Urteil des LAG Hamm vom 29.03.2006

LArbG Hamm (einleitung des verfahrens, firma, betrieb, arbeitnehmer, vergleich, betriebsrat, unternehmen, einstweilige verfügung, verfügung, wahl)

Landesarbeitsgericht Hamm, 13 TaBV 26/06
Datum:
29.03.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 TaBV 26/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Paderborn, 2 (1) BVGa 1/06
Schlagworte:
Einstweilige Verfügung; Wahl; Betriebsrat; Wahlvorstand, Herausgabe;
Unterlagen; Wähler-liste; Betrieb; Begriff; gemeinsamer Betrieb;
Unternehmen
Normen:
§ 1 BetrVG; § 3 BetrVG; § 2 Abs. 2 Satz 1 WO 2001
Leitsätze:
Zu den Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung auf Herausgabe
von Unterlagen
zur Erstellung der Wählerliste bei einem Streit um den Betriebsbegriff.
Rechtskraft:
Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 92 Abs. 1
Satz 3 ArbGG)
Tenor:
Auf die Beschwerde des Wahlvorstands wird der Beschluss des
Arbeitsgerichts Paderborn vom 10.03.2006 - 2 (1) BVGa 1/06 -
abgeändert.
Der Arbeitgeberin wird im Wege der einstweiligen Verfügung
aufgegeben, an den Wahlvorstand eine Liste herauszugeben
a.) mit allen bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern unter Angabe der
Namen und Vornamen, des Geburts- und Eintrittsdatums sowie des
Geschlechts, wobei die aus Sicht der Arbeitgeberin als leitende
Angestellte einzustufenden Arbeitnehmer zu kennzeichnen sind, und
b.) mit allen bei ihr tätigen Leiharbeitnehmern, die am 28.04.2006 länger
als drei Monate im Betrieb eingesetzt sind oder länger als drei Monate
im Betrieb eingesetzt werden sollen, unter Angabe der Namen und
Vornamen, des Geburtsdatums und des Geschlechts.
G r ü n d e:
1
A.
2
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens um die
Erteilung von Auskünften zur Anfertigung einer Wählerliste für die bevorstehende
Betriebsratswahl.
3
Antragsteller ist der fünfköpfige Wahlvorstand des Gemeinschaftsbetriebs S2xxx. Er
wurde vom Betriebsrat des gemeinsamen Betriebs der sechs Unternehmen S2xxx
N1xxxxxxxxxxxx GmbH & Co. KG, T1xxxxxxx A2. S7xxxxxx GmbH & Co. KG (im
Folgenden kurz: Firma T1x-xxxxxx), B2xxxxxx D3xxxxxxxxx GmbH, C1xxxxxx
N1xxxxxxxxxxxx GmbH & Co. KG, S8 & G2 G3xxxxxx GmbH & Co. KG und K3-S8-K3
T2xxxxxxxx B3xxxxxxxxxxxxxxxxx GmbH & Co. KG (im Folgenden kurz: Firma K6x) zur
Durchführung der Betriebsratswahlen 2006 bestellt.
4
Nachdem der Wahlvorstand zu der Überzeugung gelangt war, auch das im
vorliegenden Verfahren beteiligte Unternehmen P4xxxxxxxxx K2xxxxxx GmbH & Co.
KG (im Folgenden kurz: Firma K2xxxxxx) gehöre zum Gemeinschaftsbetrieb S2xxx,
forderte er die Beteiligte zu 2) erstmals mit Schreiben vom 07.10.2005 auf, ihm die zur
Erstellung der Wählerliste erforderlichen Informationen über die beschäftigten
Arbeitnehmer und Leiharbeitnehmer zu erteilen.
5
Dies wurde in der Folgezeit abgelehnt. Dabei berief sich man u.a. auf einen am
15.02.2002 vor dem Arbeitsgericht Paderborn (AZ: 2 BV 2/02) geschlossenen Vergleich.
Im genannten Verfahren stritt man sich um die Bildung eines gemeinsamen Betriebs.
Antragsteller und Beteiligte zu 1) und 2) waren der Wahlvorstand und der Betriebsrat der
Unternehmensgruppe S2xxx. Daneben waren u.a. die hier in Anspruch genommene
Firma K2xxxxxx (als Beteiligte zu 9) und deren Betriebsrat (als Beteiligter zu 11)
beteiligt. Der geschlossene Vergleich lautet auszugsweise wie folgt:
6
"
7
Es besteht Einvernehmen darüber, dass die Firma K3-S8-K3 T2xxxxxxxx
B3xxxxxxxxxxxxxxxxx GmbH & Co. KG... mit sofortiger Wirkung einen
gemeinsamen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes mit den
Beteiligten zu 3) bis 7) führt.
8
Zum gemeinsamen Betrieb der sogenannten "S2xxx-Gruppe"
9
gehören somit die Unternehmen
10
B2xxxxxx D3xxxxxxxxx GmbH
11
S2xxx N2xxxxxxxxxxxxxxxxx GmbH & Co. KG
12
C1xxxxxx N1xxxxxxxxxxxx GmbH & Co. KG
13
S8 & G2 G3xxxxxx GmbH & Co. KG
14
T1xxxxxxx A3xxxx S7xxxxxxx GmbH & Co. KG und
15
K3-S8-K3 T2xxxxxxxx B3xxxxxxxxxxxxxxxxx GmbH & Co. KG.
16
2.
17
Es besteht Einvernehmen darüber, dass die Antragsteller und Beteiligten zu 1)
und 2) zukünftig, soweit nachgewiesenermaßen keine grundlegenden und
wesentlichen Änderungen bei den Unternehmen P4xxxxxxxxx K2xxxxxx GmbH
& Co. KG
18
...
19
hinsichtlich ihrer bestehenden Gesellschaftsverhältnisse und einer möglichen
Bindung an die sogenannte "S2xxx-Gruppe", d.h. die Beteiligten zu 3) bis 7)
eintreten, keine Anträge und/oder Ansprüche gleich welcher Art dahingehend
geltend gemacht werden, dass die vorstehend genannten Unternehmen
20
a) unter den gemeinsamen Betriebsbegriff der sogenannten "S2xxx-Gruppe"
fallen,
21
b) mit dieser einen gemeinsamen Betrieb führen und
22
c) die Arbeitnehmer wahlberechtigt im zukünftigen gemeinsamen Betrieb der
Beteiligten zu 3) bis 8) sind.
23
3.
24
Die Antragsteller und Beteiligten zu 1) und 2) nehmen den Antrag betreffend die
Beteiligten zu 9), 10) und 11) zurück."
25
26
Daraufhin leitete der Wahlvorstand beim Arbeitsgericht zunächst unter dem
Aktenzeichen 2 (3) BV 57/05 am 15.11.2005 ein Hauptsacheverfahren (Termin am
17.03.2006) und dann am 21.02.2006 das vorliegende einstweilige
Verfügungsverfahren ein, nachdem er zuvor am 01.02.2006 den Beschluss gefasst
hatte, in der Zeit vom 25. bis 27.04.2006 für die insgesamt ca. 765 Arbeitnehmer
(einschließlich 115 Wahlberechtigter bei der beteiligten Firma K2xxxxxx)
Betriebsratswahlen durchzuführen.
27
Er hat, soweit hier noch von Interesse, unter Berufung auf die Vermutungsregelung des
§ 1 Abs. 2 BetrVG die Auffassung vertreten, die beteiligte Firma K2xxxxxx bilde mit den
anderen sechs Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb. So sei sie in das
Kommunikationsnetz der S2xxx-Gruppe eingebunden, und ihre Mitarbeiter benutzten
teilweise dieselben Sozialräume sowie Zeiterfassungs- und Zugangskontrollsysteme.
Es komme zum Teil auch zu einem Personalaustausch.
28
Eine Bindung an den im Jahre 2002 geschlossenen Vergleich bestehe nicht.
29
Der Wahlvorstand hat, soweit hier noch von Interesse, beantragt,
30
der Beteiligten zu 2) aufzugeben, dem Wahlvorstand Listen mit allen bei ihr
beschäftigten Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer zu überlassen, die den
Namen, Vornamen, das Geburtsdatum, das Eintrittsdatum, das Geschlecht und
die Betriebsabteilung enthalten.
31
Soweit es sich bei den Arbeitnehmern nach Auffassung der Beteiligten zu 2) um
leitende Angestellte handelt, soll dies auf der Arbeitnehmerliste durch ein "L"
gekennzeichnet werden. Soweit Leiharbeitnehmer beschäftigt werden, die
länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden sollen, soll dies durch
einen "LA" kenntlich gemacht werden.
32
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
33
den Antrag abzuweisen.
34
Sie hat die Meinung vertreten, der Einleitung des Verfahrens und der Beauftragung von
Rechtsanwalt P2xxx lägen keine wirksamen Beschlüsse des Wahlvorstandes zugrunde.
35
Davon abgesehen stehe dem hier verfolgten Begehren der Vergleich vom 15.02.2002
entgegen. Tatsächlich bestehe auch kein gemeinsamer Betrieb mit den sechs
Unternehmen der S2xxx-Gruppe.
36
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 10.03.2006 den Antrag zurückgewiesen. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das einstweilige Verfügungsverfahren
sei nicht wirksam eingeleitet worden, weil insoweit kein eindeutiger Beschluss des
Wahlvorstandes vorgelegt worden sei.
37
Gegen diesen ihm am 13.03.2006 zugestellten Beschluss hat der Wahlvorstand am
20.03.2006 Beschwerde eingelegt und diese zugleich auch begründet.
38
Er hat die Niederschrift über eine Wahlvorstandssitzung am 22.02.2006 vorgelegt, in der
es unter Ziffer 5. heißt:
39
"Beschäftigungslisten der Firma P1xxxxxxx K2xxxxxx GmbH & Co KG,
Beauftragung eines Rechtsanwaltsbüros bzw. eines Rechtsanwaltes mit der
Führung eines "Einstweiligen Verfügungsverfahrens" zum Erhalt der
Beschäftigtenlisten...."
40
Weiter gibt es das Protokoll einer Wahlvorstandssitzung vom 13.03.2006, dessen TOP 3
lautet:
41
"Beauftragung der RAe K5xxx P2xxx und M3xxx S10xx mit der Wahrnehmung
der Interessen des Wahlvorstandes bezüglich der Namenslisten für die
Betriebsratswahl 2006.
42
Der Wahlvorstand hatte bereits die Rechtsanwälte K5xxx P2xxx und M3xxx
S10xx beauftragt, die Verfahren beim Arbeitsgericht 2 BV 57/05 und 2 (1) BVGa
1/06 zu führen. Weil der Beschluss möglicherweise nicht ausreichend war, soll
dieser wiederholt werden.
43
Der Wahlvorstand diskutiert ausgiebig die Problematik.
44
J1xxx S3xxxxxxxx stellt die Beschlussfähigkeit fest.
45
Es wird der Antrag gestellt, die Rechtsanwälte K5xxx P2xxx und M3xxx Sxxx mit
46
der Führung der Verfahren beim Arbeitsgericht 2 BV 57/05 und 2 (1) BVGa 1/06
zu beauftragen und gegebenenfalls auch Rechtsmittelverfahren zu führen."
In der Sache meint der Wahlvorstand, der Vergleich vom 15. 02.2002 habe auf das
vorliegende Verfahren keinen Einfluss. So seien weder er noch die Firma K2xxxxxx am
Vergleichsabschluss beteiligt gewesen. Im Übrigen liege ein Verstoß gegen § 3 BetrVG
vor.
47
Davon abgesehen habe es wesentliche und grundlegende Änderungen gegeben.
48
So erledigten ab etwa Ende 2002 unter Leitung von Linienaufsichten der beteiligten
Firma K2xxxxx Arbeitnehmer dieses Unternehmens und der Firma T1xxxxxxx im
Betriebsteil H2x-xxxxxxxxx S4xxxx 61 gemeinsam die Arbeiten bei der Befüllung von
PET-Flaschen, namentlich in den Bereichen der Maschinenbediener und
Produktionshelfer. Dort komme es auch zum Austausch von Beschäftigten. Es würden
auch Arbeitnehmer der Firma T1xxxxxxx vom Betriebsteil A4xxxxxxx zum Standort
H2xxxxxxxxxxx S4xxxx geschickt und unterständen dort den Linienführern der Firma
K2xxxxxx.
49
Auch im Bereich der Presswerke für Äpfel und Karotten kämen Produktionsmitarbeiter
der Firma T1xxxxxxx unter Leitung von Vorgesetzten der Firma K2xxxxxx zum Einsatz.
50
Die gesamte Personaleinteilung fuße auf einer gemeinsamen Schichtplanung.
51
Anfallende Wartungs- und Reparaturarbeiten sowie sonstige technische Aufgaben
würden von den Beschäftigten der ebenfalls zum Gemeinschaftsbetrieb gehörenden
Firma K3-S8-K3 erledigt.
52
Der Wahlvorstand beantragt,
53
den Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 10.03.2006 – 2 (1) BVGa 1/06 –
abzuändern und der Arbeitgeberin im Weg der einstweiligen Verfügung aufzugeben,
eine Liste herauszugeben
54
a.) mit allen bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern unter Angabe der Namen und
Vornamen, des Geburts- und Eintrittsdatums sowie des Geschlechts, wobei die aus
Sicht der Arbeitgeberin als leitende Angestellte einzustufenden Arbeitnehmer zu
kennzeichnen sind, und
55
b.) mit allen bei ihr tätigen Leiharbeitnehmern, die am 28.04.2006 länger als drei
Monate im Betrieb eingesetzt sind oder länger als drei Monate im Betrieb
eingesetzt werden sollen, unter Angabe der Namen und Vornamen, des
Geburtsdatums und des Geschlechts.
56
Die Arbeitgeberin beantragt,
57
die Beschwerde zurückzuweisen.
58
Sie ist der Ansicht, der Wahlvorstand sei nicht ordnungsgemäß bestellt worden. Im
Übrigen sei das vorliegende Beschlussverfahren nicht ordnungsgemäß eingeleitet und
die Verfahrensbevollmächtigten seien nicht ordnungsgemäß bestellt worden.
59
Dem Begehren stehe auch der gerichtliche Vergleich vom 15.02.2002 entgegen;
zwischenzeitlich sei keine Änderung der relevanten Umstände eingetreten.
60
Es sei auch nicht dargelegt worden, wer die Lenkungsmacht des vermeintlichen
gemeinsamen Betriebs haben solle. Die Beschäftigten würden in den
betriebsverfassungsrechtlich relevanten Fragen jeweils ausschließlich dem
Direktionsrecht ihres eigenen Vorgesetzten unterliegen.
61
Wegen des weiteren Vorbringens beider Beteiligten wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
62
B.
63
I.
64
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch im Beschlussverfahren grundsätzlich
gemäß § 85 Abs. 2 ArbGG zulässig. So ist es allgemein anerkannt, dass der
Wahlvorstand seinen Anspruch gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 WO 2001 gegebenenfalls auch
im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen kann (DKKS/Schneider, 9. Aufl.,
WO Rn. 15; Fitting, 23. Aufl., § 2 WO Rn. 6; Kreutz GK-BetrVG, 8. Aufl., § 2 WO Rn. 10;
Richardi/Thüsing, 10. Aufl., § 2 WO Rn. 11).
65
II.
66
Die für die Einleitung des Verfahrens und die Beauftragung von Rechtsanwalt P2xxx
erforderlichen Beschlüsse hat der Wahlvorstand ordnungsgemäß gefasst.
67
So ist – erstmals mit dem Beschwerdeschriftsatz – die Niederschrift einer
Wahlvorstandssitzung am 22.02.2006 vorgelegt worden, nach deren Ziffer 5 mittels
eines Rechtsanwaltes "ein einstweiliges Verfügungsverfahren" zum Erhalt der
Beschäftigtenliste der beteiligten Firma K2xxxxxx geführt werden sollte. Rechtzeitig vor
Abschluss der ersten Instanz am 10.03.2006 wurde dadurch der insoweit unklare
Ursprungsbeschluss vom 26.10.2005 ausreichend konkretisiert (vgl. BAG AP BetrVG
1972 § 78a Nr. 33; AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 11; Beschl. v.
16.11.2005 – 7 ABR 12/05).
68
Bevor Rechtsanwalt P2xxx am 20.03.2006 namens und in Vollmacht des
Wahlvorstandes die Beschwerde einreichte, hatte dieser in seiner Sitzung am
13.03.2006 zu TOP 3 nochmals die Beauftragung des Verfahrensbevollmächtigten
bekräftigt – einschließlich der Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens.
69
III.
70
Soweit die beteiligte Firma K2xxxxxx die rechtmäßige Bestellung des Wahlvorstandes
durch den Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs S2xxx unter Berufung auf einen
gemeinsamen Betrieb in Frage stellt, kann sie hiermit im vorliegenden einstweiligen
Verfügungsverfahren nicht durchdringen.
71
Denn wie das Bundesarbeitsgericht (AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 55) zu Recht betont hat,
führt die Verkennung des Betriebsbegriffs weder zur Nichtigkeit der Bestellung des
72
Wahlvorstandes noch zur Nichtigkeit der anschließenden Betriebsratswahl; allenfalls
können Fehler in diesem Bereich die Anfechtbarkeit der Wahl nach § 19 BetrVG
begründen (z.B. Kreutz GK-BetrVG, a.a.O., § 16 Rn. 89). In der genannten Norm kommt
die grundlegende gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck, dass selbst eine
möglicherweise fehlerhafte Wahl zunächst einmal stattfinden soll und in eine
(vorläufige) Bestandskraft erwächst, um in jedem Fall Zeiten ohne Betriebsrat zu
vermeiden. Alle eventuell bestehenden Mängel werden dann sogar geheilt, wenn keine
Anfechtungsberechtigten innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG
tätig werden, um eine richterliche Gestaltungsentscheidung zu erreichen.
Daraus folgt, dass es bei einem Streit um den Zuschnitt der betriebsratsfähigen
Organisationseinheit – von offensichtlichen und groben Fehlern abgesehen – zunächst
zur Wahl eines Betriebsrates kommen soll. Insoweit war hier der Betriebsrat der
Unternehmensgruppe S2xxx, der mit ca. 650 Arbeitnehmern – gegenüber 115
Wahlberechtigten bei der Firma K2xxxxxx – die Mehrheit der wahlberechtigten
Arbeitnehmer repräsentiert, in entsprechender Anwendung des § 21a Abs. 2 Satz 1
BetrVG zu Recht berufen, den Wahlvorstand einschließlich seines Vorsitzenden zu
bestellen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 BetrVG; vgl. LAG Niedersachsen NZA-RR 1998, 545).
73
IV.
74
Der Verfügungsanspruch ergibt sich für den Wahlvorstand aus § 2 Abs. 2 Satz 1 WO
2001. Danach hat der Arbeitgeber alle für die Anfertigung der Wählerliste erforderlichen
Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Ihm
kommt also die Pflicht zu, den Wahlvorstand bei der Anfertigung der Wählerliste zu
unterstützen (Fitting, a.a.O., § 2 WO Rn. 6; Kreutz GK-BetrVG, a.a.O., § 2 WO Rn. 9).
Demgegenüber ist es die alleinige Aufgabe des Wahlvorstandes, gemäß § 2 Abs. 1 WO
2001 die Wählerliste aufzustellen (Kreutz GK-BetrVG, a.a.O., § 2 WO Rn. 2;
Richardi/Thüsing, a.a.O., § 2 WO Rn. 6). In dem Zusammenhang hat er durch Beschluss
u.a. auch die Frage zu entscheiden, für welche betriebsratsfähige Organisationseinheit
die Wahl durchzuführen ist (vgl. Kreutz GK-BetrVG, a.a.O., § 2 WO Rn. 3 und § 18 Rn.
19).
75
Aus der Zusammenschau der genannten Vorschriften folgt, dass der Arbeitgeber schon
immer dann seiner Unterstützungsfunktion nachzukommen hat, wenn die Auskünfte und
Unterlagen benötigt werden, um der konkret gefassten Entscheidung des
Wahlvorstandes über die aufzustellende Wählerliste gerecht zu werden. Der Anspruch
des Wahlvorstandes ist also selbst bei einer anfechtbaren Entscheidung zu erfüllen (vgl.
LAG Hamm NZA-RR 2005, 373). Andernfalls bestände nämlich die Gefahr, dass sich
schon vor der eigentlichen Einleitung der Wahl (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 2 WO 2001) durch die
Vorenthaltung erforderlicher Informationen das eigentliche Wahlverfahren verzögern
würde und es im Ergebnis faktisch zu einer mehr oder weniger langen Wahlaussetzung
käme. Damit wäre wiederum die Gefahr des Eintritts einer betriebsratslosen Zeit nach
Ablauf der Amtszeit des bisherigen Betriebsrates verbunden, was der Gesetzgeber
gerade verhindern will (vgl. z.B. §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 19, 21a, 21b, 22 BetrVG).
76
Hiervon ist nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Beschluss des
Wahlvorstandes nichtig ist, also ein offensichtlicher und zugleich besonders grober
Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben vorliegt (vgl. zuletzt z.B. BAG AP BetrVG 1972 § 4
Nr. 15 und AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 54).
77
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
78
1. Was das Vorbringen der beteiligten Firma K2xxxxxx zur Verkennung des
Betriebsbegriffs angeht, kann nicht festgestellt werden, dass deren Einbeziehung in die
betriebsratsfähige Organisationseinheit offensichtlich fehlerhaft ist. Denn wenn der
Wahlvorstand unter Berufung auf die Vermutungsregelung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG
ausführt, namentlich Arbeitnehmer der Firma K2xxxxxx und der bislang schon zum
Gemeinschaftsbetrieb S2xxx gehörenden Firma Txxxxxx würden an der
Produktionsstätte H2xxxxxxxxxxx S4xxxx bei einheitlicher Schichtplanung unter Leitung
von Linienaufsichten der Firma K2xxxxxx gemeinsam PET-Flaschen befüllen und in
den Presswerken für Äpfel und Karotten auch zusammenarbeiten, so bedürfen diese
Gesichtspunkte im Rahmen des § 1 BetrVG einer genaueren Prüfung. In einer solchen
Konstellation muss der Arbeitgeber seiner "bloßen" Unterstützungsverpflichtung gemäß
§ 2 Abs. 2 Satz 1 WO 2001 nachkommen, ohne dass eine Klärung der
betriebsratsfähigen Organisationseinheiten herbeigeführt wird. Er ist hinreichend
dadurch geschützt, dass er seine Rechte in einem Wahlanfechtungsverfahren nach § 19
BetrVG geltend machen und jederzeit eine für alle Beteiligten rechtsverbindliche
Entscheidung über den betriebsratsfähigen Zuschnitt der relevanten Einheiten
herbeiführen kann (§ 18 Abs. 2 BetrVG).
79
2. Soweit sich die Firma K2xxxxxx auf einen am 15.02.2002 geschlossenen Vergleich
beruft, ist zunächst einmal darauf hinzuweisen, dass sie den genannten Vergleich gar
nicht selbst mit abgeschlossen hat; vielmehr wurde gemäß Ziffer 3) der gegen sie
gerichtete Antrag zurückgenommen.
80
Im Übrigen ist es zweifelhaft, ob der jetzt bestellte Wahlvorstand überhaupt gebunden
sein kann an die Entscheidung eines Wahlvorstandes, dessen Amtszeit nach
Bekanntgabe des Wahlergebnisses im Jahre 2002 endete (vgl. für den Betriebsrat: BAG
AP ArbGG 1979 § 80 Nr. 2).
81
Des Weiteren hat der Wahlvorstand hier geltend gemacht, dass sich die maßgeblichen
Umstände ab Ende des Jahres 2002 geändert haben sollen.
82
Letztlich ausschlaggebend ist aber, dass die Regelungen in dem genannten Vergleich
nicht im Einklang stehen mit zwingenden gesetzlichen Vorgaben. Aus der
Ausnahmeregelung des § 3 BetrVG lässt sich nämlich als Grundsatz entnehmen, dass
die organisatorischen Bestimmungen des Gesetzgebers bindend sind, also namentlich
der Betriebsbegriff nicht zur Disposition der Beteiligten steht (vgl. BAG EzA BetrVG
2001 § 3 Nr. 1; AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 53; Fitting, a.a.O., § 3 Rn. 2; Kraft/Franzen GK-
BetrVG, a.a.O., § 3 Rn. 3).
83
Allerdings wollte der Gesetzgeber durch das BetrVerf-Reformgesetz vom 23.07.2001 die
Möglichkeiten erweitern, durch Vereinbarungen den Begriff des Betriebs als
Basiseinheit der Betriebsverfassung zu bestimmen. Im Falle einer
unternehmensübergreifenden Bildung betriebsratsfähiger Organisationseinheiten – wie
hier – geht dies aber unverändert nur unter Einschaltung der zuständigen
Tarifvertragsparteien, weil gemäß § 3 Abs. 2 BetrVG den Betriebspartnern nicht der Weg
eröffnet ist, in Fällen des § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG Regelungen zu treffen (vgl. BAG EzA
BetrVG 2001 § 3 Nr. 1; Kraft/Franzen GK-BetrVG, a.a.O., § 3 Rn. 10; Richardi, a.a.O., § 3
Rn. 17).
84
Schon deshalb kommt den im gerichtlichen Vergleich vom 15.02.2002 von mehreren
Unternehmen getroffenen Abreden keine rechtliche Bedeutung zu für die allein nach
den zwingenden gesetzlichen Vorschriften zu entscheidende Frage, für welche
betriebsratsfähige Organisationseinheit ein Betriebsrat zu wählen ist.
85
V.
86
Ein Verfügungsgrund ist ebenfalls gegeben. Zwar erfolgt mit der stattgebenden und
sofort vollstreckbaren Entscheidung eine endgültige Befriedigung des
antragstellerseitigen Begehrens. Nur so können aber die sofortige Erstellung der
Wählerliste und damit der wirksame Erlass des Wahlausschreibens (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 2
WO 2001) gewährleistet werden, um die damit eingeleitete Neuwahl noch rechtzeitig vor
Ablauf der Amtsperiode des amtierenden Betriebsrates stattfinden zu lassen (vgl. LAG
Hamm DB 1977, 1269, 1270; NZA-RR 2005, 373).
87
Dr. Müller
Zimmermann
Menke
88
/Bu.
89