Urteil des LAG Düsseldorf vom 10.11.2010

LArbG Düsseldorf (kläger, ordentliche kündigung, kündigung, abmahnung, verhalten, treu und glauben, arbeitsunfähigkeit, betrieb, kenntnis, herausgabe)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 7 Sa 1052/09
Datum:
10.11.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Sa 1052/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Düsseldorf, 13 Ca 4134/09
Schlagworte:
.
Normen:
.
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Auch bei sehr geringfügigen Pflichtverletzungen, die für sich genommen
nicht zum Ausspruch einer Kündigung führen können, kann eine
ordentliche Kündigung nach Abmahnung gerechtfertigt sein, wenn in
dem Fehlverhalten des Arbeitnehmers eine Beharrlichkeit zum Ausdruck
kommt, sich berechtigten Anweisungen des Arbeitgebers zu
widersetzen, weil sie nach seiner Einschätzung nicht sinnvoll ist.
Tenor:
I.Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Düsseldorf vom 21.08.2009, 13 Ca 4234/09, abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
III.Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Mit seiner Klage wehrt der Kläger sich gegen eine seitens der Beklagten aus
verhaltensbedingten Gründen ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 09.03.2009.
2
Der am 13.02.1969 geborene, ledige Kläger ist seit dem 01.08.1985 bei der Beklagten
bzw. zunächst bei deren Rechtsvorgängerin als Kundendiensttechniker im Außendienst
zu einem monatlichen Bruttolohn von zuletzt 3.000,00 € beschäftigt. Das
Arbeitsverhältnis des Klägers ist im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte
übergegangen.
3
Der Kläger, dem bereits bei der Rechtsvorgängerin ein Dienstfahrzeug zur
ausschließlich dienstlichen Nutzung zur Verfügung stand, war von dieser angewiesen,
die Fahrzeugschlüssel des Dienstfahrzeugs sowie das Fahrtenbuch vor Urlaubsantritt
oder bei Arbeitsunfähigkeit im Betrieb abzugeben.
4
Vom 19.11. bis zum 01.12.2002 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Sein
Dienstfahrzeug hatte er auf dem Betriebsgelände abgestellt, den Schlüssel für das
Fahrzeug jedoch nicht im Betrieb hinterlegt. Vom 02.12.2002 bis zum 12.01.2003 hatte
der Kläger Erholungsurlaub. Ab dem 13.01.2003 war er erneut arbeitsunfähig erkrankt.
Am 22.01.2003 wurde der Kläger im Rahmen eines Telefongesprächs aufgefordert, den
Fahrzeugschlüssel für das Dienstfahrzeug herauszugeben. Eine Herausgabe seitens
des Klägers erfolgte jedoch nicht. Am 03.02.2003 meldete sich der Kläger erneut
telefonisch im Sekretariat seines Arbeitgebers. Als versucht wurde, den Kläger an den
Leiter des Bezirksbüros weiterzuverbinden, brach der Kläger das Gespräch ab, weil er
mit dem Ressortleiter nicht zu sprechen wünschte. Da bis zu diesem Zeitpunkt eine
Herausgabe des Fahrzeugschlüssels nicht erfolgt war, erteilte die Rechtsvorgängerin
der Beklagten gegenüber dem Kläger wegen dieses Sachverhalts zunächst unter dem
Datum vom 03.02.2003 eine Abmahnung und sprach sodann - da auch danach eine
Herausgabe der Fahrzeugschlüssel nicht erfolgte - unter dem Datum vom 25.02.2003
eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung aus. In dem vor dem Arbeitsgericht
Aachen geführten Kündigungsrechtsstreit, aus dem sich der vorstehend dargestellte
Sachverhalt als unstreitig ergibt, hat der Kläger obsiegt, weil er sich darauf berief, die
ihm in seinen Briefkasten eingeworfene Abmahnung vom 03.02.2003 wegen seines
Umzugs in eine andere Wohnung erst zeitgleich mit der Kündigung zur Kenntnis
genommen zu haben. Wegen des Inhalts des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen im
Einzelnen wird auf Bl. 81 - 90 der Akte Bezug genommen.
5
Seit dem 01.08.2008 ist der Kläger bei der Beklagten in dem Ressort „OnSiteService“
(OSS) X., Team S., im Außendienst eingesetzt. Unstreitig hat der Kläger diesen
wohnortnahen Einsatz im Außendienst unter Vorlage eines betriebsärztlichen Attestes
verlangt.
6
Vor Antritt seines Urlaubs am 31.10.2008 hat der Kläger den Schlüssel des
Dienstfahrzeugs, den Kfz-Schein und sein Fahrtenbuch nicht im Betrieb der Beklagten
hinterlegt.
7
Ausweislich eines von der Beklagten zur Akte gereichten „Memos“ vom 24.11.2008 (Bl.
92 - 93 der Akte) wurde der Kläger in einem Gespräch am selben Tag unter anderem
darauf hingewiesen, dass er entgegen der bestehenden Vereinbarung vor Antritt seines
Urlaubs am 31.08.2008 weder das Fahrtenbuch noch die Schlüssel des
Dienstfahrzeugs im Betrieb hinterlegt habe mit der Folge, dass ein einem anderen
Ressort zugeordneter Parkplatz in der Tiefgarage über 3 Wochen durch dieses
Fahrzeug belegt gewesen sei. Der Kläger wurde angewiesen, seine Fahrtenbuchmappe
inklusive Tankkarte und Fahrzeugschlüssel ab sofort abends in seinem Fach zu
hinterlegen sowie sich bei Arbeitsbeginn bei seinem Vorgesetzten Herrn N. an- und bei
Arbeitsende abzumelden. Abschließend wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass im
Wiederholungsfall weitere Konsequenzen anstehen könnten und auch eine Abmahnung
ausgesprochen werden könne.
8
Unklar ist geblieben, ob dem Kläger im Betrieb S. ein Fach zur Verfügung stand, in dem
er die Fahrzeugschlüssel hätte hinterlegen können.
9
Mit Schreiben vom 29.01.2009 erteilte die Beklagte dem Kläger sodann eine
Ermahnung, in der sie ihn nochmals schriftlich auf die von ihm einzuhaltenden Pflichten
- auch hinsichtlich des Dienstfahrzeugs - hinwies und ankündigte, weitere
10
arbeitsrechtliche Mittel einzuleiten, wenn bis zum 15.02.2009 keine Besserung
erkennbar sei und festgestellt werden müsse, dass er die im Einzelnen genannten
Anweisungen weiterhin missachte. Wegen des Inhalts des Schreibens im Einzelnen
wird auf Bl. 94 - 97 der Akte Bezug genommen.
Dieses Schreiben wurde dem Kläger am 06.02.2009 von seinem Vorgesetzten Herrn N.
übergeben.
11
Am 06.02.2009 nahm der Kläger den Schlüssel, den Kraftfahrzeugschein sowie das
Fahrtenbuch mit nach Hause. An diesem Tag hatte er Spätdienst, der erst um 20.00 Uhr
endete. Zu diesem Zeitpunkt war Herr N. nicht mehr im Betrieb anwesend.
12
Am 09.02.2009 erschien der Kläger, der seinen Dienst um 8.00 Uhr hätte beginnen
müssen, nicht zur Arbeit. Zwischen den Parteien ist streitig, ob er um kurz nach 8.00 Uhr
oder erst gegen 9.00 Uhr den Sachbearbeiter Einsatzsteuerung darüber informierte,
dass er einen Arzt aufsuchen wolle.
13
Am Folgetag meldete der Kläger telefonisch gegenüber einem Mitarbeiter der
Disposition seine ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit.
14
Da der Kläger sich sodann bis zum 16.02.2009 nicht mehr meldete und auch keine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übersandte, erteilte die Beklagte ihm unter dem
Datum vom 16.02.2009 eine Abmahnung und forderte ihn auf, seine Arbeit am
18.02.2009 um 8.00 Uhr aufzunehmen bzw. im Falle einer Arbeitsunfähigkeit ein
entsprechendes Attest bis zum 18.02.2009 vorzulegen. Außerdem wurde der Kläger
darauf hingewiesen, dass er künftig jedes Fernbleiben von der Arbeit, insbesondere
jede Arbeitsunfähigkeit, unverzüglich bei Herrn N. oder bei dessen Verhinderung der
Stellvertreterin Frau S. anzuzeigen habe. Er wurde aufgefordert, bis zum 18.02.2009 das
Fahrtenbuch, die Tankkarte, den Kfz-Schein sowie den Fahrzeugschlüssel an Herrn N.
herauszugeben bzw. im Falle der Arbeitsunfähigkeit Herrn N. mitzuteilen, wo die
Gegenstände sich befänden und wie eine Herausgabe sichergestellt werden könne. Für
zukünftiges Fehlverhalten wurde dem Kläger die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
angedroht. Wegen des Inhalts der Abmahnung im Einzelnen wird auf Bl. 99 - 100 der
Akte Bezug genommen.
15
Diese Abmahnung wurde am 17.02.2009 um 12.55 Uhr in den Hausbriefkasten des
Klägers eingeworfen.
16
Nach Einwurf der Abmahnung wurde Herrn N. mitgeteilt, dass der Kläger sich am
17.02.2009 telefonisch bei einem Kollegen der Disposition gemeldet und eine
voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis zum 21.02.2009 angezeigt hatte.
17
Da der Kläger bis zum 18.02.2009 weder eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
übersandt noch mitgeteilt hatte, wo sich die das Dienstfahrzeug betreffenden
Gegenstände befinden, erteilte die Beklagte dem Kläger unter dem Datum vom
18.02.2009 eine weitere Abmahnung (Bl. 102 - 103 der Akte) und forderte ihn erneut auf,
bis zum 20.02.2009 seine Abwesenheit seit dem 09.02.2009 gegenüber Herrn N.
nachvollziehbar zu begründen und entsprechende ärztliche Atteste vorzulegen sowie
die Herausgabe der angeforderten Gegenstände sicherzustellen. Erneut wurde der
Kläger aufgefordert, jedes Fernbleiben gegenüber Herrn N. oder seiner Stellvertreterin
anzuzeigen.
18
Diese Abmahnung wurde am 18.02.2009 um 16.45 Uhr in den Hausbriefkasten des
Klägers eingeworfen.
19
Bis einschließlich Freitag, den 20.02.2009 hat der Kläger sich bei der Beklagten nicht
gemeldet.
20
Nach der Einlassung des Klägers hat er die Abmahnungen erst am 21.02.2009 aus dem
Briefkasten genommen.
21
Am Montag, dem 23.02.2009, an dem der Kläger dienstplanmäßig frei hatte, ging bei der
Beklagten ein am 20.02.2009 als Einschreibesendung versandter Brief des Klägers mit
ärztlichen Attesten für den Zeitraum vom 09.02. bis zum 21.02.2009 ein.
22
Am 24.02.2009 rief der Kläger gegen 8.30 Uhr bei dem Sachbearbeiter
Einsatzsteuerung an, dem er mitteilte, er wolle nochmals zum Arzt gehen.
23
Mit Email vom selben Tag teilte er Herrn N. um 21.33 Uhr mit, dass seine Krankmeldung
bis zum 28.02.2009 verlängert worden sei und er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
nach I. zu Händen von Frau I. geschickt habe. Eine Mitteilung hinsichtlich der den
Dienstwagen betreffenden Gegenstände erfolgte seitens des Klägers nicht.
24
Auf dem Anrufbeantworter des Diensthandys hinterlassene Rückrufbitten der Beklagten
hat der Kläger nicht beantwortet.
25
Mit Schreiben vom 02.03.2009 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat
zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers an. Wegen des Inhalts des
Anhörungsschreibens im Einzelnen wird auf Bl. 106 - 110 der Akte Bezug genommen.
26
Mit Schreiben vom 04.03.2009 erklärte der Betriebsrat, er stimme der beabsichtigten
Kündigung nicht zu und führte dazu aus, eine persönliche Kontaktaufnahme mit dem
Kläger in seiner Wohnung am 03.03.2009 sei nicht möglich gewesen, weil der Kläger
die Tür nicht geöffnet habe. Er sei auch nicht an das Telefon gegangen und habe auf
den hinterlassenen Rückrufwunsch nicht geantwortet. Es habe nicht aufgeklärt werden
können, ob dieses „abgeschottete“ Verhalten des Klägers mit dessen Erkrankungen zu
tun habe. Da der Kläger wiederholt im Außendienst diverse Schwierigkeiten gehabt
habe, werde darum gebeten, den Kläger im Innendienst zu beschäftigen, um ihm eine
Chance zur Bewährung zu geben.
27
Mit Schreiben vom 09.03.2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers
ordentlich zum 31.10.2009 und wies ihn zur Begründung darauf hin, dass er trotz
entsprechender Abmahnungen und Belehrungen wiederholt seiner Verpflichtung, den
Beginn oder die Fortdauer seiner Arbeitsunfähigkeit unverzüglich dem Vorgesetzten
mitzuteilen, nicht nachgekommen sei und die Schlüssel zu dem dienstlich zur
Verfügung gestellten Fahrzeug, das Fahrtenbuch und die Tankkarte nicht
herausgegeben habe.
28
In der Folgezeit war der Kläger zunächst weiterhin arbeitsunfähig krank. Die den
Dienstwagen betreffenden Gegenstände hat er am 19.03.2009 im Betrieb der Beklagten
deponiert.
29
Ausweislich der im Berufungsverfahren zur Akte gereichten Aufstellung der
Krankenkasse über die Erkrankungen des Klägers war dieser in der Zeit vom 09.02. bis
07.03.2009 aufgrund einer Gastritis und vom 09.03. bis 17.03.2009 an einer „sonstigen
depressiven Episode“ arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 17.03.2009 erfolgte erstmalig
eine Behandlung durch den Psychiater Dr. M., der ebenfalls eine „sonstige depressive
Episode“ bescheinigte.
30
Ausweislich eines vom Kläger zur Akte gereichten Attestes seiner Hausärztin Frau Dr.
X. sollen bei ihm seit Jahren massive Beschwerden vom Magen sowie von der Psyche
her bestehen. Der Kläger habe besonders in der Zeit vom 09.02. bis 07.03.2009 unter
Magenschmerzen, Tendenz zu sozialem Rückzug, Antriebsstörungen und
Vermeidungshaltungen gelitten. Wörtlich wird in dem Attest ausgeführt: „Mein
persönlicher Eindruck war damals durchaus mit Einfluss einer Depression beim
Patienten vorhanden, wobei der Patient sich danach allerdings nicht mehr vorgestellt
hatte.“
31
Der Kläger hat vorgetragen, er sei der einzige Mitarbeiter der Beklagten, der
Fahrzeugschlüssel, Fahrtenbuch und Tankkarte jeden Abend abgeben müsse. Alle
anderen Kollegen dürften die Fahrzeuge mit nach Hause nehmen und auch für den Weg
zur Dienststelle kostenfrei nutzen. Da das ihm zugewiesene Dienstfahrzeug
ausschließlich von ihm genutzt werde, sei der Beklagten dadurch, dass der
Fahrzeugschlüssel sich nicht im Betrieb befunden habe, kein Nachteil entstanden.
Schließlich hätte die Beklagte längst einen Ersatzschlüssel anfertigen lassen können,
soweit kein Zweitschlüssel vorhanden gewesen sei. Wahrer Hintergrund der Kündigung
sei vielmehr seine schwere Erkrankung, die zu häufigen Krankheitszeiten führe. Am
09.02.2009 habe er erst um 8.20 Uhr bei der Beklagten jemanden erreicht, um
mitzuteilen, dass er einen Arzt aufsuchen wolle. Er habe sich - auch psychisch - in
einem sehr schlechten gesundheitlichen Zustand befunden und deshalb erst am
10.02.2009 um 8.00 Uhr dem Mitarbeiter der Beklagten Herrn N. die festgestellte
Arbeitsunfähigkeit mitteilen können. Aus seiner - des Klägers - Sicht sei eine
Krankmeldung beim Disponenten ausreichend und als vorzugswürdig zu erachten.
Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes sei er nicht dazu in der Lage
gewesen, sich „normal“ zu verhalten und habe es schlicht vergessen, dass er die
Fahrzeugunterlagen am 06.02.2009 aus Sicherheitsgründen mit nach Hause
genommen habe. Die streitgegenständlichen Abmahnungen habe er erst am
21.02.2009 dem Briefkasten entnommen. Den Briefkasten habe er nur sporadisch auf
dem Weg zum Arzt geleert und sei zudem nicht dazu in der Lage gewesen, sich mit
Schriftstücken irgendwelcher Art auseinander zu setzen. Er habe große Probleme
gehabt, die Übersendung seiner Krankmeldung zu organisieren, wobei er selbst nicht in
der Lage gewesen sei, die Krankmeldung per Einschreiben zu versenden. Abgesehen
davon, dass es keine schwerwiegenden Pflichtverstöße gegeben habe, sei die
Kündigung unter Berücksichtigung seiner 24jährigen Betriebszugehörigkeit nicht
gerechtfertigt.
32
Der Kläger hat beantragt,
33
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom
09.03.2009 nicht mit Ablauf des 31.10.2009 aufgelöst worden ist.
34
Die Beklagte hat beantragt,
35
die Klage abzuweisen.
36
Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe das auch in der Vergangenheit seit
geraumer Zeit erheblich belastet Arbeitsverhältnis durch sein erneutes grob
pflichtwidriges Verhalten trotz der erteilten Ermahnung und der Abmahnungen weiter
belastet und damit das für die Fortführung des Arbeitsverhältnisses erforderliche
Vertrauensverhältnis zerstört, denn es müsse auch für die Zukunft mit erneuten
gleichartigen Pflichtverstößen gerechnet werden. Selbst wenn als richtig unterstellt
würde, dass der Kläger die Abmahnungen erst am 21.02.2009 aus dem Briefkasten
genommen habe, so hätte er sich - entsprechend den Weisungen in den Abmahnungen
- spätestens am 23.02.2009 bei seinem Vorgesetzten Herrn N. melden können, um eine
weitere Arbeitsunfähigkeit anzuzeigen und mit Herrn N. die Herausgabe der
Gegenstände für das Dienstfahrzeug zu regeln. Der Kläger hingegen habe - wie der
unstreitige Sachverhalt zeige - wiederholt bewusst und beharrlich gegen ihm erteilte
Weisungen verstoßen. Er sei offensichtlich nicht bereit, den berechtigten Forderungen
nachzukommen. Eine Beschäftigung im Innendienst sei - abgesehen davon, dass sich
die Verstöße im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit auch dort auswirken würden
- nicht möglich, weil der Kläger unter Vorlage eines betriebsärztlichen Attestes die
Beschäftigung im Außendienst verlangt habe. Zudem verfüge sie - die Beklagte - über
keinen geeigneten freien Arbeitsplatz. Schließlich habe der Kläger am 22.11.2008 und
am 03.01.2009 unentschuldigt gefehlt.
37
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und dazu im Wesentlichen ausgeführt,
zwar seien schuldhafte Pflichtverletzungen des Klägers gegeben, für die er zumindest
im Hinblick auf zwei Pflichtverstöße vor Ausspruch der streitgegenständlichen
Kündigung auch wirksam abgemahnt worden sei. Nach Auffassung der Kammer
überwiege das Beendigungsinteresse der Beklagten jedoch noch nicht das
Erhaltungsinteresse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Zwar sei der
Beklagten zuzugestehen, dass das Arbeitsverhältnis nicht unbelastet sei. Auch könne
die Beklagte als Eigentümerin eines Dienstfahrzeugs darauf bestehen, dass ihr dieses
im Falle der Abwesenheit des Klägers zur Verfügung gestellt werde. Die Beklagte habe
jedoch keine konkreten Beeinträchtigungen vorgetragen, die durch das Verhalten des
Klägers entstanden seien. Insbesondere im Hinblick auf die lange Betriebszugehörigkeit
des Klägers sei nicht davon auszugehen, dass die Beklagte künftige
Vertragspflichtverletzungen nur durch den Ausspruch einer Kündigung vermeiden
könne. Der Beklagten sei zuzumuten, dem Kläger eine weitere Bewährungsmöglichkeit
einzuräumen, wobei die Kammer ausdrücklich darauf hinweise, dass weitere gleich-
oder ähnlich gelagerte Pflichtverletzungen durchaus die Kündigung des
Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könne.
38
Gegen das ihr am 14.09.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am
06.10.2009 per Fax und am 08.10.2009 im Original bei dem Landesarbeitsgericht
eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 13.11.2009 per
Fax und am 16.11.2009 im Original bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen
Schriftsatz begründet.
39
Die Beklagte rügt mit ihrer Berufung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen
Vorbringens, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass ihr in Anbetracht der beharrlichen
Pflichtverletzungen des Klägers eine weitere Beschäftigung nicht zumutbar sei.
Sämtlichen Pflichtverletzungen sei die offenkundige Weigerung des Klägers
gemeinsam, Weisungen nachzukommen. Bereits Anfang des Jahres 2003 habe er
40
entgegen der betrieblichen Weisung und trotz entsprechender Aufforderungen den
Schlüssel für das Dienstfahrzeug nicht herausgegeben, so dass nach erfolgloser
Abmahnung eine Kündigung habe ausgesprochen werden müssen. Im Oktober 2008
habe er vor seinem Urlaubsantritt erneut gegen seine Herausgabepflicht verstoßen.
Weder das mit ihm geführte Gespräch noch die sodann erteilte Ermahnung und die
erteilten Abmahnungen hätten trotz Hinweis auf die arbeitsrechtlichen Konsequenzen
zu einer Verhaltensänderung des Klägers geführt. Entgegen der Auffassung des
Arbeitsgerichts sei die Feststellung konkreter betrieblicher Beeinträchtigungen durch die
Pflichtverletzungen des Klägers nicht erforderlich. Die Vertragsverletzung selbst
beinhalte eine unmittelbare und hinreichende Störung des Arbeitsverhältnisses. Ab dem
06.02.2009 habe der Kläger erneut 1 ½ Monate die Herausgabe der Schlüssel und der
Fahrzeugunterlagen verweigert. Spätestens nach Erhalt der ersten Abmahnung vom
16.02.2009 hätte seitens des Klägers eine unverzügliche Aushändigung ermöglicht
werden müssen, selbst wenn eine Hinterlegung der Unterlagen am 06.02.2009 nicht
möglich gewesen wäre. Die Behauptung des Klägers, er habe die Herausgabe aufgrund
seines schlechten Gesundheitszustandes schlicht vergessen, müsse als
Schutzbehauptung gewertet werden. Die auch noch nach Zugang der Kündigung
weitere zeitliche Verzögerung der Herausgabe bestätige die negative
Zukunftsprognose. Auch das Verhalten des Klägers hinsichtlich der Anzeige- und
Nachweispflicht seiner Arbeitsunfähigkeit zeige, dass er sich berechtigten Anliegen der
Beklagten bewusst und beharrlich widersetze. Seine Behauptung, er habe die
Abmahnungen erst am 21.02.2009 zur Kenntnis genommen, sei ebenfalls als
Schutzbehauptung zu werten, denn dass er für einen längeren Zeitraum seinen
Briefkasten unbeachtet lasse, sei fernliegend. Zudem falle auf, dass er mit einem
gleichgelagerten Einwand schon im Kündigungsschutzverfahren im Jahr 2003
hervorgetreten sei. Schließlich sei das Verhalten des Klägers, Posteingänge zu
ignorieren, eine treuwidrige Zugangsvereitelung. Unter den gegebenen Umständen sei
die Kündigung verhältnismäßig. Eine nochmalige Abmahnung zur Störungsabwehr sei
gänzlich ungeeignet gewesen, um weitere Vertragsverstöße zu verhindern. Entgegen
der Auffassung des Arbeitsgerichts seien auch tatsächliche Beeinträchtigungen
festzustellen. Hinsichtlich der unterbliebenen Arbeitsunfähigkeitsanzeigen sei die
Personalplanung beeinträchtigt. Hinsichtlich des Dienstfahrzeugs ergebe sich die
Beeinträchtigung bereits daraus, dass ihr - der Beklagten - auf lange Zeiträume jede
Nutzbarkeit eines Betriebsmittels vorenthalten worden sei. Zudem habe das
Arbeitsgericht verkannt, dass die Aufrechterhaltung der Betriebsdisziplin als legitimes
arbeitgeberseitiges Interesse anzuerkennen sei. Die Einräumung „weiterer
Bewährungsmöglichkeiten“ auch bei abgemahnten, beharrlichen Vertragsverstößen
beinhalte ein der Beklagten schlechthin unzumutbares Signal für die
Betriebsgemeinschaft. Die Verbindlichkeit von Weisungen wäre damit ganz nachhaltig
relativiert. Ersichtlich sei es dem Kläger allein darum gegangen, seine abweichenden
Vorstellungen zur Geltung zu bringen. Daraus folge zugleich eine besonders hohe
Wiederholungsgefahr. Für eine schwere Erkrankung des Klägers, die ein schuldhaftes
Verhalten ausschließen könnte, seien keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. Das
diesbezügliche Vorbringen des Klägers sei schlicht falsch. Zwar weise der Kläger eine
lange Betriebszugehörigkeit auf, besondere soziale Umstände lägen jedoch nicht vor.
Insbesondere im Hinblick auf die mit dem Kläger geführten Gespräche, die Ermahnung
und die Abmahnungen müsse die Interessenabwägung zu Gunsten der Beklagten
ausgehen. Schließlich habe der Kläger sogar während des vorliegenden Verfahrens
erneut eine Arbeitsunfähigkeit ab dem 28.05.2009 erst am 29.05.2009 mitgeteilt, was die
negative Zukunftsprognose bestätige.
Die Beklagte beantragt,
41
das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 21.08.2009, 13 Ca 4134/09,
abzuändern und die Klage abzuweisen.
42
Der Kläger beantragt,
43
die Berufung zurückzuweisen.
44
Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und rügt die Unzulässigkeit der
Berufung, da die Berufungsbegründungsschrift sich nicht mit den Gründen des
angefochtenen Urteils einzelfallbezogen auseinandersetze. Zudem sei der Vortrag
überwiegend als verspätet zurückzuweisen. Sodann trägt der Kläger unter
Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens vor, die angeblichen Pflichtverstöße
aus dem Jahr 2002/2003 stünden in keinem Zusammenhang mit dem vorliegenden
Verfahren. Zudem habe dieses Verfahren einen anderen Arbeitgeber betroffen.
Selbstverständlich sei er jederzeit dazu bereit gewesen, die ihm gegebenen
Anordnungen zu befolgen, auch wenn es sich dabei um Sonderregelungen für ihn
gehandelt habe. Die Beklagte habe das ihm zugewiesene Dienstfahrzeug während
seiner Erkrankung weder nutzen können noch wollen, weil alle anderen Mitarbeiter über
ein Dienstfahrzeug verfügten. Zudem hätte die Beklagte sich einen Ersatzschlüssel
besorgen können, sofern ein solcher nicht ohnehin existiere. Die Fahrzeugunterlagen
habe er am 06.02.2009 nur deshalb mitgenommen, weil es wegen der Abwesenheit des
Herrn N. keine Möglichkeit gegeben habe, diese sicher im Betrieb zu deponieren.
Zudem habe er sich in einem so schlechten gesundheitlichen Zustand befunden, dass
die Ärzte eine Klinikeinweisung für dringend erforderlich hielten, welche „aufgrund
fehlender Krankenhauskapazitäten im Akutzustand“ aber nicht möglich gewesen sei. Er
habe sich in den Monaten Februar und März 2009 in einer akuten depressiven Episode,
gekennzeichnet durch völlige Antriebsschwäche bis zur Bewegungslosigkeit,
Schlafstörungen, Erschöpfungszuständen, die ihn zeitweise tagelang ans Bett gefesselt
hätten, Einschränkungen in der Konzentrations- und Denkfähigkeit und völligen Black-
Outs, befunden. Bereits im Februar 2009 habe er sich in der Behandlung des
Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde Dr. M. befunden, der
bestätigen könne, dass er - der Kläger - zu einfachsten Handlungen des täglichen
Lebens nicht in der Lage gewesen sei. Aufgrund seiner Konstitution habe er weder die
Rückgabe der Schlüssel organisieren noch eine entsprechende Rücksprache halten
können. Als er die streitgegenständlichen Abmahnungen erhalten habe, sei bei ihm eine
Lähmung eingetreten, die dazu geführt habe, dass er zu überhaupt keinen Handlungen
mehr in der Lage gewesen sei. Die Erkrankung sei sowohl medikamentös als auch
therapeutisch behandelt worden. Er habe seine Arbeitspflichten daher nicht in
vorwerfbarer Weise verletzt. Hinsichtlich der Krankmeldungen sei eine Regelung
gefunden worden, die Vertragsverletzungen in der Zukunft ausschließe.
45
Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 27.10.2010 hat der Kläger vor dem
anberaumten Verkündungstermin vom 10.11.2010 unter Beifügung von
Emailausdrucken vorgetragen, er habe am 28.05.2009 um 7.24 Uhr an seinen
Vorgesetzten Herrn N. eine Krankmeldung gesandt, die durch den Systemadministrator
an Herrn N. weitergeleitet worden sei. Es träfe daher nicht zu, dass er am 28.05.2009
unentschuldigt gefehlt habe.
46
Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf ihre in zweiter Instanz
47
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe :
48
I.
49
Die statthafte (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes
zulässige (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- und fristgerecht eingelegte und begründete
Berufung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) ist
zulässig.
50
Der Auffassung des Klägers, die Berufungsbegründung habe sich nicht
einzelfallbezogen mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinandergesetzt,
kann nicht gefolgt werden. Mit der Berufungsbegründung wird insbesondere die vom
Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung, die letztlich dazu führte, dass der
Kläger das Kündigungsschutzverfahren erstinstanzlich gewonnen hat, im Einzelnen
angegriffen. Die Behauptung des Klägers, die Berufungsbegründung verwende lediglich
„formelhafte Wendungen“, ist vom Kläger nicht näher konkretisiert worden und
angesichts der von der Beklagten konkret dargelegten Angriffe auch unrichtig.
51
Soweit der Kläger pauschal behauptet, im Übrigen sei der Vortrag in der
Berufungsbegründung „überwiegend“ als verspätet zurückzuweisen, ist auch dieser
Vortrag nicht nachvollziehbar. Mangels Konkretisierung ist schon nicht erkennbar,
welchen Vortrag der Kläger diesbezüglich meint. Zudem kann durch die
Berufungskammer auch kein Sachvortrag festgestellt werden, der als verspätet
angesehen werden müsste.
52
II.
53
Die Berufung ist auch begründet. Die streitgegenständliche Kündigung ist sozial
gerechtfertigt gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 KSchG, denn sie ist durch Gründe im
Verhalten des Klägers bedingt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist daher durch die
ordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.03.2009 wirksam zum 31.10.2009
beendet worden. Das Urteil des Arbeitsgerichts war mithin abzuändern.
54
In Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht geht auch die Berufungskammer davon aus,
dass schuldhafte Pflichtverletzungen des Klägers vorliegen, die geeignet sind, eine
Kündigung des Klägers aus Gründen in seinem Verhalten zu rechtfertigen.
55
Unter einem kündigungsrelevanten „Verhalten“ ist eine solche Handlungsweise zu
verstehen, die dem Arbeitnehmer vorwerfbar, d. h. von ihm steuerbar ist. Zudem ist ein
Handeln nur dann von Bedeutung, wenn dadurch arbeitsvertragliche Haupt- oder
Nebenpflichten verletzt und die Vertragsbeziehungen gestört werden. Liegen derartige
Vertragsverletzungen vor, werden sie kündigungsrechtlich relevant, wenn der
Arbeitgeber daraus schließen kann, dass das Vertragsverhältnis auch in Zukunft gestört
wird. Bei einer verhaltensbedingten Kündigung gehört daher zur sozialen
Rechtfertigung eine negative Prognose, für die die bereits erfolgte Störung der
maßgebende Anknüpfungspunkt ist. Der Arbeitnehmer soll durch die Kündigung nicht
bestraft werden. Vielmehr soll der Arbeitgeber durch die Kündigung von seinem Recht
Gebrauch machen können, weitere zu erwartende Vertragsverletzungen zu verhindern.
56
Liegt ein gravierender Verstoß nicht vor, ist die negative Prognose regelmäßig gegeben,
wenn der Arbeitnehmer nach einer Abmahnung den Vertrag in gleicher oder ähnlicher
Art erneut verletzt hat. Die Abmahnung dient der Objektivierung der negativen
Prognose. Ist eine Kündigungsandrohung ordnungsgemäß erfolgt und wiederholt der
Arbeitnehmer das beanstandete Verhalten, ist in der Regel davon auszugehen, dass
künftig mit weiteren Störungen zu rechnen sein wird. Insbesondere kann ein Schluss auf
die negative Entwicklung des Arbeitsverhältnisses aus wiederholten
Vertragsverletzungen hergeleitet werden (vgl. ErfK, 10. Aufl., § 1 KSchG Rdnr.188, 196,
198, 199 m.w.N. zur Rechtsprechung).
Ist das Arbeitsverhältnis in dieser Weise konkret beeinträchtigt und besteht keine
anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit, ist die Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn
die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile
billigenswert und angemessen erscheint (vgl. z. B. BAG, Urteil vom 13.12.2007, 2 AZR
818/06, zitiert nach juris m.w.N.).
57
Ein verhaltensbedingter Grund zur Kündigung kann nicht nur in einer erheblichen
Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die schuldhafte
Verletzung von Nebenpflichten kann sogar einen wichtigen Grund darstellen, der den
Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen kann. Als Verletzung einer
Nebenpflicht ist ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte
Weisungen des Arbeitgebers anzusehen. Ebenso kann die erhebliche Verletzung der
den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf
die Interessen des Arbeitgebers einen Kündigungsgrund. bilden. Der konkrete Inhalt
dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen
Anforderungen (vgl. BAG, Urteil vom 12.05.2010, 2 AZR 845/08, zitiert nach juris).
58
Unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen ist zunächst festzustellen, dass der
Kläger arbeitsvertragliche Nebenpflichten verletzt hat, indem er sich ausdrücklichen
Weisungen seines Arbeitgebers widersetzte. Schwerwiegend ist dieses Verhalten
insbesondere deshalb, weil es eine vorwerfbare Beharrlichkeit erkennen lässt,
rechtmäßigen Anordnungen der Beklagten keine Folge leisten zu wollen. Gerade diese
Beharrlichkeit ist es, die den Nebenpflichtverletzungen das kündigungsrelevante
Gewicht verleiht.
59
Besonderes Gewicht kommt dabei der beharrlichen Weigerung des Klägers, die
Anweisungen der Beklagten hinsichtlich der Herausgabe des Fahrzeugschlüssels zu
befolgen, zu.
60
Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, war die Beklagte berechtigt,
vom Kläger während dessen Abwesenheit, sei es wegen Urlaubs oder wegen einer
Arbeitsunfähigkeit, die Schlüssel für das Dienstfahrzeug herauszuverlangen, denn das
Fahrzeug war dem Kläger ausschließlich zur dienstlichen Nutzung überlassen. Ein
Besitzrecht an dem Fahrzeugschlüssel stand dem Kläger während einer
Abwesenheitszeit mithin nicht zu, so dass die Beklagte berechtigter Weise die
Herausgabe verlangen konnte. Diesem Herausgabeanspruch stand nicht entgegen,
dass der Kläger - seine Behauptung als richtig unterstellt - alleiniger Nutzer dieses
Fahrzeugs war, weil alle anderen Mitarbeiter ebenfalls über ein Dienstfahrzeug
verfügten. Abgesehen davon, dass es mangels Besitzberechtigung des Klägers
während einer Arbeitsverhinderung nicht der Entscheidungsmacht des Klägers obliegt,
ob das Dienstfahrzeug einem anderen Mitarbeiter zugewiesen wird - zum Beispiel weil
61
dessen Dienstfahrzeug wegen einer Reparatur oder aus anderen Gründen nicht
verfügbar ist - muss der Arbeitgeber die Möglichkeit haben, das Fahrzeug „zu bewegen“.
Aus dem Personalgespräch vom 24.11.2008 war dem Kläger bekannt, dass das
Dienstfahrzeug während seines dreiwöchigen Urlaubs einen Parkplatz in der
Tiefgarage belegt hat, der einem anderen Ressort zugeordnet war, weil er - der Kläger -
den Fahrzeugschlüssel vor seinem Urlaubsantritt nicht im Betrieb hinterlegt hatte.
Insoweit kann der Kläger sich nicht darauf berufen, die Beklagte hätte einen
Zweitschlüssel anfertigen lassen können. Die sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende
vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme verlangt von den Parteien eines
Arbeitsverhältnisses, gegenseitig auf die Rechtsgüter und Interessen der jeweils
anderen Vertragspartei Rücksicht zu nehmen. Danach hat der Arbeitnehmer seine
Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die in Zusammenhang mit
dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies
von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung im Betrieb, seiner eigenen Interessen
und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben
billigerweise verlangt werden kann. Es obliegt allein der Beklagten als Eigentümerin
des Fahrzeugs, ob sie einen Zweischlüssel anfertigen lässt oder den Arbeitnehmer, der
das Dienstfahrzeug nutzt, anweist, den Schlüssel für ein Fahrzeug, das nicht zur
privaten Nutzung überlassen ist, im Betrieb zu hinterlegen. Erteilt der Arbeitgeber eine
derartige Anweisung, die einfach zu befolgen ist, hat der Arbeitnehmer diese Anweisung
auch aufgrund seiner vertraglichen Rücksichtnahmepflicht zu respektieren und ihr zu
folgen. Anhaltspunkte dafür, dass bei einer rein dienstlichen Überlassung des
Fahrzeugs eigene Interessen des Klägers einer derartigen Anweisung entgegenstehen
könnten, sind nicht ersichtlich und vom Kläger selbst nicht behauptet worden.
62
Unerheblich ist auch, ob der Kläger - sein Vorbringen als richtig unterstellt - der einzige
Mitarbeiter war, dem der Dienstwagen nicht zur privaten Nutzung überlassen worden ist.
Auch insoweit liegt es in der Entscheidungsmacht des Arbeitgebers als Eigentümer der
Fahrzeuge, mit welchem Arbeitnehmer aus welchen Gründen er eine private Nutzung
des Fahrzeugs bzw. die Mitnahme des Fahrzeugs zum Wohnsitz vereinbart und mit
welchen Arbeitnehmern nicht. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bezogen auf den
Kläger um eine „Schikanemaßnahme“ gehandelt haben könnte, sind nicht ersichtlich.
Tatsachen, die diese Annahme rechtfertigen könnten, sind vom Kläger auch nicht
vorgetragen worden.
63
Die Anweisung an den Kläger im Gespräch vom 24.11.2008, die Fahrzeugschlüssel
nicht nur vor einem Urlaubsantritt, sondern am Ende eines jeden Arbeitstages im Betrieb
zu hinterlegen, war - auch wenn diese Anweisung nach dem Vortrag des Klägers für
andere Arbeitnehmer der Beklagten nicht gegolten haben sollte - gerechtfertigt, weil der
Kläger weisungswidrig vor seinem Urlaubsantritt im Oktober 2008 die
Fahrzeugschlüssel im Betrieb nicht hinterlegt hatte. Zur Vermeidung weiterer derartiger
Verstöße war es - insbesondere vor dem Hintergrund des zur Kündigung führenden
Sachverhaltes im Jahr 2003, bei dem die Beklagten über einen Zeitraum von drei
Monaten nicht über das Fahrzeug verfügen konnte - eine sachlich gerechtfertigte
Maßnahme, den Kläger anzuweisen, den Schlüssel jeden Tag bei Arbeitsende im
Betrieb zu hinterlegen, um weitere gleichgelagerte Verstöße zu vermeiden. Eine
irgendwie geartete unzulässige Maßregelung des Klägers kann in einer solchen
Anordnung unter Berücksichtigung des für die Anordnung vorliegenden Sachverhalts
nicht gesehen werden. Abgesehen davon ist der Kläger selbst dann, wenn er sich durch
eine solche Anordnung „gemaßregelt“ gefühlt haben sollte, nicht dazu berechtigt, eine
64
derartige Anweisung einfach zu missachten. Wenn er der Auffassung war, dass ihm
nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung ein Anspruch auf eine weitere Nutzung des
Dienstfahrzeugs zugestanden hätte, hätte er diesen Anspruch geltend machen können.
Keinesfalls durfte er sich einseitig über die Weisung seines Arbeitgebers hinwegsetzen.
Die Weigerung des Klägers, die berechtigte Anordnung der Beklagten zu beachten, war
auch in kündigungsrelevanter Weise beharrlich.
65
Für die Annahme einer beharrlichen Verletzung einer arbeitsvertraglichen Pflicht ist eine
wiederholte, bewusste und nachhaltige Verletzung der Vertragspflicht erforderlich.
Aufforderungen zum vertragsgemäßen Verhalten müssen erfolglos geblieben sein.
66
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
67
Der Kläger musste bereits nach der Kündigung im Jahr 2003 davon ausgehen, dass er
bei einer weiteren Nichtbefolgung der Weisung der Beklagten, den Fahrzeugschlüssel
im Betrieb zu hinterlegen, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet. Bereits im
Jahr 2003 wurde dem Kläger durch eine Abmahnung und nachfolgende Kündigung vor
Augen geführt, dass er dazu verpflichtet war, den Fahrzeugschlüssel für das
Dienstfahrzeug bei einer Arbeitsverhinderung an die Beklagte herauszugeben. Die - aus
anderen Gründen - unwirksame Kündigung aus dem Jahr 2003 muss der Kläger sich als
Abmahnung und eindeutige Anweisung, wie mit dem Fahrzeugschlüssel zu verfahren
ist, zurechnen lassen. Zudem konnte er daraus, dass der Arbeitgeber wegen der
Nichtherausgabe des Fahrzeugschlüssels sogar eine Kündigung aussprach,
entnehmen, dass die Herausgabe des Fahrzeugschlüssels für den Arbeitgeber eine
wesentliche Vertragspflicht darstellte.
68
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann in einer unwirksamen
Kündigung eine kündigungsrechtlich wirksame Abmahnung liegen (vgl. BAG, Urteil vom
19.04.2007, 2 AZR 180/06, zitiert nach juris). Durch das Erfordernis einer Abmahnung
vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung soll der mögliche Einwand des
Arbeitnehmers ausgeräumt werden, er habe die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht
gekannt oder jedenfalls nicht damit rechnen müssen, der Arbeitgeber sehe dieses
Verhalten als so schwerwiegend an, dass er zu kündigungsrechtlichen Konsequenzen
greifen werde (vgl. BAG, Urteil vom 18.11.1986, 7 AZR 674/84, zitiert nach juris). Die
Funktion einer Abmahnung erfüllt eine vorhergehende Kündigung jedenfalls dann,
wenn die Tatsachen, auf die die Kündigung gestützt wird, feststehen und die Kündigung
aus anderen Erwägungen als sozialwidrig erachtet wird (vgl. BAG, Urteil vom
31.08.1989, 2 AZR 13/89, zitiert nach juris).
69
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Ausweislich des Urteils des
Arbeitsgerichts Aachen vom 18.09.2003, 8 Ca 1596/03, war die Kündigung wegen der
Nichtherausgabe der Fahrzeugschlüssel deshalb unwirksam, weil die
Rechtsvorgängerin der Beklagten keinen Beweis dafür ins Feld führen konnte, dass
dem Kläger das Abmahnungsschreiben vom 03.02.2003 bereits vor Ausspruch der
Kündigung zugegangen war und der Kläger von seinem Inhalt hatte Kenntnis nehmen
können. Außerdem wies das Arbeitsgericht Aachen darauf hin, dass die Kündigung
auch daran scheitere, dass der Arbeitgeber sich mit dem Vortrag des Klägers, er habe
den Fahrzeugschlüssel bereits vor Fertigung des Kündigungsschreibens am 23.02.2003
zurückgegeben und sei damit - ohne Kenntnis vom Inhalt der Abmahnung - bereits der
Verhaltensanforderung des Arbeitgebers nachgekommen, nicht hinreichend
70
auseinandergesetzt habe. Die Kündigung wurde mithin „aus anderen Gründen“ für
sozialwidrig erachtet. Der Kläger war somit durch die Kündigung vom 25.02.2003
ausreichend gewarnt. Er konnte erkennen, dass sein Arbeitgeber sein Verhalten - die
Nichtherausgabe der Fahrzeugschlüssel - als so schwerwiegend ansieht, dass er sogar
zu kündigungsrechtlichen Konsequenzen greift. Der Kläger konnte mithin bereits nach
dieser - wenn auch unwirksamen - Kündigung nicht davon ausgehen, dass sein
Arbeitgeber ein weiteres Fehlverhalten in dieser Hinsicht hinnehmen werde.
Der Kläger kann sich insoweit nicht darauf berufen, der Kündigungsrechtsstreit vor dem
Arbeitsgericht Aachen habe einen anderen Arbeitgeber betroffen. Unstreitig ist das
Arbeitsverhältnis durch einen Betriebsübergang auf die Beklagte übergegangen. Für
den Erwerber - vorliegend mithin die Beklagte - hat der Betriebsübergang zur Folge,
dass er in alle arbeitsvertraglichen Ansprüche gegenüber den übernommenen
Arbeitnehmer eintritt. Er wird zudem Gläubiger aller entstandenen und fällig
gewordenen Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in engem Zusammenhang
stehen. Auch die Gestaltungsrechte gehen auf den neuen Inhaber über. Liegen die
Gründe für eine fristlose oder fristgerechte verhaltensbedingte Kündigung noch vor dem
Betriebsübergang, kann der Erwerber sich auf diese Gründe berufen, wenn sie noch
nachwirken (vgl. ErfK, § 613 a BGB, Rn. 79).
71
Vorliegend kann die Beklagte sich auf das vor dem Betriebsübergang liegende
Fehlverhalten des Klägers berufen, weil die betriebliche Regelung, den
Fahrzeugschlüssel bei einer längeren Betriebsabwesenheit im Betrieb zu hinterlegen,
bei ihr weitergegolten hat. Die insoweit erforderliche Nachwirkung des Fehlverhaltens
des Klägers ist mithin gegeben.
72
Der Kläger kann sich des weiteren nicht mit Erfolg darauf berufen, sein Fehlverhalten
liege zu lange zurück, um für die Beurteilung einer weiteren gleichen Pflichtverletzung
arbeitsrechtliche Beachtung zu finden. Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass ein
Fehlverhalten an kündigungsrelevanter Bedeutung verliert, je länger es ohne
einschlägigen Wiederholungsfall zurückliegt. Vorliegend geht es jedoch nicht darum, ob
die Kündigung als im Sinne einer nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zunächst
vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung gebotenen Abmahnung zu werten
ist, sondern es geht vorrangig um die Feststellung, dass dem Kläger bewusst war, dass
ein Verstoß gegen die arbeitgeberseitige Anordnung, den Fahrzeugschlüssel bei
Abwesenheit nicht im Betrieb zu hinterlegen und auch während der Abwesenheit nicht
für eine Herausgabe Sorge zu tragen, arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich zieht,
weil eine Verletzung dieser Anordnung aus Sicht des Arbeitgebers eine erhebliche
Vertragspflichtverletzung darstellt. Diese Konsequenz war dem Kläger unabhängig
davon, wie lange sein Fehlverhalten zurücklag, bekannt. Ob die Kündigung aus dem
Jahr 2003 dazu geeignet wäre, bei einem weiteren Verstoß bereits eine negative
Zukunftsprognose zu rechtfertigen, braucht vorliegend nicht beantwortet zu werden,
denn unstreitig hat die Beklagte wegen eines erneuten Verstoßes im Oktober 2008 eine
Ermahnung und zwei Abmahnungen ausgesprochen. Für die hier zu beantwortende
Frage der Beharrlichkeit des Pflichtverstoßes ist ausschließlich entscheidend, dass dem
Kläger aufgrund der Kündigung im Jahr 2003 bekannt war, dass ein Verstoß gegen die
Anordnung der Herausgabe der Fahrzeugschlüssel für seinen Arbeitgeber von
kündigungsrelevanter Bedeutung war.
73
Obwohl dem Kläger mithin die Bedeutung der Einhaltung der Anordnung bekannt war,
hat er im Oktober 2008 erneut gegen diese Anordnung verstoßen.
74
Trotz der Ermahnung vom 29.01.2009 und den beiden Abmahnungen hat der Kläger in
Kenntnis der Bedeutung der arbeitgeberseitigen Anordnung bis zum Zugang der
streitgegenständlichen Kündigung und darüber hinaus bis zum 19.03.2009 erneut die
Fahrzeugschlüssel und die zum Fahrzeug gehörenden Unterlagen nicht an die Beklagte
herausgegeben. Dabei wird zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen, dass er am
06.02.2009 der Anweisung der Beklagten, die Schlüssel an seinen Vorgesetzten Herrn
N. herauszugeben, keine Folge leisten konnte, weil dieser zum Zeitpunkt des
Arbeitsendes des Klägers an diesem Tag um 20.00 Uhr nicht mehr im Betrieb und sein
Büro verschlossen war. Ebenfalls ist zu Gunsten des Klägers davon auszugehen, dass
er die Schlüssel aus Sicherheitsgründen mit nach Hause genommen hat. Die Beklagte
hat eine vernünftige Alternative nicht dargelegt. Dennoch hätte der Kläger in Kenntnis
der Anordnung der Beklagten mitteilen müssen, dass und aus welchen Gründen er
entgegen der Weisung die Fahrzeugschlüssel mitgenommen hat. Spätestens nach
Zugang der beiden Abmahnungen, in denen er ausdrücklich aufgefordert wurde, sich
zur Klärung dieser Angelegenheit mit Herrn N. in Verbindung zu setzen, hätte er dieser
Anordnung Folge leisten müssen.
75
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts geht die Berufungskammer davon aus,
dass dem Kläger die Abmahnungen - wie von ihm eingeräumt - nicht erst am
21.02.2009, sondern die Abmahnung vom 16.02.2009 spätestens am 17.02.2009 und
die Abmahnung vom 18.02.2009 jedenfalls am 19.02.2009 in zurechenbarer Weise
zugegangen sind. Die Berufung des Klägers auf eine spätere Kenntnisnahme ist
rechtsmissbräuchlich.
76
Zutreffend hat die Beklagte zunächst eingewandt, dass das Arbeitsgericht zu Unrecht
davon ausgegangen ist, beide Abmahnungen seien vom Kläger - von der Beklagten
unbestritten - erst am 21.02.2009 zur Kenntnis genommen worden. Die Beklagte hat
insoweit erstinstanzlich vorgetragen, dass selbst dann, wenn der Kläger die
Abmahnungen erst am 21.02.2009 aus dem Briefkasten genommen haben sollte, von
einer weiteren Pflichtverletzung des Klägers ausgegangen werden müsse. Dieser
Vortrag impliziert ein Bestreiten der Beklagten, dass der diesbezügliche Vortrag des
Klägers richtig ist, denn er wird lediglich als wahr unterstellt, um daraus die
Schlussfolgerung zu ziehen, dass trotz einer - unterstellten - Wahrheit der Behauptung
eine Pflichtverletzung vorliege.
77
Im vorliegenden Fall ist die Berufung des Klägers auf seine vor dem 21.02.2009
fehlende Kenntnis von dem Inhalt des Abmahnungsschreibens rechtsmissbräuchlich.
78
Nach § 130 Abs. 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung in
dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht, das heißt in
verkehrsüblicher Weise so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass dieser
die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat. § 130 BGB ist grundsätzlich auch auf eine
schriftliche Abmahnung anzuwenden. Über den Zugang hinaus ist jedoch auch die
Kenntnis des Empfängers von dem Inhalt der Abmahnungserklärung erforderlich. Dies
folgt aus dem Sinn und Zweck der Abmahnung, dem Arbeitnehmer eine
Vertragspflichtverletzung vor Augen zu führen und ihm die Möglichkeit zu geben, sein
Verhalten zu ändern. Im Anwendungsbereich des § 130 BGB kann es dem
Erklärungsempfänger jedoch nach Treu und Glauben verwehrt sein, sich auf den
fehlenden oder verspäteten Zugang einer Willenserklärung zu berufen. Dies ist der Fall,
wenn ihm das Zugangshindernis zuzurechnen ist und der Erklärende nicht damit zu
79
rechnen brauchte (vgl. BAG, Urteil vom 18.02.1977, 2 AZR 770/75, zitiert nach juris).
Entsprechendes gilt auch in den Fällen, in denen nicht schon der Zugang einer
Erklärung, sondern darüber hinaus die Kenntnis von ihrem Inhalt Rechtsfolgen für den
Erklärungsempfänger auslöst. Auch die Berufung auf die fehlende oder verspätete
Kenntnis kann rechtsmissbräuchlich sein (vgl. BAG, Urteil vom 09.08.1984, 2 AZR
400/83, zitiert nach juris).
Ausgehend von diesen Voraussetzungen kann der Kläger sich nicht darauf berufen, er
habe beide Abmahnungen erst am 21.02.2009 zur Kenntnis genommen. Er war
arbeitsunfähig erkrankt und unstreitig zuhause. Seine Behauptung, er habe aufgrund
seines desolaten gesundheitlichen Zustandes den Briefkasten nur sporadisch geleert
und leeren können, muss als Schutzbehauptung gewertet werden. Wie nachfolgend im
Rahmen der Schuldhaftigkeit des Verhaltens des Klägers noch ausgeführt wird, war der
Kläger ausweislich der vorgelegten Atteste und der Aufstellung der Krankenkasse nicht
in einer Weise erkrankt, die eine regelmäßige Leerung seines Briefkastens ausschloss.
Die Beklagte brauchte auch nicht damit zu rechnen, dass der Kläger trotz Anwesenheit
eine in verkehrsüblicher Weise zugestellte Mitteilung nicht zur Kenntnis nimmt, weil er
den Briefkasten nicht leert. Sollte der Kläger den Briefkasten tatsächlich nicht geleert
haben, so hat er in zurechenbarer Weise eine Kenntnisnahme vom Inhalt der
Abmahnungen, mit deren Zugang er zudem rechnen musste, weil er der Beklagten über
einen Zeitraum von zwei Wochen keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen übersandt
und sich bei ihr auch nicht mehr gemeldet hatte, vereitelt mit der Folge, dass er sich auf
eine fehlende Kenntnis des Inhalts nicht berufen kann. Danach muss der Kläger sich
eine Kenntnis darüber, dass er aus Sicht der Beklagten mangels Vorlage von
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seit dem 09.02.2009 unentschuldigt fehlte, er seine
Arbeit aufnehmen oder die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorlegen, sich bei Herrn
N. oder dessen Stellvertreterin krankmelden sowie sich mit Herrn N. wegen der
Herausgabe der Fahrzeugschlüssel und -unterlagen in Verbindung setzen sollte,
zurechnen lassen.
80
Selbst wenn jedoch eine Kenntnisnahme des Klägers von beiden Abmahnungen erst
am 21.02.2009 unterstellt würde, hätte der Kläger seine Verpflichtung zur Herausgabe
der Fahrzeugschlüssel beharrlich weiterhin verletzt, denn er hat auch in der Folgezeit -
entgegen den ausdrücklichen Weisungen in den Abmahnungen und ohne
nachvollziehbaren Grund - keinen Kontakt mit seinem Vorgesetzten Herrn N.
aufgenommen, um eine Übergabe der Schlüssel zu organisieren. Insoweit kann der
Kläger sich nicht darauf berufen, er habe Herrn N. nicht erreichen können, denn
hinsichtlich der Regelung der Herausgabemodalitäten bedurfte es nicht - wie etwa bei
der Anzeige der Arbeitsunfähigkeit - einer Erreichbarkeit vor Dienstbeginn. Vielmehr hat
der Kläger diesbezüglich gar nicht erst versucht, seinen Vorgesetzten anzurufen. Darin
ist eine beharrliche Pflichtverletzung zu sehen.
81
Selbst im laufenden Verfahren hat der Kläger sich auf den Standpunkt gestellt, die
Beklagte hätte für solche Fälle einen Zweitschlüssel anfertigen lassen können, im
Übrigen habe sie keinen Nachteil dadurch, dass er den Schlüssel behalte, weil das
Fahrzeug ausschließlich von ihm genutzt werde. Der Kläger legt damit anschaulich dar,
dass er trotz des Kündigungsschutzverfahrens im Jahr 2003, der Ermahnung und der
Abmahnungen, die ihm die Bedeutung der Anweisung der Beklagten als
Arbeitsvertragspflichtverletzung hinreichend verdeutlicht haben, grundsätzlich nicht
willens und bereit ist, der diesbezüglichen Anweisung des Arbeitgebers zu folgen, weil
er der Ansicht ist, die Beklagte sei auf andere Möglichkeiten zu verweisen. Unter
82
Berücksichtigung der Gesamtumstände hat der Kläger durch seine trotz der
Abmahnungen fortgesetzten Zurückhaltung der Schlüssel ohne seinen Vorgesetzten zu
informieren zu erkennen gegeben, dass er nicht bereit ist, Anweisungen der Beklagten
zu befolgen, die er nicht für zutreffend hält.
Dieses kündigungsrelevante Fehlverhalten des Klägers zeigt sich auch in seiner
beharrlichen Weigerung, den Weisungen der Beklagten hinsichtlich seiner Anzeige-
und Nachweispflichten im Zusammenhang mit seiner Arbeitsunfähigkeit Folge zu
leisten.
83
Zunächst ist dem Arbeitsgericht darin beizupflichten, dass die verspätete Vorlage der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein ehr geringfügiger Verstoß ist. Einen solchen
Verstoß könnte die Beklagte zunächst dadurch „ahnden“, dass sie bis zur Vorlage der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gemäß § 7 EntgeltfortzahlungsG keine
Entgeltfortzahlung leistet. Allerdings ist auch in diesem Zusammenhang festzustellen,
dass der Kläger - abgesehen von der verspäteten Vorlage der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen - offensichtlich nicht dazu bereit ist, den
Weisungen der Beklagten zu folgen. Obwohl ihm ausweislich der Abmahnungen
spätestens seit dem 21.02.2009 bekannt war, dass er die
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seinem Vorgesetzten Herrn N. vorlegen sollte, hat
er am Abend des 24.02.2009 Herrn N. mitgeteilt, seine „AU“ habe er nach I. zu Händen
von Frau I. geschickt.
84
Schwerwiegender ist jedoch die bereits vom Arbeitsgericht festgestellte Verletzung der
unverzüglichen Anzeigepflicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
kann die Verletzung einer Nebenpflicht anlässlich einer Arbeitsunfähigkeit,
insbesondere die Pflicht der unverzüglichen Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit, nach
erfolgloser Abmahnung eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses
rechtfertigen (vgl. z. B. BAG, Urteil vom 16.08.1981, 2 AZR 604/90, zitiert nach juris).
Besonders erschwerend ist vorliegend vor allen Dingen, dass der Kläger die Anzeige
der Arbeitsunfähigkeit am 24.02.2009 bei einem Sachbearbeiter der Disposition anstatt -
weisungsgemäß - bei dem Vorgesetzten bzw. dessen Stellvertreterin, vorgenommen hat
und zwar in Kenntnis des Inhalts der Abmahnungen. Seinen Vorgesetzten hat der
Kläger am 24.02.2009 erst weit nach Dienstschluss mit einer Email um 21.33 Uhr von
seiner Erkrankung in Kenntnis gesetzt. Neben dem beharrlichen Weigerungsverhalten
des Klägers, Anweisungen der Beklagten zu befolgen, ist in diesem Verhalten aus Sicht
der Beklagten berechtigterweise zusätzlich eine Provokation zu sehen. Die
Einschätzung eines beharrlichen Weigerungsverhaltens des Klägers wird auch in
diesem Zusammenhang durch den prozessualen Vortrag des Klägers gestützt. Der
Kläger hat insoweit vortragen lassen, er halte eine Anzeige bei dem Disponenten für
sinnvoller als beim Vorgesetzten. Hierin bestätigt sich erneut, dass der Kläger nicht
gewillt ist, Weisungen des Arbeitgebers zu akzeptieren und insbesondere zu befolgen,
sondern seine Auffassung an die Stelle der Weisung des Arbeitgebers setzt.
85
Sein Fehlverhalten ist dem Kläger auch vorwerfbar. Seine Behauptung, er habe
aufgrund seiner Erkrankung „vergessen“, dass er die Unterlagen mitgenommen habe
und er habe sich nicht „normal“ verhalten können, müssen als Schutzbehauptung
gewertet werden. Dies ergibt sich zum einen schon daraus, dass der Kläger am
24.02.2009 mit einem Sachbearbeiter der Beklagten telefoniert hat, um seine weitere
Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen und am Abend desselben Tages eine Email an seinen
Vorgesetzten geschrieben hat, mithin alltägliche Handlungen vorgenommen hat, die
86
gerade nicht seine Behauptung stützen, er sei zu „normalen“ Handlungen nicht in der
Lage gewesen. Der weitere Vortrag des Klägers, er sei psychisch derart schwer erkrankt
gewesen, dass er nicht dazu in der Lage gewesen wäre, den Inhalt der Abmahnungen
zu verstehen, hat sich in keiner Weise bestätigt. Insbesondere die Behauptung des
Klägers, er habe sich in einem derart schlechten gesundheitlichen Zustand befunden,
dass die Ärzte eine Klinikeinweisung für dringend erforderlich hielten, welche allein
aufgrund fehlender Krankenhauskapazitäten gescheitert sei, hat sich in Anbetracht der
vorlegten Atteste in keiner Weise bestätigt. Auch die Behauptung, Dr. M. könne seinen
desolaten Zustand ab dem 09.02.2009 bestätigen, ist unrichtig, denn anhand der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen konnte festgestellt werden, dass der Kläger Dr. M.
erstmalig am 17.03.2009, mithin deutlich nach dem streitgegenständlichen Zeitraum,
aufgesucht hat. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger - auch -
psychisch erkrankt war. Nach den zur Akte gereichten Unterlagen hat der Kläger sich
jedoch nicht in einem Zustand befunden, der ein vorwerfbares Verhalten ausschließen
könnte. Einen derartigen Anhaltspunkt bietet auch nicht das Attest der Hausärztin des
Klägers.
Macht der Arbeitnehmer - wie vorliegend - einen Rechtfertigungs- oder
Entschuldigungsgrund geltend, so ist dieser vom Kündigenden zu widerlegen. Insoweit
greift eine abgestufte Darlegungslast. Der Arbeitnehmer hat die tatsächlichen
Grundlagen der Rechtfertigung oder Entschuldigung so substantiiert wie möglich
darzulegen. Hierauf hat der Kündigende entsprechend substantiiert zu erwidern und
notwendigenfalls Beweis zu führen (vgl. dazu ErfKom, 10. Aufl. § 626 BGB, Rdnr. 235
m.w.N.). Vorliegend hat der Kläger bereits die tatsächlichen Grundlagen seiner
Rechtfertigung, nämlich eine gravierende psychische Erkrankung, nicht dargelegt, so
dass es einer Widerlegung durch die Beklagte nicht bedurfte.
87
Die Berufungskammer verkennt nicht, dass die zum Ausspruch der Kündigung
führenden Pflichtverletzungen des Klägers an sich nicht gravierende arbeitsvertragliche
Pflichtverletzungen darstellen. Indes ist hervorzuheben, dass es nicht die
Pflichtverletzungen für sich genommen sind, die zur Rechtfertigung der Kündigung
führen, sondern es ist die in dem Verhalten des Klägers zum Ausdruck kommende und
vom Arbeitgeber nicht hinzunehmende Beharrlichkeit, sich berechtigen Anweisungen
des Arbeitgebers zu widersetzen, weil sie nach seiner Einschätzung nicht sinnvoll sind.
Bei einem derartigen Verhalten ist auch die Verletzung weniger gravierender
Pflichtverletzungen geeignet, eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
88
Bei einer Gesamtschau der gleichartigen Pflichtverletzungen des Klägers ist die
erforderliche negative Zukunftsprognose gerechtfertigt, dass der Kläger auch in Zukunft
sein das Vertragsverhältnis störendes Verhalten fortsetzen wird. Für die Gleichartigkeit
der Pflichtverletzungen reicht es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
für eine negative Prognose aus, wenn die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben
Bereich stammen und somit Abmahnung und Kündigungsgründe in einem inneren
Zusammenhang stehen (vgl. BAG, Urteil vom 13.12.2007, 2 AZR 818/06, zitiert nach
juris).
89
Wie bereits ausgeführt liegt der kündigungsrelevante Vorwurf in der beharrlichen
Weigerung des Klägers, Anweisungen der Beklagten hinsichtlich vertraglicher
Nebenpflichten zu befolgen, mithin sind es gleichgelagerte Pflichtwidrigkeiten in
vorstehendem Sinn.
90
Auch unter Berücksichtigung der in jedem Fall gebotenen Interessenabwägung ist die
Kündigung gerechtfertigt. Im Rahmen der Interessenabwägung hat eine Bewertung des
Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die
Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung
zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen
sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer
Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche
Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen
störungsfreier Verlauf (vgl. BAG, Urteil vom 28.01.2010, 2 AZR 1008/08, zitiert nach
juris). Als mildere Reaktionen ist vor Ausspruch einer ordentlichen Kündigung
insbesondere der Ausspruch einer Abmahnung anzusehen. Sie ist dann ein alternatives
Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet ist, den mit der Kündigung verfolgten Zweck
- die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (vgl. BAG, Urteil vom
10.06.2010, 2 AZR 541/09, zitiert nach juris).
91
Die Beklagte hat den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet, denn sie hat als nächst
mögliches milderes Mittel die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses
ausgesprochen. Wie bereits ausgeführt war der Kläger bereits aufgrund des
Kündigungsschutzverfahrens im Jahr 2003 in der Weise hinreichend gewarnt, dass er
wusste, sein Arbeitgeber werde bei erneuten Verstößen arbeitsrechtliche
Konsequenzen auch in Form einer Kündigung ziehen. Die Beklagte hat den Kläger
nach seinem erneuten Verstoß bei seinem Urlaubsantritt im Oktober 2008 zunächst
schriftlich ermahnt und ihn in der Ermahnung ausdrücklich darauf hingewiesen, es sei
unumgänglich, dass er das Fahrtenbuch, die Tankkarte, den KFZ-Schein und den
Fahrzeugschlüssel täglich vor Arbeitsende im Büro abgebe, damit eine ggf.
erforderliche, nicht planbare Nutzung des dem Kläger zur Verfügung gestellten
Dienstfahrzeugs möglich sei. Nachdem der Kläger den Fahrzeugschlüssel erneut
mitgenommen hat, hat sie ihn zweimal abgemahnt. Zwar ist zu Gunsten des Klägers zu
berücksichtigen, dass er die Schlüssel aus Sicherheitsgründen in nicht zu
beanstandender Weise mit nach Hause genommen hat, die beiden Abmahnungen sehr
kurz hintereinander erfolgten und diese zudem eine möglicherweise zu kurze
Fristsetzung zur Herausgabe des Fahrzeugschlüssels enthielten. Zu seinen Lasten ist
jedoch zu berücksichtigen, dass er die Schlüssel in Kenntnis seiner Herausgabe-
verpflichtung und in Kenntnis der Aufforderung, sich diesbezüglich mit seinem
Vorgesetzten in Verbindung zu setzen, auch bis zum Zugang der streitgegenständlichen
Kündigung vom 09.03.2009 nicht an die Beklagte herausgegeben hat, obwohl er nach
Zugang der Abmahnungen, selbst wenn er diese erst am 21.02.2009 aus dem
Briefkasten genommen haben sollte, dafür hinreichende Zeit hatte. Unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger sich des weiteren nicht an die
Anweisung gehalten hat, seinem Vorgesetzten die Arbeitsunfähigkeit anzuzeigen und
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu übersenden, durfte die Beklagte davon
ausgehen, dass eine weitere Abmahnung nicht zu einer Verhaltensänderung des
Klägers führen wird. Auch konnte im Rahmen der Abwägung nicht unberücksichtigt
bleiben, dass der Kläger keine Einsicht in die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens
gezeigt hat. Dies muss als Indiz für eine Wiederholungsgefahr angesehen werden.
Danach war eine weitere Abmahnung entbehrlich, denn die zuvor erfolgte Androhung
von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses war offensichtlich nicht geeignet,
das Verhalten des Klägers positiv zu beeinflussen. Ist der Arbeitnehmer
ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen
Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch
zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (vgl. BAG, Urteil vom 13.12.2007, 2
92
AZR 818/06, zitiert nach juris). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich nach einer
erneuten Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten werde, liegen nicht vor, so
dass die Berufungskammer entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts keinen
Ansatzpunkt dafür sieht, dem Kläger eine weitere „Bewährungschance“ einzuräumen.
Das Vorliegen eines anderen milderen Mittels ist nicht ersichtlich. Als
Außendienstmitarbeiter muss dem Kläger ein Dienstfahrzeug zur Verfügung stehen.
Den - abgestuften - Anweisungen, den Schlüssel im Betrieb zu hinterlegen, hat der
Kläger keine Folge geleistet. Ein Einsatz im Innendienst scheidet bereits aufgrund des
vom Kläger unstreitig der Beklagten vorgelegten Attestes aus. Abgesehen davon, dass
der Kläger sich selbst nicht darauf berufen hat, er könne zum Beispiel im Innendienst
eingesetzt werden, ist zudem nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten im
Innendienst kein Arbeitsplatz frei, der mit dem Kläger besetzt werden könnte.
93
Zu Recht hat die Beklagte schließlich darauf hingewiesen, dass es ihre betrieblichen
Interessen gebieten, darauf zu bestehen, dass erteilte Weisungen eingehalten werden
und nach Androhung von arbeitsrechtlichen Konsequenzen auch der Ausspruch einer
Kündigung erfolgt.
94
Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, es seien durch sein Verhalten
keine konkreten betrieblichen Beeinträchtigungen entstanden. Auch die schuldhafte
vergeblich abgemahnte Verletzung einer Nebenpflicht kann an sich eine ordentliche
Kündigung sozial rechtfertigen, und zwar auch dann, wenn es dadurch nicht zu einer
Störung der Arbeitsorganisation oder des Betriebsfriedens gekommen ist. Sind
tatsächlich derartige nachteilige Auswirkungen eingetreten sind, so ist das ein Umstand,
der im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten des Arbeitnehmers zu
berücksichtigen ist (vgl. BAG, Urteil vom 16.08.1991, 2 AZR 604/90, zitiert nach juris).
95
Auf Seiten des Klägers ist seine lange Betriebszugehörigkeit von 24 Jahren zu
berücksichtigen. Allerdings hat das Arbeitsverhältnis - worauf das Arbeitsgericht bereits
zutreffend hingewiesen hat - gerade nicht unbelastet bestanden. Schon im Jahr 2003
hat der Kläger sich den Anweisungen seines Arbeitgebers nachhaltig widersetzt und die
Verfügbarkeit des Dienstfahrzeugs ausweislich des unstreitigen Tatbestandes des
Arbeitsgerichts Aachen über einen Zeitraum von drei Monaten verhindert. Auch wenn
das Arbeitsverhältnis danach zunächst circa fünf Jahre lang unbeanstandet fortgesetzt
worden ist, ist es gerade die sodann folgende Beharrlichkeit im Verhalten des Klägers,
Anweisungen des Arbeitgebers zu missachten, die dazu führt, dass das Interesse der
Beklagten, das Arbeitsverhältnis zu beenden, im Verhältnis zu dem Interesse des
Klägers, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, überwiegt. Die Berufungskammer konnte
sich zunächst des Eindrucks nicht erwehren, dass das Verhalten des Klägers aufgrund
seiner Erkrankung nicht steuerbar und damit nicht vorwerfbar war. Trotz des
diesbezüglichen Hinweisbeschlusses der Berufungskammer vom 04.02.2010 hat der
Kläger jedoch keine Tatsachen vortragen können, die hinreichende Zweifel an der
Steuerbarkeit seines Verhaltens hätten aufkommen lassen können. Vielmehr hat sich
der Sachvortrag des Klägers, aufgrund seines desolaten psychischen
Gesundheitszustandes sei von den Ärzten eine Klinikeinweisung vorgesehen gewesen
und der Psychiater Dr. M. könne bestätigen, dass er in dem streitgegenständlichen
Zeitraum sozusagen nicht handlungsfähig gewesen sei, als unrichtig erwiesen. Aus
keiner der vorgelegten Bescheinigungen geht für den streitgegenständlichen Zeitraum
eine psychische Erkrankung hervor, die die Annahme rechtfertigen könnte, das
Fehlverhalten des Klägers sei nicht vorwerfbar. Dr. M. hat der Kläger entgegen seinem
96
Vortrag im streitgegenständlichen Zeitraum nicht einmal aufgesucht, so dass schon
nicht nachvollziehbar ist, wie Dr. M. bestätigen können soll, dass der Kläger sich in
einem Zustand befunden hat, der ein steuerbares Verhalten ausgeschlossen haben
könnte. Selbst wenn der Kläger mithin aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in
der Lage gewesen sein sollte, einfachen Anweisungen der Beklagten Folge zu leisten,
kann dies auch im Rahmen der Interessenabwägung mangels feststellbarer Tatsachen
nicht berücksichtigt werden.
Schließlich sind auf seiten des Klägers keine Unterhaltspflichten zu berücksichtigen.
Zudem befindet er sich mit 41 Jahren zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung
nicht in einem Alter, in dem von einer Unvermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt
ausgegangen werden muss.
97
Unter Berücksichtigung vorstehender Darlegungen musste die Interessenabwägung zu
Gunsten der Beklagten ausgehen.
98
Die Frage, ob der Kläger nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung erneut
gegen seine Anzeigepflicht hinsichtlich einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit verstoßen
hat, kann offen bleiben, da sie für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht
entscheidungserheblich ist.
99
Auf die Berufung der Beklagten war das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf mithin
abzuändern.
100
III.
101
Als unterliegende Partei hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§§ 64
Abs. 6 ArbGG, 525, 91 ZPO).
102
IV.
103
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
104
RECHTSMITTELBELEHRUNG
105
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
106
R E V I S I O N
107
eingelegt werden.
108
Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
109
Bundesarbeitsgericht
110
Hugo-Preuß-Platz 1
111
99084 Erfurt
112
Fax: 0361-2636 2000
113
eingelegt werden.
114
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
115
Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
116
1.Rechtsanwälte,
117
2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
118
3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und
ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit
vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung
durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
119
In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
120
Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
121
* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
122
Paßlick Dziwis Schölzke
123