Urteil des LAG Hessen vom 17.09.1999

LAG Frankfurt: de lege ferenda, negative feststellungsklage, gemeinsame einrichtung, bindungswirkung, aussetzung, mauer, forstwirtschaft, arbeitsgericht, arbeitgeberverband, tarifvertrag

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
15. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
15 Sa 1015/98 (A)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 5 Abs 1 S 1 Nr 1 TVG, § 9
TVG, § 148 ZPO, § 97 ArbGG
(Aussetzung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens im
Hinblick auf die Wirksamkeit einer
Allgemeinverbindlichkeitserklärung)
Leitsatz
Zur Aussetzung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens, in dem es auf die Frage der
Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung ankommt, im Hinblick auf eine
verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage bezüglich der Wirksamkeit der
Allgemeinverbindlichkeitserklärung.
Tenor
Die Verhandlung wird ausgesetzt bis zur Erledigung des verwaltungsgerichtlichen
Verfahrens ... .../... vor dem Verwaltungsgericht Köln (Az.: 1 K 3055/99).
Gründe
I.
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger gemäß
§ 4 des Tarifvertrages über die Qualifizierung der Arbeitnehmer aus der Land- und
Forstwirtschaft und über Maßnahmen zur Erschließung und Sicherung
wettbewerbsfähiger Voll- und Teilzeitarbeitsplätze der Land- und Forstwirtschaft
vom 03. Juli 1995. (QLFTV) Beiträge zu zahlen.
Der Kläger ist in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins gemeinsame
Einrichtung der Tarifvertragsparteien des QLFTV -- auf Arbeitgeberseite handelt es
sich um 17 (Landes-)Mitgliedsverbände des Gesamtverbandes der Deutschen
Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände e.V. und den
Arbeitgeberverband Landwirtschaft und Genossenschaften Weser-Ems e.V. -- im
Sinne des § 4 Abs. 2 TVG (§ 2 QLFTV). An ihn sind nach dem am 01. Januar 1996 in
Kraft getretenen QLFTV, der räumlich für das Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland mit Ausnahme der Regierungsbezirke K und D und fachlich vor allem
für alle Betriebe der Land- und Forstwirtschaft gilt (§ 1 Abs. 1 und 2 QLFTV) und
erstmals zum 31. Dezember 2000 kündbar ist (§ 9 Abs. 1 QLFTV), jährlich im
Voraus (§ 4 Abs. 4 Satz 1 QLFTV) Beiträge zu entrichten. Beitragspflicht besteht
für jeden ständig beschäftigten rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer (§ 4
Abs. 2 QLFTV), wobei der Beitrag monatlich für den Arbeitgeber 7,-- DM und für
den Arbeitnehmer 3,-- DM beträgt und als Gesamtbetrag vom Arbeitgeber
abzuführen ist (§ 4 Abs. 3 QLFTV).
Der Tarifvertrag ist aufgrund entsprechenden Antrags, der unter dem 10. Oktober
1995 im Bundesanzeiger Nr. 198 vom 20. Oktober 1995 (S. 11145) bekannt
gemacht worden war, nach der Sitzung des Tarifausschusses vom 15. Dezember
1995 mit Wirkung vom 01. Januar 1996 am 30. Januar 1996 vom Bundesminister
für Arbeit und Sozialordnung für allgemeinverbindlich erklärt worden
(Bundesanzeiger Nr. 26 vom 07. Februar 1996).
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Die (im verbundenen Verfahren) Beklagten sind landwirtschaftliche Arbeitgeber.
Sie gehören keinem der vertragschließenden Arbeitgeberverbände an.
Der Kläger nimmt u.a. die Beklagten auf Beitragszahlung für die Jahre 1996 bis
1998 in Anspruch. Die Beklagten verteidigen sich schwerpunktmäßig damit, dass
die AVE nicht den Anforderungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG entsprochen
habe. Die Zahlen, die der Tarifausschuss und der Bundesminister für Arbeit und
Sozialordnung zugrundegelegt hätten, ergäben, daß nur knapp über 50 % der
Arbeitnehmer in tarifgebunden Betrieben beschäftigt worden seien, doch seien die
Zahlenannahmen für die ostdeutschen Länder erheblich zu hoch ausgefallen,
weshalb sich bei richtiger Betrachtung eine Zahl von sehr deutlich unter 50 %
ergebe. Der Streit der Prozessparteien dreht sich hauptsächlich um zwei Punkte.
Zunächst ist für Thüringen im Hinblick auf eine "Fusion" neben dem
vertragschließenden Arbeitgeberverband noch ein weiterer (größerer)
Arbeitgeberverband in die Berechnung des Bundesministers mit eingeflossen.
Insoweit bestehen unterschiedliche Auffassungen über die Berechtigung der
Zusammenfassung dieser beiden Arbeitgeberverbände -- unstreitig ist es bis
heute nicht zu der "Fusion" gekommen. Außerdem sind aufgrund der dem
Bundesminister gemachten Angaben speziell für die Länder Sachsen und
Mecklenburg-Vorpommern die dem jeweiligen Bauernverband angehörenden
Betriebe als tarifgebundene Betriebe "verbucht" worden -- insofern besteht Streit
darüber, ob diese "Verbuchung" sich entgegen geäußerten Bedenken (angesichts
der jeweiligen Satzungen) als rechtlich tragfähig darstellte.
Das Arbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben. Es hat seine Entscheidung im
Kern damit begründet, dass die Entscheidung des Bundesarbeitsministers für
Arbeit und Sozialordnung vom Formalen her und hinsichtlich des Verfahrens nicht
zu beanstanden sei, dass eine inhaltliche Überprüfung im Hinblick auf § 5 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 TVG jedoch ausgeschlossen sei.
Parallel zu dem vorliegenden Rechtsstreit sind beim Hessischen
Landesarbeitsgericht -- verteilt auf drei Kammern -- etwa 400 weitere
Berufungsverfahren anhängig. Zusätzliche Rechtsstreite sind noch beim
Arbeitsgericht anhängig. Nach den Angaben des Klägers sind insgesamt 404
Arbeitgeber von anhängigen Klagen betroffen. Musterprozessvereinbarungen
waren nicht erzielbar.
Am 19. April 1999 reichte der Kläger beim Verwaltungsgericht Köln eine
Feststellungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, ein (Az.: 1 K 3055/99). Mit der Klage
wird die Feststellung begehrt, dass das Bundesministerium für Arbeit und
Sozialordnung berechtigt war, den QLFTV für allgemeinverbindlich zu erklären. Ein
Termin ist in diesem Verfahren derzeit noch nicht bestimmt.
II.
Die Kammer hält es nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 17.
September 1999 für sachgerecht und auch geboten, die Verhandlung bis zur
(rechtskräftigen) Erledigung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits zwischen
dem Kläger und der Bundesrepublik Deutschland (derzeit anhängig beim VG Köln
unter dem angegebenen Aktenzeichen) auszusetzen. Die
Aussetzungsentscheidung fußt auf § 148 ZPO i.V.m. §§ 97 Abs. 5 ArbGG analog
und § 9 TVG analog (zur Aussetzungsproblematik auch Mäßen/Mauer, NZA 1996,
121, 126).
Dabei geht die Kammer zunächst davon aus, dass der vom Arbeitsgericht
gewählte Weg, die gerichtliche Kontrolle der Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5
TVG) -- nach dem Bundesverfassungsgericht ein Rechtssetzungsakt eigener Art
zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtssetzung auf der Grundlage
des Art. 9 Abs. 3 GG (BVerfG Beschluss vom 24. Mai 1977 -- 2 BvL 11/74 -- AP Nr.
15 zu § 5 TVG; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz. 1283; Wank, in:
Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 5 Rz. 33 ff., 50; partiell kritisch dazu Kempen/Zachert,
TVG, 3. Aufl., § 5 Rz. 31) -- sehr stark zurückzunehmen und bezüglich der
Anforderungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG praktisch auf Null zu reduzieren,
nicht gangbar ist. Denn wenn bestimmte Akte des Staates abhängig sind von
jeweils gesetzlich formulierten inhaltlichen Vorgaben, muss die Frage danach, ob
diese Vorgaben erfüllt sind, einer gerichtlichen inhaltlichen Überprüfung zugänglich
sein. Dies folgt aus Art. 19 Abs. 4 GG (parallel dazu bezüglich des
Bildungsurlaubsrechts BVerfG Beschluss vom 15. Dezember 1987 -- 1 BvR 563/85
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Bildungsurlaubsrechts BVerfG Beschluss vom 15. Dezember 1987 -- 1 BvR 563/85
-- AP Nr. 62 zu Art. 12 GG = EzA § 7 AWbG NW Nr. 1; BAG Urteil vom 09. Februar
1993 -- 9 AZR 203/90 -- AP Nr. 1 zu § 1 BildungsurlaubsG Hessen).
Praktisch und dogmatisch nicht befriedigend ist indes auch der Weg, den die
höchstrichterliche Rechtsprechung und die herrschende Auffassung bislang für den
Regelfall allein zur Verfügung stellen, nämlich der Weg der Inzidentkontrolle einer
AVE in einem arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit, in dem es auf die Frage der
Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) ankommt (dazu BAG Urteil
vom 24. Januar 1979 -- 4 AZR 377/77 -- AP Nr. 16 zu § 5 TVG; BAG Urteil vom 22.
September 1993 -- 10 AZR 371/92 -- AP Nr., 2 zu § 1 TVG Tarifverträge:
Gerüstbau; vgl. dazu auch Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz. 1285;
Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 5 Rz. 35; Wank, in: Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 5
Rz. 175 ff., 177). Dies gilt jedenfalls angesichts der Tatsache, dass die Wirksamkeit
von AVE-en offenbar zunehmend in Frage gestellt wird (möglicherweise vor dem
Hintergrund, dass die tatsächlichen Entwicklungen es zunehmend schwieriger
machen, die 50 %-Hürde des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG zu überschreiten) und
dass sich damit die Frage einer Inzidentprüfung zunehmend nicht nur in
vereinzelten Verfahren stellt, sondern in einer ganzen Reihe von parallelen
Verfahren (wie die hier vorliegenden Klagen des Klägers belegen). Das, was das
Bundesarbeitsgericht an Ermittlungen im Rahmen der Inzidentprüfung fordert (vgl.
BAG Urteile vom 24. Januar 1979 und vom 22. September 1993, beide a.a.O.), ist
rein praktisch in einer Vielzahl von parallelen Verfahren (unter Umständen vor
verschiedenen Arbeitsgerichten oder Landesarbeitsgerichten) nicht oder kaum
sinnvoll zu leisten, und die Klagen des Klägers belegen, dass es keineswegs stets
möglich ist, Fluten paralleler Klagen über Musterprozessvereinbarungen zu
steuern. Es kommt hinzu, dass die einzelne Entscheidung nur Rechtskraft inter
partes (zwischen den Parteien des jeweiligen Rechtsstreites) entfaltet, wobei es
angesichts der Fragen von Beurteilung und/oder Schätzung hinsichtlich der
Anforderungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG (dazu speziell BAG Urteil vom 24. Januar
1979 a.a.O.) nicht ausgeschlossen ist, dass sich divergierende Entscheidungen
ergeben und von Gesetzes wegen -- es geht um die Beurteilung von Tatsachen --
kein Grund für die Zulassung von Berufung oder Revision besteht (§§ 64 Abs. 3, 72
Abs. 2 ArbGG; GK-ArbGG/Ascheid § 72 Rz. 25 ff.; ebenso im Ergebnis Hess. LAG
Urteile vom 08. Dezember 1997 -- 10 Sa 1479/95, 10 Sa 1480/95 und 10 Sa
1689/95 --).
Die eben skizzierten Überlegungen machen deutlich, dass es wichtig und
notwendig ist, ein Verfahren zu haben, in dem die Frage der Wirksamkeit einer AVE
mit Bindungswirkung für die jeweiligen davon abhängigen Einzelrechtsstreite
geklärt wird (vgl. auch Mäßen/Mauer, NZA 1996, 121, 125). Ob diese
Notwendigkeit dadurch noch verstärkt wird, dass mittlerweile auf Teilgebieten des
Arbeitsrechts (eine Ausweitung darüber hinaus ist bereits der Diskussion)
gewissermaßen eine neue Art von Allgemeinverbindlicherklärung existiert, kann im
Ergebnis offen bleiben. Es ist insoweit vorgesehen, dass durch Rechtsverordnung
des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung ohne Zustimmung des
Bundesrates und ohne gesetzliche inhaltliche Vorgaben wie in § 5 Abs. 1 TVG
vorhanden dieselben Wirkungen wie in § 5 Abs. 4 TVG geregelt angeordnet werden
können (§ 1 Abs. 3a i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AEntG), eine Regelung,
die speziell im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG Fragen aufwirft und für die der
Aspekt der negativen Koalitionsfreiheit jedenfalls neu zu diskutieren sein dürfte
(vgl. insoweit zur AVE BVerfG Beschluss vom 24. Mai 1977 -- 2 BvL 11/74 -- AP Nr.
15 zu § 5 TVG; BVerfG Beschluss vom 15 Juli 1980 -- 1 BvR 24/74 und 1 BvR 439/79
-- AP Nr. 17 zu § 5 TVG; dazu auch Wank, in: Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 5 Rz. 21
ff.). Eine erste entsprechende Rechtsverordnung existiert bereits, die Verordnung
über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 25. August 1999 (BGBl. I
S. 1894).
Es stellt kein tragfähiges Gegenargument gegen die hier bejahte Notwendigkeit
eines Verfahrens, in dem die Frage der Wirksamkeit einer AVE mit Bindung für
Verfahren zwischen potentiell über die AVE an einen Tarifvertrag gebundenen
Parteien beantwortet wird, dar, dass auch ansonsten in arbeitsgerichtlichen
Verfahren Inzident-Kontrollen hinsichtlich der Wirksamkeit von Rechtsnormen unter
der Ebene von Gesetzen stattfinden. Denn erstens handelt es sich dabei in aller
Regel um Rechtsfragen, so dass insoweit im Ergebnis gewährleistet sein wird, dass
die Frage nach der Wirksamkeit der Rechtsnorm im Instanzenzug einheitlich
beantwortet werden wird. Zweitens hat der Gesetzgeber selbst -- jedenfalls partiell
-- in §§ 9 TVG, 63 und 97 Abs. 5 ArbGG die Notwendigkeit gesehen, die
Voraussetzungen für die Grundlagen der Anwendung von Tarifverträgen
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Voraussetzungen für die Grundlagen der Anwendung von Tarifverträgen
übergreifend zu klären, eine bloße Inzidentkontrolle also insofern gerade für nicht
ausreichend erachtet.
Dabei muss freilich konstatiert werden, dass die Gesetze ihrem derzeitigen
Wortlaut nach keinen Weg zu einer Entscheidung über die Wirksamkeit einer AVE
mit Rechtskraft inter omnes oder mit Bindungswirkung für Verfahren, in denen es
auf die Wirksamkeit einer AVE ankommt, weisen. § 47 VwGO wird bereits vom
Regelungsgehalt her nicht anwendbar sein (dazu ebenso Kempen/Zachert, TVG, 3.
Aufl., § 5 Rz. 35; Löwisch/Rieble, TVG, § 5 Rz. 117; Wank, in: Wiedemann, TVG, 6.
Aufl., § 5 Rz. 169; zu pauschal Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz. 1285). Auch
§ 97 Abs. 5 ArbGG ist nicht unmittelbar einschlägig, diese Norm ordnet den
Aussetzungszwang nur an für die Klärung der Frage der Tariffähigkeit oder der
Tarifzuständigkeit. Außerdem eröffnen die §§ 2, 2a ArbGG hinsichtlich eines
Verfahrens zur Klärung der Wirksamkeit einer AVE nicht den Rechtsweg zu den
Gerichten für Arbeitssachen (ebenso BVerwG Urteil vom 03. November 1988 --
BVerwG 7 C 115.86 -- AP Nr. 23 zu § 5 TVG, zu II.1. der Gründe).
Andererseits ist wie bereits angesprochen der Vorschrift des § 97 Abs. 5 ArbGG zu
entnehmen, dass der Gesetzgeber jedenfalls, soweit es um die Problematik von
Tarifzuständigkeit und Tariffähigkeit geht, die Frage danach, ob ein Tarifvertrag
angewandt werden kann, nicht im jeweiligen Einzelverfahren beantwortet wissen
will, sondern in einem besonderen Verfahren, nämlich in einem
Beschlussverfahren gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG (mit den verfahrensmäßigen
Besonderheiten der Amtsermittlung gemäß § 83 Abs. 1 und 2 ArbGG !). Diese
Regelung als solche erweist sich indes als unvollkommen, da nicht angeordnet ist,
dass das Ergebnis des Beschlussverfahrens weitergehende Bindungswirkung
entfaltet. Diese Lücke wird zu Recht von der ganz herrschenden Meinung
dahingehend geschlossen, dass insoweit § 9 TVG entsprechend herangezogen wird
(BAG Urteil vom 10. Mai 1989 -- 4 AZR 80/89 -- EzA § 256 ZPO Nr. 32; Oetker, in:
Wiedemann, TVG, 6. Aufl. § 9 Rz. 23 mit weit. Nachw. in Fn. 63; Däubler,
Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz. 85 mit. weit. Nachw.; a.A. GK-ArbGG/Leinemann, §
97 Rz. 69) -- die weitere Frage, ob es dann nicht jedenfalls de lege ferenda
systemgerecht wäre, § 97 Abs. 5 TVG auf die Frage des Bestehens oder
Nichtbestehens eines Tarifvertrages auszudehnen und insofern entgegen der
derzeitigen Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG gleichfalls die Entscheidung im
arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anzuordnen, bedarf hier keiner weiteren
Erörterung (zum derzeitigen Rechtszustand Löwisch/Rieble, TVG, § 9 Rz. 7 und 75).
Nimmt man den mithin vorhandenen gesetzgeberischen Ansatz ernst, dass die
Grundlagen für die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages in einem gesonderten
Verfahrens mit Bindungswirkung in entsprechender Anwendung des § 9 TVG zu
klären sind, stellt sich das Fehlen einer entsprechenden gesetzlichen Regelung
hinsichtlich der Wirksamkeit einer AVE aus den dargestellten Gründen als
(planwidrige) Lücke dar. Diese kann freilich bis zu einer gebotenen gesetzlichen
Regelung (die sich an §§ 97 Abs. 5 ArbGG, 9 TVG anlehnen sollte) aus den
angesprochenen Gründen nicht durch eine schlichte analoge Anwendung des § 97
Abs. 5 ArbGG geschlossen werden -- die Prozessparteien können nicht qua
Aussetzungsbeschluss auf ein Beschlussverfahren verwiesen werden, für das der
Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht eröffnet ist. Die gegebene
Lücke ist vielmehr in Analogie zu §§ 97 Abs. 5 ArbGG, 9 TVG (zum hier nicht weiter
zu diskutierenden Stellenwert des § 9 TVG insoweit Oetker, in: Wiedemann, TVG, 6.
Aufl., § 9 Rz. 23 Fn. 63; Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., Rz. 1; Mäßen/Mauer, NZA
1996, 121, 125) zumindest dahingehend zu schließen, dass ein
arbeitsgerichtliches Verfahren, in dem -- wie hier -- die Wirksamkeit einer AVE im
Streit steht und dessen Entscheidung von der Beantwortung der Frage der
Wirksamkeit dieser AVE abhängt, jedenfalls dann ausgesetzt werden kann und soll,
wenn vor den Verwaltungsgerichten bereits um die Aufhebung einer AVE gestritten
wird (dazu auch Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 8. Aufl., § 207 IV 1) oder wenn --
so hier -- vor den Verwaltungsgerichten bereits eine Feststellungsklage hinsichtlich
der Wirksamkeit einer AVE anhängig ist: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit klärt dann
(mit den insoweit angemessenen Mitteln der Amtsermittlung: § 86 Abs. 1 VwGO)
die Frage der Wirksamkeit der AVE, und zwar in entsprechender Anwendung des §
9 TVG mit der sich daraus ergebenden weitergehenden Bindungswirkung (vgl.
insoweit auch Mäßen/Mauer, NZA 1996, 121, 125 f., dort auch zu den
erforderlichen Beiladungen gem. § 65 VwGO, wobei ergänzend § 97 Abs. 5 ArbGG
zu beachten sein wird). Die bloße Tatsache, dass § 97 Abs. 5 ArbGG einen
speziellen Fall regelt, steht als solche einer derartigen Analogie nicht im Wege
(grundsätzlich zur Frage der Analogiefähigkeit von sog.
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Ausnahmebestimmungen BAG Beschluß vom 25. August 1983 -- 6 ABR 52/80 --
AP Nr. 14 zu § 59 KO, zu III.3. der Gründe).
Dass der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten insoweit nach § 40 Abs. 1 Satz 1
VwGO eröffnet ist, steht außer Frage (BVerwG Urteil vom 03. November 1988 --
BVerwG 7 C 115.86 -- AP Nr. 23 zu § 5 TVG = DVBl. 1989, 562). Der Kläger als
Partei des Ausgangsrechtsstreits (siehe dazu § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG) hat
(sinngemäß) die Feststellung der Wirksamkeit der hier umstrittenen AVE
(zutreffend mit der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, als Klagegegnerin: dazu
Mäßen/Mauer, NZA 1996, 121, 126) beantragt, wobei das Feststellungsinteresse
im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO -- gleichgültig, ob es sich um eine positive oder
negative Feststellungsklage handelt -- ungeachtet aller sonst im Hinblick auf § 43
Abs. 1 VwGO diskutierten Fragen (dazu etwa BVerwG Urteil vom 09. Dezember
1982 Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 78; BVerwG Urteil vom 29. Juni 1995 DVBl.
1995, 1250; vgl. auch Eyermann, VwGO, 10. Aufl., § 43 Rz. 9, 15 ff., 22 ff. mit weit.
Nachw.; Wank, in: Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 171 mit weit. Nachw.; zur
möglicherweise erforderlichen Annahme einer Feststellungsklage sui generis in
etwas anderem Zusammenhang Löwisch/Rieble, TVG, § 5 Rz. 120 mit weit.
Nachw.) bereits aufgrund der gebotenen analogen Anwendung der §§ 97 Abs. 5
ArbGG, 9 TVG zu bejahen ist (a.A. Löwisch, in: Münchener Handbuch Arbeitsrecht,
Bd. 3, § 261 Rz. 107 unter unzutreffendem Hinweis auf die insoweit allein mögliche
Inzidentkontrolle; ebenfalls a.A. Wank a.a.O. Rz. 176).
Aufgrund der dargelegten Erwägungen erweist sich die Aussetzung auch unter
Würdigung des allgemeinen Beschleunigungsgebotes im arbeitsgerichtlichen
Verfahren (§ 9 Abs. 1 ArbGG) und der potentiellen Dauer eines
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens als sachgerecht, zumal damit möglicherweise
divergierende Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und der Gerichte für
Arbeitssachen vermieden werden. Dies gilt um so mehr, als der Kläger, der sich
selbst für die Aussetzung ausgesprochen hat, vor der Berufungskammer
ausdrücklich erklärt hat, die hier im Streit stehenden Beiträge weder zu
vollstrecken noch anderweitig einzufordern, es solle in jedem Fall die rechtskräftige
Entscheidung der Verwaltungsgerichte abgewartet werden.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.