Urteil des LAG Hessen vom 14.09.2010

LAG Frankfurt: wichtiger grund, fristlose kündigung, meinungsfreiheit, betriebsrat, lüge, arbeitsgericht, vergleich, form, grundrecht, ehrverletzung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
3. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Sa 243/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 626 BGB, Art 5 GG
Außerordentliche Kündigung - Meinungsfreiheit
Orientierungssatz
Einzelfallentscheidung zu einer wirksamen außerordentlichen Kündigung. Der Kläger
stellte im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen Vergleich der betrieblichen
Verhältnisse der Beklagten mit denen des Dritten Reiches an und bezichtigte sie der
Lüge. Trotz langer Betriebszugehörigkeit von mehr als dreißig Jahren war die
Kündigungsschutzklage abzuweisen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Frankfurt am Main vom 22. Dezember 2009 – 18 Ca 2540/07 – wird auf
Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer seitens der Beklagten
ausgesprochenen fristlosen Kündigung.
Der am A geborene Kläger, der ledig und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet
ist, war seit 1974 bei der Beklagten als Triebfahrzeugführer angestellt. Das
durchschnittliche Bruttomonatsentgelt belief sich auf zuletzt 2.025,00 Euro brutto.
Bei der Beklagten wurden mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, ein Betriebsrat
ist installiert.
In einem Vorverfahren vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main (18 Ca 3208/05)
stritten die Parteien um die Wirksamkeit einer seitens der Beklagten
ausgesprochenen Kündigung. Die Beklagte warf dem Kläger vor, dass er nicht an
einer psychologischen Entwicklungsuntersuchung teilgenommen habe. Am 20.
Februar 2007 fand vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main ein Kammertermin
statt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung äußerte der Kläger folgendes:
„Die Beklagte lügt wie gedruckt. Wie sie mit Menschen umgeht, da komme ich mir
vor wie im Dritten Reich.“
Dabei schaute der Kläger die anwesenden Beklagtenvertreterinnen Frau B sowie
Frau C an. Der vorsitzende Richter stellte dem Kläger anheim, den Gerichtssaal zu
verlassen oder die Verhandlung sachlich weiterzuführen. Der Kläger nahm
daraufhin die Vorwürfe weder zurück noch entschuldigte er sich gegenüber den
Prozessbeteiligten.
wurde der Betriebsrat hiernach zu der beabsichtigten fristlosen Kündigung des
Klägers angehört. Bezüglich der Einzelheiten der Betriebsratsanhörung wird
verwiesen auf Bl. 36 bis 38 d. A. Mit Schreiben vom 22. Februar 2007 (Bl. 77 – 78
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verwiesen auf Bl. 36 bis 38 d. A. Mit Schreiben vom 22. Februar 2007 (Bl. 77 – 78
d. A.) teilte der Betriebsrat mit, dass er in seiner außerordentlichen Sitzung am
gleichen Tag entschieden habe, der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung
zuzustimmen.
Mit Schreiben vom 22. Februar 2007, dem Kläger am 26. Februar 2007
zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und
hilfsweise ordentlich unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 30. September
2007. Unterschrieben war die Kündigung u.a. von der Personalleiterin Frau C.
Hiergegen hat der Kläger mit bei Gericht am 26. Februar 2007 eingegangenem
Schriftsatz, der Beklagten am 05. März 2007 zugegangen, Klage erhoben.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass ein wichtiger Grund im Sinne von §
626 BGB nicht anzunehmen sei. Im Falle einer Umdeutung sei die Kündigung
sozial nicht gerechtfertigt. Außerdem sei die Kündigung wegen fehlender
Vollmachtsurkunde unwirksam. Dem Kündigungsschreiben habe keine Vollmacht
beigelegen. Schließlich hat er gemeint, von der Beklagten untertariflich bezahlt
und insgesamt schlecht behandelt worden zu sein.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der
Beklagten vom 22. Februar 2007, zugegangen am 26. Februar 2007, weder zum
22. Februar 2007 noch zum 30. September 2007 aufgelöst wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass ein wichtiger Kündigungsgrund im
Sinne von § 626 BGB anzunehmen sei. In dem Vergleich betrieblicher Verhältnisse
mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem seien ein wichtiger Kündigungsgrund
und eine grobe Beleidigung des Arbeitgebers zu sehen. Der Kläger habe seine
Vorwürfe weder zurückgenommen noch diese in irgendeiner Weise relativiert.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 22. Dezember 2009 die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger der
Beklagten in der mündlichen Verhandlung der Lüge bezichtigt habe, darüber
hinaus habe er die betrieblichen Verhältnisse in eine Beziehung zu der
Willkürherrschaft des Nazisystems gesetzt. Hierin sei eine erhebliche
Ehrverletzung zu sehen, die auch nicht durch die Meinungsfreiheit oder durch die
Wahrung berechtigter Interessen gerechtfertigt sei. Bezüglich der weiteren
Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen auf Bl. 141 bis
149 d. A.
Dieses Urteil ist dem Kläger am 03. Februar 2010 zugestellt worden. Mit bei
Gericht am 19. Februar 2010 eingegangenem Schreiben hat er Berufung
eingelegt. Nachdem die Frist zur Begründung der Berufung bis 04. Mai 2010
verlängert worden war, hat er die Berufung mit bei Gericht am 01. April 2010
eingegangenem Schreiben begründet.
Der Kläger hält das erstinstanzliche Urteil für unzutreffend. Er trägt vor, dass der
Grund für seine Äußerungen in der mündlichen Verhandlung gewesen sei, dass die
Mitarbeiterin der Beklagten Frau C unzutreffend geäußert habe, dass der Kläger in
die Tarifgruppe E 8 einzugruppieren sei. Mit der Formulierung „Lüge“ er lediglich
zum Ausdruck bringen wollen, dass die Angabe der Zeugin C zu seiner
Eingruppierung aus seiner Sicht nicht der Wahrheit entspreche. Er habe die
Beklagte auch nicht in ihrer Ehre verletzt. Er habe nicht den Eindruck erwecken
wollen, dass die Beklagte notfalls ihre Interessen vermittelt der Lüge durchsetzen
würde. Soweit ihm durch die Beklagte angelastet werde, dass er gesagt habe,
dass er sich wie im Dritten Reich vorkomme, sei darauf hinzuweisen, dass es sich
um eine Empfindung bzw. um eine Gefühlsäußerung gehandelt habe. Dies habe er
durch den Wortlaut seiner Äußerung „ich komme mir vor“ zum Ausdruck gebracht.
Im Rahmen der Interessenabwägung hätte das Arbeitsgericht auch einstellen
müssen, dass er nach den geltenden Tarifverträgen, hier nach § 43 des
Zulagentarifvertrages, ordentlich unkündbar sei. Des Weiteren hätte seine über
zwanzigjährige Betriebszugehörigkeit Berücksichtigung finden müssen.
Der Kläger stellt den Antrag,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 22.
Dezember 2009, Az. 18 Ca 2540/07, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der
Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 22. Februar 2007, zugegangen
am 26. Februar 2007, weder zum 22. Februar 2007 noch zum 30. September 2009
aufgelöst worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie behauptete, dass Frau C anlässlich
des Kammertermins auf den Vorwurf des Klägers zu seiner angeblich unrichtigen
Eingruppierung erwidert habe, dass hierzu bereits Entscheidungen aus
abgeschlossenen arbeitsgerichtlichen Verfahren vorlägen. Der Kläger sei
zutreffend nach der Entgeltgruppe E 07 Stufe 3 eingruppiert gewesen und er habe
erfolglos die Eingruppierung nach der Entgeltgruppe E 8 im Klageweg geltend
gemacht. Der Kläger habe sich in seiner Berufungsbegründungsschrift auch nicht
ausreichend mit dem erheblich ehrverletzenden Charakter seiner inkriminierten
Äußerungen auseinandergesetzt. Erschwerend komme hinzu, dass der Kläger
bereits zuvor in einem Kammertermin am 03. März 2004 vor dem Hessischen
Landesarbeitsgericht mit völlig ungemessenen Äußerungen hervorgetreten sei. So
habe er das Gericht als „korrupt“ bezeichnet und weiter ausgeführt: „Sie sind
schlimmer als die Kommunisten. Ich bin beschissen worden.“
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird ergänzend
Bezug genommen auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie
auf die Sitzungsniederschriften.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
I. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist statthaft (§§ 64 Abs. 2 c), 8 Abs. 2
ArbGG) und wurde form- und fristgerecht eingelegt (§§ 519, 520 Abs. 1, Abs. 3 und
Abs. 5 ZPO, 66 Abs. 1 S. 1, 1. Halbsatz ArbGG). Sie wurde nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist auch rechtzeitig begründet (§ 66 Abs. 1 S. 1, 2.
Halbsatz, Abs. 1 S. 5 ArbGG).
II. Die Berufung ist aber unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt,
dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der fristlosen Kündigung der Beklagten vom
22. Februar 2007 aufgelöst worden ist.
1. Die Kündigung ist nicht gemäß § 174 S. 1 BGB unwirksam. Dies hat das
Arbeitsgericht Frankfurt bereits zutreffend ausgeführt.
Zwar war der Kündigung keine Originalvollmacht beigefügt. Die Zurückweisung der
Kündigung war hier aber nach § 174 S. 2 BGB ausgeschlossen. Unterschrieben war
die Kündigung unter anderem von Frau C, der Personalleiterin der Beklagten. Der
Personalleiter hat allerdings eine Position inne, die regelmäßig für die Belegschaft
auch erkennbar mit der Bevollmächtigung zum Ausspruch von Kündigungen
einhergeht. Nach der ständigen Rspr. des BAG ist eine Zurückweisung daher
ausgeschlossen, wenn die Kündigung von dem Personalleiter unterschrieben
wurde (
). Frau C hat hier auch
erkennbar in ihrer Eigenschaft als Personalleiterin die Kündigung unterschrieben.
Die Zurückweisung der Kündigung war somit nach § 174 S. 2 BGB im vorliegenden
Fall ausgeschlossen.
2. Die Kündigung ist auch nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Denn
es ist davon auszugehen, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde.
Die Beklagte hat das Anhörungsschreiben vom 19. Februar 2007 vorgelegt (Bl. 36
bis 38 d. A.). Darin wurden dem Betriebsrat sämtliche relevanten Sozialdaten des
Klägers mitgeteilt. Dem Betriebsrat wurde auch der aus Sicht der Beklagten
bestehende Kündigungssachverhalt übermittelt. Der Betriebsrat stimmte in seiner
Sitzung ausweislich des Schreibens vom 22. Februar 2007 am selben Tag der
fristlosen Kündigung zu (Bl. 77 bis 78 d. A.). Der Beklagten war es daher möglich,
anschließend die fristlose Kündigung, die dem Kläger am 26. Februar 2007 zuging,
auszusprechen. Mit der Berufungsschrift wurden substantiierte Einwendungen
hiergegen nicht vorgebracht.
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3. Es liegt auch ein wichtiger Grund für die Kündigung gemäß § 626 BGB vor.
a) Nach dieser Vorschrift kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem
Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden
kann. Die erforderliche Überprüfung, ob ein gegebener Sachverhalt einen
wichtigen Grund darstellt, vollzieht sich zweistufig: Im Rahmen von § 626 Abs. 1
BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen
Umstände des Einzelfalles als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist.
Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten
Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile
zumutbar ist oder nicht (
).
Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter oder
Repräsentanten einerseits oder von Arbeitskollegen andererseits, die nach Form
und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den bzw. die Betroffenen bedeuten,
können einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche
Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) darstellen und eine
außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen (
).
Bei der Konkretisierung der Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht (§
241 Abs. 2 BGB) sind die grundrechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere
das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, zu beachten (
). Das Grundrecht der
Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG ist für die freiheitliche demokratische
Staatsordnung konstituierend. Es gewährleistet eine der wesentlichen
Äußerungsformen der menschlichen Persönlichkeit. Der Grundrechtschutz besteht
unabhängig davon, ob eine Äußerung rational oder emotional, begründet oder
grundlos ist, und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder
wertlos gehalten wird (
). Der Grundrechtschutz bezieht sich sowohl auf den Inhalt
als auch auf die Form der Äußerung. Auch eine polemische oder verletzende
Formulierung entzieht einer Äußerung noch nicht den Schutz der Meinungsfreiheit.
Allerdings wird das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG nicht
schrankenlos gewährt, sondern durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der
persönlichen Ehre (Art. 5 Abs. 2 GG) beschränkt und muss in ein ausgeglichenes
Verhältnis mit diesen gebracht werden. Als kollidierendes Verfassungsrecht
kommt Art. 12 GG, nämlich die wirtschaftliche Betätigungsreihe des Arbeitgebers,
die insbesondere durch eine Störung des Arbeits- und Betriebsablaufes berührt
werden kann, in Betracht. Auch gehört die Pflicht zur gegenseitigen
Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Vertragspartei (§ 241 Abs. 2 BGB)
zu den allgemeinen Gesetzen (Art. 5 Abs. 2 GG). Zwischen der Meinungsfreiheit
und dem beschränkenden Gesetz findet eine Wechselwirkung statt. Insbesondere
die Regelung des § 241 BGB muss ihrerseits der wertsetzenden Bedeutung des
Grundrechts in einem freiheitlichen und demokratischen Staat Rechnung tragen.
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit wird regelmäßig zurücktreten müssen, wenn
sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde oder als eine
Formalbeleidigung oder eine Schmähung darstellt. Voraussetzung jeder Abwägung
ist, dass der Sinn der Meinungsäußerung zutreffend erfasst worden ist (
). Die isolierte Betrachtung eines
bestimmten Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zulässige
Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht. Einer Äußerung darf kein Sinn beigelegt
werden, den sie nicht besitzt; bei mehrdeutigen Äußerungen muss eine ebenfalls
mögliche Deutung mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können.
Der Vergleich betrieblicher Verhältnisse und Vorgehensweisen mit dem
nationalsozialistischen Terrorsystem und erst recht mit den in
Konzentrationslagern begangenen Verbrechen bildet in der Regel einen wichtigen
Grund zur Kündigung. Die Gleichsetzung noch so umstrittener betrieblicher
Vorgänge und der Vergleich des Arbeitgebers oder der für ihn handelnden
Menschen mit dem vom Nationalsozialismus begangenen Verbrechen und den
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Menschen mit dem vom Nationalsozialismus begangenen Verbrechen und den
Menschen, die diese Verbrechen begingen, stellt eine grobe Beleidigung der damit
angesprochenen Personen und zugleich eine Verharmlosung des in der Zeit des
Faschismus begangenen Unrechtes und eine Verhöhnung seiner Opfer dar (
).
b) Die Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall ergibt, dass die
Kündigung wirksam war.
aa) Es ist zunächst ein wichtiger Grund, der an sich eine außerordentliche
Kündigung rechtfertigen kann, gegeben.
Der Kläger äußerte in öffentlicher mündlicher Verhandlung: „Die Beklagte lügt wie
gedruckt. Wie sie mit Menschen umgeht, da komme ich mir vor wie im Dritten
Reich“. Damit hat der Kläger die Verhältnisse und Vorgehensweisen bei seinem
Arbeitgeber den Verhältnissen im Dritten Reich gleichgesetzt. Angesichts der
durch das Naziregime vollbrachten Gräueltaten stellt eine solche Äußerung eine
grobe Beleidigung der Menschen dar, die im Diensten der Beklagten handeln.
Darüber hinaus wurde die Beklagte der Lüge bezichtigt. Lügen bedeutet,
vorsätzlich die Unwahrheit zu sagen. Im Zusammenspiel mit der nachfolgenden
Äußerung des Klägers „…wie sie mit Menschen umgeht, da komme ich mir vor wie
im Dritten Reich…“ entsteht der Eindruck, dass der Beklagten praktisch jedes
Mittel Recht ist, um ihre Interessen gegenüber Arbeitnehmern durchzusetzen.
Dieser Sinngehalt ist eindeutig und wurde auch aufgrund der mit der Berufung
vorgebrachten Argumente des Klägers nicht abgeschwächt. Der Kläger hat mit der
Berufungsbegründung vorgetragen, dass er mit dem Satzteil „…wie sie mit
Menschen umgeht, da komme ich mir vor wie im Dritten Reich…“ lediglich einem
Gefühl Ausdruck verliehen habe. Auch im Termin zur mündlichen Verhandlung am
14. September 2010 betonte der Kläger, dass er lediglich ein Gefühl geäußert
habe. Entgegen der Auffassung des Klägers ist dieser Einwand unerheblich. Es
kommt nämlich nicht darauf an, ob die im Streit stehende Äußerung auf einer
berechnenden, intellektuellen Leistung beruhte oder ob sie Ausdruck einer,
möglicherweise sogar spontanen, Gefühlsregung war. Entscheidend ist hier
vielmehr, ob die Äußerung einen aus Sicht eines objektiven Dritten eindeutig
erkennbaren ehrverletzenden Charakter aufweist. Dies war hier gegeben. Es ist
nicht ernstlich zu bestreiten, dass auch die Äußerung von negativen Gefühlen bei
dem Empfänger zu Ehrverletzungen führen kann.
Die vom Kläger gemachten Äußerungen sind auch nicht mehr durch Art. 5 Abs. 1
GG gedeckt, der Kläger handelte hier nicht mehr in Wahrung berechtigter
Interessen (vgl. § 193 StGB).
Für Meinungsäußerungen im Rahmen eines Prozesses ist es indes anerkannt, dass
sich ein Verfahrensbeteiligter zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt auch
mit drastischen Wörtern äußern darf. Im „Kampf um das Recht“ darf ein
Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige
Schlagwörter benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen. Es kann nicht
entscheidend sein, ob er seine Kritik anders hätte formulieren können, denn
grundsätzlich unterliegt auch die Form der Meinungsäußerung der durch Art. 5
Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung (
).
Der Kläger vertrat hier die Auffassung, dass er falsch eingruppiert gewesen sei. In
diesem Zusammenhang sind die Äußerungen des Klägers zu sehen, deshalb hat
er die Beklagte der Lüge bezichtigt. Die Äußerungen des Klägers gehen aber weit
über das sachlich gebotene Maß einer gerichtlichen Auseinandersetzung hinaus.
Ob der Vorwurf „…die Beklagte lügt wie gedruckt…“ für sich genommen
ausreichend gewesen wäre, um eine fristlose Kündigung zurechtfertigen, bedarf
hier keiner abschließenden Entscheidung. Wesentlich für den Kündigungsvorwurf ist
im vorliegenden Fall die klare Gleichsetzung der Verhältnisse bei der Beklagten mit
denen des NS-Regimes. Mit diesem drastischen und zugleich völlig pauschal
gehaltenen Vergleich wird die Ebene einer sachlichen Auseinandersetzung um das
Recht verlassen. Ein auch nur im Kern anzuerkennender objektiver Anlass für eine
solche Behauptung ist hier nicht zu erkennen. Die bloße Meinungsverschiedenheit
um die richtige Eingruppierung des Klägers steht zu einer solchen Bemerkung
jedenfalls in keinem Verhältnis mehr. Dem Kläger ging es bei seiner Bemerkung
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jedenfalls in keinem Verhältnis mehr. Dem Kläger ging es bei seiner Bemerkung
gerade wegen ihrer Pauschalität um eine generelle herabsetzende Qualifizierung
der Beklagten. Er nahm somit eine Schmähkritik vor, bei der die Schmähung der
Beklagten und nicht mehr die sachliche Auseinandersetzung im Vordergrund
stand.
Soweit der Kläger vorträgt, dass er die Beklagte nicht als eine Gesellschaft
erscheinen lassen wollte, die notfalls ihre Interessen vermittelt der Lüge
durchsetzt, so steht dies nicht im Einklang mit dem objektiven Erklärungswert
seiner Äußerung. Es mag sein, dass der Kläger nicht zielgerichtet und
möglicherweise „unbedacht“ vorgegangen ist. Das ändert aber nichts daran, dass
seine Äußerungen einen objektiv erheblichen herabsetzenden Charakter hatten.
Dass die Gleichsetzung der Verhältnisse des Arbeitgebers mit dem
nationalsozialistischen Terrorsystem grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine
außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB abgeben kann, folgt auch daraus,
dass der Arbeitgeber in solchen Fällen regelmäßig eine Schutzpflicht für direkt
oder indirekt angesprochene Mitarbeiter trifft. Mit einer solchen Äußerung wird
regelmäßig unterstellt, dass die Mitarbeiter bei dem Arbeitgeber willfährigen
Handlangern unter dem NS-Regimes gleichzusetzen sind. Dass ein solcher
Vorwurf unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht nach § 242 BGB eine
Handlungsobliegenheit des Arbeitgebers auslöst, liegt auf der Hand. Der
Arbeitgeber hat sich schützend vor seine Mitarbeiter zustellen. Schließlich kommt
in aller Regel ein Reputationsschaden hinzu. Wird ein Arbeitgeber in der
Öffentlichkeit mit dem NS-Regime in Verbindung gebracht, so liegt darin ein
erheblicher Eingriff in den Betriebsfrieden und auch in die wirtschaftliche
Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers (Art. 12 Abs. 1 GG). Die Öffentlichkeit war
auch hier gewahrt, weil die Äußerungen in öffentlicher mündlicher Verhandlung
gefallen sind. Ob hierbei Publikum anwesend war, spielt keine Rolle.
bb) Auch die stets vorzunehmende Interessenabwägung im Einzelfall geht hier zu
Lasten des Klägers aus. Zu seinen Gunsten ist in die Abwägung mit einzustellen,
dass er über einem Betriebszugehörigkeit im Zeitpunkt des Zugangs der
Kündigung von ca. 32 ½ Jahren verfügte, ferner ist er einem Kind zum Unterhalt
verpflichtet. Auch sein Alter von 47 Jahren im Zeitpunkt des Zugangs der
Kündigung ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Zu Gunsten der Beklagten ist
aber zu berücksichtigen, dass seine Äußerungen eine erhebliche Ehrverletzung der
Mitarbeiter der Beklagten darstellen sowie den Betriebsfrieden beeinträchtigten. Es
ist auch eine negative Prognose in Bezug auf zukünftiges Verhalten des Klägers
anzunehmen. Der Kläger ist auch auf die Verwarnung und das Einschreiten des
Vorsitzenden der zuständigen Kammer des Arbeitsgerichts Frankfurt nicht zu einer
besseren Einsicht gelangt und hat seine Äußerungen nicht zurückgenommen.
Hätte es sich tatsächlich um einen einmaligen, verbalen „Ausrutscher“ gehandelt,
so hätte an sich nichts näher gelegen, als dass der Kläger aufgrund der Reaktion
des Vorsitzenden seine Äußerung sofort korrigiert hätte. Dies ist aber, übrigens
auch im weiteren Verlauf des Rechtsstreites, nicht geschehen. Ähnliche
Äußerungen sind in der Vergangenheit wiederholt vorgekommen.
Unwidersprochen hat die Beklagte vorgetragen, dass der Kläger bereits in dem
Kammertermin am 03. März 2004 vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht (3 Sa
2190/05) mit völlig unangemessenen Äußerungen hervorgetreten sei. So habe er
das Gericht als „korrupt“ bezeichnet und weiter ausgeführt: „Sie sind schlimmer
als die Kommunisten. Ich bin beschissen worden“. Dies zeigt, dass der Kläger dazu
neigt, seine Interessen mit zum Teil unangebrachten und jeweils drastischen
Äußerungen zu unterstreichen. Auch in Zukunft steht zu befürchten, dass sich der
Kläger in Konfliktsituationen ähnlich äußern wird. In Abwägung aller Umstände ist
es der Beklagten somit nicht mehr zuzumuten, mit dem Kläger länger
zusammenzuarbeiten.
III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat
die Kosten seines erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen.
Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nach § 72 Abs. 2 ArbGG
nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.
die obersten Bundesgerichte erfolgt.