Urteil des LAG Hamm vom 21.12.2004

LArbG Hamm: unwirksamkeit der kündigung, abfindung, beendigung, entlassung, betriebsrat, klagefrist, ablauf der frist, fälligkeit, extensive auslegung, unternehmer

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landesarbeitsgericht Hamm, 19 Sa 1724/04
21.12.2004
Landesarbeitsgericht Hamm
19. Kammer
Urteil
19 Sa 1724/04
Arbeitsgericht Paderborn, 1 Ca 2211/03
Nachteilsausgleichsanspruch bei Entlassung aufgrund einer
Änderungskündigung;Höhe der Abfindung;Zeitpunkt des Verfalls gemäß
zweistufiger Ausschlussklausel des Manteltarifvertrages für den Groß-
und Außenhandel NRW bei Geltendmachung vor Fälligkeit mit Erhebung
der Kündigungsschutzklage; Abgrenzung zur Entscheidung des BAG,
Urteil vom 27.03.05 - 10 AZR 668/95
§ 113 BetrVG
Die Revision wird für beide Parteien zugelassen
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der Berufung im
Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 22.07.2004 - 1 Ca
2211/03 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Verlust des
Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 4.109.16 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 01.03.2004 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Partei-en je zur
Hälfte zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte
zu 90 % und die Klägerin zu 10 % zu tragen
T a t b e s t a n d
Nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis aufgrund einer Änderungskündigung streiten
die Parteien sich noch darüber, ob und in welcher Höhe gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG ein
Nachteilsausgleich zu zahlen ist.
Die am 23.09.50 geborene, verheiratete Klägerin war seit dem 09.01.1995 bei der
Beklagten, die etwa 800 Arbeitnehmer beschäftigt, im Betrieb in 34xxx B1x L2xxxxxxxxx,
A2 V1xxxxxxxxx 51 tätig, zuletzt zu einem Monatsbruttoeinkommen in Höhe von 1.028,15
€. Auf den schriftlichen Arbeitsvertrag vom 01.01.1996 (Bl.114f) wird Bezug genommen.
Die Beklagte entschloss sich im September 2003 ordnungsbehördlichen Auflagen
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bezüglich der angemieteten Betriebsräumlichkeiten in B1x L2xxxxxxxxx aus
wirtschaftlichen Gründen nicht nachzukommen und Räumlichkeiten in E1xxx, Im
S3xxxxxxxx 12, anzumieten.
Am 30.09.2003 lud der Betriebsrat des Betriebes in B1x L2xxxxxxxxx den Geschäftsführer
der Beklagten zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan ein.
Daraufhin erörterte die Beklagte am 13.10.2003 mit dem Betriebsrat den Ablauf des
Umzuges und machte ihm Vorschläge zum Ausgleich der damit für die Arbeitnehmer
verbundenen wirtschaftlichen Nachteile.
Mit Schreiben vom 27.10.2003 unterbreitete der Betriebsrat der Beklagten eigene
Vorschläge.
Ende Oktober erhielten von etwa 50 bis 60 im Betrieb in B1x L2xxxxxxxxx beschäftigten
Arbeitnehmern etwa 25 Arbeitnehmer, die sich mit einer Versetzung nach E1xxx nicht
einverstanden erklärt hatten, eine Änderungskündigung mit dem Angebot der
Weiterbeschäftigung in E1xxx, so auch die Klägerin zum 29.02.2004.
Die Klägerin nahm das Angebot der Weiterbeschäftigung in E1xxx auch nicht unter dem
Vorbehalt der Wirksamkeit der Kündigung an.
Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 03.11.2003 die Vorschläge des Betriebsrats
abgelehnt hatte und auch eine weitere Unterredung und ein Schreiben der Beklagten vom
11.12.2003 nicht zu einer Einigung geführt hatte, verlangte der Betriebsrat mit Schreiben
vom 16.12.2003 die Einrichtung einer Einigungsstelle.
Zur Jahreswende begann die Beklagte mit der Verlegung des Betriebs nach E1xxx.
Erst im Frühjahr 2004 wurde nach Durchführung eines Beschlussverfahrens auf Antrag des
Betriebsrats eine Einigungsstelle eingesetzt.
Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben, die am 25.11.04 der Beklagten
zugestellt worden ist und in der sie auch einen Nachteilsausgleichsanspruch gemäß § 113
BetrVG dem Grunde nach geltend gemacht hat mit dem Hinweis, dass eine Bezifferung in
einem weiteren Schriftsatz erfolge. Mit bei Gericht am 07.04.04 eingegangener
Klageerweiterung vom 06.04.04, der Beklagten zugestellt am 15.04.04, hat sie einen
Nachteilsausgleichsanspruch in Höhe von mindestens 4669,51 € eingeklagt, nachdem sie
ihn bereits beziffert mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 31.03.04, das die
Beklagte mit Schreiben vom 02.04.04 mit Hinweis auf eine fehlende Vollmacht zurückwies,
geltend gemacht hatte.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass sie nach Ausspruch der Änderungskündigung
das Angebot auf Weiterbeschäftigung in E1xxx schon deshalb nicht habe annehmen
können, weil zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgestanden habe, ob und wann der
gesamte Betrieb in B1x L2xxxxxxxxx nach E1xxx tatsächlich verlegt werden würde.
Eine Weiterbeschäftigung in E1xxx komme aber auch deshalb nicht in Betracht, weil sie auf
öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sei, die neue Betriebsstätte in E1xxx aber morgens
zu Arbeitsbeginn mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreicht werden könne.
Im Übrigen benötige man für die Hin- und Rückfahrt mit Bus und Bahn zur neuen
Betriebsstätte mindestens fünf Stunden.
Fahrtkosten und Fahrzeit stünden nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem bei der
Beklagten erzielten Einkommen.
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Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Änderungskündigung der
Beklagten nicht beendet worden ist, sondern unverändert fortbesteht
und hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes
zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 4669,51 € nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.02.2004 nicht
unterschreiten sollte.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, dass die Kündigung wirksam sei und gemäß § 113 Abs. 3
BetrVG kein Anspruch auf Nachteilsausgleich bestünde.
Sie habe ausreichend einen Interessenausgleich versucht.
Die Beklagte hat behauptet, dass der Betriebsrat den von ihr am 13.10.2003 unterbreiteten
Vorschlägen nicht widersprochen habe. Man sei mit einer Einigung auseinandergegangen.
Zudem habe der Betriebsrat die aufgrund seiner Vorschläge wieder aufgenommenen
Verhandlungen frühzeitig am 16.12.203 für gescheitert erklärt, obwohl sie noch zu weiteren
Verhandlungen bereit gewesen sei.
Sie hat gemeint, dass bei einem solchen Sachverhalt auch trotz der Ende 1999
vorgenommenen Streichung der mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz 1996
eingefügten Regelung des § 113 Abs. 3 Satz 2 und 3 BetrVG nicht die Errichtung einer
Einigungsstelle erforderlich sei, um von einem ausreichenden Versuch eines
Interessenausgleichs ausgehen zu können.
Auch sei nicht die Betriebsänderung durch Verlegung des Betriebes nach E1xxx sondern
allein die Ablehnung einer Versetzung nach E1xxx ursächlich für die Entlassung, da der
Wechsel nach E1xxx nicht unzumutbar gewesen sei.
Mit dem Pkw sei die neue Betriebsstätte in weniger als einer Stunde zu erreichen. Sie habe
allen Mitarbeitern angeboten, Fahrtkosten für die Anreise im Pkw bei Bildung von Fahrge-
meinschaften zu drei Personen für ein halbes Jahr zu bezuschussen. Dass die Bildung von
Fahrgemeinschaften möglich sei, zeige der Umstand, dass von den elf Mitarbeitern, die in
die neue Betriebsstätte gewechselt seien, zehn Mitarbeiter mit einem eigenen Pkw
anreisen würden, die auch bereit seien, Fahrgemeinschaften zu bilden.
Schließlich bestünde jedenfalls in entsprechender Anwendung des § 112 Abs. 5 S 2 Nr. 2
BetrVG, wonach bei Ablehnung einer zumutbaren Weiterbeschäftigung auch an einem an-
deren Ort keine Sozialplanleistungen zu erbringen seien, kein Anspruch auf eine
Abfindung. Allenfalls dürfe ein Abfindungsanspruch in Höhe der hälftigen Regelabfindung
zuerkannt werden.
Im Übrigen sei die Beklagte ein Betrieb des Groß- und Außenhandels und finde deshalb
die Verfallklausel des § 15 des allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrages für den Groß-
und Außenhandel NRW Anwendung, die so auszulegen sei, dass nach dem Ausscheiden
aus dem Arbeitsverhältnis alle Ansprüche spätestens nach einem Monat einzuklagen
seien, insbesondere wenn sie schon vor dem Ausscheiden schriftlich geltend gemacht
worden seien.
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Mit Urteil vom 22.07.2004 hat das Arbeitsgericht Paderborn die Klage abgewiesen, die
Zah-lungsklage mit der Begründung, dass der Anspruch verfallen sei.
Gegen das ihr am 23.08.04 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.09.2004, soweit die
Zahlungsklage abgewiesen wurde, Berufung eingelegt und diese am 15.10.04 begründet.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass selbst wenn der Manteltarifvertrag für den Groß-
und Außenhandel NRW Anwendung finde, der Anspruch auf Nachteilsausgleich nicht
verfal-len sei. Gemäß § 15 des Manteltarifvertrages müssten Ansprüche grundsätzlich erst
drei Monate nach Fälligkeit geltend gemacht werden und sei bei beendetem
Arbeitsverhältnis lediglich die sich an die erste Frist anschließende Frist für die
Klageerhebung auf einen Mo-nat verkürzt. Auch durch eine vorzeitige Geltendmachung
ändere sich daran nichts.
Im Übrigen sei die im Arbeitvertrag vereinbarte Verfallklausel zugrunde zu legen, sofern sie
für die Klägerin günstiger sei. Sie sehe nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis
keine Abkürzung der Klagefrist vor.
In Ergänzung zum erstinstanzlichen Vorbringen vertritt sie die Ansicht, es gebe keinen
Grund, den Nachteilsausgleich geringer als üblicherweise mit mindestens 50 % eines Brut-
tomonatslohnes pro Beschäftigungsjahr zu bemessen und zu überprüfen, ob der Wechsel
nach E1xxx gemäß § 112 Abs. 5 S 2 Nr. 2 BetrVG noch als zumutbar gelten könne. Würden
die Beschränkungen des § 112 Abs. 5 BetrVG auch bei der Bemessung des Nachteilsaus-
gleichsanspruchs gemäß § 113 BetrVG Anwendung finden, würde § 113 BetrVG zumindest
bei sozialplanpflichtigen Maßnahmen seine Sanktionswirkung verlieren und hätte der
Arbeit-geber keine Veranlassung mehr, vor Einleitung einer Betriebsänderung mit dem
Betriebsrat einen Interessenausgleich zu versuchen und die Einigungsstelle anzurufen.
Anders als vom Arbeitsgericht angenommen sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
in E1xxx aber auch nicht zumutbar. Sie behauptet, selbst mit dem Wagen benötige man für
die Hin- und Rückfahrt insgesamt mehr als zwei Stunden. und die Fahrtkosten betrügen
dann 600 € pro Monat.
Zusätzlich stütze sie ihren Abfindungsanspruch auf den zwischenzeitlich aufgestellten
Sozialplan. Hiernach habe sie einen Abfindungsanspruch in Höhe von 3193.65 € (1207,96
€ durchschnittlicher Monatsbruttolohn im Jahre 2003 x 0,2 x 9,08 Jahre
Betriebszugehörigkeit + 1.000,00 € Alterszuschlag).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 22.07.2004 – 1 Ca 2211/03 –
teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Verlust des
Arbeitsplatzes eine Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
29.02.2004 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
Unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen bekräftigt die Beklagte
insbesondere ihre Ansicht, dass die Entlassungen nicht auf die Betriebsverlegung sondern
auf die Ent-scheidung der Klägerin zurückzuführen sei, das Arbeitsverhältnis nicht am
neuen Betriebs-sitz fortzusetzen.
Käme es zu einer Entlassung, weil ein Arbeitnehmer eine ihm zumutbare Fortsetzung des
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Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Arbeitgeber oder auch mit einem neuen
Betriebsin-haber ablehne, werde auch in Literatur und Rechtsprechung die Auffassung
vertreten, dass der Arbeitnehmer sich nicht auf eine fehlerhafte Sozialauswahl berufen oder
einen Anspruch auf eine Sozialplanabfindung geltend machen könne, weil seine
Entlassung und der dadurch entstandene Nachteil allein seiner Entscheidung zuzurechnen
sei, die ihm angebotene zu-mutbare Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses abzulehnen.
Entsprechend könne dann in solchen Fällen auch nicht im Sinne des § 113 Abs. 3 BetrVG
davon ausgegangen werden, dass der Arbeitnehmer infolge der Betriebsänderung
entlassen worden und wirtschaftliche Nachteile erlitten habe. Eine unterschiedliche
Handhabung rechtfertige auch nicht der Sankt-ionszweck des § 113 BetrVG, da nach der
Rechtsprechung zwischen dem Nachteilsaus-gleich nach § 113 BetrVG und der
Sozialplanabfindung eine teilweise Zweckidentität beste-
he, aufgrund derer beide Ansprüche in voller Höhe aufeinander anrechenbar seien. Den
Nachteilsausgleich gemäß § 113 BetrVG könne nicht einem Bußgeld gleichgesetzt
werden.
Es könne auch nichts anderes gelten als in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer im
Kündigungsschutzprozess einen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG stelle und deshalb das
Arbeitsverhältnis aufgelöst werde, in denen aber allgemein ein
Nachteilsausgleichsanspruch gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG verneint werde.
Auch müsse berücksichtigt werde, dass ein Arbeitnehmer trotz Änderungskündigung nach
allgemeiner Auffassung keinen Anspruch auf eine Abfindung gemäß § 113 Abs. 1 BetrVG
habe, wenn er das Angebot der Weiterbeschäftigung zu anderen Arbeitsbedingungen
annehme.
Unmaßgeblich sei auch, dass nach herrschender Meinung selbst eine durch eine
Betriebsänderung motivierte Eigenkündigung zu einem Nachteilsausgleichsanspruch
gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG führen könne. Dies gelte nur für die Fälle, in denen der
Arbeitnehmer mit einer betriebsbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe
rechnen müsse.
Jedenfalls sei bei der Höhe des Nachteilsausgleichs zu berücksichtigen, dass die
Entlassung durch die Annahme des Weiterbeschäftigungsangebots hätte vermieden
werden können, wenn auch § 112 Abs. 5 S 2 Nr. 2 BetrVG nicht unmittelbar anwendbar sei.
Aufgrund der Gegebenheiten des derzeitigen Arbeitsmarktes seien an eine Unzumutbarkeit
der Annahme eines Weiterbeschäftigungsangebotes wie im Sozialversicherungsrecht
besonders hohe Anforderungen zu stellen.
Es sei nicht auf die Entfernung zwischen alter und neuer Betriebsstätte abzustellen,
sondern auf die Differenz der Wegstrecken zwischen Wohnsitz und alter sowie neuer
Betriebstätte, die kürzer sei.
Zudem bedeuteten die neuen Räumlichkeiten eine wesentliche Verbesserung für die
Arbeitnehmer. Eine solche Verbesserung dürfe nicht sanktioniert werden.
Im Übrigen vertritt sie nach wie vor die Auffassung, dass jedenfalls aufgrund der vorzeitigen
Geltendmachung des Anspruchs in der Klageschrift vom 18.11.03 die einmonatige
Klagefrist zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruches beim Ausscheiden der Klägerin
habe begonnen zu laufen.
Die arbeitsvertragliche Verfallklausel sei nicht einschlägig, da sie für den Fall des
Ausscheidens keine Regelung treffe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze und
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Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet, im Übrigen unbegründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 1 und 3 BetrVG
i.V.m. § 10 KSchG in Höhe von 4.109.16 €.
I.
Der Anspruch auf einen Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 1 und 3 BetrVG ist dem
Grunde nach entstanden.
Nach § 113 Abs. 1 und 3 BetrVG entsteht ein Anspruch auf Nachteilsausgleich, wenn der
Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie
einen Interessenausgleich versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer
entlassen werden. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
1. Eine Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG liegt vor, da der Betrieb der Beklagten in
B1x L2xxxxxxxxx 50 bis 60 Arbeitnehmer beschäftigte und gemäß § 111 S 3 Nr. 2 BetrVG
als Betriebsänderung die Verlegung des ganzen Betriebes oder wesentlicher Betriebsteile
gilt.
Unstreitig hat die Beklagte den Betrieb in B1x L2xxxxxxxxx oder zumindest wesentliche
Betriebsteile nach E1xxx verlegt.
2. Die Beklagte hat diese Betriebsänderung durchgeführt, ohne über sie einen
Interessenausgleich ausreichend versucht zu haben.
a) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass sie bei dem Treffen mit dem
Betriebsrat am 13.10.2003 den Ablauf des Umzuges erörtert und Vorschläge zum
Ausgleich der damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile gemacht habe, ohne dass der
Betriebsrat wider-sprochen habe, so dass man von einer Einigung ausgegangen sei.
Nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der zwischen Unternehmer und Betriebsrat gefundene
Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung schriftlich niederzulegen und von
beiden Betriebspartnern zu unterschreiben. Die Wahrung dieser Schriftform ist Wirksam-
keitsvoraussetzung für einen Interessenausgleich. Dies folgt aus § 125 BGB, wonach ein
Rechtsgeschäft, das der durch Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt, nichtig ist. Auf
das Gebot der Schriftform wird in § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auch besonders deutlich
näm-lich zweifach hingewiesen, da er sowohl eine erforderliche schriftliche Niederlegung
als auch eine erforderliche Unterzeichnung durch Unternehmer und Betriebsrat erwähnt.
Die Schriftform hat ihren Grund in der Bedeutung, die der Interessenausgleich nicht nur für
Unternehmen und Betriebsrat hat. Vor allem die betroffenen Arbeitnehmer des Betriebes
müssen wissen, ob und unter welchen Voraussetzungen die geplante Betriebsänderung
durchgeführt wird. Nur so erhalten sie eine verlässliche Auskunft darüber, mit welchen
Nachteilen sie rechnen müssen. Nur so können sie prüfen, ob ein Interessenausgleich
zustande gekommen ist und ob sich der Unternehmer an den vereinbarten
Interessenausgleich hält. Das ist wichtig, um mögliche Ansprüche nach § 113 BetrVG
beurteilen zu können. Nur die schriftliche Niederlegung des Interessenausgleichs schafft
für die Beteiligten die notwendige Rechtssicherheit (vgl. BAG, Urteil vom 09.07.1985 – 1
AZR 323/83 – AP Nr. 13 zu § 113 BetrVG 1972 und BAG, Urteil vom 20.04.1994 – 10 AZR
186/93 – AP Nr. 27 zu § 113 BetrVG 1972 = DB 1994, 2038 = BB 1994, 1936).
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Kommt eine schriftliche Einigung nicht zustande, muss der Unternehmer den Versuch
eines Interessenausgleichs im vorgeschriebenen Verfahren bis hin zur Einigungsstelle
betreiben, will er Ansprüche auf Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG vermeiden (vgl.
BAG a.a.O. und LAG Hamm, Urteil vom 04.12.2003 – 4 Sa 1247/03 – sowie Fitting, BetrVG,
22. Aufl., § 113 RN 17).
b) Der Unternehmer ist nicht nur entsprechend § 113 Abs.3 S 2 und 3 BetrVG in der Fas-
sung von Oktober 1996 bis Ende 1999 eine begrenzte Zeit verpflichtet, einen Interessen-
ausgleich zu versuchen. Die Rückkehr zur ursprünglichen Gesetzesfassung kann nicht
durch eine extensive Auslegung des Begriffs "versucht" negiert werden. Der Arbeitgeber
hat, um eine Verzögerung zu vermeiden, die Möglichkeit, die Einigungsstelle anzurufen
(vgl. ErfK/Kania, 4. Aufl. § 113 BetrVG, RN 8).
Im Übrigen kann sich hier die Beklagte schon deshalb nicht darauf berufen, dass sie mehr
als zwei Monate die Herbeiführung eines Interessenausgleichs versucht habe, da der Ver-
such vor der Betriebsänderung liegen muss. Durchgeführt wird eine Betriebsänderung aber
in dem Zeitpunkt, in dem mit ihr begonnen und damit vollendete Tatsachen geschaffen wer-
den. Abzustellen ist darauf, ob der Arbeitgeber rechtsgeschäftliche Handlungen vornimmt,
die das Ob und Wie der Betriebsänderung vorwegnehmen. Kündigt der Arbeitnehmer im
Zuge einer geplanten Betriebsstilllegung seiner Belegschaft, so beginnt er die
Betriebsände-rung durchzuführen (vgl. BAG, Urteil vom 04.12.2004 – 10 AZR 16/02 – AP
Nr. 2 zu § 38 InsO). Hier hat die Beklagte die Änderungskündigungen zur Herbeiführung
der Verlegung des Betriebes aber bereits Ende Oktober 2003 ausgesprochen.
c) Die Beklagte konnte auch nicht deshalb auf den Versuch eines Interessenausgleichs
ver-zichten, weil sie ordnungsbehördliche Auflagen bezüglich der Räumlichkeiten in B1x
L2xx-xxxxxxx erhalten hatte und Handlungsbedarf bestand.
Ein Versuch eines Interessenausgleichs kann nur dann entbehrlich sein, wenn bezüglich
der zu ergreifenden Maßnahme sowohl hinsichtlich der Frage, ob die Maßnahme
durchgeführt wird als auch hinsichtlich der Frage, wie sie durchgeführt wird, kein
Handlungsspielraum besteht (vgl. BAG, Urteil vom 22.07.2003 – 1 AZR 541/02 – AP Nr. 42
zu § 113 BetrVG 1972). Hier bestand jedoch auch unter Zugrundelegung des Vorbringens
der Beklagten ein erheblicher Handlungsspielraum. Wenn aus ihrer Sicht aus
wirtschaftlichen Gründen die Beibehaltung des Betriebs in den angemieteten
Räumlichkeiten in B1x L2xxxxxxxxx nicht möglich war, so hätte man eventuell zu einem
anderen Ergebnis kommen können, wenn man auch die wirtschaftlichen Interessen der
Arbeitnehmer berücksichtigt hätte. Zumindest bestand jedoch Spielraum hinsichtlich des
Zeitpunktes und vor allem hinsichtlich des Ortes der neuen Betriebsstätte. Gerade aber der
Ort war für die Arbeitnehmer von großer Bedeutung.
3. Die Klägerin ist infolge der Verlegung des Betriebes entlassen worden.
Die Betriebsverlegung war unmittelbar ursächlich für die Entlassung. Ohne sie wäre es
nicht zur Änderungskündigung und damit zum Ausscheiden der Klägerin gekommen.
Es fehlt auch nicht an einem Zurechnungszusammenhang.
a) Die Anerkennung des Erfordernisses einer Änderungskündigung bei einer Verlegung
des Arbeitsplatzes in eine andere nicht im näheren Umkreis liegende Gemeinde/Stadt
mangels vereinbartem Versetzungsvorbehalt (vgl. APS/Künzl, 2.Aufl. § 2 KSchG RN 61;
KR/Rost, 7. Aufl. § 2 KSchG RN 41) bedeutet auch die Anerkennung eines berechtigten
Interesses des Arbeitnehmers, wegen dieser Verlegung eine Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses ablehnen zu können. Andernfalls müsste die Erforderlichkeit einer
Änderungskündigung verneint werden.
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b) Das Vorliegen eines Zurechnungszusammenhanges hängt nicht davon ab, ob die
Annahme des Weiterbeschäftigungsangebots im Sinne der für einen Anspruch auf
Arbeitslosenunterstützung maßgeblichen sozialrechtlichen Bestimmungen oder des für die
Verteilung der Sozialplanmittel maßgeblichen § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG
unzumutbar war. Mit diesen Bestimmungen wird bezweckt, begrenzt zur Verfügung
stehende Leistungen nur den Bedürftigeren zukommen zu lassen.
Ähnliches gilt für die Frage, ob eine Sozialauswahl durchzuführen ist, wenn ein
Arbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen Erwerber des
Betriebsteils, in dem er beschäftigt war, widersprochen hat. Die nur noch begrenzt zur
Verfügung stehenden Arbeitsplätze sollen nach Möglichkeit den Arbeitnehmern verbleiben,
die nicht zum neuen Betriebsinhaber wechseln konnten..
Der Nachteilsausgleichsanspruch gemäß § 113 BetrVG beruht jedoch auf einem
pflichtwidrigen Verhalten des Arbeitgebers und darauf, dass eventuell bei pflichtgemäßem
Verhalten die Betriebsänderung und die sich daraus für die Arbeitnehmer ergebenden
Nachteile ganz oder teilweise zu vermeiden gewesen wären. Es würde deshalb der
Regelung des § 113 BetrVG widersprechen, einen Anspruch mit der Begründung zu
verneinen, trotz pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitgebers seien die durch die
Betriebsänderung entstandenen Nachteile dem Arbeitnehmer zumutbar.
So wird auch in Rechtsprechung und Literatur davon ausgegangen, dass die
Änderungskündigung bei Nichtannahme des Angebots der Weiterbeschäftigung zu
geänderten Bedingungen zu einer Entlassung im Sinne des § 113 Abs.1 BetrVG führt (vgl.
Fitting, 21. Aufl., BetrVG § 113 RN 36; Richardi/Annuß, BetrVG, 9. Aufl., § 113 RN 40 und
LAG Hamm, Urteil vom 22.07.2003 – 19 Sa 541/03 -).
Aus den gleichen Erwägungen hat das Bundesarbeitsgericht eine Entlassung im Sinne des
§ 113 BetrVG auch dann angenommen, wenn ein Arbeitnehmer sein Recht
wahrgenommen hat, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen Erwerber des
Betriebsteils, in dem er beschäftigt war, zu widersprechen und ihm deshalb gekündigt
werden musste. Es hat für diesen Fall lediglich die Auffassung vertreten, dass die an sich
mögliche Weiterbeschäftigung zu einer Reduzierung des Abfindungsanspruches führen
könne (vgl. BAG, Urteil vom 10.12.1996 – 1 AZR 290/96 – AP Nr. 32 zu § 113 BetrVG
1972).
Allerdings liegt eine Betriebsänderung nicht vor, wenn es lediglich zu einem
Inhaberwechsel kommt, ohne dass weitere Veränderungen eintreten, die die
Voraussetzungen des § 111 BetrVG erfüllen (vgl. Fitting, a.a.O., RN 50 zu § 111 BetrVG
und BAG, Beschluss vom 17.03.1987 – 1 ABR 47/85 – AP Nr. 18 zu § 111 BetrVG 1972).
c) Soweit ein Zurechnungszusammenhang zwischen Betriebsänderung und Entlassung
verneint wird, wenn nach Erhebung einer Kündigungsschutzklage die Unwirksamkeit der
Kündigung festgestellt wird und das Arbeitsverhältnis lediglich auf Antrag des
Arbeitnehmers aufgelöst und eine Abfindung unmittelbar gemäß § 9 KSchG zu zahlen ist,
ergibt sich daraus kein Wertungswiderspruch. Wird der Arbeitnehmer infolge einer
Betriebsänderung gekündigt, kann er wählen, ob er die Kündigung mit einer
Kündigungsschutzklage angreift und die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen
Zahlung einer Abfindung nach § 9 BetrVG zu erreichen versucht, oder ob er die Kündigung
akzeptiert und auf Zahlung einer Abfindung nach § 113 BetrVG klagt. Stets kann der
Arbeitnehmer aber nur eine Abfindung verlangen, die entweder ihre rechtliche Grundlage in
§ 9 KSchG oder in § 113 BetrVG hat (KR-Spilger, 7. Aufl., § 9 KSchG, RN 70; von
Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, 13. Aufl., § 9 RN 68; Erfurter Kommentar/Ascheid, 4. Aufl
§ 9 KSchG, RN 46). Denn während § 9 KSchG die Sozialwidrigkeit und damit die
Unwirksamkeit der Kündigung voraussetzt, verlangt § 113 BetrVG zumindest die
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tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Kündigung des
Arbeitgebers (vgl. insbesondere APS-Biebl, 2. Aufl., § 9 KSchG, RN. 110).
d) Widersprüchlich dürfte allerdings sein, anzunehmen, dass die Arbeitnehmer, die das
Angebot des Abschlusses eines neuen Vertrages mit geänderten Arbeitsbedingungen
abgelehnt haben, im Sinne des § 113 Abs. 1 BetrVG entlassen wurden und als
Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 1 BetrVG eine Abfindung auch für erlittenen
immateriellen Schaden geltend machen können, diejenigen aber, die das Angebot
annehmen, nicht entlassen wurden und lediglich gemäß § 113 Abs. 2 BetrVG einen
Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile maximal für zwölf Monate beanspruchen können
(so aber allgemeine Ansicht, vgl. KR – Spilger, a.a.O., RN 70 a ; Richardi/Annuß, BetrVG,
9. Aufl., § 113 RN 40 .und Fitting, 21. Aufl., BetrVG § 113 RN 36).
Ein Vergleich dieser beiden Sachverhalte wirft aber nur die Frage auf, ob gemäß § 113 Abs
3 i.V.m. Abs. 1 oder Abs. 2 BetrVG ein Nachteilsausgleichsanspruch entsteht.
Im Falle der Nichtannahme des Änderungsangebotes kommt nur ein
Nachteilsausgleichsanspruch gemäß § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BetrVG in Betracht.
Die Entstehung eines Anspruchs gemäß § 113 Abs 1 BetrVG darf nach seinem Sinn und
Zweck nicht deshalb verneint werden, weil ein Arbeitnehmer einer aufgrund einer
betriebsverfassungswidrig herbeigeführten Betriebsänderung notwendig gewordenen
Vertragsänderung nicht zugestimmt hat. Bei ihm tritt auf Dauer der Nachteil der Entlassung
ein.
Andererseits ist es geboten, bei den gekündigten Arbeitnehmern, die nur durch Abschluss
eines neuen Vertrages im Betrieb verbleiben, ebenfalls einen Abfindungsanspruch gemäß
§ 113 Abs. 1 BetrVG zu bejahen, weil sie zur Annahme des Änderungsangebotes nicht
verpflichtet waren und deshalb ihr Verbleib im Betrieb aus wertender Sicht bzw. nach Sinn
und Zweck des § 113 BetrVG nicht zu ihren Ungunsten berücksichtigt werden kann.
Der Arbeitgeber hat auch kein berechtigtes Interesse, diesen Arbeitnehmern einen
geringeren Nachteilsausgleichsanspruch zu gewähren als den ausscheidenden
Arbeitnehmern. Den Arbeitnehmern, die das Änderungsangebot zumindest unter Vorbehalt
annehmen, hat er sogar häufig zu verdanken, dass er die Betriebsänderung reibungsloser
durchführen kann und er nicht zu diesem Zeitpunkt die gesamte Belegschaft verliert.
Der Abschluss eines geänderten Vertrages dürfte hinsichtlich seiner Nachteile dem
Ausscheiden auch deshalb gleichzustellen sein, da die ausscheidenden Arbeitnehmer
gerade wegen dieser Nachteile es vorgezogen haben, auszuscheiden.
Die Interessenlage des das Änderungsangebot annehmenden Arbeitnehmers ist häufig die
gleiche wie diejenige des ausscheidenden Arbeitnehmers. Auch er wird häufig
insbesondere bei einer erheblichen Ortsveränderung nach einem neuen Arbeitsplatz
suchen und unterscheidet sich von den das Angebot nicht annehmenden Arbeitnehmer
eventuell nur dadurch, dass er auf eine Arbeit noch dringender angewiesen ist.
Indem der Gesetzgeber eine Änderungskündigung vorsieht, soll der Arbeitnehmer, ohne
auf den Arbeitgeber Rücksicht nehmen zu müssen, die Wahl zwischen Beendigung und
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitbedingungen haben. Es ist kein
Grund ersichtlich, ihn beim Nachteilsausgleich wegen seiner Wahl in irgendeiner Weise zu
benachteiligen, insbesondere nicht, wenn er das Angebot des Arbeitgebers annimmt.
Nur so lässt sich vermeiden, dass Arbeitnehmer auch deshalb das Angebot ablehnen, weil
sie bei Annahme des Angebots unter Umstünden nur einen ganz geringen
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Nachteilsausgleich erhalten und zwar gerade dann, wenn die Änderung wie z.B. bei einer
längeren Anfahrt nicht nur mit finanziellen Nachteilen verbunden ist und für sie deshalb
sowieso eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nur solange in Betracht kommt, wie sie
keine neue Arbeitsstelle finden.
Eine Änderungskündigung besteht aus einer Beendigungskündigung und ist nicht nur eine
Teilkündigung. Diese Kündigung wird auch dann wirksam, wenn das mit ihr verbundene
Angebot eines neuen Arbeitsvertrages mit geänderten Arbeitsbedingungen angenommen
wird (vgl. APS/Künzl, 2. Aufl. § 2 KschG RN 11). Insofern legt auch die vom Gesetzgeber
gewählte Dogmatik einer Änderungskündigung es nahe, hinsichtlich des
Nachteilausgleichsanspruchs auch den Arbeitnehmer, der das Änderungsangebot im
Hinblick auf eine vorangegangene wirksame Beendigungskündigung annimmt, wie einen
Entlassenen zu behandeln.
II
Der von der Klägerin spätestens mit der bei Gericht am 07.04.04 eingegangenen und der
Beklagten am 15.04. 04 zugestellten Klageerweiterung vom 06.04.04 geltendgemachte
Nachteilsausgleichsanspruch ist nicht verfallen.
1) Auch wenn man unterstellt, dass der Manteltarifvertrag Groß- u. Außenhandel,
Nordrhein-Westfalen auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, ist der Anspruch nicht
nach den hier maßgeblichen ersten zwei Absätzen des § 15 NR. 2 Manteltarifvertrag
verfallen, die lauten:
"Der Anspruch auf vorgenannte Vergütungen sowie alle sonstigen gegenseitigen
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind binnen drei Monaten nach Fälligkeit dem
anderen Vertragspartner gegenüber schriftlich geltend zu machen.
Spätestens innerhalb weiterer drei Monate nach Ablauf dieser Frist ist Klage zu erheben. Ist
das Beschäftigungsverhältnis beendet, so beträgt die Klagefrist einen Monat."
a) Aus dem Wortlaut ergibt sich, dass sich die Klagefrist an den Ablauf der dreimonatigen
Frist für die schriftliche Geltendmachung und damit nicht wie häufig in anderen
doppelstufigen Verfallklauseln unmittelbar oder mittelbar an den Zeitpunkt der
tatsächlichen schriftlichen Geltendmachung oder den Zeitpunkt einer erfolgten Ablehnung
des Anspruches bzw. des Ablaufs einer Bedenkzeit für den Arbeitgeber nach der
Geltendmachung oder an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anschließt. Die
dreimonatige Frist für die schriftliche Geltendmachung entfällt nicht mit Beendigung des
Arbeitsverhältnisses. Nur die Dauer der Klagefrist ändert sich, sofern das Arbeitsverhältnis
bereits geendet hat. Dies setzt aber voraus, dass sie begonnen hat zu laufen, weil die Frist
für die schriftliche Geltendmachung bereits abgelaufen ist.
Wird wie hier bereits innerhalb der Frist für die schriftliche Geltendmachung Klage erhoben
oder innerhalb eines Monats danach, kommt es auf die kürzere Klagefrist bei beendetem
Arbeitsverhältnisses nicht an.
b) Der Wortlaut ist auch mit dem Sinn und Zweck der Abkürzung der Klagefrist für den Fall,
dass das Arbeitsverhältnis beendet ist, vereinbar. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass
wenn der Arbeitgeber trotz schriftlicher Geltendmachung nicht innerhalb von drei Monaten
nach Fälligkeit gezahlt hat, der Arbeitnehmer keine Veranlassung mehr hat, noch länger mit
der Klageerhebung zu warten, wenn eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr
in Betracht kommt.
Keinesfalls wäre es sinnvoll, dass für alle Ansprüche, und seien sie auch erst in den letzten
Tagen des Arbeitsverhältnisses entstanden und schwierig zu berechnen, die auf einen
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Monat abgekürzte Klagefrist mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses beginnt und dem
Arbeitnehmer nach der letzten Lohnabrechnung und Zahlung, die meist sogar erst 14 Tage
nach dem Ausscheiden erfolgt, keine Zeit mehr verbliebe, diese ausreichend zu prüfen und
den Arbeitgeber zunächst anzuschreiben, bevor er Klage erheben müsste, zumal wegen
Beendigung des Dauerschuldverhältnisses und damit fehlender Gefahr sich fortsetzender
Auswirkungen der evtl. aufgetretenen Rechtunsicherheit keine Eilbedürftigkeit für eine
gerichtliche Klärung besteht, sondern lediglich eine Verschleppung eines Rechtsstreits
nicht sinnvoll erscheint, nachdem in der ersten Stufe ausreichend Zeit für eine
außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs blieb.
c) Sinn und Zweck der Verfallfristen gebieten es auch nicht, die Klagefrist spätestens eine
gewisse Zeit nach einer Geltendmachung des Anspruches bzw. einer ihr nachfolgenden
Bedenkzeit für den Arbeitgeber oder nach der Ablehnung eines bereits geltend gemachten
Anspruches beginnen zu lassen und nicht erst mit Ablauf der Frist für die schriftliche
Geltendmachung. Eine solche Regelung mag vertretbar sein, ist aber jedenfalls nicht
zwingend, zumal sie zu einer Rechtunsicherheit führen kann, wenn streitig ist, ob und wann
der Anspruch erstmals geltend gemacht und abgelehnt wurde. Sie benachteiligt auch
denjenigen, der schon frühzeitig seine Ansprüche geltend macht. Es muss auch davon
ausgegangen werden, dass die Tarifparteien des Groß- und Außenhandels in NRW
bewusst eine solche Regelung nicht getroffen haben. Denn sie haben sie nicht vereinbart,
obwohl sie ihnen bekannt gewesen sein dürfte, zumal sie im Manteltarifvertrag für den
Groß- u. Außenhandel in Bayern vereinbart wurde. Nach § 19 MTV- Bayern erlöschen
Ansprüche, wenn sie nicht vor Ablauf von zwei Monaten nach Fälligkeit bzw. im Falle der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwei Monate nach dem Ausscheiden schriftlich
geltend gemacht werden und muss, wenn die Erfüllung von der Geschäftsleitung abgelehnt
wird oder sich die Geschäftsleitung innerhalb von zwei Wochen nach Geltendmachung
nicht erklärt, innerhalb von zwei Monaten Klage erhoben werden.
Die Beklagte kann sich deshalb auch nicht auf die Entscheidung des BAG, Urteil vom 27.
März 1996 - 10 AZR 668/95, AP Nr. 134 zu § 4 TVG Ausschlussfristen =NZA 1996, 986-
988 berufen, mit der das BAG in einem Fall, in dem der Manteltarifvertrag Groß- u.
Außenhandel Bayern zur Anwendung kam, für einen mit Abschluss des
Kündigungsschutzverfahrens fälligen Sozialplanabfindungsanspruch entschieden hat,
dass bei Geltendmachung eines Anspruches vor Fälligkeit die Frist für die 14-tägige
Bedenkzeit des Arbeitgebers und für die sich daran anschließende Klagefrist erst (schon)
ab der Fälligkeit des Anspruches beginnt zu laufen.
d) Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass wenn auch ein Anspruch auf Nachteilsausgleich
mit dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis unabhängig davon entsteht, ob die
Kündigung unwirksam war und erfolgreich hätte angegriffen werden können, er jedenfalls
nicht entsteht, wenn Kündigungsschutzklage erhoben wird und diese erfolgreich ist. Der
Arbeitnehmer kann nicht gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und einen
Nachteilsausgleich verlangen.
Zudem kann gemäß den §§ 4,6,7 KSchG nur im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens
festgestellt werden , ob das Arbeitsverhältnis fortbesteht, und nicht z.B. auch gleichzeitig
als Vorfrage in einem Rechtsstreit über einen Nachteilsausgleichsanspruch. Insofern ist ein
Kündigungsschutzverfahren zwingend vorgreiflich.
Aus diesen Erwägungen sind selbst tarifliche Klagefristen, die an die rechtliche
Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfen, so auszulegen, dass sie jedenfalls für
Ansprüche, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraussetzen, bei erhobener
Kündigungsschutz-klage erst nach rechtskräftiger Klageabweisung beginnen, weil die
Anknüpfung einer zumal abgekürzten Klagefrist an die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses nur dann sinnvoll sein kann (vgl. auch ErfK/Schaub 5.Aufl. § 4 TVG
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RN 102; BAG, Urteil vom 03.12.1970, AP Nr. 45 zu § 4 TVG Ausschlussfristen und in
Abgrenzung hierzu BAG, Urteil vom 03.08.1982 – 1 AZR 77/81- AP Nr. 5 zu § 113 BetrVG)
Die Parteien sollten nicht ohne Not zweigleisig einen Rechtsstreit führen und sich über
unterschiedliche Sachverhalte streiten müssen. Lediglich die Klärung der Frage, ob das
Arbeitsverhältnis fortbesteht und zu welchen Bedingungen, ist eilbedürftig. Nur wenn die
Parteien noch nach Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens prüfen können, ob die
Voraussetzungen des § 113 BetrVG vorliegen, können sie einen Rechtsstreit hierüber
vermeiden, was auch deshalb non Bedeutung ist, weil die Einklagung eines
Nachteilsausgleiches auch im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens zu zusätzlichen
Kosten führt. § 42 Abs. 3, Satz 1, 2. Halbsatz GKG findet nach überwiegender Ansicht keine
Anwendung, weil der Nachteilsausgleich wie auch die Sozialplanabfindung auf einem
anderen Sachverhalt als demjenigen beruht, der für das Kündigungsschutzverfahren
maßgeblich ist und gerade keine unwirksame Kündigung voraussetzt (vgl. zur bisherigen
Bestimmung des § 12 Abs.7 ArbGG: Germelmann, ArbGG, 4.Aufl. RN116)
Wenn das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 27. März 1996 (a.a.O.) bezüglich
eines Sozialplananspruches darauf hinweist, dass von den Tarifvertragsparteien
vernünftigerweise nicht gewollt sein könne, dass die Ausschlussfrist vor Abschluss des
Kündigungsschutzverfahrens beginne zu laufen und damit bevor überhaupt feststehe, ob
das Arbeitsverhältnis der Parteien überhaupt enden werde und der Anspruch, der die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraussetze, dem Grunde nach entstanden sei, so
gelten diese Erwägungen auch hier.
Ohne dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses feststeht, besteht für solche von der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhängenden Ansprüche jedenfalls kein Grund, über
die an die Fälligkeit eines Anspruches unmittelbar oder mittelbar anknüpfenden
Verfallfristen hinaus besondere Verfallfristen an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
anzuknüpfen. Andernfalls müsste ein Arbeitnehmer eine Erfolg versprechende
Kündigungsschutzklage bereits deshalb aufrechterhalten, um nicht rückwirkend besondere
Verfallfristen in Kraft treten zu lassen.
2. Sofern der Anspruch nach einer tariflichen Ausschlussfrist verfallen wäre, ist er jedenfalls
nicht nach der im Arbeitsvertrag vereinbarten Verfallklausel verfallen, die insofern als
günstigere Regelung Vorrang hat.
Hiernach verfallen Ansprüche, wenn sie nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Fälligkeit
schriftlich geltend gemacht werden und muss, wenn die Gegenpartei den Anspruch ablehnt
oder sich innerhalb von zwei Wochen nach Geltendmachung nicht erklärt, innerhalb von
zwei Monaten Klage erhoben werden.
Die vertragliche Frist für die schriftliche Geltendmachung ist eingehalten, weil unabhängig
davon, ob der Nachteilsausgleichsanspruch bereits mit der Klageschrift, mit dem Schreiben
vom 31.03.04 oder mit der am 15.04.04 zugestellten Klageerweiterung schriftlich geltend
gemacht wurde, die schriftliche Geltendmachung innerhalb von drei Monaten nach Ablauf
des Arbeitsverhältnisses am 29.02.04 und damit der frühestmöglichen Fälligkeit des
Nachteilausgleichsanspruches erfolgte.
Auch ist die sich an die zweiwöchige Erklärungsfrist anschließende Klagefrist eingehalten,
da unter Zugrundelegung der Entscheidung des BAG vom 27. März 1996 frühestens mit
Fälligkeit am 29.02.04 die zweiwöchige Erklärungsfrist begann und sich daran die
zweimonatige Klagefrist anschloss. Die Klageerweiterung bezüglich des Nachteilsaus-
gleiches ging aber bereits am 07.04.04 bei Gericht ein.
Die mit "Verfallfristen" überschriebene vertragliche Ausschlussklausel stellt auch im
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Verhältnis zur Ausschlussklausel des MTV NRW eine eigenständige und abgeschlossene
Regelung der Verfallfristen dar.
III.
Die Höhe der Abfindung war auf 4.109.16 € festzusetzen.
Gemäß § 113 Abs. 1 und 3 BetrVG i.V.m. § 10 KSchG ist bei der Bemessung der Abfindung
die Höhe des letzten Monatsbruttoeinkommens, die Dauer der Betriebszugehörigkeit und
das Alter zu berücksichtigen, können aber auch weitere Gesichtspunkte berücksichtigt
werden wie die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und sonstige Sozialdaten des
Arbeitnehmers (vgl. KR-Spilger,a.a.O. § 10 KSchG, RN 45 ff., 52; APS-Biebl, 2. Aufl., § 10
KSchG, RN 24 und von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, 13. Aufl., § 10 RN 14).
Berücksichtigt werden kann auch das Ausmaß des betriebsverfassungswidrigen
Verhaltens des Arbeitgebers (vgl. BAG, Urteil vom 22.07.2003 – 1 AZR 541/02 – AP Nr. 42
zu § 113 BetrVG 1972).
Sind für die Bemessung der Abfindung gemäß den §§ 9, 10 KSchG aufgrund eines Auflö-
sungsantrages die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der
Tatsacheninstanz maßgeblich (vgl. KR-Spilger, a.a.O., § 10 KSchG, Rdn.46; von Hoynin-
gen/Huene/Linck, § 10 KSchG, Rdn. 5), so muss hinsichtlich der Bemessung des
Nachteils-ausgleichsanspruchs jedoch der Zeitpunkt der Entlassung maßgeblich sein, da
der Nach-teilsausgleichsanspruch nicht auf einer unwirksamen Kündigung und damit auf
einem grund-sätzlich fortbestehenden Arbeitsverhältnis beruht, das erst auf Antrag, der
noch in der letz-ten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz gestellt werden kann,
aufgelöst wird, sondern aufgrund einer wirksamen Entlassung, die dem Arbeitnehmer nicht
die Wahl lässt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen oder auflösen zu lassen. Es besteht
deshalb auch keine Veranlassung, Entwicklungen zu berücksichtigen, die erst nach der
Entlassung erkennbar werden, weil sie auch bezüglich der Frage, ob das Arbeitsverhältnis
beendet wird, nicht mehr berücksichtigt werden können, anders als bei der Auflösung des
Arbeitsverhältnisses hinsichtlich der Begründetheit eines Auflösungsantrages.
Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ist eine Abfindung in Höhe von 44 % des
letzten Monatsbruttoeinkommens pro Beschäftigungsjahr bzw. anteilig pro
Beschäftigungsmonat angemessen.
Als Sockelbetrag sind 40 % eines Monatsbruttogehalts pro Beschäftigungsjahr bzw.
anteilig pro Beschäftigungsmonat angemessen aber entgegen der Ansicht des Klägerin
auch ausreichend, da der Beklagten zwar ein eindeutiger, aber nicht besonders schwerer,
sondern eher etwas unterdurchschnittlicher Verstoß gegen ihre
betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten vorgeworfen werden kann. Hierbei war sowohl zu
berücksichtigen, dass die Beklagte anders als in vielen anderen bisher entschiedenen
Fällen ohne ausreichenden Versuch eines Interessenausgleichs nicht jegliche Möglichkeit
der Weiterbeschäftigung zunichte gemacht hat, sondern den Betrieb verlegt hat und zudem
den Eindruck haben konnte, dass der Betriebsrat im Wesentlichen nur noch eine Einigung
über einen Sozialplan anstrebte, wenn dies auch nicht bedeutet, dass sie auf den Versuch
eines Interessenausgleichs verzichten durfte.
Die Abfindung ist nicht zusätzlich zu reduzieren, weil die Klägerin das Angebot erhalten
hat, das Arbeitsverhältnis in E1xxx fortzusetzen. Vor dem Hintergrund des nicht
überdurchschnittlichen Einkommens der Klägerin aber einer überdurchschnittlich langen
Anfahrtstrecke zum neuen Betriebssitz auch von ihrem Wohnsitz aus ist es durchaus
nachvollziehbar, dass dieses Angebot für die Klägerin nicht von Interesse ist, ohne dass
daraus der Rückschluss gezogen werden könnte, dass die Klägerin schon eine neue
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Arbeitsstelle in Aussicht hatte.
Die Ablehnung des Angebots durch die Klägerin mag ein Zeichen dafür sein, dass sie sich
nicht in einer wirtschaftlichen Lage befindet, die sie zwingt, trotz des bei der Beklagten
erzielten nicht überdurchschnittlichen Einkommens auch eine so entfernte Arbeitsstelle
anzunehmen. Die wirtschaftliche Lage des Arbeitnehmers kann jedoch nach herrschender
Meinung nicht berücksichtigt werden, weder zu seinen Gunsten noch zu seinen Ungunsten
(vgl. APS/Biebl, a.a.O., § 10 KSchG, RN 28 und KR-Spilger, a.a.O., § 10 KSchG, RN 53).
Jedenfalls muss die wirtschaftliche Lage nicht berücksichtigt werden.
Entscheidend ist hier, dass insbesondere eine so weite Verlegung und damit auch der
Verlust des Arbeitsplatzes hätten eventuell vermieden werden können, wenn ein
Interessenausgleich ausreichend versucht worden wäre.
Bei der Bemessung des Nachteilsanspruches ist es nicht erforderlich, auf einen
Sanktionszweck abzustellen. Jedenfalls entspricht der Nachteilsausgleichsanspruch
teilweise einem Schadensersatzanspruch und ist es bei der Bemessung seiner Höhe wie
bei einem Schadensersatzanspruch im Hinblick auf das zugrunde liegende pflichtwidrige
Verhalten nicht geboten, Aspekte wie z.B. die Möglichkeit, trotz eingetretenen Schadens
seinen Lebensunterhalt sichern zu können, zu berücksichtigen, die bei Ansprüchen zu
beachten sind, die allein auf sozialen Gesichtspunkten beruhen.
Die Kammer hielt es für gerechtfertigt, den vom Arbeitsgericht zugrunde gelegten Betrag
pro Jahr der Betriebszugehörigkeit von 40 % eines Monatseinkommens um einen halben
Prozentpunkt für jedes Lebensjahr über 45 Jahre anzuheben, nicht jedoch im Hinblick
darauf, dass die Klägerin bereits erwachsene Kinder hat, weil sie nicht mehr der elterlichen
Betreuung bedürfen und deshalb die Möglichkeiten, eine neue Arbeitsstelle zu finden nicht
einschränken.
Die Kosten des Verfahrens in erster und zweiter Instanz waren den Parteien jeweils
entsprechend des Verhältnisses ihres Obsiegens und Unterliegens gemäß § 92 ZPO
aufzuerlegen, wobei aufgrund der von der Klägerin auch bezüglich der Höhe der Abfindung
unverändert vertretenen Rechtsansicht trotz ihres Verzichtes auf einen bezifferten Antrag
davon auszugehen war, dass sie eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils in vollem
Umfang anstrebt (vgl. auch BAG, Urteil vom 10.12.96 AP Nr. 32 zu § 113 BetrVG 1972).
Die Revision hat die Kammer zugelassen im Hinblick darauf, dass es bisher soweit
ersichtlich keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage gibt, ob und wie zu
berücksichtigen ist, dass die Entlassung auf einer Änderungskündigung beruht und auch
klärungsbedürftig erscheint, in welchem Umfang neben dem Einkommen und der
Betriebszugehörigkeit auch andere Sozialdaten insbesondere das Alter zu berücksichtigen
sind oder bei Massenentlassungen auch im Interesse der Praktikabilität zumindest
weitgehend für alle Arbeitnehmer von dem gleichen Prozentsatz des letzten
Monatsverdienstes pro Beschäftigungsjahr ausgegangen werden kann, wie dies meist
üblich ist.
Wolffram
Schulte
Brieskorn