Urteil des LAG Hamm vom 01.02.2006

LArbG Hamm: vorläufige einstellung, arbeitsgericht, betriebsrat, ermessen, versetzung, arbeitsentgelt, monatsverdienst, anwendungsbereich, rechtskraft, datum

Landesarbeitsgericht Hamm, 10 TaBV 191/05
Datum:
01.02.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 TaBV 191/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Paderborn, 2 BV 22/05
Schlagworte:
Gegenstandswert im Beschlussverfahren Zustimmungsersetzung zur
Einstellung von Leiharbeitnehmern Mehrheit von Verfahren
Normen:
§§ 23 Abs. 3 S. 2, 33 Abs. 3 RVG§ 99 Abs. 1 BetrVG§ 5 ZPO
Rechtskraft:
Gegen diesen Beschluss findet kein Rechtsmittel statt, § 33 Abs. 4 Satz
3 RVG
Tenor:
Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats
wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 10.11.2005 - 2
BV 22/05 - abgeändert.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das
Verfahren im Allgemeinen auf 5.152,50 € festgesetzt.
G r ü n d e:
1
I.
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Im Ausgangsverfahren hat die Arbeitgeberin am 22.04.2005 die gerichtliche Ersetzung
der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur Einstellung eines Leiharbeitnehmers
geltend gemacht. Sie hat ferner die Feststellung verlangt, dass die vorläufige
Einstellung dieses Leiharbeitnehmers zum 19.04.2005 aus sachlichen Gründen
dringend erforderlich gewesen ist.
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Bereits zuvor und auch danach hatte die Arbeitgeberin in den Monaten Februar bis Juni
2005 beim Betriebsrat vergeblich die Zustimmung zur Einstellung von weiteren
Leiharbeitnehmern zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen
Einsatzbereichen geltend gemacht (2 BV 10/05, 2 BV 12/05, 2 (3) BV 17/05, 2 (3) BV
20/05, 2 BV 24/05, 2 BV 30/05, 2 (1) BV 33/05, 2 BV 36/05 Arbeitsgericht Paderborn).
Der Betriebsrat hatte den beantragten Einstellungen jeweils mit gleichlautendem
Schreiben widersprochen.
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Nach übereinstimmender Erledigungserklärung hat das Arbeitsgericht unter
Zugrundelegung eines Monatsverdienstes von 1.145,00 € für einen Leiharbeitnehmer
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durch Beschluss vom 10.11.2005 den Gegenstandswert für das Verfahren im
Allgemeinen auf 644,06 € festgesetzt und zur Begründung unter anderem ausgeführt,
dass unter Berücksichtigung der übrigen Verfahren nur ein verminderter
Gegenstandswert festgesetzt werden könne.
Gegen diesen dem Betriebsrat am 16.11.2005 zugestellten Beschluss des
Arbeitsgerichts vom 10.11.2005 richtet sich die am 22.11.2005 beim Arbeitsgericht
eingelegte Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats, der das
Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Verfahrensakten Bezug
genommen.
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II.
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Die zulässige Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats ist
begründet. Der angefochtene Beschluss war abzuändern, der Wert des Gegenstands
der anwaltlichen Tätigkeit war für das verfahren auf 5.152,50 € festzusetzen.
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1. Die Wertfestsetzung richtet sich vorliegend nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG (früher: § 8
Abs. 2 BRAGO). Hiernach ist der Gegenstandswert in Fällen der vorliegenden Art nach
billigem Ermessen zu bestimmen. Die Wertfestsetzung nach billigem Ermessen kommt
auch im Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG erst hinter allen sonstigen
Bewertungsfaktoren zum Zuge. Wo ein objektiver Wert festgestellt werden kann, kommt
es in erster Linie auf die Feststellung dieses Wertes an. Für das arbeitsgerichtliche
Beschlussverfahren folgt hieraus, dass die wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen
Streitgegenstands vielfach im Vordergrund stehen muss (LAG Hamm, Beschluss vom
24.11.1994 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 27; LAG Hamm, Beschluss vom 12.06.2001 - LAGE
BRAGO § 8 Nr. 50; Wenzel, GK-ArbGG, § 12 Rz. 194, 441 ff. m.w.N.).
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a) Die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit rechtfertigt es, in
Beschlussverfahren nach § 99 BetrVG, in denen es um die Einstellung, Umgruppierung
oder Versetzung von Arbeitnehmern geht, sich an dem Streitwertrahmen des § 42 Abs. 4
GKG (früher: § 12 Abs. 7 ArbGG) zu orientieren. Folgerichtig wird bei der
Wertfestsetzung in betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten nach den §§ 99 ff.
BetrVG vielfach auf die Bewertung einer entsprechenden Klage im Urteilsverfahren,
also auf § 42 Abs. 4 GKG (früher: § 12 Abs. 7 ArbGG) zurückgegriffen (LAG Hamm,
Beschluss vom 18.04.1985 - LAGE ZPO § 3 Nr. 3; LAG Hamm, Beschluss vom
19.03.1987 - LAGE ArbGG 1979 § 12 Streitwert Nr. 70; LAG Hamm, Beschluss vom
23.02.1989 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 12; Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 482 m.w.N.). Von dieser
Rechtsprechung, der auch die derzeit zuständigen Beschwerdekammern des
erkennenden Gerichts gefolgt sind (LAG Hamm, Beschluss vom 04.06.2003 - 10 TaBV
53/03 -; LAG Hamm, Beschluss vom 17.11.2004 - 10 TaBV 106/04 -; LAG Hamm,
Beschluss vom 22.02.2005 - 13 TaBV 119/04 -; LAG Hamm, Beschluss vom 25.04.2005
- 13 TaBV 39/05 -) und an der sich durch die Übernahme des § 12 Abs. 7 ArbGG (alt) in
§ 42 Abs. 4 GKG (neu) zum 01.07.2004 nichts geändert hat, ist auch das Arbeitsgericht
in dem angefochtenen Beschluss dem Grunde nach ausgegangen.
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Dementsprechend ist bei Einstellungen grundsätzlich das für ein Vierteljahr zu leistende
Arbeitsentgelt bei der Wertfestsetzung in Ansatz zu bringen. Dies macht bei einem
durchschnittlichen Monatsverdienst eines Leiharbeitnehmers von 1.145,00 € einen
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Betrag in Höhe von 3.435,00 € aus.
b) Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch den neben dem Zustimmungsersetzungsantrag
nach § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG gestellten Antrag auf Feststellung, dass die vorläufige
Durchführung der streitigen Einstellungen aus sachlichen Gründen dringend erforderlich
war, zusätzlich bewertet. Dieser Antrag legitimiert nämlich die vorläufige Durchführung
der personellen Maßnahmen bis zum Abschluss des Verfahrens nach § 99 Abs. 4
BetrVG. Insoweit ist es wegen der lediglich vorübergehenden Bedeutung der begehrten
Feststellung angemessen, 50 % des Wertes eines entsprechenden
Zustimmungsersetzungsverfahrens in Ansatz zu bringen (LAG Hamm, Beschluss vom
19.03.1987 - LAGE ArbGG 1979 § 12 Streitwert Nr. 70; LAG Hamm, Beschluss vom
23.02.1989 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 12; Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 487). Auch dieser
Rechtsprechung haben sich die derzeit zuständigen Beschwerdekammern des
Landesarbeitsgerichts angeschlossen.
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Insoweit errechnet sich für einen Leiharbeitnehmer insgesamt ein Gegenstandswert von
5.152,50 €.
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2. Zutreffend ist auch der Ausgangspunkt des Arbeitsgerichts, wonach bei einem Streit
über mehrere personellen Maßnahmen im Sinne des § 99 BetrVG Einzelwerte zu bilden
und analog § 5 ZPO zusammenzurechnen sind (LAG Hamm, Beschluss vom
19.03.1987 - LAGE ArbGG 1979 § 12 Streitwert Nr. 70; Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 450,
485 f. m.w.N.).
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a) Allerdings kann eine Herabsetzung des sich so ergebenden Wertes regelmäßig dann
geboten sein, wenn mehrere personelle Einzelmaßnahmen auf eine einheitliche
unternehmerische Entscheidung zurückzuführen sind und die Einzelfälle keine
Besonderheiten aufweisen. Die Bedeutung einer jeden einzelnen Maßnahme nimmt
umso mehr ab, je mehr Arbeitnehmer von der Gesamtmaßnahme betroffen sind (LAG
Berlin, Beschluss vom 18.03.2003 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 13 = NZA-RR 2003, 437).
Vor diesem Hintergrund ist es in Fällen der vorliegenden Art gerechtfertigt, in Anlehnung
an die Staffelung der Arbeitnehmerzahlen in § 9 BetrVG den Wert jeder einzelnen
personellen Maßnahme typisierend festzulegen, um auf diese Weise zu einer
gleichförmigen und damit den Gleichbehandlungsgrundsatz wahrenden
Rechtsanwendung zu gelangen. Nach der Rechtsprechung der zu-ständigen
Beschwerdekammern des erkennenden Gerichts ist dabei die erste personelle
Maßnahme mit dem vollen Wert und die weiteren Maßnahmen mit prozentualen
Anteilen des Ausgangswerts nach folgender Staffel zu berücksichtigen: Maßnahmen 2
bis 20 = jeweils 25 % des Ausgangswerts; Maßnahmen 21 bis 50 = jeweils 12,5 % des
Ausgangswerts; Maßnahmen 51 bis 100 = jeweils 10 % des Ausgangswerts etc. (LAG
Hamm, Beschluss vom 14.02.2005 - 13 TaBV 100/04 -; LAG Hamm, Beschluss vom
22.02.2005 - 13 TaBV 119/04; LAG Hamm, Beschluss vom 28.04.2005 - 10 TaBV 45/0; -
, LAG Hamm, Beschluss vom 22.08.2005 - 10 TaBV 94/05).
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b) In Anwendung dieser Grundsätze kam eine Kürzung des Gegenstandswertes unter
Berücksichtigung sämtlicher beim Arbeitsgericht in den Monaten Februar bis Juni 2005
eingeleiteten Zustimmungsersetzungsverfahren vorliegend allerdings nicht wegen
mehrerer Parallelverfahren in Betracht. Im vorliegenden Fall war nämlich lediglich die
Zustimmungsersetzung eines einzigen Leiharbeitnehmers und seine vorläufige
Einstellung zwischen den Beteiligten streitig. Der bloße Hinweis auf Parallelverfahren
beim Arbeitsgericht rechtfertigt keine Herabsetzung des Gegenstandswertes. Diese ist -
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wie bereits ausgeführt - nur dann geboten, wenn mehrere personelle Einzelmaßnahmen
auf eine einheitliche unternehmerische Entscheidung zurückzuführen sind und die
Einzelfälle keine Besonderheiten aufweisen. Im vorliegenden Verfahren waren zwar
mehrere Parallelverfahren beim Arbeitsgericht anhängig, die gleichgelagert gewesen
sein mögen. Aus dem Vorbringen der Beteiligten ergibt sich aber nicht, dass sämtliche
Einstellungen der Leiharbeitnehmer, die die Arbeitgeberin in den Monaten Februar bis
Juni 2005 geplant bzw. durchgeführt hat, auf eine einheitliche unternehmerische
Entscheidung zurückzuführen waren. Gegen eine einheitliche unternehmerische
Entscheidung spricht schon, dass die einzusetzenden Leiharbeitnehmer zu
unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Einsatzbereichen eingestellt
werden sollten. Dementsprechend hat die Arbeitgeberin die Zustimmungsersetzung
auch jeweils in verschiedenen Beschlussverfahren zu unterschiedlichen Zeitpunkten
beim Arbeitsgericht geltend gemacht. Allein der Umstand, dass weitgehend die gleichen
Rechts- und Tatsachenfragen zu klären oder zu entscheiden sind, vermag ohne weitere
Anhaltspunkte eine Herabsetzung des Gegenstandswerts nicht zu rechtfertigen.
Nach alledem verbleibt es im vorliegenden Fall bei einem Gegenstandswert von
5.125,50 €.
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Schierbaum /N.
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