Urteil des LAG Hamm vom 29.08.2007

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Landesarbeitsgericht Hamm, 18 Sa 603/07
Datum:
29.08.2007
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 Sa 603/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Herford, 3 Ca 1244/06
Schlagworte:
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Fortsetzungserkrankung,
Leistungsunfähigkeit, alleinige Ursache
Normen:
§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EFZG
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Herford vom 06.03.2007 - 3 Ca 1244/06 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über den Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall für die Zeit vom 30.05.2006 bis 11.07.2006.
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Der am 11.03.1964 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit 1993 als Lagerarbeiter
beschäftigt. Sein Stundenlohn betrug zuletzt 8,14 € brutto in der 40-Stunden-Woche.
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Die Beklagte betreibt ein Speditionsunternehmen.
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Der Kläger zog sich im Jahr 1993 bei einem schweren Arbeitsunfall eine Beinverletzung
zu, aufgrund derer er in der Folgezeit in erheblichem Maße arbeitsunfähig krank war,
nämlich im Jahr 1993 an 153 Tagen, im Jahr 1994 an 43 Tagen, im Jahr 1997 an 46
Tagen, im Jahr 1998 an 104 Tagen und im Jahr 2000 an 223 Tagen. Seit dem
30.05.2006 ist der Kläger wegen der bei dem Arbeitsunfall 1993 erlittenen Verletzung
durchgängig arbeitsunfähig krank.
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Die Beklagte zahlte für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit ab 30.05.2006 keine
Entgeltfortzahlung. Der Kläger machte den Anspruch gegenüber der Beklagten mit
Schreiben vom 19.09.2006 (Bl. 4 d.A.) geltend. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom
09.10.2006 (Bl. 5 bis 6 d.A.) die Zahlung ab.
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Die vorliegende Klage hat der Kläger am 18.10.2006 erhoben. Wegen der Berechnung
der Forderung wird auf die Klageschrift verwiesen.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Entgeltfortzahlung für die
Zeit vom 30.05.2006 bis 11.07.2006 verpflichtet.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.973,54 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2006 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat, gestützt auf die betriebsärztliche Stellungnahme der Ärztin A2 B2 vom
29.05.2006 (Bl. 16 d.A.), die Auffassung vertreten, dass der Kläger wegen der
Verletzung, die er sich bei dem Arbeitsunfall 1993 zugezogen habe, auf Dauer
leistungsunfähig sei und seine Arbeitskraft nicht anbieten könne. So sei die Erkrankung
ab 30.05.2006 nicht die alleinige Ursache der Arbeitsunfähigkeit.
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Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 06.03.2007 der Klage stattgegeben und die
Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Den Streitwert hat es auf 1.973,54 €
festgesetzt.
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Das Arbeitsgericht ist in den Entscheidungsgründen der Auffassung des Klägers gefolgt.
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Gegen dieses ihr am 13.03.2007 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten
hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 29.03.2007 Berufung eingelegt
und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14.06.2007 am
14.06.2007 begründet.
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Zuvor hatte die Berufsgenossenschaft Druck und Papier mit Schreiben vom 01.06.2007
der Beklagten mitgeteilt, dass sie für die Zeit vom 30.05.2006 bis 10.07.2006 an den
Kläger Verletztengeld in Höhe von 1.339,06 € netto gezahlt hat. Die Auszahlung erfolgte
durch die AOK Westfalen-Lippe.
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Der Kläger hat daraufhin am 29.08.2007 die Klage in Höhe von 1.339,06 € netto
zurückgenommen. Die Beklagte hat sich mit der teilweisen Klagerücknahme
einverstanden erklärt.
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Die Beklagte stützt weiterhin die Berufung maßgeblich auf ihren erstinstanzlichen
Vortrag.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 06.03.2007 – 3 Ca 1244/06 –
abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom
06.03.2007 – 3 Ca 1244/06 – zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil, soweit die Klage noch anhängig ist.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.
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Entscheidungsgründe
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I. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
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Dem Kläger steht der begehrte Entgeltfortzahlungsanspruch für die Zeit vom 30.05.2006
bis zum 11.07.2006 gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG zu, wie das Arbeitsgericht
zutreffend erkannt hat.
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1. Nach § 3 Abs. 1 EFZG hat der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Anspruch
auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer
von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner
Arbeitsleistung verhindert wird. Diese Voraussetzungen liegen vor.
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Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger in der Zeit vom 30.05.2006 bis
11.07.2006 wegen einer Wunde am Bein, die er sich bei einem Arbeitsunfall 1993
zugezogen hat, arbeitsunfähig krank war. Eine Arbeitsunfähigkeit liegt dann vor, wenn
der Arbeitnehmer wegen der Schwere der Erkrankung seine vertraglich geschuldete
Tätigkeit objektiv nicht oder nur auf die Gefahr hin nachgehen kann, dass sich sein
Gesundheitszustand verschlechtert (vgl. Schmitt, EFZG, 5. Aufl., § 3 Rz. 54;
Marienhagen/Künzl, EFZG, § 3 Rz. 7 m.w.N.). Es ist also erforderlich, dass eine
Erkrankung die Leistungsunfähigkeit zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeit
verursacht. Ob diese Erkrankung auch schon zur dauernden Leistungsunfähigkeit führt,
spielt bei dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG keine Rolle und
schließt einen Anspruch entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus.
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2. Das Berufungsgericht verkennt nicht, dass Anspruchsvoraussetzung für den
Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG ist, dass die krankheitsbedingte
Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache der Arbeitsverhinderung ist (vgl. z.B. Schmitt,
a.a.O., § 3 Rz. 78 ff; Marienhagen/Künzl, a.a.O., § 3 Rz. 13 ff).
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Im vorliegenden Fall ist unstreitig die durch den Betriebsunfall 1993 erlittene Verletzung
des Beines die alleinige Ursache, die zur Leistungsunfähigkeit des Klägers und so auch
zur Arbeitsunfähigkeit ab 30.05.2006 geführt hat. Auch wenn zu Beginn der
Arbeitsunfähigkeit ab 30.05.2006 objektiv feststand, dass der Kläger wegen der
Beinverletzung auf Dauer leistungsunfähig sein wird, ist auch diese dauernde
Leistungsunfähigkeit bewirkt durch dieselbe Erkrankung, die auch Ursache der
Arbeitsunfähigkeit war. Es liegt keine andere Ursache für die Arbeitsverhinderung des
Klägers ab 30.05.2006 vor.
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3. Dem Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers steht nicht entgegen, dass es sich um
eine Fortsetzungserkrankung handelt. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG verliert ein
Arbeitnehmer wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Anspruch nach Satz 1 für
einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nicht, wenn er infolge derselben
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einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nicht, wenn er infolge derselben
Krankheit erneut arbeitsunfähig krank wird und vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit
mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig krank war.
Wie das Arbeitsgericht richtig gesehen hat, liegen diese Voraussetzungen vor. Der
Kläger war wegen der durch den Arbeitsunfall im Jahr 1993 erlittenen Beinverletzung
vor der Erkrankung am 30.05.2006 zuletzt im Jahr 2000 arbeitsunfähig krank.
II. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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Knipp
Andreas
Berghahn
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