Urteil des LAG Hessen vom 11.11.2010

LAG Frankfurt: betriebsrat, verbot des rechtsmissbrauchs, mitbestimmungsrecht, gerichtliche zuständigkeit, zusammenarbeit, wiederholungsgefahr, notfall, pauschal, wiese, arbeitsgericht

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
5. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TaBV 60/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 1 BetrVG, § 74 Abs 1
BetrVG, § 87 Abs 1 S 3
BetrVG
Rechtsmissbrauch, Unterlassungsanspruch, Überstunden
Orientierungssatz
Einzelfall: Unterlassungsanspruch wegen der Anordnung von Überstunden;
rechtsmissbräuchliche Ausübung des Mitbestimmungsrechts.
Tenor
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts
Frankfurt am Main vom 13. Januar 2010 – 2 BV 402/08 – wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über die Unterlassung der Anordnung von Überstunden.
Die Beschwerdeführerin (Arbeitgeberin) ist die Deutsche Niederlassung eines in
den A ansässigen und weltweit tätigen Logistikunternehmens. Der Beteiligte zu 1)
(Betriebsrat) ist für den Betrieb in Frankfurt am Main zuständig.
Im September 1990 schlossen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung
über die Leistung von Überstunden, die unter anderem folgende Regelungen
enthält:
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Die maximale Obergrenze der eventuell zu leistenden Überstunden beträgt pro
Arbeitnehmer im Monat 20 Stunden. Die tägliche Arbeitszeit darf jedoch nicht
mehr als 10 Stunden täglich betragen.
Diese Regelung ist auf 12 Monate befristet. Danach soll die maximale Obergrenze
der eventuell zu leistenden Überstunden pro Arbeitnehmer im Monat auf 10
begrenzt werden.
§ 11
Bei eventuell zu leistenden Überstunden, die die maximale Obergrenze
übersteigen, ist von der Geschäftsleitung eine vorherige Genehmigung des
Betriebsrats einzuholen.“
Wegen des weiteren Inhalts der Betriebsvereinbarung wird auf die Kopie Blatt 9, 10
der Akten Bezug genommen. Am 30. April 1998 schlossen die Beteiligten im
Beschwerdeverfahren 5 TaBV 148/97 einen Vergleich, in dem sich die
Arbeitgeberin verpflichtete, es zukünftig zu unterlassen, ohne vorherige
Zustimmung des Betriebsrats oder deren Ersetzung durch die Einigungsstelle in
den Abteilung HUB und GSP Überstunden anzuordnen und/oder von
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den Abteilung HUB und GSP Überstunden anzuordnen und/oder von
Mitarbeitern/innen entgegen zu nehmen, soweit die Zahl von 10 Überstunden pro
Arbeitnehmer/in und Monat überschritten wird. Wegen des weiteren Inhalts des
Vergleichs wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30. April 1998 – Blatt 290 bis
Blatt 292 der Akten – verwiesen.
In der Abteilung GTS leisteten mehrere Arbeitnehmer in den Monaten Mai 2007
mehr als 20 Überstunden und in den Monaten Juli und August 2007 mehr als 10
Überstunden pro Monat. Der Betriebsrat hatte für den Monat Mai 2007 einer
Überstundenleistung von bis zu 20 Stunden zugestimmt. Die so genannten
Overtime - Meldungen gingen beim Betriebsrat am 13. Juni 2007 für Mai 2007, am
15. August 2007 für Juli 2007 und am 14. September 2007 für August 2007 ein. In
der Abteilung ITD leisteten mehrere Arbeitnehmer mehr als 10 Überstunden. Die
Überstundenmeldungen erhielt der Betriebsrat jeweils erst im Monat, der auf den
Monat der Leistung der Überstunden folgte. In der Abteilung CMI erbrachten
mehrere Arbeitnehmer in den Monaten Januar bis April und Juni 2007 mehr als 10
Überstunden und in den Monaten Juli und August 2007 mehr als 12 Überstunden
pro Monat. Der Betriebsrat hatte einer Überstundenleistung von bis zu 12 Stunden
in den Monaten Juli und August 2007 zugestimmt. Die Überstundenmeldungen
wurden wiederum erst in dem Monat dem Betriebsrat zugeleitet, der auf die
Leistung folgte. Auf der Grundlage des gerichtlichen Vergleichs vom 30. April 1998
wurden für die über 10 Überstunden hinausgehenden Leistungen pro Monat und
Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin „Strafgelder“ gezahlt. Wegen der Berechnung
im Einzelnen wird auf Blatt 293, 294 der Akten Bezug genommen. In der Abteilung
GTS leisteten in den Monaten Februar 2008 und Juni 2008 zehn Arbeitnehmer
mehr als 10 Überstunden. Die Overtime - Meldungen gingen für den Monat
Februar 2008 am 08. April 2008 und für den Monat Juni 2008 am 15. Juli 2008 ein.
In der Abteilung ITD leisteten im Juli 2008 fünf Arbeitnehmer mehr als 10
Überstunden. Die entsprechende Meldung hat der Betriebsrat am 20. August 2008
erhalten. Wegen des weiteren Sachverhalts, des Vortrags der Beteiligten im ersten
Rechtszug sowie der dort gestellten Anträge wird im Übrigen auf den
tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses – Seite 2 – 14 – ergänzend
Bezug genommen.
Durch Beschluss vom 13. Januar 2010 hat das Arbeitsgericht den Anträgen des
Betriebsrats stattgegeben und der Arbeitgeberin aufgegeben, es zu unterlassen,
Überstunden in ihrem Betrieb B – mit Ausnahme der Bereiche HUB und GSP -, die
nicht bereits pauschal aufgrund der „Betriebsvereinbarung Nummer 1
Überstundenregelung“ vom 27./21. September 1990 vom Betriebsrat genehmigt
sind, ohne dessen vorherige Zustimmung oder die diese ersetzende Entscheidung
der Einigungsstelle anzuordnen und/oder zu dulden, es sei denn, es handelt sich
um eine Maßnahme in einem Einzel- oder Notfall, um eine Tendenzmaßnahme
oder um eine arbeitskampfbezogene Maßnahme. Ferner wurde der Arbeitgeberin
für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung ein
Ordnungsgeld bis zur Höhe vom 10.000 Euro angedroht. Wegen der Begründung
im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses –
Blatt 384 bis Blatt 389 der Akten – Bezug genommen.
Gegen diesen am 18. Februar 2010 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin
am 18. März 2010 Beschwerde eingelegt und sie mit dem am Montag, den 19.
April 2010 beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz
begründet. Die Arbeitgeberin verfolgt ihr Begehren, den Unterlassungsantrag
zurückzuweisen, unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen
Vorbringens weiter. Sie meint, dass der Betriebsrat rechtsmissbräuchlich
gehandelt habe. Es stelle einen Verstoß gegen das Gebot der vertrauensvollen
Zusammenarbeit dar, die Zustimmung zur Anordnung von Überstunden zu
verweigern, zugleich aber systematisch bei sämtlichen Einstellungen,
insbesondere bei Einstellungen von Leiharbeitnehmern zur Abdeckung des
vorübergehenden Mehrarbeitsbedarfs, die Dringlichkeit der Maßnahme zu
bestreiten. Zudem habe sich der Betriebsrat auch nicht auf ihren
Verhandlungsanspruch eingelassen. Er könne sich nicht mit einem bloßen „Nein“
begnügen, sondern sei verpflichtet, auf Verhandlungsangebote einzugehen. Trotz
gezielter Nachfrage habe sich der Betriebsrat zu den Gründen für seine
ablehnende Haltung nicht geäußert. Auch ein Einigungsstellenverfahren könne erst
dann notwendig werden, wenn ernsthaft geführte Einigungsbemühungen in freien
Verhandlungen gescheitert seien. Wer solche Verhandlung boykottiere oder
sabotiere, habe keinen Anspruch darauf, seine Interessen – etwa im
Einigungsstellenverfahren – durchzusetzen. Aufgrund der Vorgehensweise sei
offenkundig, dass die Verhandlungen nur deshalb verweigert worden seien, um sie
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offenkundig, dass die Verhandlungen nur deshalb verweigert worden seien, um sie
in ein aussichtsloses Einigungsstellenverfahren zu zwingen, dessen zeitlicher
Ablauf das Regelungsverlangen obsolet werden lasse. Ferner hätten den
Überstunden in vielen Fällen ein Notfall bzw. ein Eilfall zugrunde gelegen, also
außergewöhnliche betriebliche Notwendigkeiten. Dabei habe es sich typischerweise
um Flugverspätungen, aber auch um IT - Ausfälle und sonstige kurzfristige
Sondersituationen gehandelt. Im Übrigen – so die Behauptungen der Arbeitgeberin
– habe sie die streitgegenständlichen Überstunden weder angeordnet noch
geduldet. Die Arbeitnehmer leisteten in den genannten Abteilungen die
Überstunden ausschließlich freiwillig und aus eigener Initiative und nicht „nach
Anordnung“ durch die Arbeitgeberin. Überstunden seien aus finanziellen Gründen
bei Teilzeitarbeitnehmern sehr beliebt. Wiederholt habe sie die Arbeitnehmer auf
die unbedingte Einhaltung der 10 Stunden Obergrenze hingewiesen und ihnen
ausdrücklich untersagt, weiterhin Überstunden aus eigener Initiative zu leisten.
Einzelne Mitarbeiter seien wegen des Überschreitens der zulässigen
Überstundenzahl ausdrücklich er- bzw. abgemahnt worden. Eine
Wiederholungsgefahr sei ausgeschlossen. Seit dem Beschluss des Arbeitsgerichts
vom 13. Januar 2010 seien im Betrieb B keine Überstunden angeordnet,
entgegengenommen oder geduldet worden, die über die in der
Betriebsvereinbarung „Überstundenregelung“ vorab genehmigten 10
Überstunden pro Monat und Arbeitnehmer hinausgingen. Wegen des weiteren
Vorbringens im Beschwerdeverfahren wird auf die Schriftsätze vom 19. April 2010
– Blatt 415 bis Blatt 426 der Akten – und auf den Schriftsatz vom 12. August 2010
– Blatt 453, 454 der Akten – verwiesen.
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 13. Januar 2010 – 2 BV
402/08 – abzuändern und die Anträge des Betriebsrats zurückzuweisen.
Der Betriebsrat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluss unter Wiederholung und Ergänzung
seines erstinstanzlichen Vorbringens. Er behauptet, dass die Arbeitgeberin sehr
wohl Überstunden angeordnet und geduldet habe. Dies zeige sich beispielsweise in
den Emails von Herrn C und Herrn D vom 10. September 2008 wonach herzlich
willkommen sei, wer in FRA zu Overtime Willens und in der Lage sei. Ferner
bestreitet der Betriebsrat, dass wegen Überschreitens der zulässigen
Überstundenzahl Abmahnungen ausgesprochen worden seien. Ferner vertritt er
die Rechtsansicht, dass eine Wiederholungsgefahr gegeben sei. Ob teilweise Eil-
bzw. Notfälle vorgelegen hätten, sei nicht entscheidungserheblich.
Rechtsmissbräuchlich habe er nicht gehandelt. Der Vorwurf gegen das Gebot einer
vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßen zu haben, gehe ins Leere, da er bei
der Ausübung seiner Mitbestimmungsrechte die Grenzen des Ermessens gewahrt
habe. Er boykottiere oder sabotiere Verhandlungen mit der Arbeitgeberin nicht,
sondern sei jederzeit zu Lösungen bereit. Seine Kooperationsbereitschaft zeige
sich am Abschluss der Betriebsvereinbarung „Überstundenregelung“ vom 01.
Oktober 1990. Außerdem habe er bei entsprechenden Anträgen der Erhöhung des
Überstundenkontingents auf 20 Stunden pro Monat und Mitarbeiter bereits
mehrfach zugestimmt. Dem Verhandlungsanspruch der Arbeitgeberin werde er
gerecht. In der Abteilung CMI – so der unbestritten gebliebene Sachvortrag des
Betriebsrats – hätten besondere Probleme hinsichtlich der Gewährung von
Überstunden bestanden. Aufgrund von Beschwerden von Mitarbeitern dieser
Abteilung habe der Betriebsrat erfahren, dass die Anordnung von Überstunden
und die Gestaltung der Arbeitszeit häufig nicht auf operationellen Erfordernissen
des Betriebes beruht hätten, sondern zur „Belohnung“ oder „Maßregelung“
bestimmter Mitarbeiter eingesetzt worden seien. Die Gründe für die Verweigerung
des Betriebsrats habe die Arbeitgeberin bestimmten Mitarbeitern zugespielt. Er –
der Betriebsrat – habe es daher in Einzelfällen als wenig zweckdienlich angesehen
die genauen Ablehnungsgründe mitzuteilen. Wegen des weiteren Vorbringens des
Betriebsrats im Beschwerdeverfahren wird auf die Schriftsätze vom 28. Juni 2010 –
Blatt 440 bis Blatt 445 der Akten – und 31. August 2010 – Blatt 457 der Akten –
Bezug genommen.
B.
I.
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Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist gem. §§ 8 Abs. 4, 87 Abs. 1 ArbGG statthaft
und gem. §§ 87 Abs. 2, 89 Abs. 1 und 2, 66 Abs. 1 ArbGG form- sowie fristgerecht
eingelegt und begründet worden.
II.
In der Sache hat die Beschwerde der Arbeitgeberin keinen Erfolg. Der Beschluss
des Arbeitsgerichts ist nicht abzuändern, da es dem Unterlassungsantrag sowie
dem Antrag auf Androhung eines Ordnungsgeldes zu Recht stattgegeben hat.
1. Der Unterlassungsantrag des Betriebsrats ist zulässig. Die Arbeitgeberin ist
beteiligtenfähig (vgl. BAG 10. März 2009 – 1 ABR 93/07 – AP BetrVG 1972, § 99 Nr.
127 zu B I 1 a der Gründe) und der Antrag ist gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO
bestimmt genug. Das Verhalten, welches der Arbeitgeberin untersagt werden soll,
wird ausreichend genau bezeichnet. Unschädlich ist, dass in der Einschränkung
unbestimmte Begriffe wie „Notfall“ oder „Einzelfall“ verwendet werden. Auch sie
sind hinreichend bestimmt (so BAG 27. November 1999 – 1 ABR 77/89 – Rn. 23,
zitiert nach Juris; BAG 17. November 1989 – 1 ABR 12/98 – Rn. 33, zitiert nach
Juris). Der Darlegung eines besonderen Rechtsschutzinteresses bedarf es nicht, da
es sich bei dem Unterlassungsantrag um einen Leistungsantrag handelt (z.B. BAG
10. November 1987 – 1 ABR 55/86 – Rn. 21, zitiert nach Juris; BAG 03. Juni 2003 – 1
AZR 349/02 – Rn. 39, zitiert nach Juris.
2. Der Antrag ist auch begründet. Der Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung
der Anordnung und/oder Duldung von Überstunden ergibt sich schon aus der
Betriebsvereinbarung „Überstundenregelung“ vom 21./27. September 1990.
Danach kann der Betriebsrat gem. § 11 Abs. 1 S. 1 der Betriebsvereinbarung
i.V.m. § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG verlangen, dass die Leistung von Überstunden, die
die maximale Obergrenze von 10 Stunden pro Monat und Arbeitnehmer
übersteigen, ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats unterbleiben.
a) Die Arbeitgeberin hat die Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG im
Betrieb durchzuführen. Dazu gehört, dass sie betriebsverfassungswidrige
Maßnahmen unterlässt und dafür sorgt, dass sich auch die Arbeitnehmer an die
Regelungen der Betriebsvereinbarung halten (vgl. BAG 29. April 2004 – 1 ABR
30/02 – Rn. 128, zitiert nach Juris).
aa) Die Betriebsvereinbarung ist Anspruchsgrundlage und zwar unabhängig davon,
ob sich der Anspruch unmittelbar aus § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG ergibt oder ob er
seinen Grund in der Betriebsvereinbarung selbst hat (vgl. BAG 10. November 1987
– 1 ABR 55/86 – Rn. 23, zitiert nach Juris). Der Anspruch ist kein Anspruch auf
Unterlassung mitbestimmungswidrigen Verhaltens (vgl. BAG 10. November 1987 –
1 ABR 55/86 – Rn. 23, zitiert nach Juris). Deshalb kommt es nicht darauf an, ob die
Voraussetzungen des allgemeinen Unterlassungsanspruchs oder eines
Unterlassungsanspruchs aus § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG vorliegen (vgl. BAG 10.
November 1987 – 1 ABR 55/86 – Rn. 23, zitiert nach Juris; BAG 23. Juni 1992 – 1
ABR 11/92 – Rn. 30, zitiert nach Juris). Die Ansprüche dienen der Sicherung des
Mitbestimmungsrechts, während im Streitfall Ansprüche einer bereits
abgeschlossenen Betriebsvereinbarung geltend gemacht werden.
bb) Mit der Betriebsvereinbarung hat der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht
nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG hinsichtlich der vorübergehenden Verlängerung der
betriebsüblichen Arbeitszeit ausgeübt. Aus §§ 2, 6 der Betriebsvereinbarung i.V.m.
§ 11 BV ergibt sich, dass der Betriebsrat beim Normaldienst und beim
Schichtdienst eine Überschreitung der täglichen Arbeitszeit und der an
schichtfreien Tagen zu leistenden Arbeit um bis zu 10 Stunden pro Monat und
Arbeitnehmer akzeptiert. Bei eventuell zu leistenden Überstunden, die die
maximale Obergrenze übersteigen, ist von der Geschäftsleitung eine vorherige
Genehmigung des Betriebsrats einzuholen.
cc) Bedenken gegen die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung bestehen nicht.
(1.) Die Regelung stellt insbesondere keinen unwirksamen Verzicht auf das
Mitbestimmungsrecht dar. Das wäre erst dann der Fall, wenn der Betriebsrat der
Arbeitgeberin pauschal und ohne Beschränkung die Befugnis einräumen würde,
Überstunden anzuordnen, wann immer sie dies für erforderlich erachtet (vgl. BAG
03. Juni 2003 – 1 AZR 349/02 – Rn. 53, zitiert nach Juris). Der Betriebsrat kann sein
Mitbestimmungsrecht nicht in der Weise ausüben, dass er dem Arbeitgeber das
alleinige Gestaltungsrecht über den mitbestimmungspflichtigen Tatbestand
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alleinige Gestaltungsrecht über den mitbestimmungspflichtigen Tatbestand
einräumt (BAG a.a.o.) und das Mitbestimmungsrecht in seiner Substanz verletzt.
(2.) In der Vorabzustimmung des Betriebsrats für die Anordnung von 10
Überstunden pro Monat und Arbeitnehmer liegt keine substanzielle Einschränkung
des Mitbestimmungsrecht, sondern für die Laufzeit der Betriebsvereinbarung
dessen Ausübung. Die Betriebsvereinbarung enthält in §§ 4, 5 Regelungen über die
mit der einseitigen Anordnungsbefugnis der Arbeitgeberin verbundenen
Verfahrens – und Verteilungsmodalitäten sowie in § 6 BV eine Begrenzung des
Umfangs. Damit hat der Betriebsrat den mit dem Mitbestimmungsrecht nach §87
Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verbundenen Auftrag wahrgenommen, über den Umfang und
die Verteilung der zu leistenden Überarbeit zu wachen. Er hat nur die
Regelungsfrage, ob einem der Höhe nach begrenzten Arbeitskräftebedarf
überhaupt durch die Leistung von Überstunden oder auf andere Weise begegnet
werden soll pauschal zu Gunsten der ersten Alternative beantwortet.
b) Gegen § 11 der Betriebsvereinbarung hat die Arbeitgeberin beharrlich
verstoßen, auch wenn die Überstunden von den Mitarbeitern „freiwillig“ und nicht
auf Anordnung – so der Sachvortrag der Arbeitgeberin – geleistet worden sein
sollten. Die bloße Duldung genügt schon (vgl. BAG 24.04.2007 – 1 ABR 47/06 – Rn
18, zitiert nach juris). Diesbezüglich ist das Bestreiten der Arbeitgeberin
unerheblich. Sie behauptet selbst nicht, dass ihr die Leistung der Überstunden
durch ihre Mitarbeiter unbekannt gewesen sei. In der Abteilung GTS hat die
Arbeitgeberin den Monaten Mai, Juli und August 2007 sowie Februar und Juni 2008
ohne Zustimmung des Betriebsrats und ohne vorherige Antragstellung von
mehreren Arbeitnehmern erbrachte, über die nach der Betriebsvereinbarung
einzuhaltende Obergrenze hinausgehende Überstunden entgegengenommen.
Dementsprechend ist sie in der Abteilung ITD in den Monaten Februar bis Juli 2007
und Juni 2008 sowie in der Abteilung CMI in der Zeit von Januar bis April 2007
verfahren.
c) Gegen ihr betriebsvereinbarungswidriges Verhalten kann die Arbeitgeberin nicht
erfolgreich einwenden, die Überstunden seien von den Arbeitnehmern „freiwillig“
geleistet worden. Die Bereitschaft einzelner Arbeitnehmer zu einer
vorübergehenden Verlängerung ihrer Arbeitszeit lässt das Mitbestimmungsrecht
nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG unberührt. Dieses besteht nicht nur zum Schutz der
Arbeitnehmer, deren Arbeitszeit verlängert oder verkürzt werden soll. Vielmehr
geht es ebenso um eine gerechte Verteilung der mit der vorübergehenden
Änderung der Arbeitszeit verbundenen Belastungen und Vorteile (vgl. BAG
2404.2007 – 1 ABR 47/06 – Rn 18, zitiert nach juris). Der Arbeitgeber darf der
Erbringung betriebsverfassungswidriger Leistungen einzelner Arbeitnehmer nicht
tatenlos zuschauen. Er hat vielmehr seinen Betrieb so zu organisieren, dass die
betriebsverfassungsrechtlich geregelten Arbeitszeitgrenzen eingehalten werden.
Hierzu muss er die Übereinstimmung betrieblicher Abläufe mit den normativen
Vorgaben der von ihm geschlossenen Betriebsvereinbarungen überprüfen und
erforderlichenfalls korrigierend eingreifen. Er kann sich seiner Verantwortung für
die Führung des Betriebes nicht entziehen (vgl. BAG 29. April 2004 – 1 ABR 30/02 –
Rn. 130, zitiert nach Juris; BAG 06. Mai 2003 – 1 ABR 13/02 – Rn. 65, zitiert nach
Juris). Auf welche Weise er die Einhaltung der Betriebsvereinbarung durch die
Arbeitnehmer bewerkstelligt, bleibt dem Arbeitgeber überlassen. Jedenfalls steht
ihm ein effektives arbeitsrechtliches Instrumentarium zur Verfügung. Zum einen
ist er nicht verpflichtet, Überstunden zu vergüten, die entgegen seinen Weisungen
geleistet wurden. Bereits dies dürfte in den meisten Fällen ausreichen, um die
Problematik in den Griff zu bekommen. Zum anderen kann er mit Ermahnungen
über Abmahnungen bis zum Ausspruch von Kündigungen gegen Arbeitnehmer
vorgehen, die seine Weisungen nicht befolgen. Diese Maßnahmen hat die
Arbeitgeberin nach ihren eigenen Angaben nicht ausgeschöpft.
d) Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin scheitert der
Unterlassungsanspruch auch nicht am Fehlen einer Wiederholungsgefahr.
Erforderlich ist eine ernstliche, sich auf Tatsachen gründende Besorgnis weiterer
Eingriffe zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung. Dafür besteht allerdings
grundsätzlich eine Vermutung, es sei denn, dass die tatsächliche Entwicklung
einen neuen Eingriff unwahrscheinlich macht (vgl. BAG 29. Februar 2000 – 1 ABR
4/99 – Rn. 34, zitiert nach Juris). An den Nachweis des Wegfalls der die
Wiederholungsgefahr begründenden Tatsachen sind strenge Anforderungen zu
stellen (BAG 29. Februar 2000 – 1 ABR 4/99 – Rn. 35, zitiert nach Juris, BAG 29.
April 2004 – 1 ABR 30/02 – Rn. 131, zitiert nach Juris). Selbst wenn man zu Gunsten
der Arbeitgeberin unterstellt, dass seit dem Beschluss des Arbeitsgerichts am 13.
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der Arbeitgeberin unterstellt, dass seit dem Beschluss des Arbeitsgerichts am 13.
Januar 2010 keine Verstöße erfolgt sind, genügt dies nicht. Künftige Verstöße
werden nicht schon dann unwahrscheinlich, wenn sich der Arbeitgeber unter dem
Eindruck eines laufenden Beschlussverfahrens an die Betriebsvereinbarung hält,
gegen deren Bestimmungen er monatelang verstoßen hat.
e) Die Arbeitgeberin kann sich auch nicht auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten
des Betriebsrats berufen. Soweit sie auf einen Verstoß gegen das Gebot der
vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG sowie eine Verletzung
der Verhandlungspflicht nach § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG abstellt, lässt sie außer Acht,
dass ihrem eigenen Sachvortrag zufolge der Betriebsrat gegen diese
betriebsverfassungsrechtliche Maxime in der weit überwiegenden Anzahl der
streitgegenständlichen Fälle nicht verstoßen hat, da sie ihn vor vollendete
Tatsachen gestellt hat. Von den geleisteten Überstunden hat sie lediglich die von
Juni bis August 2007 in der Abteilung CMI angefallenen zuvor beim Betriebsrat
angemeldet und ihn um Zustimmung ersucht. Dies ergibt sich aus der Email vom
01. Juni 2007. Der Betriebsrat seinerseits hat nach der Email vom 19. Juni 2007
den Antrag auf Ausweitung auf 20 Überstunden pro Arbeitnehmer und Monat nicht
vollständig abgelehnt, sondern für Juli und August einer Erhöhung auf 12 Stunden
zugestimmt. Soweit im Antrag der Arbeitgeberin vom 01. August 2007 und in der
Email vom 29. August 2007 der Monat September 2007 angesprochen wird,
handelt es sich um einen Zeitraum, der nicht streitgegenständlich ist.
Entsprechendes gilt für die Email der Arbeitgeberin vom 31. März 2008. Sie betrifft
den nicht streitgegenständlichen Monat März 2008. Diese Zeiträume sind
indessen nicht entscheidungserheblich. Für den Unterlassungsanspruch genügen
die bereits angesprochenen Monate, in denen betriebsvereinbarungswidrig die
Maximalgrenze für die Anordnung von Überstunden überschritten wurde.
f) Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, unter
welchen Voraussetzungen die Ausübung von Mitbestimmungsrechten
rechtsmissbräuchlich ist und welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben. Jedenfalls
dürfte das von der Arbeitgeberin unterstellte Alleinentscheidungsrecht in dieser
Allgemeinheit kaum zu rechtfertigen sein, da dies mit der gesetzlichen Konzeption
des Betriebsverfassungsgesetzes nicht in Einklang zu bringen ist. Dies zeigt
bereits die gerichtliche Zuständigkeit nach § 99 Abs. 4 BetrVG sowie die
Zuständigkeit der Einigungsstelle im Bereich der sozialen Angelegenheiten. Vor
diesem Hintergrund wird sich der Betriebsrat in der Regel nicht so behandeln
lassen müssen, als habe er sein Einverständnis erklärt (vgl. GK-Wiese, BetrVG, §
87, Rn. 361; MünchArbR-Matthes, BGB, § 242, Rn. 43; LAG Nürnberg 06. November
1990 in NZA 1991, 281 LAG Hamm 09. Februar 2007 – 10 TaBV 54/06 – Rn. 96,
zitiert nach Juris; Otto in NZA 1992, 97 (107); Konzen, Festschrift für Zöllner, 1998,
Seite 799, 825 ff). Das Verbot des Rechtsmissbrauchs bei der Ausübung von
Beteiligungsrechten ist in erster Linie im Verfahren vor der Einigungsstelle oder vor
dem Arbeitsgericht zu beachten. Dies gilt auch bei eilbedürftigen Maßnahmen.
Das Mitbestimmungsrecht entfällt nicht schon deshalb, weil die vom Arbeitgeber
beabsichtigte Maßnahme eilbedürftig ist und eine rechtzeitige Zustimmung des
Betriebsrats aus Zeitgründen kaum erlangt werden kann (vgl. BAG 17. November
1998 – 1 ABR 12/98 – Rn. 37, zitiert nach Juris). Der Gesetzgeber hat die Fälle, in
denen im Mitbestimmungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes wegen der
Dringlichkeit der Angelegenheit einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers zulässig
sein sollen, ausdrücklich geregelt (§§ 100, 115 Abs. 7 Nr. 4 BetrVG). Für die
mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten des § 87 BetrVG ist für
Dringlichkeitsfälle keine Sonderregelung getroffen worden, obwohl gerade die hier
einschlägige Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 3
BetrVG häufig kurzfristig erfolgen muss. Das Fehlen einer Sonderregelung für
Eilfälle in § 87 BetrVG zeigt, dass der Gesetzgeber in diesem Bereich die
Mitbestimmung des Betriebsrats nicht einschränken wollte (vgl. BAG 02. März
1982 – 1 ABR 74/79 – Rn. 27, zitiert nach Juris). Auch in Missbrauchsfällen ist ein
Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers nicht anzuerkennen, weil sonst das
Mitbestimmungsrecht unterlaufen werden könnte (vgl. GK – Wiese, § 87 Rn. 361).
Zu erwägen ist in Eilfällen allenfalls eine vorläufige gerichtliche Regelungsverfügung
(dafür Baur in: ZfA 1997, 445 (493)). Ein Alleinentscheidungsrecht kommt nur in
Notfällen in Betracht, in denen sofort gehandelt werden muss, um von dem
Betrieb oder den Arbeitnehmern Schaden abzuwenden und in denen entweder der
Betriebsrat nicht erreichbar ist, keinen ordnungsgemäßen Zustimmungsbeschluss
fassen kann oder in denen er willkürlich seine Zustimmung verweigert (vgl. GK –
Wiese, § 87 Rn. 162). Aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit
kann entnommen werden, dass in solchen extremen Notsituationen der
Arbeitgeber das Recht hat, vorläufig zur Abwendung akuter Gefahren oder
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Arbeitgeber das Recht hat, vorläufig zur Abwendung akuter Gefahren oder
Schäden eine Maßnahme durchzuführen, wenn er unverzüglich die Beteiligung des
Betriebsrats nachholt (vgl. BAG 19. Februar 1991 – 1 ABR 31/90 – Rn. 30, zitiert
nach Juris).
Derartige Notfälle bestanden im Streitfall indessen nicht. Unter einem Notfall kann
in Abgrenzung gegenüber dem Eilfall jedenfalls nur eine plötzliche, nicht
voraussehbar gewesene und schwerwiegende Situation verstanden werden, die zur
Verhinderung nicht wieder gut zu machender Schäden zu unaufschiebbaren
Maßnahmen zwingt; es muss also eine Extremsituation vorliegen (BAG 02. März
1982 – 1 ABR 74/79 – Rn. 31, zitiert nach Juris; BAG 17. November 1998 – 1 ABR
12/98 – Rn. 39, zitiert nach Juris). Auf die Verspätung von Flugzeugen trifft dies
nicht zu. Da solche Störungen bei der Arbeitgeberin immer wieder auftreten, lässt
sich hinsichtlich des zu beachtenden Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats
durch eine im Voraus zu vereinbarende generelle Regelung entsprechende
Vorsorge treffen. Dies gilt auch für die wiederholt aufgetretenen IT-Ausfälle.
g) Allerdings kann es treuwidrig sein, wenn jemand gegen seine eigene
Vertragspflicht verstößt, von seinem Vertragspartner aber trotzdem die Erfüllung
des Vertrages verlangt (vgl. BAG 06. Juni 1974 – 2 AZR 278/73 – Rn. 37, zitiert
nach Juris). Dieser Rechtssatz gilt jedoch bei solchen Ansprüchen nicht als Regel,
die auf zwingenden gesetzlichen Bestimmungen beruhen. Bei ihnen greift der
Einwand des Rechtsmissbrauchs bei einem treuwidrigen Verhalten des
Berechtigten nur in besonders krassen Fällen durch (BAG 06. Juni 1974 – 2 AZR
278/73 – Rn. 37, zitiert nach Juris). Inwieweit diese Grundsätze überhaupt auf
Betriebsvereinbarungen Anwendung finden bedarf keiner Entscheidung. Der
Einwand des Rechtsmissbrauchs würde nur in besonders krassen Fällen eingreifen,
da es sich bei dem Durchführungsanspruch nach § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG um
einen zwingenden gesetzlichen Anspruch handelt. Gegen die Betriebsvereinbarung
„Überstundenregelung“ hat der Betriebsrat indessen nicht verstoßen.
Irgendwelche Verpflichtungen werden ihm dort nicht auferlegt.
Unabhängig davon folgt aus der Verhandlungspflicht nach § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG
nicht, dass die Verweigerung der Zustimmung ohne nähere Begründung bereits
eine rechtsmissbräuchliche Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts nach § 87
Abs. 1 BetrVG wäre. Eine Begründung ist nur dann erforderlich, wenn dies im
Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist, wie bei §§ 99 Abs. 2, 102 Abs. 5 BetrVG. Das
Fehlen der Begründung und der mangelnde Einigungsversuch können nur negative
Auswirkungen auf die Anrufung der Einigungsstelle haben. Diejenige Seite, die die
Bildung einer Einigungsstelle anstrebt, muss zuvor zumindest einen ernsthaften
Verhandlungsversuch unternommen haben. Ob diese Annahme berechtigt ist,
unterliegt im Bestellungsverfahren nur einer Überprüfung anhand des Maßstabes
der Offensichtlichkeit nach § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG (vgl. Hessisches LAG 13.
September 2005 – 4 TaBV 86/05 – Rn. 25, zitiert nach Juris). Es kann aber nicht
einfach unterstellt werden, der Betriebsrat habe die Arbeitgeberin – wie sie meint –
„offensichtlich“ in ein aussichtsloses Einigungsstellenverfahren drängen wollen.
Dem steht der unbestritten gebliebene Sachvortrag des Betriebsrats entgegen,
wonach er sich keineswegs grundlos mit näheren Begründungen gegenüber der
Arbeitgeberin zurückgehalten, sondern auf deren Indiskretionen reagiert habe. Vor
diesem Hintergrund hätte es der Angabe nachprüfbarer Tatsachen bedurft.
Auch das ständige Bestreiten der dringlichen Erforderlichkeit nach § 100 BetrVG
bei personellen Einzelmaßnahmen durch den Betriebsrat führt nicht zum
Rechtsmissbrauch des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG.
Selbst wenn man aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit die Pflicht
des Betriebsrats herleitet, bei der Ausübung des Mitbestimmungsrechts alle
diejenigen Überlegungen anzustellen und zur Grundlage der Entscheidung zu
machen, die im Rahmen des konkreten Mitbestimmungsrechts geboten sind (so
LAG Köln 14. Juni 1989 – 2 TaBV 17/89 – in NZA 1989, 993), kommt es auf die von
der Arbeitgeberin genannten Gesichtspunkte im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG
nicht an. Maßgebend ist der Zweck des jeweils einschlägigen
Mitbestimmungsrechts. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG dient dem Zweck, die
berechtigten Interessen der Arbeitnehmer vor zusätzlichen Belastungen sowie vor
Freizeitverlust zu schützen. Darum geht es bei § 100 BetrVG indessen nicht. Aus
der Bindung an den Zweck des Mitbestimmungsrechts ergibt sich infolge dessen,
dass die zu § 100 BetrVG anzustellenden Überlegungen im Rahmen des § 87 Abs.
1 Nr. 3 BetrVG keine Berücksichtigung finden dürfen. Eine Prüfung der
Rechtsmissbräuchlichkeit unter diesem Gesichtspunkt kann insoweit lediglich im
Rahmen des Verhaltens nach § 100 BetrVG erfolgen.
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3. Der Arbeitgeberin kann das Ordnungsgeld bei Verstoß gegen die
Unterlassungspflicht nach § 85 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 890 ZPO bereits in diesem
Beschlussverfahren angedroht werden (vgl. z.B. BAG 10. November 1987 – 1 ABR
55/86 – Rn. 21, zitiert nach Juris).
C.
Gegen diese gem. § 2 Abs. 2 GKG kostenfrei ergehende Entscheidung ist gem. §
92 Abs. 1 i. V. m. § 72 Abs. 2 ArbGG die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, da
keine Zulassungsgründe vorliegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.