Urteil des LAG Hessen vom 24.11.2010

LAG Frankfurt: treu und glauben, gemeinsame einrichtung, mindestlohn, baugewerbe, daten, tarifvertrag, zahl, verfügung, arbeitsgericht, zwangsvollstreckung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
18. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
18 Sa 311/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 28 S 1 VTV-Bau
Zusatzversorgungskasse - Herausgabe kopierter
Lohnabrechnung - abgeschlossenes Einzugs- und
Erstattungsverfahren
Orientierungssatz
Die Zusatzversorgungskasse (oder Urlaubskasse) darf gestützt auf § 28 VTV-Bau von
einem Bau-Arbeitgeber, der am Sozialkassenverfahren teilnimmt, die Herausgabe der
Kopien aller Lohnabrechnungen sämtlicher gewerblichen Arbeitnehmer für eine
bestimmte Zeitspanne verlangen.
Ein darauf gerichteter Antrag ist hinreichend bestimmt nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Das Verlangen muss wegen des Aufwands für den Arbeitgeber notwendig und
verhältnismäßig sein. Dies war zu bejahen: Meldungen des Arbeitgebers lassen den
Verdacht auf Mindestlohnunterschreitungen zu, der Arbeitgeber hat vorprozessual
konkrete Anfragen nicht oder nicht ausreichend beantwortet. Der Anspruch ist dann
nicht nur auf die Meldungen bezogen, die Anlass zur Kontrolle gegeben haben.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom
06. Januar 2010 – 7 Ca 2922/08 – abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Kopien der Lohnabrechnungen sämtlicher
in dem Betrieb seit Dezember 2005 bis einschließlich April 2008 beschäftigten
gewerblichen Arbeitnehmer herauszugeben.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin Kopien von
Lohnabrechnungen sämtlicher gewerblichen Arbeitnehmer zur Verfügung zu
stellen.
Die Klägerin ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der
Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Sie ist tarifvertraglich zum Einzug der
Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes verpflichtet.
Der Beklagte, der einen Rohrleitungs- und Tiefbaubetrieb in A unterhält und
gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt, nahm in dem gesamten Klagezeitraum von
Dezember 2005 bis einschließlich April 2008 an dem Beitrags- und Meldeverfahren
nach dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag über das
Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) teil. Der Beklagte machte gegenüber
der Klägerin auch Urlaubserstattungsansprüche geltend.
Die Klägerin hat mit am 16. September 2008 bei dem Arbeitsgericht Wiesbaden
eingegangener Klage von dem Beklagten begehrt, ihr Kopien der
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eingegangener Klage von dem Beklagten begehrt, ihr Kopien der
Lohnabrechnungen sämtlicher in seinem Betrieb beschäftigter gewerblicher
Arbeitnehmer - zuletzt für die Zeitspanne von Dezember 2005 bis einschließlich
April 2008 - herauszugeben. Sie hat behauptet, sie habe Anhaltspunkte dafür,
dass der Beklagte seinen gewerblichen Arbeitnehmern nicht stets den
vorgeschriebenen Mindestlohn gezahlt habe und folgend die tarifvertraglichen
Beitragsmeldungen und -zahlungen nicht auf der Basis des Mindestlohnes erfolgt
seien. Ihr Anspruch sei nach § 28 S. 1 VTV gerechtfertigt. Der Beklagte ist - dies ist
unstreitig - vor Klageerhebung schriftlich aufgefordert worden, die
Lohnabrechnungen in Kopie zur Verfügung zu stellen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, sie benötige die Kopien der Lohnabrechnungen
um überprüfen zu können, ob die der Beitragsberechnung zu Grunde liegenden
Bruttolohnsummen korrekt angegeben und der Mindestlohn gezahlt worden sei. §
28 S. 1 VTV stelle keine weiteren Voraussetzungen auf, als das die geforderten
Unterlagen für das Einzugs- und Erstattungsverfahren notwendig seien. § 28 VTV
sei nicht gegenüber § 21 VTV nachrangig. Der Antrag auf Herausgabe der
Lohnabrechnungskopien „sämtlicher" Arbeitnehmer sei auch hinreichend
bestimmt gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
den Beklagte zu verurteilen, an sie Kopien der Lohnabrechnungen sämtlicher in
dem Betrieb seit Dezember 2005 bis einschließlich April 2008 beschäftigten
gewerblichen Arbeitnehmern herauszugeben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat geltend gemacht, die Voraussetzungen des § 28 VTV seien nicht
erfüllt. Sowohl das Einzugs- als auch das Erstattungsverfahren hätten
stattgefunden und seien abgeschlossen. Folglich gebe es keine Notwendigkeit
mehr für die Übersendung von Unterlagen „… für die Durchführung des Einzugs-
und Erstattungsverfahrens“. Die Klägerin verhalte sich rechtsmissbräuchlich, wenn
sie ohne greifbare und belegte Anhaltspunkte behaupte, Meldungen seien nicht
ordnungsgemäß erfolgt und Beiträge nicht vollständig bezahlt worden. Er habe
schon mit Schreiben vom 23. November 2007 um Mitteilung gebeten, in welchen
einzelnen Punkten nach Informationsbedarf bestehe.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat die Klage mit Urteil vom 06. Januar 2010 als
unzulässig abgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass der Antrag nicht
hinreichend bestimmt sei im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Vollstreckung
der begehrten Kopien richte sich nach § 883 Abs. 1 ZPO. Die Wegnahme
„sämtlicher“ Lohnabrechnungen gegen den Willen des Schuldners vermöge ein
Gerichtsvollzieher nicht zu leisten, dieser wisse nicht, wie viele Arbeitnehmer im
Betrieb eines Schuldners beschäftigt seien. Der Klägerin sei zuzumuten, einen
konkreteren Antrag zu stellen. § 28 VTV sei nach der tariflichen Systematik
gegenüber § 21 VTV nachrangig. Die Klägerin sei grundsätzlich gehalten, sich auf
dem Weg über § 21 VTV die notwendigen Auskünfte über die Abwicklung des
Einzugsverfahrens zu beschaffen. Sie könne ermitteln, wie viele Arbeitnehmer ein
Arbeitgeber beschäftige und die Zahl der Arbeitnehmer sowie gegebenenfalls
deren Namen auch angegeben.
Zur vollständigen Wiedergabe der Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils
sowie des weiteren Vorbringens der Parten im ersten Rechtszug wird auf das Urteil
Bezug genommen (Bl. 38 - 50 d.A.).
Die Klägerin hat gegen das ihr am 05. Februar 2010 zugestellte Urteil mit am 03.
März 2010 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz
Berufung eingelegt. Ihre Berufungsbegründung ist am 29. März 2010 bei dem
Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen.
Die Klägerin macht mit der Berufung geltend, das Arbeitsgericht habe die
Anforderungen an die Bestimmtheit des Klageantrags nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO
überspannt. Es genüge, wenn bei einem Anspruch auf Herausgabe von Urkunden
die Urkunden so bezeichnet seien, dass auch ein Dritter problemlos erkennen
könne, um welche Urkunden es sich handele. Die Klägerin macht weiter geltend,
ihr sei durch § 28 VTV die Möglichkeit eingeräumt worden, durch weitgehende
Auskunftsrechte und Herausgabeansprüche die Einhaltung der tarifvertraglichen
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Auskunftsrechte und Herausgabeansprüche die Einhaltung der tarifvertraglichen
Vorschriften zu überwachen. Es sei es widersinnig, über § 28 VTV nur einen
Herausgabeanspruch auf die von einem Arbeitgeber über § 21 VTV mitgeteilte
Anzahl der Arbeitnehmer zu gewähren. Damit könne nicht festgestellt werden, ob
im Einzelfall eine Mindestlohnunterschreitung vorliege.
Die Klägerin behauptet, dass sie Unterlagen nach § 28 VTV sowohl außergerichtlich
als gerichtlich nur anlassbezogen und nicht aufgrund einer Stichprobenkontrolle
verlangen. Typische Auffälligkeiten seien z.B.
- wenn die Bruttolohnsumme und die gemeldete Stundenzahl in einem
Missverhältnis ständen, so dass eine Mindestlohnunterschreitung vermutet werden
könne,
- wenn die Anzahl von Teilzeitbeschäftigten überdurchschnittlich hoch sei und
vermutet werden könne, dass die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden an einen zu
geringen Bruttolohn angepasst werden solle oder
- wenn sich das Meldeverhalten eines Arbeitgebers auffällig ändere und die Zahl
der Arbeitnehmer oder der Bruttolohnsumme absinke, obwohl keine Arbeitnehmer
abgemeldet wurden.
In solchen Fällen werde ein Arbeitgeber zunächst konkret um weitere
Informationen gebeten und geprüft, ob beispielsweise vergessen wurde
Arbeitnehmer abzumelden. Nur wenn Verdachtsmomente durch den Arbeitgeber
nicht ausgeräumt werden könnten, werde diese außergerichtlich aufgefordert
bestimmte Unterlagen herauszugeben, damit sie selbst anhand der Unterlagen
prüfen könne, ob der Mindestlohn eingehalten worden sei.
In Bezug auf den Betrieb des Beklagten hat die Klägerin im Fortsetzungstermin
vom 24. November 2010 Kopien von Anfragen zu Erstattungsanträgen des
Beklagten für Oktober 2006 und Juli 2007 vorgelegt (Anlage zum Sitzungsprotokoll
vom 24. November 2010, Bl. 105 - 113 d.A.). Sie hat dazu vorgetragen, diese
seien nur exemplarisch, es habe wegen weiterer Monate Nachfragen gegeben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 06. Januar 2010 - 7 Ca 2922/08 -
abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie Kopien der
Lohnabrechnungen sämtlicher in dem Betrieb seit Dezember 2005 bis
einschließlich April 2008 beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmern
herauszugeben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. § 28 VTV gestatte nur die
Einsicht in oder das Verlangen der Übersendung von Kopien von „notwendigen"
Unterlagen. § 28 VTV sei insbesondere nicht als nachträgliches Kontroll- und
Ermittlungsrecht ausgestaltet. Er werde durch das Verlangen erheblich belastet. In
die Rechte der Arbeitnehmer werde eingegriffen, da sich aus den
Lohnabrechnungen auch der Familienstand, die Steuerklasse und Kinderzahl sowie
etwaige Pfändungen, Abtretungen, Vorschüsse oder Darlehen entnehmen ließen.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe keinen konkreten Anlass
vorgetragen, ihn einer Nachprüfung zu unterziehen. In Bezug auf die im Termin
vom 24. November 2010 vorgelegten Unterlagen ist der Beklagte der Ansicht,
dass diese den Antrag nicht stützten, die Lohnabrechnungen sämtlicher
Arbeitnehmer einer erheblichen Zeitspanne vorzulegen. Wenn Zweifel beständen,
müssten die angeführten Arbeitnehmer befragt oder Klage auf höhere Beiträge
erhoben werden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie die
Sitzungsniederschriften vom 15. September und 24. November 2010 (Bl. 82, 103
f. d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 06.
Januar 2010 ist zulässig gem. §§ 64 Abs. 2 b), 8 Abs. 2 ArbGG. Sie ist gem. §§ 64
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Januar 2010 ist zulässig gem. §§ 64 Abs. 2 b), 8 Abs. 2 ArbGG. Sie ist gem. §§ 64
Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt
sowie ordnungsgemäß und rechtzeitig begründet worden.
Die Berufung ist auch erfolgreich. Der Beklagte ist der Klägerin gem. § 28 S. 1 VTV
verpflichtet, Kopien der Lohnabrechnungen sämtlicher in seinem Betrieb
beschäftigter gewerblichen Arbeitnehmer aus der Zeitspanne von Dezember 2005
bis April 2008 herauszugeben.
1.
in dem von der Klage erfassten Zeitraum gem. § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 25 und
36 VTV dem Geltungsbereich des Sozialkassentarifvertrags unterfiel. Der Beklagte
hat auch Meldungen nach §§ 6, 21 VTV abgegeben, Beiträge nach §§ 18 VTV
geleistet und die Erstattung von Urlaubsvergütung gem. § 13 VTV geltend
gemacht.
2.
ist hinreichend bestimmt gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
a)
Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs einen
bestimmten Antrag enthalten. Damit wird der Streitgegenstand abgegrenzt und
eine Voraussetzung für die etwa erforderlich werdende Zwangsvollstreckung
geschaffen. Ein Klageantrag ist dann hinreichend bestimmt, wenn er den
erhobenen Anspruch konkret bezeichnet, dadurch den Rahmen der gerichtlichen
Entscheidungsbefugnis absteckt, den Inhalt und den Umfang der materiellen
Rechtskraft der begehrten Entscheidung erkennen lässt, das Risiko eines
Unterliegens der klagenden Partei nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den
Beklagten abwälzt und schließlich eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne
eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt. Welche
Anforderungen an die Konkretisierung des Streitgegenstands in einem
Klageantrag zu stellen sind, hängt jedoch auch von den Besonderheiten des
anzuwendenden materiellen Rechts und den Umständen des Einzelfalls ab. Die
Anforderungen an die Bestimmtheit des Klageantrags sind danach in Abwägung
des zu schützenden Interesses des Beklagten, sich gegen die Klage erschöpfend
verteidigen zu können, sowie seines Interesses an Rechtsklarheit und
Rechtssicherheit hinsichtlich der Wirkungen mit dem ebenfalls schutzwürdigen
Interesse der klagenden Partei an einem wirksamen Rechtsschutz festzulegen (
;
).
Eine mögliche Unsicherheit oder Unbestimmtheit wegen des mit dem Klageantrag
Gewollten kommt nur hinsichtlich des Begriffs „sämtlich" in Betracht. Er ist klar,
dass die Klägerin Kopien der Lohnabrechnungen haben will, welche der Beklagte
seinen gewerblichen Arbeitnehmern erteilte, außerdem welchen Zeitraum diese
Lohnabrechnungen abdecken sollen.
Eine Unsicherheit, wie viele und welche gewerblichen Arbeitnehmer der Beklagte in
der Zeit von Dezember 2005 bis April 2008 insgesamt beschäftigte, kann nur auf
Seiten der Klägerin, nicht aber des Beklagten bestehen. Für den Beklagten ist
feststellbar, was die Klägerin von ihm in dem Rechtsstreit genau verlangt. Der
Beklagte kann also - einen Anspruch auf Herausgabe der Kopien insoweit
unterstellt - in einem Rechtsstreit geltend machen, er habe vollständig erfüllt bzw.
bei einer Vollstreckung sich damit verteidigen, er habe alles herausgegeben.
b)
festlegen kann, wann ihr Herausgabeanspruch vollständig erfüllt sein wird, ähnelt
der bei einem Auskunftsbegehren, bei dem auch nicht vorab angegeben werden
kann, mit welchem Inhalt es erfüllt sein wird. Sie ist wegen der Zielrichtung der
Anspruchsgrundlage bei einem auf § 28 VTV gestützten Herausgabeanspruch
entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts im Interesse eines effektiven
Rechtsschutzes hinzunehmen. Dies ergibt die Auslegung des § 28 VTV.
Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien wird den Kassen durch § 28 VTV ein weit
gehendes Prüfungsrecht bei der Durchführung des Einzugs- und
Erstattungsverfahrens eingeräumt. Die Kassen, d.h. sowohl die
Zusatzversorgungskasse als auch die Urlaubskasse, dürfen Einsicht in Unterlagen
verlangen, von welchen sie auch Kopien fordern dürfen, außerdem sind ihnen die
erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Damit soll sowohl die Überprüfung eines
Betriebes vor Ort als auch aus der Entfernung ermöglicht werden. Der Anspruch,
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Betriebes vor Ort als auch aus der Entfernung ermöglicht werden. Der Anspruch,
von „notwendigen Unterlagen" die Übersendung von Kopien verlangen zu dürfen,
dient erkennbar dazu, eine Überprüfung eines Betriebes vor Ort überflüssig zu
machen, indem die Unterlagen der Kasse an ihrem Sitz zur Verfügung gestellt
werden. Nach diesem Verständnis soll § 28 VTV Kontrollen der Arbeitgeber
ermöglichen und erleichtern. Damit korrespondiert die in Satz 2 weit gefasste
Auskunftspflicht („alle erforderlichen Auskünfte“) der Arbeitgeber. Dies wird durch
die seit der Neufassung des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im
Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 getroffene Regelung des Prüfungsrechts
bestätigt. Im Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 12.
November 1986 in der Fassung aller bis einschließlich 31. Dezember 1999
geltender Änderungstarifverträge war in den Schlussbestimmungen unter § 54
zum Prüfungsrecht lediglich geregelt, das Beauftragten der ZVK-Bau auf
Verlangen Einsicht in die für die Durchführung des Einzugsverfahrens notwendigen
Unterlagen zu gestatten war. Die Übersendung von Kopien war noch nicht
vorgesehen, ebenso nicht die Pflicht zur Erteilung aller erforderlichen Auskünfte.
Mit einem so verstanden Prüfungsrecht geht einher, dass die prüfende Kasse oft
nur vermuten kann, welche Unterlagen Sie benötigt und zu welchem Ergebnis sie
kommen wird. Es muss daher ausreichen, dass sie für notwendig erachtete
Unterlagen nur umschreibt und z.B. nicht von vornherein festlegen kann, wie viele
Lohnabrechnungen, gegebenenfalls von welchen Arbeitnehmern, sie für einen
bestimmten Zeitraum erwartet. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts
kann die klagende Kasse nicht darauf verwiesen werden, Informationen nur nach §
21 VTV zu erlangen.
Auch mögliche Unsicherheiten bei der Vollstreckung des Anspruchs durch den
Gerichtsvollzieher nach § 883 ZPO rechtfertigen es nicht, den Antrag als zu
unbestimmt zu bewerten. § 883 Abs. 1 ZPO sieht auch die Herausgabe einer
„Menge bestimmter beweglicher Sachen“, also von Sachgesamtheiten vor. Ob
eine Herausgabepflicht vollständig erfüllt wurde, kann Gegenstand einer
eidesstattlichen Versicherung gem. § 883 Abs. 2 ZPO sein. Schließlich ist
zweifelhaft, ob die Herausgabe von Kopien von Lohnabrechnungen immer nach §
883 ZPO zu vollstrecken ist. Die Klägerin begehrt nicht die Lohnabrechnungen,
welche der jeweils beklagte Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern erteilte, sondern
Kopien diese Urkunden. Die Abrechnungen sollen weder erstmalig hergestellt oder
beschafft werden, sondern es geht um die Mitteilung des Inhalts bereits erteilter
Lohnabrechnungen, was durch die Übersendung von Kopien belegt werden soll.
Die Vorlage von Belegen als Teil einer umfassenden Verpflichtung auf Auskunft
kann jedoch nach § 888 ZPO zu vollstrecken sein (vgl. z.B. für einen Anspruch
nach § 1605 Abs. 1 Satz 2 BGB: ). Auch
danach ist es nicht gerechtfertigt, den Klageantrag wegen denkbarer
Schwierigkeiten bei einer Vollstreckung durch einen Gerichtsvollzieher als
unzulässig abzulehnen.
3.
a)
Lohnabrechnungen, welche ein Bauarbeitgeber gem. § 5.7.1 BRTV Bau seinen
gewerblichen Arbeitnehmern schriftlich zu erteilen hatte, stellt einen erheblichen
Aufwand dar. Die Kammer geht daher davon aus, dass die klagende Kasse die
Übersendung von Kopien nach § 28 S. 1 VTV nur verlangen kann, wenn diese für
ein Kontrolle in Bezug auf das Einzugs- und Erstattungsverfahren geeignet sind
und das Begehren verhältnismäßig ist.
Kopien der den gewerblichen Arbeitnehmern erteilten Lohnabrechnungen sind für
eine Überprüfung geeignet, ob der nach § 21 VTV zu meldende Bruttolohn korrekt
angegeben und der tariflichen Mindestlohn nach dem Tarifvertrag in der
Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV
Mindestlohn) in der jeweils geltenden Fassung nicht unterschritten wurde.
Das Verlangen auf Herstellung und Herausgabe von Kopien der
Lohnabrechnungen ist geeignet und verhältnismäßig, wenn die klagende
Zusatzversorgungskasse Anhaltspunkte dafür hat, das der Arbeitgeber entweder
nicht ordnungsgemäß meldete und daher Beiträge fehlerhaft berechnet wurden
und/oder der tarifliche Mindestlohn nicht gezahlt wurde.
b)
Klägerin im Termin vom 24. November 2010 exemplarisch vorgelegten Anfragen
zu Erstattungsanträgen des Beklagten vom Juni 2007 und Oktober 2006 (vgl.
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zu Erstattungsanträgen des Beklagten vom Juni 2007 und Oktober 2006 (vgl.
Anlage zur Sitzungsniederschrift, Bl. 105 - 113 d.A.) lassen die Vermutung zu, das
dem Arbeitnehmern B bzw. den Arbeitnehmern C, D, E und F möglicherweise zu
wenig Lohn gezahlt oder aber falsche Meldungen abgegeben wurden. Der Beklagte
hat die Anfrage nicht oder unzureichend beantwortet. Einen Lohnabzug wegen
eines Schadensereignisses, wie für drei Arbeitnehmer angegeben, durfte nicht zur
Minderung der tariflich erheblichen Bruttolohnsumme führen. Der erstinstanzlich
geltend gemachte Einwand des Beklagten, er habe mit Schreiben vom 23.
November 2007 um Mitteilung gebeten, in welchen einzelnen Punkten noch
Informationsbedarf bestehe, ist unerheblich. Die beispielhaft eingereichten
Anfragen der Klägerin sind eindeutig, der Beklagte hätte sie beantworten können,
statt mit einer Rückfrage zu reagieren.
aa)
erteilten Lohnabrechnungen durch Übersendung von Kopien dieser Abrechnungen
nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Einzugs- und das Erstattungsverfahren
für von der Klage erfasste Zeiträume bereits abgeschlossen ist. Soweit sich der
Beklagte auf die Verjährung möglicher Beitragsnachforderungen berufen hatte,
hat die Klägerin darauf im ersten Rechtszug durch teilweise Klagerücknahme
reagiert. Im Übrigen lässt § 28 VTV nicht erkennen, dass eine nachträgliche
Prüfung ausgeschlossen werden sollte. Dies wäre auch nicht zu erwarten. Geht die
Klägerin bei Geltendmachung von Erstattungsansprüchen eines Arbeitgebers nach
§ 13 VTV davon aus, dass dieser seine Melde- oder Beitragspflicht nicht vollständig
erfüllt hat, so ist sie nach § 18 Abs. 5 VTV zur Leistungsverweigerung berechtigt.
Dies ist ein wesentlich besser geeignetes Druckmittel, einen Arbeitgeber zur
ordnungsgemäßen Erfüllung seiner tarifvertraglichen Pflichten anzuhalten, als die
Einholung von Auskünften und die Überprüfung von Unterlagen. 29 VTV zeigt
darüber hinaus, dass die Tarifvertragsparteien auch eine Rückforderung von
Leistungen bedacht haben, auf die zum Zeitpunkt der Antragstellung kein
tarifvertraglicher Anspruch des Arbeitgebers bestand oder die er aufgrund
unwahrer Angaben erhielt. Dies setzt voraus, eine nachträgliche Überprüfung
eines Arbeitgebers stattgefunden hat.
bb)
auch nicht auf die Arbeitnehmer und die Monate beschränkt, für die sie konkrete
Anhaltspunkte hat, dass Meldungen falsch sind und/oder der Mindestlohn
unterschritten wurde. Ihr Begehren ist nicht unverhältnismäßig.
Wie oben ausgeführt, haben die Tarifvertragsparteien den Kassen durch § 28 VTV
ein weit reichendes Prüfungsrecht eingeräumt. Ist es nach dem aufgezeigten
Maßstab geboten, von einem Arbeitgeber zusätzliche Auskünfte und Belege zu
verlangen, ist dies bis zu den Grenzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) möglich.
Andernfalls wurde das Prüfungsrecht auf konkrete einzelne Verdachtsfälle
beschränkt. Der tariflichen Regelung ist nicht zu entnehmen, dass dies
beabsichtigt ist. Die einzige Einschränkung des Rechts auf Einsicht und
Übersendung von Kopien erstreckt sich auf die letztlich selbstverständliche
Formulierung, dass dies (nur) für Unterlagen gilt, die für das Einzugs- und
Erstattungsverfahren „notwendig“ sind. Dass Kopien nur zu übersenden sind,
wenn sie „angefordert“ wurden, ergibt sich schon daraus, dass ein Arbeitgeber
dies im Regelfall nicht unaufgefordert tun dürfte. Dem erheblichen Aufwand,
Abrechnungen aus mehreren Jahren zusammenstellen und kopieren zu müssen,
kann ein in Anspruch genommener Arbeitgeber dadurch entgehen, dass er die
vorprozessualen konkreten Anfragen der klagenden Kasse vollständig beantwortet.
Schließlich hat der Beklagte nicht geltend gemacht, dass ihm die
Lohnabrechnungen des Zeitraumes von Dezember 2005 bis April 2008 nicht mehr
vorliegen. Das Vorliegen kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, da die
Verpflichtung des Arbeitgebers zur Führung und Aufbewahrung von Lohnkonten
nach § 41 Abs. 1 EStG bzw. § 28 f Abs. 1 und Abs. 2 SGB IV nicht durch
Aufbewahren der den Arbeitnehmern erteilten Verdienstabrechnungen erfüllt
werden muss.
cc)
Kopien der Lohnabrechnungen sämtlicher gewerblicher Arbeitnehmer aus der
Zeitspanne von Dezember 2005 bis April 2008 mit § 28 Abs. 2 Nr. 2 a) BDSG zu
vereinbaren.
Die monatlichen Verdienstabrechnungen enthalten personenbezogene Daten der
Arbeitnehmer des Beklagten gem. § 3 Abs. 1 BDSG, diese werden durch
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Arbeitnehmer des Beklagten gem. § 3 Abs. 1 BDSG, diese werden durch
Herausgabe von Kopien der Lohnabrechnungen an die Klägerin nach § 3 Abs. 4 Nr.
3 BDSG übermittelt. Die Übermittlung ist nach § 28 Abs. 2 Nr. 2 a) BDSG nur zur
Wahrung berechtigter Interessen Dritter zulässig. Die Klägerin ist Dritte im Sinne
dieser Vorschrift. Ihr Interesse an der Übermittlung der Lohnabrechnungen in
Kopie ist berechtigt, soweit sich diesen entnehmen lässt, welchen
Bruttomonatslohn der jeweilige Arbeitnehmer enthielt und welche Arbeitszeit,
gegebenenfalls mit welchen Zuschlägen, vergütet wurde, sowie ob und aus
welchem Grund Arbeitsbefreiung erfolgte. Soweit Minderungen des Bruttolohns
durchgeführt wurden, muss schließlich erkennbar sein, worauf dies beruhte, etwa
auf der Verrechnung mit einem Arbeitgeberdarlehen oder, wie von dem Beklagten
im Oktober 2007 auf die Anfrage angegeben, wegen eines Schadensabzugs (vgl.
Anlage zur Sitzungsniederschrift, Bl. 108 f. d.A.). Nur so kann überprüft werden, ob
der Bruttolohn als Grundlage der Beitragsberechnung richtig angegeben und
eventuell der Mindestlohn unterschritten wurde. Damit wird auch den Interessen
der betroffenen Arbeitnehmer gedient, deren Urlaubsanspruch und weitere
Ansprüche durch die Beiträge finanziert werden.
Weitergehende Daten, wie die Lohnsteuerklasse eines Arbeitnehmers, mögliche
Freibeträge, Angaben zu Kindern oder Pfändungen sind für eine Prüfung, ob das
Einzugs- und Erstattungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde, nicht
geboten. Insoweit ist der Beklagte im Verhältnis zur Klägerin berechtigt, diese
Daten unkenntlich zu machen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).
Gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG ist die Revision zuzulassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.