Urteil des LAG Hamm vom 26.08.2003

LArbG Hamm: treu und glauben, widersprüchliches verhalten, unwirksamkeit der kündigung, wartezeit, begründung der kündigung, kündigung zur unzeit, kündigungsfrist, ordentliche kündigung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Landesarbeitsgericht Hamm, 5 (11) Sa 589/03
26.08.2003
Landesarbeitsgericht Hamm
5. Kammer
Urteil
5 (11) Sa 589/03
Die Berufung der Klägerin vom 10.04.2003 gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Minden vom 13.11.2002 - 2 Ca 1544/02 - wird
kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T A T B E S T A N D
Die Klägerin ist am 21.12.13xx geboren. Ihr Ehemann ist Kapitän auf großer Fahrt für eine
in S5xxxxxxxx niedergelassene Gesellschaft. Die Eheleute G1xxxxx haben zwei Söhne,
den im Jahr 1974 geborenen Sohn L3xx, zur Zeit arbeitslos, und den im Jahr 1979
geborenen Sohn N1xx, zur Zeit Student an der Fachhochschule B3xxxxxxx.
Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit einer Zentrale in L1xxxxxx und
113 Filialen. Im Mai 2002 beschäftigte sie insgesamt 491 Mitarbeiter.
Vom 21. bis 23.08.2001 verrichtete die Klägerin bei der Beklagten aushilfsweise
Inventurarbeiten. Sie wurde für 21,58 Stunden damit befasst, Etiketten zu zählen und zu
scannen.
Mit Stellenanzeige vom 10.11.2001 suchte die Beklagte eine Mitarbeiterin für den Verkaufs-
Innendienst in der Zentrale in L1xxxxxx. Aufgabengebiet sollte die Datenerfassung, -
bearbeitung und -pflege sein. Die Klägerin bewarb sich um die Stelle und wies in dem von
ihr am 22.11.2001 ausgefüllten Fragebogen darauf hin, dass sie im August 2001 schon
einmal bei der Beklagten mit Inventurarbeiten beschäftigt war. Mit schriftlichem Vertrag vom
21.11.2001 stellte die Beklagte die Klägerin als kaufmännische Mitarbeiterin für den
Innendienst in der Zentrale in L1xxxxxx ein. Die Arbeitszeit wurde mit 80 Stunden im Monat
vereinbart. Gemäß § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages wurde das Arbeitsverhältnis für die Zeit
vom 22.11.2001 bis zum 21.02.2002 zur Probe eingegangen und sollte mit Ablauf der Pro-
bezeit enden, ohne dass es einer Kündigung bedurfte. Danach war der Arbeitsvertrag
gemäß § 10 Ziffer 2 mit einer Frist von einem Monat zum Ende eines Kalendermonats
beiderseits kündbar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die bei den Akten
befindliche Ablichtung (Blatt 4 - 6 der Akten) ergänzend Bezug genommen.
Die Klägerin war damit beschäftigt, in sogenannten Kundenkarten-Anträgen handschriftlich
eingetragene Kundendaten mittels PC in die EDV zu übertragen. Die Arbeitsleistung
erbrachte sie in einem Großraumbüro, in dem normalerweise bis zu drei weitere Personen
tätig waren, von denen die älteste ca. Mitte 20 war. Insgesamt sind ca. 30,5 % der
Mitarbeiterinnen der Beklagten 50 Jahre und älter.
Nach Einstellung der Klägerin beschloss die Beklagte, die bislang von der Klägerin
ausgeübte Tätigkeit durch ein EDV-Programm abzulösen. Es sollte eine technische
Möglichkeit geschaffen werden, die Kundenkarten von der EDV-Anlage direkt durch
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Lesetechnik einzulesen, zumal der Anfall der Kundendaten aus den Kundenkarten-
Anträgen sehr wechselhaft war. Aufgrund eines entsprechenden Angebotes einer
Softwarefirma fasste die Beklagte den Entschluss, den Arbeitsplatz der Klägerin zu
streichen. Eine andere adäquate Position war seinerzeit bei der Beklagten nicht vakant.
Die Beklagte kündigte deshalb das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 17.05.2002 zum
30.06.2002 und stellte die Klägerin für die Dauer der Kündigungsfrist frei. Bei Übergabe
des Kündigungsschreibens erläuterte der Personalleiter B4xxxxxx der Klägerin gegenüber
die Kündigungsgründe. Diese habe nichts mit der Leistung oder der Person der Klägerin zu
tun, sondern stehe im Zusammenhang mit der Absicht, die Eingabe der Kundendaten auf
EDV umzustellen, so dass der derzeitige Arbeitsplatz entfalle und sie keine anderweitige
Verwendung im Betrieb für die Klägerin habe. Die Klägerin ließ sich anwaltlich durch ihre
jetzigen Prozessbevollmächtigten beraten und informierte diese über die ihr mitgeteilten
Kündigungsgründe. Sie verzichtete auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage.
Die Beklagte erteilte ihr unter dem 30.06.2002 ein Arbeitszeugnis, mit welchem sie der
Klägerin unter anderem bestätigte, ihren Aufgaben- und Verantwortungsbereich zur vollen
Zufriedenheit bewältigt zu haben. Die Zusammenarbeit mit Vorgesetzen und Kollegen
wurde als einwandfrei bezeichnet.
Nach Ausspruch der Kündigung teilte der von der Beklagten beauftragte Software-
Hersteller mit, dass der vorgesehene Termin für die Einführung der Software nicht
eingehalten werden könne. Die Beklagte schaltete deshalb am 08.06.2002 eine Anzeige in
der örtli chen Presse, mit der sie zwei Mitarbeiterinnen suchte, die - befristet bis zum 30.09.
- die Aufgaben der Klägerin fortführen sollten.
Die Klägerin las diese Anzeige. Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.06.2002 machte sie
gegenüber der Beklagten einen Wiedereinstellungsanspruch geltend, da sie die in der
Anzeige genannten Tätigkeiten verrichten könne und die Kündigungsfrist noch nicht
abgelaufen sei. Die Beklagte reagierte hierauf nicht.
Mit einer weiteren Zeitungsanzeige von 13.07.2002 suchte die Beklagte zwei Mitarbeiter
bzw. Mitarbeiterinnen für die Warenwirtschaft und das Zentrallager. Auch diese Anzeige las
die Klägerin.
Mit ihrer am 19.07.2002 vor dem Arbeitsgericht Herford erhobenen Klage von 18.07.2002
hat die Klägerin den Abschluss eines Arbeitsvertrages ab 01.07.2002 mit der Beklagten
verlangt. Nach Klageumstellung bzw. -erweiterung mit Schriftsatz vom 10.10.2002 wird
dieser Antrag nunmehr als Hilfsantrag weiterverfolgt, in erster Linie hat die Klägerin
nunmehr die Feststellung beantragt, dass die Kündigung vom 17.05.2002 nicht zur
Auflösung des Arbeitsverhältnisses geführt hat.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, aufgrund der Vorbeschäftigungszeit im August
2001 habe am 17.05.2002 bereits Kündigungsschutz bestanden. Soweit sich die Beklagte
im Prozess auf verhaltensbedingte Kündigungsgründe berufe, handele es sich um
widersprüchliches Verhalten, das gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoße.
Die Kündigung sei auch deshalb treuwidrig, weil die Beklagte durch den gewählten
Kündigungszeitpunkt nach Ablauf der Probezeit wissentlich das Eintreten des
Kündigungsschutzes vereitelt habe. Betriebsbedingt sei die Kündigung nicht notwendig
gewesen, da entgegen der ursprünglich getroffenen Prognose ein Beschäftigungsbedarf
weiter bestanden habe. Auch unter Beachtung europarechtlicher Richtlinien sei die
Kündigung unwirksam, da sie wegen ihres Alters diskriminiert worden sei. Die Beklagte
habe nämlich die Kündigung darauf gestützt, dass sie wegen ihres Alters nicht ins Team
passe.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche
Kündigung der Beklagten vom 17.05.2002 nicht zum 30.06.2002 beendet worden ist,
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sondern fortbesteht.
hilfsweise:
die Beklagte zu verurteilen, mit der Klägerin einen Arbeitsvertrag als
kaufmännische Angestellte ab dem 01.07.2002 zu unveränderten Bedingungen gegenüber
dem Arbeitsvertrag vom 21.11.2001 abzuschließen;
weiter hilfsweise:
mit Rechtskraft eines diesem Antrag entsprechenden Urteils.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei allein deswegen wirksam, weil im
Zeitpunkt ihres Ausspruchs Kündigungsschutz noch nicht bestanden habe. Ursprünglich
sei die Kündigung ausgesprochen worden, da die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit
habe wegfallen sollen. Recherchen hätten jedoch ergeben, dass die übrigen Mitarbeiter mit
der Klägerin und deren Eigenschaften im Team nicht zurechtgekommen seien. Deshalb
habe sie sich bewusst dafür entschieden, es bei der ausgesprochenen Kündigung zu
belassen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 13.11.2003 abgewiesen und zur Begrün-
dung unter anderem ausgeführt, die Unwirksamkeit der Kündigung ergebe sich nicht aus §
1 Abs. 1 KSchG, da das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht länger als
sechs Monate ununterbrochen bestanden habe. Die Vordienstzeiten der Klägerin im
August 2001 seien nicht zuzurechnen. Selbst bei Erfüllung der Wartezeit könne sich die
Klägerin nicht auf die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung berufen, da sie es
versäumt habe, innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG Klage zu erheben. Auch wegen
Verstoßes gegen andere Gesetze sei die Kündigung nicht unwirksam. Es könne
dahingestellt bleiben, ob die Gerichte die Richtlinie 2000/78/EG vom 22.11.2000 betreffend
die Diskriminierung wegen Alters bereits berücksichtigen müssten. Eine solche
Diskriminierung könne nämlich nicht festgestellt werden. Sittenwidrig im Sinne des § 138
BGB könne eine Kündigung während der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG nur
in besonders krassen Fällen sein. Ein verwerfliches Motiv der Beklagten sei jedoch nicht
erkennbar. Auch treuwidrig im Sinne des § 242 BGB sei die Kündigung nicht, da der
Beklagten widersprüchliches Verhalten nicht vorgeworfen werden könne. Dass ein
besonderer Vertrauenstatbestand von der Beklagten gesetzt worden sei, habe die Klägerin
selbst nicht vorgetragen. Grundsätzlich dürfe der Arbeitgeber aber die sechsmonatige
Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG voll ausschöpfen, um zu erproben, ob mit dem
Arbeitnehmer ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis begründet werden solle. Allein die
Tatsache, dass die mündliche Begründung der Kündigung möglicherweise nicht der
Wahrheit entsprochen habe, könne den Tatbestand des widersprüchlichen Verhaltens in
diesem Zusammenhang nicht begründen. Auch ein Wiedereinstellungsanspruch stehe der
Klägerin nicht zu. Dieser sei zwar für den Fall einer betriebsbedingten Kündigung vom
Bundesarbeitsgericht unter bestimmten Voraussetzungen bejaht worden, nicht jedoch für
den Fall eines wirksam befristeten Arbeitsverhältnisses, wenn sich herausstelle, dass
tatsächlich noch ein Beschäftigungsbedarf über den Befristungszeitraum hinaus
fortbestehe. Die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für den
Wiedereinstellungsanspruch bei Vorliegen einer wirksamen Befristung seien mit
denjenigen des Wiedereinstellungsanspruchs bei Vorliegen einer Kündigung während der
Wartezeite nach § 1 Abs. 1 KSchG vergleichbar. Der Arbeitnehmer genieße innerhalb
dieser Wartezeit keinen Bestandsschutz. Selbst wenn das Arbeitsverhältnis ausschließlich
aus betriebsbedingten Gründen gekündigt worden wäre, hätte es der freien Entscheidung
der Beklagten oblegen, ein neues Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zu begründen oder das
noch bestehende fortzusetzen.
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Gegen dieses ihr am 27.03.2003 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am
11.04.2003 eingelegten und - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum
27.06.2003 - am 27.06.2003 begründeten Berufung.
Sie hält an ihrer Rechtauffassung fest und trägt ergänzend vor, nach dem Eingang der Ver-
zögerungsmeldung durch den Software-Hersteller sei es der Beklagten möglich gewesen,
sie - die Klägerin - weiter zu beschäftigen. Warum sie dies nicht getan habe, habe sie
hinlänglich vorgetragen, nämlich wegen ihres Alters. Ansonsten habe die Beklagte nur
Nichtigkeiten zur Stützung der Kündigung behauptet, so dass es in grobem Maße
treuwidrig im Sinne von § 242 BGB und sittenwidrig im Sinne von § 138 BGB gewesen sei,
sie nur wegen des Alters auf dem weiterhin freien Arbeitsplatz nicht weiter zu beschäftigen.
Sie sei jedenfalls aufgrund der Angaben des Personalleiters bei Übergabe des
Kündigungsschreibens davon ausgegangen, dass durch die EDV-Umstellung der
Arbeitsplatz tatsächlich entfallen werde. Insoweit habe sie dem Personalleiter vertraut, der
ihr Vertrauen jedoch gröblichst missbraucht habe. Solche "Lügen" dürften nicht geschützt
werden. Tragender Kündigungsgrund sei jedenfalls, wie sich herausgestellt habe, ihr Alter
gewesen. Eine solche altersbezogene Diskriminierung verstoße gegen Europarecht und
die Vorschriften der §§ 138 und 242 BGB. Im Übrigen habe im Zeitpunkt des Ausspruchs
der Kündigung entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts bereits Kündigungsschutz
bestanden, wenn nämlich die Zeit der Arbeitsleistung im August 2001 mitberücksichtigt
werde. Selbst wenn man diese Zeit nicht berücksichtige, müsse bedacht werden, dass sie
bereits fünf Tage nach Ausspruch der Kündigung Kündigungsschutz gehabt hätte. Die
Beklagte ihrerseits hätte jedoch noch bis zum 31.05.2002 warten können, um die
Kündigung auszusprechen. Dies sei nur deshalb geschehen, um den Eintritt des
Kündigungsschutzes zu vereiteln. Auch dies sei grob treuwidrig. Jedenfalls stehe ihr ein
Wiedereinstellungsanspruch zu. Der Auffassung des Arbeitsgerichts, ein solcher
Wiedereinstellungsanspruch komme bei einem Arbeitsverhältnis mit einer Dauer von
weniger als sechs Monaten im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG nicht in Betracht, könne nicht
gefolgt werden. Insbesondere sei der Vergleich mit einem befristeten Arbeitsverhältnis nicht
möglich. Sie habe in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gestanden, welches ohne
Ausspruch der Kündigung bis zum 65. Geburtstag gedauert hätte. Hierin liege ein
erheblicher Unterschied.
Die Klägerin beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der
Beklagten vom 17.05.2002 nicht zum 30.06.2002 beendet worden ist, sondern fortbesteht;
1. hilfsweise:
die Beklagte zu verurteilen, mit der Klägerin einen Arbeitsvertrag als
kaufmännische Angestellte ab dem 01.07.2002 zu unverän-derten Bedingungen
gegenüber dem Arbeitsvertrag vom 21.11.2001 abzuschließen;
weiter hilfsweise:
mit Rechtskraft eines diesem Antrag entsprechenden Urteils.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil als zutreffend und trägt ergänzend vor, selbst
unter Berücksichtigung der Beschäftigungszeit der Klägerin im August 2001 sei die
sechsmonatige Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG bei Ausspruch der Kündigung nicht erfüllt
gewesen. Gründe, aufgrund derer die Kündigung sitten- oder treuwidrig sein könnte, habe
die Klägerin nicht dargestellt. Sie habe lediglich von ihrem Recht Gebrauch gemacht, das
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Arbeitsverhältnis ohne besondere Gründe während der ersten sechs Monate zu kündigen.
Insbesondere könne auch von einer Diskriminierung wegen Alters nicht gesprochen
werden. Letztlich sei entscheidend gewesen, dass die übrigen Mitarbeiter mit der Klägerin
nicht mehr hätten zusammenarbeiten wollen. Deswegen habe man auch eine
Wiedereinstellung der Klägerin nicht in Betracht gezogen, als sich herausgestellt hatte,
dass sich die Einführung der Software verzögern würde. Sie habe lediglich gemutmaßt,
dass die kommunikativen oder atmosphärischen Störungen zwischen der Klägerin und den
übrigen Mitarbeiterinnen möglicherweise daraus resultierten, dass Generationen zwischen
ihnen liegen. Aus diesen Worten versuche die Klägerin nunmehr, ihr - der Beklagten -
einen Strick zu drehen. Woher nämlich die atmosphärischen Störungen stammten, sei
unbedeutend. Sie habe jedenfalls den Wünschen der bisherigen, zum Teil langjährigen
Mitarbeiterinnen Rechnung tragen müssen. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Klägerin
wegen ihres Alters entlassen worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug
genommen auf die zwischen den Parteien zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze,
deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
Die Berufung ist nicht begründet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom
17.05.2002 mit Ablauf des 30.06.2002 aufgelöst worden. Ein Wiedereinstellungsanspruch
steht der Klägerin nicht zu.
Die Berufungskammer folgt den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts und nimmt
hierauf ausdrücklich Bezug. Das Arbeitsgericht hat den Sachverhalt vollständig und ohne
Rechtsfehler gewürdigt.
Soweit die Klägerin zweitinstanzlich ergänzend vorgetragen hat, rechtfertigt dies keine
andere Beurteilung.
1. Die Unwirksamkeit der Kündigung folgt nicht aus § 1 Abs. 1 KSchG unter dem
Gesichtspunkt der fehlenden sozialen Rechtfertigung. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der
Kündigung hat das Arbeitsverhältnis nämlich noch nicht länger als sechs Monate bei der
Beklagten bestanden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich ein anderes Ergebnis nicht unter Berück-
sichtigung der Tätigkeiten, die die Klägerin im August 2001 für die Beklagte ausgeübt hat.
Vordienstzeiten können ohnehin nur bei einem engen sachlichen, zeitlichen und
rechtlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis Berücksichtigung finden (vgl. etwa
BAG, Urteil vom 12.09.1996 - 7 AZR 790/95 -, NZA 1997, S. 313). Ob ein solcher
Zusammenhang zu bejahen wäre, kann dahingestellt bleiben. Denn die Klägerin hat auch
unter Berücksichti- gung ihrer im August 2001 erbrachten Arbeitsleistung die
sechsmonatige Wartezeit nicht
erfüllt. Sie hat hierzu zunächst wahrheitswidrig vorgetragen, sie habe im August 2001 "etwa
zwei Wochen" als Aushilfskraft bei der Beklagten gearbeitet. Hieraus hat sie gefolgert,
wenn man die "14 Tage im August" hinzurechne, komme man auf einen sechsmonatigen
Bestand des Arbeitsverhältnisses. In ihrem weiteren zweitinstanzlichen Schriftsatz vom
01.08.2003 hat sie behauptet, sie habe im August 2001 "etwa eine Woche"
Inventurarbeiten verrichtet. Letztlich hat sich dann herausgestellt, dass sie lediglich in der
Zeit vom 21.08. bis zum 23.08.2001 insgesamt 21,58 Stunden für die Beklagte abgeleistet
hat. Rechnet man aber diese drei Tage dem am 22.11.2001 begründeten Arbeitsverhältnis
hinzu, ergibt sich, dass auch am 17.05.2002, dem Zeitpunkt des Ausspruchs der
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Kündigung, ein sechsmonatiger ununterbrochener Bestand des Arbeitsverhältnisses im
Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG noch nicht vorgelegen hat.
1. Die Klägerin ist auch nicht so zu behandeln, als ob am 17.05.2002 die Wartezeit des §
1 Abs. 1 KSchG erfüllt gewesen wäre.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte den Eintritt des
Kündigungsschutzes nicht grob treuwidrig vereitelt, indem sie die Kündigung bereits am
17.05.2002 und nicht erst am 31.05.2002 ausgesprochen hat. Die Beklagte hat vielmehr
sachgerecht gehandelt. Auf der einen Seite war sie gehalten, die in § 10 Abs. 2 des
Arbeitsvertrages geregelte Kündigungsfrist von einem Monat zum Ende eines
Kalendermonats einzuhalten. Diese Frist ergibt sich aus § 11 Abs. 6 Satz 3 des
allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrages im Einzelhandel im Lande Nordrhein-
Westfalen. Andererseits war die Beklagte berechtigt, innerhalb der sechsmonatigen
Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG von dem ihr durch den Grundsatz der Privatautonomie
eingeräumten Kündigungsrecht Gebrauch zu machen. Dies konnte jedoch nur bis zum
21.05.2002 geschehen. Hierin liegt kein widersprüchliches Verhalten oder eine Kündigung
zur Unzeit.
1. Selbst bei anderer Beurteilung dieser Frage ergäbe sich kein für die Klägerin
günstigeres Ergebnis. Die Klägerin hat nämlich die Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1
KSchG nicht eingehalten. Ihre gegen die Wirksamkeit der Kündigung geführte
Feststellungsklage hat sie erst mit Klageerweiterungsschriftsatz vom 10.10.2002, also etwa
fünf Monate nach Ausspruch der Kündigung, erhoben.
1. Die Kündigung ist nicht deswegen sitten- oder treuwidrig nach den §§ 138 bzw. 242
BGB, weil der Personalleiter der Beklagten der Klägerin möglicherweise unzutreffende,
jedenfalls aber nicht die vollständigen Gründe für die Kündigung genannt hat. Dies hat das
Arbeitsgericht bereits zutreffend und ausführlich begründet.
Die Vorschrift des § 242 BGB ist neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang
anwendbar ist. Das Kündigungsschutzgesetz selbst hat nämlich die Voraussetzungen und
Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend
geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der
Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Umstände, die im Rahmen des § 1 KSchG zu
würdigen sind, und die die Kündigung als sozial ungerechtfertig erscheinen lassen können,
kommen als Verstöße gegen Treu und Glauben nicht in Betracht. Eine Kündigung verstößt
dann gegen § 242 BGB und ist nichtig, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht
erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Nichts anderes gilt für die Kündigung, auf die
wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG das
Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, weil sonst für diese Fälle über § 242
BGB der kraft Gesetzes ausgeschlossene Kündigungsschutz doch gewährt würde.
Typische Tatbestände der treuwidrigen Kündigung sind widersprüchliches Verhalten des
Arbeitgebers, Ausspruch der Kündigung in verletzender Form oder zur Unzeit (vgl. BAG,
Urteil vom 23.06.1994 - 2 AZR 617/93 -, NZA 1994, Seite 1080, unter II. 2. a) der
Entscheidungsgründe m. w. N.). Bei der Kündigung hat sich die Beklagte jedoch nicht in
Widerspruch zu vorangegangenem Tun gesetzt. Jedenfalls hat die Klägerin nichts dazu
vorgetragen, dass die Beklagte als Arbeitgeberin in ihr durch bestimmte Äußerungen oder
Zusicherungen ein Vertrauen darauf geweckt hätte, das Arbeitsverhältnis werde nach
Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit in jedem Falle fortgesetzt. Zur Unzeit ist die
Kündigung auch nicht erfolgt, wie bereits dargelegt wurde. Allenfalls könnte in Betracht
kommen, der Beklagten den Ausspruch der Kündigung in verletzender Form vorzuwerfen.
Auch dies kann jedoch nicht angenommen werden. Das Kündigungsschreiben selbst ist
neutral abgefasst. Bei der Übergabe des Kündigungsschreibens hat der Personalleiter der
Beklagten die Kündigungsgründe jedenfalls nicht vollständig erläutert, weil er in der Person
und im Verhalten der Klägerin liegende Aspekte verschwiegen hat. Er hat sich vielmehr
darauf beschränkt, die betrieblichen Erwägungen für die Kündigung darzustellen. Dies
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allein ist jedoch nicht beleidigend oder verletzend. Der Personalleiter hat hierdurch auch
nicht ein Vertrauen der Klägerin gröblichst missbraucht. Er war nämlich nicht gehalten,
überhaupt Kündigungsgründe mitzuteilen. Ein Vertrauen der Klägerin auf die Richtigkeit
und Vollständigkeit der Kündigungsgründe war für die Frage der Rechtswirksamkeit der
Kündigung, insbesondere für die Frage der
Klageerhebung, ohne Belang. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung hätte wegen
Nichterfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1
KSchG mit Aussicht auf Erfolg nicht erhoben werden können. Damit ist die Klägerin zwar
objektiv - zumindest teilweise - getäuscht worden, jedoch nicht so, dass der Ausspruch der
Kündigung insgesamt als verletzend seiner Form nach und infolgedessen als treuwidrig
angesehen werden kann. Es mögen auch Gründe dafür gesprochen haben, die Klägerin
nicht mit persönlichen oder verhaltensbedingten Aspekten zu konfrontieren, die ohnehin,
wie es die Klägerin selbst vorträgt, nur relative Bedeutungslosigkeiten beinhalteten.
Sittenwidrig nach § 138 BGB ist die Kündigung allein deswegen nicht, weil die Klägerin ein
irgendwie geartetes verwerfliches Motiv für den Ausspruch der Kündigung nicht
vorgetragen hat.
1. Durch den Ausspruch der Kündigung ist die Klägerin auch nicht wegen ihres Alters
diskriminiert worden.
Die Beklagte hat zwar erstinstanzlich vorgetragen, im Rahmen "der Zusammenarbeit" mit
den anderen Mitarbeiterinnen habe sich herausgestellt, dass "schon aufgrund des
Altersunterschiedes" die Klägerin nicht zum Team passe. Hieraus folgt jedoch nicht, dass
die Klägerin gerade wegen ihres Alters in diskriminierender Weise entlassen worden ist.
Im Amsterdamer Vertrag vom 16. Juni 1997 wurde mit Art. 13 eine Bestimmung in den EG-
Vertrag aufgenommen, die es dem Rat ermöglicht, "geeignete Vorkehrungen" zu treffen,
"um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft,
der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen
Ausrichtung zu bekämpfen". Feierlich bekräftigt wurden diese sowie einige weitere Diskri-
minierungsverbote in Art. 21 der am 07. Dezember 2000 vom Europäischen Rat in Nizza
proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Bereits zuvor erließ der
Rat gestützt auf Art. 13 EG zum einen zur Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund der
Rasse oder der ethnischen Herkunft die Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/43/EG vom 29.
Juni 2000, zum anderen wegen der weiteren Diskriminierungstatbestände am 27.
November 2000 die "Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen
Rahmen für
die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf", die unter anderem
zum Ziel hat, die Diskriminierung wegen Alters zu bekämpfen. Anders als die Vorschriften
des EG-Vertrages und die EG-Verordnungen gestalten Europäische Richtlinien die
nationalen Rechtsordnungen jedoch nicht unmittelbar. Sie richten sich vielmehr gemäß Art.
249 Abs. 3 EG an die Mitgliedsstaaten und verpflichten diese, innerhalb einer bestimmten
Frist die für die vorgegebenen Ziele erforderlichen Maßnahmen zu treffen (EuGH vom 04.
Oktober 2001 - C-438/99 -). Dagegen begründen sie keine Verpflichtungen privater
Rechtssubjekte (BAG, Beschluss vom 18.02.2003 - 1 ABR 2/02 -). Allerdings müssen die
nationalen Gerichte die Auslegung des nationalen Rechts soweit wie möglich am Wortlaut
und Zweck einer Richtlinie ausrichten (BAG, a. a. O.). Die hier einschlägige Richtlinie ist
nach Art. 18 grundsätzlich bis zum 02.12.2003 umzusetzen. Dies ist bislang hinsichtlich der
Diskriminierung wegen Alters nicht geschehen. Selbst wenn die Richtlinie jedoch bereits
zu berücksichtigen gewesen wäre, ließe sich ein entsprechender
Diskriminierungstatbestand bezogen auf die Kündigung der Klägerin nicht feststellen. Der
Klägerin ist nämlich nicht wegen ihres Alters gekündigt worden. Maßgeblich für die
Kündigung waren vielmehr verschiedene, einander überlagernde Überlegungen der
Beklagten. Zum einen waren es betriebliche Gründe, nämlich die geplante Einführung
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einer speziellen Software, die den Arbeitsplatz der Klägerin entbehrlich machten. Dabei
kommt es nicht darauf an, ob diese Überlegungen im Zeitpunkt des Ausspruchs der
Kündigung schon greifbare Formen im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur
betriebsbedingten Kündigung angenommen hatten. Während der Wartezeit gilt nämlich der
Grundsatz der Kündigungsfreiheit. Darüber hinaus spielten die sogenannte Teamfähigkeit
der Klägerin und die Verhaltensweise der Klägerin gegenüber anderen Mitarbeiterinnen
eine Rolle, die von diesen als für eine weitere Zusammenarbeit hinderlich angesehen
wurden. Insoweit hat die Beklagte vermutet, dass die Mitarbeiter in der Abteilung, in der die
Klägerin tätig war, wegen des großen Altersunterschiedes nicht harmonierten, sie hat die
Klägerin aber nicht wegen ihres bereits fortgeschrittenen Alters in diskriminierender Weise
entlassen. Im Übrigen ist der Begriff "Alter" doppeldeutig. Die Rahmenrichtlinie ist insoweit
neutral und schützt damit auch jüngere Personen vor Benachteiligungen gegenüber
älteren. Hätte die Beklagte eine der deutlich jüngeren Mitarbeiterinnen wegen ihres noch
jungen Alters entlassen, hätte sie sich möglicherweise vorwerfen lassen, sie habe diese
gegenüber der Klägerin in diskriminierender Weise benachteiligt.
1. Auch hinsichtlich des Hilfsantrages ist die Klage unbegründet.
Ein Wiedereinstellungsanspruch steht der Klägerin nicht zu Seite.
Zum Klageantrag der Klägerin ist zunächst festzustellen, dass eine Verurteilung zum
Abschluss eines in der Vergangenheit liegenden Arbeitsvertrages (hier ab 01.07.2002)
grundsätzlich nicht möglich ist (BAG, Urteil vom 28.06.2000 - 7 AZR 904/98 -, NZA 2000, S.
1097 ff.).
Die Beklagte ist aber auch nicht verpflichtet, mit Rechtskraft des Antrags ein
Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zu begründen.
Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung nach nachträglichem Wegfall des
Kündigungsgrundes setzt nämlich in jedem Fall die Anwendbarkeit des
Kündigungsschutzgesetzes voraus.
Das Bundesarbeitsgericht hat einen Wiedereinstellungsanspruch bei "betriebsbedingten
Gründen" bejaht, wenn sich zwischen dem Ausspruch der Kündigung und dem Ablauf der
Kündigungsfrist unvorhergesehen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den
Arbeitnehmer ergibt. Der die negative Vertragsfreiheit des Arbeitgebers einschränkende
Kontrahierungszwang ergibt sich als vertragliche Nebenpflicht aus dem noch
fortbestehenden Arbeitsverhältnis. Zu den letztlich auf § 242 BGB beruhenden
arbeitsvertraglichen Nebenpflichten gehört auch die Pflicht, auf die berechtigten Interessen
des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen. Der Arbeitnehmer hat nach Ausspruch einer
rechtlich begründeten Kündigung regelmäßig ein Interesse daran, seinen Arbeitplatz nicht
mit Ablauf der Kündigungsfrist zu verlieren. Dieses Interesse des Arbeitnehmers an der
Erhaltung eines Arbeitsplatzes ist durch Art. 12 Abs. 1 GG nicht nur bis zum Ausspruch
einer Kündigung, sondern auch noch danach bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses
geschützt. Allerdings wird der dem Staat obliegenden grundrechtlichen Schutzpflicht
grundsätzlich durch das staatliche Kündigungsschutzrecht hinreichend Rechnung getragen
(vgl. BAG, Urteil vom 28.06.2000 - 7 AZR 904/98 -, NZA 2000, S. 1097 unter II. B. Ziff. 1.
und 2. der Entscheidungsgründe m. w. N.). Der Verlust des Arbeitsplatzes wird daher dem
Arbeitnehmer regelmäßig auch von Verfassungs wegen zugemutet, wenn eine Kündigung
den Erfordernissen des Kündigungsschutzrechts Stand hält. Eine Ausnahme von diesem
Grundsatz ist dann geboten, wenn sich der betriebsbedingten Kündigung
zugrundeliegende Vorstellungen des Arbeitgebers über die
Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nachträglich als unzutreffend herausstellen. Die zur
betriebsbedingten Kündigung entwickelte Rechtsprechung unterwirft nämlich den
arbeitsrechtlichen Bestandsschutz insofern einer zeitlichen Einschränkung, als sie bei der
Prüfung des Kündigungsgrundes auf den Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs abstellt,
eine hinreichend begründete Prognose zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
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genügen und die spätere tatsächliche Entwicklung grundsätzlich unberücksichtigt lässt
(BAG, a. a. O., m. w. N.). Diese "Vorverlagerung" des Prüfungszeitpunkts vom Ende des
Arbeitsverhältnisses auf den mitunter Monate früher liegenden und nicht nur von der Dauer
der Kündigungsfrist, sondern auch vom Willensentschluss des Arbeitgebers abhängigen
Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ist zwar sowohl aus methodischen Gründen - die
Wirksamkeit einer rechtsgestaltenden Willenserklärung wie der Kündigung muss zum
Zeitpunkt ihres Zugangs feststellbar sein - wie auch aus Gründen der Rechtssicherheit,
Verlässlichkeit und Klarheit geboten. Zugleich verlangt sie aber nach einem Korrektiv in
den Fällen, in denen sich die maßgeblichen Umstände entgegen der ursprünglichen
Prognose nachträglich ändern (BAG, a. a. O., m. w. N.). Ein solches Korrektiv bildet die
vertragliche Nebenpflicht zu einem erneuten Abschluss eines Arbeitsvertrages. Aus diesen
Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts folgt, dass der Wiedereinstellungsanspruch selbst
mit dem durch § 1 KSchG intendierten Bestandsschutz verknüpft ist (BAG, a. a. O., unter II.
B. 3. a) der Entscheidungsgründe). Ist aber der Weiterbeschäftigungsanspruch als
vertragliche Nebenpflicht von seiner Ableitung her mit dem durch § 1 KSchG bezweckten
Bestandsschutz rechtlich verknüpft, insbesondere deswegen, weil er ein Korrektiv sein soll
für die "Vorverlagerung" des Prüfungszeitpunkts der sozialen Rechtfertigung einer
betriebsbedingten Kündigung vom Ende des Arbeitsverhältnisses auf den vielfach früher
liegenden Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung, muss er ausscheiden, wenn
Kündigungsschutz im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung wegen Nichterfüllung der
Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) oder Nichterreichens der Mindestbeschäftigtenzahl (§ 23
Abs. 1 Satz 2 KSchG) nicht besteht. Nur dann, wenn eine Kündigung der Notwendigkeit der
sozialen Rechtfertigung nach § 1 Abs. 2 KSchG als betriebsbedingte, personenbedingte
oder verhaltensbedingte unterliegt, ergibt sich die genannte Nebenpflicht des Arbeitgebers
(zur methodischen Ableitung vgl. auch BAG, Urteil vom 27.06.2001 - 7 AZR 662/99 -, NZA
2001, S. 1135 unter B. II. 1. der Entscheidungsgründe betreffend die krankheitsbedingte
Kündigung). In seinem Urteil vom 20.02.2002 - 7 AZR 600/00 -, NZA 2002, S. 896 ff., hat
das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit der Klärung der Frage, ob ein
Wiedereinstellungsanspruch auch nach Ablauf eines wirksam befristeten Arbeitsvertrages
zustehen kann, nochmals den Zusammenhang des Wiedereinstellungsanspruchs mit dem
kündigungsschutzrechtlichen Bestandsschutz betont (BAG, Urteil vom 20.02.2002, a. a. O.,
unter B. II. 1. a) der Entscheidungsgründe). Es hat herausgearbeitet, das methodisch-
systematisch Kündigungsschutz- und Befristungskontrollrecht nicht gleichgesetzt werden
können. Hieraus wiederum folgt, dass jedenfalls dann, wenn Kündigungsschutzrecht nicht
anwendbar ist, ein irgendwie gearteter Kontrahierungszwang zu Lasten des Arbeitgebers
nicht besteht. Die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetztes auf die
streitgegenständliche Kündigung ist schlechterdings Voraussetzung dafür, dass der
Arbeitnehmer trotz wirksamer Kündigung gemäß § 242 BGB einen Anspruch auf
Wiedereinstellung hat, weil dieser Anspruch gerade darauf beruht, dass die Kündigung im
maßgeblichen Zeitpunkt ihres Zugangs sozial gerechtfertigt im Sinne des
Kündigungsschutzgesetzes war, die Gründe für die soziale Rechtfertigung aber
nachträglich während des Laufs der Kündigungsfrist wieder entfallen sind. Bei einer
Kündigung, die nicht nach § 1 Abs. 2 KSchG auf ihre soziale Rechtfertigung hin zu
untersuchen ist, kann der die Kündigung sozial rechfertigende Grund aber nicht
nachträglich wegfallen (so ausdrücklich: LAG Frankfurt, Urteil vom 07.03.2000 - 9 Sa
1077/99 -, Unter II. 2. a) der Entscheidungsgründe).
Damit kommt es nicht darauf an, welche Gründe für die Beklagte für die noch während der
Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ausgesprochene Kündigung letztlich maßgeblich
gewesen sind und ob diese Gründe während der Kündigungsfrist weggefallen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat die Klägerin die Kosten
des erfolglos gebliebenen Rechtsmittel zu tragen.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Es handelt sich
um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, bei der die Kammer der
aufgezeigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Wiedereinstellungsanspruch gefolgt
ist.
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Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil ist für die beklagte Partei ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Gegen dieses Urteil ist für die klagende Partei mangels ausdrücklicher Zulassung die
Revision nicht statthaft, § 72 Abs. 1 ArbGG. Wegen der Möglichkeit, die Nichtzulassung der
Revision selbständig durch Beschwerde beim Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuß-Platz 1,
99084 Erfurt, Fax-Nr. (03 61) 26 36 - 2 00 0 anzufechten, wird die auf die Anforderungen
des § 72 a ArbGG verwiesen.
Reinhart
Beeking
Schmolke