Urteil des LAG Hamm vom 07.12.2010

LArbG Hamm (aufgaben, tätigkeit, ausbildung, mitarbeiter, ekd, vergütung, behinderung, bag, berufliche ausbildung, evangelische kirche)

Landesarbeitsgericht Hamm, 19 Sa 1616/10
Datum:
07.12.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 Sa 1616/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bielefeld, 1 Ca 2671/09
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 4 AZR 48/11
Schlagworte:
Eingruppierung in die Entgeltgruppen 8 und 9 der AVR.DW-EKD,
Erzieher mit speziellen Aufgaben und Kenntnissen
Normen:
§ 12 AVR.DW-EKD und Anlage 1 (Entgeltgruppe 8 und 9)
Leitsätze:
Für die Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen in Richtbeispielen
können die in derselben Entgeltgruppe aufgeführten Richtbeispiele
maßgeblich sein.
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Bielefeld vom 30.03.2010 – 1 Ca 2671709 – unter Zurückweisung der
Anschlussberufung der Klägerin teilweise abgeändert und zur
Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die richtige Eingruppierung der Klägerin nach den
Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen, die dem Diakonischen Werk der
Evangelischen Kirche in Deutschland angeschlossen sind (im Folgenden: AVR.DW -
EKD).
2
Die am 18.07.1960 geborene und verheiratete Klägerin ist seit dem 01.04.1993 bei dem
Beklagten als Erzieherin aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 29.03.1996
beschäftigt. Nach dem Inhalt des Arbeitsvertrags finden auf das Arbeitsverhältnis
zwischen den Parteien die AVR.DW-EKD in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.
3
Die Klägerin ist in der Einrichtung des Beklagten "Wohnverbund W6", bei der es sich
um eine Wohneinrichtung für Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen
handelt, tätig. In dieser Einrichtung wohnen in der Wohngruppe 6, in der die Klägerin
eingesetzt ist, sieben Bewohner, die von fünf Betreuern betreut werden. Die Klägerin ist
ausgebildete Erzieherin. Ferner hat sie von 2002 bis 2007 den Qualifizierungslehrgang
"e-Motion", der 210 Unterrichtsstunden umfasste, absolviert. Unter dem 16.12.2009
erteilte der Beklagte der Klägerin ein Zwischenzeugnis. Wegen der Einzelheiten des
Zwischenzeugnisses wird auf die zu der Akte gereichte Kopie (Bl. 199 d.A.) Bezug
genommen.
4
Im Zuge der Novellierung der AVR.DW-EKD zum 01.07.2007 wurde die Vielzahl der
Vergütungs- und Fallgruppen, die sich bisher an der Vergütungsordnung des BAT
orientierten, auf 13 Entgeltgruppen reduziert. Der Beklagte gruppierte daraufhin alle
Beschäftigten in die neuen Entgeltgruppen um. Mit Wirkung zum 01.07.2007 wurde die
Klägerin in die Entgeltgruppe 7 der AVR.DW-EKD übergeleitet.
5
Die Eingruppierung der Beschäftigten, auf deren Arbeitsverhältnisse die AVR.DW-EKD
Anwendung finden, richtet sich nach § 12 AVR.DW-EKD, dessen Abs. 1 S. 1
hinsichtlich der Entgeltgruppen auf die Anlage 1 verweist. Die Bestimmungen lauten
auszugsweise wie folgt:
6
"§ 12 Eingruppierung
7
1. Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter ist nach den Merkmalen der übertragenen
Tätigkeiten in die Entgeltgruppe gemäß der Anlage 1 eingruppiert. Die Tätigkeiten
müssen ausdrücklich übertragen sein (z.B. im Rahmen von Aufgaben- oder
Stellenbeschreibungen). Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter erhält Entgelt nach
der Entgeltgruppe, in die sie bzw. er eingruppiert ist. Die Dienstgeberin bzw. der
Dienstgeber hat die Entgeltgruppe der Mitarbeiterin bzw. dem Mitarbeiter schriftlich
mitzuteilen.
2. Die Eingruppierung der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters erfolgt in die
Entgeltgruppe, deren Tätigkeitsmerkmale sie bzw. er erfüllt und die der Tätigkeit
das Gepräge geben. Gepräge bedeutet, dass die entsprechende Tätigkeit
unverzichtbarer Bestandteil des Arbeitsauftrages ist.
3. Für die Eingruppierung ist nicht die berufliche Ausbildung, sondern allein die
Tätigkeit der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters maßgebend. Entscheidend ist die
für die Ausübung der beschriebenen Tätigkeit in der Regel erforderliche
Qualifikation, nicht die formale Qualifikation der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters.
4. Die Eingruppierung der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters richtet sich nach den
Obersätzen der Entgeltgruppe, die für die Tätigkeitsbereiche in den Untersätzen
näher beschrieben werden. Den Sätzen sind Richtbeispiele zugeordnet, die häufig
anfallende Tätigkeiten in dieser Eingruppierung benennen."
8
9
Die maßgeblichen Entgeltgruppen der Anlage 1 lauten:
10
"Entgeltgruppe 7 (Anm. 5, 6, 11, 15)
11
A.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die Fachwissen und
entsprechende Fähigkeiten voraussetzen
Mitarbeiter 1. mit eigenständiger Wahrnehmung von Aufgaben (Anm. 6) in den
Tätigkeitsbereichen a. Pflege/Betreuung/Erziehung, b. Handwerklicher
Erziehungsdienst, c. Nichtärztlicher medizinischer Dienst; 2. mit eigenständiger
Wahrnehmung (Anm. 5) von komplexen (Anm. 15) Aufgaben in den
Tätigkeitsbereichen a. Hauswirtschaft/Handwerk/Technik, b. Verwaltung, c.
Nichtärztlicher medizinischer Dienst. Richtbeispiele: Alten-, Gesundheits- und
Krankenpflegerin, Erzieherin, Heilerziehungspflegerin, Gruppenleiterin in einer
Werkstatt für behinderte Menschen, Med.-technische Radiologieassistentin,
Physiotherapeutin, Ergotherapeutin, Arbeitserzieherin, Finanzbuchhalterin,
Personalsachbearbeiterin, Med.-technische Assistentin.
B.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Entgeltgruppe 6
Leitungsaufgaben (Anm. 11) im Tätigkeitsbereich Hauswirtschaft/Handwerk/
Technik. Richtbeispiele: Küchenleiterin, Leiterin von Handwerksbetrieben.
12
13
Entgeltgruppe 8 (Anm. 6, 7, 10, 11, 14)
14
A. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die vertieftes oder
erweitertes Fachwissen und entsprechende Fähigkeiten voraussetzen
Hierzu gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit 1. eigenständiger
Wahrnehmung (Anm. 6) von schwierigen (Anm. 14) Aufgaben in den
Tätigkeitsbereichen a. Pflege/Betreuung/Erziehung, b. Nichtärztlicher
medizinischer Dienst; 2. verantwortlich wahrzunehmenden Aufgaben (Anm. 7) in
den Tätigkeits- bereichen a. Verwaltung, b. Lehre/Bildung/Ausbildung.
Richtbeispiele: Gesundheitspflegerin im OP-Dienst, in der Intensivpflege oder
Psychiatrie, Erzieherin mit speziellen Aufgaben und entsprechenden
Kenntnissen, Heilerziehungspflegerin mit speziellen Aufgaben und
entsprechenden Kenntnissen, Bilanzbuchhalterin, Unterrichtsschwester.
15
B. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Entgeltgruppe 7
Wahrnehmung von Aufgaben (Anm. 6) und Leistungsaufgaben (Anm. 11) in den
Tätigkeitsbereichen a. Pflege/Betreuung/Erziehung, b. Nichtärztlicher
medizinischer Dienst; 2. in der Leitung (Anm. 10) im Tätigkeitsbereich
Hauswirtschaft/Handwerk/ Technik. Richtbeispiele: Stationsleiterin,
Wohnbereichsleiterin, Leitende Med.-technische Assistentin, Leitende
Physiotherapeutin, Leitende Diätassistentin,
Hauswirtschaftsleiterin/hauswirtschaftliche Betriebsleiterin.
16
Entgeltgruppe 9 (Anm. 6, 7, 8, 10, 11, 14, 15, 16)
17
A. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die
anwendungsbezogene wissenschaftliche Kenntnisse voraussetzen
18
gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit 1. verantwortlich
wahrzunehmenden Aufgaben (Anm. 8) in den Tätig- keitsbereichen a.
Pflege/Betreuung/Erziehung, b. Beratung/Therapie/Seelsorge; 2. schwierige
(Anm. 14) verantwortlich wahrzunehmenden (Anm. 8) Aufgaben im
Tätigkeitsbereich Verwaltung. Richtbeispiele: Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin,
Heilpädagogin, Diakonin mit Seelsorge- und Beratungsaufgaben, Controllerin,
IT-Systemberaterin, Personalreferentin, Qualitätsbeauftragte.
B. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Entgeltgruppe 8
wahrzunehmenden Aufgaben (Anm. 7) und Leitungsaufgaben (Anm. 11) in den
Tätigkeitsbereichen
19
a. Lehre/Bildung/Ausbildung, b. Verwaltung; 2. mit eigenständiger
Wahrnehmung (Anm. 6) von schwierigen (Anm. 14) oder komplexen (Anm. 15)
Aufgaben und Leitungs- aufgaben (Anm. 11) in den Tätigkeitsbereichen
Pflege/Betreuung/ Erziehung und nichtärztlicher medizinischer Dienst; 3. in der
Leitung (Anm. 10) eines großen Wohnbereiches oder einer kleinen Einrichtung
oder eines kleineren Dienstes oder eines mittel- großen Pflegebereiches einer
stationären Einrichtung oder einer kleinen Diakoniestation (Anm. 16) im
Tätigkeitsbereich Pflege/ Betreuung/Erziehung. Richtbeispiele: Leitung eines
kleineren Verwaltungsbereichs, Leiterin einer kleineren Schule für Alten-,
Kranken- oder Entbindungs- pflege, Pflegerische Leiterin mehrerer Stationen
eines Krankenhauses, Pflegedienstleiterin in der Altenhilfe, Stationsleiterin
Intensivpflege."
20
In den in Bezug genommenen Anmerkungen heißt es:
21
"(6) Die
eigenständig wahrgenommenen Aufgaben der Entgeltgruppe 7 und 8
setzen Fachwissen und entsprechende Fähigkeiten voraus, die i. d. R. durch eine
dreijährige Fachschulausbildung, aber auch anderweitig erworben werden können.
Eigenständig wahrgenommen
übertragenen Aufgaben Entscheidungen über Mittel und Wege zur
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Erreichung von Arbeitsergebnissen selbst getroffen werden. Die Aufgaben, die im
Klientenbezug weitergehende emotionale und soziale Kompetenz erfordern,
beinhalten Tätigkeiten, die in verschiedenen Arbeitssituationen in
unterschiedlichem Maße anfallen und wechselnde Anforderungen stellen."
23
(8) Die
verantwortlich wahrzunehmenden Aufgaben der Entgeltgruppen 9 bis
11
durch eine Fachhochschulausbildung oder durch einen Bachelorabschluss, aber
auch anderweitig erworben werden können. Verantwortlich wahrgenommen
bedeutet, dass Ziele und die dazu benötigten Lösungswege z.B. durch
Konzeptentwicklung selbständig erarbeitet und entschieden werden.
24
(14)
Schwierige Aufgaben
technische Besonderheiten auf, die vertiefte Überlegung und besondere Sorgfalt
erfordern."
25
Mit ihrer am 20.08.2009 erhobenen Klage hat die Klägerin ihre Eingruppierung in die
26
Entgeltgruppe 9, hilfsweise Entgeltgruppe 8 seit dem 01.07.2007 begehrt und einen
Zahlungsanspruch in Höhe von 444,02 € brutto für den Zeitraum von Juli 2008 bis
August 2009 geltend gemacht.
Die Klägerin hat behauptet, ihre Tätigkeiten ließen sich einer Stellenbeschreibung aus
Mai 1995 entnehmen, die für alle pädagogischen Mitarbeiter des "Wohnverbunds W6"
gelte. Besonders hervorzuheben sei die ihr übertragene Aufgabe der Erstellung der
Sozial- und Verlaufsberichte, durch die gegenüber dem Kostenträger das Ergebnis der
Betreuungsplanung dokumentiert werde. In den Berichten seien die Art und Schwere
der Behinderung zum Zeitpunkt der Aufnahme, der vorhandene Hilfebedarf und die
bestehenden Perspektiven darzustellen. Sie besitze anwendungsbezogene
wissenschaftliche Kenntnisse, ohne die sie ihre Aufgaben nicht erfüllen könnte, und
arbeite eigenverantwortlich und eigengedanklich. Ihre Qualifikation entspreche aufgrund
der eigenverantwortlich wahrzunehmenden Befugnisse und Kompetenzen der eines
Diplom-Pädagogen/Sozialarbeiters. Jedenfalls aber sei eine Eingruppierung in die
Entgeltgruppe 8 gerechtfertigt, weil sie bei Ausübung ihrer Tätigkeit eigenständig
schwierige Aufgaben wahrzunehmen habe. Denn bei den zu betreuenden Bewohnern
handele es sich um ein sehr schwieriges, heterogenes Klientel mit einer Vielzahl
unterschiedlicher geistiger und körperlicher Behinderungen, autistischen Zügen,
Suchterkrankungen sowie gerontopsychiatrischen Störungen. Diese zeigten sich zum
Teil in schweren sozialen Auffälligkeiten und aggressiven Verhaltensweisen. Die für
diese Tätigkeit über ihre Ausbildung als Erzieherin hinausgehenden heilpädagogischen
Kenntnisse habe sie im Rahmen ihrer Tätigkeit zusätzlich erworben. Somit seien dies
für Erzieher spezielle Aufgaben. Dass ihr schwierige Aufgaben übertragen seien, werde
auch dadurch belegt, dass der Beklagte jahrelang von seinen Mitarbeitern eine
sonderpädagogische Zusatzqualifikation verlangt habe. Hinzu komme, dass in der
Ausbildung der Heilerziehungspfleger lediglich Teile vermittelt würden und nicht die
gesamte Bandbreite gelehrt werde. Insbesondere die Erstellung der Sozial- und
Verlaufsberichte und die Erbringung von Grund- und Behandlungspflege seien keine
klassischen Aufgaben von Heilerziehungspflegern.
27
Die Klägerin hat beantragt,
28
1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr die Vergütung nach der
Entgeltgruppe 9 vom 01.07.2007 zu zahlen;
29
2. hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr die Vergütung
nach der Entgeltgruppe 8 vom 01.07.2007 zu zahlen;
30
3. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin einen Betrag in Höhe von 440,02 €
brutto nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu
zahlen.
31
Der Beklagte hat beantragt,
32
die Klage abzuweisen.
33
Er hat die Auffassung vertreten, die der Klägerin übertragenen Aufgaben seien
klassische Aufgaben eines Heilerziehungspflegers, sodass wegen des entsprechenden
Richtbeispiels die Eingruppierung in die Entgeltgruppe 7 zutreffend sei. Zudem seien
die Ausführungen der Klägerin nicht hinreichend konkret. Die Stellenbeschreibung aus
34
Mai 1995 sei unverbindlich; sie beschreibe ganz allgemein den Arbeitsbereich einer
Fachkraft im Betreuungsdienst und sollte Mitarbeitern zur Eigenreflexion bzw. als
Einstiegshilfe dienen. Seit dem Jahr 2000 würde die Stellenbeschreibung nicht mehr
genutzt. Darüber hinaus würde sich auch aus der Stellenbeschreibung nicht ergeben,
dass die Tätigkeit der Klägerin anwendungsbezogene wissenschaftliche Kenntnisse
eines Diplom-Sozialpädagogen oder Diplom-Sozialarbeiters voraussetze. Die Klägerin
könne auch nicht Vergütung nach der Entgeltgruppe 8 verlangen. Sie nehme ihre
Aufgaben zwar eigenständig wahr, die Aufgaben seien jedoch nicht "schwierig" im
Sinne der Anmerkung 14 der Anlage 1 der AVR.DW-EKD. Die in der
Stellenbeschreibung genannten Tätigkeiten würden sich auf klassische Aufgaben eines
Heilerziehungspflegers beschränken und erforderten damit lediglich eine dreijährige
heilerziehungspflegerische Ausbildung. Die Erstellung von Sozial- und
Verlaufsberichten gehöre zum klassischen Aufgabenbereich eines
Heilerziehungspflegers. Der Schwierigkeitsgrad der Tätigkeiten der Klägerin müsse sich
nicht an ihrer Ausbildung als Erzieherin, sondern an der Ausbildung zum
Heilerziehungspfleger messen lassen, weil für die Ausübung der der Klägerin
übertragenen Aufgaben eine solche Ausbildung erforderlich sei. Der
Heilerziehungspfleger erhalte in seiner Ausbildung die erforderlichen Kenntnisse in der
Grund- und Behandlungspflege und im Umgang mit psychischen Behinderungen,
psychiatrischen Erkrankungen und Störungen sowie sozialen Auffälligkeiten. Der
Umgang mit Schwerst- oder Mehrfachbehinderungen gehöre zur Normaltätigkeit eines
Heilerziehungspflegers. Die Vielfalt der Erkrankungen der zu betreuenden Bewohner
und damit die von der Klägerin angesprochene Heterogenität der Bewohnerschaft
impliziere allenfalls eine gewisse Komplexität der Tätigkeit, keinesfalls aber eine
Schwierigkeit, für die ein über die dreijährige Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin
hinausgehendes Fachwissen erforderlich wäre. Die sonderpädagogische
Zusatzqualifikation habe er nur bis September 1999 von allen Erziehern, die in seinen
Einrichtungen Behindertenarbeit ausüben wollten und keine behindertenspezifische
Ausbildung nachweisen konnten, verlangt, da seit diesen Zeitpunkt hinreichend
ausgebildete Heilerziehungspfleger zur Verfügung gestanden hätten. Die Schulung für
den Erwerb der sonderpädagogischen Zusatzqualifikation habe zudem nur fünf Wochen
und fünf Reflexionsstunden umfasst.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass der Klägerin Vergütung nach der Entgeltgruppe
8 zu zahlen ist, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt, dass die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit die
Eingruppierungsvoraussetzungen der Entgeltgruppe 8 erfülle, weil sie Bewohner mit
schweren und schwersten, nicht jedoch mit relativ geringen Behinderungen zu betreuen
habe. Die Voraussetzungen für eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 seien
hingegen nicht gegeben, weil die Fähigkeiten der Klägerin nicht die Anforderungen
einer wissenschaftlichen Ausbildung erfüllten. Dementsprechend sei auch der
Zahlungsanspruch nicht begründet.
35
Gegen diese Entscheidung, die dem Beklagten am 31.08.2010 zugestellt worden ist, hat
der Beklagte am 14.09.2010 Berufung eingelegt und diese am 22.10.2010 begründet.
36
Die Berufungsbegründung ist der Klägerin am 25.10.2010 zugestellt worden. Die
Anschlussberufung der Klägerin ist am 25.11.2010 beim Landesarbeitsgericht
eingegangen.
37
Der Beklagte ist der Ansicht, dass das Arbeitsgericht zu Unrecht festgestellt habe, dass
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der Klägerin eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 8 zustehe. Er macht unter
Vertiefung seines erstinstanzlichen Standpunktes zusätzlich geltend, die Klägerin sei
als Fachkraft in der Behindertenhilfe eingesetzt. Der klassische Ausbildungsberuf hierfür
sei der des Heilerziehungspflegers, sodass diese Ausbildung primär zugrunde zu legen
sei. Somit hätte das Arbeitsgericht herausarbeiten müssen, wie das normale Berufsbild
eines Heilerziehungspflegers gestaltet sei. Hieran fehle es. Die Betreuung der
Bewohner des "Wohnverbundes W6", die geistige Behinderungen unterschiedlicher Art
aufwiesen, sei keine schwierige Aufgabe im Sinne der Anmerkung 14 der Anlage 1 der
AVR.DW-EKD, sondern eine Standardaufgabe für Fachkräfte in solchen
Tätigkeitsfeldern. Dies gelte namentlich auch für die Erstellung von Sozial- und
Verlaufsberichten und die Zusammenarbeit mit externen Ansprechpartnern. Ferner sei
das Vorliegen gleichzeitig vorhandener Behinderungen bei Menschen mit
Behinderungen weit verbreitet. Hinzu komme, dass die Klassifizierung
"Schwerstbehinderung" nicht eindeutig sei und von Fachleuten unterschiedlich
verwandt werde. In der Wohngruppe 6, in der die Klägerin eingesetzt sei, lebten
jedenfalls keine Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen, sodass nach
dem internationalen Klassifizierungssystem ICD 10 keine "Schwerstbehinderungen"
gegeben seien. Im Übrigen lebten Personen mit relativ geringen Behinderungen nicht in
Wohngruppen für Menschen mit Behinderungen. Die Zusammensetzung der
Bewohnerschaft des "Wohnverbundes W6" entspräche der normalen Heterogenität in
Wohneinrichtungen der Eingliederungshilfe. Dies zeige sich auch daran, dass die
Vergütungsvereinbarungen des "Wohnverbundes W6" mit dem Kostenträger nur die
regulären Leistungstypen 9, 10 und 12 und Hilfebedarfsgruppen 1 – 3 umfassten.
Personen mit Autismus und Abhängigkeitserkrankungen dürften nicht betreut werden.
Ferner sei darauf zu verweisen, dass das Richtbeispiel "Erzieherin mit speziellen
Aufgaben und entsprechenden Kenntnissen" wesentlich höhere
Heraushebungsanforderungen als die von ihm in der Vergangenheit verlangte
Zusatzqualifikation stelle. Erforderlich sei eine Weiterbildung von 1,5 bis 3 Jahren in
Vollzeit. Dies stehe aufgrund der Entstehungsgeschichte des fraglichen Richtbeispiels
fest. Solche Erzieher bzw. Heilerziehungspfleger seien zum Beispiel in Intensivgruppen
tätig, in denen Kinder und Jugendliche lebten, die aufgrund von unterschiedlichen
psychischen, physischen und sexuell traumatisierten Lebenserfahrungen sowohl eine
pädagogische als auch eine therapeutische Betreuung benötigten.
Der Beklagte beantragt,
39
das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 30.03.2010 – 1 Ca 2671/09 –
teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
40
Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen und
42
im Wege der Anschlussberufung das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom
30.03.2010 – 1 Ca 2671/09 – teilweise abzuändern und festzustellen, dass
der Beklagte verpflichtet ist, ihr Vergütung aus der Entgeltgruppe 9 AVR.DW-
EKD ab dem 01.07.2007 zu zahlen und
43
den Beklagten zu verurteilen, an sie 440,02 € brutto nebst Zinsen von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.08.2009 zu zahlen.
44
Der Beklagte beantragt,
45
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
46
Die Klägerin verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld unter Vertiefung ihres
erstinstanzlichen Vorbringens, soweit es eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 8
angenommen hat, und führt im Einzelnen aus, welche Behinderungen die von ihr zu
betreuenden Bewohner der Wohngruppe 6 aufwiesen. Untypisch hierbei sei
insbesondere die Beschäftigung mit so vielen verschiedenen Arten von Behinderungen
und Krankheiten, die ihre Arbeit schwierig mache. Der "Normalfall" seien wesentlich
homogener zusammengesetzte Gruppen. Zudem arbeiteten Erzieher überwiegend in
Kinderbetreuungseinrichtungen, so dass in ihrem Fall gegenüber dem normalen
Berufsbild spezielle Aufgaben festzustellen seien. Besondere Problematiken wie
Alkoholismus, Epilepsie, körperliche Behinderungen, Persönlichkeitsstörungen,
Identitätsstörungen, neurotische und psychotische Störungen, Depressionen,
Aggressionen, Autismus usw. würden in ihrem beruflichen Alltag immer wiederkehrend
auftreten. Dementsprechend habe sie vielfältige Fortbildungen absolviert und suche
stets die Fachbibliothek des Beklagten auf, um die ganze Bandbreite der in der
Wohneinrichtung vorkommenden Probleme abdecken zu können. Die fachlichen
Besonderheiten lägen darin, dass sie nicht lediglich pflegend und den Alltag begleitend
tätig werde, sondern sich vielmehr zum Sprachrohr der Bewohner machen müsse, weil
diese hierzu nicht in der Lage seien. Sie schildere anderen Stellen ihre Bewertungen
von Verhaltensweisen der jeweiligen Bewohner, ohne die Entscheidungen nicht
getroffen werden könnten. Ferner müsse sie aufgrund der vielfältigen Formen von
Behinderungen und Krankheitsbildern bei den Bewohnern der Wohngruppe vertiefte
Überlegungen zum eigenen Verhalten, zur Einflussnahme auf andere und zu der
Konzeptionierung kurz-, mittel- und langfristig anzustrebender Ziele anstellen.
47
Zur Anschlussberufung führt die Klägerin aus, dass sie die gleichen Aufgaben wie die
übrigen Fachkräfte mit Fachhochschulabschluss wahrnehme. Mithin folge aus dem
Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ihre Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9.
Darüber hinaus habe sie durch ihre Tätigkeit und ihre Fortbildungen
anwendungsbezogene wissenschaftliche Kenntnisse, die einem wissenschaftlichen
Studiengang entsprächen, erworben. Diese setze sie insbesondere bei der Erstellung
der Sozial- und Verlaufsberichte ein. Sie verantworte diese Berichte, sodass sie ihre
Aufgaben auch verantwortlich wahrnehme.
48
Zur Anschlussberufung hat der Beklagte in der Berufungsverhandlung vorgetragen,
dass die von ihm eingesetzten wissenschaftlichen Mitarbeiter trotz der diesen
gewährten Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 eine der Entgeltgruppe 7
entsprechende Tätigkeit verrichteten und die Bezahlung allein aufgrund der
arbeitsvertraglichen Regelung – Einstellung als Sozialarbeiter – erfolge.
49
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen
Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der Berufungsverhandlung
Bezug genommen.
50
Entscheidungsgründe
51
Auf die Berufung des Beklagten war das angefochtene Urteil unter Zurückweisung der
Anschlussberufung der Klägerin abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
52
I.
53
Die Berufung des Beklagten ist statthaft und insgesamt form- und fristgerecht eingelegt
und begründet worden, §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 b), 66 Abs. 1, 64 Abs. 4 ArbGG, §§
519, 520 ZPO. Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
54
1. Der mit der Berufung angegriffene Klageantrag der Klägerin ist zulässig.
55
Dabei handelt es sich um einen Eingruppierungsfeststellungsantrag, gegen den nach
ständiger Rechtsprechung im Bereich des öffentlichen Dienstes keine
prozessrechtlichen Bedenken bestehen (BAG, 28.01.1998 - 4 AZR 473/96, ZTR 1998,
329). Entsprechendes gilt für Eingruppierungsfeststellungsklagen eines Mitarbeiters
einer kirchlichen Einrichtung (BAG, 19.01.2004 – 4 AZR 10/03, ZTR 2004, 643;
21.05.2003 - 4 AZR 420/02, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 37).
56
2. Der Klageantrag ist jedoch nicht begründet. Das Vorbringen der Klägerin rechtfertigt
nicht die Feststellung, dass der Klägerin Vergütung nach der Entgeltgruppe 8 AVR.DW-
EKD zusteht.
57
a) Für die Eingruppierung der Klägerin ist die Regelung des § 12 AVR maßgeblich.
58
Werden in einem Arbeitsvertrag die jeweiligen Arbeitsvertragsrichtlinien des
Diakonischen Werks in Bezug genommen, so ist davon auszugehen, dass die
Eingruppierung eines Arbeitnehmers sich nach der zutreffenden Vergütungsgruppe
richten soll. Dies gilt auch dann, wenn in einer folgenden Bestimmung des
Arbeitsvertrages auf eine bestimmte Vergütungsgruppe verwiesen wird. Der Verweisung
kommt nur die Bedeutung zu, welche Vergütungsgruppe die Parteien einmal als
zutreffend angesehen haben. Diese Auslegung entspricht auch dem System der AVR.
Danach wird die Vergütung der Mitarbeiter nicht frei vereinbart, sondern der Mitarbeiter
wird nach den Tätigkeitsmerkmalen in die Gruppe eingruppiert, die seiner Tätigkeit das
Gepräge gibt. Dies entspricht im Wesentlichen den üblichen Regelungen in
Tarifverträgen, in denen die Vergütung nicht von einem Eingruppierungsakt des
Arbeitgebers abhängt, sondern sich automatisch nach der von dem Arbeitnehmer
auszuübenden Tätigkeit und entsprechenden Tätigkeitsmerkmalen richtet.
Dementsprechend ist die einzelvertragliche Bezugnahme auf die AVR in der jeweils
gültigen Fassung dahin auszulegen, dass sich damit auch die Eingruppierung des
Arbeitnehmers nach der rechtlich zutreffenden Vergütungsgruppe nach den AVR richten
soll (vgl. BAG, 12.12.1990 – 4 AZR 306/90, ZTR 1991, 199).
59
b) Nach § 12 Abs. 1 S. 1 AVR.DW-EKD "ist die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter nach
den Merkmalen der übertragenen Tätigkeit in die Entgeltgruppe gemäß der Anlage 1
eingruppiert", wobei nach § 12 Abs. 1 S. 2 AVR.DW-EKD die Tätigkeit ausdrücklich
übertragen werden muss. Nach § 12 Abs. 2 AVR.DW-EKD erfolgt die Eingruppierung in
die Entgeltgruppe, deren Tätigkeitsmerkmale die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter erfüllt
und die der Tätigkeit das Gepräge geben. Gemäß § 12 Abs. 3 AVR.DW-EKD ist für die
Eingruppierung nicht die berufliche Ausbildung, sondern ausschließlich die übertragene
Tätigkeit maßgebend. Schließlich regelt § 12 Abs. 4 AVR.DW-EKD, dass sich die
Eingruppierung nach den Obersätzen der Entgeltgruppe richtet, die für die Tätigkeit in
den Untersätzen näher beschrieben werden. Den Sätzen sind dabei Richtbeispiele
zugeordnet, die häufig anfallende Tätigkeiten in dieser Eingruppierung benennen.
60
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Kammer folgt,
richtet sich die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages, der die tariflichen
Eingruppierungsvoraussetzungen regelt, nach den für die Auslegung von Gesetzen
maßgeblichen Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der
maßgebliche Sinn der Regelung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei
einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu
berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Regelungen seinen Niederschlag gefunden
hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser
Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der
Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie
Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung
an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages,
ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität
denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt
derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten,
zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, 18.04.2007 – 4 AZR
77/06, Juris; 26.01.2005 – 4 AZR 6/04, ZTR 2005, 640). Diese Grundsätze der
Tarifauslegung gelten auch für die Auslegung von Arbeitsvertragsrichtlinien, obwohl es
sich dabei nicht um normativ wirkende Tarifregelungen handelt, sondern um
Kollektivvereinbarungen besonderer Art, die auf die Arbeitsverhältnisse der bei
kirchlichen Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer lediglich auf Grund
arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung finden (vgl. BAG, 18.04.2007 – 4 AZR
77/06, Juris; 26.07.2006 – 7 AZR 515/05, NZA 2007, 34; 14.01.2004 – 10 AZR 188/03,
ZTR 2004, 368).
61
bb) In Anwendung dieser Grundsätze sind nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts die allgemeinen Merkmale einer Vergütungsgruppe
grundsätzlich erfüllt, wenn der Arbeitnehmer eine Tätigkeit ausübt, die als Regel-, Richt-
oder Tätigkeitsbeispiel zu dieser Vergütungsgruppe genannt ist (vgl. BAG, 22.06.2005 -
10 ABR 34/04 - NZA-RR 2006, 23; 19.08.2004 - 8 AZR 375/03 - EzA TVG § 4
Chemische Industrie Nr. 7). Die Tarifvertragsparteien bringen mit Tätigkeitsbeispielen
erkennbar ihre Auffassung zum Ausdruck, dass die dort angeführten Tätigkeiten
vorangestellte allgemeine Tätigkeitsmerkmale erfüllen. Dieses Verständnis entspricht
auch den bei der Tarifauslegung besonders wichtigen Grundsätzen der Rechtsklarheit
und Rechtssicherheit, denen die Tarifvertragsparteien bei der Abfassung von
Tarifnormen gerecht werden wollen. Wird die vom Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit
von einem Tätigkeitsbeispiel nicht oder nicht voll erfasst, muss grundsätzlich auf die
allgemeinen Merkmale zurückgegriffen werden. Dies gilt auch, wenn die
Tätigkeitsbeispiele ihrerseits unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten; die unbestimmten
Rechtsbegriffe sind dann im Lichte der Oberbegriffe auszulegen. Allerdings kann sich
aus dem Wortlaut oder dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergeben, dass die von
den Tarifvertragsparteien genannten Beispielstätigkeiten nur der Erläuterung des
abstrakten Tätigkeitsmerkmals dienen sollen und allein noch nicht ausreichen, den
Anforderungen des abstrakten Tätigkeitsmerkmals zu genügen (vgl. BAG, 18.04.2007 –
4 AZR 77/06, Juris). Diese Grundsätze sind auch bei der Auslegung der
Eingruppierungsbestimmungen der Arbeitsvertragsrichtlinien anzuwenden (vgl. BAG,
13.11.1996 – 4 AZR 292/95, ZTR 1997, 272; 12.12.1990 – 4 AZR 306/90, ZTR 1991,
199; Kirchengerichtshof für die Evangelische Kirche in Deutschland, 12.04.2010 –
I0124/R55-09, Juris; 01.09.2009 – I-0124/R26/09).
62
cc) Die in den Entgeltgruppen 7, 8 und 9 der Anlage 1 zu § 12 AVR.DW-EKD genannten
Beispiele dienen nicht nur der Erläuterung der unbestimmtem Tätigkeitsmerkmale bzw.
der Obersätze, sondern rechtfertigen die Vergütung nach der Entgeltgruppe, der sie
zugeordnet sind, ohne dass die allgemeinen Merkmale oder Obersätze zu prüfen sind.
Demensprechend ist auch bei der Eingruppierung nach den Arbeitsvertragsrichtlinien
zunächst zu prüfen, ob die dem Arbeitnehmer übertragene Tätigkeit von einem
Richtbeispiel erfasst wird. Nur in den Fällen, in denen die Tätigkeit von dem
Richtbeispiel nicht oder nicht voll erfasst wird, ist auf die allgemeinen Merkmale
zurückzugreifen (vgl. BAG, 12.12.1990, a.a.O.; Kirchengerichtshof der Evangelischen
Kirche in Deutschland, 12.04.2010 und 01.09.2009, a.a.O.; 08.12.2008, II-0124/P52-08,
ZMV 2009, 160).
63
(1) Vorliegend ist die Klägerin jedenfalls als Erzieherin tätig und als solche nach dem
Arbeitsvertrag vom 01.04.1993 ausdrücklich eingestellt worden, sodass ihr diese
Tätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 S. 2 AVR.DW-EKD ausdrücklich übertragen worden
ist (vgl. dazu auch Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland,
01.09.2009, a.a.O.).
64
(2) Die Tätigkeit als Erzieherin wird als Richtbeispiel für die Vergütung nach der
Vergütungsgruppe 7 der Anlage 1 zu § 12 AVR.DW-EKD ausdrücklich genannt, so dass
jedenfalls die Eingruppierungsvoraussetzungen dieser Vergütungsgruppe nach dem
Willen der "Tarifvertragsparteien" erfüllt sind mit der Folge, dass insoweit die
allgemeinen Merkmale weder herangezogen noch geprüft werden müssen (vgl. BAG,
13.11.1996, a.a.O.; 12.12.1990, a.a.O.; Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in
Deutschland, 12.04.2010 und 01.09.2009, a.a.O.).
65
(3) Der Vortrag der Klägerin ermöglicht hingegen nicht die Wertung, dass sie als
Erzieherin mit speziellen Aufgaben und entsprechenden Fachwissen tätig ist und damit
ihre Tätigkeit die Eingruppierungsmerkmale der Entgeltgruppe 8 erfüllt.
66
(a)Da das Richtbeispiel "Erzieherin mit speziellen Aufgaben und entsprechenden
Kenntnissen" unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, ist dieses Richtbeispiel zunächst im
Lichte des Untersatzes auszulegen. Diese Auslegung ergibt, dass der Unterschied
zwischen dem Richtbeispiel "Erzieherin" und "Erzieherin mit speziellen Aufgaben und
entsprechenden Kenntnissen" darin liegt, dass Erzieher Aufgaben in dem
Tätigkeitsbereich Erziehung erledigen, während Erzieher mit speziellen Aufgaben und
entsprechenden Kenntnissen schwierige Aufgaben im Bereich der Erziehung
wahrnehmen. Denn insoweit unterscheiden sich die Untersätze der Entgeltgruppe 7 und
8. Mithin sind schwierige von normalen Aufgaben einer Erzieherin abzugrenzen.
Schwierige Aufgaben sind dabei nach der in Bezug genommenen Anmerkung 14
solche, die fachliche, organisatorische, rechtliche oder technische Besonderheiten
aufweisen, die vertiefte Überlegung und besondere Sorgfalt erfordern. Sie müssen also
Anforderungen stellen, die über die üblichen Anforderungen, die der Beruf einer
Erzieherin mit sich bringt, hinausgehen. Denn Besonderheiten liegen vor, wenn etwas
Anders ist, eine gewisse Eigenart, eigene Merkmale besitzt, wobei Ausgangspunkt der
Beurteilung das angesprochene Berufsbild ist (Kirchengerichtshof für die Evangelische
Kirche in Deutschland, 08.12.2008, a.a.O.; BAG, 02.08.2006 – 10 ABR 48/05, NZA-RR
2007, 554 zu Spezialaufgaben). Das Berufsbild der Erzieherin deckt den Bereich der
Tätigkeit in Wohnheimen für Menschen mit Behinderung ab. Das Berufsbild des
Erziehers beschreibt die Bundesagentur für Arbeit so, dass Erzieher in Wohnheimen für
Menschen mit Behinderung tätig sind, und dass sich der Ausbildungsinhalt u.a. damit
67
beschäftigt, welche Grundprobleme und Aufgabenbereiche der Heil-, Sonder- und
Heimpädagogik es gibt (vgl. berufenet.arbeitsagentur.de). Auch das
Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 18.05.1983 (4 AZR 539/80, AP
Nr. 74 zu §§ 22, 23 BAT 1975) ausgeführt, dass man unter einem Erzieher jemanden
versteht, der in Einrichtungen für behinderte Kinder diese sozialpädagogisch und
fürsorgerisch-bewahrend zu betreuen habe. Allerdings ist der Klägerin zuzugeben, dass
Erzieher nicht überwiegend in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung arbeiten,
sondern in der Betreuung und Förderung von Kindern und Jugendlichen. Dieser
Gesichtspunkt ist aus Sicht der Kammer jedoch nicht ausreichend, um annehmen zu
können, dass ein Erzieher, der nicht mit Kindern und Jugendlichen, sondern in einer
Einrichtung für Menschen mit Behinderung arbeitet, Vergütung nach der Entgeltgruppe 8
zu erhalten hat. Entscheidend hierfür ist neben dem Gesichtspunkt, dass die Arbeit mit
Menschen mit Behinderung auch zum Berufsbild des Erziehers gehört, ein
systematisches Argument. Da sich neben dem in der Entgeltgruppe 8 genannten
Richtbeispiel der "Erzieherin mit speziellen Aufgaben und entsprechenden
Kenntnissen" das Richtbeispiel der "Heilerziehungspflegerin mit speziellen Aufgaben
und entsprechenden Kenntnissen" findet, ist bei der Beurteilung, was schwierige
Aufgaben im Sinne dieser Entgeltgruppe sind, nicht nur auf das Berufsbild der
Erzieherin, sondern auch auf das Berufsbild des Heilerziehungspflegers abzustellen.
Dies hat folgenden Grund: Der Heilerziehungspfleger ist nach der
Berufsbildbeschreibung der Bundesagentur für Arbeit für die pädagogische und
pflegerische Betreuung und Versorgung von Menschen mit körperlicher, geistiger und
seelischer Behinderung zuständig und arbeitet vorwiegend in Einrichtungen zur
Eingliederung und Betreuung von Menschen mit Behinderung
(berufenet.arbeitsagentur.de). Dies bedeutet, dass die Arbeit mit Menschen mit
Behinderung dem normalen Berufsbild des Heilerziehungspflegers entspricht. Würde
man nun dem Argument der Klägerin, Erzieher arbeiteten in erster Linie mit Kindern und
Jugendlichen, so dass Erzieher, die mit Menschen mit Behinderung arbeiten, schwierige
Aufgaben erbringen würden, folgen, so würde dies in Einrichtungen wie dem
"Wohnverbund W6" dazu führen, dass Heilerziehungspfleger, obwohl sie die
einschlägigere Berufsausbildung aufweisen, nach einer niedrigeren Vergütungsgruppe
zu bezahlen wären, als Erzieher, die im Vergleich zu Heilerziehungspflegern über eine
weniger einschlägige Berufsausbildung verfügen. Hierin liegt nach Auffassung der
Kammer ein Wertungswiderspruch, der erhellt, dass allein aus der Arbeit mit Menschen
mit Behinderung nicht folgt, dass eine Erzieherin spezielle Aufgaben wahrnimmt. Da die
Begriffe "spezielle Aufgaben und entsprechende Kenntnisse" bzw. "schwierige
Aufgabe" bzw. "Besonderheiten" nicht eindeutig sind, hat dieses systematische
Argument entscheidendes Gewicht (BAG, 08.03.2006 – 10 AZR 129/05, NZA 2007,
159). Mithin reicht allein der Umstand, dass die Klägerin als Erzieherin mit Menschen
mit Behinderung arbeitet, nicht aus, um Vergütung nach der Entgeltgruppe 8 verlangen
zu können.
(b) Somit kann eine Eingruppierung der Klägerin in die Entgeltgruppe 8 nur dann
angenommen werden, wenn die Klägerin hätte darlegen und ggfls. beweisen können,
mit welchen konkreten Tätigkeiten und Aufgabenstellungen sie sich im Sinne der
benannten Voraussetzungen der Entgeltgruppe 8 von Tätigkeiten einer Erzieherin der
Entgeltgruppe 7 abhebt. Ein entsprechend substantiierter Vortrag der Klägerin fehlt
jedoch hierzu.
68
(aa) Die zur Akte gereichte Stellenbeschreibung enthält keine Besonderheiten im
Vergleich zu den Tätigkeiten einer Erzieherin in Entgeltgruppe 7. Die aufgeführten
69
Befugnisse und Kompetenzen, wie zum Beispiel Mithilfe bei Entscheidungsfindung oder
Erledigung von Schriftverkehr, ersetzen keinen substantiierten Sachvortrag. Mithin kann
dahinstehen, ob diese Stellenbeschreibung aus Mai 1995 verbindlich ist und seit 2000
überhaupt noch angewendet wird.
(bb) Die von der Klägerin gesondert erwähnten Aufgaben der Erstellung der Sozial- und
Verlaufsberichte und der Grund- und Behandlungspflege führen ebenfalls zu keiner
anderen Beurteilung. Die Zusammenarbeit mit einschlägigen Institutionen und das
entsprechende Berichtswesen gehören zur Ausbildung der Heilerziehungspfleger und
entsprechen somit diesem Berufsbild. Gleiches gilt für die Grund- und
Behandlungspflege. Dies belegen die Richtlinien und Lehrpläne zur Erprobung für die
Fachschulen des Sozialwesens, Fachrichtung Heilerziehungspflege (7602/2800,
veröffentlicht im Amtsblatt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes
NRW Nr. 6/08). Dieser Lehrplan ist für den Zeitraum vom 01.08.2008 bis zum Ende des
Schuljahres 2012/2013 in Kraft. Der Namensbestandteil "zur Erprobung" bedeutet also
entgegen der Ansicht der Klägerin nicht, dass diese nicht verbindlich sind, sondern nur
dass sie sich noch in der Erprobungsphase unter Beteiligung der Berufskollegs
befinden. Unter 2.3 der Richtlinien ist geregelt, dass Kompetenzen in der erweiterten
Grund- und Behandlungspflege vermittelt werden. Unter 2.1 heißt es, dass die
Heilerziehungspfleger den Hilfebedarf des Menschen mit Behinderung ermitteln.
Entsprechend sind die Modelle und Verfahren klientenbezogener Hilfeplanung Teil des
Unterrichts (vgl. 2.7.2, Lernfeld 3). Bei diesen Lerninhalten handelt es ich um
Unterrichtsbestandteile, die jedem Heilerziehungspfleger vermittelt werden (vgl.
Übersicht zu den Lernfeldern unter 2.7.1). Schließlich kann nicht unbeachtet bleiben,
dass der Sozial- und Verlaufsbericht ein vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe
entworfenes Formular ist, aufgrund dessen er die Entscheidungen zur weiteren
Leistungsgewährung trifft und dem der Landschaftsverband mehrere Seiten
Erläuterungen beigefügt hat. Es handelt sich also nicht um einen Bericht, dessen
Ausfüllen per se vertiefte Überlegung und besondere Sorgfalt erfordert.
70
(cc) Der Qualifizierungslehrgang "e-Motion" reicht ebenfalls nicht aus, um annehmen zu
können, dass die Klägerin spezielle Aufgaben mit entsprechenden Kenntnissen
wahrzunehmen hat. Die Klägerin führt nicht aus, wieso in diesem Lehrgang eindeutig
Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden, die deutlich über die vorausgesetzte
Ausbildung hinausgehen, sondern belässt es bei dieser Behauptung. Dagegen spricht
schon der Zeitraum von fünf Jahren, über den sich der Lehrgang erstreckte. Wenn die
vermittelten Inhalte so wesentlich für die Aufgabenbewältigung wären, würden diese
den Mitarbeitern zeitnaher angeboten werden, um kurzfristig eine ordnungsgemäße
Aufgabenerfüllung erzielen zu können. Ferner deuten die als Lehrgangsinhalt
aufgeführten Überschriften nicht zwingend darauf hin, dass durch sie mehr Wissen als
durch eine Ausbildung vermittelt wird. Hinzu kommt, dass auch insoweit zu beachten ist,
dass die entsprechenden Kenntnisse für die speziellen Aufgaben nicht nur für Erzieher,
sondern auch für Heilerziehungspfleger speziell sein müssen. Die Ausbildung der
Heilerziehungspfleger hat aber gerade die pädagogische Betreuung von Menschen mit
Behinderung zum Inhalt.
71
(dd) Soweit die Klägerin die Besonderheiten daraus ableitet, dass es sich bei den
Bewohnern des "Wohnverbundes W6" nicht um Kinder und Jugendliche, sondern um
Erwachsene handelt, vermag die Kammer diesem Argument nicht zu folgen. Es
widerspricht dem systematischen Argument, das daraus folgt, dass in der Entgeltgruppe
8 neben dem Richtbeispiel des Erziehers auch das Richtbeispiel des
72
Heilerziehungspflegers mit speziellen Aufgaben und entsprechenden Kenntnissen
genannt ist. Da aber der Heilerziehungspfleger für die Arbeit mit Menschen mit
Behinderungen, also mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Behinderungen
ausgebildet wird, gehört die Arbeit mit Erwachsenen mit Behinderungen zum normalen
Berufsbild des Heilerziehungspflegers. Dies bedeutet, dass es sich hierbei nicht um
eine spezielle Aufgabe im Sinne der Entgeltgruppe 8 handelt. Auch der Hinweis auf die
Vielzahl unterschiedlicher psychischer Behinderungen, psychiatrischer Erkrankungen
und Störungen, also die Heterogenität der Wohngruppe reicht nicht aus, um annehmen
zu können, dass der Klägerin Vergütung nach der Entgeltgruppe 8 zusteht. Denn bei der
Heilpädagogik geht es gerade um die individuelle Förderung eines jeden Menschen mit
Behinderung nach seiner spezifischen Behinderung und Persönlichkeit, die auch bei
Menschen mit Behinderungen selten identisch sein dürfte (vgl. BAG, 06.12.1989 - 4
AZR 450/89, ArbuR 1991, 63 m.w.N.). Des Weiteren hätte die Klägerin durch
entsprechenden Tatsachenvortrag verdeutlichen müssen, was unter wesentlich
homogener zusammengesetzten Gruppen zu verstehen ist. Denn nur so hätte die
Kammer die von der Klägerin gezogene Wertung, sie erledige wegen der heterogenen
Zusammensetzung der von ihr zu betreuenden Bewohner schwierige Aufgaben,
nachvollziehen können. Dies ist erforderlich, weil nicht die Klägerin, sondern die
Kammer anhand des klägerischen Tatsachenvortrags die erforderlichen Wertungen zu
treffen hat. Hinzu kommt, dass der Beklagte in diesem Zusammenhang vorgetragen hat,
dass die Vergütungsvereinbarungen des "Wohnverbundes W6" mit dem Kostenträger
nur die regulären Leistungstypen und Hilfebedarfsgruppen umfassten. Dies hat die
Klägerin zwar mit Nichtwissen bestritten. Da sie aber im Eingruppierungsprozess die
Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. BAG, 27.08.2008 - 4 AZR 484/07, NZA-RR 2009,
264), kann ihr dieses Bestreiten mit Nichtwissen nicht dazu verhelfen, dass festzustellen
ist, dass ihr Vergütung nach der Entgeltgruppe 8 zusteht. Vielmehr ließe sich zum
Beispiel aus einer Tätigkeit in Intensivgruppen mit einer 1:1 Betreuung oder der
Tätigkeit in geschlossenen Einrichtungen mit besonderen Kostenträgervereinbarungen
eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 8 ableiten. Entsprechendes Vorbringen der
Klägerin fehlt aber.
(ee) Aus der Beschreibung der Klägerin, welche Behinderungen die von ihr betreuten
Bewohner aufweisen, folgt ebenfalls nicht, dass sie in die Entgeltgruppe 8
einzugruppieren ist. Denn die von ihr dargestellten Behinderungen widersprechen der
Darstellung des Beklagten in entscheidenden Punkten nicht. Die Klägerin führt zwar
aus, dass sie einen Menschen mit autistischer Symptomatik betreut. Dies bedeutet aber
nicht, dass dieser Mensch an Autismus erkrankt ist. Das Vorbringen, dass Frau H. und
Herr C. ein extremes Suchtverhalten und Abhängigkeitssyndrom bzw. eine
Suchtproblematik zeigten, lässt im Dunkeln, welche Abhängigkeitserkrankung vorliegen
soll. Dies wäre aber erforderlich gewesen, weil der Beklagte ausgeführt hat, dass
Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen nicht im "Wohnverbund W6" betreut werden
dürfen.
73
In diesem Zusammenhang wird abschließend klarstellend darauf hingewiesen, dass die
Klägerin aus Sicht der Kammer nicht etwa einfache Arbeiten zu erledigen hat, sondern
vielmehr täglich eine anstrengende, anspruchsvolle und verantwortungsvolle
Arbeitssituation vorfindet und zum Wohl der Menschen mit Behinderung zu bewältigen
hat. Andererseits ist aber zu bedenken, dass dies auch für andere Erzieher und
Heilerziehungspfleger in Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung gilt, so
dass das Eingruppierungsmerkmal "schwierige Aufgabe" zusätzliche Komponenten
verlangt, die aus dem Vorbringen der Klägerin nicht abgeleitet werden können.
74
II.
75
Die Anschlussberufung der Klägerin ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
76
1. Die Anschlussberufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere angesichts der
Zustellung der Berufungsbegründung des Beklagten an die Klägerin am 25.10.2010 und
des Eingangs der Anschlussberufung bei dem Berufungsgericht am 25.11.2010
rechtzeitig eingelegt, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO und begründet
worden, § 524 Abs. 3 ZPO. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
77
2. Der Vortrag der Klägerin ermöglicht nicht die Wertung, dass ihre Tätigkeit die
Eingruppierungsmerkmale der Entgeltgruppe 9 erfüllt und ihr somit die geltend
gemachte Gehaltsdifferenz zusteht.
78
a) Die Klägerin beruft sich selbst nicht darauf, dass sie ein Richtbeispiel der
Entgeltgruppe 9 erfüllt. Dies ist auch nicht der Fall, weil der Klägerin weder die Tätigkeit
einer Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin noch einer Heilpädagogin ausdrücklich
übertragen worden ist.
79
b) Somit kann eine Eingruppierung der Klägerin in die Entgeltgruppe 9 nur dann
angenommen werden, wenn die Klägerin hätte darlegen und ggfls. beweisen können,
durch welche konkreten Tätigkeiten und Aufgabenstellungen sie die Voraussetzungen
der Entgeltgruppe 9 erfüllt. Ein entsprechend substantiierter Vortrag der Klägerin ist
nicht gegeben.
80
aa) Eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 erfordert in den Tätigkeitsbereichen
Pflege/Betreuung/Erziehung die Erbringung verantwortlich wahrzunehmender
Aufgaben. Diese sind nach Satz 1 der Anmerkung 8 der Anlage 1 so zu definieren, dass
sie anwendungsbezogene wissenschaftliche Kenntnisse voraussetzen, die i.d.R. durch
eine Fachhochschulausbildung oder durch einen Bachelorabschluss, aber auch
anderweitig erworben werden können. Dies zeigt, dass sich das fachliche
Anforderungsniveau der Entgeltgruppe 9 grundsätzlich an einer abgeschlossenen
Fachhochschulausbildung orientiert. Des Weiteren bedeutet verantwortlich
wahrgenommen nach Satz 1 der Anmerkung 8 der Anlage 1, dass Ziele und die dazu
benötigten Lösungswege z.B. durch Konzeptentwicklung selbständig erarbeitet und
entschieden werden.
81
bb) Die Klägerin hätte also zunächst substantiiert darlegen müssen, auf welche Art und
Weise sie die erforderlichen wissenschaftlichen Kenntnisse erworben hat. Hieran fehlt
es, weil die Klägerin lediglich vorgetragen hat, dass sie diese Kenntnisse in der
Einrichtung, durch Fortbildungen und das Studium wissenschaftlicher Literatur erworben
habe. Durch diesen Vortrag ermöglicht die Klägerin der Kammer nicht die erforderliche
Wertung, ob sie die benötigten Kenntnisse anderweitig erworben hat. Vielmehr
erschöpft sich der Vortrag der Klägerin in der entsprechenden Behauptung, ohne auch
nur anzuführen, welche Literatur sie auf welche Weise studiert hat. Hinzu kommt, dass
die einzige von der Klägerin konkreter dargestellte Fortbildung, nämlich der Lehrgang
"e-Motion" nach den Lehrgangsinhalten nicht mit einem Studium zu vergleichen ist. Dies
gilt sowohl hinsichtlich seines Umfangs als auch jedenfalls hinsichtlich eines Teils
seiner Inhalte, wie zum Beispiel "Ausbildung in Erster Hilfe". Inwieweit bei den übrigen
Inhalten wissenschaftliche Kenntnisse vermittelt worden sein sollen, hätte die Klägerin
82
ausführen müssen, weil sich dies keinesfalls von selbst aufdrängt, wie zum Beispiel die
Überschriften "Kommunikation mit Angehörigen" und "Wenn Menschen mit geistigen
Behinderungen trauern" belegen. Auch bezüglich der Behauptung, die Ausbildung als
Erzieherin sei mit einem Bachelor-Studiengang in Erziehungswissenschaften
gleichzusetzen, lässt die Klägerin jegliche Konkretisierung vermissen. Dies wäre aber
erforderlich gewesen, weil eine Ausbildung und ein Studium unterschiedliche
Berufsqualifikationen sind, deren Gleichwertigkeit die Klägerin hätte verdeutlichen
müssen. Darüber hinaus hat die Klägerin weder ausgeführt, auf welche Weise sie Ziele
und die dazu benötigten Lösungswege, z.B. durch Konzeptentwicklung selbständig
erarbeitet und entscheidet, noch wieso diese Tätigkeiten ihrer Arbeit entsprechend § 12
Abs. 2 AVR.DW-EKD das Gepräge geben. Die Erstellung der Sozial- und
Verlaufsberichte, also das Ausfüllen der Formulare des Landschaftsverbands reicht
hierfür nicht aus.
3. Die Klägerin hat sich des Weiteren darauf berufen, dass sie die gleiche Tätigkeit wie
die Mitarbeiter mit wissenschaftlicher Ausbildung, die in die Entgeltgruppe 9
eingruppiert seien, ausübe und ihr somit die begehrte Eingruppierung und die
Gehaltsdifferenz nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zustehe.
83
a) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet sowohl die sachfremde
Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in
vergleichbarer Lage als auch die sachfremde Differenzierung zwischen Arbeitnehmern
einer bestimmten Ordnung. Sachfremd ist eine Differenzierung, wenn es für die
unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt, wenn die Regelung
also für eine am Gleichheitsgedanken orientierte Betrachtungsweise als willkürlich
anzusehen ist. Im Bereich der Vergütung gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz zwar nur
eingeschränkt, weil der Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang hat. Anders ist dies
hingegen, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem erkennbar generalisierenden
Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung gewährt. Von einer solchen Regelung darf
er lediglich aus sachlichen Gründen Arbeitnehmer ausnehmen. Der arbeitsrechtliche
Gleichbehandlungsgrundsatz greift jedoch nur ein bei einem gestaltenden Verhalten
des Arbeitgebers, hingegen nicht beim bloßen - auch vermeintlichen - Normenvollzug
(BAG, 18.11.2009 - 4 AZR 498/08, ZTR 2010, 301; 27.08.2008, a.a.O.; 06.06.2007 - 4
AZR 382/06, EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 15). Deshalb gibt es keinen Anspruch auf
"Gleichbehandlung im Irrtum" (BAG, 02.08.2006 - 10 AZR 572/05, EzA BetrVG 2001 §
75 Nr. 3). Anders verhält es sich, wenn der Arbeitgeber nach Kenntnis von seinem Irrtum
die bis dahin ohne Rechtsgrund erbrachten Leistungen weitergewährt und rechtlich
mögliche Rückforderungsansprüche nicht geltend macht. Ab diesem Zeitpunkt erbringt
er bewusst zusätzliche freiwillige Leistungen. Dann muss er die vergleichbaren
Arbeitnehmer gleich behandeln. Stellt er hingegen die rechtsgrundlosen Zahlungen
alsbald nach Kenntniserlangung von seinem Irrtum ein und ergreift rechtlich mögliche
Maßnahmen zur nachträglichen Korrektur seines Irrtums, ist für die Anwendung des
arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes kein Raum (BAG, 26.11.1998 - 6
AZR 335/97, BAGE 90, 219).
84
b) Unter Beachtung dieser Grundsätze kann die Klägerin sich nicht auf den
arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen, selbst wenn die
wissenschaftlichen Mitarbeiter bei gleicher Tätigkeit seit dem 01.07.2007 nach der
Entgeltgruppe 9 entlohnt werden.
85
aa) Die Klägerin behauptet nicht, der Beklagte vergüte die genannten Arbeitnehmer
86
bewusst "übertariflich". Auch nach ihrer Darstellung handelt es sich bei deren
Eingruppierung lediglich um einen Normenvollzug durch den Beklagten. Demzufolge
besteht kein Anspruch auf Gleichbehandlung.
bb) Es liegt auch kein Ausnahmefall einer bewussten freiwilligen Leistung durch die
Weitergewährung einer als zu hoch erkannten und bislang irrtümlich gewährten
Vergütungszahlung vor. Die Klägerin hat Entsprechendes nicht behauptet. Der Beklagte
hat sich zudem darauf berufen, dass die wissenschaftlichen Mitarbeiter trotz der
Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 eine der Entgeltgruppe 7 entsprechende Tätigkeit
verrichteten und die Bezahlung allein aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelung –
Einstellung als Sozialarbeiter – erfolge. Mithin hat der Beklagte bislang keine Kenntnis
von einer möglicherweise irrtümlichen Eingruppierung der anderen Arbeitnehmer,
sondern hält die Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 wegen der geschlossenen
Arbeitsverträge für zutreffend.
87
III.
88
Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
89
IV.
90
Die Revisionszulassung folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
91
Dem Rechtsstreit ist zur Überzeugung der Kammer grundsätzliche Bedeutung
beizumessen, da der zu behandelnde Eingruppierungskatalog landesübergreifend für
die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Diakonischen W5 der
Evangelischen Kirche in Deutschland zu berücksichtigen ist.
92