Urteil des LAG Hessen vom 01.01.2004

LAG Frankfurt: betriebsrat, verfassungskonforme auslegung, klagefrist, anhörung, arbeitsgericht, baustelle, geschäftsführer, zugang, ausnahme, rückwirkung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
6. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 Sa 2287/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 4 KSchG
(Klagefrist des § 4 KSchG nF für vor dem 01.01.2004
zugegangene Kündigungen)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Frankfurt am Main vom 14. Oktober 2004 – 3 Ca 2508/04 – wird
kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.
Der am 26. November 1948 geborene und geschiedene Kläger war seit dem 01.
Juli 1993 als Diplom-Ingenieur in der Niederlassung A der Beklagten beschäftigt.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 19.
November 2003, dem Kläger zugegangen am 19. November 2003, zum 31. März
2004. Gegen diese Kündigung wandte sich der Kläger mit einer beim Arbeitsgericht
am 15. März 2004 eingegangenen Klage. Der Kläger rügt die ordnungsgemäße
Anhörung des Betriebsrats.
Das schriftliche Anhörungsschreiben an den Betriebsrat lautet dabei wie folgt:
"Mitteilung an den Betriebsrat
im Hause
B, den 12. November 2003
Mitarbeiter C
Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2004
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir bitten um Kenntnisnahme, dass wir beabsichtigen, das Arbeitsverhältnis
mit Herrn C zum 31.03.2004 zu kündigen, da die Baustelle in D aufgelöst wird und
es keine weitere Einsatzmöglichkeit für Herrn C gibt.
Die vertragliche Regelung lässt eine Kündigung zu diesem Zeitpunkt zu. X
Mit freundlichen Grüßen
E
gez. Unterschrift
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erl. 13.11.2003 gez. Unterschrift
X nachgefragt: Einstellung 1.7.93
Kündigungsfrist 4 Monate,
d. h. schriftl. Kündigung bis
spätestens 30.11.2003"
Der Kläger hat in erster Instanz neben dem Kündigungsschutzantrag und dem
Weiterbeschäftigungsantrag Annahmeverzugslohn geltend gemacht für die Zeit
vom 01. April 2004 bis zum 31. August 2004 und die Erteilung eines Zeugnisses
begehrt.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 14. Oktober 2004 die Beklagte verurteilt,
dem Kläger ein wohlwollendes qualifiziertes Zeugnis zu erteilen und im Übrigen die
Klage abgewiesen. Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien, der dort
gestellten Anträge sowie der Erwägungen des Arbeitsgerichts wird auf Tatbestand
und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger innerhalb der zur Niederschrift über die
Berufungsverhandlung am 06. Juli 2005 festgestellten und dort ersichtlichen
Fristen Berufung eingelegt. Der Kläger rügt weiter die ordnungsgemäße Anhörung
des Betriebsrats.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 14. Oktober 2004 – 3 Ca
2508/04 – abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien
durch die Kündigung vom 19. November 2003, Zugang am gleichen Tage, nicht
aufgelöst worden ist, sondern unverändert fortbesteht.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte beruft sich – wie schon erstinstanzlich – darauf, dass der Kläger die
seit dem 01.01.2004 für alle Unwirksamkeitsgründe maßgebliche Klagefrist des
neuen § 4 KSchG versäumt habe, die nach Ansicht der Beklagten mit dem
01.01.2004 zu Laufen begonnen hat und mit Ablauf des 21.01.2004 geendet habe.
Die Beklagte trägt weiter ergänzend zur Betriebsratsanhörung vor, dass der
Betriebsrat über die Gründe der Kündigung – nämlich die Schließung der Baustelle
in D sowie die Schließung des dazugehörigen Baubüros, verbunden mit dem
Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers – erschöpfend bereits zu Beginn des
Anhörungsverfahrens unterrichtet worden sei. Die Sozialdaten des Klägers seien
dem Betriebsrat in Person des Betriebsratsvorsitzenden bekannt gewesen. Der
Betriebsrat, handelnd durch den Betriebsratsvorsitzenden, habe auch vor Ablauf
der Wochenfrist am Vormittag des 17. November 2003 dem Geschäftsführer der
Beklagten mitgeteilt, dass der Betriebsrat gegen die Kündigung des Klägers keine
Bedenken habe. In diesem Gespräch habe der Betriebsratsvorsitzende dem
Geschäftsführer der Beklagten versichert, dass das Anhörungsverfahren für den
Betriebsrat abgeschlossen sei und es einer weiteren Erörterung nicht bedürfe; der
Betriebsrat habe hinsichtlich der Kündigung keinerlei Bedenken.
Wegen der weiteren Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens der Parteien in der
Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main
vom 14. Oktober 2004 – 3 Ca 2308/04 – ist statthaft und außerdem form- und
fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 64
Abs. 1, Abs. 2 b, 66 ArbGG, 517, 519 ZPO).
In der Sache ist die Berufung des Klägers jedoch erfolglos. Das Arbeitsgericht hat
zu Recht die Kündigungsschutzklage des Klägers abgewiesen.
Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien gilt nach § 7 KSchG nicht nur
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Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien gilt nach § 7 KSchG nicht nur
hinsichtlich der sozialen Rechtfertigung als rechtmäßig sondern auch hinsichtlich
aller möglichen Unwirksamkeitsgründe mit Ausnahme der Nichteinhaltung der
Schriftform – ein Unwirksamkeitsgrund der im Streitfall unzweifelhaft nicht
gegeben ist. Die Klagefrist des § 4 KSchG in der ab dem 01. Januar 2004 gültigen
Fassung erstreckt sich auf alle Unwirksamkeitsgründe mit Ausnahme der
Schriftform des § 623 BGB. Auch gegen die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung
wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG
muss der Arbeitnehmer durch eine Klageerhebung binnen 3 Wochen ab Zugang
der Kündigung vorgehen machen. § 4 KSchG n. F. gilt dabei zunächst unzweifelhaft
für alle Kündigungen, die nach dem 31. Dezember 2003 zugegangen sind. Für
Kündigungen, die vor dem 31. Dezember 2003 zugegangen sind, läuft die
Klagefrist ab dem 01. Januar 2004. Das Berufungsgericht folgt dabei der
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20. Januar 1999
zu dem aus diesseitiger Sicht völlig
vergleichbaren Fall, der mit Wirkung zum 01. Oktober 1996 damals in § 1 Abs. 5
BeschFG erstmals eingeführten Klagefrist für Entfristungsklagen. Danach ist eine
verfassungskonforme Auslegung des § 4 KSchG n. F., die eine Rückwirkung
vermeidet, in der hier vorgenommenen Weise möglich. Auch zu § 4 KSchG fehlt
eine anders lautende Übergangsregelung. Zur weiteren Begründung wird auf die
angezogene Entscheidung unter II. 3. der Gründe verwiesen.
Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglos eingelegten
Rechtsmittels zu tragen.
Die Entscheidung auf Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung
beruht auf § 72 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.