Urteil des LAG Hessen vom 20.09.2010

LAG Frankfurt: arbeitsgericht, bonus, treu und glauben, willenserklärung, ermessen, auszahlung, gratifikation, vergütung, bedingung, billigkeit

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
7. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 Sa 5/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Kürzung einer Bonuszahlung für Bankmitarbeiter -
Verbindlichkeit einer vorläufigen Bonuszusage
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Frankfurt am Main vom 21. Oktober 2009 – 14 Ca 7071/09 – wird auf
dessen Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Bonuszahlung.
Die am 18. Januar 1975 geborene Klägerin ist auf der Grundlage des schriftlichen
Arbeitsvertrags vom 11. Juli 2007, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 7 – 10
d. A. verwiesen wird, seit dem 01. September 2007 als "Vice President" in der
Investmentsparte (A) der B (im Folgenden: "Rechtsvorgängerin") beschäftigt. Ihr
Arbeitsverhältnis ist inzwischen auf Grund Verschmelzung auf die Beklagte
übergegangen.
Der Arbeitsvertrag enthält unter "2. Bezüge" folgende Regelung:
"Der Mitarbeiter erhält folgende Bezüge, durch die zugleich Ansprüche auf
Mehrarbeitsvergütung abgegolten sind:
a) Gehalt
Ein Bruttomonatsgehalt von € 6.430,00
(...)
b) Variable Vergütung
Eine Gratifikation, die im Ermessen der Bank steht und jährlich im
Frühjahr für das vorangegangene Kalenderjahr von der Bank neu festgelegt wird.
Da mit der Gratifikation insbesondere auch die Betriebstreue des Mitarbeiters
honoriert werden soll, ist Voraussetzung für die Zahlung einer Gratifikation, dass
das Arbeitsverhältnis am 31.12. des vorangegangenen Kalenderjahres in einem
ungekündigten Arbeitsverhältnis stand und auch kein Aufhebungsvertrag
geschlossen war.
c) (...)"
Am 12. August 2008 wurde auf einer Vorstandssitzung der Rechtsvorgängerin die
Notwendigkeit der Festlegung eines Minimum-Bonuspools in Höhe von 400 Mio. €
für das Geschäftsjahr 2008 für den Bereich A erörtert, um die Mitarbeiterstabilität
aufrecht zu erhalten. Am 18. August 2008 teilte das Vorstandsmitglied Dr. C den
Mitarbeitern des "A-Frontoffice" die Bildung des Bonuspools mit.
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Mit E-Mail vom 20. Oktober 2008 (Bl. 98 d. A.) wurde u. a. der Klägerin seitens der
Rechtsvorgängerin mitgeteilt, dass die Benachrichtigung über die Vergabe der
Boni am Freitag, dem 19. Dezember 2008 erfolgen werde.
Am 28. Oktober stellte die Rechtsvorgängerin einen Mitarbeiterbrief in ihr Intranet,
in dem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mitgeteilt wurde, "dass der Vorstand
für das Kalenderjahr 2008 ein Bonusvolumen in Höhe von 100 % des
Bonusvolumens 2007 – angepasst an den Mitarbeiterbestand 2008 – pro Funktion
und Division (exklusive A Frontoffice) zugesagt habe".
Am 19. Dezember 2008 erhielt die Klägerin folgenden "Bonusbrief" (Bl. 11 d. A.):
"(...)
Wir können Ihnen heute mitteilen, dass Ihr Bonus für das Jahr 2008 im
Sinne von Ziffer 2 b) i. V. m. Ziffer 10/11 Ihres Arbeitsvertrages nach Maßgabe der
nachstehenden Regelung vorläufig in Höhe von
EUR 50.000,00 brutto
festgesetzt wurde.
Die vorläufige Bonusfestsetzung steht unter dem Vorbehalt eines Reviews
für den Fall, dass im Rahmen der Aufstellung des Jahresabschlusses 2008 weitere
wesentliche negative Abweichungen in Ertrag und Ergebnis von A zum Forecast für
die Monate November und Dezember 2008 festgestellt werden, d. h. die
Ergebnissituation in A sich in diesem Zeitraum wesentlich verschlechtert. Dieser
Review wird im Januar 2009 unter der Führung von Herrn Dr. C durchgeführt.
Sollten solche weiteren wesentlichen negativen Abweichungen festgestellt werden,
behält sich die Bank das Recht vor, Ihre vorläufige Bonusfestsetzung zu überprüfen
und, falls erforderlich, den Betrag der vorläufigen Bonusfestsetzung zu reduzieren.
Im Februar 2009 erhalten Sie eine detaillierte Aufstellung Ihrer für das
Kalenderjahr 2008 zustehenden Zahlung der endgültigen variablen Vergütung
gem. Ihres Arbeitsvertrages.
Eine Auszahlung des Bonus erfolgt nur, wenn zum Auszahlungszeitpunkt
des Bonus ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis besteht. Eine Auszahlung des
Bonus erfolgt im Rahmen Ihrer üblichen Gehaltszahlungen für den Monat Februar
2009.
(...)"
Mit einer englischsprachigen E-Mail vom 18. Februar 2009 (Bl. 12 d. A.) an den
Verteiler "A Global Personnel" teilte die Rechtsvorgängerin u. a. mit, dass die
Mitarbeiter des A Front Office, denen eine vorläufige Bonusfestsetzung mitgeteilt
wurde, eine um 90 % gekürzte Zahlung erhielten. Dies wurde durch E-Mail vom
selben Tag dahingehend ergänzt, dass der Bonus grundsätzlich mindestens ein
Bruttomonatsgehalt betragen solle.
Entsprechend der Ankündigung in einer E-Mail vom 04. März 2009 zahlte die
Rechtsvorgängerin der Klägerin einen Bonus in Höhe von 8.083,00 €.
Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts im Übrigen, des Vorbringens der
Parteien und ihrer Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils (Bl. 153 – 159 d. A.) verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und dies – kurz zusammengefasst –
wie folgt begründet:
Die Klägerin habe keinen Anspruch aus dem Bonusbrief vom 19. Dezember 2008,
weil dieser keine auf die Ausübung des arbeitgeberseitigen Ermessens gerichtete
Willenserklärung enthalte. Es handele sich lediglich um ein Mitteilungsschreiben, in
dem die Rechtsvorgängerin über die zu diesem Zeitpunkt für sie maßgeblichen
Erwägungen und Faktoren zur variablen Vergütung informiert und die Empfänger
über die beabsichtigte weitere Vorgehensweise in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht in Kenntnis gesetzt habe.
Weiterhin folge der geltend gemachte Bonusanspruch auch nicht aus einer
ermessensfehlerhaften Leistungsbestimmung i. S. d. § 315 Abs. 1 und 3 BGB, da
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ermessensfehlerhaften Leistungsbestimmung i. S. d. § 315 Abs. 1 und 3 BGB, da
die Klägerin unter Berücksichtigung der prozessualen Darlegungs- und
Beweislastverteilung keine hinreichenden Tatsachen vorgetragen habe, die eine
höhere Zahlung geböten.
Schließlich folge auch weder aus der Mitteilung über die Zurverfügungstellung des
Bonuspools, der nicht als Gesamtzusage angesehen werden könne, noch aus dem
arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ein Anspruch in der geltend
gemachten Höhe.
Gegen dieses Urteil vom 21. Oktober 2009, auf dessen Inhalt zur weiteren
Sachdarstellung Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Klägerin.
Die Klägerin äußert die Auffassung, die Auslegung des Bonusbriefs vom 19.
Dezember 2008 durch das Arbeitsgericht sei angesichts des deutlich zu Tage
getretenen Willens der Rechtsvorgängerin unzulässig. Aufgrund aller Informationen
über den Bonuspool einerseits und die wirtschaftliche Situation andererseits, die
der Klägerin und ihren Kollegen vor und bei der Übergabe der Bonusbriefe
gegeben wurden, habe sich dessen Wortlaut so darstellen müssen, dass die
Rechtsvorgängerin die von ihr genannte Bonushöhe für den Fall als maßgeblich
und der Klägerin verbindlich zustehend betrachtete, dass sich ihre im Zeitpunkt
der Übergabe bestehende Erwartung im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation
der Bank am Ende des Geschäftsjahres als zutreffend herausstellen würde.
Auch die Beklagte sei bis zur erstinstanzlichen Entscheidung selbst davon
ausgegangen, ihre Rechtsvorgängerin habe sich mit dem Bonusschreiben vom 19.
Dezember 2008 rechtsverbindlich in diesem Sinne festgelegt.
Daran ändere sich auch dadurch nichts, dass die Rechtsvorgängerin die
Festsetzung der Bonushöhe als "vorläufig" bezeichnete, weil sie bereits bei der
Aufstellung des Mindest-Bonuspools im August 2008 davon ausging, das
Geschäftsjahr 2008 nur mit einem negativen wirtschaftlichen Ergebnis
abzuschließen. In Kenntnis der wirtschaftlichen Entwicklung bis zum 19. Dezember
2008 hätten die betroffenen Arbeitnehmer dennoch davon ausgehen können, dass
sich die Rechtsvorgängerin sehr wohl verbindlich festlegen wollte.
Dies folge auch aus den eindeutigen Aussagen, die das Vorstandsmitglied Dr. C
bei der Übergabe der Bonusbriefe im Rahmen des "Townhall-Meeting" gemacht
habe. Dieser habe mitgeteilt, dass der in den überreichten Bonusschreiben
genannte Vorbehalt aus seiner Sicht eine reine Formalie ohne echte praktische
Relevanz sei.
Soweit das Arbeitsgericht einerseits die Leistungsbestimmung als
bedingungsfeindlich bezeichnet, andererseits der Beklagten das Recht zugebilligt
hat, den Bonus herabzusetzen, nehme es einen unzulässigen Zirkelschluss vor.
Richtigerweise habe das Arbeitsgericht zunächst prüfen müssen, ob die Beklagte
einen Vorbehalt in ihre Ermessensentscheidung überhaupt aufnehmen durfte.
Weiterhin äußert die Klägerin die Auffassung, das Arbeitsgericht habe angesichts
der Bonusfestsetzung vom 19. Dezember 2008 die Verteilung der Darlegungs-
und Beweislast verkannt, wenn es von unzureichendem Vortrag der Klägerin zur
fehlerhaften Ermessensentscheidung über die Höhe des schließlich ausgezahlten
Bonus' ausging. Zum einen habe die Rechtsvorgängerin durch die Festsetzung
vom 19. Dezember 2008 deutlich gemacht, dass der dort genannte Betrag dem
Leistungsbeitrag der Klägerin unter Berücksichtigung der Ertragslage der Bank
entspreche. Selbst wenn sich der Verlust der Investmentsparte entsprechend den
Angaben der Beklagten zwischen der Übergabe des Bonusschreibens und der
wirksamen Feststellung des Jahresabschlusses mehr als verdoppelt habe, so stelle
sich immer noch die Frage, warum bei einer Verdoppelung des Verlustes eine
Reduzierung des Bonus' auf ein Bruttomonatsgehalt billigem Ermessen
entsprechen kann.
Weiterhin handele es sich bei dem im Bonusschreiben vom 19. Dezember 2008
erklärten "Vorbehalt" faktisch um einen Widerrufsvorbehalt, der wegen Verstoßes
gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam sei.
Schließlich fehle es an einem substanziierten Vortrag der Beklagten dazu, dass die
Voraussetzungen für den erklärten "Vorbehalt" tatsächlich eingetreten seien.
Wenn die Beklagte auf das Ergebnis des Jahresabschlusses verweise, so sei dies
nur eines von mehreren möglichen Ergebnissen. Das negative operative Ergebnis
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nur eines von mehreren möglichen Ergebnissen. Das negative operative Ergebnis
der Investmentsparte in Höhe von 6,275 Mio. € sei von der Rechtsvorgängerin
nicht festgestellt, sondern festgelegt worden. Auch vor diesem Hintergrund sei die
Kürzung des Bonus' auf ein Bruttomonatsgehalt nicht zu begründen.
Die Klägerin beantragt, zu erkennen:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 21. Oktober 2009,
Aktenzeichen 14 Ca 7071/09, wird abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, an
den Kläger 41.917,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit dem 16. Februar 2009 zu zahlen.
Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Berufung und verteidigt das
angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen
Vortrags.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die
Berufungsbegründung vom 04. März 2010 (Bl. 215 – 226 d. A.) und die
Berufungsbeantwortung vom 25. Mai 2010 (Bl. 235 – 259 d. A.) sowie den weiteren
Schriftsatz der Beklagten vom 09. September 2010 (Bl. 323 – 326 d. A.) – jeweils
mit den beigefügten Anlagen – verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte, form- und
fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin ist zulässig.
II.
Die Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die
Klage zu Recht abgewiesen.
Das Berufungsgericht schließt sich dem angefochtenen Urteil im Ergebnis und in
der Begründung an (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Der Inhalt der in der Berufungsinstanz
gewechselten Schriftsätze gibt Anlass zu folgenden Ergänzungen:
1. Zu Recht ist das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der
Bonusbrief vom 19. Dezember 2008 keine auf Ausübung des arbeitgeberseitigen
Ermessens gerichtete Willenserklärung enthält. Es hat hierzu die allgemeinen
Regeln zur Auslegung von Willenserklärungen ausführlich dargelegt und zutreffend
angewandt.
Danach ist das Recht einer Vertragspartei, die Leistung nach § 315 Abs. 1 BGB
einseitig zu bestimmen, ein Gestaltungsrecht, das durch einseitige,
empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber der anderen Vertragspartei
ausgeübt wird.
Eine Willenserklärung ist die Äußerung eines auf die Herbeiführung einer
Rechtswirkung gerichteten Willens: Sie bringt einen Rechtsfolgewillen zum
Ausdruck. Der subjektive Tatbestand der Willenserklärung wird üblicherweise
unterteilt in den das äußere Verhalten beherrschenden Handlungswillen, das
Erklärungsbewusstsein und den Geschäftswillen. Zum objektiven Tatbestand
gehört jede Äußerung, die den Rechtsfolgewillen nach außen erkennen lässt (
). Bei empfangsbedürftigen
Willenserklärungen ist der objektive Erklärungsinhalt maßgeblich. Der Tatrichter hat
sie so auszulegen, wie der Erklärungsempfänger sie nach Treu und Glauben und
unter Berücksichtigung der Verkehrssitte von seinem Empfängerhorizont aus
verstehen musste. Innerhalb dieses normativen Rahmens kommt es darauf an,
was der Erklärende gewollt und inwieweit er seinen Willen für den
Erklärungsempfänger erkennbar zum Ausdruck gebracht hat. Der Empfänger darf
der Erklärung dabei nicht einfach den für ihn günstigsten Sinn beilegen, sondern
muss unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Umstände mit gehöriger
Aufmerksamkeit prüfen, was der Erklärende gemeint hat (
). Dies gilt nicht nur dann, wenn
nicht der Inhalt einer Willenserklärung durch Auslegung nach §§ 133, 167 BGB zu
ermitteln ist, sondern auch, wenn zweifelhaft ist, ob eine bestimmte Erklärung als
Willenserklärung zu werten ist oder nicht (
).
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Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Arbeitsgericht mit zutreffenden
Gründen, auf deren Wiederholung verzichtet werden kann, zu dem eingangs
beschriebenen Ergebnis gelangt.
Die von der Klägerin in der Berufung hiergegen vorgebrachten Argumente
können aus folgenden Gründen kein anderes Ergebnis begründen:
Nicht nur der mehrfache Gebrauch des Wortes "vorläufig", sondern auch der
eindeutige Vorbehalt, den Betrag "falls erforderlich ... zu reduzieren" lässt die
Auffassung der Klägerin, es habe sich bei dem Schreiben vom 19. Dezember 2010
um eine eindeutige und endgültige, einer Auslegung nicht zugängliche
Festsetzung der Bonushöhe im Sinne einer Leistungsbestimmung gem. § 315 BGB
gehandelt, nicht zu. Vielmehr musste den Empfängern nach Erhalt und sorgfältiger
Lektüre dieses Schreibens klar sein, dass trotz der Nennung eines durch Fettdruck
hervorgehobenen Betrags dessen Auszahlung nicht allein an die am Ende des
Schreibens genannte Bedingung eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses
geknüpft ist, sondern dass gerade die zur Aufstellung des Jahresabschlusses noch
durchzuführenden Ermittlungen zu einer Herabsetzung des Bonusbetrags führen
kann, wobei eine bestimmte Mindesthöhe nicht genannt wurde.
Daran ändern weder die Kenntnis der Parteien über die bis zu diesem Termin
gegebene wirtschaftliche Entwicklung noch die Umstände bei der Übergabe etwas.
Es mag sein, dass sich die Klägerin ebenso wie ihre Kollegen aufgrund der
vorausgegangenen Erklärungen des Vorstands der Rechtsvorgängerin in der
sicheren Erwartung befand, am 19. Dezember eine Bonuszusage ohne jegliche
Einschränkung, Bedingung oder Vorbehalt zu bekommen. Diese Erwartung hat die
Rechtsvorgängerin jedoch, wie sich aus dem Wortlaut des Schreibens ergibt,
gerade nicht erfüllt. Insbesondere die Ausführungen, die das Vorstandsmitglied Dr.
C der Rechtsvorgängerin bei dem so genannten Townhall-Meeting machte, können
keinesfalls die unrichtige Auslegung der schriftlichen Erklärung, wie sie die Klägerin
vornimmt, stützen. Dr. C ließ keinen Zweifel daran, dass er zwar gerne eine
endgültige Zusage gemacht hätte, ihm dies aber auf Grund eines entsprechenden
Vorstandsbeschlusses gerade nicht möglich war. Indem er unstreitig darauf
hinwies, dass die Berechnung vorläufig sei und die Auszahlung davon abhängig sei,
dass es nicht zu einer weiteren Verschlechterung der Situation komme, machte er
vielmehr deutlich, dass der Vorstand der Rechtsvorgängerin mit dem Schreiben
vom 19. Dezember 2008 keine verbindliche Leistungsbestimmung i. S. d. § 315
BGB erklären wollte und dies auch nicht getan hat.
Darüber hinaus geht auch das Berufungsgericht wie das Arbeitsgericht davon
aus, dass die Leistungsbestimmung i. S. d. § 315 BGB bedingungsfeindlich ist und
deshalb auch nicht mit einem – wie auch immer begründeten – Vorbehalt
versehen werden kann (
). Soweit (
) davon Ausnahmen aus praktischen Bedürfnissen zulassen will,
bezieht er sich ausdrücklich auf solche, deren Eintritt der Erklärungsempfänger
selbst herbeiführen und feststellen kann und nennt als Beispiel im Arbeitsrecht die
Änderungskündigung. Es liegt auf der Hand, dass die Interessenlage der Parteien
mit einem solchen Fall nicht vergleichbar ist, denn der hier formulierte Vorbehalt
lag allein bei der Beklagten. Die Klägerin hatte auf den Inhalt und das Ergebnis der
angekündigten Review keinerlei Einfluss.
Nach den vorausgegangenen Feststellungen kann dahingestellt bleiben, ob der
geäußerte Vorbehalt im Sinne einer von der Beklagten selbst noch zu erfüllenden
Bedingung die gesamte Leistungsbestimmung – unter der Voraussetzung, dass
man entgegen den vorausgegangenen Feststellungen von einem entsprechenden
Erklärungsinhalt ausgeht – unwirksam macht. Keinesfalls hat der bei einer
Leistungsbestimmung unzulässige Vorbehalt aber zur Wirkung, dass dann die
Bestimmung vorbehaltlos gilt. Vielmehr ist nach dem Rechtsgedanken des § 139
BGB die gesamte Erklärung nichtig, denn aus dem Wortlaut selbst, den
Erklärungen des Vorstandsmitglieds Dr. C und den entsprechenden Beschlüssen
des Vorstands der Rechtsvorgängerin folgt ja gerade, dass diese unter den
damaligen Umständen keinesfalls willens war, eine Bonuszusage ohne den
formulierten Vorbehalt abzugeben.
Daraus folgt zugleich, dass das Arbeitsgericht, das zu Recht den Bonusbrief
nicht als endgültige Leistungsbestimmung i. S. d. § 315 BGB erachtet hat, keinen
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nicht als endgültige Leistungsbestimmung i. S. d. § 315 BGB erachtet hat, keinen
Zirkelschluss bezüglich des erklärten Vorbehalts vorgenommen hat und dieser
auch nicht als – in den Augen der Klägerin – unzulässiger Widerrufsvorbehalt
angesehen werden kann.
Damit bleibt es bei dem bereits erstinstanzlich festgestellten Ergebnis, dass
die Klägerin aus § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. Nr. 2 b) seines Arbeitsvertrags und dem
Schreiben vom 19. Dezember 2008 keinen Anspruch auf Zahlung des begehrten
Bonus' hat.
2. Ein solcher Anspruch folgt auch nicht aus §§ 611 Abs. 1, 315 Abs. 1 und Abs.
3 BGB i. V. m Nr. 2 b) des Arbeitsvertrags.
Aus dem Vortrag der Klägerin folgt auch in der Berufungsinstanz nicht, dass
die Beklagte bei der Leistungsbemessung ermessensfehlerhaft gehandelt hat und
nur die Auszahlung des vollen am 19. Dezember 2008 mitgeteilten vorläufigen
Betrags billigem Ermessen entspricht.
Bei der nach § 315 Abs. 3 Satz 1 gebotenen Leistungsbestimmung nach
billigem Ermessen muss der Arbeitgeber die wesentlichen Umstände des
Einzelfalls und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigen (stRspr,
vgl. z. B. ).
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Leistungsbestimmung gem. § 315
Abs. 3 Satz 1 BGB der Billigkeit entspricht, trägt derjenige, dem das Recht
eingeräumt wurde (
). Allerdings ist dabei von einer abgestuften
Darlegungs- und Beweislast in dem Sinne auszugehen, dass zunächst ein
Arbeitnehmer, der die Leistungsbestimmung nicht gelten lassen will, im Prozess
angeben muss, weshalb er die Bestimmung für unbillig hält (
).
a) Zu Recht ist das Arbeitsgericht deshalb davon ausgegangen, dass die
Klägerin trotz der vorläufigen Bonusmitteilung vom 19. Dezember 2008 als
Leistungsempfänger darlegen muss, weshalb sie die Bestimmung vom Februar
2009 für unbillig hält. Bereits dies ist ihr nicht gelungen.
Dabei kann die Klägerin nicht auf die Mitteilung vom 19. Dezember 2008
zurückgreifen, da diese – wie unter 1. bereits festgestellt – keine verbindliche
Bonusfestsetzung darstellte. Damit war die Beklagte frei, auf Grund der ihr zum
Zeitpunkt der Beschlussfassung vorliegenden Zahlen vertragsgemäß unter
Berücksichtigung der Leistung der Klägerin ihr Ermessen zur Leistungsfestsetzung
neu auszuüben.
Die Beklagte hat als Grundlage ihrer Entscheidung Zahlen vorgetragen, die
für sich allein genommen bereits eine erhebliche Einschränkung der vorläufig
mitgeteilten Boni rechtfertigen: Danach endete die Review zum Stand vom 04.
Februar 2009 mit einem operativen Ergebnis der A von – 5,751 Mio. € und einem
Verlust vor Steuern von 5,948 Mrd. €. Damit hatte sich der Verlust gegenüber der
Prognose vom November annähernd verdoppelt, die Erträge präsentierten sich
10-fach schlechter als im November.
Die Klägerin hat diesen Vortrag der Beklagten nicht substanziiert
bestritten. Insbesondere blieb unstreitig, dass sich die Gesamtsituation der
Rechtsvorgängerin und damit auch die der sie übernehmenden Beklagten so
dramatisch entwickelte, dass es schließlich zum operativen Ergebnis des Bereichs
Investment Banking in Höhe von -6,275 Mio. € und einem operativen Verlust der
Rechtsvorgängerin der Beklagten insgesamt von 6,560 Mrd. € kam.
Dieses endgültige Ergebnis wurde so im testierten Jahresabschluss der
Rechtsvorgängerin der Beklagten (auszugsweise vorgelegt als Bl. 132 – 140 d. A.)
festgestellt, und kann schon deshalb nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden.
Wenn die Klägerin dem entgegenhält, es handele sich um Festlegungen, nicht um
Feststellungen, so muss dies schon deshalb als unsubstanziiertes Bestreiten
unberücksichtigt bleiben, weil sie die nach ihrer Auffassung möglichen Alternativen
und die sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht benennt.
Im Übrigen spricht der Bestätigungsvermerk der Abschlussprüfer unter
dem Finanzbericht 2008 der Rechtsvorgängerin (Bl. 139 f d. A.) eine deutliche
Sprache, die dem Vortrag der Klägerin widerspricht. Darin heißt es:
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"Ohne diese Beurteilung einzuschränken, weisen wir auf die
Ausführungen im Konzernlagebericht in den Abschnitten "Geschäftliche
Entwicklung" und "Ausblick" sowie im Konzernrisikobericht im Abschnitt
"Zusammenfassung und Ausblick" hin. Dort ist ausgeführt, dass der Fortbestand
der B davon abhängt, dass in ausreichendem Maße Eigenkapital zur Stärkung der
aufsichtsrechtlichen Eigenmittel sowie der Risikodeckungsmasse zur Verfügung
gestellt wird. Hierzu ist insbesondere erforderlich, dass
– die D eine stille Einlage in Höhe von 750 Mio. € leistet;
– die E als 100 %iger Gesellschafter der B für diese bis zur
Verschmelzung eine angemessene Kapitalausstattung sicherstellen wird;
– das integrierte Institut E nach der Verschmelzung eine ausreichende
Eigenkapitalausstattung ausweist;
– die zuständigen Behörden keine aufsichtsrechtlichen Maßnahmen
ergreifen werden sowie
– gegen die vorgenannten Maßnahmen keine rechtlichen Vorbehalte
(insbesondere EU-Verfahren) geltend gemacht werden."
Zwar lagen der Rechtsvorgängerin der Beklagten diese Erkenntnisse zum
Zeitpunkt der Bonusfestsetzung im Februar 2009 noch nicht vor, der Vermerk
macht jedoch nachträglich deutlich, in welch prekärer finanzieller Situation sich die
Rechtsvorgängerin der Beklagten kurz vor Übernahme durch diese befand.
Dadurch wurde die Richtigkeit der Review-Ergebnisse, die die Rechtsvorgängerin
ihrer Bonusfestsetzung zu Grunde gelegt hatte, nachträglich bestätigt.
Indem die Beklagte allein diese Ergebnisse nunmehr zur Basis ihrer
Ermessensentscheidung nahm, verstieß sie nicht gegen die gesetzlich gebotene
Billigkeit. Insbesondere kommt es angesichts dieser Erkenntnisse nicht mehr
darauf an, wie sich die Ertrags- und Ergebnissituation der A und/oder der
Rechtsvorgängerin insgesamt in den Monaten zwischen August und Dezember
2008 in den Prognosen des Vorstands entwickelt hatte.
Dass die Rechtsvorgängerin im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung
auch die individuelle Leistung der Klägerin in Beachtung der arbeitsvertraglichen
Regelung berücksichtigt hat, folgt bereits daraus, dass sie hinsichtlich der Höhe
der ausgezahlten Boni unter den bonusberechtigten Arbeitnehmern differenziert
entschieden und in deren Verhältnis untereinander die Leistungsbeurteilung, die
zur vorläufigen Mitteilung vom 19. Dezember 2008 geführt hatte, weiter zu Grunde
gelegt hat.
b) Auch aus einem weiteren Grund ist der Vortrag der Klägerin zur Begründung
ihres Anspruchs aus § 611 BGB i. V. m. § 315 Abs. 1 und 3 BGB unschlüssig:
Da die Klägerin einen bezifferten Anspruch in Höhe des am 19. Dezember
2008 mitgeteilten Bonus' geltend macht, müsste sich aus ihrem Vortrag ergeben,
dass allein die Festsetzung in dieser Höhe der ordnungsgemäßen
Leistungsbemessung i. S. d. § 315 BGB entspräche. Für eine solche Reduzierung
des Ermessensspielraums sind jedoch keine tragfähigen Anhaltspunkte ersichtlich,
denn nach den vorausgehenden Erwägungen war die Rechtsvorgängerin jedenfalls
berechtigt, den zu zahlenden Bonus vor dem Hintergrund des sich im Februar
2009 abzeichnenden schlechten wirtschaftlichen Ergebnis sowohl des Investment-
Bereichs als auch der Bank insgesamt neu und weit geringer als zunächst
angekündigt festzusetzen.
Dem Gericht wäre es danach selbst im Falle einer festgestellten
fehlerhaften Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts unmöglich, auf der Basis
der ihm mitgeteilten Daten eine eigene Leistungsbestimmung i. S. d. § 315 Abs. 3
Satz 2 BGB in Höhe des begehrten Betrags vorzunehmen.
3. Zu Recht hat es das Arbeitsgericht weiterhin abgelehnt, in der Mitteilung
über die Bereitstellung des Bonuspools in Höhe von 400 Mio. € eine
Gesamtzusage gegenüber der Klägerin und den anderen Arbeitnehmern zu
erkennen. Weder die Mitteilung vom 18. August 2008 noch das
Mitarbeiterschreiben vom 28. Oktober 2008 enthält irgendwelche
Verteilungsgrundsätze oder sonstige Zahlungsvoraussetzungen. Es mangelt
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Verteilungsgrundsätze oder sonstige Zahlungsvoraussetzungen. Es mangelt
diesen Erklärungen somit an den vom Arbeitsgericht ausführlich dargestellten
Voraussetzungen, die Rechtsprechung und Lehre an eine Gesamtzusage stellen.
In Ergänzung hierzu kann zur rechtlichen Beurteilung des Mitarbeiterbriefs vom
28. Oktober 2008 auf die den Parteien bekannte rechtskräftige Entscheidung des
(
) verwiesen werden, mit dem die Berufung eines
Arbeitnehmers der Beklagten zurückgewiesen wurde, der allein unter Berufung auf
den Mitarbeiterbrief vom 28. Oktober 2008 einen Bonusanspruch gegenüber der
Beklagten geltend machte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Da die der Entscheidung zu Grunde liegenden Rechtsfragen über den Einzelfall
hinaus für eine Vielzahl von Arbeitnehmern der Beklagten von grundsätzlicher
Bedeutung sind, wurde die Revision gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.