Urteil des LAG Düsseldorf vom 10.09.2010

LArbG Düsseldorf (betrieb, zeitpunkt, mitarbeiter, kündigung, kläger, bag, abschluss des vertrages, rücknahme der klage, eintragung im handelsregister, letter of intent)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 9 Sa 343/10
Datum:
10.09.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 Sa 343/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Wesel, 1 Ca 2556/09
Schlagworte:
Abgrenzung Betriebsstilllegung/Betriebsübergang
Normen:
§ 1 KSchG, § 613 a BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Wird ein Betrieb ununterbrochen über den beabsichtigten
Stilllegungszeitpunkt hinaus fortgeführt, muss der Arbeitgeber konkret
darlegen, wann welche nicht vorhersehbare Entwicklung stattgefunden
hat.
Tenor:
1.Die Berufung des Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts
Wesel vom 02.02.2010 wird zurückgewiesen.
2.Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
3.Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung ihres
Arbeitsverhältnisses durch den Beklagten. Des Weiteren hat der Kläger Anträge auf
Weiterbeschäftigung sowie hilfsweise auf Wiedereinstellung angekündigt.
2
Der am 10.09.1963 geborene, geschiedene Kläger war bei der S. GmbH, der
Schuldnerin, seit dem 01.09.1981 beschäftigt.
3
Die Schuldnerin betrieb zuletzt noch zwei Betriebe in H. und Q.. Sie stellte hoch
komplexe, bis zu 24-lagige Leiterplatten her. Ursprünglich hatte sie acht Standorte. Bis
zum 31.07.2008 beschäftigte sie noch an vier Standorten über 1.100 Arbeitnehmer. Zum
Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung Anfang 2009 beschäftigte sie im Betrieb H. 484
Mitarbeiter und im Betrieb Q. 225 Mitarbeiter. In beiden Betriebsstätten waren
Betriebsräte eingerichtet. Des Weiteren gab es einen Gesamtbetriebsrat bei der
Schuldnerin. Kunden der Schuldnerin kamen zu 80 % aus dem Automobilbereich sowie
der Industrie-, Kommunikations- und Medizintechnik. Gesellschafter der Schuldnerin
waren die C. T. International Ltd., die C. High Z. Investment (C.) sowie die D. G. Markets
4
plc. (vgl. Bl. 32 d. A.).
Der Kläger absolvierte zunächst seine Ausbildung in der Betriebsstätte H. und arbeitete
dort bis zum Jahr 2005. Anschließend wurde er im Werk H. beschäftigt. Zum 01.05.2007
wechselte der Kläger in die Betriebsstätte Q.. Dort wurde er zunächst auf Grundlage des
Arbeitsvertrages vom 16.05.2007 (Bl. 7 ff. d. A.) als Werksleiter tätig. Zum 01.01.2009
wurde der Kläger dann aufgrund einer Vereinbarung vom 24.02.2009 (Bl. 11 ff. d. A.) als
Leiter des Fachbereichs Logistik und Vertreter des Werksleiters beschäftigt. Die
durchschnittlich monatliche Vergütung des Klägers betrug ab dem 01.01.2009
7.250,00 € brutto.
5
Die Schuldnerin beantragte unter dem 03.02.2009 die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens. Der Beklagte wurde daraufhin zum vorläufigen Insolvenzverwalter
ernannt. Der Mitarbeiter des Beklagten, Herr Dr. L., initiierte bereits Ende Februar 2009
ein umfängliches internationales Bieterverfahren zur Suche nach potenziellen
Investoren. Hierzu wurde ein Bankhaus beauftragt. Es wurden Broschüren mit den
relevanten Daten (Bl. 238 ff. d. A.) an ca. 100 mögliche Interessenten mit der Bitte
versandt, bis zum 15.04.2009 ein Angebot anzugeben. Am 14. und 15.04.2009 wurde
eine Gesellschaftersitzung der Schuldnerin zur Bewertung der erhofften Angebote
anberaumt. Es wurden lediglich zwei Angebote abgegeben, die unterhalb des
Zerschlagungswertes lagen. Am 14./15.04.2009 gab es einen gemeinsamen Beschluss
der Gesellschafter der Schuldnerin (Bl. 70 d. A.), der Geschäftsführer der Schuldnerin
sowie des Beklagten, der eine Schließung der Betriebe mit Ablauf des 30.04.2009
vorsah.
6
Auf Mitarbeiterversammlungen wurden die Mitarbeiter in beiden Werken am 16.04.2009
über eine geplante Betriebsstilllegung unterrichtet. In einer Pressemitteilung vom
16.04.2009 heißt es (Bl. 161 d. A.):
7
"In beiden Werken stehen Entlassungen an. Noch in der kommenden Woche sollen die
Betroffenen erfahren, welche Mitarbeiter gehen müssen. Insolvenzverwalter I. Q.
erklärte, dass etwa die Hälfte der Belegschaft freigestellt werde.
8
Sofern sich kein neuer Investor findet oder sich die Auftragslage massiv verbessert,
können die beiden Leiterplatten-Werke nur bis maximal August existieren. Die
Produktion werde "zunächst jedoch weiter aufrechterhalten, um die noch vorliegenden
Aufträge fertigzustellen. In diesem Rahmen werden auch von Kunden platzierte
Neubestellungen mit produziert.", heißt es in einer Erklärung von S.."
9
Mit Beschluss vom 17.04.2009 wurde der Beklagte zum "starken" vorläufigen
Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 21.04.2009 (Bl. 162 d. A.) stellte der
Beklagte den Kläger mit Ablauf des 30.04.2009 von der Mitarbeit frei. Ebenfalls wurden
die für die Akquise von Neugeschäften verantwortlichen Mitarbeiter
10
im Vertrieb freigestellt. Mit Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 01.05.2009 wurde
der Beklagte zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der S. GmbH bestellt. Am
06.05.2009 fand eine Gläubigersitzung statt (vgl. Protokoll Bl. 249 d. A.). In dem
Protokoll (Bl. 251 d. A.) heißt es:
11
"Der Insolvenzverwalter unterrichtet den Gläubigerausschuss darüber, dass aufgrund
der rapide weggebrochenen Auftragseingänge und des desaströsen Ergebnisses der
12
Investorensuche der Beschluss zur Einstellung des Betriebes gefasst wurde. In
Umsetzung dieses Beschlusses sind über 50 % der Mitarbeiter bereits freigestellt
worden. Nach Abschluss des entsprechenden Interessenausgleiches und Sozialplanes
wird der Unterzeichner sämtlichen Mitarbeitern kündigen und das Unternehmen im
Rahmen einer Ausproduktion bis August 2009 fortführen."
Unter dem 08./13.05.2009 vereinbarten die beiden Betriebsräte, der Gesamtbetriebsrat
sowie der Beklagte einen Interessenausgleich (Bl. 40 ff. d. A.). Im Interessenausgleich
heißt es auszugsweise:
13
"Es besteht keine Möglichkeit, den Geschäftsbetrieb über den 30.04.2009
weiterzuführen. Eine übertragene Sanierung kommt in Ermangelung von Interessenten
nicht in Betracht.
14
Vor diesem Hintergrund wurde am 15.04.2009 die unternehmerische Entscheidung
getroffen, den Geschäftsbetrieb der Schuldnerin am 30.04.2009 endgültig und auf Dauer
einzustellen. Von dieser Entscheidung wurden die Betriebsräte am folgenden Tag in
Kenntnis gesetzt."
15
Unter V. vereinbarten die Betriebsparteien, dass die Betriebsräte informiert seien und
keine weiteren Stellungnahmen zu den Kündigungen im Sinne des § 102 BetrVG
abgeben werden. Dem Interessenausgleich war eine Liste mit Sozialdaten sämtlicher
Mitarbeiter beigefügt (Bl. 71 ff. d. A.). Zeitgleich wurden mit dem jeweiligen Betriebsrat
jeweils Sozialpläne für die beiden Betriebe vereinbart.
16
Am 14.05.2009 erstattete der Beklagte den für H. und Q. zuständigen Agenturen für
Arbeit Massenentlassungsanzeigen nach § 17 KSchG. Der Anzeige war eine
Durchschrift des Interessenausgleichs beigefügt. Mit Bescheid vom 28.05.2009 (Bl. 45
d. A.) bestätigte die Agentur für Arbeit in Wesel den Eingang der Anzeige am
14.05.2009 und stellte fest, dass die Sperrfrist auf den 14.06.2009 festgesetzt wurde.
17
Mit Schreiben vom 15.05.2009 (Bl. 18 d. A.), dem Kläger am 16.05.2009 zugegangen,
kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31.08.2009. Auch allen
weiteren Mitarbeitern wurde gekündigt, sofern nicht noch zunächst behördliche
Genehmigungen eingeholt werden mussten. Bei diesen Mitarbeitern wurde die
Kündigung zu einem späteren Zeitpunkt ausgesprochen.
18
In H. wurden ca. 180 Mitarbeiter von der Arbeitsleistung freigestellt. Ca. 220 Mitarbeiter
wurden weiterbeschäftigt. Jedenfalls Aufträge mit einem Produktionstermin bis Ende
August 2009 wurden weiter entgegengenommen. Der Beklagte beschloss später für den
Betrieb H., die Ausproduktion bis zum 18.12.2009 zu verlängern. Er beschäftigte im
Betrieb H. solche Arbeitnehmer weiter, die im Rahmen von Abwicklungsvereinbarungen
die Kündigung sowie eine Verlängerung der Kündigungsfrist akzeptierten.
19
Unter dem 14.08.2009 wurde im Handelsregister des Amtsgerichts Stuttgart die
Änderung der L. M. Vermögensverwaltungs GmbH eingetragen (vgl.
Handelsregisterauszug Bl. 89 d. A.). Die neue Firma lautet nunmehr Leiterplatten Q.
GmbH (M.). Der Geschäftsgegenstand wurde ebenfalls geändert und lautet nun:
20
"Die Produktion und der Vertrieb von elektrischen, elektronischen,
elektromechanischen, optoelektronischen und technischen Bauelementen und Geräten
21
und die Ausführung aller Geschäfte, die hiermit im Zusammenhang stehen."
In einer Pressemitteilung vom 14.09.2009 (Bl. 78 d. A.) heißt es auszugsweise:
22
"Durch seine hervorragende Reputation gelang es S. selbst in der Insolvenz in den
Folgemonaten sogar einen neuen Großkunden für sich zu gewinnen und andere
maßgebliche Bedarfsträger platzierten Zusatzaufträge zur Stützung ihrer strategischen
Lieferantenpartners. Ende Juli konnte für das Werk Q. mit dem früheren S.-Eigentümer
C. A. eine Zukunftslösung gefunden werden."
23
Der Beklagte zeigte unter dem 26.04.2010 gegenüber dem Amtsgericht Kleve die
Masseunzulänglichkeit an.
24
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt. Er
hat behauptet, es habe keinen endgültigen Stilllegungsbeschluss gegeben. Zum
Zeitpunkt des Kündigungszuganges habe der Beklagte noch in Verhandlung über eine
Betriebsveräußerung gestanden. Verhandlungspartner sei Herr A. gewesen, der jetzt
Gesellschafter und Geschäftsführer der M. sei. Der Beklagte habe vielmehr vorsorglich
für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen gekündigt. Der Q. Betrieb sei zu keinem
Zeitpunkt tatsächlich stillgelegt, die Produktion nicht eingestellt worden. Vielmehr sei
der Geschäftsbetrieb ununterbrochen aufrechterhalten worden. Es habe
dementsprechend ein Betriebsübergang gegeben. Sowohl die Schuldnerin als auch die
M. hätten den gleichen Geschäftsgegenstand. Diese habe die Betriebsmittel und die
verbliebenen Mitarbeiter übernommen.
25
Herrn A. sei nichts anderes übrig geblieben, als den Betrieb zu übernehmen. Die
Schulderin habe Maschinen im Wert von ca. 10 bis 15 Mio. € geleast, was unstrittig ist.
Dies habe einen monatlichen Leasingbetrag in Höhe von ca. 200.000,00 bis
250.000,00 € ausgemacht. Herr A. sei Inhaber der Leasinggesellschaft, die den
Leasingvertrag abgeschlossen habe. Die Leasingverträge seien auch nie gekündigt
worden, was unstreitig ist. Auch der Immobilienvertrag für den Q. Betrieb sei nicht
gekündigt worden. Gleiches gelte für sonstige Geschäftspartner.
26
Der Kläger hat zudem geltend gemacht, der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß
angehört worden.
27
Der Kläger hat im Termin am 02.02.2010, ohne Rücknahme der Klage im Übrigen,
beantragt,
28
festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis bei der Beklagten nicht durch die Kündigung
vom 15.05.2009 - ihm zugegangen am 16.05.2009 - zum 31.08.2009 aufgelöst wird.
29
Der Beklagte hat beantragt,
30
die Klage abzuweisen.
31
Er hat behauptet, Hintergrund des Beschlusses vom 14./15.04.2009 sei gewesen, dass
eine kostendeckende Produktion nicht gewährleistet gewesen sei. Grund hierfür sei
wiederum ein erheblich geschrumpftes Auftragsvolumen. Beide Betriebe seien defizitär
gelaufen. Es habe keine ernstzunehmenden Übernahmeinteressenten gegeben. Nach
der zu erwartenden Insolvenzeröffnung sollte nur noch eine Ausproduktion stattfinden.
32
Diese sollte bis zum 31.08.2009 mit nur noch ca. 50 % der Arbeitnehmer durchgeführt
werden. Neue Kundenaufträge sollten nur noch dann angenommen werden, wenn diese
bis zum 31.08.2009 hätten hergestellt, ausgeliefert und abgerechnet werden können.
Der 31.08.2009 sei als Zeitpunkt der endgültigen Betriebseinstellung gewählt worden,
weil eine Prognose ergeben hätte, dass nur noch bis Ende Juli 2009 Aufträge
vorgelegen hätten, Aufträge für die Ausproduktion nur noch bis Ende August hätten
erwartet werden können und die längste Kündigungsfrist bis zum 31.08.2009 gelaufen
sei. Zum Zeitpunkt der Kündigung habe es keine Perspektive gegeben, den Betrieb
fortführen zu können. Ein annahmefähiges Angebot habe nicht vorgelegen.
Der Beklagte hat behauptet, es habe Anfragen von Kunden, wie Bosch etc., gegeben.
Diese Aufträge seien zunächst gesammelt und geprüft worden, welche
Produktionsaufwand die Annahme erforderlich gemacht hätte. Ab der zweiten Hälfte Juli
2009 sei dann mit der Prüfung begonnen worden, ob Aufträge angenommen werden
könnten, die eine Auslaufproduktion über den 31.08.2009 hinaus erforderlich gemacht
hätten. Mitte Juli habe er mit einem früheren Gesellschafter der Schuldnerin, der C.,
einen Letter Of Intent (LOI) vereinbaren können, in dem C. unter bestimmten
Voraussetzungen ein Interesse am Standort H. bekundet hätte. Es sei klar gewesen,
dass C. diesbezüglich eine Vorratsgesellschaft kaufen würde, damit diese die
Produktion ab September 2009 aufnehmen könne. C. habe umfangreiche
Sicherungsrechte an Betriebsmitteln der Schuldnerin gehabt. Bei der Verwertung wäre
ein Großteil des Erlöses an C. auszuzahlen gewesen. Bedingung des Investors sei
gewesen, dass sämtliche Kündigungsschutzverfahren mit Bezug auf den Standort H.
abgeschlossen gewesen seien. Diese Bedingung habe sich nicht erfüllen lassen. Vor
diesem Hintergrund habe er schnell handeln müssen. Deswegen habe er eine
Verlängerung der Auslaufproduktion in H. bis 18.12.2009 beschlossen. Nachdem zwei
Drittel der freigestellten Mitarbeiter ein Abfindungsangebot angenommen hätten, habe
der Investor dies als Eintritt der Bedingung akzeptiert. Diese Entscheidung sei am
14.09.2009 getroffen worden. Erst ab diesem Zeitpunkt habe festgestanden, dass es am
Standort H. es eine Zukunft für 220 Mitarbeiter gegeben habe.
33
Am Standort Q. seien ca. 50 % der Mitarbeiter im Rahmen der Auslaufproduktion
beschäftigt worden. Er habe die Betriebstätigkeit dort zum 31.08.2009 eingestellt.
Sämtliche Betriebsmittel seien verkauft worden. Die Beschäftigungsmöglichkeit sei
entfallen. Allen Mitarbeiter dort sei gekündigt worden. Es habe sich nicht um eine
Vorratskündigung gehandelt. Er habe zwar mit Herrn A. Gespräche geführt, da dieser
Vertreter der Gesellschafterin der Schuldnerin gewesen sei. Aufgrund dieses
Umstandes habe Herr A. ein besonderes Interesse an dem Betrieb in Q. gehabt. Das
Betriebsgrundstück habe allerdings im Eigentum der Schuldnerin gestanden. Herr A. sei
zur Übernahme des Betriebes nicht bereit gewesen.
34
Dem Leasinggeber sei mitgeteilt worden, dass nach dem 31.08.2009 die Leasingraten
nicht mehr gezahlt würden. Allen Mitarbeitern seien Zeugnisse und Arbeitspapiere erteilt
worden. Es sei auch vorbereitet worden, dass zum 31.08.2009 alle Lieferungen
eingestellt werden konnten. Den Kunden sei avisiert worden, dass sie nach diesem
Zeitpunkt von der Schuldnerin keine Ware mehr beziehen könnten.
35
Die Betriebsratsanhörung sei im Rahmen des Interessenausgleichs erfolgt. Eine
Sozialauswahl sei wegen der Stilllegung nicht erforderlich gewesen. Dennoch sei der
Betriebsrat über die Sozialdaten mit der dem Interessenausgleich beigefügten Liste
informiert worden.
36
Der Kläger hat hierzu vorgetragen, es sei kein Prognose gerechtfertigt gewesen, die
eine Beendigung zum 31.08.2009 habe notwendig erscheinen lassen. Die
Auftragseingänge für die Monate Mai bis August 2009 seien in der Größenordnung wie
Januar bis April 2009 gewesen. Das Werk sei zu 3/4 ausgelastet gewesen. Den im
August im Q. Werk beschäftigten Mitarbeitern sei im August neue Arbeitsverhältnisse ab
dem 01.09.2009 von Herrn A. angeboten worden, was unstreitig ist. Auch nach dem
Vortrag des Beklagten sei davon auszugehen, dass er mit Herrn A. verhandelt habe.
Herr A. sei im Zeitraum Februar bis Mai 2009 mehrfach im Betrieb in Q. erschienen, um
sich beim Werksleiter zu informieren, was grundsätzlich unstreitig ist. Ohne Erlaubnis
des Beklagten sei dies nicht vollstellbar. Herr A. habe zu ihm sinngemäß gesagt, er
habe zwar keine große Lust, das Werk selbst zu führen, er wolle aber eine
Stilllegungsentscheidung verhindern, falls sich kein anderer Investor finde.
37
Der Beklagte habe auf der Betriebsversammlung Mitte April 2009 mitgeteilt, er suche
fieberhaft nach neuen Investoren. Dies sei auch per Pressemitteilung vom 16.04.2009
kommuniziert worden. Bis Ende August 2009 seien die verbliebenen Mitarbeiter
umfassend beschäftigt gewesen. Dies könne nur dann möglich sein, wenn der Betrieb
Bestellungen angenommen und Basismaterial eingekauft habe. Erforderlich sei im
Übrigen nur eine Teilbetriebsstilllegung gewesen.
38
Der Kläger hat die M. vor dem Arbeitsgericht Reutlingen verklagt und dort die
Feststellung beantragt, dass zwischen ihm und dieser Gesellschaft ein Arbeitsverhältnis
besteht (vgl. Bl. 112 d. A.). Das Verfahren ist ausgesetzt worden. Im Termin am
02.02.2010 haben die Parteien einen Teilvergleich bezüglich eines zunächst
angekündigten Zahlungsantrages geschlossen (Bl. 167 d. A.).
39
Mit Teilurteil vom 02.02.2010 (Bl. 170 ff. d. A.) hat das Arbeitsgericht Wesel dem
Klageantrag zu 1. stattgegeben. Der Betrieb in Q. sei nicht zum 31.08.2009 stillgelegt
worden. Auch der Beklagte habe die endgültige Betriebsschließungsabsicht bezogen
auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigung nicht darstellen können. Die Kündigung
aller Mitarbeiter reiche nicht aus. Sie könne zugleich den Zweck haben, den Betrieb
übernahmefähig zu machen. Die Eintragung der Firma M. sei am 14.08.2009 erfolgt und
habe einen deutlichen zeitlichen Vorlauf benötigt. Die Gründung einer derartigen
Auffanggesellschaft sei aber nur dann sinnvoll, wenn sichergestellt sei, den Betrieb
auch übernehmen zu können.
40
Das Teilurteil vom 02.02.2010 ist dem Beklagten am 26.10.2010 zugestellt worden (Bl.
182 d. A.). Mit Schriftsatz vom 03.03.2010 (Bl. 183 d. A.), beim Landesarbeitsgericht
Düsseldorf am 05.03.2010 eingegangen, hat der Beklagte Berufung gegen das Teilurteil
eingelegt.
41
Der Beklagte macht unter Wiederholung seines Vortrags aus erster Instanz geltend, er
habe schlüssig die ernsthafte und endgültige Absicht zur Betriebsstilllegung dargetan.
Die Gesellschafter der Schuldnerin hätten bereits Mitte April 2009 die Schließung mit
einer Auslaufproduktion bis zum 31.08.2009 beschlossen. Das Arbeitsgericht gehe zu
Unrecht davon aus, dass der Betrieb fortgeführt worden sei. Dies stehe zudem in
Widerspruch zu dem Umstand, dass das Personal um mehr als 50 % reduziert worden
sei. Spätere Entwicklungen nach Zugang der Kündigung seien unbeachtlich. Er habe
die Beteiligungsverhältnisse des Herrn A. bei der M. mit Nichtwissen bestreiten dürfen.
Nach seinen Informationen sei Herr A. nicht Gesellschafter, sondern nur Geschäftsführer
42
dieser GmbH.
Unzutreffend sei die Annahme des Gerichts, die Eintragung im Handelsregister habe
einen längeren Vorlauf benötigt. Das Handelsregister werde mittlerweile elektronisch
geführt, was unstreitig ist. Es sei auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die M.
eine Auffanggesellschaft darstellen solle. Die Gesellschaft habe umfirmiert, was
unstreitig ist.
43
Schließlich sei die Annahme des Arbeitsgerichts unzutreffend, die Produktion werde
nahtlos fortgesetzt. Die M. habe zwar das Grundstück erworben, auf dem die
Geschäftsräume des Betriebes stünden, was unstreitig ist. Das Gericht habe aber nicht
berücksichtigt, dass ein Investor nicht habe gefunden werden können. Es habe daher
die Absicht bestanden, die Masse zu mehren und dem Auftrag nachzukommen, indem
bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die Ausproduktion erfolgt sei. Die Durchführung der
Ausproduktion habe die Masse um ca. 500.000,00 € gemehrt, was unstreitig ist.
44
In der Automobilindustrie sei es typisch, dass die Kunden dem Lieferanten im Wege
eines LOI Größenordnungen für jährliche Abrufe avisieren. Ein verbindlicher Abruf
erfolge etwa einen Monat bis eine Woche vor dem Produktionsmonat, was unstreitig ist.
Den Kunden sei mitgeteilt worden, dass bis zum 31.08.2009 produziert werde. Mit dem
Sammeln sei noch keine Produktionszusage gegeben worden.
45
Die Vertreter des Gesellschafters C. hätten am 14.04.2009 mitgeteilt, dass ein alleiniges
Engagement nicht in Betracht komme. Mit Blick auf den erfolglosen Ausgang des
Bieterverfahrens hätten die Gesellschafter dann die Schließung beschlossen. Das
Engagement von C. im September 2009 beziehe sich allein auf die Betriebsmittel in H.,
was unstrittig ist.
46
Der Beklagte macht geltend, er habe die Firma B. beauftragt, vorhandene Werte zu
inventarisieren und zu verwerten, was auch erfolgt sei (vgl. Rechnung vom 26.01.2010,
Bl. 253 d. A.).
47
Greifbare Formen habe die Entscheidung zur Betriebsschließung auch deshalb
angenommen, weil auf der Betriebsversammlung alle Mitarbeiter über die
Schließungsentscheidung informiert worden seien.
48
Erst im September 2009 hätten die Gesellschafter der B./09 Vermögensverwwaltungs
GmbH eine Anwaltskanzlei beauftragt, die am 17.09.2009 einen Haustarifvertrag mit der
zuständigen Gesellschaft IG Metall abgeschlossen habe. Damit seien akzeptable
Bedingungen für die Aufnahme eines Geschäftsbetriebs in H. geschaffen worden.
49
Herr A. sei Mitgesellschafter und Geschäftsführer der F.-CO Gesellschaft für
internationale Beteiligungen mbH (F.-CO). Er sei zudem Mitgeschäftsführer der M.;
Muttergesellschaft der M. sei die F.-CO, was unstrittig ist. Die frühere L. Leasing GmbH
sei mit dieser verschmolzen. Anschließend sei die Schuldnerin mit der F.-CO durch
Mietverträge verbunden gewesen, die einen monatlichen Mietzins in Höhe von
190.000,00 € ausmachten. Die F.-CO habe eine Forderung in Höhe von 8,8 Mio. € zur
Insolvenztabelle angemeldet. Ihre habe des Weiteren eine Grundbuch abgesicherte
Forderung in Höhe von 1,8 Mio. € zugestanden.
50
Herr A. sei im Betrieb in Q. erschienen, um seine Sicherheiten zu prüfen. Jedenfalls
51
habe Herr A. mögliche Überlegungen ihm nicht mitgeteilt.
Im Jahr 2008 habe die Schuldnerin bei einem Umsatz von über 104 Mio. € einen Verlust
von über 7,7 Mio. € ausgewiesen. Dieser sei im Wesentlichen durch den Standort Q.
verursacht worden. In den Jahren 2001 bis 2008 sei der Umsatz um mehr als die Hälfte
in Q. eingebrochen. Dennoch sei die Mitarbeiterzahl kaum reduziert worden.
52
Die F.-CO habe ihm zur Rettung ihrer Forderungen im August 2009 angeboten, das
Betriebsgrundstück in Q. sowie die Betriebseinrichtung zu erwerben, soweit dies nicht
ohnehin schon im Eigentum der F.-CO stand. Die Gläubigerversammlung habe am
27.08.2009 zugestimmt. Der Kaufvertrag sei am 01.09.2009 zustande gekommen. Die
Leitungsmacht sei erst am 01.09.2009 um 10.00 Uhr übernommen worden.
53
Die Position eines stellvertretenden Werksleiters habe es nicht mehr bedurft. Der Kläger
sei mit niemandem vergleichbar gewesen.
54
Der Beklagte beantragt:
55
1.Das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 02.02.2010, Az.: 1 Ca 2556/09, wird
aufgehoben und die Klage, soweit sie durch Teilurteil entschieden wurde, abgewiesen.
56
2.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
57
Der Kläger beantragt:
58
Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
59
Er macht unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrags geltend, die Produktion
sei zu keinem Zeitpunkt eingestellt worden. Die M. sei neue Betriebsinhaberin. Sie habe
die charakteristischen Betriebsmittel wie die Maschinen und die verbliebenen
Mitarbeiter übernommen. Diese würden auch für die gleichen Tätigkeiten eingesetzt wie
bisher. Die Belegschaft sei im Vergleich zum Zeitraum Mai bis August 2009
unverändert. Der Betrieb werde im selben Anwesen auf demselben Grundstück
betrieben. Bereits am 21.07.2009 sei eine Auflassungsvormerkung für die M.
eingetragen worden (vgl. Bl. 301 d. A.). Der Kaufvertrag sei etliche Zeit vorher
abgeschlossen worden.
60
Der Interessenausgleich habe eine Schließung zum 30.04.2009 vorgesehen. Des
Weiteren enthalte er auch einen Vorbehalt dahingehend, dass bei Fortführung des
Betriebs neu zu verhandeln sei. Eine solche sei also nicht ausgeschlossen gewesen.
Die vom Beklagten angeführten Maßnahmen seien solche, die den Betrieb erst
übernahmefähig machen sollten.
61
Der Beklagte habe nicht substantiiert vorgetragen, wann er welche Verhandlungen mit
Herrn A. geführt habe. Dieser sei mehrfach im Betrieb in Q. im Zeitraum Februar bis Mai
2009 erschienen, was unstrittig ist. Herr A. sei damals Geschäftsführer der L. GmbH
gewesen, die die Maschinen an die Schuldnerin in Q. verleast gehabt habe, was
unstreitig ist. Der Beklagte habe wissen müssen, dass Herr A. gewillt gewesen sei, den
Betrieb fortzuführen, falls es keine anderen Investoren gebe, da er Entsprechendes ihm
gegenüber erklärt habe. Der Beklagte habe zudem auf der Betriebsversammlung erklärt,
er suche nach neuen Investoren.
62
Mitarbeiter des Betriebs H. hatten mit ihren Kündigungsschutzverfahren vor dem LAG
Düsseldorf (vgl. etwa LAG Düsseldorf, 05.07.2010 - 14 Sa 104/10) Erfolg. Hingegen
sind andere Mitarbeiter des Betriebs Q. mit ihren Kündigungsschutzklagen beim ArbG
Reutlingen (vgl. etwa ArbG Reutlingen, 07.04.2010 - 4 Ca 324/09, Bl. 330 ff. d.A.)
gescheitert.
63
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstandes wird auf den Inhalt der
Parteienschriftsätze sowie auf den gesamten weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
64
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
65
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
66
A.
67
Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1, 2 lit. c ArbGG an sich statthaft und
form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§ 66 ArbGG).
68
B.
69
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht der
Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die streitgegenständliche Kündigung des
Beklagten vom 15.05.2009 ist unwirksam, da sie nicht gemäß § 1 KSchG sozial
gerechtfertigt ist.
70
I.Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien
Anwendung. Der Kläger ist bei dem Beklagten bzw. der Schuldnerin länger als sechs
Monate ununterbrochen beschäftigt; der Beklagte hat in der Regel mehr als
10 Arbeitnehmer beschäftigt, §§ 1, 23 KSchG. Der Kläger hat die
Kündigungsschutzklage vom 26.05.2009 rechtzeitig i.S.d. §§ 4, 7 KSchG erhoben.
71
II.Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG aus dringenden betrieblichen
Erfordernissen sozial gerechtfertigt.
72
1.Zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen, die nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG
einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können, gehört die
Stilllegung des gesamten Betriebs. Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und
Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und ihren unmittelbaren
Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in
der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszweckes
dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche
Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen. Mit der Stilllegung des gesamten Betriebes
entfallen alle Beschäftigungsmöglichkeiten.
73
Der Arbeitgeber muss endgültig entschlossen sein, den Betrieb stillzulegen. Demgemäß
ist von einer Stilllegung auszugehen, wenn der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht
unmissverständlich äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, etwaige Mietverträge zum
nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen kann,
veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt. Die betreffenden betrieblichen
74
Umstände müssen greifbare Formen angenommen haben. Diese liegen vor, wenn im
Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aufgrund einer vernünftigen,
betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen ist, zum Zeitpunkt des
Kündigungstermins sei mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung
erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben.
Eine Stilllegungsabsicht des Arbeitgebers liegt allerdings dann nicht vor, wenn dieser
seinen Betrieb veräußert. Die Veräußerung des Betriebes allein ist keine Stilllegung,
weil die Identität des Betriebes gewahrt bleibt und lediglich ein Betriebsinhaberwechsel
stattfindet. Betriebsveräußerung und Betriebsstilllegung schließen sich systematisch
aus. Dabei kommt es auf das tatsächliche Vorliegen des Kündigungsgrundes und nicht
auf die vom Arbeitgeber gegebene Begründung an. Eine vom Arbeitgeber mit einer
Stilllegungsabsicht begründete Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich
die geplante Maßnahme objektiv als Betriebsstilllegung und nicht als
Betriebsveräußerung darstellt, weil etwa die für die Fortführung des Betriebes
wesentlichen Gegenstände einem Dritten überlassen werden sollten, der Veräußerer
diesen Vorgang aber rechtlich unzutreffend als Betriebsstilllegung wertet (zu alldem
etwa BAG, 28.05.2009 - 8 AZR 273/08 - NZA 2009, 1267; BAG, 27.09.2007 - 8 AZR
941/06 - NZA 2008, 1130; BAG, 27.11.2003 - 2 AZR 48/03 - NZA 2004, 477; LAG
Düsseldorf, 05.07.2010 - 14 Sa 104/10).
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Eine Kündigung wegen Betriebsschließung ist nicht sozial gerechtfertigt, solange der
Arbeitgeber den Stilllegungsbeschluss lediglich erwogen, aber noch nicht endgültig
gefasst hat. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt noch in
ernsthaften Verhandlungen über die Veräußerung des Betriebes oder der
Betriebsabteilung steht oder sich um neue Aufträge bemüht. Dann liegt keine
unbedingte und endgültige Stilllegungsabsicht vor (BAG, 13.02.2008 - 2 AZR 75/06;
BAG, 27.09.1984 - 2 AZR 309/83 - NZA 1985, 493).
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Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist der
Kündigungszugang (BAG, 13.02.2008 - 2 AZR 75/06; BAG, 12.04.2002 - 2 AZR 256/01 -
NZA 2002, 1205). Wegen der Zukunftsbezogenheit der Kündigung und aus Gründen der
Praktikabilität hat das BAG eine beabsichtigte Betriebs- oder Teilstilllegung
ausnahmsweise als ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2
KSchG anerkannt, wenn die für den künftigen Wegfall der Beschäftigung des
Arbeitnehmers maßgebliche Entwicklungen bereits zum Kündigungszeitpunkt
feststehen, insbesondere, wenn die unternehmerische Organisationsentscheidung
bereits getroffen war und sie sich zum Ablauf der Kündigungsfrist realisiert. Im Zeitpunkt
des Ausspruchs der Kündigung muss die auf Tatsachen gestützte, vernünftige,
betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt sein, dass im Kündigungstermin mit
einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen
Grundes vorliegen wird. Dabei muss die der entsprechenden Prognose zugrunde
liegende Entscheidung bereits zum Kündigungszeitpunkt endgültig getroffen worden
sein und die Schließung des Betriebes oder der Betriebsabteilung aus Sicht der
Arbeitsvertragsparteien zum Kündigungszeitpunkt bereits feststehen und greifbare
Formen angenommen haben (BAG, 13.02.2008 - 2 AZR 75/06). Der Arbeitgeber muss
also mit dem Ausspruch von Kündigungen nicht abwarten, bis jedes Bedürfnis für eine
Weiterbeschäftigung seiner Arbeitnehmer entfallen ist.
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Es ist - ebenso wie bei anderen Kündigungsgründen - eine Prognose zu erstellen und
zwar dahingehend, ob mit Ablauf der Kündigungsfrist das Beschäftigungsbedürfnis
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wegfallen wird. Mit Blick auf das prognostische Element ist es nicht ausgeschlossen,
dass der tatsächliche Eintritt der prognostizierten Entwicklung Rückschlüsse auf die
Ernsthaftigkeit und Plausibilität der Prognose zulässt (BAG, 27.11.2003 - 2 AZR 48/03 -
NZA 2004, 477; BAG, 07.07.2005 - 2 AZR 447/04 - NZA 2005, 1352; LAG Düsseldorf,
05.07.2010 - 14 Sa 104/10). Da es sich bei der ernsthaften und endgültigen
Stilllegungsabsicht um eine innere Tatsache handelt (LAG Düsseldorf, 05.07.2010 - 14
Sa 104/10), ist eine Beurteilung der dafür oder dagegen sprechenden Indizien
vorzunehmen. Die Stilllegungsabsicht muss greifbare Formen angenommen haben und
nach außen zum Ausdruck gekommen sein. Das BAG (27.09.1984 - 2 AZR 309/83 -
NZA 1985, 493; so auch BAG, 26.11.1987 - 2 AZR 260/87) hat insoweit einer
alsbaldigen Wiedereröffnung des Betriebs eine tatsächliche Vermutung gegen eine
ernsthafte Stilllegungsabsicht zugesprochen.
2.Gemessen an diesen Grundsätzen steht nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass
der Beklagte zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung den
ernstlichen und endgültigen Entschluss gefasst hatte, den Betrieb der Schuldnerin in Q.
zum 31.08.2009 stillzulegen.
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a)Für einen derartigen Beschluss des Beklagten sprechen der entsprechende
Gesellschafterbeschluss, obwohl in diesem von einer Stilllegung zum 30.04.2009 die
Rede ist, der Abschluss des Interessenausgleichs und Sozialplans, obwohl auch diese
von einer Stilllegung zum 30.04.2009 sprechen, sowie die Kündigung aller Mitarbeiter
nach vorheriger Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit.
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b)Wesentlich gegen eine ernsthafte und endgültige Stilllegungsabsicht spricht vor allem
der Umstand, dass der Betrieb nahtlos ab dem 01.09.2009 von der M. fortgeführt worden
ist. Unstreitig hat die M. ab dem 01.09.2009, 10.00 Uhr die Leitungsmacht übernommen.
Die M. hat das Betriebsgelände einschließlich der Räumlichkeiten gekauft. Dem Vortrag
des Klägers, dass die M. den Ende August 2009 noch im Betrieb tätigen Mitarbeiter
Arbeitsverträge angeboten und diese letztlich übernommen hat, ist ebenfalls nicht
widersprochen worden. Zu der prognostizierten Betriebsstilllegung am 31.08.2009 ist es
nicht gekommen.
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c)Vor diesem Hintergrund hätte es nach Auffassung der Kammer der Darlegung weiterer
Indizien bedurft, um darzulegen, dass der Beklagte bereits zum Zeitpunkt des
Kündigungszuganges ernsthaft und endgültig die Betriebsstilllegung beabsichtigt hatte.
Dabei kann dahinstehen, ob insoweit auch von einer tatsächlichen Vermutung gegen
eine ernsthafte Stilllegungsabsicht entsprechend der Entscheidung des BAG vom
27.09.1984 (2 AZR 309/83 und BAG, 26.11.1987 - 2 AZR 260/87) auszugehen ist. Der
Umstand, dass die prognostizierte Betriebsstilllegung tatsächlich nicht eingetreten ist,
hat jedenfalls Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast. Er hat konkret
darzulegen, welche Maßnahmen er zunächst wann vorgenommen hat, um seine
Entscheidung umzusetzen. Wenn die prognostizierte Betriebsstilllegung tatsächlich
nicht eintritt, so hat der Arbeitgeber im Einzelnen konkret darzulegen, wann welche nicht
vorhergesehene Entwicklung stattgefunden hat (vgl. auch LAG Düsseldorf, 05.07.2010 -
14 Sa 104/10). Er hat ggf. vorzutragen, wann er welche von der zunächst getroffenen
Entscheidung abweichende Entscheidung getroffen hat.
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aa)Entgegen der Auffassung des ArbG Reutlingen in seinem Urteil vom 07.04.2010 (4
Ca 324/09, Bl. 333 d.A.) trägt der Kläger nicht die Darlegungs- bzw. "Nachweislast",
dass der Beklagte bereits vor Zugang der Kündigung ein Angebot der Q. zur
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Übernahme des Betriebs angenommen hätte. Zum einen kommt es nicht darauf an,
dass ein solches Angebot zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung angenommen
worden ist. Auch ernsthafte Vertragsverhandlungen würden einen endgültigen und
ernsthaften Betriebsstilllegungsbeschluss des Beklagten ausschließen. Zum anderen
trägt der Beklagte als Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für den
Kündigungsgrund, hier also für den Umstand, dass die Betriebsstilllegung ernsthaft und
endgültig beabsichtigt war.
bb)Der Beklagte hat nicht vorgetragen, welche konkreten Maßnahmen er ergriffen hat,
um die Vertragsbeziehungen zu sonstigen Dritten zu regeln. Hierzu zählen etwa Miet-,
Leasingverträge oder auch Verträge mit Energieversorgern und anderen Unternehmen,
wie z.B. Rohstofflieferanten.
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Hierzu hat der Vertreter des Beklagten im Termin am 10.09.2010 erklärt, solche Verträge
seien nicht gekündigt worden. Etwaige Schadensersatzansprüche seien lediglich
Insolvenzforderungen, so dass von Kündigungen abgesehen worden sei. Den Kunden
sei mitgeteilt worden, dass die Produktion nur bis zum 31.08.2009 laufe.
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Gerade zum letzten Punkt wäre mit weiterem konkretem Vortrag des Beklagten zu
rechnen gewesen. Im Rahmen eines Insolvenzverfahrens besteht ein erhöhtes
Informationsbedürfnis der Kunden, ob und ggf. bis wann weiterproduziert und
ausgeliefert wird sowie ob weitere Aufträge entgegengenommen werden. Der Beklagte
hätte hierzu vortragen müssen, wann er wie welche Kunden informiert hat. Der bloße
Vortrag, den Kunden sei mitgeteilt worden, die Produktion laufe Ende August 2009 aus,
ist pauschal und nicht einlassungsfähig. Die Mitteilung des genauen Inhalts der
Information wäre erforderlich gewesen, um nachvollziehbar darzustellen, aus welchen
Gründen die Kunden davon ausgehen konnten, dass die Auslaufproduktion noch bis
Ende August, aber auch nur bis dahin erfolgen sollte.
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Die Kammer vermisst des Weiteren Vortrag des Beklagten zu dem Verlauf seiner
Vertragsbeziehungen zu den Rohstofflieferanten. Der Beklagte hat nicht vorgetragen,
wie er sichergestellt hat, dass zum einen bis zum Abschluss der Auslaufproduktion
genügend Rohstoffe für die Produktion geliefert werden und dass zum anderen die
Lieferung unnötiger Rohstoffmengen bis zur beabsichtigten Beendigung der
Betriebstätigkeit vermieden worden ist. Vor dem Hintergrund der Fortführung der
Betriebstätigkeit durch die M. am 01.09.2009 erscheint es naheliegend, dass zu diesem
Zeitpunkt noch hinreichend Rohstoffe vorhanden waren, um die Produktion nahtlos
fortzusetzen. Der Beklagte hätte insoweit vortragen müssen, ob und ggf. welche
Vereinbarungen es wann mit der M. gegeben hat.
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cc)Naheliegend und erforderlich wäre auch weiterer konkreter Vortrag zur Verwertung
der Betriebsmittel in Q. gewesen. Der Hinweis auf die Beauftragung von B. ist zu
pauschal. Es ist bereits nicht erkennbar, ob insoweit lediglich Betriebsmittel des
Betriebs H. oder auch des Betriebs Q. betroffen sind. Der Vortrag lässt zudem nicht den
Zeitpunkt der Beauftragung erkennen. Aus dem Vortrag ergibt sich nicht, ob die
Beauftragung vor oder nach der Veräußerung sonstiger Betriebsmittel an die M. lag.
Eine Beauftragung nach Abschluss des Vertrages mit der M. erschiene bemerkenswert
spät nach der Stilllegungsentscheidung, eine solche Beauftragung vor der Vereinbarung
mit M. hätte womöglich eine Anpassung des Auftrags an B. erforderlich gemacht.
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dd)Der Beklagte hätte des Weiteren konkret vortragen müssen, wann es aufgrund
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wessen Initiative zu konkreten Verhandlungen mit der M. gekommen ist. Sowohl die
Pressemitteilung, der Zeitpunkt der Umfirmierung in M. als auch der Zeitpunkt der
Grundbucheintragung sprechen für Gespräche zumindest im Juli 2009. Ein solcher
Zeitpunkt würde zwar einer Kündigungsabsicht im Mai 2009 nicht widersprechen, es
wäre aber Sache des Beklagten gewesen, den Ablauf der Kontaktaufnahme sowie den
Verhandlungsablauf selbst darzustellen, damit ausgeschlossen werden kann, dass zum
Zeitpunkt der Kündigungserklärung mögliche Vertragsverhandlungen mit der M. nicht
vorbehalten waren.
ee)Der Vortrag des Beklagten zur Ausproduktion und der Annahme von Neuaufträgen
ist nicht schlüssig. Es bleibt unklar, warum Kunden für das Bestellen und Abrufen von
Produkten auch nach dem Auslaufende weiterhin einreichen, wenn der Beklagte nicht
zu erkennen gegeben haben sollte, dass der Stilllegungstermin am 31.08.2009
womöglich nicht endgültig gewesen sein sollte.
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ff)Der Vortrag des Beklagten zur Freistellung der Vertriebsmitarbeiter zum 01.05.2009 ist
nicht geeignet, von einer endgültigen und ernsthaften Stilllegungsabsicht auszugehen.
Dieser Umstand kann auch für eine bloße Betriebsteilstilllegung sprechen. Ein
möglicher Betriebsteilübernehmer könnte etwa die eigene Vertriebsabteilung mit den
entsprechenden Aufgaben betrauen.
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Die Freistellung eines Großteils der Arbeitnehmer zum 01.05.2009 spricht ebenfalls
nicht für eine Stilllegungsabsicht. Insoweit könnte auch eine bloße
Betriebsteilstilllegung beabsichtigt gewesen sein.
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gg)Schließlich ist der neue Tatsachenvortrag zur Durchführung des Bieterverfahrens
einschließlich der Erstellung von Broschüren und Bewertung der beiden Angebote nicht
geeignet, die endgültige Stilllegungsabsicht zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung zu
indizieren. Ergebnis des Verfahrens kann ebenso gut die Erkenntnis gewesen sein,
dass neben der Betriebsschließung allein die Fortführung des Betriebs zu den
Bedingungen des Herrn A. verbleibt.
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III.Verfahrensrechtliche Bedenken gegen den Erlass eines Teilurteils hat der Beklagte
nicht gemacht.
94
C.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
96
D.
97
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG gegeben.
98
RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
100
R E V I S I O N
101
eingelegt werden.
102
Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
103
Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
104
Bundesarbeitsgericht
105
Hugo-Preuß-Platz 1
106
99084 Erfurt
107
Fax: 0361-2636 2000
108
eingelegt werden.
109
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
110
Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
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1.Rechtsanwälte,
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2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse
mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
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3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in
Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer
Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer
Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
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In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
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Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Dr. HamacherMülleneisenKrüger
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