Urteil des LAG Hessen vom 17.01.2011

LAG Frankfurt: ordentliche kündigung, wichtiger grund, empfänger des antrags, einverständnis, abmahnung, unrichtige angabe, unterzeichnung, interessenabwägung, verfälschung, arbeitsgericht

1
2
Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
17. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
17 Sa 1570/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 626 BGB, § 1 KSchG
Orientierungssatz
Kündigung wegen Verfälschung eines vom Vorgesetzten abgezeichneten Formulars
Abmahnungserfordernis verneint
Interessenabwägung führt zur Unwirksamkeit der außerordentlichen und Wirksamkeit
der ordentlichen Kündigung
Tenor
Die Berufung der Klägerin und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 19. August 2010, 13 Ca 3033/10, werden
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 60% und die Beklagte
zu 40%.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer
vorsorglich ausgesprochen ordentlichen Kündigung, die die Beklagte, ein
international tätiges Luftfahrtunternehmen, gegenüber der Klägerin, der
Assistentin der Stationsleitung, aussprach, nachdem festgestellt wurde, dass die
Klägerin auf Anträgen für Privattickets nach Unterschriftsleistung durch den
regionalen Stationsmanager die Streckenangaben abgeändert und die so
veränderten Anträge an die Zentrale nach A gefaxt hatte, wo dann die
entsprechenden Tickets ausgestellt worden waren. Wegen des erstinstanzlich
unstreitigen Sachverhalts, des Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug und
der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl.
110 bis 113 d.A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat durch am 19. August 2010 verkündetes
Urteil, 13 Ca 3033/10, der Klage stattgegeben, soweit sie sich gegen die
außerordentliche Kündigung richtet, und sie abgewiesen, soweit sie sich gegen die
ordentliche Kündigung richtet und Weiterbeschäftigung begehrt wird. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die außerordentliche Kündigung
sei unwirksam, da die Beklagte die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht
hinreichend dargelegt habe. Die ordentliche Kündigung sei sozial gerechtfertigt. In
der nachträglichen Veränderung der Antragsformulare nach Unterschriftsleistung
durch den Stationsmanager liege eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung der
Klägerin und gleichzeitig eine von ihr begangene Urkundenfälschung, die auch
ohne vorherige Abmahnung den Ausspruch einer Kündigung rechtfertige, wobei die
vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten der Klägerin ausfalle. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils
verwiesen (Bl. 113 bis 120 d.A.).
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Das Urteil wurde der Klägerin am 12. Oktober 2010 und der Beklagten am 08.
Oktober 2010 zugestellt. Die Klägerin hat hiergegen am 25. Oktober 2010
Berufung eingelegt und diese am 05. November 2010 begründet. Die Beklagte hat
hiergegen am 13. Oktober 2010 Berufung eingelegt und diese am 28. Oktober
2010 begründet.
Die Klägerin hält die ordentliche Kündigung für sozial ungerechtfertigt und wendet
sich gegen die Annahme des Arbeitsgerichts, sie habe eine Urkundenfälschung
begangen. Die interne Weitergabe eines Antragsformulars mit den geänderten
Streckenbezeichnungen stelle vorliegend noch kein Verbringen in den
Rechtsverkehr und Gebrauchmachen im Rechtsverkehr dar. Aufgrund der
Formulare würden lediglich die beantragten Tickets ausgestellt und der Klägerin in
Rechnung gestellt, die Anträge hätten im Rechtsverkehr daher keine Bedeutung,
zumal nicht alle Anträge auch tatsächlich umgesetzt und die Reisen zum Teil
überhaupt nicht angetreten worden seien. Die Klägerin habe auch nicht zur
Täuschung im Rechtsverkehr gehandelt. Bei der Tickets ausstellenden Reisestelle
der Beklagten in A sei weder ein Irrtum erregt noch sei sie hierdurch zu einem
rechtserheblichen Verhalten veranlasst worden. Denn für Privatreise-Tickets sei
hinsichtlich der in Aussicht genommenen Strecken keine „Autorisierung“
erforderlich. Auch der subjektive Tatbestand einer Urkundenfälschung liege nicht
vor. Denn die Klägerin habe nicht die Absicht gehabt, unter Umgehung interner
Anweisungen fälschlich die Ausstellung von Privatreise-Tickets zu bewirken.
Nachdem für den Erwerb verbilligter Privatreise-Tickets allein das Erreichen einer
bestimmten Betriebszugehörigkeit maßgeblich ist, sei es aus Sicht der Klägerin
hinsichtlich der Reisestrecken eben nicht auf die Unterschrift ihres Vorgesetzten
angekommen. Sie habe unterstellt, dass es für die weitere Bearbeitung der
Anträge eben nicht auf die Streckenführung, sondern allein darauf ankomme, dass
ihr Vorgesetzter mit seiner Unterschrift ihren Status als Beschäftigte der
Beklagten bestätige. Sie meint, sich jedenfalls in einem entschuldbaren
Rechtsirrtum befunden zu haben. Sie wiederholt und vertieft ihren Vortrag, sich
hinsichtlich ihrer Privatreisen von anderen Beschäftigten, insbesondere auch dem
Stationsmanager E und der Mitarbeitern W, ausspioniert und kontrolliert gefühlt zu
haben, weshalb sie ihre Privatsphäre habe schützen, ihre Fernreisen und deren
Verlauf im Geheimen habe halten und vor den Kollegen und deren Neid ihre Ruhe
habe haben wollen. Die Klägerin vertritt die Auffassung, unter Berücksichtigung
des Prognoseprinzips hätte einer Kündigung jedenfalls eine Abmahnung
vorausgehen müssen, und wendet sich gegen die vom Arbeitsgericht
vorgenommene Interessenabwägung.
Sie beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 19.
August 2010, 13 Ca 3033/10,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch fristlose noch
durch hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12. und 14. April 2010
aufgelöst ist, sondern fortbesteht;
2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu im Übrigen unveränderten
Arbeitsbedingungen über den 12. April 2010 bzw. 30. September 2010 hinaus als
Assistentin der Stationsleitung weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
und,
das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 19. August 2010, 13 Ca
3033/10, abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Arbeitsgerichts, die
Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten, verweist
darauf, maßgebend sei zuverlässige und möglichst vollständige Kenntniserlangung
durch den Kündigungsberechtigten, verweist ferner darauf, die Frist sei gehemmt,
solange der Kündigungsberechtigte noch nach pflichtgemäßem Ermessen
notwendig erscheinende Maßnahmen zur Aufklärung zügig durchführe, meint,
nach diesen Grundsätzen sei Kenntnis des kündigungsberechtigten
12
13
14
15
16
17
nach diesen Grundsätzen sei Kenntnis des kündigungsberechtigten
Deutschlanddirektors S erst am 31. März 2010 eingetreten, und trägt im Einzelnen
dazu vor, wie der Kündigungsberechtigte Kenntnis erlangt habe. Insoweit wird auf
die Ausführungen auf Seiten 4 bis 7 des Schriftsatzes vom 28. Oktober 2010
verwiesen (Bl. 160 f d.A.).
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Sowohl die Berufung der Klägerin als auch die der Beklagten sind gemäß §§ 8 Abs.
2, 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere
form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6
ArbGG, 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO.
Sie sind jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass das
Arbeitsverhältnis der Parteien zwar nicht durch außerordentliche Kündigung der
Beklagten vom 12. April 2010 beendet wurde, wohl aber durch die ordentliche
Kündigung vom 14. April 2010. Die außerordentliche Kündigung vom 12. April 2010
ist unwirksam, da ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliegt. Die
ordentliche Kündigung vom 14. April 2010 ist sozial gerechtfertigt, da i.S.d. § 1
Abs. 2 KSchG durch im Verhalten der Klägerin liegende Gründe bedingt.
Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist im Rahmen einer zweistufigen Prüfung
zu beurteilen. Im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein
bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als
wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor,
bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter
Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der
Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht
.
Ein die ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG aus Gründen im Verhalten
des Arbeitnehmers rechtfertigender Grund liegt vor, wenn das dem Arbeitnehmer
vorgeworfene Verhalten eine Vertragspflicht verletzt, das Arbeitsverhältnis
dadurch konkret beeinträchtigt wird, keine zumutbare Möglichkeit anderweitiger
Beschäftigung besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der
Interessen beider Parteien billigenswert und angemessen erscheint
.
Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt ferner das Prognoseprinzip. Der Zweck
der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene
Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher
Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in
der Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt dann vor, wenn aus
der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden
Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde zukünftig den
Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder
ähnlicher Weise verletzen. Aus diesem Grund setzt eine Kündigung wegen einer
Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Die Abmahnung
dient in diesem Zusammenhang der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt
eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut
seine vertraglichen Pflichten, kann in der Regel davon ausgegangen werden, es
werde auch künftig zu weiteren Vertragsverstößen kommen. Die Abmahnung ist
insoweit notwendiger Bestandteil bei der Anwendung des Prognoseprinzips
. Sie ist zugleich auch
Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine Kündigung ist nicht
gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um die
Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Soweit ein steuerbares Verhalten
betroffen ist, muss der Kündigung grundsätzlich eine erfolglose Abmahnung
vorausgehen, es sei denn, sie ist nicht erfolgversprechend oder es handelt sich um
eine schwere Pflichtverletzung, bei der dem Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit
seines Handelns ohne Weiteres ebenso erkennbar ist wie der Umstand, dass eine
Hinnahme seines Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen
ist
18
19
20
21
22
23
ist
.
Diese Grundsätze gelten gleichermaßen im Bereich der auf verhaltensbedingte
Gründe gestützten außerordentlichen Kündigung
.
Nach diesen Grundsätzen liegt zwar kein wichtiger Grund für eine außerordentliche
Kündigung vor, wohl aber ein eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigender
verhaltensbedingter Kündigungsgrund, wobei eine Abmahnung entbehrlich war.
Eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung der Klägerin liegt vor. Die Klägerin hat
das Antragsformular vom 20. Februar 2010 nachträglich verändert, nachdem es
vom Stationsmanager E unterzeichnet worden war. Die Abänderung betraf die
ursprünglich angegebene Flugstrecke. Im Zeitpunkt, in dem das Formular dem
Stationsmanager vorgelegt und von ihm unterzeichnet wurde, lautete die von der
Klägerin angegebene Strecke B-C-B, betraf somit einen Flug von B nach C und
zurück. Nach Unterzeichnung durch den Stationsmanager E änderte die Klägerin
die Flugstrecke in B-F-B und B-G-B, also in B nach F und zurück und in B nach G
und zurück, damit änderte sie zugleich von einer in zwei Flugstrecken. Eine
Faxkopie dieses veränderten und in dieser Form von E überhaupt nicht
unterzeichneten Antragsformulars übersandte sie dann an die Zentrale der
Beklagten in A, von wo aus ihr Tickets für die dem veränderten Antrag
entsprechenden Strecken ausgestellt wurden. Dies ist unstreitig. Ebenso ist
unstreitig, dass dies nicht der einzige Fall ist, in dem die Klägerin vom
Stationsmanager E unterzeichnete Antragsformulare nach Unterzeichnung in der
Bezeichnung der Strecke abänderte. Ebenso wurden zuvor von der Klägerin nach
Unterzeichnung durch den Stationsmanager E Privatticketanträge verändert von B
nach H und zurück in B nach I und zurück sowie in B nach J und zurück (Antrag
vom 19. Oktober 2009), von B nach H und zurück in zusätzlich B nach G und
zurück sowie B nach J und zurück (Antrag vom 16. Februar 2010) und von B nach K
und zurück in B nach L und zurück (Antrag vom 09. Januar 2009).
Hierin liegt eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung der Klägerin, die an sich
geeignet ist, auch einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des
Arbeitsverhältnisses darzustellen.
Die Kammer lässt offen, ob das Verhalten der Klägerin den Tatbestand der Straftat
der Urkundenfälschung, § 267 Abs. 1 StGB, erfüllt. Hierauf kommt es nicht an.
Denn es kommt nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung des
Verhaltens der Klägerin an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen
schweren Vertrauensbruch
.
Das Formular „Podanie“ ist das von der Beklagten vorgesehene Formular, mit
dem Arbeitnehmer bei ihr die Ausstellung von Privattickets beantragen. Das
Formular sieht Angaben zur beabsichtigten Flugstrecke und die Unterzeichnung
durch den Vorgesetzten der Klägerin, den Stationsmanager E, vor. Mit der
Unterzeichnung bringt der Stationsmanager sein Einverständnis mit der
Ausstellung des Privattickets zum Ausdruck. Mit der Unterzeichnung bringt der
Stationsmanager dagegen nicht zum Ausdruck, er sei mit der Ausstellung
irgendwelcher Privattickets für welche Strecke auch immer in einer beliebigen
Anzahl einverstanden. Mit seiner Unterschrift bestätigt er auch nicht nur
gegenüber einer anderen Fluggesellschaft oder gegenüber der die Tickets
ausstellenden Stelle der Beklagten, die antragstellende Person – hier die Klägerin –
sei bei der Beklagten beschäftigt. Seine Erklärung lautet nicht, die Klägerin sei
allgemein zur Inanspruchnahme von vergünstigten Tickets berechtigt, sondern, er
sei mit der Erteilung einer konkreten Flugermäßigung an die Klägerin
einverstanden. Dies folgt schon aus der im Verhandlungstermin vorgenommenen
Übersetzung des Antragsformulars.
Die nachträgliche Veränderung der Flugstrecke im Antragsformular gibt der
Erklärung des Stationsmanagers einen anderen Inhalt. Im Hinblick auf das
Antragsformular vom 20. Februar 2010 hatte er sich damit einverstanden erklärt,
der Klägerin eine Flugermäßigung für die Strecke B – D und zurück zu gewähren.
Nach der Veränderung durch die Klägerin erweckt die Unterschriftsleistung den
unzutreffenden Eindruck, der Stationsmanager E habe sich damit einverstanden
erklärt, der Klägerin zwei Flugermäßigungen zu gewähren, und zwar für die
Strecken B – F und B – G und zurück. Diese Veränderung wiederum benutzte die
24
25
Strecken B – F und B – G und zurück. Diese Veränderung wiederum benutzte die
Klägerin, um per Faxkopie in A Flugtickets für die Strecken ausstellen zu lassen,
auf die sich die Unterschriftsleistung des Stationsmanagers E und sein
Einverständnis überhaupt nicht bezog. Entsprechendes gilt für die ebenfalls
nachträglich veränderten Anträge vom 19. Oktober 2009, 16. Februar 2010 und
09. Januar 2009.
Das Verhalten der Klägerin führt damit zunächst zu einer Umgehung des von er
Beklagten für die Beantragung von Privattickets vorgegebenen Verfahrens. Das
Verfahren folgt aus dem vorgegebenen Formular. Gefordert wird hiermit Angabe
der Reisestrecke und Einverständnis des Vorgesetzten, hier: des
Stationsmanagers E, mit dem konkreten Antrag, damit auch in Kenntnis der
beantragten Reisestrecke. Das Verhalten der Klägerin führt zu Ticketausstellung
für Strecken, die dem Stationsmanager unbekannt sind und zu denen er sein
Einverständnis nicht erklärt hat. Genau dies wollte die Klägerin auch. Dies räumt
sie selbst ein, jedenfalls soweit es darum geht, dass ihr Verhalten dem Zweck
diente, das wahre Reiseziel gegenüber E und anderen Mitarbeitern geheim zu
halten. Da die Unterschrift des Stationsmanagers objektiv eine
Einverständniserklärung dokumentiert, ist damit aber zwangsläufig die Täuschung
des Empfängers des per Faxkopie versandten Antrags über den tatsächlichen
Inhalt des Einverständnisses des Stationsmanagers verbunden. Unabhängig von
der strafrechtlichen Beurteilung des Verhaltens der Klägerin hat sie damit durch
die nachträgliche, nach Unterzeichnung durch den Vorgesetzten erfolgte,
Veränderung des ausgefüllten Textes des Antragsformulars im internen Verkehr
der Beklagten den Empfänger des Antrags über Kenntnisstand und Einverständnis
des Stationsmanagers E getäuscht.
Die Kammer hat hierbei durchaus berücksichtigt, dass es im Hinblick auf die
Anspruchsberechtigung der Klägerin auf Kenntnisstand und Einverständnis des
Stationsmanagers E überhaupt nicht ankommt, wenn – wie von der Klägerin
unbestritten vorgebracht – die Berechtigung zum Erwerb von Privattickets nicht
kontingentiert ist, an keine bestimmten Strecken gebunden ist und ausschließlich
von der Erfüllung einer bestimmten Mindestbeschäftigungsdauer abhängt. Auch
im Verhandlungstermin konnte die Beklagte keine konkreten Angaben dazu
machen, aufgrund welcher Richtlinien, interner Regeln oder dgl. der Vorgesetzte
sein Einverständnis zu einem Antrag auf Privatticket mit welcher Begründung
verweigern könnte. Die im Verhandlungstermin von der Beklagten genannte
Möglichkeit, beispielsweise während einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers
sein Einverständnis mit einem Ticket für H, nicht aber für I zu erteilen, ist
erkennbar von einem voluntativen Element im Hinblick auf die der Klägerin auch
angelastete Reise vom 01. bis 04. November 2009 aufgrund eines ebenfalls
veränderten Antrags vom 19. Oktober 2009 getragen. Konkrete Richtlinien, Regeln,
Vorgaben oder gar Betriebsvereinbarungen, wonach trotz erfüllter
Mindestbeschäftigungsdauer ein Antrag abgelehnt werden könnte, werden nicht
dargelegt. Hiergegen spricht auch die im Kammertermin ebenfalls erörterte
Möglichkeit, von einem abgezeichneten Antrag erst nach geraumer Zeit, ggf. auch
während einer Arbeitsunfähigkeit, Gebrauch zu machen, ohne dass dann ggf.
überprüft werden könnte, ob das seinerzeit mit Unterschrift geleistete
Einverständnis das Stationsmanagers nach Zeitablauf überhaupt noch
aufrechterhalten werden könnte. Nach alledem steht auch aufgrund der
Erörterungen im Verhandlungstermin für die Kammer durchaus fest, dass der
Klägerin beispielsweise am 20. Februar 2010 auch zwei Privatreise-Tickets für die
Strecken B – F und B – G und zurück nicht hätten verweigert werden können.
Entsprechendes gilt für die Anträge vom 19. Oktober 2009, 16. Februar 2010 und
09. Januar 2009. Die Kammer kann damit als zutreffend unterstellen, dass die
Klägerin sich durch die Manipulationen auf den Antragsformularen keine Tickets
verschafft hatte, auf die sie keinen Anspruch hatte und dass der Stationsmanager
E sein Einverständnis auch abgegeben hätte oder zumindest hätte abgeben
müssen, hätte die Klägerin die zutreffenden Flugstrecken angegeben. Die Kammer
kann auch weiter zu Gunsten der Klägerin davon ausgehen, dass Kenntnis der
konkreten Flugstrecke allenfalls und ausschließlich für die die Tickets ausstellende
Stelle von Bedeutung ist und es im Übrigen weder die Beklagte noch den
Stationsmanager E etwas angeht, wohin die Privatreise der Klägerin mit den
ermäßigt erworbenen Flugtickets geht. Dies zu Gunsten der Klägerin unterstellt
hätte zur Folge, dass das von der Beklagten für den Erwerb von ermäßigten
Privatreise-Tickets vorgesehene und eingeführte Formular überschießende, nicht
erforderliche Angaben vorsieht, die die Klägerin berechtigter Weise verschweigen
dürfte.
26
27
28
29
30
31
Dies ändert jedoch nichts an dem Vorliegen einer arbeitsvertraglichen
Pflichtverletzung der Klägerin. Das Verhalten der Klägerin beschränkt sich nicht
darauf, auf eine unzulässige Frage nach dem Reiseziel keine oder eine unwahre
Antwort gegeben zu haben. Es erhält vielmehr dadurch eine besondere Qualität,
als es nicht nur um eine eigene unrichtige Angabe der Klägerin geht, die sie
gegenüber dem Stationsmanager E abgab, sondern dass sie eben danach gerade
die auf dem Antragsformular enthaltene Erklärung des Stationsmanagers
inhaltlich, nämlich im Hinblick auf den Gegenstand des erklärten
Einverständnisses, abänderte.
Die Klägerin wusste, dass die Unterschriftsleistung des Vorgesetzten eine
Einverständniserklärung mit der Erteilung eines bestimmten Privatreise-Tickets
darstellt und im Unternehmen der Beklagten bei der Bearbeitung der Anträge auf
ermäßigte Tickets auch als solche verstanden wird. Das folgt zunächst schon aus
dem Inhalt des Formulars. Im Übrigen wird dies durch das Vorgehen der Klägerin
bestätigt. Wäre sie wirklich davon ausgegangen, die Unterschriftsleistung des
Vorgesetzten bedeute nichts anderes als die Bestätigung, die Klägerin stehe in
einem Arbeitsverhältnis und sei bezugsberechtigt, hätte nichts näher gelegen, als
ihm ein nicht ausgefülltes Formular zur Bestätigung und mit dem Hinweis
vorzulegen, die beabsichtigte Flugroute werde später eingetragen.
Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass sie in der Vergangenheit in Kenntnis E
die Streckenführung bereits unterzeichneter Anträge änderte und E bei dieser
Gelegenheit erklärte, für die Gültigkeit des Antrags spiele dies keine Rolle. Der
wesentliche Unterschied besteht schon darin, dass vorliegend die Änderung im
Formular und damit die inhaltliche Veränderung der verkörperten Erklärung E ohne
dessen Kenntnis und Einverständnis erfolgten.
Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung war eine vorherige erfolglose
Abmahnung entbehrlich. Die Klägerin konnte nicht mit vertretbaren Gründen
davon ausgehen, die Beklagte werde die Verfälschung einer von einem
Vorgesetzten unterzeichneten, im internen Verkehr verwendeten und auf die
Auslösung einer bestimmten Folge gerichteten Erklärung als nicht vertragswidrig
oder nicht als erhebliches und den Bestand des Arbeitsverhältnis gefährdendes
Fehlverhalten ansehen. Schon aufgrund des formalisierten Verfahrens unter
Einbeziehung des Vorgesetzten und Einholung dessen Einverständniserklärung
konnte die Klägerin erkennen, dass nach Willen der Beklagten die Erklärung des
Vorgesetzten für die weitere Bearbeitung des Antrags auf verbilligte Privatreise-
Tickets von Bedeutung sein sollte. Ob dies zu Recht oder zu Unrecht von der
Beklagten gefordert wird, kann in diesem Zusammenhang offen bleiben. Der
Klägerin war jedenfalls erkennbar, dass die Beklagte keine Manipulation am Inhalt
der für interne Geschäftsabläufe geforderten Erklärung eines Vorgesetzten dulden
würde.
Im Rahmen der Interessenabwägung sind zugunsten der Klägerin ihr Lebensalter
und die damit einhergehende verringerte Chance, auf dem Arbeitsmarkt eine
vergleichbare Position zu finden, zu berücksichtigen. Ebenso zugunsten der
Klägerin sprechen die lange Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit und der Umstand,
dass diese bisher beanstandungsfrei verlief. Im Rahmen der Interessenabwägung
ist auch und anders als bei der Prüfung des Abmahnungserfordernisses zu
berücksichtigen, dass der Klägerin nach ihrem unbestrittenen Vortrag die
Flugtickets zustanden, sie sich mit der Veränderung des Antragsformulars damit
keine unberechtigten finanziellen Vorteile verschaffte. Hiervon ist jedenfalls
auszugehen, nachdem nach unbestrittenem Vorbringen der Klägerin alleinige
Voraussetzung für den Erwerb der Privatreise-Tickets eine bestimmte und bei ihr
vorliegende Beschäftigungsdauer ist, der Anspruch auf Stellung von Privatreise-
Tickets nicht kontingentiert und nicht auf bestimmte Strecken beschränkt ist und
auch die Beklagte keinen Umstand nennt, aufgrund dessen der Klägerin die
Erteilung der Privatreise-Tickets, wie sie den geänderten Anträgen entsprachen,
hätte verweigert werden können.
Zugunsten der Klägerin kann unterstellt werden und ist daher im Rahmen der
Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass die Beklagte kein berechtigtes
Interesse an der Mitteilung der Reiseziele der Klägerin hat und dass mit
Verwendung des Formulars „Podanie“ damit letztlich vom Arbeitnehmer Angaben
gefordert werden, die für die Bearbeitung des Antrags unerheblich sind und die
dem Vorgesetzten nicht mitgeteilt werden müssen. Dies führte bei der Klägerin
allerdings zu keiner unausweichlichen Zwangssituation. Eine solche kann daher
32
33
34
35
36
37
allerdings zu keiner unausweichlichen Zwangssituation. Eine solche kann daher
auch nicht ebenfalls zu ihren Gunsten berücksichtigt werden. Zu erwartendes und
ordnungsgemäßes Verhalten wäre in diesem Fall vielmehr gewesen, dass die
Klägerin gegenüber ihrem Vorgesetzten und der Beklagten mitteilt, im
Antragsverfahren keine Angaben über ihre Reiseziele machen zu wollen, in
Antragsformularen etwa vor Einverständniserklärung des Vorgesetzten keine
Angaben zu Flugstrecken macht und – sollte die Beklagte die Behandlung eines
Antrags der Klägerin deshalb ablehnen – die Angelegenheit rechtlich klären lässt.
Stattdessen hat die Klägerin zur „Selbsthilfe“ gegriffen und die von ihr vertretene
Rechtsposition durch Verfälschung des Inhalts der Erklärung ihres Vorgesetzten
umgesetzt.
Verbotsirrtum kann nicht zugunsten der Klägerin berücksichtigt werden. Die
Klägerin wusste, dass die Beklagte für die Behandlung eines Antrags auf
Privatreise-Tickets die Angaben der Reisestrecke und die auch hierauf bezogene
Einverständniserklärung des Vorgesetzten forderte. Sie wusste, dass die Erklärung
des Vorgesetzten auf dem Antragsformular sich nicht auf die Bestätigung
beschränkt, der Antragsteller sei bei der Beklagten beschäftigt und berechtigt,
Tickets zu erwerben. Damit wusste sie, dass sie durch die nachträgliche
Veränderung der Reisestrecken im Antragsformular auch die Erklärung des
Vorgesetzten, so wie sie verstanden werden sollte und verstanden wurde,
verfälschte. Wenn der Vorgesetzte der Klägerin in der Vergangenheit erklärt hat,
es spiele (für die Gültigkeit des Antrags) keine Rolle, wenn in seiner Anwesenheit
die im Formular eingetragene Streckenführung geändert werde, ist damit keine
Aussage darüber verbunden, es spiele auch keine Rolle, wenn dies in seiner
Abwesenheit und ohne seine Kenntnis erfolge, und konnte von der Klägerin auch
nicht so verstanden werden.
Zugunsten des Beendigungsinteresses der Beklagten spricht der erhebliche
Vertrauensverlust, der mit der Verfälschung einer für Geschäftsvorgänge
geforderten Erklärung eines Vorgesetzten einhergeht. Auch in diesem
Zusammenhang ist zwar zu berücksichtigen, dass nach dem Parteivorbringen bei
der Bearbeitung von Anträgen auf Privatreise-Tickets kein Anlass besteht, diese an
ein Einverständnis des Vorgesetzten mit der Flugstrecke zu binden. Für die
Klägerin bestanden jedoch alternative Verhaltensmöglichkeiten. Aufgrund des
Verhaltens der Klägerin muss die Beklagte befürchten, die Klägerin werde auch
künftig vertretene Rechtspositionen, mögen diese berechtigt oder unberechtigt
sein, nicht kommunizieren und argumentativ vorbringen, sondern eigenmächtig
durch Umgehung vorgegebener Betriebsabläufe und insbesondere inhaltliche
Verfälschung von Erklärungen umsetzen, wobei sich die Klägerin die Entscheidung
darüber vorbehält, ob es auf bestimmte Erklärungen ankommen soll oder nicht.
Hinzu kommt und auch dies ist zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass
gerade der Klägerin als Assistentin der Stationsleitung in besonderem Maß
Vertrauen entgegengebracht wird und der Vertrauensverlust angesichts dieser
Position umso schwerer wiegt, als gerade von der Assistentin der Stationsleitung
zu erwarten ist, dass diese Dokumente des regionalen Stationsmanagers nicht im
nachhinein abändert. Hierauf hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend abgestellt.
Den zugunsten der Klägerin sprechenden Gesichtspunkten wird daher angesichts
des überwiegenden berechtigten Interesses der Beklagten an Beendigung des
Arbeitsverhältnisses dadurch angemessen und ausreichend Rechnung getragen,
dass der Beklagten zugemutet werden kann, dass Arbeitsverhältnis noch bis zum
Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Befürchteten weiteren
Manipulationen der Klägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist kann durch
befristete erhöhte Kontrolle Rechnung getragen werden.
Dies führt wie vom Arbeitsgericht zutreffend erkannt zur Unwirksamkeit der
außerordentlichen Kündigung vom 12. April 2010, zur Wirksamkeit der vorsorglich
ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 14. April 2010 und jedenfalls jetzt
nach Ablauf der Kündigungsfrist zum Wegfall des Beschäftigungsanspruchs.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Für die Zulassung der Revision besteht kein Grund i.S.d. § 72 Abs. 2 ArbGG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.
die obersten Bundesgerichte erfolgt.