Urteil des LAG Hessen vom 13.05.2008

LAG Frankfurt: betriebsrat, arbeitsgericht, materielle rechtskraft, rotes kreuz, anhörung, zwangsvollstreckung, wiederholungsgefahr, vorverfahren, rechtsschutzinteresse, unterlassen

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
4. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TaBV 4/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 23 Abs 3 BetrVG, § 99 Abs
1 BetrVG, § 99 Abs 4 BetrVG,
§ 322 Abs 1 ZPO
(Unterlassungsantrag des Betriebsrats - erneute
Verletzungshandlung - Anlasssachverhalt - Grenze der
Rechtskraft bei Unterlassungstitel)
Leitsatz
1. Grenze der Rechtskraft eines Unterlassungstitels ist nicht der Anlasssachverhalt, der
zum Erlass des Titels führte, sondern die aufgrund des Anlassfalls zu vermutende,
abstrakt definierte zukünftige Verhaltensweise des Unterlassungsschuldners (entgegen
BGH 23.02.2006 - I ZR 272/02 - BGHZ 166/253 - Markenparfüm).
2. Wurde ein Antrag eines Betriebsrats auf Unterlassung der Durchführung bestimmter
personeller Maßnahmen ohne Wahrung seiner Beteiligtungsrechte rechtskräftig
zurückgewiesen, kann der Betriebsrat einen erneuten Unterlassungsantrag mit
identischer Zielrichtung nicht allein auf weitere Verletzungshandlungen des
Arbeitgebers stützen, die vor dem Schluß der Anhörung im Vorverfahren begangen
wurden.
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts
Frankfurt am Main vom 11. Oktober 2007 – 11 BV 232/07 – abgeändert:
Die Anträge werden insgesamt zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Unterlassung der Durchführung
von Versetzungen zwischen verschiedenen Filialen ohne gesetzmäßige Beteiligung
des antragstellenden Betriebsrats.
Der Betriebsrat repräsentiert die etwa 1.100 Arbeitnehmer des durch einen
Zuordnungstarifvertrag nach § 3 BetrVG gebildeten Regionalbetriebs A, der
diverse B-filialen der zu 2) beteiligten Arbeitgeberin in C umfasst. Die Arbeitgeberin
trug bis 30. Juni 2006 die Firma D GmbH. Der Betriebsrat leitete seit Ende 2004
beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eine Vielzahl von Beschlussverfahren ein, in
denen er jeweils im Wesentlichen identisch den Antrag ankündigte, der
Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Versetzungen vorzunehmen,
solange der Betriebsrat die Zustimmung nicht erteilt hat oder im
Verweigerungsfall die fehlende Zustimmung im arbeitsgerichtlichen
Beschlussverfahren ersetzt worden ist, es sei denn, die Arbeitgeberin macht
sachliche Gründe, die eine Versetzung dringend erforderlich machen, geltend und
leitet, falls der Betriebsrat dies bestreitet, hiernach innerhalb von drei Tagen das
arbeitsgerichtliche Verfahren nach § 100 BetrVG ein.
Er stützte die Anträge jeweils auf unterschiedliche Anlassfälle aus der Zeit seit
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Er stützte die Anträge jeweils auf unterschiedliche Anlassfälle aus der Zeit seit
dem Jahr 2004. Die Beteiligten schlossen zwischen dem 03. Mai und dem 24.
Oktober 2005 in den elf Beschlussverfahren Arbeitsgericht Frankfurt am Main - 5
BV 254/04 -, - 18 BV 490/05 -, - 6 BV 749/05 -, - 15 BV 485/05 -, - 15 BV 486/05 -, -
17 BV 861/04 -, - 16 BV 894/05 -, - 22 BV 873/05 -, - 9 BV 919/05 -, 14 BV 891/05 -
und - 18 BV 790/05 - gerichtliche Vergleiche, in denen die Arbeitgeberin mit
unterschiedlichen Formulierungen die Verletzung des Mitbestimmungsrechts des
Betriebsrats bei Versetzungen nach § 99 BetrVG einräumte und/oder erklärte, die
Mitbestimmungsrechte gemäß § 99 BetrVG in Zukunft wahren zu wollen. Wegen
der Einzelheiten der Vergleiche wird auf die Anlagen A 4 bis A 19 zur Antragsschrift
(Bl. 13 - 28 d.A.) Bezug genommen.
Neben diesen Verfahren leitete der Betriebsrat zwischen Anfang 2005 und Anfang
2006 aufgrund weiterer Anlassfälle aus dem Jahr 2005 zehn weitere
Unterlassungsverfahren mit entsprechenden Anträgen ein, nämlich die
beigezogenen Verfahren Arbeitsgericht Frankfurt am Main - 12 BV 825/06 - 827/06
und 830/06 - 832/06 -, - 20/13 BV 1092/07 -, - 7 BV 1233/07 -, - 2 BV 1214/07 -
und - 7 BV 1234/07 -. Die Verfahren wurden zeitweilig wegen
Vergleichsverhandlungen ausgesetzt und erhielten nach ihrem Wiederaufruf die
vorstehend bezeichneten neuen Aktenzeichen. Nach der Verkündung der
erstinstanzlichen Entscheidung im vorliegenden Verfahren setzte das
Arbeitsgericht diese Verfahren auf Antrag der Beteiligten erneut aus. Ausgesetzt
wurden auch zwei weitere aufgrund von Anlassfällen aus dem Jahr 2007 vom
Betriebsrat eingeleitete Unterlassungsverfahren, nämlich die Verfahren
Arbeitsgericht Frankfurt am Main - 18 BV 265/07 - und - 22 BV 1122/07 -. Wegen
der Einzelheiten der vorstehend aufgeführten Verfahren wird auf die beigezogenen
Verfahrensakten Bezug genommen.
Der Betriebsrat hatte im Jahr 2005 aufgrund von zwei weiteren Anlassfällen aus
dem Jahr 2005 das weitere Unterlassungsverfahren Arbeitsgericht Frankfurt am
Main - 22 BV 984/05 - eingeleitet. In der Antragsbegründung verwies er auf
zahlreiche Verstöße der Arbeitgeberin „allein im letzten halben Jahr“ sowie auf die
Vergleiche in den Verfahren Arbeitsgericht Frankfurt am Main - 5 BV 254/04 , 18
BV 490/05 -, - 6 BV 749/04 -, - 15 BV 485/05, 486/05 -, - 17 BV 861/04 - und - 16
BV 894/05 -. Der Betriebsrat berief sich in diesem Verfahren auf § 23 Abs. 3
BetrVG sowie ergänzend auf einen allgemeinen Unterlassungsanspruch und
beantragte erstinstanzlich, soweit für das vorliegende Verfahren von Interesse, der
Antragsgegnerin unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 10.000,00
für jeden Fall der Zuwiderhandlung aufzugeben, es zu unterlassen, ohne vorherige
erteilte, als erteilt geltende oder gerichtlich ersetzte Zustimmung des Betriebsrats
Versetzungen von Mitarbeitern von einer Filiale in eine andere Filiale der
Arbeitgeberin vorzunehmen, falls nicht die Antragsgegnerin die für die
Durchführung dieser Einstellungen als vorläufige personelle Maßnahme gemäß §
100 BetrVG nach § 100 Abs. 2 BetrVG bestimmten Schritte vorgenommen hat.
Das Arbeitsgericht wies diesen Antrag aufgrund des Anhörungstermins vom 04.
April 2007 mit Beschluss vom selben Tag als unbegründet zurück. Die gegen
diesen Beschluss vom Betriebsrat eingelegte Beschwerde Hess. LAG - 4 TaBV
228/07 - nahm der Betriebsrat mit Schriftsatz vom 04. Februar 2008 zurück, so
dass der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 04. April 2007 in Rechtskraft erwuchs.
Der für die Filialen der Arbeitgeberin in E, F und G verantwortliche Filialgebietsleiter
H teilte der Personalabteilung Anfang März 2007 mit, dass er einen Ringtausch der
Arbeitnehmer I, J und K zwischen den drei Filialen beabsichtige. Anlass hierfür war,
dass der Arbeitnehmer I sich nach dem Entstehen eines Fehlbetrages im Jahr 2006
mit der Führung der Kasse der Filiale E überfordert fühlte und auf eine Umsetzung
drängte. Diesem Wunsch sollte dadurch Rechnung getragen werden, dass Herr I in
der Filiale G eingesetzt werden sollte und dass die Arbeitnehmerin J dafür von G
nach F und die Arbeitnehmerin K von F nach E umgesetzt werden sollte. Diese
Maßnahmen waren zunächst für die Zeit vom 01. April bis zum 30. Juni 2007
vorgesehen. Die Personalabteilung der Arbeitgeberin unterrichtete den Betriebsrat
über diese Maßnahmen mit einer E-Mail vom 12. März 2007. Da dem Betriebsrat
eine Behandlung dieser Maßnahmen in seiner nächsten turnusmäßigen Sitzung
am 20./21. März 2007 nicht möglich war, einigten sich die Beteiligten darauf, dass
er in der Sitzung vom 03./04. April 2007 über seine Zustimmung zu den
Maßnahmen entscheiden und dass die Maßnahmen erst für die Zeit vom 16. April
bis zum 30. Juni 2007 umgesetzt werden sollten. Wegen der Einzelheiten der
Korrespondenz der Beteiligten wird auf die Anlage 1 zum Schriftsatz vom 30.
August 2007 (Bl. 36 - 38 d.A.) Bezug genommen.
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Da Herr H die Maßnahmen als eilbedürftig empfand, führte er sie bereits am 19.
März 2007 durch, ohne die Personalabteilung darüber zu informieren. Der
Betriebsrat erfuhr davon auf zwischen den Beteiligten streitige Weise am 16. März
2007. Verfahren gemäß §§ 99 Abs. 4, 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG leitete die
Arbeitgeberin wegen der Maßnahmen nicht ein. Stattdessen reichte der
Betriebsrat den vorliegenden Unterlassungsantrag am 24. April 2007 beim
Arbeitsgericht ein, in dem er zur Begründung auf die elf Vergleiche aus dem Jahr
2005 Bezug nahm und wiederum einen Anspruch gemäß § 23 Abs. 3 BetrVG
geltend machte.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands und der dort gestellten
Anträge wird auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses (Bl. 50
- 54 d.A.) Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat gemäß dem Antrag zu 1) des
Betriebsrats erkannt und - soweit für das Beschwerdeverfahren von Interesse -
folgende Entscheidung getroffen:
„Der Antragsgegnerin wird unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis
zu € 10.000,00 für jeden Fall der Zuwiderhandlung aufgegeben, es zu unterlassen,
ohne vorherige erteilte, als erteilt geltende oder gerichtlich ersetzte Zustimmung
des Antragstellers Versetzungen von Mitarbeitern der Antragsgegnerin von einer
Filiale zu einer anderen Filiale vorzunehmen, es sei denn, die Antragsgegnerin
macht sachliche Gründe, die eine Versetzung dringend erforderlich machen,
geltend und leitet, falls der Antragsteller dies bestreitet, hiernach innerhalb von
drei Tagen das arbeitsgerichtliche Verfahren nach § 100 BetrVG ein.“
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - kurz zusammengefasst - ausgeführt, „in
der Gesamtschau der bisher gerichtsbekannten Verstöße gegen die
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 99 BetrVG“ liege ein grober
Verstoß der Arbeitgeberin gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten im Sinne
von § 23 Abs. 3 BetrVG vor. Dies begründe einen Unterlassungsanspruch des
Betriebsrats unabhängig davon, ob ein Verstoß gegen Betriebsverfassungsrecht
von der Arbeitgeberin beabsichtigt gewesen sei. Eine Wiederholungsgefahr werde
durch die in der Vergangenheit begangenen Verstöße indiziert. Wegen der
vollständigen Begründung wird auf die Ausführungen unter II. des angefochtenen
Beschlusses (Bl. 54 - 58 d.A.) Bezug genommen.
Die Arbeitgeberin hat gegen den am 10. Dezember 2007 zugestellten Beschluss
am 08. Januar 2008 Beschwerde eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter
Verlängerung der Begründungsfrist bis 11. März 2008 am 11. März 2008
begründet. Die Arbeitgeberin meint, aufgrund der dringenden Bitte von Herrn I um
seine Umsetzung habe zumindest aus der Perspektive von Herrn H ein Notfall
vorgelegen, der zum Wegfall der Beteiligungspflicht nach § 99 BetrVG geführt
habe. Jedenfalls handele es sich nicht um einen groben Verstoß gegen
betriebsverfassungsrechtliche Pflichten. Zudem gelte die Zustimmung des
Betriebsrats zu den Maßnahmen mangels Widerspruch gemäß § 99 Abs. 3 Satz 2
BetrVG als erteilt.
Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Arbeitgeberin wird auf den
Schriftsatz vom 28. Februar 2007 Bezug genommen.
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main - 11 BV 232/07 - vom 11.
Oktober 2007 abzuändern und die Anträge des Beteiligten zu 1) vollständig
zurückzuweisen.
Der Betriebsrat verteidigt zur Begründung seines Zurückweisungsantrags die
Würdigung des Arbeitsgerichts und ist der Ansicht, es habe kein Notfall, sondern
allenfalls ein organisatorisches Problem vorgelegen, das die Arbeitgeberin zu
vertreten habe. Die Unterrichtung über die für April 2007 geplanten Maßnahmen
habe nicht die tatsächlich am 19. März 2007 durchgeführten betroffen. Der
Betriebsrat hält an seiner Behauptung fest, Herr H habe ihm gegenüber nach der
Androhung gerichtlicher Schritte am 19. März 2007 erklärt, es sei ihm egal, was
der Betriebsrat mache. Der Betriebsrat ist der Auffassung, angesichts der
zahlreichen Mitbestimmungsverstöße der Arbeitgeberin in Zusammenhang mit
personellen Maßnahmen müsse von einem groben Verstoß im Sinne von § 23 Abs.
3 BetrVG ausgegangen werden. Zumindest könne er sein Unterlassungsbegehren
auf einen allgemeinen Unterlassungsanspruch stützen. Das vorliegende Verfahren
habe wegen der jeweils unterschiedlichen Anlassfälle nicht denselben
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habe wegen der jeweils unterschiedlichen Anlassfälle nicht denselben
Streitgegenstand wie das Verfahren Arbeitsgericht Frankfurt am Main - 22 BV
984/05 - und die ausgesetzten Verfahren.
Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags des Betriebsrats wird auf die
Schriftsätze vom 08. und 28. April 2008 Bezug genommen.
Die Kammer hat die Akten der Verfahren Arbeitsgericht Frankfurt am Main - 22 BV
984/05 - = Hess. LAG - 4 TaBV 228/07 - sowie Arbeitsgericht Frankfurt am Main -
12 BV 825/06 - 827/06, und 830/06 - 832/06 -, - 20/13 BV 1092/07 -, 7 BV 1233/07
-, - 2 BV 1214/07 -, - 7 BV 1234/07 -, - 18 BV 265/07 - und 22 BV 1122/07 - zur
Sachaufklärung beigezogen und zum Gegenstand der Anhörung gemacht.
II.
Die Beschwerde ist begründet. Der vom Betriebsrat im Beschwerdeverfahren allein
noch weiterverfolgte Unterlassungsantrag ist unzulässig, da ihm die Rechtskraft
des einen entsprechenden Antrag zurückweisenden Beschlusses des
Arbeitsgerichts vom 04. April 2007 - 22 BV 984/05 - entgegensteht (§ 322 Abs. 1
ZPO).
Beschlüsse im Beschlussverfahren, mit denen eine betriebsverfassungsrechtliche
Frage materiellrechtlich entschieden wurde, erwachsen gemäß §§ 85 Abs. 1 Satz
1, 80 Abs. 2 Satz 1 ArbGG ebenso wie Urteile im Urteilsverfahren in formelle und
materielle Rechtskraft. Für deren Umfang gelten die für Urteile maßgeblichen
Grenzen (BAG 20. März 1996 - 7 ABR 41/95 - BAGE 82/291, zu B II 1, 2; 06. Juni
2000 - 1 ABR 21/99 - AP ArbGG 1979 § 97 Nr. 9, zu B II 1). Die Grenze der
materiellen Rechtskraft bildet auch im Beschlussverfahren der Streitgegenstand
des rechtskräftig entschiedenen Vorverfahrens (BAG 11. Mai 2000 - 2 AZR 276/99
- BAGE 94/313, zu II 2 b cc). Dieser wird nicht durch den Vortrag der Parteien,
sondern durch den mit dem Klageantrag im Vorverfahren geltend gemachten
prozessualen Anspruch und durch den diesem zugrunde liegenden
Lebenssachverhalt bestimmt (sog. zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff). Die
Präklusionswirkung der Rechtskraft erfasst im Interesse des Rechtsfriedens und
der Verfahrensökonomie auch im ersten Prozess von den Parteien nicht
vorgetragene anspruchsbegründende Tatsachen, sofern diese bis zum Schluss der
mündlichen Verhandlung im Vorprozess entstanden sind. Auf die Kenntnis der
Parteien kommt es nicht an (BGH 17. März 1995 - V ZR 178/93 - LM ZPO § 322 Nr.
142, zu II 1 b; 19. November 2003 - VIII ZR 60/03 - BGHZ 157/47, zu II 1; BAG 27.
September 2001 - 2 AZR 389/00 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 41, zu II 3 a, b). Diese
Wirkung betrifft alle bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung entstandenen
Tatsachen, die zu dem vom Kläger im Vorprozess zur Entscheidung gestellten
Tatsachenkomplex gehören (BGH 03. März 2004 - IV ZB 43/03 - NJW 2004/1805,
zu II 1 b bb (2)). Die Rechtskraft einer früheren Entscheidung ist ein auch ohne
Rüge einer Partei von Amts wegen zu berücksichtigendes Prozesshindernis (vgl.
nur BAG 21. Januar 1997 - 1 AZR 572/96 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 64, zu I 2 b).
Im vorliegenden Verfahren hat der Betriebsrat abgesehen von geringfügigen, für
die Bestimmung des Streitgegenstandes nicht relevanten
Formulierungsunterschieden einen identischen Antrag gestellt wie im Verfahren
Arbeitsgericht Frankfurt am Main - 22 BV 984/05 -. Die zur Begründung des
vorliegenden Antrags angeführten Maßnahmen ereigneten sich am 19. März 2007
und damit vor dem Schluss der Anhörung im Verfahren Arbeitsgericht Frankfurt
am Main - 22 BV 984/05 - am 04. April 2007. Der vorliegende Antrag wäre daher
aufgrund der Rechtskraft dieser Entscheidung unzulässig, wenn er auf demselben
Lebenssachverhalt beruhen würde wie die Entscheidung im Vorprozess. Dies ist zu
bejahen, da es sich um einen einheitlichen Tatsachenkomplex handelt.
Die Zivilgerichte haben zur Bestimmung der Wirkung von Unterlassungstiteln die
sog. „Kerntheorie“ entwickelt. Danach kann ein Unterlassungstitel bei allen
Verstößen gegen das mit ihm ausgesprochene Unterlassungsgebot vollstreckt
werden, die zwar mit der dem Titel zugrunde liegenden Verletzungshandlung nicht
identisch sind, aber den Kern der Verbotsform unberührt lassen und sich innerhalb
der durch Auslegung zu ermittelnden Grenzen des Titels halten (BGH 22. Februar
1952 - I ZR 117/51 - BGHZ 5/189 - Zwilling, zu II; 25. Juni 1992 - I ZR 136/90 - LM
UWG § 3 Nr. 336 - Clementinen, zu II 5; 23. Juni 1994 - I ZR 15/92 - BGHZ 126/287 -
Rotes Kreuz, zu II 2 f). Damit wird der Umfang der aus einer bestimmten
Verletzungshandlung abzuleitenden Wiederholungsgefahr bestimmt. Gleichzeitig
soll verhindert werden, dass sich der Schuldner dem Unterlassungsgebot durch
leichte Variationen seiner Verletzungshandlungen entziehen kann. Aus dieser
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leichte Variationen seiner Verletzungshandlungen entziehen kann. Aus dieser
Rechtsprechung wurde abgeleitet, dass im Umfang der Kerntheorie nicht nur die
Zwangsvollstreckung aus einem Unterlassungstitel zulässig, sondern umgekehrt
die Erhebung einer erneuten Unterlassungsklage gemäß § 322 Abs. 1 ZPO
unzulässig ist (Stein/Jonas/Leipold ZPO 21. Aufl. § 322 Rn 115). Nach diesem
Ansatz ist der den Umfang der Rechtskraft mitbestimmende Lebenssachverhalt
bei Unterlassungstiteln nicht der konkrete Anlassfall, der zum Erlass des Titels
führte, sondern die aufgrund des Anlassfalls zu vermutende, abstrakt definierte
zukünftige Verhaltensweise des Unterlassungsschuldners, der sog.
Anlasssachverhalt (Ahrens/Ahrens Der Wettbewerbsprozess 5. Aufl. Kapitel 36 Rn
51; Kamlah/Ulmar WRP 2006/967, 970; von Linstow/Büttner WRP 2007/169, 172).
Dieser Schlussfolgerung ist der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 23. Februar 2006
(- I ZR 272/02 - BGHZ 166/253 - Markenparfüm) entgegengetreten. Nach
Auffassung des Bundesgerichtshofs wird danach der Streitgegenstand eines
Unterlassungsverfahrens auch durch die konkrete Verletzungshandlung begrenzt,
auf die der Kläger den Antrag stützt. Zwar liege ein einheitlicher Klagegrund vor,
wenn der Kläger seinen Unterlassungsantrag auf mehrere gleichartige
Verletzungshandlungen stützt. Die Einführung einer weiteren Verletzungshandlung
bewirke jedoch eine Klageänderung. Damit sei ausgeschlossen, dass der Kläger
ohne Kostenrisiko einen Unterlassungsprozess durch den Vortrag immer weiterer
neuartiger gleichartiger Verletzungshandlungen verschleppen könne. Ein neuer
Anlassfall könne daher auch den Gegenstand einer weiteren Klage mit einem
eigenständigen Streitgegenstand bilden. Dem stehe die Kerntheorie nicht
entgegen, da diese sich nur auf die mit einem Klageantrag begehrte Rechtsfolge
beziehe und mit der Abgrenzung des Klagegrundes nichts zu tun habe (BGH 23.
Februar 2006 a. a. O., zu A II 2). Verfüge der Gläubiger bereits über einen
Unterlassungstitel, könne einer erneuten Unterlassungsklage lediglich das
Rechtsschutzbedürfnis fehlen (BGH 23. Februar 2006 a. a. O., zu A II 3).
Wäre dieser Rechtssprechung zu folgen, wäre der Unterlassungsantrag des
Betriebsrats zulässig. Da der Unterlassungsanspruch im vorliegenden Verfahren
auf einen neuen Anlassfall gestützt wird, hätte das vorliegende Verfahren nach
diesem Verständnis einen eigenständigen Streitgegenstand. Ein
Rechtsschutzinteresse kann dem Betriebsrat schon deshalb nicht abgesprochen
werden, weil er bisher nicht über einen einschlägigen Unterlassungstitel verfügt.
Dem Markenparfüm-Urteil des BGH ist jedoch nicht zu folgen. Es bestehen
einerseits dogmatische Bedenken an seiner Richtigkeit. Jedenfalls kann der sich
aus diesem Urteil ergebende Maßstab nicht auf betriebsverfassungsrechtliche
Unterlassungsansprüche von Betriebsräten aufgrund der Verletzung von
Mitbestimmungsrechten in personellen Angelegenheiten übertragen werden.
Der Bundesgerichtshof hat mit der Markenparfüm-Entscheidung den
zukunftsgerichteten Charakter von Unterlassungsansprüchen nicht hinreichend
berücksichtigt. Diese sind ausschließlich auf die Unterbindung zukünftiger
Verletzungshandlungen durch den Schuldner gerichtet. Der Anlassfall ist für sie
nur insoweit von Bedeutung, als dieser zur Auslösung einer Wiederholungsgefahr
und damit zur Begründung des Anspruchs geeignet ist. Es ist daher konsequent,
den Umfang des Streitgegenstandes von Unterlassungsanträgen nicht
rückwirkend auf den Anlassfall, sondern zukunftsgerichtet auf die sich aus dem
Anlassfall ergebende abstrahierte Verletzungsform zu beziehen (vgl.
Kamlah/Ulmar WRP 2006/967, 970; von Linstow/Büttner WRP 2007/169, 172).
Die Markenparfüm-Entscheidung des Bundesgerichtshofs entkoppelt ohne
dogmatische Grundlage Streitgegenstand und Rechtskraft vom Gegenstand der
Zwangsvollstreckung. Folgt man ihr, würde die Vollstreckbarkeit eines Titels nach
der Kerntheorie einen weiteren Umfang haben als der Streitgegenstand und die
Rechtskraft des Titels (Schöpflin JR 2007/243, 244; Kamlah/Ulmar WRP 2006/967,
971 f.). Dann könnte ein Unterlassungsgläubiger wie vorliegend der Betriebsrat
einen Schuldner mit einer Vielzahl von Unterlassungsverfahren mit identischer
Zielrichtung überziehen. Er hätte dadurch die Chance, bei verschiedenen
Gerichten oder wie vorliegend zumindest bei verschiedenen Spruchkörpern eines
Gerichts mehrere identische Unterlassungstitel zu erlangen. Zumindest würde ein
derartiges Vorgehen die Chance des Gläubigers erhöhen, durch die
Inanspruchnahme mehrerer Gerichte oder mehrerer Spruchkörper eines Gerichts
zumindest einen Titel zugesprochen zu erhalten. Dies wäre unökonomisch, würde
Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen und verfahrensrechtliche Schwierigkeiten
auslösen (vgl. die überzeugenden Einwände von Ahrens JZ 2006/1184 ff.;
Kamlah/Ulmar WRP 2006/967, 972 f.; Schöpflin JR 2007/243, 244). Es entstünde die
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Kamlah/Ulmar WRP 2006/967, 972 f.; Schöpflin JR 2007/243, 244). Es entstünde die
Gefahr divergierender Entscheidungen in den Hauptsacheverfahren und in der
Zwangsvollstreckung. In der Zwangsvollstreckung könnte sich der Gläubiger
zudem entgegen § 802 ZPO das ihm genehme Vollstreckungsgericht aussuchen.
Außerdem müsste der Schuldner ggf. Vollstreckungsgegenklagen gemäß § 767
ZPO bei mehreren Gerichten führen (Ahrens JZ 2006/1184, 1185).
Dass das Kriterium des Rechtsschutzinteresses zur Vermeidung derartiger Folgen
nicht geeignet ist, belegt der vom Bundesgerichtshof mit dem Markenparfüm-
Urteil entschiedene Fall, in dem der Bundesgerichtshof das Rechtsschutzinteresse
des Klägers bejahte, obwohl dieser bereits über einen rechtskräftigen Titel mit
identischem Gegenstand verfügte (BGH 23. Februar 2006 a. a. O., zu A II 3). Es
wird der Bedeutung der Rechtskraft nicht gerecht, den Streitgegenstandsbegriff so
eng zu definieren, dass inhaltsgleiche Folgeprozesse weitgehend zulässig sind und
nur im Einzelfall am fehlenden Rechtsschutzinteresse scheitern können (so
zutreffend Kamlah/Ulmar WRP 2006/967, 972 f.).
Zumindest kann der Ansatz des Bundesgerichtshofs aber nicht auf
betriebsverfassungsrechtliche Unterlassungsansprüche wie den vorliegenden
übertragen werden. Der Betriebsrat stützte seinen Unterlassungsanspruch im
Verfahren Arbeitsgericht Frankfurt am Main - 22 BV 984/05 - ebenso wie im
vorliegenden Verfahren primär auf § 23 Abs. 3 BetrVG und lediglich hilfsweise auf
den - in seiner Existenz stark umstrittenen (vgl. Hess. LAG 01. November 2005 -
4/18/5 TaBV 47/05 - AuR 2006/173, zu B II 3 c, m.w.N.) - allgemeinen
Unterlassungsanspruch. Ein Anspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG setzt einen groben
Verstoß des Arbeitgebers gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten voraus.
Ein solcher kann sich zwar auch aus einer einmaligen Pflichtverletzung ergeben
(BAG 29. Februar 2000 - 1 ABR 4/99 - AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr.
105, zu B II 2 b; 26. Juli 2005 - 1 ABR 29/04 - BAGE 115/239, zu B II 2 a aa). Bei
leichteren Pflichtverletzungen kommt ein grober Verstoß jedoch erst im
Wiederholungsfall in Betracht (vgl. BAG 18. April 1985 - 6 ABR 19/84 - BAGE
48/246, zu B II 2 b; 23. April 1991 - 1 ABR 49/90 - AP BetrVG 1972 § 98 Nr. 7, zu B II
2 c; 16. Juli 1991 - 1 ABR 69/90 - AP BetrVG 1972 § 87 Nr. 44, zu B II 2 a).
Dementsprechend hat der Betriebsrat sich sowohl im Verfahren Arbeitsgericht
Frankfurt am Main - 22 BV 984/05 - als auch im vorliegenden Verfahren nicht auf
einzelne Verletzungshandlungen der Arbeitgeberin berufen, sondern auf deren
Gesamtverhalten. So hat der Betriebsrat auf den Seiten 4 bis 6 der Antragsschrift
im Vorverfahren die bis zu dessen Einleitung durch Vergleich abgeschlossenen
Parallelverfahren aufgeführt und in der Anlage zur Antragsschrift die
Vergleichstexte vorgelegt (Bl. 8 - 17 der beigezogenen Akte). Auf Seite 6 der
Antragsschrift führte er aus, dass „aufgrund der vielen Verstöße allein im letzten
halben Jahr … der erneute Verstoß nur als grober Verstoß im Sinne von § 23 Abs.
3 BetrVG gewertet werden“ könne. Entsprechend ist die Begründung des
vorliegenden Antrags gefasst. Auf Seite 5 bis 9 der Antragsschrift legte der
Betriebsrat die durch Vergleich abgeschlossenen elf Verfahren dar. In den Anlagen
A 4 bis 19 zur Antragsschrift (Bl. 13 - 28 d.A.) wurden die Vergleichstexte
vorgelegt. Auf Seite 9 der Antragsschrift würdigte der Betriebsrat das sich aus
diesen Verfahren ergebende Gesamtverhalten der Arbeitgeberin als groben
Verstoß gegen deren betriebsverfassungsrechtliche Pflichten. Auf Seite 3 des
Schriftsatzes vom 12. September 2007 (Bl. 41 d.A.) behauptete der Betriebsrat,
die Arbeitgeberin verletze „ständig das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
nach §§ 99 ff. BetrVG“, was durch die „Vielzahl anderer vergleichbarer Verfahren
… gerichtsbekannt“ sei. Entsprechende Ausführungen finden sich auf Seite 5 der
Beschwerdeerwiderung (Bl. 103 d.A.). Dementsprechend hat das Arbeitsgericht in
seiner Entscheidung tragend auf die Gesamtzahl der gerichtsbekannten
Verletzungshandlungen der Arbeitgeberin abgestellt. Diese vom Arbeitsgericht
aufgegriffene Argumentation des Betriebsrats belegt, dass er anders als der
Kläger des vom Bundesgerichtshof mit der Markenparfüm-Entscheidung
gewürdigten Verfahrens bereits wegen der Vorgaben von § 23 Abs. 3 BetrVG nicht
eine isolierte Verletzungshandlung der Arbeitgeberin zum Gegenstand des
Verfahrens machen wollte, sondern das gesamte, die Mitbestimmungsrechte bei
Versetzungen aus der Sicht des Betriebsrats ständig und deshalb grob
verletzenden Verhalten der Arbeitgeberin, zumindest soweit es die Versetzung von
Arbeitnehmern zwischen verschiedenen Filialen betrifft.
Damit hat das vorliegende Verfahren denselben Gegenstand wie das rechtskräftig
abgeschlossene Verfahren Arbeitsgericht Frankfurt am Main - 22 BV 984/05 -. Da
der Betriebsrat keine nach dem Schluss der Anhörung in diesem Verfahren
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der Betriebsrat keine nach dem Schluss der Anhörung in diesem Verfahren
liegenden weiteren Verletzungshandlungen der Arbeitgeberin geltend gemacht
hat, steht die Rechtskraft der Entscheidung des Vorverfahrens der Zulässigkeit der
vorliegenden Anträge entgegen. Gegenstand beider Verfahren ist jeweils ein
inhaltlich identischer und auf dieselben Verhaltensweisen der Arbeitgeberin
bezogener Unterlassungsantrag. Da der vorliegende Antrag daher gemäß § 322
Abs. 1 ZPO unzulässig ist, bedarf es keiner Erörterung, ob sich diese Rechtsfolge
auch aus einer nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässigen mehrfachen
Rechtshängigkeit des Verfahrensgegenstands in Hinblick auf die vom
Arbeitsgericht ausgesetzten älteren Unterlassungsverfahren ergibt oder ob diese
aufgrund der weiteren Fassung der in ihnen anhängig gemachten
Unterlassungsanträge einen unterschiedlichen Streitgegenstand haben.
Die Rechtsbeschwerde wird gemäß §§ 72 Abs. 2 Nr. 1, 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG
wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entschiedenen Rechtsfrage zugelassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.