Urteil des LAG Hamm vom 27.10.2010

LArbG Hamm (vermögensrechtliche streitigkeit, teilnahme, antragsteller, arbeitsgericht, höhe, seminar, streitgegenstand, gkg, beschwerde, antrag)

Landesarbeitsgericht Hamm, 10 Ta 467/10
Datum:
27.10.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 Ta 467/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Paderborn, 4 BV 1/10
Schlagworte:
Gegenstandswert im Beschlussverfahren; vermögensrechtliche
Streitigkeit; Freistel-lung zur Teilnahme an Schulungsveranstaltung;
identischer Streitgegenstand; Haupt- und Hilfsantrag
Normen:
§§ 23, 33 Abs. 3 RVG, § 45 Abs. 1 GKG, § 5 ZPO, §§ 37 Abs. 6, 40 Abs.
1 BetrVG
Leitsätze:
Bei dem Antrag des Betriebsrats auf Freistellung eines
Betriebsratsmitglieds unter Fortzahlung der Vergütung zwecks
Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung handelt es sich um eine
vermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 23 Abs. 3 RVG.
Tenor:
Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antrasteller gegen
den Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 08.06.2010 – 4 BV
1/10 – wird zurückgewiesen.
Die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller haben die Kosten des
Beschwerdeverfahrens in Höhe einer Gebühr von 40,00 € zu tragen.
Gründe:
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I.
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Im Ausgangsverfahren haben die Beteiligten über die Freistellung von zwei
Betriebsratsmitgliedern für die Teilnahme an einer in E5 stattfindenden
Schulungsveranstaltung über "Aktuelle Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts"
gestritten. Streitpunkt war insbesondere, ob die Teilnahme der Betriebsratsmitglieder an
dieser Schulungsveranstaltung erforderlich war. Im Laufe des Verfahrens haben die
Antragsteller ihre Anträge jeweils auf weitere, jeweils noch in der Zukunft liegende
Schulungsveranstaltungen erweitert, nachdem die Betriebsratsmitglieder an den
ursprünglichen Schulungsveranstaltungen aus Kostengründen nicht teilgenommen
hatten. Insoweit haben die Antragsteller neben der Freistellung für bestimmte
Schulungsveranstaltungen auch die Übernahme der Seminarkosten und die
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Feststellung verlangt, dass das jeweils begehrte Seminar als "erforderlich" im Sinne des
§ 37 Abs. 6 BetrVG anzusehen ist. Auf die erstinstanzlich gestellten Anträge wird
insoweit Bezug genommen.
Durch Beschluss vom 26.01.2010 hat das Arbeitsgericht die Anträge abgewiesen. Die
hiergegen von den Antragstellern eingelegte Beschwerde wurde inzwischen durch
Beschluss vom 17.09.2010 – 10 TaBV 26/10 – zurückgewiesen. Der Beschluss vom
17.09.2010 ist noch nicht rechtskräftig.
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Auf Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats hat das Arbeitsgericht
durch Beschluss vom 08.06.2010 den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit
auf 4.855,13 € festgesetzt und dabei die Seminargebühren für zwei
Betriebsratsmitglieder in Höhe von jeweils 1.178,10 €, die Kosten für fünf
Übernachtungen á 133,00 € pro Betriebsratsmitglied sowie die für das Wochenseminar
anfallenden Vergütungsansprüche der betroffenen Betriebsratsmitglieder in Höhe von
549,00 € und 619,93 € in Ansatz gebracht.
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Gegen diesen Beschluss haben die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller am
15.07.2010 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt, der das Arbeitsgericht
nicht abgeholfen hat.
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Die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller sind der Auffassung, der Wert des
Gegenstands sei mit 4.855,13 € zu niedrig festgesetzt. Erstinstanzlich seien fünf
Klageanträge gestellt worden, wobei jeweils Hilfsanträge angeschlossen gewesen
seien. Bei der Bewertung des Gegenstandes der Klageanträge sei zu berück-sichtigen,
dass aufgrund der gestellten Anträge jeweils unterschiedliche Seminarteilnahmetermine
zu beurteilen seien. Die Klageanträge für die zurückliegenden Seminare seien auch
nicht für erledigt erklärt worden, sodass sie mit unterschiedlichen Streitwerten zu
berücksichtigen seien. Die Erforderlichkeit der Semianteilnahme sei pro
Betriebsratsmitglied mindestens auf 500,00 € zu beziffern.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Verfahrensakten Bezug
genommen.
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II.
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Die nach § 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der
Antragsteller ist unbegründet.
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Zu Recht hat das Arbeitsgericht den Gegenstandswert gemäß § 23 RVG für das
Ausgangsverfahren auf 4.855,13 € festgesetzt.
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1. Zutreffend ist das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss davon aus-
gegangen, dass es sich bei dem Ausgangsverfahren um eine vermögensrechtliche
Streitigkeit gehandelt hat. Zu Recht hat es daher den Gegenstandswert nach den
entstehenden Seminarkosten, den Übernachtungskosten für zwei Betriebsratsmitglieder
und der Vergütung für zwei Betriebsratsmitglieder für fünf Tage, die der Höhe nach
unstreitig ist, bemessen.
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Die Beteiligten haben im Ausgangsverfahren um die Freistellung für zwei
Betriebsratsmitglieder für die Teilnahme an einer einwöchigen Schulungsveranstaltung
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unter Fortzahlung der Vergütung gestritten. Auch wenn es sich bei den Anträgen zu 1.
und 4. nicht um einen bezifferten Zahlungsantrag gehandelt hat, hatten die insoweit
gestellten Anträge vermögensrechtlichen Charakter. Auch Ansprüche aus
nichtvermögensrechtlichen Verhältnissen können vermögensrechtlichen Charakter
haben, nämlich wenn sie eine vermögenswerte Leistung zum Gegenstand haben
(Hillach/Rohs, Handbuch des Streitwerts von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, 7. Aufl.,
§ 9 A. 1. a; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12. Aufl., Rn. 4157 m.w.N.). Eine
vermögensrechtliche Streitigkeit liegt schon dann vor, wenn in erheblichem Umfang
wirtschaftliche Zwecke verfolgt werden (BAG 24.02.1092 – 5 AZR 347/80 – AP ArbGG
1979 § 64 Nr. 3; BAG 28.09.1989 – 5 AZB 8/89 – AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 14; LAG
Hamm 12.06.2001 – 10 TaBV 50/01 – LAGE BRAGO § 8 Nr. 50 = NZA-RR 2002, 472;
LAG Hamm 28.04.2005 – 10 TaBV 35/05 – NZA-RR 2005, 436).
Insoweit war vorliegend bei den Anträgen auf Freistellung der Betriebsratsmitglieder
zwecks Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung von einer vermögensrechtlichen
Streitigkeit auszugehen. Die begehrte Freistellung zur Teilnahme an einer bestimmten
Schulungsveranstaltung "unter Fortzahlung des Entgelts" stellt einen Vermögenswert
dar, weil die Betriebsratsmitglieder zum Zwecke der Teilnahme an einer bestimmten
Schulungsveranstaltung von ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung zur Arbeitsleistung
befreit werden sollen, ohne die entsprechenden arbeitsvertraglichen
Vergütungsansprüche zu verlieren. Streitgegenstand der insoweit gestellten Anträge ist
gerade die bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung. Bei diesem
Freistellungsanspruch handelt es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit (LAG
Hamm 24.11.1994 - 8 TaBV 144/94 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 27; LAG Hamm 10.05.2001
- 10 TaBV 42/01 -; LAG Köln 26.06.2007 - 7 Ta 75/07 -; LAG Hamm 26.11.2007 - 10 Ta
693/07 - m.w.N.). Insoweit hat das Arbeitsgericht zu Recht für die geltend gemachten
Freistellungsansprüche die entstehenden Seminarkosten in Höhe von 1.178,10 € pro
Betriebsratsmitglied, die Übernachtungskosten für fünf Übernachtungen pro
Betriebsratsmitglied á 133,00 € sowie die für die Wochenschulung anfallenden
Vergütungsansprüche in Höhe von 549,00 € und 619,93 € in Ansatz gebracht.
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2. Soweit die Antragsteller erst mit den erstinstanzlich gestellten Anträgen zu 2., 3. und
5. die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Tragung der Seminar- und
Übernachtungskosten für die jeweilige Schulungsveranstaltung sowie die Feststellung
der Erforderlichkeit der Teilnahme an der jeweiligen Schulungsveranstaltung geltend
gemacht haben, rechtfertigt dies keine Erhöhung des Gegenstandswerts.
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Zwar werden grundsätzlich mehrere in einer Klage geltend gemachten Ansprüche
zusammengerechnet, § 5 ZPO. Betreffen jedoch die Ansprüche denselben Gegenstand,
ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG.
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So liegt der vorliegende Fall. Die Verpflichtung, die Seminar- und Übernachtungskosten
zu tragen, ist bereits bei der Bewertung des geltend gemachten Freistellungsanspruchs
berücksichtigt worden. Auch bei den Feststellungsanträgen zu 3. und 5. ist von einem
mit dem Freistellungsantrag zu 1. und 4. identischen Streitgegenstand auszugehen.
Entscheidend ist insoweit, ob die geltend gemachten Ansprüche einander ausschließen
und damit denknotwendigerweise die Zuerkennung des einen Anspruches mit der
Aberkennung des anderen verbunden ist (BGH 27.02.2003 – III ZR 115/02 – MDR 2003,
716). Eine Zusammenrechnung mehrerer Ansprüche hat grundsätzlich nur dort zu
erfolgen, wo durch das Nebeneinander mehrerer Anträge eine wirtschaftliche
Werthäufung entsteht, beide Anträge also nicht das wirtschaftlich identische Interesse
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betreffen (BGH 06.10.2004 – IV ZR 287/03 – NJW-RR 2005, 506). Hiernach betreffen
die im vorliegenden Verfahren gestellten Anträge zu 1. und 4. einerseits und zu 2., 3.
und 5. andererseits denselben Streitgegenstand. Eine Freistellung der beteiligten
Betriebsratsmitglieder zu der begehrten Schulungsveranstaltung kann nur erfolgen,
wenn die Teilnahme an dieser Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG
erforderlich ist. Umgekehrt hätte eine Stattgabe des Feststellungsantrages zu 3. und des
Antrags zu 5. bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines
Feststellungsantrages zur Folge, dass auch den Freistellungsanträgen zu 1. und 4. – bei
Erfüllung der übrigen Voraussetzungen – hätte stattgegeben werden müssen. Auch die
mit dem Antrag zu 2. verfolgte Verpflichtung zur Tragung der Seminar- und
Übernachtungskosten hat zur Voraussetzung, dass die Seminarteilnehme erforderlich
ist.
3. Eine Erhöhung des Gegenstandswertes kam auch nicht im Hinblick auf die
erstinstanzlich gestellten Hilfsanträge in Betracht.
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Zwar sind grundsätzlich die Streitwerte von Haupt- und Hilfsanträgen zu addieren, wenn
mit den Anträgen selbständige Streitgegenstände verfolgt werden. Eine
Zusammenrechnung kommt aber dann nicht in Betracht, wenn sich die anwaltliche und
gerichtliche Tätigkeit auf denselben Streitgegenstand bezieht (LAG Hamm 28.07.1988 –
8 Ta 122/88 – LAGE GKG § 19 Nr. 4; LAG Rheinland-Pfalz 19.03.1999 – 6 Ta 48/99 –
LAGE ArbGG 1979 § 12 Streitwert Nr. 117 a; LAG Berlin 09.03.2004 – 17 Ta 6010/04 –
NZA-RR 2004, 492; LAG Hamm 02.08.2010 – 10 Ta 269/10 -; GK-ArbGG/Schleusener,
§ 12 Rn. 167, 433, 463 m.w.N.). Mit dem Hauptantrag zu 1. haben die Antragsteller die
Freistellung der betroffenen Betriebsratsmitglieder für die Schulungsveranstaltung vom
19.10. bis 23.10.2009, mit dem Hilfsantrag für die Schulungsveranstaltung vom 23.11.
bis 27.11.2009 verlangt. Ebenso ist mit dem Hilfsantrag zu 3. die Feststellung der
Erforderlichkeit der Seminarteilnahme vom 23.11. bis 27.11.2009 verlangt worden. Auch
der Antrag zu 4. enthält insoweit einen Hilfsantrag, nämlich die Freistellung für ein
weiteres Seminar vom 03.05. bis 07.05.2010.
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Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Hilfsanträge gesondert zu bewerten wären. Zu
Recht hat es bereits das Arbeitsgericht für unerheblich gehalten, dass die jeweiligen
Anträge im Laufe des Verfahrens um zukünftige Schulungsveranstaltungen erweitert
worden sind. Während des gesamten Verfahrens begehrten die Antragsteller lediglich
die Teilnahme nur an einem Seminar "Aktuelle Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts", welches vom Veranstalter mehrfach im Jahr angeboten wurde.
Dass die betroffenen Betriebsratsmitglieder die Teilnahme an mehreren Seminaren
beabsichtigten, ist weder vom Betriebsrat noch von den antragstellenden
Betriebsratsmitgliedern vorgetragen worden. Die Antragserweiterungen erfolgten
lediglich, weil die inzwischen zurückliegenden Seminare wegen Zeitablaufs nicht mehr
besucht werden konnten. Gerade weil der Betriebsrat und die antragstellenden
Betriebsratsmitglieder die Anträge in einem Haupt- und Hilfsverhältnis gestellt haben,
macht deutlich, dass sie den Besuch der jeweiligen Schulungsveranstaltung nur einmal
begehrten. Streitgegenstand aller Anträge war lediglich die Teilnahme der
Betriebsratsmitglieder an einem vom P5-Institut in E5 veranstalteten Seminar "Aktuelle
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts". Insoweit war es gerechtfertigt, die
hierdurch entstehenden Kosten und Entgeltansprüche auch nur einmal in Ansatz zu
bringen.
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4. Die Entscheidung über die Auferlegung der Gebühr in Höhe von 40,-- € beruht auf § 1
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Satz 2 GKG i.V.m. Nr. 8614 der Anlage 1 zum GKG (LAG Hamm 19.03.2007 – 10 Ta
97/07 – NZA-RR 2007, 491).