Urteil des LAG Hessen vom 14.06.2007

LAG Frankfurt: treu und glauben, arbeitsunfähigkeit, beweiswert, hessen, krankengeld, kündigungsfrist, vergütung, arbeitsort, erwerb, betriebsstätte

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
11. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 Sa 296/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 293 BGB, § 106 S 1 GewO,
§ 295 BGB, § 611 Abs 1 BGB,
§ 615 S 1 BGB
(Direktionsrecht - Entfernung - Arbeitsort -
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung - Beweiswert)
Leitsatz
1. Verlegt der Arbeitgeber die gesamte Betriebsstätte an einen anderen Ort, hat er die
individualvertraglichen Grenzen hinsichtlich des Orts der Arbeitsleistung zu beachten.
2. Bei einer Entfernung zwischen alter und neuer Betriebsstätte von 270 Kilometern gibt
es keine allgemeine Folgepflicht des Arbeitnehmers und keine entsprechende
Weisungsbefugnis des Arbeitgebers.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am
Main vom 22. Dezember 2005 - 3 Ca 72/05 - wird als unzulässig verworfen, soweit
es die Verurteilung der Beklagten zur Erteilung eines Zeugnisses und zur Zahlung
von Aufwendungsersatz in Höhe von € 163,80 brutto nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. August 2005 betrifft.
Im Übrigen wird auf die Berufung der Beklagten das Urteil teilweise abgeändert,
hinsichtlich eines Urlaubsgeldes in Höhe von € 587,29 brutto nebst Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. August 2005;
insoweit wird die Klage gleichfalls abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat die Klägerin 40 % und die
Beklagte 60 % zu tragen.
Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über Ansprüche der Klägerin auf
Zahlung von Vergütung und Aufwendungsersatz sowie Erteilung eines
Arbeitszeugnisses.
Anstelle des Tatbestandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils mit
den nachfolgenden Ergänzungen Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Die
am 20. September 1968 geborene, verheiratete Klägerin, deren Ehemann
tagsüber berufstätig ist, hat zwei am 3. April 1999 und 20. Februar 2002 geborene
Kinder. Die Klägerin wurde mit Beginn des Arbeitsverhältnisses auf Grundlage des
Arbeitsvertrages der Parteien vom 13. Juli 1988 (Bl. 11 bis 13 d. A.) bis zum Beginn
der Elternzeit im April 1999 ununterbrochen in der Personalabteilung der
Beklagten in A beschäftigt. Die Klägerin bot der Beklagten mit anwaltlichem
Schreiben vom 16. Dezember 2004 (Bl. 134 und 135 d. A.) sowie vom 12. Januar
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Schreiben vom 16. Dezember 2004 (Bl. 134 und 135 d. A.) sowie vom 12. Januar
2005 (Bl. 29 und 30 d. A.) ihre Arbeitsleistung für die Zeit nach der bis 20. Februar
2005 andauernden Elternzeit an. Die Beklagte forderte mit Schreiben vom 25.
Februar 2005 (Bl. 88 d. A.), 11. März 2005 (Bl. 89 d. A.), 24. März 2005 (Bl. 90 d.
A.), 12. April 2005 (Bl. 91 d. A.), 27. Mai 2005 (Bl. 92 d. A.) und 29. Juni 2005 (Bl. 93
d. A.) die Klägerin ohne Erfolg zu einzelnen Arbeitseinsätzen von jeweils nicht mehr
als zweiwöchiger Dauer in B auf, um in der dortigen Personalabteilung
„Arbeitsspitzen“ abdecken zu können. Die Klägerin ihrerseits legte der Beklagten
für die Zeiträume 4. bis 17. März 2005, 21. bis 24. März 2005, 29. März bis 1. April
2005, 5. April bis 8. April 2005 und 18. bis 21. April 2005 von größtenteils
unterschiedlichen Ärzten ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Für
die Zeit vom 12. bis 14. April 2005 legte die Klägerin der Beklagten eine „Ärztliche
Bescheinigung für den Bezug von Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes“ des
Arztes Dr. C vor.
Das Arbeitsgericht Offenbach am Main hat mit einem am 22. Dezember 2005
verkündeten, der Beklagten am 20. Januar 2006 zugestellten Urteil - 3 Ca 72/05
(Bl. 58 - 63 d. A.) - die Klage hinsichtlich der von der Beklagten zum 31. Juli 2005
ausgesprochenen Kündigung vom 24. Februar 2005 abgewiesen und die Beklagte
im Übrigen verurteilt, an die Klägerin an Vergütung für die Zeit vom 21. Februar
2005 bis 31. Juli 2005 insgesamt € 13.145,37 brutto nebst Zinsen und an
Aufwendungsersatz € 163,80 brutto nebst Zinsen zu zahlen sowie der Klägerin ein
Zeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Verhalten und Leistung
während des Arbeitsverhältnisses erstreckt. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die
Kündigung der Beklagten zum 31. Juli 2005 beendet worden, da die Klägerin ihre
Kündigungsschutzklage nicht innerhalb der Frist von drei Wochen nach
Kündigungszugang erhoben habe. Bis dahin stehe der Klägerin für die Zeit nach
Rückkehr aus der Elternzeit ab 21. Februar 2005 bis zum 31. Juli 2005 die
vertragsgemäße Vergütung zu, denn die Beklagte habe sich mit der Annahme der
Dienste der Klägerin in Verzug befunden. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sei
die Klägerin nicht zur Arbeitsleistung in B verpflichtet gewesen. Zudem könne die
Klägerin von der Beklagten auch Zahlung des geltend gemachten Urlaubsgeldes
für 16 Werktage in Höhe von € 1000,00 brutto und des Aufwendungsersatzes in
Höhe von € 163,80 brutto verlangen, da die Beklagte diesen Ansprüchen nicht
entgegengetreten sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Gegen dieses Urteil
hat die Beklagte am 15. Februar 2006 Berufung eingelegt und diese nach
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf rechtzeitigen Antrag hin bis 18.
April 2006 am 13. April 2006 begründet.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin sei, da man eine Vereinbarung über
einen bestimmten Einsatzort nicht getroffen habe, bereits während der
Kündigungsfrist zur Erbringung der Arbeitsleistung in B verpflichtet gewesen.
Jedenfalls sei ihr ein Arbeitseinsatz in B zumutbar gewesen. Weiterhin sei der
Beweiswert der von der Klägerin vorgelegten fünf
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgrund der vorliegenden Umstände
erschüttert. Kein Anspruch der Klägerin auf Entgelt bestehe auch für den Zeitraum
der Erkrankung eines ihrer Kinder vom 12. bis zum 14. April 2005. Hier müsse die
Klägerin einen Antrag auf Bezug von Krankengeld stellen. Schlussendlich stehe der
Klägerin für das Jahr 2005 kein Anspruch auf Zahlung eines Urlaubsgeldes in Höhe
der erstinstanzlich zuerkannten € 1.000,00 brutto zu, sondern es ergebe sich nach
den einschlägigen tariflichen Regelungen ein Anspruch allenfalls in Höhe von €
413,00 brutto.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 22. Dezember 2005 - 3
Ca 72/05 - abzuändern, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.
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Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am
Main vom 22. Dezember 2005 - 3 Ca 72/05 - ist nur zum Teil zulässig.
Zunächst ist das Rechtsmittel als Berufung nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes statthaft, §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. b ArbGG.
Die Berufung der Beklagten ist jedoch gem. § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu
verwerfen, soweit sie sich gegen die Verurteilung der Beklagten zur Erteilung eines
Zeugnisses und zur Zahlung von Aufwendungsersatz in Höhe von € 163,80 brutto
nebst Zinsen richtet. Insofern liegt keine den Berufungsantrag deckende
Berufungsbegründung vor, § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Betrifft das angefochtene
Urteil mehrere verschiedene Ansprüche, muss eine hiergegen gerichtete Berufung
grundsätzlich auf jeden Streitgegenstand eingehen. Anderenfalls ist sie nur
hinsichtlich der Streitgegenstände zulässig, auf die sie sich bezogen hat, sofern
nicht das Bestehen der übrigen Streitgegenstände auf diesen beruht (BAG, Urteil
vom 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969
Sicherheitsbedenken = EzA § 2 KSchG Nr. 11; vom 2. April 1987 - 2 AZR 418/86,
AP Nr. 96 zu § 626 BGB = EzA § 626 n. F. BGB Nr. 108). Diesen Anforderungen
genügt die Berufungsbegründung der Beklagten nicht in Bezug auf alle
Streitgegenstände, obwohl sie in zulässiger Weise unbeschränkt eingelegt worden
ist. Die Berufungsbegründung enthält keinerlei Ausführungen dazu, soweit die
angegriffene Entscheidung der Klägerin den geltend gemachten Anspruch auf
Erteilung eines Zeugnisses und auf Zahlung von Aufwendungsersatz in Höhe von €
163,80 brutto nebst Zinsen zuspricht. Sie ist daher im Hinblick auf diese
Streitgegenstände unzulässig, denn diese hängen nicht von den übrigen
Klageansprüchen ab.
Soweit die Beklagte die Berufung ausreichend begründet hat, ist sie auch im
Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet
worden, §§ 66 Abs. 1 ArbGG; 519, 520 Abs. 1, 3 und 5 ZPO.
II.
In der Sache hat die Berufung, soweit zulässig, nur insoweit Erfolg, als die Beklagte
zur Zahlung eines über € 412,71 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. August 2005
hinausgehenden tariflichen Urlaubsgeldes in Höhe von weiteren € 587,29 brutto
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
18. August 2005 verurteilt worden ist. Im Übrigen sind die Zahlungsansprüche der
Klägerin begründet und die Klägerin kann von der Beklagten an Vergütung,
Krankenvergütung und tariflichem Urlaubsgeld Zahlung eines Betrages in Höhe
von insgesamt € 12.145,37 brutto nebst Zinsen verlangen. In dieser Hinsicht folgt
das Berufungsgericht dem angefochtenen Urteil, macht sich dessen Gründe zu
Eigen und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese (Seite 5 bis 8
des angefochtenen Urteils, Bl. 60 - R bis 62 d. A.). Auf das Vorbringen der
Beklagten in der Berufungsinstanz ist ergänzend wie folgt einzugehen:
1.Zutreffend hat das Arbeitsgericht der Klägerin gegen die Beklagte
Vergütungsansprüche für die Zeit vom 21. Februar 2005 bis 31. Juli 2005 in - von
der Beklagten nicht bestrittener - Höhe von insgesamt € 12.145,37 brutto nebst
Zinsen zugesprochen. Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte beruht auf §§
611 Abs. 1, 615 Satz 1 BGB.
a) Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand im Zeitraum 21. Februar 2005 bis
31. Juli 2005 unverändert. Die Klägerin leistete zwar keine Arbeit. Sie hat die
Arbeitsleistung gegenüber der Beklagten aber so, wie sie zu bewirken war, mit
anwaltlichem Schreiben vom 16. Dezember 2004 und 12. Januar 2005 angeboten.
Diese wörtlichen Angebote jedenfalls genügten, da es Sache der Beklagten
gewesen wäre, der Klägerin einen Arbeitsplatz in A zur Verfügung zu stellen, § 295
BGB. Die Beklagte hat die angebotene Leistung nicht angenommen, § 293 BGB.
Der von der Beklagten angebotene Arbeitsplatz in B war hingegen nicht
vertragsgemäß. Zwar hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass der
Arbeitsvertrag der Parteien vom 13. Juli 1988 keine ausdrückliche Festlegung des
Arbeitsortes enthält. Allerdings vereinbarten die Parteien ausdrücklich auch keinen
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Arbeitsortes enthält. Allerdings vereinbarten die Parteien ausdrücklich auch keinen
Versetzungsvorbehalt, insbesondere nicht in örtlicher Hinsicht. Enthält der
Arbeitsvertrag keine ausdrückliche Vereinbarung zum Ort der Arbeitsleistung, ist
der Vertrag nach §§ 133, 157 BGB nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung
der Verkehrssitte auszulegen (HWK/Lembke § 106 GewO Rz. 27). Dabei sind alle
Begleitumstände zu würdigen, die von Bedeutung sind, welchen Willen der
Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie der Empfänger diese Erklärung
verstanden hat oder verstehen musste (BAG, Urteil vom 29. Oktober 1997 - 5 AZR
573/96, AP Nr. 51 zu § 611 BGB Direktionsrecht = EzA § 611 BGB Direktionsrecht
Nr. 19). Dies führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass das Arbeitsverhältnis der
Klägerin örtlich auf den (früheren) Sitz der Zentrale in A bezogen war und die
Klägerin ausschließlich dort, wie in den nachfolgenden über 10 Jahren bis zum
Beginn der Elternzeit auch tatsächlich geschehen, ihre Arbeitsleistung zu
erbringen hatte. Hierfür spricht auch, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich auf
einen stabilen Arbeitsort angewiesen ist, da der Wechsel des Beschäftigungsortes
- was hier aufgrund der persönlichen familiären Situation der Klägerin zu erwarten
sein dürfte - für ihn erhebliche Konsequenzen hat (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom
8. Juli 2003 - 5 Sa 227/03, n. v., juris, m. w. N.). An diesem Ergebnis ändert nichts,
dass die Beklagte ihre gesamte Zentrale einschließlich der Personalabteilung von
A nach B verlegt hat. Auch in diesem Fall sind die individualvertraglichen Grenzen
hinsichtlich des Orts der Arbeitsleistung zu beachten. Nach zutreffender Ansicht
gibt es keine allgemeine Folgepflicht des Arbeitnehmers und eine entsprechende
Weisungsbefugnis des Arbeitgebers unabhängig von der Entfernung zwischen alter
und neuer Betriebsstätte (HWK/Lembke § 106 GewO Rz. 30 m. w. N.). Dies gilt für
das Berufungsgericht jedenfalls dann, wenn - wie hier - zwischen altem und neuem
Arbeitsort eine Entfernung von 270 km liegt. Daher war das gesetzliche
Direktionsrecht der Beklagten zur Änderung des Arbeitsortes nach § 106 Satz 1
GewO aufgrund der erfolgten Festlegung von A als Ort zur Erbringung der
Arbeitsleistung eingeschränkt.
Unter Berücksichtigung dessen befand sich die Beklagte nach Ende der Elternzeit
der Klägerin ab dem 21. Februar 2005 bis einschließlich 31. Juli 2005 in
Annahmeverzug. Die Klägerin war auch in der Lage, die Leistung zu bewirken, §
297 BGB.
b) Die Klägerin hat einen Erwerb durch anderweitige Verwendung ihrer Arbeitskraft
auch nicht böswillig unterlassen, § 615 Satz 2 BGB. Der Klägerin war aufgrund ihrer
persönlichen familiären Umstände die Aufnahme einer Arbeit in B nicht zumutbar.
Nach § 615 Satz 2 BGB muss sich der Arbeitnehmer den Wert desjenigen
anrechnen lassen, was er zu erwerben böswillig unterlässt. Diese Bestimmung ist
inhaltsgleich mit § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG (BAG, Urteil vom 11. Oktober 2006 - 5
AZR 754/05, AP Nr. 119 zu § 615 BGB = EzA § 615 BGB 2002 Nr. 18). Beide
Bestimmungen stellen darauf ab, ob dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§
242 BGB) sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl (Art.
12 GG) die Aufnahme einer anderweitigen Arbeit zumutbar ist. Eine Anrechnung
kommt dabei auch in Betracht, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit bei dem
Arbeitgeber besteht, der sich mit der Annahme der Dienste des Arbeitnehmers in
Verzug befindet. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls. Die
Unzumutbarkeit der Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten
ergeben. Sie kann ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit
oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Auch vertragsrechtliche Umstände
sind zu berücksichtigen. Demgegenüber kann nicht auf die Zumutbarkeitskriterien
des § 121 SGB III abgestellte werden (BAG, Urteil vom 7. Februar 2007 - 5 AZR 411
/06, AP Nr. 12 zu § 615 BGB Böswilligkeit). Böswillig handelt der Arbeitnehmer,
dem ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des
Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig
bleibt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert (BAG, Urteil vom 11.
Januar 2006 - 5 AZR 125/05, AP Nr. 113 zu § 615 BGB = EzA BGB 2002 § 615 Nr.
11).
Bietet der Arbeitgeber, wie hier, objektiv vertragswidrige Arbeit an, sind im Hinblick
auf § 615 Satz 2 BGB die Art dieser Arbeit und die sonstigen Arbeitsbedingungen
im Vergleich zu der bisherigen Arbeit zu prüfen (BAG, Urteil vom. 7. Februar 2007,
a.a.O., ebd.). Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme beim Arbeitgeber hängt
regelmäßig davon ab, aus welchen Gründen er keine vertragsgemäße Arbeitet
anbietet. Das hat der Arbeitgeber darzulegen. Bestehen für die Änderung
dringende Gründe, denen nicht von vorneherein eine Billigung versagt werden
kann, handelt der Arbeitnehmer nicht rücksichtsvoll, wenn er die Arbeit alleine
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kann, handelt der Arbeitnehmer nicht rücksichtsvoll, wenn er die Arbeit alleine
deswegen ablehnt, weil sie nicht vertragsgemäß ist, und er deshalb ohne Erwerb
bleibt. Die beiderseitigen Gründe für die Zuweisung bzw. Ablehnung der neuen
Arbeit sind zu benennen und sodann gegeneinander abzuwägen. Bei einem Irrtum
des Arbeitgebers über die Vertragsmäßigkeit ist auch die Vertretbarkeit seines
Standpunktes zu berücksichtigen (BAG, Urteil vom 7. Februar 2007, a.a.O., ebd.,
unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren Rechtsprechung: BAG, Urteil vom 3.
Dezember 1980 - 5 AZR 477/78, AP Nr. 4 zu § 615 BGB Böswilligkeit = EzA § 615
BGB Nr. 39).
Dies alles vorausgeschickt, hat die Klägerin einen Erwerb durch anderweitige
Verwendung ihrer Arbeitskraft nicht böswillig unterlassen. Das ergibt die gebotene
Abwägung der beiderseitigen Interessen. Zwar ist der Beklagten einzuräumen,
dass sie nach zuvor erfolgter Verlegung ihrer Zentrale von A nach B die Klägerin
nach Rückkehr aus der Elternzeit ab dem 21. Februar 2005 vertragsgemäß nicht
mehr beschäftigen konnte. Dieser Umstand traf die Beklagte allerdings nicht
überraschend. Vielmehr bestand für die Beklagte die Möglichkeit, rechtzeitig
gegenüber der Klägerin unter Einhaltung der einschlägigen Kündigungsfrist und
Beachtung des Sonderkündigungsschutzes gem. § 18 BErzGG eine
Änderungskündigung mit dem Angebot auszusprechen, ihre Arbeitsleistung - nach
Beendigung der Elternzeit - zukünftig in B zu erbringen. Auch hätte die Beklagte
bei genauerer Prüfung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen erkennen müssen,
dass sie die Klägerin ohne Änderung der getroffenen Vereinbarungen durch
Ausübung des Direktionsrechts nicht zur zukünftigen Erbringung der
Arbeitsleistung in B verpflichten konnte. Nichtsdestotrotz wurde die Beklagte erst
rund ein Jahr nach dem Umzug ihrer Verwaltung tätig, nachdem sich die Klägerin
zuvor Ende des Jahres 2004 bei ihr gemeldet und mit anwaltlichem Schreiben vom
16. Dezember 2004 ihre Arbeitsleistung angeboten hatte. Demgegenüber ist die
verheiratete Klägerin, deren Ehemann tagsüber berufstätig ist, Mutter zweier
kleiner Kinder, die am 3. April 1999 und am 20. Februar 2002 geboren sind. Die
beiden Kinder waren im hier fraglichen Zeitraum demnach fünf, dann sechs und
drei Jahre alt. Zudem liegt der Wohnort der Klägerin in D rund 270 km von B
entfernt und die durchschnittliche Fahrzeit mit dem PKW beträgt einfache Strecke
rund 2 ½ Stunden. Eine Tätigkeit der Klägerin in B mit täglicher Hin- und Rückfahrt
von bzw. nach D kam vor diesem Hintergrund nicht in Betracht. Gleiches gilt für
eine Tätigkeit der Klägerin in B mit Übernachtung unter der Woche. Die
dargestellte familiäre Situation der Klägerin mit einem tagsüber berufstätigen
Ehemann und zwei kleinen Kindern lässt eine berufliche Abwesenheit der Klägerin
über Nacht auch an nur einigen Tagen der Woche nicht zu. Dies alles
berücksichtigt, überwiegen die Interessen der Klägerin an der Ablehnung eindeutig
die Interessen der Beklagten an der Zuweisung von Arbeit in B während des Laufs
der Kündigungsfrist. Demzufolge war die Aufnahme der mit Schreiben der
Beklagten vom 25. Februar 2005, 11. März 2005, 24. März 2005, 12. April 2005,
27. Mai 2005 und 29. Juni 2005 angewiesenen Arbeit in B für die Klägerin
unzumutbar.
c) Soweit es die Entgeltansprüche für die Zeiträume vom 4. bis 17. März 2005, 21.
bis 24. März 2005, 29. März bis 1. April 2005, 5. bis 8. April 2005 und 18. bis 21.
April 2005 betrifft, stehen diese der Klägerin gegen die Beklagte wegen mit
Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit gem. § 15 Ziff. 4 Satz 1 des
einzelvertraglich in Ziffer 8 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 13. Juli 1988 in
Bezug genommenen Manteltarifvertrages für den Einzel- und Versandhandel des
Landes Hessen in der Fassung vom 24. Juli 2003 zu.
Der Arbeitnehmer hat die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen
(BAG, Urteil vom 1. Oktober 1997 - 5 AZR 726/96, AP Nr. 5 zu § 5 EFZG = EzA § 5
EFZG Nr. 5; vom 19. Februar 1997 - 5 AZR 83/96, AP Nr. 4 zu § 3 EFZG = EzA § 3
EFZG Nr. 2). In der Regel führt der Arbeitnehmer diesen Nachweis gegenüber dem
Arbeitgeber, wie auch vor dem Gericht, durch die Vorlage einer förmlichen
ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG.
Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist der
gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweis für das
Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Einer solchen Bescheinigung
kommt ein hoher Beweiswert zu. Dies ergibt sich aus der Lebenserfahrung. Der
Tatrichter kann normalerweise den Beweis, dass eine krankheitsbedingte
Arbeitsunfähigkeit vorliegt, als erwiesen ansehen, wenn der Arbeitnehmer im
Rechtsstreit eine solche Bescheinigung vorlegt (BAG, Urteil vom 19. Februar 1997,
a.a.O., ebd.). Bestreitet der Arbeitgeber trotz der vorgelegten ordnungsgemäß
erteilten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Arbeitsunfähigkeit des
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erteilten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Arbeitsunfähigkeit des
Arbeitnehmers, muss er den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitbescheinigung
erschüttern. Dies ist dann der Fall, wenn ernsthafte Zweifel am Bestehen der
Arbeitsunfähigkeit dargelegt werden. Der Beweiswert der ärztlichen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert werden durch Umstände im
Zusammenhang mit der Bescheinigung selbst, durch das Verhalten des
Arbeitnehmers vor der Erkrankung und durch das Verhalten des Arbeitnehmers
während der bescheinigten Dauer der Arbeitsunfähigkeit (LAG Hamm, Urteil vom
10. September 2003 - 18 Sa 721/03, LAGE § 5 EFZG Nr. 8).
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze sind vorliegend keine
Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit begründet. Es steht vorliegend nicht in
Streit, dass die Klägerin der Beklagten für die fünf Zeiträume ihrer Abwesenheit im
April und Mai 2005 jeweils ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Sinne
des § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG vorgelegt hat. Auch wenn diese fünf
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen größtenteils von verschiedenen Ärzten
ausgestellt wurden und die Krankheitszeiträume wiederum in zeitlicher Nähe zu
den schriftlichen Aufforderungen der Beklagten an die Klägerin zur Erbringung ihrer
Arbeitsleistung in B lagen, widersprechen diese - unstreitigen - Umstände alleine
für sich noch nicht der Lebenserfahrung und begründen für das Berufungsgericht
noch keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit dieser
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, da die
Beklagte die Klägerin auch noch mit Schreiben vom 27. Mai 2005 und 29. Juni 2005
zur Arbeitsleistung in B aufgefordert hat, ohne dass es in zeitlicher Nähe hierzu zur
Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch die Klägerin gekommen
wäre. Andere Tatsachen, die ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit dieser ärztlichen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen begründen könnten, hat die Beklagte
hingegen nicht vorgetragen.
d) Soweit es weiter den Entgeltanspruch für die Zeit vom 12. bis 14. April 2005
anbelangt, steht dieser der Klägerin gegen die Beklagte wegen Pflege eines
erkrankten Kindes gem. § 616 Abs. 1 Satz BGB zu. Entgegen der Ansicht der
Beklagten kann die Klägerin für diese Zeit kein Krankengeld gem. § 45 SGB V
beanspruchen. Gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld,
soweit und solange Versicherte beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder
Arbeitseinkommen erhalten; das Krankengeld hat lediglich Entgeltersatzfunktion
(ErfK/Rolfs, 7. Aufl., § 49 SGB V Rz. 3 ff.; HWK/Krause § 616 BGB Rz. 42).
e) Die Entgeltforderungen der Klägerin für die Zeit vom 20. Februar 2005 bis 31.
Juli 2005 sind in Höhe eines Betrages von € 5.270,63 brutto ab dem 13. Juni 2005,
in Höhe eines weiteren Betrages von 4.583,16 ab dem 18. August 2005 und in
Höhe eines weiteren Betrages von € 2.291,58 ab dem 8. September 2005 mit
jeweils fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gesetzlich zu verzinsen, §§
291, 288 Abs. 1 BGB. Auch wenn die Zustellung der klageerweiternden
Schriftsätze der Klägerin vom 25. Mai 2005 bereits in der Güteverhandlung vom
31. Mai 2005 (Bl. 21 d. A.) und vom 26. Juli 2005 ausweislich des
Empfangsbekenntnisses (Bl. 45 d. A.) bereits am 12. August 2005 erfolgte, ist eine
Abänderung zum Nachteil der Beklagten als Berufungsführerin prozessual nicht
zulässig, § 528 ZPO.
2.Hingegen steht der Klägerin gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung
eines über € 412,71 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit dem 18. August 2005 hinausgehenden tariflichen
Urlaubsgeldes zu. In Höhe von € 587,29 brutto nebst Zinsen ist das Urteil des
Arbeitsgerichts daher abzuändern und die Klage gleichfalls abzuweisen.
Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin gemäß Ziffer 3.3 des Arbeitsvertrages
der Parteien vom 13. Juli 1988 ein tarifliches Urlaubsgeld laut Tarifvertrag zu
zahlen. Das Urlaubsgeld für das Jahr 2005 beläuft sich allerdings nicht in Höhe des
von der Klägerin eingeklagten und vom Arbeitsgericht zugesprochenen Betrages
von € 1.000,00 brutto. Nach § 3 Ziff. 1 lit. a des einschlägigen Tarifvertrages über
Sonderzahlung (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) für die Arbeitnehmer/innen
im Einzel- und Versandhandel des Landes Hessen in der Fassung vom 2.
Dezember 1997 (TV Sonderzahlung) beträgt das Urlaubsgeld ab 1. Januar 2000 50
% des Endgehaltes der Gehaltsgruppe B I (Verkäufer/in) des Gehaltstarifvertrages
des Einzelhandels in Hessen, der am 1. Januar des jeweiligen Kalenderjahres gilt.
Gemäß § 3 Beschäftigungsgruppe B Gehaltsgruppe I a) des Lohntarifvertrages für
den Einzel- und Versandhandel des Landes Hessen in der Fassung vom 23. Juli
2003 belief sich das Endgehalt der Gehaltsgruppe B I (Verkäufer/in) am 1. Januar
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2003 belief sich das Endgehalt der Gehaltsgruppe B I (Verkäufer/in) am 1. Januar
2005 auf € 1.981,00 brutto, so dass sich ein tariflicher Anspruch auf Urlaubsgeld
für das ganze Jahr 2005 in Höhe von € 990,50 brutto ergibt. Weiter sieht § 3 Ziff. 2
lit. a TV Sonderzahlung vor, dass im Urlaubsjahr eintretende und ausscheidende
Anspruchsberechtigte Anspruch auf soviel Zwölftel des Urlaubsgeldes haben, wie
sie im laufenden Urlaubsjahr volle Kalendermonate im Betrieb bzw. Unternehmen
tätig sind. Nach Ende ihrer bis zum 19. Februar 2005 andauernden Elternzeit war
die Klägerin bis zu ihrem Ausscheiden mit Ablauf des 31. Juli 2005 insgesamt fünf
volle Monate im Jahr 2005 für die Beklagte tätig. Unter Berücksichtigung dessen
steht der Klägerin gegen die Beklagte für das Jahr 2005 ein anteiliger Anspruch auf
Urlaubsgeld für fünf Monate in Höhe von insgesamt € 412,71 brutto zu.
Die Forderung der Klägerin ist ab dem 18. August 2005 mit fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz gesetzlich zu verzinsen, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Auch
wenn, wie oben bereits ausgeführt, die Zustellung des klageerweiternden
Schriftsatzes der Klägerin vom 26. Juli 2005 ausweislich des
Empfangsbekenntnisses (Bl. 45 d. A.) bereits am 12. August 2005 erfolgte, ist eine
Abänderung zum Nachteil der Beklagten als Berufungsführerin prozessual nicht
zulässig, § 528 ZPO.
III.
Die Kosten der ersten Instanz sind zwischen den Parteien entsprechend dem Maß
ihres Obsiegens und Unterliegens zu teilen, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Kosten
der Berufung sind der Beklagten alleine aufzuerlegen, da die klägerische
Zuvielforderung an Urlaubsgeld verhältnismäßig geringfügig war, § 92 Abs. 2 Nr. 1
ZPO. Für die Zulassung der Revision ist kein gesetzlicher Grund ersichtlich, § 72
Abs. 2 ArbGG. Die bisher entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze reichen für die
Bewertung des vorliegenden Falles aus und bedürfen insoweit keiner
Fortentwicklung.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.