Urteil des LAG Hessen vom 17.01.2011

LAG Frankfurt: verzicht, arbeitsgericht, gegenleistung, gleichbehandlung, anfechtung, drohung, agb, kontrolle, gleichstellung, tarifvertrag

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
7. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 Sa 752/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 611 Abs 1 BGB, § 307 BGB
Wirksamkeit einer Änderungsvereinbarung - Verzicht auf
eine Sonderzahlung - AGB-Kontrolle
Orientierungssatz
Einzelfall:
Zulässige Änderungsvereinbarung mit Verzicht auf tarifliche Sonderzahlung.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 30.
März 2010 – 6 Ca 647/09 – wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld).
Die Klägerin ist seit dem 01. November 1995 bei der Beklagten, die mehrere
Möbelhäuser betreibt, beschäftigt.
Am 09. März 2005 vereinbarten die Parteien eine Änderung des Arbeitsvertrags,
wonach u.a. der bis dahin bestehende Anspruch auf Sonderzahlungen für das Jahr
2005 reduziert werden, ab 2006 vollständig entfallen sollte.
Mit ihrer Klage macht die Klägerin das Urlaubs- und Weihnachtsgeld für die Jahre
2006 bis 2009 geltend, da sie die Änderungsvereinbarung für unwirksam hält.
Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts im Übrigen, des Vorbringens der
Parteien und ihrer Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils (Bl. 47 - 51 d.A.) verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass
die Nachwirkung des nicht mehr allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über
Sonderzahlungen im Hessischen Einzelhandel durch eine andere Abmachung,
nämlich die wirksame Vereinbarung der Parteien vom 09. März 2005, ersetzt
worden sei.
Gegen dieses Urteil vom 30. März 2010, auf dessen Inhalt zur weiteren
Sachdarstellung Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Klägerin.
Sie äußert die Auffassung, sie könne sich zur Begründung ihres Anspruchs auf die
Nachbindung der Beklagten an den früher allgemeinverbindlichen Tarifvertrag über
Sonderzahlungen berufen, da die Vereinbarung vom 09. März 2005 aus mehreren
Gründen unwirksam sei.
Zum einen seien die Arbeitnehmer durch die völlig unbegründete Drohung mit
betriebsbedingten Kündigungen widerrechtlich unter Druck gesetzt worden.
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betriebsbedingten Kündigungen widerrechtlich unter Druck gesetzt worden.
Deshalb sei der „Widerruf“ der Klägerin vom 23. März 2005 in eine begründete
Anfechtung ihrer Zustimmung zum Änderungsvertrag umzudeuten.
Zum anderen stelle die Vertragsänderung eine unangemessene einseitige
Verzichtserklärung ohne kompensatorische Gegenleistung der Beklagten dar.
Dass die Beklagte nachträglich auf den Ausspruch von betriebsbedingten
Kündigungen verzichtete, beseitige nur die Kündigungsdrohung, stelle aber keine
Gegenleistung des Arbeitgebers für den Verzicht der Arbeitnehmer dar. Es habe
nämlich überhaupt keinen Anlass für den Ausspruch von betriebsbedingten
Kündigungen gegeben. Der Beklagten, die sich nicht in einer Krise, sondern in
einer Phase soliden Wachstums befunden habe, sei es allein um eine einseitige
Kostenreduzierung gegangen.
Schließlich sei die Beklagte verpflichtet, die Klägerin ebenso wie die
Gewerkschaftsmitglieder zu behandeln, bei denen der Verzicht auf tarifvertragliche
Ansprüche von vornherein unwirksam war. Die Beklagte habe durch jahrelange
Gleichstellung aller Beschäftigten eine betriebliche Übung geschaffen, die durch
die Vereinbarung vom 09. März 2005 im Sinne einer neuen einheitlichen Regelung
aller Vertragsverhältnisse geändert werden sollte. Dieses Ziel habe die Beklagte
aber wegen der unverzichtbaren Ansprüche der Gewerkschaftsmitglieder nicht
erreichen können. Deshalb müsse sie auch weiterhin alle Arbeitnehmer im Hinblick
auf die Sonderzuwendungen gleich behandeln. Dass sie selbst von der
Gleichbehandlungspflicht ausgegangen sei, zeige sich am Wortlaut des Schreibens
der Beklagten vom 23. März 2005, mit dem sie den „Widerruf“ der Klägerin „im
Interesse der Gleichbehandlung“ zurückwies.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 30. März 2010, Az. 6 Ca 647/09,
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 8.844,52 € brutto nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 973,00 € brutto seit dem 01. Juli 2006,
aus weiteren 1.238,13 € brutto seit dem 01. Dezember 2006,
aus weiteren 973,00 € brutto seit dem 01. Juli 2007,
aus weiteren 1.238,13 € brutto seit dem 01. Dezember 2007,
aus weiteren 973,00 € brutto seit dem 01. Juli 2008,
aus weiteren 1.238,13 € brutto seit dem 01. Dezember 2008,
aus weiteren 973,00 € brutto seit dem 01. Juli 2009,
aus weiteren 1.238,13 € brutto seit dem 01. Dezember 2009
zu zahlen.
Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Berufung und verteidigt das
angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen
Vortrags.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die
Berufungsbegründung vom 21. Juni 2010 (Bl. 68 - 72 d.A.) und den weiteren
Schriftsatz der Klägerin vom 21. Dezember 2010 (Bl. 82f d.A.) sowie die
Berufungsbeantwortung vom 15. September 2010 (Bl. 79 - 81 d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte, form- und
fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin ist zulässig.
II.
Die Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die
Klage zu Recht mit der gegebenen Begründung abgewiesen.
Das Berufungsgericht schließt sich dem angefochtenen Urteil im Ergebnis und in
der Begründung an (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Der Inhalt der Berufungsbegründung gibt
lediglich Anlass zu folgender Ergänzung:
Die Formulierung der Änderungsvereinbarung vom 09. März 2005 selbst begegnet
im Hinblick auf die Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB keinen durchgreifenden
Bedenken. Nach der klaren Formulierung entfällt ein etwa früher bestehender
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Bedenken. Nach der klaren Formulierung entfällt ein etwa früher bestehender
Anspruch auf Sonderzahlungen mit sofortiger Wirkung; lediglich für das laufende
Jahr 2005 wurde sodann ein anteiliger Anspruch auf 30% des im Jahr 2004
gezahlten Weihnachtsgeldes und auf 75% des früheren Urlaubsgeldes begründet,
wobei darüber hinaus vereinbart wurde, dass aus dieser einmaligen Zahlung im
Jahre 2005 kein Anspruch für zukünftige Zahlungen abgeleitet werden kann. Diese
Regelung ist in sich klar und schlüssig und keinesfalls widersprüchlich,
insbesondere enthält sie keinen unzulässigen Änderungsvorbehalt zu Gunsten der
Beklagten.
Mit der Änderungsvereinbarung hat die Klägerin auch nicht in unangemessener
Weise auf vertragliche Ansprüche verzichtet, vielmehr hat das Arbeitsgericht zu
Recht den erklärten Verzicht der Beklagten auf betriebsbedingte Kündigungen bis
zum 28. Februar 2007 - und damit für die Dauer von zwei vollen Jahren - als
kompensatorische Gegenleistung angenommen.
Die Klägerin hat in der Berufung keine Argumente vorgetragen, die geeignet
wären, zu einem anderen Schluss zu gelangen. Soweit sie darauf hinweist, dass
diese Erklärung der Beklagten nicht in der Vertragsänderung selbst abgegeben
wurde, sondern erst später der Klägerin übergeben wurde, ändert dies nichts, denn
im Wortlaut der verbindlichen Erklärung hat die Beklagte in eindeutiger Weise auf
die Änderungsvereinbarung vom 09. März 2005 verwiesen und so die Verknüpfung
dieser Gegenleistung mit der Vorleistung der Arbeitnehmer, die die Vereinbarung
unterzeichnet hatten, selbst hergestellt.
Soweit sie argumentiert, die Beklagte habe mit dem Schreiben lediglich die vorher
grundlos geäußerte Kündigungsdrohung beseitigt, so geht auch dies fehl.
Unmissverständlich wird in der Erklärung der Beklagten der Bestand des
Arbeitsverhältnisses für die Dauer weiterer zwei Jahre „garantiert“. Unabhängig
von der in diesem Zusammenhang unerheblichen Frage, ob und wenn ja in
welchem Umfang die Beklagte betriebsbedingte Kündigungen zum Zeitpunkt der
Unterzeichnung der Änderungsvereinbarung in Betracht zog, stellt eine solche
Arbeitsplatzgarantie jedenfalls einen beträchtlichen Gegenwert zu dem Verzicht
der Klägerin auf die Sonderzahlungen dar. Es ist gerichtsbekannt, dass es gerade
in der Möbelverkaufsbranche immer wieder gravierende Veränderungen gab und
noch gibt, in denen selbst regional gut platzierte Betriebe kurzfristigen
Veränderungen unterworfen werden, die mitunter durchaus Auswirkungen auf den
Bestand der Arbeitsverhältnisse haben können.
Weiterhin bleibt es auch dabei, dass die von der Klägerin vorgenommene
Umdeutung ihres Widerrufs in eine Anfechtung ins Leere geht, da sie auch in der
Berufungsinstanz keinen substantiierten Vortrag zur behaupteten widerrechtlichen
Drohung gehalten hat, sondern bei ihrem unsubstantiierten Vortrag geblieben ist.
Hier weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass angesichts der Tatsache, dass
eine Vielzahl von Arbeitnehmern die Änderungsvereinbarung nicht unterzeichnete,
von einer spezifischen, ihre Vertragsfreiheit ausschließenden oder
einschränkenden Unterlegenheit der Klägerin nicht ausgegangen werden kann.
Schließlich besteht auch kein Anspruch der Klägerin darauf, ebenso wie die
Gewerkschaftsmitglieder behandelt zu werden, deren Verzicht auf tarifvertragliche
Ansprüche unwirksam ist. Da der Arbeitsvertrag der Klägerin - wie das
Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat - keine Gleichstellungsvereinbarung
enthielt, kann ein solcher Anspruch auf entsprechende Gleichbehandlung nur vor
dem Hintergrund einer entsprechenden betrieblichen Übung entstanden sein, die
allerdings durch die Änderungsvereinbarung vom 09. März 2005 beseitigt wurde.
Es ist nicht ersichtlich, aus welchem rechtlichen Grunde die Beklagte nunmehr
verpflichtet sein soll, auch denjenigen Arbeitnehmern die Sonderzahlungen weiter
zu gewähren, die darauf wirksam verzichten konnten, weil sie nicht Mitglied der
tarifschließenden Gewerkschaft sind. Dabei kann sogar unterstellt werden, dass die
Beklagte ursprünglich die Absicht hatte, den Anspruch auf Sonderzahlungen bei
allen Arbeitnehmern durch entsprechende Vereinbarungen zu beseitigen, denn die
Tatsache, dass sie diese nicht erreichte, bedeutet nicht, dass sie nunmehr allen
Arbeitnehmern gegenüber zur weiteren Zahlung verpflichtet ist, auch wenn diese
einen wirksamen Verzicht abgegeben haben. Dass die Beklagte im Schreiben vom
23. März 2005 vom Interesse an einer Gleichbehandlung der Mitarbeiter schrieb,
bindet sie nicht bezüglich der Sonderzahlung, denn zu Recht hat das
Arbeitsgericht diese Bemerkung in dem Sinne ausschließlich auf den Widerruf der
Klägerin bezogen, dass sie diesen nicht bei der Klägerin akzeptieren könne, ohne
anderen Mitarbeitern das gleiche Widerrufsrecht zuzugestehen.
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Da auch andere Anspruchsgrundlagen für die geltend gemachte Leistung nicht
ersichtlich sind, war die Berufung insgesamt zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Für die Zulassung des Rechtsmittels der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG
bestand keine gesetzlich begründbare Veranlassung.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.