Urteil des LAG Hessen vom 23.11.2010

LAG Frankfurt: gemeinsame einrichtung, akte, auflage, beschwerdekammer, baugewerbe, ausnahmefall, reform, verzinsung, post, zustandekommen

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
13. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 Ta 395/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 91 Abs 1 ZPO, § 91 Abs 2 S
1 ZPO
Kostenfestsetzung - Mehrkosten für Rechtsanwalt mit
Spezialkenntnissen
Orientierungssatz
Mehrkosten für einen "Spezialanwalt" sind nur in streng zu handhabenden
Ausnahmefällen von der unterlegenen Partei zu erstatten.
Ein solcher Ausnahmefall liegt vor bei einem Rechtsanwalt, der in einem Rentenstreit
gegen die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes für diese auftritt, wenn dieser
Rechtsanwalt selbst am Zustandekommen des entsprechenden Tarifvertrages über
Rentenbeihilfen im Baugewerbe beteiligt war und diese Kenntnisse für den Rechtsstreit
von Bedeutung sind.
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss
des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 5. August 2010 - 2 Ca 1784/03 - wird
zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Durch Urteil des erkennenden Gerichts vom 7. März 2008 (10 Sa 623/05) wurde
die Berufung des Klägers gegen ein Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden auf
Kosten des Klägers zurückgewiesen. Die Beklagte war vertreten durch ihren
Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt A aus Berlin.
Am 16. April 2010 beantragte die Beklagte Kostenfestsetzung gegen den Kläger
wie folgt:
Zugleich beantragte sie die Verzinsung mit 5% über dem Basiszinssatz seit
Antragstellung.
Die bezweifelte Notwendigkeit der Mehrkostenerstattung für einen Berliner statt
zum Beispiel eines Frankfurter Rechtsanwalts begründete die Beklagte mit dessen
Spezialkenntnissen. Es sei über schwierige Fragen des Tarifvertrags-,
Betriebsrenten- und Verfassungsrechts zu entscheiden gewesen. Gerade zu den
tarifrechtlichen Fragen der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Beihilfekürzung,
nämlich der tarifpolitischen Ausgangslage, den Zielen der Reform der
Zusatzversorgung und den Gestaltungsräumen der Tarifvertragsparteien sowie
deren tarif- und verfassungsrechtlichen Grenzen, verfüge Herr Rechtsanwalt A
über die erforderlichen Spezialkenntnisse. Denn er habe nicht nur an den in
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über die erforderlichen Spezialkenntnisse. Denn er habe nicht nur an den in
seinem Schriftsatz vom 17. Juni 2005 erwähnten Tarifverhandlungen für das
Baugewerbe teilgenommen, sondern auch an jenen, deren Ergebnis der Abschluss
des streitbefangenen TVR war.
Die Rechtspflegerin erließ am 5. August 2010 einen Kostenfestsetzungsbeschluss
in beantragter Höhe. Nach dessen Zustellung am 13. August 2010 legte der
Kläger am 16. August 2010 sofortige Beschwerde ein mit dem weiterhin
erhobenen Einwand, die Mehrkosten eines Rechtsanwalts aus Berlin seien nicht
notwendig gewesen. Auch seien die dargelegten Kosten nach den Belegen nicht
ohne weiteres dem Beklagtenvertreter zuzuordnen.
Am 16. September 2010 hat die Rechtspflegerin der sofortigen Beschwerde nicht
abgeholfen (Blatt 336 ff. der Akte) und die Sache dem Hessischen
Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf
den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.
II.
Die sofortige Beschwerde des Klägers ist gemäß den §§ 104 Abs. 3; 567 Abs. 2
ZPO; 11 Abs. 1 RPflG; 78 ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig,
insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt.
Die Rechtspflegerin hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (§ 572 Abs. 1
ZPO).
Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender
Begründung hat die Rechtspflegerin die Kosten in beantragte Höhe von 891,08 €
nebst Zinsen festgesetzt.
Die Beklagte kann die Erstattung dieser Kosten vom Kläger verlangen, denn die
durch ihre Tätigkeit entstandenen Kosten waren solche, die der Kläger als
Unterlegener zu zahlen hatte. Sie waren zur zweckentsprechenden
Rechtsverteidigung notwendig (§ 91 Abs. 1 ZPO).
Grundsätzlich sind gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO zwar nur die gesetzlichen
Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts, also eines einzigen Rechtsanwalts, zu
erstatten. Hierbei hat die Partei darauf zu achten, dass auch die Aufwendungen
ihres Rechtsanwaltes, also z. B. seine Reisekosten, in vertretbarem Umfang
bleiben. Dies geschieht in der Regel dadurch, dass die Partei gehalten ist, einen
Rechtsanwalt am Sitz des Prozessgerichts oder ihrem eigenen Sitz zu
beauftragen. Auch wenn sich eine Partei durch mehrere Rechtsanwälte vertreten
lässt, sind grundsätzlich nur die Kosten, die für einen entstehen würden,
erstattungsfähig. Davon gibt es zum Schutz der unterlegenen Seite streng
gehandhabte Ausnahmen, wenn etwa eine seltene oder eine Spezialmaterie in
Rede steht, z. B. im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes, des
Lebensmittelrechts und bei speziellen technischen Fragen im Wettbewerbsrecht.
Aber sogar dies ist im Einzelnen umstritten (vgl. dazu z. B. BVerfG NJW 1999, 133;
BVerfG NJW 1993, 1460; OLG Karlsruhe, Anwaltsblatt 1998, 540; OLG München
JurBüro 2004, 201; OLG Frankfurt, JurBüro 1998, 1129; Zöller/Herget, ZPO, 28.
Auflage 2010, § 91 Randziffer 13 „Spezialanwalt“; Musielak/Wolst, ZPO, 7. Auflage
2009, § 91 Randziffer 25; Baumbach, ZPO, 67. Auflage 2009, § 91 Randziffer 136).
Grundsätzlich gilt, dass sich jeder Rechtsanwalt die für ein Verfahren erforderlichen
speziellen Kenntnisse zu verschaffen hat.
Nach Ansicht der Beschwerdekammer liegt hier eine der streng zu handhabenden
Ausnahmefälle vor. Die Akte zeigt, dass im vorliegenden Fall hochkomplexe
Sachverhalte aus einer rechtlichen Spezialmaterie zur Diskussion standen. Das
Recht der Sozialkassen der Bauwirtschaft beruht auf tarifvertraglichen
Vereinbarungen. Die Beklagte ist eine gemeinsame Einrichtung der
Tarifvertragsparteien. Schon generell erfordert die Prozessführung in diesem
Bereich eine aufwändige Einarbeitung. Hier ging es um einen besonderen
Ausschnitt, nämlich um die tarifliche Rentenbeihilfe vor dem Hintergrund
zwischenzeitlich vereinbarter Kürzungen und deren Wirkung auf den Besitzstand
des Klägers. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten war Teilnehmer an den
damaligen Tarifverhandlungen und auch am Abschluss des kürzenden
Rententarifvertrages beteiligt. Er besaß daher Spezialkenntnisse über das Zu-
Stande-Kommen und die Hintergründe des neuen Tarifvertrages, die sich die
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Stande-Kommen und die Hintergründe des neuen Tarifvertrages, die sich die
Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit zu Nutze machen durfte und zu Nutze
gemacht hat. Kein Rechtsanwalt aus dem Frankfurter Raum hätte sich so in die
Materie einarbeiten können wie Herr Rechtsanwalt A es schon war.
Soweit der Kläger die Zuordnung der vorgelegten Belege und die Höhe der
eingesetzten Kosten bezweifelt, verweist die Beschwerdekammer auf die
Ausführungen der Rechtspflegerin in ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 16.
September 2009 (Blatt 336 ff. der Akte). Dort hat sie sich mit jeder einzelnen
Position auseinander gesetzt und deren Zuordnung und Notwendigkeit dargelegt.
Dem schließt sich die Berufungskammer zur Vermeidung von Wiederholungen an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit Nummer
8614 der Anlage 1 zu § 34 GKG. Danach hat der Kläger die Kosten des
Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.