Urteil des LAG Hessen vom 05.11.2010

LAG Frankfurt: gesellschaft mit beschränkter haftung, verordnung, gemeinsame einrichtung, berufliche wiedereingliederung, portugal, eingriffsnorm, sicherheit, behörde, international

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
10. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 Sa 109/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 18 VTV-Bau, EWGV 1408/71
Sozialkassenbeiträge - arbeitsunfähig erkrankte entsandte
Arbeitnehmer
Leitsatz
1.In der Berufungsinstanz kann ohne Anschlussberufung von der Auskunfts- zur
Leistungsklage übergegangen werden, soweit die Voraussetzungen von § 264 ZPO
vorliegen (Anschluss an BAG 10.12.2002 - 1 AZR 96/02 - NZA 2003, 734, 736).
2. Für aus Portugal für maximal 12 Monate entsandte gewerbliche Arbeitnehmer, die
über eine Bescheinigung gemäß VO (EWG) Nr. 1408/71 verfügen, sind keine
Sozialkassenbeiträge gemäß § 18 VTV-Bau aus Entgeltfortzahlung gemäß § 3 EFZG zu
entrichten, wenn diese Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt sind, da diese
Arbeitnehmer während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit keine Leistungen ihres
Arbeitgebers, sondern Leistungen der stattlichen portugiesischen Pflichtversicherung
erhalten. Auch an gesetzlichen Feiertagen in Deutschland entsteht hinsichtlich dieser
Arbeitnehmer keine Beitragspflicht.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom
29. Oktober 2009 – 4 Ca 3844/08 – abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz über einen Auskunftsanspruch
insbesondere hinsichtlich der Höhe der monatlichen beitragspflichtigen
Bruttolöhne sowie darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger
Mindestbeiträge für aus Portugal nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer für
Zeiten zu entrichten, an denen die Arbeit wegen eines gesetzlichen Feiertages
oder wegen der unverschuldeten Erkrankung der Arbeitnehmer ausfiel.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des
Baugewerbes. Er hat nach den für allgemeinverbindlich erklärten tarifvertraglichen
Regelungen des Baugewerbes insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der
tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütungen zu sichern. Zu diesem Zweck
haben die den Bautarifverträgen unterfallenden Arbeitgeber monatliche Beiträge
in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Bruttolohnsumme der beschäftigten
gewerblichen Arbeitnehmer an den Kläger zu zahlen. Den Beitragseinzug regelte
im Anspruchszeitraum der allgemeinverbindliche Tarifvertrag über das
Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 1999 in seiner
jeweiligen Fassung. Der Kläger hat die Beklagte erstinstanzlich auf Erteilung der
tarifvertraglich vorgesehenen Auskünfte und in der Berufungsinstanz Klage
erweiternd auf Zahlung restlicher Mindestbeiträge in Anspruch genommen.
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Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung portugiesischen
Rechts, die arbeitszeitlich überwiegend Rohbauarbeiten ausführt. Sie nimmt mit
den nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern seit 1996 am
Sozialkassenverfahren teil. Hinsichtlich der in den Jahren 2007 und 2008
entsandten baugewerblichen Arbeitnehmer gab die Beklagte u. a. für die
Zeiträume Oktober 2007 bis Dezember 2007 sowie für die Monate April, Mai und
Oktober 2008 Monatsmeldungen gegenüber dem Kläger ab. In diesen
Monatsmeldungen waren u. a. die an die einzelnen Arbeitnehmer gezahlten
Bruttolöhne aufgeführt. Zugleich gab die Beklagte in den Monatsmeldungen „Tage
ohne Lohn“ an, in denen sie die deutschen Feiertage und die
Arbeitsunfähigkeitstage ihrer Arbeitnehmer vermerkte. Wegen des Inhalts der von
der Beklagten abgegebenen Monatsmeldungen wird auf Blatt 61 bis 82 d. A.
Bezug genommen. Die Beklagte zahlte an den „Tagen ohne Lohn“ an ihre
Arbeitnehmer keine Vergütung. Im Falle der Arbeitsunfähigkeit trat die staatliche
portugiesische Pflichtversicherung A. ein. Diese erbringt ab dem dritten
Krankheitstag bzw. im Falle eines Krankenhausaufenthalts ab dem ersten
Krankheitstag Leistungen an die Arbeitnehmer. Die Leistungen werden über ein
Umlageverfahren finanziert, in welches die Arbeitnehmer 11% und die Arbeitgeber
23,75 % des Bruttoarbeitsentgelts einzahlen. Die in Deutschland geltenden
arbeitsfreien Feiertage wurden von der Beklagten als Ausgleich für die Einhaltung
der zulässigen Höchstarbeitszeiten nach dem Arbeitszeitgesetz genutzt.
In der Folgezeit stritten die Parteien darüber, ob wegen der angegebenen „Tage
ohne Lohn“, für die kein Beitrag von der Beklagten an den Kläger abgeführt wurde,
der Beklagten Erstattungsleistungen zustünden. Insoweit schlossen die Parteien
einen Teil-Vergleich, wegen dessen Inhalt auf Blatt 137 d. A. Bezug genommen
wird.
Für die Zeiträume Oktober 2007 bis Dezember 2007 und April 2008, Mai 2008
sowie Oktober 2008 errechnete der Kläger auf der Basis von Mindestbeiträgen für
die „Tage ohne Lohn“ einen Beitrag in Höhe von EUR 2.519,15, der zwischen den
Parteien rechnerisch nicht streitig ist.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Meldungen der Beklagten nicht
ordnungsgemäß im Tarifsinne seien. Die Meldungen der Beklagten seien
fehlerhaft, da die Beklagte an alle Arbeitnehmer, die während der Entsendung
arbeitsunfähig erkrankten oder deren Arbeit wegen eines Feiertages ausfiele, Lohn
zahlen müsse. Diesen Lohn müsse die Beklagte dem Kläger melden. §§ 2 und 3
Entgeltfortzahlungsgesetz seien Eingriffsnormen im Sinne von Art. 34 EGBGB.
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auf dem hierfür vorgeschriebenen
Formular Auskunft zu erteilen über
a) die Höhe der monatlichen beitragspflichtigen Bruttolöhne in Euro mit der
Maßgabe, dass der aus Portugal entsandte Arbeitnehmer Anspruch auf
Lohnfortzahlung nach §§ 2, 3 Entgeltfortzahlungsgesetz hat, wenn die Arbeit
infolge eines deutschen gesetzlichen Feiertags ausfällt oder er infolge Krankheit an
seiner Arbeitsleistung verhindert ist,
b) die Beschäftigungstage, soweit kein voller Beschäftigungsmonat,
c) gewährte Urlaubstage und gewährte Urlaubsvergütung, soweit darauf bereits
ein tariflicher Anspruch bestand,
jedes einzelnen von ihr in den Monaten Oktober bis Dezember 2007 und April, Mai
und Oktober 2008 in die Bundesrepublik Deutschland entsandten gewerblichen
Arbeitnehmers.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass sie den Auskunftsanspruch für den
streitgegenständlichen Zeitraum durch die Angabe „Tage ohne Lohn“ erfüllt habe.
An den Feier- und Krankheitstagen sei sie nach dem anzuwendenden
portugiesischen Arbeits- und Sozialrecht nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Die
gesetzlichen Feiertage in Deutschland würden regelmäßig zum Freizeitausgleich
genutzt. Im Übrigen sei der Kläger nicht berechtigt, die Meldungen auf inhaltliche
Richtigkeit zu überprüfen. Solches Prüfungsrecht führe dazu, dass der Kläger die
Auszahlung fälliger Erstattungsansprüche blockieren könne.
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Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 Ca 3844/08
– der Klage stattgegeben. Es hat unter anderem ausgeführt, die Klage sei zulässig,
da dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis für die Auskunftsklage zustünde. Zwar
könne der Kläger den aus seiner Sicht richtigen Bruttolohn aus den Angaben der
Beklagten errechnen. Dazu sei er jedoch unter Berücksichtigung der Vielzahl der
Beitragsmeldungen nicht verpflichtet. Zur Überprüfung der Meldungen sei der
Kläger berechtigt, da der Arbeitgeber eine vollständige Meldung abgeben müsse.
Die Klage sei auch begründet. Der Beklagte habe seine Meldepflicht nicht erfüllt,
da die Monatsmeldungen falsch seien. Wie vom Bundesarbeitsgericht entschieden,
stelle § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz eine Eingriffsnorm im Sinne von Art. 34
EGBGB dar. Gleiches gelte auch für § 2 Entgeltfortzahlungsgesetz.
Dieses Urteil ist der Beklagten am 22. Dezember 2009 zugestellt worden. Die
Berufung ist am 19. Januar 2010 und die Berufungsbegründung nach rechtzeitiger
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22. März 2010 am selben
Tag bei Gericht eingegangen und dem Kläger am 12. April 2010 zugestellt worden.
Die Beklagte wendet sich gegen das erstinstanzliche Urteil und ist weiterhin der
Ansicht, dass sie an den Krankheits- und den Feiertagen keinen
Sozialkassenbeitrag schulde, da portugiesisches Recht anwendbar sei. Das wäre
auch die überwiegende Meinung in der Kommentarliteratur und ergäbe sich aus
der VO (EWG) 1408/71. Es sei kein Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber in
das Arbeitnehmerentsendegesetz § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz versehentlich
nicht aufgenommen haben sollte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 29. Oktober 2009 – 4 Ca 3844/08 –
abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
sowie mit am 26. Oktober 2010 bei Gericht eingegangener, der Beklagten am 02.
November 2010 zugestellter Klageerweiterung,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.519,15 Euro nebst Zinsen in Höhe von
8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz per annum seit Rechtshängigkeit zu
zahlen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und ist der Ansicht, die §§ 2 und 3
Entgeltfortzahlungsgesetz seien Eingriffsnormen im Sinne von Art. 34 EGBGB, wie
vom Bundesarbeitsgericht zu § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz entschieden worden
sei. Diese Vorschriften hätten in das Arbeitnehmerentsendegesetz nicht
aufgenommen werden müssen, da sie gemäß Art. 34 EGBGB ohnehin zwingend
gälten. Es läge ein Verstoß gegen Art. 3 GG sowie gegen Art. 7 VO (EWG) 1612/68
vor, wenn die aus Portugal entsandten Arbeitnehmer auf die um 70 % niedrigere
Lohnfortzahlung in Portugal verwiesen würden. Das Arbeitnehmerentsendegesetz
ziele auf gleiche Arbeitsbedingungen und Schutz vor „Billigkonkurrenz“.
Dementsprechend habe der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 15. Juli
2008 auch festgestellt, dass europäisches koordinierendes Sozialrecht Rechts
erweiternd wirken soll. Durch die VO (EWG) 1408/71 solle lediglich verhindert
werden, dass Arbeitgeber Beiträge an mehrere Sozialversicherungsträger zahlen
müssten. Die Auskunft sei wie beantragt gemäß § 6 Abs. 1 VTV zu erteilen, da es
sich um einen einheitlichen Anspruch handele, der nicht erfüllt sei, wenn ein
Element falsch angegeben sei. Die Mindestbeiträge stünden dem Kläger zu, da die
Beklagte an ihre entsandten gewerblichen Arbeitnehmer an gesetzlichen
Feiertagen und an Tagen unverschuldeter Krankheit Entgelt gemäß §§ 2 und 3
Entgeltfortzahlungsgesetz leisten müsste.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den Inhalt der
Berufungsschriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist
gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft. Die Beklagte hat sie auch
form- und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO.
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Die Berufung der Beklagten ist begründet, denn die Beklagte schuldet dem Kläger
keine weiteren Auskünfte und keine (Mindest-) Beiträge für die „Tage ohne Lohn“
gemäß §§ 6, 18, 21, 22 VTV i.V.m. § 1 Abs. 3 AEntG.
Die Klageanträge zu 1. b) und c) sind als unzulässig abzuweisen, da insoweit kein
Rechtsschutzbedürfnis besteht. Die Beklagte hat für den streitgegenständlichen
Zeitraum die Auskünfte hinsichtlich der Beschäftigungstage, der gewährten
Urlaubstage und der gewährten Urlaubsvergütung in den Monatsmeldungen (Bl.
61 ff d. A.) erteilt. Zwar bestimmt § 21 Abs. 3 Satz 3 VTV, dass erst mit der
vollständigen und richtigen Erteilung der Auskünfte gemäß Abs. 1 und 2 der
Arbeitgeber seine Verpflichtung zur Beitragsmeldung erfüllt. Daraus kann jedoch
nicht geschlossen werden, dass Teilauskünfte nicht zu berücksichtigen sind und
der Auskunftsanspruch nur einheitlich geltend gemacht werden kann.
Der Klageantrag zu 1. a) ist auslegungsbedürftig. Dem Kläger kommt es ersichtlich
zunächst darauf an zu erfahren, welche Bruttovergütung von der Beklagten an den
„Tagen ohne Lohn“ gezahlt worden wäre, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen
von §§ 2 Abs. 1, 3 EFZG vorlägen. Der Kläger ist im Rahmen seines
Auskunftsbegehrens entgegen der Ansicht der Beklagten nicht darauf beschränkt,
von einem Arbeitgeber erteilte Auskünfte lediglich unter formalen Aspekten zu
überprüfen. Stellt der Kläger etwa fest, dass nach den Angaben eines Arbeitgebers
der Mindestlohn unterschritten wurde, so kann der Kläger unter Hinweis darauf
insoweit weiterhin die Erteilung zutreffender Auskünfte verlangen, § 21 Abs. 3 Satz
3 VTV. Nichts anderes gilt, soweit der Kläger die Ansicht vertritt, dass an den
„Tagen ohne Lohn“ Entgeltfortzahlungspflicht bestand und diese Ansicht
zutreffend wäre.
Der Klageantrag zu 1. a) ist auch hinsichtlich des genannten Personenkreises „der
aus Portugal entsandten Arbeitnehmer“ auslegungsbedürftig, da die Bruttolöhne
nur hinsichtlich der gewerblichen Arbeitnehmer relevant sind und sich zudem die
Rechtslage hinsichtlich der Beitragspflicht je nachdem, für welche Zeiträume die
Arbeitnehmer entsandt wurden, unterschiedlich darstellen kann. Im Hinblick auf
den unstreitigen Sachverhalt, wonach die entsandten Arbeitnehmer an den
„Tagen ohne Lohn“ im Falle der unverschuldeten Erkrankung Leistungen von der
portugiesischen Sozialversicherung erhielten, geht das Gericht davon aus, dass es
sich bei den entsandten Arbeitnehmern um gewerbliche Arbeitnehmer handelt, die
im Klagezeitraum über eine Bescheinigung des portugiesischen
Sozialversicherungsträgers nach der VO (EWG) Nr. 1408/71 verfügten, und sich
das Auskunftsbegehren des Klägers auf diese Arbeitnehmer beschränkt.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht zu.
Der für die Entstehung des Beitragsanspruchs darlegungs- und beweispflichtige
Kläger behauptet nicht, dass zwischen der Beklagten und ihren entsandten
Arbeitnehmern die Anwendung deutschen Rechts vereinbart wurde und aus
diesem Grunde den Arbeitnehmern der Beklagten im Falle der Erkrankung bzw.
des Arbeitszeitausfalls wegen eines gesetzlichen Feiertags ein
Entgeltfortzahlungsanspruch aus §§ 2 Abs. 1, 3 Entgeltfortzahlungsgesetz
zustehen könnte. Vielmehr ist unstreitig, dass die arbeitsunfähig erkrankten
Arbeitnehmer Kranken- bzw. Verletztengeld nach portugiesischem Recht ggf. nach
Ablauf einer Karenzzeit von drei Tagen von der A. erhalten haben und dass die
gesetzliche Feiertage als Ausgleich für die Einhaltung der zulässigen
Höchstarbeitszeiten eingesetzt wurden. Da die Beklagte während dieser Zeiten an
die Arbeitnehmern keine Vergütung zahlte und nach portugiesischem Recht nicht
zahlen musste, ist ein Beitragsanspruch nach § 18 VTV nicht entstanden.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 34 VTV, wonach für die Durchführung der
Verfahren nach diesem Tarifvertrag deutsches Recht gilt. Aus dieser Vorschrift
kann nicht geschlossen werden, dass der ausländische Arbeitgeber, der
Arbeitnehmer nach Deutschland entsendet, an seine Arbeitnehmer
Entgeltfortzahlung nach deutschem Recht zu zahlen hat. Welchen Pflichten der
ausländische Arbeitgeber unterliegt, ergibt sich aus § 7 AEntG a. F. bzw. § 2 AEntG
n. F.. Das Entgeltfortzahlungsgesetz ist dort nicht aufgeführt.
Ein Beitragsanspruch des Beklagten ist auch nicht etwa deshalb entstanden, weil
die Klägerin gemäß Art. 34 EGBGB verpflichtet war, ihren nach Deutschland
entsandten Arbeitnehmern im Falle der Erkrankung und an gesetzlichen
Feiertagen Vergütung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz zu leisten. Art. 34
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Feiertagen Vergütung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz zu leisten. Art. 34
EGBGB, der bis zum 17. Dezember 2009 in Kraft war, besagt, dass unabhängig
von dem für einen Schuldvertrag geltenden Vertragsstatut in jedem Fall die
vertraglich nicht abdingbaren Vorschriften des deutschen Rechts anzuwenden
sind, die den Sachverhalt ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende
Recht international zwingend regeln. Art. 34 EGBGB regelt einen Ausschnitt aus
dem Problemkreis der Sonderanknüpfung zwingender Vorschriften wirtschafts-
oder sozialpolitischen Gehalts, die sogenannten Eingriffsnormen. Eine
Eingriffsnorm im Bereich des Arbeitsrechts kann dann vorliegen, wenn die
Vorschrift nicht nur auf den Schutz von Individualinteressen der Arbeitnehmer
gerichtet ist, sondern mit ihr wenigstens auch öffentliche Gemeinwohlinteressen
verfolgt werden (BAG 12. Dezember 2001 – 5 AZR 255/00 – NZA 2002, 734).
Vor diesem Hintergrund gilt Folgendes:
Mit der ganz überwiegenden Kommentarliteratur wird davon ausgegangen, dass
die Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes im Verhältnis des ausländischen
Arbeitgebers zur B. nicht zu den zwingenden Normen im Sinn des Art. 34 EGBGB
zählen, da der Gesetzgeber in § 7 AEntG a. F. bzw. § 2 AEntG n. F. abschließend
aufgeführt hat, was der ausländische Arbeitgeber zwingend beachten muss
(Koberski/Asshoff/Hold/Roggendorff Arbeitnehmerentsendegesetz 2002 § 1 a
Randnummer 19; Wiedemann u. a. Tarifvertragsgesetz 2007 Anhang 1 zu § 5
Randnummer 16, § 7 Randnummer 1). § 7 AEntG a. F. wird als eine Vorschrift
bezeichnet, die den Begriff der arbeitsrechtlich international zwingenden Normen
im Sinn des Art. 34 EGBGB „authentisch“ definiert (Erfurter
Kommentar/Schlachter 8. Aufl. 2008 § 8 AEntG Randnummer 4/5), wobei
vorliegend dahinstehen mag, ob diese „authentische Definition“ generell oder
lediglich im Verhältnis des ausländischen Arbeitgebers zur B. gilt. Mit der Literatur
ist davon auszugehen, dass der Regelungsansatz des
Arbeitnehmerentsendegesetzes und der Arbeitnehmerentsenderichtlinie darin
liegt, hinsichtlich eines „harten Kerns“ von Arbeitsbedingungen das
Arbeitsortprinzip einzuführen. Rechtstechnisch wurde das in der Weise
durchgeführt, dass bestimmte, im Gesetz genannte Vorschriften zu international
zwingenden Eingriffsnormen erklärt wurden (Thüsing AEntG 2010 vor § 1
Randnummer 11).
Die Frage der Entgeltfortzahlung an gesetzlichen Feiertagen richtet sich im
Übrigen unabhängig vom Arbeitnehmerentsendegesetz nach dem
Arbeitsvertragstatut, wobei der Regelung in § 2 Entgeltfortzahlungsgesetz keine
zwingende Wirkung im Sinne von Art 34 EGBGB beigemessen wird (AR-Blattei SD
(Heilmann) Stichwort: Auslandsarbeit Rn. 290 m.w.N.).
Etwas anderes ergibt sich für die Zeit ab dem 17. Dezember 2009 nicht aus Art. 8,
9 VO (EG) 593/2008. In Art. 8 Abs. 1 dieser VO ist unter anderem geregelt, dass
Individualarbeitsverträge dem von den Parteien nach Art. 3 gewählten Recht
unterliegen und dass die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen darf, dass dem
Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch Bestimmungen gewährt
wird, von denen nach dem Recht, das nach den Absätzen 2, 3 und 4 des
vorliegenden Artikels mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch
Vereinbarung abgewichen werden darf. Gemäß Art. 9 Abs. 1 ist eine Eingriffsnorm
eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend
für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen,
sozialen oder wirtschaftlichen Organisation angesehen wird, dass sie ungeachtet
des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwenden Rechts auf alle
Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen. Art. 9 Abs. 1
VO (EG) 593/2008 ersetzt Art. 34 EGBGB. Die neue Vorschrift ändert nichts daran,
dass der Gesetzgeber im Arbeitnehmerentsendegesetz für den Bereich der
Arbeitnehmerentsendung eine authentische Definition des Begriffs der
Eingriffsnorm vorgenommen hat und das Entgeltfortzahlungsgesetz dort nicht
aufgeführt ist.
Doch selbst wenn man das anders sehen wollte, und davon ausginge, dass
jedenfalls § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz auch im Verhältnis zum ausländischen
Arbeitgeber eine Eingriffsnorm darstellen kann, ergäbe sich im Ergebnis nichts
anderes. Das Bundesarbeitsgericht (BAG 12.12.2001 – 5 AZR 255/00 – a. a. O.)
hat gefordert, dass das konkret zu betrachtende Anstellungsverhältnis den
nötigen Inlandsbezug aufweisen müsse, welcher in dem vom BAG entschiedenen
Fall darin zu sehen war, dass die dortige Klägerin als Deutsche in Deutschland
lebte, von dort aus ihre Einsätze antrat und dem deutschen
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lebte, von dort aus ihre Einsätze antrat und dem deutschen
Sozialversicherungsrecht unterlag. Ein solcher Inlandsbezug besteht zwischen der
Beklagten und ihren nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern nicht, weshalb
auch aus diesem Grunde § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz nicht zwingend
anzuwenden ist.
Aus Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) 1612/68 folgt nichts anderes. Allerdings ist dort
bestimmt, dass ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist,
aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen
Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen,
insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos
geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder
Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden darf als die inländischen
Arbeitnehmer. Im Hinblick auf die Systeme der sozialen Sicherheit ist diese
Verordnung weiterentwickelt und präzisiert worden durch die VO (EWG) 1408/71,
welche gemäß Art. 249 Abs. 2 EGV unmittelbar anzuwendendes Recht darstellt
und Vorrang vor den entsprechenden nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten
genießt (BGH 15.07.2008 – VI ZR 105/07 – BGHZ 177, 237). Gemäß Art. 3 Abs. 1
dieser Verordnung haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen
Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die
Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser
Verordnung nichts anderes vorsehen. Gemäß Art. 4 Abs. 1 a VO (EWG) 1408/71
gilt diese Verordnung für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen
Sicherheit, die unter anderem Leistungen bei Krankheit betreffen. Zum System
der sozialen Sicherheit gehört demnach auch die Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall. In Art. 13 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung ist unter anderem
geregelt, dass vorbehaltlich anderweitiger Regelungen Personen, für die diese
Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates unterliegen.
Soweit nicht die Art. 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, unterliegt eine Person,
die im Gebiet eines Mitgliedstaates im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt
ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im
Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das
Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet
eines anderen Mitgliedstaates hat. Von dieser allgemeinen Regelung wird in Art. 14
Ziff. 1. der Verordnung eine Ausnahme gemacht. Danach unterliegt eine Person,
die im Gebiet eines Mitgliedstaates von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich
angehört, im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt wird und die von diesem
Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet
eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird, weiterhin den Rechtsvorschriften des
ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 12 Monate
nicht überschreitet und sie nicht eine andere Person ablöst, für welche die
Entsendungszeit abgelaufen ist. Sofern eine solche Arbeit, deren Ausführung aus
nicht vorhersehbaren Gründen die ursprünglich vorgesehene Dauer überschreitet,
über 12 Monate hinaus geht, so gelten die Rechtsvorschriften des ersten
Mitgliedstaates bis zur Beendigung dieser Arbeit weiter, sofern die zuständige
Behörde des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet der Betreffende entsandt wurde,
oder die von dieser Behörde bezeichnete Stelle dazu ihre Genehmigung erteilt.
Daraus folgt, dass hinsichtlich der nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer im
Falle der Krankheit weiterhin portugiesisches Recht anzuwenden ist. Entsprechend
der Auslegung des Klageantrags zu 1. a) ist davon auszugehen, dass hinsichtlich
der entsandten Arbeitnehmer eine Bescheinigung gemäß Art. 11 VO (EWG) 574/72
vorlag. Danach hat der Träger, den die zuständige Behörde desjenigen
Mitgliedstaats bezeichnet, dessen Rechtsvorschriften weiterhin anzuwenden sind,
auf Antrag des Arbeitnehmers oder seines Arbeitgebers unter anderem im Fall des
Art. 14 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 eine Bescheinigung darüber auszustellen, dass
und bis zu welchem Zeitpunkt diese Rechtsvorschriften weiterhin für den
Arbeitnehmer gelten. Diese Bescheinigung, die von der zuständigen Behörde
eines Mitgliedstaates ausgestellt wird, bindet die Träger der sozialen Sicherheit
anderer Mitgliedstaaten (EuGH 10.02.2000 – Rs.C-202/97 – NZA RR 2000, 201). Ab
dem 01. Mai 2010 gilt hinsichtlich der auszustellenden Dokumente gemäß Art. 5
VO (EG) 987/2009 vom 16. September 2009 im Ergebnis nichts anderes. Verfügt
ein Arbeitnehmer der Beklagten über diese Bescheinigung, ist im Falle der
Erkrankung des Arbeitnehmers portugiesisches Recht und nicht das
Entgeltfortzahlungsgesetz anzuwenden.
Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, 15.07.2008 – VI ZR 105/07 –
BGHZ 177, 237) folgt entgegen der Ansicht des Klägers nichts anderes. Dort ist
lediglich entschieden worden, dass die Anwendung der Regelungen der EWG-VO
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lediglich entschieden worden, dass die Anwendung der Regelungen der EWG-VO
1408/71 regelmäßig nicht zum Verlust von Leistungsansprüchen führen kann, die
nach dem nationalen Recht eines der Mitgliedstaaten ohne Rückgriff auf die
Gemeinschaftsvorschriften bereits erworben worden sind, da europäisches
koordinierendes Sozialrecht grundsätzlich nicht Rechts verkürzend, sondern nur
Rechts erweiternd wirken soll. Wie oben dargelegt, haben die nach Deutschland
entsandten Arbeitnehmer der Beklagten keine Ansprüche aus dem deutschen
Entgeltfortzahlungsgesetz erworben.
Der Antrag des Klägers auf Zahlung von Mindestbeiträgen für die „Tage ohne
Lohn“ in Höhe von Euro 2.519,15 ist zulässig, aber nicht begründet. Das Gericht
kann über diesen in der Berufungsinstanz erstmals gestellten Antrag des Klägers
entscheiden, ohne dass eine Anschlussberufung vorliegt. Eine
Berufungsanschlussschrift ist entbehrlich, wenn die Voraussetzungen des § 264
ZPO vorliegen (BAG 10. 12. 2002 – 1 AZR 96/02 – NZA 2003, 734, 736). Als eine
Änderung der Klage ist es gemäß § 264 Ziffer 2 ZPO nicht anzusehen, wenn ohne
Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache quantitativ oder
qualitativ modifiziert wird (Zöller/Greger ZPO 26. Auf. 2007 § 264 ZPO Rn. 3). Für
die „Tage ohne Lohn“ ist der Kläger zur Mindestbeitragsklage übergegangen, was
eine qualitative Änderung des Klageantrags bei gleich bleibendem Klagegrund
darstellt (Zöller/Greger ZPO a.a.O., § 264 ZPO Rn. 3 b). Dieser Neufassung des
Antrags stehen schutzwürdige Interessen der Beklagten, die sich auf den
erweiternden Klageantrag widerspruchslos eingelassen hat, nicht entgegen (vgl.
dazu Schumann/Kramer Die Berufung in Zivilsachen, 7. Aufl. 2007 Rn. 368 ff;
Münch Die Klageänderung im Berufungsverfahren MDR 2004, 781, 784).
Dem Kläger steht ein Zahlungsanspruch aus den §§ 18, 22 VTV nicht zu, da - wie
oben ausgeführt - an den „Tagen ohne Lohn“ keine Bruttovergütung zu zahlen
war, auf die Beiträge zu entrichten waren.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden unter Berücksichtigung der
Kostenvereinbarung im Teilvergleich vom 28. Mai 2009 gemäß § 92 ZPO
gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger,
da er unterlegen ist, § 91 ZPO.
Die Revision wird gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.