Urteil des LAG Hessen vom 05.10.2010

LAG Frankfurt: eintritt des versicherungsfalls, verpfändung, stille reserven, treu und glauben, entstehung der forderung, verjährungsfrist, zahlungsunfähigkeit, gläubigerbenachteiligung

1
2
3
4
Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
13. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 Sa 1841/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 133 Abs 1 InsO, § 140 InsO,
§ 146 InsO, § 159 VVG
Insolvenzanfechtung - Kapitallebensversicherung -
Gläubigerbenachteiligung durch
Verpfändungsvereinbarung - Eintritt der rechtlichen
Wirkung einer Kapitallebensversicherung
Leitsatz
Einzelfall einer berechtigten Anfechtung eines Geschäfts durch den Insolvenzverwalter
wegen Gläubigerbenachteiligung.
Zum Eintritt der rechtlichen Wirkungen einer Kapitallebensversicherung im Sinne von §
140 InsO.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 07.
Oktober 2009 - 5 Ca 128/09 - abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, in die Auszahlung der Auszahlungsansprüche aus der
Kapitallebensversicherung Nr. 70 - 8153355-03 (8270/9999) bei der A,
Versicherungsnehmer B, einzuwilligen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen mit Ausnahme der durch
die Anrufung des unzuständigen Landgerichts Kassel entstandenen Kosten. Diese
hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten nach einer Insolvenzanfechtung darüber, ob der
Auszahlungsanspruch aus einer im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung für
den Beklagten abgeschlossenen Rückdeckungs-Kapitallebensversicherung der
Insolvenzmasse zusteht.
Der am 09. September 1944 geborene Beklagte trat am 19. Oktober 1987 in die
Dienste der B ein und war dort zuletzt als Kaufmännischer Leiter und Prokurist
beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete am 31. Oktober 1999.
Am 13. November 1991 erhielt der Beklagte von der B eine Pensionszusage über
eine lebenslängliche Altersrente nach vollendetem 63. Lebensjahr in Höhe von
monatlich 1.000,00 DM. Hinsichtlich des genauen Inhalts der Pensionszusage wird
auf Bl. 48 - 51 d. A. Bezug genommen. Zur Rückdeckung dieser Pensionszusage
schloss die B am 01. Oktober 1987 für den Beklagten eine
Kapitallebensversicherung bei der A ab (Bl. 14 -16 d. A.). In Bezug auf den
Anspruch des Beklagten heißt es dort:
Die Versicherungsleistung aus der Lebensversicherung wird fällig bei Tod des
Versicherten, spätesten bei Ablauf der Versicherung.
5
6
7
8
9
Mit einer Verpfändungsvereinbarung vom 05. November 1997 räumte die B dem
Beklagten zur Sicherung aller Ansprüche aus der Pensionszusage an dieser
Rückdeckungs-Versicherung ein erstrangiges Pfandrecht ein (Bl. 17 ff d. A.). Die
Verpfändung wurde der A gesondert angezeigt und von dieser in ihren Unterlagen
vermerkt (Bl. 18. d. A.).
Auf Antrag der Krankenkasse für die Bau- und Holzberufe, der die B am 30.
November 1998 aus der Zeit vom 01. April 1998 bis dahin 334.159,60 € an
Sozialabgaben schuldete (Bl. 10 d. A.) beschloss das Amtsgericht Kassel (AZ.: 660
IN 52/99) am 15. Juli 1999 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das
Vermögen der B (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin). Der Kläger wurde zum
Insolvenzverwalter bestellt (Bl. 9 d. A.).
Mit Schreiben vom 02. Mai 2007 teilte die A dem Beklagten mit, dass die
vorgenannte Kapitallebensversicherung zum 01. Oktober 2007 fällig werde (Bl. 53
d. A.). Die auszuzahlende Versicherungsleistung liege bei 6.347,33 €. Mit
Schreiben vom 02. Juli 2007 wandte sich der Beklagte daraufhin an den Kläger und
bat um Unterzeichnung und Rückgabe des Versicherungs- und des
Verfügungsscheins (Bl. 19, 20 d. A.) damit die Kapitallebensversicherung
ausgezahlt werden könne. Mit Schreiben vom 16. Juni 2008 an den Beklagten (Bl.
21 d. A.) focht der Kläger den Abschluss und die Verpfändung dieser Versicherung
an.
Mit der am 24. August 2008 zunächst beim Landgericht Kassel erhobenen Klage
hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger ist der Ansicht gewesen, die Kapitallebensversicherung und deren
Verpfändung seien in der Absicht, Gläubiger zu benachteiligen, abgeschlossen
worden, mit der Folge, dass der Auszahlungsanspruch aus der
Kapitallebensversicherung der Insolvenzmasse zustehe. Den
Benachteiligungsvorsatz habe der Beklagte bei Annahme der
Verpfändungserklärung erkannt. Dies ergebe sich im Einzelnen aus Folgendem:
Die Verpfändung der Kapitallebensversicherung, so hat der Kläger gemeint, habe
die Insolvenzmasse zum Nachteil der Gläubiger der Insolvenzschuldnerin verkürzt.
Ohne die Verpfändungserklärung sei die zum 01. Oktober 2007 fällige
Versicherungsleistung der Insolvenzmasse zuzuführen gewesen. Der Beklagte
habe durch diese Verpfändung zu dem eine inkongruente Deckung im Sinne des
Insolvenzrechts erhalten, da ausweislich der Pensionszusage kein Anspruch auf die
Absicherung der Rentenansprüche durch eine Lebensversicherung bestehe. Der
Kläger hat behauptet, die Verpfändung der Kapitallebensversicherung sei in
Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung und damit
zugleich mit dem Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung erfolgt. Der
Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin habe bei Abgabe der
Verpfändungserklärung gewusst, dass die Insolvenzschuldnerin seit dem Jahr 1996
durchgängig mit erheblichen Verlusten gearbeitet habe und man die
Weiterführung des Unternehmens nur mit einem landesverbürgten Darlehen und
einer erheblichen Privatbürgschaft habe ermöglichen können. Der Geschäftsführer
der Insolvenzschuldnerin habe deshalb bereits ab September 1994 sein
Geschäftsführergehalt von monatlich 15.000,00 DM auf monatlich 10.000,00 DM
reduziert. Am 03. November 1997 - also 2 Tage vor der Verpfändung - habe er
zudem einen Versorgungsverzicht erklärt, hinsichtlich dessen genauen Inhalts auf
Bl. 7 d. A. verwiesen wird. Hintergrund dafür sei gewesen, dass bereits die Bilanz
der Insolvenzschuldnerin zum 31. Dezember 1996 einen nicht durch Eigenkapital
gedeckten Fehlbetrag von 312.000,00 DM und mangels stiller Reserven damit eine
Überschuldung ausgewiesen habe. Diese wirtschaftliche Lage habe sich in den
folgenden Jahren noch verschlechtert. Das Jahr 1997 sei mit einem Verlust von
967.000,00 DM abgeschlossen worden. Auf den klägerseits vorgelegten
Jahresabschluss der Insolvenzschuldnerin vom 31. Dezember 1997 (Bl. 76 - 134 d.
A.) wird verwiesen. Unstreitig war bereits im April 1998 die Insolvenzschuldnerin
nicht mehr in der Lage gewesen, die Krankenversicherungsbeiträge für ihre
Mitarbeiter abzuführen. Der Kläger hat weiter behauptet, der Beklagte habe die
Verpfändung in Kenntnis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht der
Insolvenzschuldnerin angenommen. Als Kaufmännischer Leiter und Prokurist seien
ihm die wirtschaftlichen und finanziellen Rahmendaten der Insolvenzschuldnerin
bekannt gewesen. Er habe ihre drohende Zahlungsunfähigkeit ebenso wie ihre
Überschuldung gekannt und damit letztlich auch die Gläubiger benachteiligende
Wirkung der Verpfändung.
10
11
12
13
14
15
16
17
18
Das Anfechtungsrecht, so hat der Kläger weiter gemeint, sei schließlich auch nicht
gemäß § 146 Abs. 1 InsO verjährt. Die Durchsetzung des Anfechtungsrechts setze
voraus, dass der Insolvenzverwalter Kenntnis von den die Anfechtung
begründenden Tatsachen und von der Person des Anfechtungsgegners erlange.
Dies sei regelmäßig erst nach dem Eröffnungsbeschluss der Fall. Da die
Insolvenzanfechtung zudem quasi-deliktischer Rechtsnatur sei, müsste jedenfalls
die Festlegung des Verjährungsbeginns analog 852 BGB a. F. erfolgen. Darüber
hinaus verstoße die Erhebung der Verjährungseinrede vorliegend gegen Treu und
Glauben. Der Beklagte habe die Versicherungsunterlagen, insbesondere die
Original-Versicherungspolice bei seinem Ausscheiden aus den Diensten der
Insolvenzschuldnerin ohne deren Wissen und Wollen an sich genommen und auf
diese Weise bewusst die Kenntnisnahme des Insolvenzverwalters vereitelt.
Ein Anspruch ergebe sich überdies aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten
Bereicherung.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, in die Auszahlung der Auszahlungsansprüche aus
der Kapitalversicherung Nr. 70-8153355-03 (8270/9999) bei der A,
Versicherungsnehmer B, einzuwilligen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat behauptet, durch den Abschluss und die Verpfändung der
Kapitallebensversicherung seien Gläubiger der Insolvenzschuldnerin nicht
benachteiligt worden. Auf Anregung des damaligen Bezirksdirektors der A habe er
mit dem Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin zur Absicherung seiner
Rentenansprüche die fragliche Kapital-Lebensversicherung abgeschlossen und an
sich verpfänden lassen. Im Gegenzug habe er sodann absprachegemäß der
Insolvenzschuldnerin die monatlichen Versicherungsbeiträge für die
Lebensversicherung erstattet (Beweis: Zeuge C). Ausgehend davon sei durch den
Abschluss und die Verpfändung der Lebensversicherung weder die Insolvenzmasse
geschmälert worden noch habe er eine inkongruente Deckung erhalten. Die
Insolvenzschuldnerin sei bei Verpfändung der Lebensversicherung auch nicht
drohend zahlungsunfähig gewesen. Der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin
habe dem Amtsgericht - Insolvenzgericht - Kassel noch am 18. Juni 1999
mitgeteilt, dass sich die wirtschaftliche Situation "jetzt kurzfristig verschärft hat, da
erwartete große Zahlungen ausgeblieben sind/sich verschoben haben" (Bl. 23, 24
d. A.). Ursache für die eingetretene Insolvenz sei mithin das Ausbleiben erwartete
Zahlungen gewesen; dies habe man im Zeitpunkt der Verpfändung der
Lebensversicherung nicht vorhersehen können. Auch von einer Überschuldung der
Insolvenzschuldnerin könne aufgrund erheblicher stiller Reserven nicht
ausgegangen werden. Im Jahr 1995 habe die Insolvenzschuldnerin Maschinen und
Anlagen im Wert von ca. 4 Mil. DM angeschafft. Ende 1997 habe der Wert dieser
Anlagen noch bei mindestens 3,5 Mil. DM gelegen. Lediglich aufgrund der
Abschreibung sei in der Bilanz ein erheblich geringerer Wert aktiviert worden.
Darüber hinaus habe er, der Beklagte, auch keine Kenntnis von einem etwaigen
Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Insolvenzschuldnerin gehabt. Dafür spräche,
dass er mit seinem neben seiner Tätigkeit für die Insolvenzschuldnerin betriebenen
Einzelunternehmen der Insolvenzschuldnerin noch im Jahre 1997 einen
Kreditrahmen von ca. 250.000,00 DM eingeräumt habe. Dies wäre nicht
geschehen, wenn er von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder
Überschuldung gewusst hätte.
Das Anfechtungsrecht des Klägers sei im Übrigen auch verjährt. Es gelte die
zweijährige Verjährungsfrist des § 146 InsO a. F. Die Verjährungsfrist sei deshalb
bereits am 15. Juli 2001 abgelaufen gewesen.
Durch Urteil vom 07. Oktober 2009 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen,
im Wesentlichen mit der Begründung, die Forderung des Klägers sei jedenfalls
nach Maßgabe des anwendbaren § 146 Abs. 1 InsO a. F. verjährt. Der Kläger habe
die dortige zweijährige Verjährungsfrist ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens
versäumt. Die Berufung auf die Einrede der Verjährung sei auch nicht treuwidrig
gewesen. Wegen der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe
des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 217 - 227 d. A.)
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
Gegen dieses dem Kläger am 10. November 2009 zugestellte Urteil hat dieser mit
einem beim erkennenden Gericht am 16. November 2009 eingegangenen
Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 11. Januar 2010 (Montag)
eingegangenen Schriftsatz begründet.
Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Der Beklagte
habe mit der Verpfändung eine inkongruente Deckung für seinen
Pensionsanspruch erhalten, weil die Pensionsvereinbarung keine
Absicherungspflicht der Insolvenzschuldnerin enthielt. Die finanzielle Lage der B sei
schon in 1996 prekär gewesen. Dies lasse sich dem Schreiben des
Geschäftsführers vom 18. Juni 1999 an das Insolvenzgericht ablesen. Dort habe
der Geschäftsführer selbst eingeräumt, dass im Jahre 1996 die Kosten nicht mehr
zu erwirtschaften gewesen seien und zu entsprechenden Verlusten geführt hätten.
Man habe deshalb ein zusätzliches Darlehen von rund 2 Mil. DM, abgesichert durch
Landesbürgschaften und eine persönliche Bürgschaft von D über 200.000,00 DM,
aufnehmen müssen. Die schwierigen Marktverhältnisse hätten auch in 1997/1998
weiter zu Verlusten geführt. Wegen der Einzelheiten wird auf das zitierte Schreiben
verwiesen (Bl. 23 f d. A.). In Verbindung mit den übrigen vorgetragenen Tatsachen
lasse sich daraus nach Meinung des Klägers schließen, dass die
Insolvenzschuldnerin schon bei Abschluss der Verpfändungsvereinbarung am 05.
November 1999 die drohende Zahlungsunfähigkeit fürchtete und somit in
Gläubigerbenachteilungsabsicht gehandelt habe. Auch dem Beklagten als
Prokurist und Kaufmännischem Leiter habe die finanzielle Lage der
Insolvenzschuldnerin in 1997 klar gewesen sein müssen. Er habe daher vom
Benachteiligungsvorsatz der Insolvenzschuldnerin gewusst.
Sein Anfechtungsrecht sei – so der Kläger weiter- bei Erklärung der Anfechtung
auch nicht verjährt gewesen. Tatsächlich laufe die Verjährungsfrist zwar ab
Eröffnung des Insolvenzverfahrens, allerdings nicht früher als ab Entstehung des
Anfechtungsanspruchs. Dieser sei hier erst zum Zeitpunkt der Fälligkeit der
Kapitallebensversicherung, also zum 01. Oktober 2007, entstanden. Deshalb habe
er mit seinem Anfechtungsschreiben vom 16. Juni 2008 und noch mit der
Klageerhebung vom 24. Oktober 2008 den Lauf der Verjährungsfrist rechtzeitig
unterbrochen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 07. Oktober 2009 - 5 Ca 128/09 -
abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, in die Auszahlung der
Auszahlungsansprüche aus der Kapitalversicherung Nr. 70-8153355-03
(8270/9999) bei der A, Versicherungsnehmer B, einzuwilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und behauptet weiter, eine
Gläubigerbenachteiligungsabsicht habe bei Abschluss der
Verpfändungsvereinbarung vom 05. November 1997 nicht vorgelegen. Immerhin
sei das Insolvenzverfahren – unstreitig – erst am 15. Juli 1999 eröffnet worden. Im
November 1997 habe keine Zahlungsunfähigkeit gedroht. Die B sei auch nicht
überschuldet gewesen. Es hätten noch stille Reserven in Form von Maschinen und
Anlagen im Wert von ca. 4 Mil. DM bestanden, die lediglich aufgrund der
Abschreibung in der Bilanz mit einem geringeren Wert ausgewiesen worden seien.
Seine eigene Firma habe der B noch bis 1997 einen Kreditrahmen von ca.
250.000,00 DM eingeräumt. Auch dies spreche gegen die angeblich zu dieser Zeit
drohende Zahlungsunfähigkeit.
Die Forderung des Klägers sei im Übrigen verjährt. Die Verjährungsfrist, so meint
der Beklagte, laufe ab dem Datum des Abschlusses der
Verpfändungsvereinbarung, jedenfalls aber ab dem Datum der Insolvenzeröffnung,
also dem 15. Juli 1999.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die
Niederschrift der Berufungsverhandlung vom 03. August 2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
29
30
31
32
33
34
35
36
Die gemäß den §§ 8 Abs. 2 ArbGG; 511 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet
hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§ 64 Abs. 2 ArbGG) keinen
Bedenken. Sie ist nach Maßgabe der im Tatbestand mitgeteilten Daten form- und
fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§
66 Abs. 1 ArbGG; 517, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.
In der Sache ist die Berufung begründet.
Der Kläger hat Anspruch auf die begehrte Freigabeerklärung gegenüber der A,
denn die auszuzahlende Versicherungssumme steht nicht dem Beklagten,
sondern dem Kläger für die Insolvenzmasse der in Insolvenz gefallenen B zu.
Der Kläger hat die Verpfändungsvereinbarung vom 05. November 1997 zwischen
der B und dem Beklagten wirksam angefochten. Nach § 133 Abs. 1 InsO ist eine
Rechtshandlung anfechtbar, welche der Schuldner - hier die B - in den letzten 10
Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Vorsatz
vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, wenn der andere Teil - hier
der Beklagte - zu Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte.
Durch die Verpfändungsvereinbarung vom 05. November 1997 ist eine
Gläubigerbenachteiligung gegeben. Die Vereinbarung verhindert, dass die
inzwischen fällige Versicherungsleistung in Höhe von 6.347,33 € der
Insolvenzmasse zufließt.
Dies ist in Gläubigerbenachteiligungsabsicht beider Beteiligter geschehen. Nach
der Rechtsprechung des BGH, der die erkennende Kammer folgt, bildet eine
inkongruente Deckung in der Regel ein Beweiszeichen für den
Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Gläubigers von
diesem Vorsatz (BGH vom 18. März 2010, DB 2010, 950; BGH vom 08. Oktober
1998, WM 1998, 2345; BGH vom 15. Februar 1990, ZIP 1990, 459; Hess, InsR-GK,
2007, § 133 Randziffer 45 m. w. N.; FK-InsO, 4. Auflage 2006, § 133 Randziffer 12).
Hier ist regelmäßig zu vermuten, dass sich ein durchsetzungskräftiger und gut
informierter Gläubiger Sondervorteile vor der Gläubigergesamtheit verschafft hat.
Die Verpfändungsvereinbarung vom 05. November 1997 ist ein Fall der
inkongruenten Deckung. Diese liegt gemäß § 133 InsO vor, wenn einem
Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht wird,
die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu dieser Zeit zu beanspruchen hatte.
Das war hier der Fall. Weder die Vereinbarung über den Abschluss der
Kapitallebensversicherung noch sonst eine Vereinbarung oder ein anderes
rechtliches Gebot verpflichtete die B mit dem Beklagten die zitierte
Verpfändungsvereinbarung abzuschließen. Schon für die Absicherung der
Pensionszusage durch die Kapitallebensversicherung gab es keine rechtliche
Verpflichtung. Das erlangte erstrangige Pfandrecht wurde offenkundig "aus freien
Stücken" eingeräumt (vgl. zu Kongruenz eine Sicherheit auch BGH vom 18. März
2010, a. a. O. und BGH vom 22. Juli 2004, WM 2004, 1837).
Hinzu kam die prekäre Lage der B zum Zeitpunkt des Abschlusses der
Verpfändungsvereinbarung, die sich bereits aus dem im Tatbestand zitierten
Schreiben der Insolvenzschuldnerin vom 18. Juni 1999 ergibt, das die
Liquiditätsprobleme schon ab 1996 drastisch schildert. Unstreitig hat die
Insolvenzschuldnerin ab 01. April 1998 die Sozialabgaben nicht mehr bezahlt. Die
Bilanz wies per 31. Dezember 1996 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten
Fehlbetrag von 312.000,00 DM auf. Das Jahr 1997 wurde mit einem Fehlbetrag von
967.000,00 DM abgeschlossen. Das reicht aus, um die brisante finanzielle Lage
der B z. Zt. des Abschlusses der Verpfändungsvereinbarung zu beschreiben. Diese
sind nicht durch die Hinweise des Beklagten zu entkräften, es habe noch stille
Reserven gegeben und sein eigenes Einzelunternehmen habe der B noch in 1997
einen Kreditrahmen von rund 250.000,00 DM eingeräumt. Die angeblichen stillen
Reserven haben in den Erklärungen der Insolvenzschuldnerin selbst keinen
Niederschlag gefunden, jedenfalls nicht soweit, dass der Verdacht einer
Überschuldung damit ausgeräumt gewesen wäre. Warum der Beklagte als
Einzelunternehmer der B in 1997 noch einen so hohen Kreditrahmen eingeräumt
hat, mag dahinstehen. Die Tatsache allein würde die oben angeführten Fakten
nicht widerlegen. Wenn der Beklagte weiter einwendet, die vorgenommene
Absicherung seiner Pensionsansprüche sei "üblich" gewesen, ist dies durch nichts
belegt. Dagegen spricht schon das zeitliche Auseinanderfallen der Pensionszusage
einerseits und der Lebensversicherungsvereinbarung nebst
Verpfändungsvereinbarung andererseits. Unbeachtlich ist auch die Behauptung
37
38
39
40
41
42
43
Verpfändungsvereinbarung andererseits. Unbeachtlich ist auch die Behauptung
des Beklagten, er habe der B die Versicherungsprämien regelmäßig erstattet. Dies
würde an seiner durch die Verpfändungsvereinbarung bevorzugten Stellung
gegenüber der Gläubigergesamtheit nichts ändern. Im Übrigen ist die Behauptung
auch zu unsubstantiiert erhoben, um ihr etwa durch Vernehmung des Zeugen C
nachzugehen. Seine Vernehmung liefe auf einen Ausforschungsbeweis hinaus, der
dem Zivilprozess allgemein und damit auch dem arbeitsgerichtlichen Verfahren
wesensfremd ist.
Insgesamt sprechen also viele deutliche Hinweise nicht nur für die zum Zeitpunkt
der Verpfändungsvereinbarung vorliegende drohende Zahlungsunfähigkeit der B,
sondern auch für eine hinreichende Kenntnis des Beklagten, der immerhin
Prokurist und Kaufmännischer Leiter der Beklagten war. Ihm kann die finanzielle
Lage der B in 1997 schlechterdings nicht verborgen geblieben sein. Jedenfalls hat
der Beklagte insoweit nichts durchgreifend Entlastendes vorgetragen. Nach
allgemeiner Ansicht würde im vorliegenden Zusammenhang sogar
Eventualvorsatz ausreichen. Der Beklagte hätte also schon in
Benachteiligungsabsicht gehandelt, wenn er eine mögliche
Gläubigerbenachteiligung nur billigend in Kauf genommen hat (BGH vom 21.
Januar 1999, ZIP 1999, 406; Hess, a. a. O., § 133 Randziffer 70 m. w. N.). Dies
muss dem Beklagten nach der Gesamtabwägung der oben angeführten
Umstände unterstellt werden.
Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ist der Anspruch des Klägers nicht
verjährt. Die entsprechende Einrede des Beklagten geht ins Leere.
Dabei mag sogar dahinstehen, ob die Verjährungsfrist gemäß § 146 Abs. InsO in
der bis zum 14. Dezember 2004 geltenden Fassung zwei Jahre ab Eröffnung des
Insolvenzverfahrens beträgt oder sich gemäß §146 Abs. 1 InsO aktueller Fassung
nach den Verjährungsregeln des BGB richtet ( § 195 BGB: 3 Jahre). Der Kläger hat
die Verjährungsfrist mit der am 24. Oktober 2008 erhobenen Klage in jedem Fall
rechtzeitig unterbrochen, denn sie lief erst ab dem Ablaufdatum der
Kapitallebensversicherung am 01. Oktober 2007 und nicht etwa ab Eröffnung des
Insolvenzverfahrens, denn der Anfechtungstatbestand ist erst an diesem Tag
entstanden (zur Berechnungsweise vgl. Hess, a. a. O., § 146 Randziffer 6).
Dies folgt aus § 140 InsO. Danach gilt eine Rechtshandlung - um deren Anfechtung
es geht - als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen
eintreten. Die rechtlichen Wirkungen aus Kapitallebensversicherungen entfalten
sich regelmäßig aber erst dann, wenn der Versicherungsfall eingetreten ist.
Gemäß § 159 VVG (früher §166 VVG) ist die Einsetzung eines Bezugsberechtigten
für die Versicherungsleistung einer solchen Versicherung im Zweifel widerruflich.
Gemäß § 159 Abs. 2 VVG erwirbt der widerruflich als bezugsberechtigt bezeichnete
Dritte das Recht auf die Leistung des Versicherers erst mit dem Eintritt des
Versicherungsfalls.
Nach dem Wortlaut des vorliegenden Versicherungsvertrags war der Beklagte
nicht unwiderruflich als Bezugsberechtigter eingesetzt worden. Dem Kläger stand
also vor Auszahlung der Versicherungssumme das Recht zu, sich selbst bzw. die
Insolvenzmasse als Bezugsberechtigten zu benennen. Bis dahin stand dem
Beklagten noch nicht einmal eine Anwartschaft auf die Versicherungsleistung zu,
sondern nur eine Hoffnung auf die Leistung. Dies ist ein rechtliches Nullum (BGH
vom 27. April 2010, VersR 2010, 1021; BGH vom 23. Oktober 2003, NJW 2004, 214;
BAG vom 14. Juni 2010, - 3 AZR 334/06 -, zitiert nach juris; Hess, a. a. O. § 140
Randziffer 4; Haarmeyer u. a., Präsenskommentar zu InsO, Stand 01. Januar 2010,
§ 140, Randziffer 34). Nicht umsonst hat deshalb auch die A mit dem
Verfügungsschein vom 02. Juli 2007 das Einverständnis des Klägers zur
Auszahlung der Versicherungssumme an den Beklagten erbeten.
Diese rechtliche Sicht entspricht der Funktion der Anfechtung in der Insolvenz. Das
Rechtsinstitut setzt grundsätzlich voraus, dass der Empfänger der Leistung eine
Rechtsstellung erhalten hat, die sich bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens
gegenüber den Rechten der Masse durchsetzen würde, wenn es die
Insolvenzanfechtung nicht gäbe. Da dies erst mit Eintritt des Versicherungsfalls
geschieht, wäre es mit §140 InsO unvereinbar, schon die - widerrufliche -
Benennung des Bezugsberechtigten als anfechtungsrechtlich maßgebenden
Zeitpunkt anzusehen (BGH vom 23. Oktober 2003, a. a. O.).
Die - zusätzliche - Verpfändung des Auszahlungsanspruchs durch die
Verpfändungsvereinbarung vom 05. November 1997 ändert daran nichts. Auch bei
44
45
46
47
Verpfändungsvereinbarung vom 05. November 1997 ändert daran nichts. Auch bei
der Abtretung oder Verpfändung künftiger Forderungen entsteht die
anfechtungsrechtlich entscheidende Wirkung nicht schon mit der Verfügung,
sondern erst mit der Entstehung der Forderung selbst, denn die
anfechtungsrechtlich entscheidende Gläubigerbenachteiligung kann sich nur und
erst dann verwirklichen, wenn die Forderung entstanden ist, über die der
Insolvenzschuldner rechtsgeschäftlich vorausverfügt hat (BGH vom 18. März 2010,
ZIP 2010, 1137; BGH vom 20. März 2003, ZIP 2003, 808; BGH vom 24. Oktober
1996, ZIP 1996, 2080; Kirchhoff in MüKo InsO, 2. Auflage 2008, § 140 Randziffer 15;
Haarmeyer u. a., a. a. O., § 140 Randziffer 38; Hess, a. a. O., § 140 Randziffer 8;
ähnlich für Vorausabtretungen OLG Hamm vom 14. Juni 2005, ZIP 2006, 433).
Nach wirksamer und rechtzeitig innerhalb der laufenden Verjährungsfrist erklärten
Anfechtung ist der Beklagte somit zur Abgabe der begehrten Freigabeerklärung
verpflichtet.
Auf die weiteren vom Kläger ins Feld geführten Anspruchsgrundlagen für sein
Begehren kommt es nach dem gefundenen Ergebnis nicht mehr an.
Als Unterlegener hat der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91
Abs. 1 ZPO). Ausgenommen davon sind die Kosten, die durch die Anrufung des
unzuständigen Landgerichts Kassel entstanden sind. Diese hat der Kläger zu
tragen (§ 281 Abs. 3 ZPO).
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.