Urteil des LAG Hamm vom 18.03.2005

LArbG Hamm: haftung des arbeitgebers, berufskrankheit, arbeitsgericht, atrophie, rechtshängigkeit, unternehmer, verdienstausfall, kausalität, gutachter, anweisung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landesarbeitsgericht Hamm, 10 Sa 482/04
18.03.2005
Landesarbeitsgericht Hamm
10. Kammer
Urteil
10 Sa 482/04
Arbeitsgericht Dortmund, 2 Ca 3042/03
Haftung des Arbeitgebers bei
BerufskrankheitHaftungsausschlussUmfang des Vorsatzes - Erstreckung
auf Schadenseintritt und -folgen
§§ 9 Abs. 1, 104 Abs. 1 SGB VII
Die Revision wird nicht zugelassen
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund
vom 11.11.2003 - 2 Ca 3042/03 - wird auf Kosten des Klägers
zurückgewiesen.
Tatbestand:
Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprü-
che geltend.
Der am 12.01.13xx geborene Kläger ist verheiratet und hat ein volljähriges Kind.
In der Zeit von Mai 1974 bis Januar 2001 war er bei der Beklagten auf Grund eines
schriftlichen Einstellungsschreibens vom 02.05.1974 (Bl. 15 d.A.) als gewerblicher
Arbeitnehmer tätig. Seit dem 03.01.2001 bezieht der Kläger eine Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit.
Vor seiner Tätigkeit bei der Beklagten hatte der Kläger eine Bäckerlehre absolviert und war
von 1972 bis 1974 an einer Tankstelle als Tankwart tätig.
In der Zeit von 1974 bis 1982 war der Kläger von der Beklagten überwiegend im Tanklager
im Außenbereich eingesetzt; ausnahmsweise verrichtete er auch innerbetriebliche
Gabelstaplertransporte. Während dieser Zeit ging der Kläger mit verschiedenen
chemischen Stoffen um, unter anderem auch mit organischen Lösungsmitteln wie
Methanol, Isopropanol und Benzol.
Seit 1982 war der Kläger als LKW- und Staplerfahrer der Abteilung TBB/Werktransporte,
Haus- und Hofinspektion bei der Beklagten eingesetzt. In dieser Funktion führte er
verschiedenste interne und externe Transporte nach den Regeln des Gefahrgut- und
Gefahrstoffrechts aus; unter anderem musste er auch Gebinde mit Abfallstoffen ent- bzw.
verladen und zur werkseigenen Abfallverbrennungsanlage transportieren. Dabei hatte der
Kläger teilweise auch solche Stoffe zu transportieren, die heute gesetzlich als sogenannter
besonders überwachungsbedürftiger Abfall qualifiziert werden.
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Mitte der 90er Jahre trat bei dem Kläger eine Erkrankung auf, die in den gesundheitlichen
Einschränkungen ungefähr denen der Parkinsonschen Krankheit entspricht. Insoweit war
er erstmalig im Februar 1996 beim Arzt vorstellig. Bei dem Kläger wurden erhebliche
zerebrale Schädigungsmuster festgestellt sowie weitere Symptome, die insbesondere auf
eine Man-
gan- und Bleivergiftung zurückzuführen sind. Insoweit handelt es sich um das MPTP-
induzierte Parkinson-Syndrom, welches zu den toxisch ausgelösten Parkinson-Syndromen
gehört. Eine endgültige Diagnose konnte erst im Jahre 2000 erstellt werden. Dieses
Krankheitsbild wird mit dem Begriff Multi-System-Atrophie (MSA) bezeichnet. Hierbei sind
mehrere neurolale Systeme im Gehirn von einer Atrophie (Zelluntergang) betroffen. Neben
den typischen Anzeichen der Parkinsonschen Krankheit treffen weitere autonome Zeichen
in Form Hypotension, Harninkontinenz, Impotenz, Kleinhirn- und Pyramidenbahnzeichen
etc. hinzu.
Ob es sich bei der Multi-System-Atrophie um eine Berufskrankheit handelt und ob der
Kläger nicht vielmehr an einer toxischen Encephalopathie leidet, ist zwischen den Parteien
ebenso streitig wie die Frage, ob die Tätigkeit des Klägers bei der Beklagten für seine
derzeitige Erkrankung ursächlich war.
Mit der am 18.02.2003 beim Sozialgericht Dortmund eingegangenen Klage machte der
Kläger unter Berufung auf ein nach § 109 SGG eingeholtes Gutachten des P2xx. D4.
P3xxxxxx vom 10.11.2003 (Anlage zur Berufungsbegründung vom 18.05.2004, Bl. 64 ff.
d.A. S 23 U 12/03 Sozialgericht Dortmund) die Anerkennung einer Berufskrankheit geltend.
Nach Vorlage eines Gegengutachtens des P2xx. D4. K2xxxxxxx vom 16.02.2004 (Bl. 132
ff. d.A. S 23 U 12/03 Sozialgericht Dortmund) wurde die Klage des Klägers vom
Sozialgericht Dortmund durch Urteil vom 26.07.2004 abgewiesen. Über die hiergegen vom
Kläger eingelegte Berufung zum Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 17 U 237/04
– ist noch nicht entschieden.
Mit der am 12.05.2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen und später geänderten Klage
machte der Kläger Schadensersatzansprüche insbesondere Verdienstausfall und
Schmerzensgeld geltend.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass für seine Erkrankung seine jahrelangen Tä-
tigkeiten bei der Beklagten ursächlich seien und dass die Beklagte die Erkrankung in
jedem Fall vorsätzlich bedingt zu vertreten habe. Hierzu hat er behauptet, dass er
regelmäßig Kontakt mit verschiedensten Giftstoffen gehabt habe. Weder er selbst noch die
anderen Mitarbeiter seien, wie dies notwendig gewesen wäre, mit den entsprechenden
Schutzan-zügen, Atemmasken und Handschuhen ausgerüstet worden. Weder seien ihm
Schutzmaß-nahmen vorgeschrieben worden noch sei er davon in Kenntnis gesetzt worden,
mit welchen hochgiftigen Mitteln er zu tun gehabt habe. Insbesondere sei er in der Zeit von
1982 bis
1992 als Fahrer von Sondermüll zum Beispiel ohne jegliche Schutzmaßnahmen mit
sogenannter Verbrennungsasche in Berührung gekommen, die hochbelastet mit giftigen
Verbrennungsrückständen und Schwermetallen gewesen sei. Zudem habe er sogenannten
Strahlsand zur Reinigung von Chemiebehältern ohne Plane und ohne weiteren Schutz
einmal monatlich transportiert, wie auch etwa Chromsäure drei Mal pro Monat in offenen
Containern. Beim Aufladen von ungereinigten Schrottfässern sei er ständig mit Lösemitteln
und Dämpfen in Berührung gekommen. Ein solcher Kontakt habe auch im Rahmen der
innerbetrieblichen Transporte von 1992 bis 1996 bestanden, wenn er Abfälle aus den
Laboren zu entsorgen gehabt habe.
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Das habe ebenso gegolten für die Transporte von unreinen Lösemitteln zu internen
Verbrennungsanlagen in der Zeit von 1996 bis 2000. In der sogenannten Pumpenstation,
wo die Entleerung solcher Fässern erfolgt sei, hätten ständig offene Fässer, Container,
Großbehälter und Kanister gestanden, die gerade eingetankt worden seien. Durch defekte
Fässer seien dort jeden Tag Lösemittel auf den Boden ausgelaufen. Auch die Tankwagen
der Beklagten selbst seien durch übergelaufene Lösemittel verunreinigt gewesen. Darüber
hinaus habe er selbst auch verunreinigte Tankwagen und Fässer reinigen müssen.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld
nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Haushaltsführungsschaden ab
Juni 2000 bis einschließlich September 2003 in Höhe von 19.500,00 Euro nebst Zinsen in
Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab Oktober 2003 einen
Haushaltsführungsschaden in Höhe von 487,50 Euro monatlich zu zahlen;
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Verdienstausfall für den Zeitraum
Januar 2001 bis einschließlich September 2003 in Höhe von 21.575,73 Euro nebst Zinsen
in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
5. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Verdienstausfall in Höhe von 653,81
Euro monatlich ab Oktober 2003 zu zahlen;
6. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle, auch
zukünftigen, materiellen und immateriellen Schäden aus dem bestandenen
Arbeitsverhältnis der Parteien zu ersetzen, den materiellen Schaden unter dem Vorbehalt,
dass ein Forderungsübergang nicht eingetreten ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Tätigkeit
des Klägers bei der Beklagten und seiner derzeitigen Erkrankung könne nicht festgestellt
werden. Insbesondere fehle es an jeglichem Verschulden der Beklagten. Dazu hat sie
behauptet, sämtliche arbeitsrechtlichen und sonstigen Schutzvorschriften zugunsten ihrer
Mitarbeiter eingehalten zu haben. Dem Kläger und seinen Kollegen hätten Schutzanzüge,
Atemmasken und Handschuhe für solche Arbeiten zur Verfügung gestanden, bei denen
diese Schutzmaßnahmen erforderlich gewesen wären. Niemals seien seitens der
Beklagten der Kläger oder andere Mitarbeiter angewiesen worden, Arbeiten ohne die
erforderlichen Schutzmaßnahmen durchzuführen. Generell sei der Kläger angewiesen,
seinen Vorgesetzen danach zu befragen, weile Schutzmaßnahmen im konkreten Fall
erforderlich wären. Der Kläger sei über das Vorhandensein dieser Schutzvorrichtungen
informiert und regelmäßig dazu angehalten worden, diese auch zu benutzen.
Ferner hätten viele Arbeiten des Klägers im Freien stattgefunden, so dass kaum eine
Gefährdung durch entweichende Dämpfe bestanden haben könne. Schließlich sei der
Kläger in den entsprechenden vorgegebenen Zeiträumen auch arbeitsmedizinisch nach
den Grundsätzen der Berufsgenossenschaft untersucht worden. Im Übrigen sei der Kläger
etwa bei seinen Fahrten zu der Sondermüllverbrennungsanlage lediglich mit sogenannter
Verbrennungsschlacke in Kontakt geraten, ein ohne Expositionsgefahren transportierbares
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Material, von deren Verbrennungsrückständen keinerlei Gesundheitsgefahren ausgingen.
Mit Klärschlamm habe der Kläger keinen unmittelbaren Umgang gehabt. Dieser sei jedoch
auch nicht im Sinne der Gefahrstoffordnung giftig. Chromsäure habe der Kläger ebenfalls
nicht transportiert. Lösemittel sowie Abfälle aus Laboren seien als geschlossene Gebinde
transportiert worden, so dass der Kläger damit nicht in Berührung gekommen sei. Auch der
kontaminierte sogenannte Strahlsand sei lediglich abgedeckt transportiert worden.
Durch Urteil vom 11.11.2003 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, für die geltend gemachten Ansprüche fehle es bereits an der
notwendigen Kausalität zwischen der Arbeitsleistung des Klägers und seiner Erkrankung.
Im Übrigen könne auch ein Verschulden der Beklagten an der Erkrankung des Klägers
nicht festgestellt werden.
Gegen das dem Kläger am 19.02.2004 zugestellte Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe
ergänzend Bezug genommen wird, hat der Kläger am 11.03.2004 Berufung zum
Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 19.05.2004 mit dem am 18.05.2004 beim
Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Unter Berufung auf das Gutachten des P2xx. D4. P3xxxxxx vom 10.11.2003 ist der Kläger
der Auffassung, dass er an einer toxischen Encephalopathie leide, die durch seine
Tätigkeit bei der Beklagten herbeigeführt worden sei. In diesem Gutachten komme der
Gutachter zu dem Ergebnis, dass die haftungsbegründende Kausalität im Sinne einer
lösungsmittelbedingten Berufskrankheit beim Kläger erfüllt sei.
Die Beklagte könne sich auch nicht auf den Haftungsausschluss nach § 104 SGB VII
berufen, da die Beklagte die Gesundheitsschäden des Klägers mit bedingtem Vorsatz
herbeigeführt und in Kauf genommen habe. Insoweit wiederholt der Kläger sein
erstinstanzliches Vorbringen und meint, dass die Verstöße der Beklagten gegen die
Arbeitssicherheit im Umgang mit den Lösemitteln insbesondere während seiner Tätigkeit
im Zeitraum von 1974 bis 1982 derart gravierend gewesen seien, dass von einem
vorsätzlichen Verhalten der Beklagten auszugehen sei. Hierzu behauptet der Kläger
erneut, die Arbeiten, die er seinerzeit durchgeführt habe, seien ausnahmslos ohne
Schutzkleidung oder Atemmasken durchgeführt worden. Bereits bei Arbeitsbeginn im Jahre
1974 habe der Kläger auf Anweisung seiner damaligen Vorgesetzten Zapfanlagen,
Schränke und Armaturen mit Methanol abwaschen müssen. Bei dieser Arbeit habe der
Kläger keine Schutzkleidung wie Handschuhe, Atemmasken etc. getragen. Derartige
Schutzmaßnahmen seien zum damaligen Zeitpunkt nicht vorhanden gewesen.
Zudem habe der Kläger schon damals Tankwagen mustern müssen, die Methanol, Aceton,
Toluol, Methylenchlorid sowie Tetrahydrofuran enthalten hätten. Der Kläger sei über die
Giftigkeit dieser Stoffe nie aufgeklärt worden. Er sei vielmehr häufig aufgefordert worden,
mit sauberen Händen Proben aus den Tankwagen zu entnehmen, wenn die Steckheber
nicht sauber gewesen seien, da ansonsten die Proben doppelt genommen werden
müssen. Welche gesundheitlichen Risiken der Kläger damit eingegangen sei, sei ihm nicht
bewusst gewesen.
Ferner hätte es damals zu seinen Aufgaben gehört, den sogenannten Wärmeraum zu
reinigen. Auch hier seien Lösemittel verwandt worden. Dazu seien ca. 100 Liter
Methylenchlorid in den Raum geschüttet worden, um anschließend damit den Boden zu
säubern.
Ferner hätte der Kläger Tankwagen, die mit Pyridin gefüllt gewesen seien, reinigen
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müssen. Zu diesem Zweck habe der Kläger die einzelnen Kammern der Tankwagen
jeweils mit 20 Litern Pyridin ausspülen und anschließend auf Sauberkeit prüfen müssen.
Wenn die Kammern nicht sauber oder feucht gewesen seien, hätte sich das Pyridin gelb
verfärbt. Nach dem Spülen habe der Kläger überprüfen müssen, ob die Wände sauber
gewesen seien; zu diesem Zweck habe er unmittelbar seinen Kopf in die Tankkammern
stecken und deren Sauberkeit optisch prüfen müssen. Hierzu habe er direkte Anweisung
von seinen damaligen Vorgesetzten erhalten.
Während seiner Tätigkeit in dem alten Labor von 1974 bis 1982 sei dort auch keine
ordnungsgemäß arbeitende Be- und Entlüftungsanlage vorhanden gewesen. Der Geruch
im Labor nach Lösemitteln sei unerträglich gewesen, eine Frischluftzufuhr sei kaum
vorhanden gewesen. Damals habe der Kläger eine Anweisung erhalten, eine sogenannte
Schnellanalyse durchzuführen, indem er den Inhalt von Probeflaschen durch Riechen habe
ermitteln sollen. Eine ordnungsgemäße Analyse habe der Laborleitung in der Regel zu
lange gedauert und sei zu aufwändig gewesen.
Insgesamt sei damit festzuhalten, dass Gesundheitsschäden des Klägers bewusst in Kauf
genommen worden seien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 11.11.2003 – 2 Ca 3042/03 –
abzuändern und
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld
nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Haushaltsführungsschaden ab
Juni 2000 bis einschließlich September 2003 in Höhe von 19.500,00 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab Oktober 2003 einen
Haushaltsführungsschaden in Höhe von 487,50 € monatlich zu zahlen,
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Verdienstausfall für den Zeitraum
Januar 2001 bis einschließlich September 2003 in Höhe von 21.575,73 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
5. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Verdienstausfall in Höhe von 653,81
€ monatlich ab Oktober 2003 zu zahlen,
6. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle, auch
zukünftigen, materiellen und immateriellen Schäden aus dem bestandenen
Arbeitsverhältnis der Parteien zu ersetzen, den materiellen Schaden unter dem Vorbehalt,
dass ein Forderungsübergang nicht eingetreten ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens verteidigt die Beklagte das
arbeitsgerichtliche Urteil.
Sie ist der Auffassung, dass das Gutachten des P2xx. D4. P3xxxxxx vom 10.11.2003 im
vorliegenden Verfahren nicht verwertet werden könne, da es sich um ein bloßes
Parteigutachten handelt, dass nicht vom Sozialgericht eingeholt worden sei. Ferner
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vermöge die Übersendung dieses Gutachtens ein Parteivorbringen nicht zu ersetzen.
Die Beklagte ist ferner der Auffassung, der Kläger leide nicht an einer Berufskrankheit. Ins-
besondere könne er sich auch inhaltlich auf das Gutachten des P2xx. D4. P3xxxxxx vom
10.11.2003 nicht berufen. Dieser Gutachter habe in einem Bericht vom 31.07.2000 (Bl. 68
d.A.) selbst die Verdachtsdiagnose Multi-System-Atrophie gestellt. Ferner hätten sowohl
der Vorgutachter D4. K3xxxxxx wie auch der Vorgutachter D4. P4xxxx beim Kläger weder
ein Parkinson-Syndrom noch eine Polyneuropathie sondern eine Multi-System-Atrophie
diagnostiziert. Hiervon gehe auch der Gutachter P2xx. D4. K2xxxxxxx aus. Der Kläger sei
an einer Multi-System-Atrophie erkrankt. Diese Erkrankung sei nicht ursächlich auf eine
Lösemittelexposition zurückzuführen. Toxische Encephalopathien träten in der Regel noch
während des Expositionszeitraumes auf. Eine Latenz von mehreren Monaten oder gar
Jahren nach Expositionsende spreche gegen die lösungsmittelbedingte Encephalopathie.
Nach dem eigenen Vorbringen des Klägers sei seine Erkrankung jedoch erst Mitte der
neunziger Jahre aufgetreten. Eine Kausalität zwischen der Tätigkeit des Klägers in den
Jahren 1974 bis 1982 und seiner in den neunziger Jahren aufgetretenen Erkrankung sei
damit ausgeschlossen.
Unzutreffend sei auch das Vorbringen des Klägers, wonach die Beklagte seine Erkrankung
mit mindestens bedingtem Vorsatz herbei geführt habe. Sämtliche vom Kläger insoweit
aufgestellten Behauptungen müssten bestritten werden. Die vom Kläger geschilderten
Vorgänge habe es nie gegeben. Die Beklagte habe auch in Vergangenheit immer die im
Verkehr erforderliche Sorgfalt stets beachtet.
Die Berufungskammer hat die Akten des Sozialgerichts Dortmund – S 23 U 12/03 = LSG
NRW – L 17 U 237/04 – beigezogen. Auf den Inhalt dieser Akten wird ebenso Bezug
genommen wie auf den weiteren Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze
nebst deren Anlagen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
I.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die vom Kläger geltend
gemachten Schadensersatzansprüche als unbegründet abgewiesen. Zur Vermeidung von
Wiederholungen wird auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe, denen die
Berufungskammer folgt, Bezug genommen.
Die Berufung des Klägers führt zu keinem anderen Ergebnis.
Die Haftung der Beklagten ist nämlich, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat,
nach § 104 SGB VII ausgeschlossen.
1. Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Unternehmer den Versicherten, die für ihre
Unternehmer tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung
begründenden Beziehung stehen, sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach
anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein
Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall
vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 – 4 versicherten Weg herbei geführt
haben.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
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Der Kläger gehört zwar zu den Versicherten im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, die
für die Beklagte tätig gewesen sind.
Ob ein Versicherungsfall im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII vorliegt steht jedoch
schon nicht fest. Versicherungsfälle sind nach § 7 Satz 1 SGB VII Arbeitsunfälle und
Berufskrankheiten. Einen Arbeitsunfall hat der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen
nicht erlitten. Ob eine Berufskrankheit im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB VII vorliegt, steht
jedoch bislang noch nicht fest. Hierüber streiten der Kläger und die Berufsgenossenschaft
der chemischen Industrie in dem sozialgerichtlichen Verfahren, das noch nicht beendet ist.
Die Berufungskammer kann auch nicht selbständig feststellen, ob der Kläger an einer
Berufskrankheit im Sinne des § 9 SGB VII leidet. Ob eine Berufskrankheit vorliegt,
entscheiden letztlich die zuständige Berufsgenossenschaft bzw. die Sozialgerichte. An
eine derartige Entscheidung wäre die Berufungskammer nach § 108 Abs. 1 SGB VII
gebunden, gegebenenfalls wäre das vorliegende Verfahren bis zur Feststellung im
sozialgerichtlichen Verfahren auszusetzen (vergl. ErfK/Rolfs, 5. Auflage, § 108 SGB VII Rz.
5 mit weiteren Nachweisen).
2. Selbst wenn zu Gunsten des Klägers unterstellt wird, dass er an einer toxischen
Encephalopathie leidet, kann auch die Berufungskammer auf Grund des Vorbringens des
Klägers nicht davon ausgehen, dass die Gesundheitsschäden des Klägers und damit eine
Berufskrankheit von der Beklagten vorsätzlich herbeigeführt worden sind. Das
Arbeitsgericht hat bereits in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, dass es für die
geltend gemachten Ansprüche an der notwendigen Kausalität zwischen der Tätigkeit des
Klägers für die Beklagte und der vorsätzlichen Herbeiführung einer
Gesundheitsbeschädigung gefehlt.
Vorsatz im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII kann nur dann angenommen werden,
wenn der Unternehmer den Versicherungsfall und den Schaden zumindest als möglich
voraus sieht und ihn für den Fall des Eintritts billigend in Kauf nimmt (BAG, Urteil vom
08.11.1970 – AP RVO § 636 Nr. 4; BAG, Urteil vom 18.04.2002 – AP BGB § 611 Haftung
des Arbeitnehmers Nr. 122).
a) Unternehmer im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist nur derjenige, der das
Geschäftswagnis, das Unternehmerrisiko trägt (BGH, Urteil vom 05.07.1977 – LM Nr. 12 zu
§ 636 RVO; ErfK/Rolfs, a.a.O., § 104 SGB VII Rz. 19 mit weiteren Nachweisen). Der Kläger
hat auch mit der Berufung schon nicht substantiiert vorgetragen, wer genau als
Unternehmer auf Beklagtenseite zum Zeitpunkt der zum Schadensersatz verpflichtenden
Handlungen positive Kenntnis von den angeblichen Pflichtverletzungen gehabt hat.
Ebenso wenig ist vorgetragen worden, wer genau als Unternehmer auf Beklagtenseite in
den Jahren 1974 bis 1982 davon Kenntnis gehabt hat, dass möglicherweise
Unfallverhütungsvorschriften nicht eingehalten und Verstöße gegen die Arbeitssicherheit
vorgekommen sind. Der bloße Hinweis des Klägers, dass er seinerzeit entsprechende
Anweisungen von seinen direkten Vorgesetzten erhalten habe, ist insoweit unzureichend.
Entscheidend ist, ob die Geschäftsleitung der Beklagten von diesen rechtswidrigen
Anweisungen Kenntnis gehabt hat.
b) Der Kläger hat darüber hinaus auch nicht substantiiert vorgetragen, inwieweit die
Beklagte in Bezug auf die Schadensfolge zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hat.
Nach der ganz herrschenden Meinung muss sich der Vorsatz des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB
VII nicht nur auf die Verletzungshandlung, sondern auch auf den Schadenseintritt und die
damit verbundenen Schadensfolgen beziehen. Dass der Vorsatz die
Gesundheitsschädigung einschließen muss, ergibt sich aus der gesetzlichen Definition des
Versicherungsfalles und der Gesetzessystematik. Dies galt bereits unter der
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Vorgängervorschrift des § 636 RVO (BAG, Urteil vom 27.06.1975 – AP RVO § 636 Nr. 9).
Der Vorsatz des Schädigers musste nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den
Verletzungserfolg umfassen. Auch die bloße vorsätzliche Missachtung von
Unfallverhütungs- und Arbeitssicherheitsvorschriften, auf die ein Arbeitsunfall oder eine
Berufskrankheit zurückzuführen war, führte nicht die Entsperrung des Haftungsanspruches
herbei.
An dieser Rechtsprechung hat sich durch die an die Stelle der §§ 636, 637 RVO getretenen
§§ 104, 105 SGB VII nichts geändert (BAG, Urteil vom 10.10.2002 – AP SGB VII § 104 Nr.
1; BAG, Urteil vom 22.04.2004 – AP SGB VII § 105 Nr. 3; BAG, Urteil vom 19.08.2004 – AP
SGB VII § 104 Nr. 4; BGH, Urteil vom 11.02.2003 – BGHZ 154, 11 = NJW 2003, 1605;
ErfK/Rolfs, a.a.O., § 104 SGB VII Rz. 20 mit weiteren Nachweisen). Auch nach § 104 Abs. 1
Satz 1 SGB VII genügt es nicht, dass sich der Vorsatz nur auf die Verletzungshandlung
bezieht, dieser muss sich vielmehr auch auf den konkreten Verletzungserfolg, den
Personenschaden erstrecken. Dieser Auffassung folgt auch die Berufungskammer.
Aus dem Vorbringen des Klägers geht aber nicht hervor, inwieweit die Beklagte als
Unternehmen den Personenschaden des Klägers vorsätzlich herbeigeführt hat. Der Kläger
hat nicht substantiiert vorgetragen, wer auf Beklagtenseite die konkreten Verletzungsfolgen
bewusst und gewollt herbeigeführt hat. Auch dies hat das Arbeitsgericht in dem
angefochtenen Urteil zutreffend dargestellt. Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich
ferner nicht, zu welchen Zeiten er bei welchen Tätigkeiten in welchen Einsatzbereichen mit
welchen Giftstoffen in Kontakt geraten sein will, welche Anweisungen erteilt worden sind
und insbesondere welche Schutzmaßnahmen, zu deren Ergreifung die Beklagte in den
Jahren 1974 bis 1982 verpflichtet gewesen ist, nicht getroffen worden sind. Insoweit wäre
es erforderlich gewesen, im Einzelnen darzustellen, welche Schutzmaßnahmen vorhanden
gewesen sind und angeboten worden und welche Schutzmaßnahmen, zu denen die
Beklagte seinerzeit verpflichtet gewesen ist, nicht getroffen worden sind. Diesen
Anforderungen wird das klägerische Vorbringen auch in der Berufungsinstanz nicht
gerecht. Der Kläger hat nicht vorgetragen, wer auf Beklagtenseite die konkreten
Verletzungsfolgen bewusst und gewollt herbei geführt hat.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten des
erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.
Der Streitwert hat sich in der Berufungsinstanz nicht geändert, § 63 GKG.
Für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht bestand nach § 72 Abs. 2
ArbGG keine Veranlassung.
Schierbaum Der ehrenamtliche Richter Dröge ist an der Unterschrift wegen
Beendigung seiner Amtszeit verhindert Schierbaum
Rüffer
/Go.