Urteil des LAG Hessen vom 25.10.2010

LAG Frankfurt: vergütung, erfahrung, unternehmen, restaurant, franchisenehmer, arbeitsgericht, verfügung, form, outsourcing, dokumentation

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
16. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
16 Sa 55/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 1 TVG
Eingruppierung eines Rotationsmitarbeiters in den
EntgeltTV Systemgastronomie - Dauer der im bestehenden
Arbeitsverhältnis ausgeübte Tätigkeit
Leitsatz
Hinsichtlich eines Tarifgruppenwechsels kommt es gemäß § 2 Nr. 4 EntgeltTV
Systemgastronomie auf die Dauer der im bestehenden Arbeitsverhältnis ausgeübte
Tätigkeit an. Für die Eingruppierung in Tarifgruppe 3 (Rotationsmitarbeiter nach 36
Monaten dieser Tätigkeit) ist es deshalb unerheblich, ob die betreffende Mitarbeiterin
bereits früher bei einem anderen Unternehmen derselben Kette (hier: B K) als
Rotationsmitarbeiterin beschäftigt war.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Gießen vom 4.
November 2009 – 6 Ca 308/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Eingruppierung der Klägerin.
Die Beklagte betreibt ein Unternehmen der Systemgastronomie. In der Zeit vom
5. September 2001 bis 31. Juli 2007 war die Klägerin bei einem Franchisenehmer
der Beklagten, der AAFES Europe, als Rotationsmitarbeiterin beschäftigt. Seit 1.
August 2008 ist sie bei der Beklagten, ebenfalls als Rotationsmitarbeiterin nach
Maßgabe des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 1. August 2008 (Blatt 11 bis 20 der
Akten) in Teilzeit mit einem Beschäftigungsvolumen von 20 Wochenstunden tätig.
Sie erhält Vergütung nach Entgeltgruppe 1 des Entgelttarifvertrages für die
Systemgastronomie. Dieser enthält unter anderem folgende Regelungen:
2. (...) Die Tätigkeit im Rotationssystem beinhaltet überwiegend verschiedenartige,
sich abwechselnde Einzeltätigkeiten. Beschäftigte, die im Rotationssystem tätig
sind, werden zu Beginn der Tätigkeit in die Tarifgruppe 1 eingruppiert. Nach
Ableistung der Anlernzeit werden diese in die Tarifgruppe 2 eingruppiert. (...)
3. Begriffserklärungen:
- Rotationssystem:
Die Beschäftigung im Rotationssystem meint rollierende Tätigkeiten in den
verschiedenen Arbeitsbereichen des Restaurants. Dazu gehören insbesondere
Tätigkeiten im Gastraum, im Servicebereich inklusive Kasse, an den Produkt- und
Getränkestationen im Küchenbereich verbunden mit allen anfallenden Arbeiten zur
Vorbereitung und Herstellung von Produkten und Zutaten (zum Beispiel Pommes
Frites, Grill- und Frittierstationen, Salat- und Dessertzubereitung), inklusive
sämtlicher notwendiger Hilfs-, Säuberungs- und Reinigungsarbeiten. Zu den
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sämtlicher notwendiger Hilfs-, Säuberungs- und Reinigungsarbeiten. Zu den
Tätigkeiten im Rotationssystem gehören ferner auch Reinigungsarbeiten im
Sanitär- und Hygienebereich des Restaurants.
4. Erfolgt der Tarifgruppenwechsel im Rahmen der in den Tarifgruppen
aufgeführten Tätigkeits- und Funktionsbeschreibungen nebst Beispielen aufgrund
der Dauer der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit, ist die Dauer der tatsächlich
ausgeübten Tätigkeit im bestehenden Arbeitsverhältnis, ausschließlich der Zeiten,
in denen das Arbeitsverhältnis ruht, maßgeblich.
Bei Teilzeitkräften verlängert sich die Dauer der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit
bis zum Tarifgruppenwechsel von der Tarifgruppe 1 in die Tarifgruppe 2
entsprechend der jeweiligen Teilzeitquote, d.h. dem Verhältnis der vertraglichen
Arbeitszeit zur regelmäßigen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft. Sie darf jedoch
maximal um drei Monate verlängert werden.
7. Die Eingruppierung erfolgt in die Tarifgruppen 1 bis 12 anhand der dort
aufgeführten Tätigkeits- und Funktionsbeschreibungen nebst der dort genannten
Beispiele:
Tarifgruppe 1
Einfache Tätigkeiten, die keine Vorkenntnisse erfordern, insbesondere:
- Arbeitnehmer/in im Rotationssystem in den ersten 12 Monaten
Tarifgruppe 2
Tätigkeiten, die Kenntnis oder Fertigkeiten voraussetzen, für die eine Anlernzeit
erforderlich ist, insbesondere:
- Arbeitnehmer/in im Rotationssystem nach 12 Monaten
Tarifgruppe 3
Tätigkeiten, die weitergehende Kenntnisse und/oder Fertigkeiten erfordern, die
über Tarifgruppe 2 hinausgehen, insbesondere:
- Arbeitnehmer/in im Rotationssystem, der/die alle im Restaurant zur Verfügung
stehenden Tätigkeiten im Rotationssystem ausüben kann und diese regelmäßig
ausübt nach 36 Monaten dieser Tätigkeit.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Differenz zwischen der gezahlten Vergütung
und der Vergütung nach Tarifgruppe 3 für die Zeit von Dezember 2008 bis
September 2009 nebst Zinsen geltend gemacht.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei in Tarifgruppe 3 eingruppiert, da
sie aufgrund der Vorbeschäftigungszeit bei dem Franchisenehmer die
Tarifmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfülle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrags und der
gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der Entscheidung des Arbeitsgerichts
(Blatt 108 bis 109 der Akten) verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Tarifnorm sei dahin auszulegen,
dass die Beschäftigungszeit von 36 Monaten im bestehenden Arbeitsverhältnis,
das heißt in dem zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits, zurückgelegt sein
müsse. Dies treffe auf die Klägerin nicht zu. Wegen der Einzelheiten der
Begründung der Entscheidung des Arbeitsgerichts wird auf die
Entscheidungsgründe (Blatt 110 bis 112 der Akten) Bezug genommen.
Dieses Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. Dezember
2009 zugestellt. Sie hat mit einem am 11. Januar 2010 eingegangenen Schriftsatz
hiergegen Berufung eingelegt und diese mit einem am 11. Februar 2010
eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Klägerin ist der Ansicht, vor dem Hintergrund der Systematik und dem Sinn
und Zweck der einzelnen Tarifgruppen komme es nicht allein auf den Bestand des
konkreten Arbeitsverhältnisses an. Sinn und Zweck des Tarifgruppenaufstiegs von
Arbeitnehmern im Rotationssystem sei es, die zunehmende Erfahrung und die
daraus resultierende vielseitige Einsetzbarkeit und zunehmende Selbstständigkeit
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daraus resultierende vielseitige Einsetzbarkeit und zunehmende Selbstständigkeit
zu honorieren. Insofern sei es sinnvoll und geboten, Zeiten des Ruhens des
Arbeitsverhältnisses auszunehmen. Gleichgültig für den Erfahrungsgewinn sei es
aber, bei welchem Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis besteht bzw. bestanden hat,
weil Betriebe der Systemgastronomie naturgemäß in der Regel weitgehend gleich
organisiert seien.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Gießen vom 4. November 2009 -
6 Ca 308/09 -
die Beklagte zu verurteilen an die Klägerin 1860,76 € brutto nebst Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 276,26 € seit 15. Januar
2009, 234,68 € seit 15. Februar 2009, 187,07 € seit 15. März 2009, 205,23 € seit
15. April 2009, 119,30 € seit 15. Mai 2009, 155,43 € seit 15. Juni 2009, 126,38 €
seit 15. Juli 2009 161,50 € seit 15. August 2009, 197,68 € seit 15. September 2009
und 197,13 € seit 15. Oktober 2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Schon aus dem
Wortlaut der Tarifgruppe 3 ergebe sich, dass sie eine Vorbeschäftigungszeit von 36
Monaten beim aktuellen Arbeitgeber voraussetze. Dies ergebe sich aus der
Formulierung "... regelmäßig ausübt nach 36 Monaten dieser Tätigkeit". Die
Systematik des Tarifwerkes bestätige dieses Auslegungsergebnis. Mit nicht zu
überbietender Deutlichkeit regele § 2 Nr. 4 Abs. 1 des Tarifvertrags, dass die
Dauer der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit im bestehenden Arbeitsverhältnis
maßgeblich sein soll. Dieses Verständnis werde untermauert durch § 3 Nr. 4
Entgelttarifvertrag, wonach bei jeder Neueinstellung unter bestimmten
Voraussetzungen eine Absenkung des Lohns in Tarifgruppe 1 und 2 möglich sein
soll. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus Sinn und Zweck des
Tarifgruppenaufstiegs. Dieser bestehe nicht nur darin, allgemein auf die
Erfahrungen und Einsetzbarkeit der Mitarbeiter abzustellen. Es gehe vielmehr
darum, den Fallgruppenaufstieg von der Betriebstreue des Mitarbeiters und den
Kenntnissen und der Einsetzbarkeit beim konkreten Arbeitgeber abhängig zu
machen. Dies habe seinen Grund darin, dass auch in der Systemgastronomie
nicht alle Arbeitgeber ein identisches Rotationssystem unterhalten. Ferner sei zu
berücksichtigen, dass nach dem Verständnis der Klägerin auch eine jahrelang
zurückliegende Tätigkeit im Rotationssystem noch einen Vergütungsanspruch
nach Tarifgruppe 3 herbeiführen würde, selbst wenn der Erfahrungsschatz und die
Einsetzbarkeit des Mitarbeiters nur noch rudimentär vorhandenen sei. Unabhängig
hiervon habe die Klägerin nicht im Einzelnen vorgetragen, dass sie die
Voraussetzungen der Tarifgruppe 3 erfülle, nämlich dass sie alle im Restaurant zur
Verfügung stehenden Tätigkeiten im Rotationssystem ausüben kann und diese 36
Monate selbstständig ausgeübt hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 ArbGG, § 511 Abs. 1 ZPO, § 64 Abs. 2b
Arbeitsgerichtsgesetz. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet
worden, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 519, § 520 ZPO und damit insgesamt zulässig.
II.
Die Berufung ist nicht begründet.
1. Das Arbeitsgericht hat in Ergebnis und Begründung zutreffend erkannt, dass der
Klägerin für den Klagezeitraum nicht Vergütung nach Tarifgruppe 3 des
Entgelttarifvertrags für die Systemgastronomie zusteht. Die Berufungskammer
schließt sich der Begründung des Arbeitsgerichts an und nimmt gemäß § 69 Abs.
2 ArbGG hierauf Bezug.
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2. Die Einwendungen der Klägerin in der Berufungsbegründung treffen nicht zu.
a) Selbst wenn der Wortlaut der Tätigkeitsbeschreibung in Tarifgruppe 3 offen lässt,
bei welchem Arbeitgeber die Tätigkeit ausgeübt worden sein muss, ergibt sich aus
der Systematik des § 2 Entgelttarifvertrag, dass es auf die im bestehenden
Arbeitsverhältnis ausgeübte Tätigkeit ankommt. Die in § 2 Nr. 1 bis 7 aufgeführten
Regelungen enthalten einen "allgemeinen Teil" der für die Eingruppierung in die
nachfolgend dargestellten Tarifgruppen maßgeblichen Regelungen. Dort werden
Begriffe definiert und allgemeine Regelungen getroffen, die für mehrere der
nachstehenden Tarifgruppen von Bedeutung sind. Aus dieser Systematik folgt,
dass in § 2 Nr. 1 bis 7 getroffene Definitionen für sämtliche nachstehend
aufgeführten Tarifgruppen gelten. Hieraus folgt in Bezug auf Tarifgruppe 3, dass
soweit diese auf eine Ausübung der Tätigkeit für die Dauer von 36 Monaten
abstellt, es nach § 2 Nr. 4 auf die Dauer der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit im
bestehenden Arbeitsverhältnis ankommt.
b) Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung.
Mitarbeiter, die durch eine Tätigkeit von 36 Monaten im Rotationssystem unter
Beweis gestellt haben, dass sie diese Tätigkeiten ausüben können und auch
tatsächlich regelmäßig ausüben, erhalten die erhöhte Vergütung. Zweck der
Regelung ist es, die Kenntnisse und Erfahrung sowie die hieraus folgende
gesteigerte Einsetzbarkeit des Mitarbeiters zu honorieren. Insoweit ist auf das
bestehende Arbeitsverhältnis abzustellen. Die Auffassung der Klägerin, Betriebe in
der Systemgastronomie seien weit gehend gleich organisiert, so dass es
gleichgültig sei bei welchem Arbeitgeber die Erfahrung gewonnen wurde, trifft nach
Überzeugung der Berufungskammer jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht zu.
Die Systemgastronomie umfasst einen sehr weiten Bereich von Restaurants; die
Bandbreite reicht von reinen Pommes-Brätereien, über die verschiedensten
Formen amerikanischer Schnellrestaurants, Nudel- und Pizzarestaurants bis zu
Fischrestaurants und Steakhäusern. Aus dieser Unterschiedlichkeit folgt, dass die
Anforderungen an die Mitarbeiter in der Systemgastronomie keine einheitlichen
sind. Dies gilt selbst dann, wenn man ausschließlich auf einen Ausschnitt der
Systemgastronomie in Form amerikanischer Schnellrestaurants abstellt. Auch hier
bestehen Unterschiede, durch die das jeweilige Unternehmen sich von
Mitbewerbern abgrenzen und gegenüber Kunden in besonderer Weise
herausstellen will. Deshalb sind die von den Arbeitnehmern zu beherrschenden
Tätigkeiten und Arbeitsabläufe unterschiedlich, was es rechtfertigt auf den
Beschäftigungsbetrieb abzustellen. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um Betriebe
derselben Kette handelt, weil aufgrund der Möglichkeit des Franchise nicht
auszuschließen ist, dass bestimmte Arbeitsabläufe unterschiedlich organisiert
werden oder in einem Betrieb - etwa aufgrund von Outsourcing- nicht sämtliche
Arbeitsabläufe durch eigene Mitarbeiter erledigt werden.
III.
Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres ohne Erfolg eingelegten
Rechtsmittels zu tragen.
IV.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.