz 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz, da entweder
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Regelung gegen § 14 Abs. 2 Satz 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz, da entweder
die Anzahl der Befristungen oder die Höchstdauer der Befristung, nicht jedoch
beide Teilaspekte durch Tarifvertrag verlängerbar seien.
Der Kläger hat beantragt festzustellen,
dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht am 02.10.2009 aufgrund
der Befristung vom 26.03.2009 geendet hat.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, § 2 Abs. 6 MTV sei wirksam. Der
Gesetzesbegründung könne entnommen werden, dass sowohl die Anzahl der
Verlängerungen wie auch die Höchstdauer der Befristung durch Tarifvertrag
festgelegt werden könnten. Der Begriff „oder“ im Gesetzestext sei wie „und“ zu
lesen. Davon gehe auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus, wie
der Artikel vom 25. Mai 2009 (Blatt 36 bis 38 d. A.) belege.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 25. März 2010 – 3 Ca
9095/09 – die Klage abgewiesen. Es hat unter anderem ausgeführt, das
Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die Befristung vom 26. März 2009 zum 02.
Oktober 2009 beendet worden. Das Wort „oder“ werde sprachlich sowohl in der
Bedeutung „entweder/oder“ wie auch als „und/oder“ verstanden. Welche
Möglichkeit zutreffe, sei durch Auslegung des Gesetzestextes zu ermitteln. Aus
der Begründung zum Gesetzentwurf ergebe sich, dass durch Tarifvertrag von der
gesetzlichen Höchstbefristungsdauer und der Höchstzahl der Verlängerungen
ohne sachlichen Grund abgewichen werden dürfe. Damit habe der Gesetzgeber zu
erkennen gegeben, dass das Wort „oder“ im Sinn von „sowohl/als auch“ zu
verstehen sei. Da die Beklagte die tariflichen Vorgaben eingehalten habe, sei das
Arbeitsverhältnis durch Fristablauf beendet worden.
Dieses Urteil ist dem Kläger am 09. April 2010 zugestellt worden. Die Berufung des
Klägers ist am 03. Mai 2010 und die Berufungsbegründung nach rechtzeitiger
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 09. Juli 2010 am selben Tag
bei Gericht eingegangen.
Der Kläger wendet sich gegen das erstinstanzliche Urteil und ist der Ansicht, der
Wortlaut von § 4 Abs. 2 Satz 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz sei eindeutig und
das Wort „oder“ als Alternative „entweder/oder“ zu verstehen. Das ergebe sich
auch aus der Systematik. In § 14 Abs. 2 Satz 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz
seien zwei Grenzen für vereinbarte Befristungen angeführt, sodass das Wort
„oder“ in Satz 3 nur als „entweder/oder“ verstanden werden könne. Der Zweck
der Norm bestehe gerade darin, keine grenzenlose Tariföffnung durch Satz 3 zu
ermöglichen. Die Gesetzesmaterialien sprächen nicht gegen diese Auslegung, da
sie nicht eindeutig seien.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom
25.03.2010 – 3 Ca 9095/09 – festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen
den Parteien nicht am 02.10.2009 aufgrund der Befristung vom 26.03.2009
geendet hat.
Die Beklagte beantragt,
Die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Das Wort „oder“ habe sowohl
die Bedeutung der logischen Verknüpfung „aut; entweder/oder“ als auch die
Bedeutung des „vel;und/oder“. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich
eindeutig, dass sowohl die Anzahl von zulässigen Verlängerungen wie auch die
Höchstbefristungsdauer eines befristeten Arbeitsvertrages durch Tarifvertrag
abweichend vom Teilzeit- und Befristungsgesetz geregelt werden könnten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den Inhalt der
Berufungsschriftsätze Bezug genommen.
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Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main
ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft. Der Kläger hat sie auch
form- und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO.
In der Sache hat die Berufung des Klägers keinen Erfolg, denn das
Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch Fristablauf zum 02. Oktober 2009 beendet
worden. Das hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt.
Der Kläger hat die Rechtsunwirksamkeit der Befristung mit der am 23. Oktober
2009 bei Gericht eingegangenen, der Beklagten am 02. November 2009
zugestellten Klageschrift rechtzeitig geltend gemacht, § 17 Satz 1 Teilzeit- und
Befristungsgesetz. Im Rahmen der Kontrolle der Wirksamkeit einer Befristung
kommt es grundsätzlich auf den letzten befristeten Arbeitsvertrag an.
Der am 26. März 2009 von den Parteien abgeschlossene, bis zum 02. Oktober
2009 befristete Arbeitsvertrag ist wirksam. Zwar erfüllt dieser Arbeitsvertrag nicht
die Voraussetzungen von § 14 Abs. 2 Satz 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz, wohl
aber die Voraussetzungen von § 2 Abs. 6 Satz 1 und 2 MTV. Danach ist die
kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen
Grundes bis zur Dauer von 42 Monaten und bis zu dieser Gesamtdauer die
höchstens viermalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten
Arbeitsvertrages zulässig. Der Verlängerungsvertrag vom 26. März 2009 liegt im
Rahmen dieser tariflichen Vorgaben.
Die Regelungen in § 2 Abs. 6 Satz 1 und 2 MTV sind wirksam. Gemäß § 14 Abs. 2
Satz 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz kann durch Tarifvertrag die Anzahl der
Verlängerungen oder die Höchstdauer der Befristung abweichend von Satz 1
festgelegt werden. Von dieser gesetzlichen Ermächtigung haben die
Tarifvertragsparteien Gebrauch gemacht.
Nach der missverständlichen Formulierung des Gesetzes kann die Anzahl der
Verlängerungen oder die Höchstdauer der Befristung abweichend vom Gesetz
festgelegt werden. Durch diese Formulierung kann der Eindruck entstehen, dass
der Gesetzgeber eine tarifvertragliche Verschlechterung nur alternativ
(entweder/oder) zulassen wollte, ohne dass diese Auslegung eindeutig ist
(KR/Lipke, 9. Aufl. 2009, § 14 Teilzeitbefristungsgesetz Rn. 434). Zu Recht ist
deshalb das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass das Gesetz auszulegen ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist bei der Auslegung von Gesetzen
zunächst vom Gesetzeswortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der
Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht
eindeutigen Gesetzeswortlaut ist der wirkliche Wille des Gesetzgebers zu
berücksichtigen, soweit er im Gesetz seinen Niederschlag gefunden hat.
Abzustellen ist stets auf den gesetzlichen Gesamtzusammenhang, weil dieser
Anhaltspunkte für den wirklichen Willen des Gesetzgebers liefern und nur so der
Sinn und Zweck des Gesetzes zutreffend ermittelt werden kann. Werden auf diese
Weise keine zweifelsfreien Auslegungsergebnisse erzielt, dann können die Gerichte
für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie etwa die
Entstehungsgeschichte hinzuziehen (BAG 06.07.2006 – 2 AZR 587/05 – NZA 2007,
167).
Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich deutlich, dass die tarifliche
Öffnungsklausel darauf abzielt, branchenspezifische Lösungen zu erleichtern.
Deshalb sollen tarifvertraglich eine andere (höhere oder niedrigere) Anzahl von
zulässigen Verlängerungen sowie zusätzlich eine andere (kürzere oder längere)
Höchstbefristungsdauer eines befristeten Arbeitsvertrages ohne Rechtsgrund
festgelegt werden können. Anhand des „sowie“ in der Gesetzesbegründung wird
klar, dass das Gesetz den Tarifvertragsparteien verschlechternde Regelungen
sowohl hinsichtlich der Anzahl der zulässigen Verlängerungen als auch hinsichtlich
der Höchstbefristungsdauer kumulativ zugestehen will (KR/Lipke § 14 TZBFG Rn.
434; Erfurter Kommentar/Müller-Glöge 8. Aufl. 2008 § 14 TZBFG Rn. 101;
APS/Backhaus 3. Aufl. 2007 § 14 TZBFG Rn. 403; KDZ/Däubler 7. Aufl. 2008 § 14
TZBFG Rn. 147, 170; HaKo-Mestwerdt 3. Aufl. 2007 § 14 TZBFG Rn. 180;
Laux/Schlachter Teilzeit- und Befristungsgesetz 2007 § 14 Rn. 102; Arnold/Gräfl
Teilzeit- und Befristungsgesetz 2005 § 14 Rn. 235).
Der Kläger trägt die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels, § 97
Abs. 1 ZPO.
Die Revision wird gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.