Urteil des LAG Düsseldorf vom 02.07.1998

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Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 13 Sa 1083/97
Datum:
02.07.1998
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 Sa 1083/97
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Essen, 3 Ca 4903/96
Schlagworte:
Berechnung des tariflichen Urlaubsgeldes unter Einbeziehung von
Überstunden
Normen:
§ 11 Nr. 5.1 Satz 1 Rahmentarifvertragfür die Poliere des Baugewerbes
im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in der Fassung vom
19.05.1992
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
§ 11 Nr. 5.1 Satz 1 des Rahmentarifvertrages stellt eine eigenständige
Regelung mit konstitutiver Wirkung dar, die eine Kürzung des
Urlaubsgeldes nach Maßgabe des § 11 I 1 BUrlG neue Fassung
ausschließt.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen
vom 06.03.1997 - 3 Ca 4903/96 - wird auf Kosten der Beklagten
zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D :
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Die Parteien streiten über die Höhe des vom Kläger zu beanspruchenden
Urlaubsentgelts für sieben Tage im Oktober 1996.
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Der Kläger ist bei der Beklagten als Polier tätig. Einschlägig ist § 11 Nr. 5.1 Satz 1 des
Rahmentarifvertrages für die Poliere des Baugewerbes im Gebiet der BRD in der
Fassung vom 19.05.1992, in dem es heißt:
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Das Urlaubsgeld bemißt sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst,
den der Polier in den letzten drei Kalendermonaten vor dem Beginn des
Urlaubs erhalten hat.
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Die Parteien streiten darüber, ob die gesetzliche Neuregelung des § 11 Abs. 1 Satz 1
BUrlG (gültig ab 01.10.1996) sich auf die tarifvertragliche Regelung dergestalt
anpassend auswirkt, daß nunmehr Überstunden bei der Berechnung des
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Urlaubsentgelts nicht mehr berücksichtigt werden.
Der vom Kläger beanspruchte Unterschiedsbetrag beläuft sich auf 350,44 DM brutto.
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Er hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 350,44 brutto zu zahlen, nebst
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4 % Zinsen auf den Nettobetrag seit dem 15.11.1996.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
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Sie hat die Auffassung vertreten, die tarifvertragliche Regelung habe nur deklaratorische
Bedeutung, so daß durch die Änderung des § 11 Abs. 1 Satz 1 des
Bundesurlaubsgesetzes die Überstunden des Referenzzeitraums nicht mehr bei der
Urlaubs- entgeltberechnung zu berücksichtigen seien.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Begründung seiner
Entscheidung wird Bezug genommen.
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Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihren Rechtsstandpunkt weiter. Auf die
Ausführungen der Berufungsbegründung vom 22.08.1997 (Bl. 50 ff. d. A.) wird Bezug
genommen.
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Die Beklagte beantragt nunmehr,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Essen abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die gegnerische Berufung zurückzuweisen.
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Er führt aus, der gegnerischen Auffassung, § 11 BUrlG in seiner geänderten Fassung
habe Vorrang vor den Vorschriften des § 11 Nr. 5 RTV Poliere bzw. § 10 Nr. 5 RTV
Angestellte können mit Rücksicht auf Wortlaut, Systematik und Entwicklung der
tariflichen Bestimmungen nicht gefolgt werden. Mit der tarifvertraglichen
Urlaubsregelung sei ein eigenständiges und abgeschlossenes System geschaffen
worden, das sich in wesentlichen Elementen von der gesetzlichen Urlaubsregelung
unterscheide. Dies werde belegt durch die Regelungen über ein zusätzliches
Urlaubsentgelt im Tarif und den ausdrücklichen Hinweis in § 11 Nr. 7 RTV, der bezogen
auf die gesamte Urlaubsregelung des Tarifvertrages festlege, daß ergänzend die
gesetzlichen Vorschriften (gelten) .
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Die einschlägigen Tarifbestimmungen sind mittlerweile durch eine Neuregelung ersetzt
worden, die sich an den geänderten gesetzlichen Bestimmungen orientiert.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die Berufung ist kraft der Zulassung durch das Arbeitsgericht statthaft, in der Sache
jedoch nicht begründet.
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Der Kläger hat Anspruch auf Berechnung seines Urlaubsentgelts einschließlich der
geleisteten Überstunden im Referenzzeitraum 01.07. bis 30.09.1996, wie der
Tarifvertrag es vorsieht und wie das Arbeitsgericht es zutreffend entschieden hat. Die
Kammer teilt die Auffassung der Vorinstanz, daß die tarifvertragliche Regelung nicht
durch die gesetzliche Neuregelung des § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG angepaßt worden ist.
§ 11 Nr. 5.1 Satz 1 stellt eine Tarifnorm mit konstitutiver Wirkung dar. Die Auslegung
ergibt zur Überzeugung der Kammer, daß die Tarifvertragsparteien eine
gesetzesunabhängige eigenständige Regelung getroffen haben, wie bereits die
Vorinstanz festgestellt hat. Die Kammer folgt damit auch der Entscheidung des
Arbeitsgerichts Karlsruhe (10 Ca 222/97 vom 04.07.1997), die sich bei der Gerichtsakte
befindet.
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Auszugehen ist für die Frage, ob die Tarifvertragsparteien eine konstitutive Regelung
oder eine nur auf das Gesetz verweisende (deklaratorische) Regelung wollten, von der
Überlegung, ob ein Wille der Tarifvertragsparteien zu eigenständiger Normsetzung im
Tarifvertrag einen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden hat.
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Dabei begegnet die im Anschluß an die BAG-Rechtsprechung häufig ins Feld geführte
Argumentation, die bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts weise auf einen
deklaratorischen Charakter der Tarifnorm hin, erheblichen Bedenken. Die Begründung,
die Tarifvertragsparteien hätten den Gesetzeswortlaut in diesem Falle in die Tarifnorm
allein aus Gründen der Vollständigkeit übernommen, erscheint erheblich zu
vordergründig. Dafür, daß die Tarifvertragsparteien in Kenntnis ihrer
Normsetzungsbefugnis und in Kenntnis der gesetzlichen Bestimmungen lediglich den
Inhalt der letzteren im Tarifvertrag verlautbaren wollen, spricht eigentlich nichts. Es kann
ebensogut die Vermutung aufgestellt werden, daß die Tarifpartner sich eine derart
unnütze Übung versagt hätten und daß deshalb die Übernahme gesetzlicher Ansprüche
in eine Tarifnorm die Vermutung begründet, daß hiermit eine konstitutive Regelung
geschaffen werden soll.
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Gar keine Rechtfertigung findet die Auffassung, die Übernahme des Gesetzeswortlauts
in den Tarifvertrag sei als eine sogenannte dynamische Verweisung, also als Hinweis
auf den jeweiligen Gesetzesstand zu deuten. Angesichts der Rechtsentwicklung in der
Vergangenheit, die bis zum Beginn politisch motivierter Sparbemühungen im Jahre
1996 stets zur Stärkung von Arbeitnehmerrechten und nicht zum Abbau derselben
führte, bestand keinerlei Veranlassung, die Möglichkeit der Verschlechterung von
Arbeitnehmerrechten einzukalkulieren und an eine diesbezügliche Öffnungs- klausel im
Tarifvertrag zu denken. Die Annahme einer dynamischen Verweisung ist eine rein
zweckorientierte Unterstellung, die in der Tarifnorm keine Rechtfertigung findet.
Vollends versagt die Argumentation, die Tarifvertragsparteien hätten von ihrer
Normsetzungsbefugnis keinen Gebrauch machen wollen, aber angesichts der bereits
von der Vorinstanz hervorgehobenen Tatsache, daß das Regelungswerk des § 11 des
Tarifvertrags zahlreiche, über das Bundesurlaubsgesetz hinausgehende Bestimmungen
enthält und schließlich unter Nr. 7 ausdrücklich die ergänzende Geltung der
gesetzlichen Vorschriften festlegt. Angesichts einer solchen Formulierung kann nicht
zweifelhaft sein, daß die Tarifvertragsparteien beabsichtigten, mit § 11 RTV eine
eigenständige Regelung zu schaffen, die von der jeweiligen Gesetzeslage unabhängig
sein sollte. Auf die von der Kammer für zutreffend erachteten Ausführungen der
Berufungserwiderung zu den Einzelheiten der über die gesetzlichen Bestimmungen
hinausgehenden Regelungen wird Bezug genommen. Es kann nach allem keine Rede
davon sein, daß die Tarifvertragsparteien die einschlägigen Vorschriften wörtlich oder
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inhaltlich unverändert übernommen hätten und es ihnen lediglich darum gegangen sei,
durch Wiedergabe des Gesetzestextes eine unvollständige Darstellung der Rechtslage
im Tarifvertrag zu vermeiden. Diese Auffassung hat auch das Arbeitsgericht Karlsruhe in
seiner bereits zitierten Entscheidung zutreffend zum Ausdruck gebracht. In sich
widersprüchlich ist demgegenüber die Begründung des Arbeitsgerichts Düsseldorf in
der Entscheidung 10 Ca 7386/97 vom 01.04.1998, welche dem Hinweis des § 11 Ziff. 7
RTV auf die ergänzende Geltung der gesetzlichen Vorschriften keine Bedeutung
beimißt. Soweit - wie das Arbeitsgericht Düsseldorf meint - von den
Tarifvertragsparteien im Anschluß an die BAG-Rechtsprechung zu erwarten ist, in neu
abgeschlossenen Tarifverträgen dafür Sorge zu tragen, daß ihr vorhandener
Normsetzungswille einen deutlichen Niederschlag findet, kann dieser vermeintlichen
Obliegenheit nicht klarer Rechnung getragen werden, als durch die Aufnahme des
Hinweises, daß die gesetzlichen Bestimmungen nur ergänzend gelten sollen.
Nach allem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
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REVISION
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eingelegt werden.
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Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Revision muß
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innerhalb einer Notfrist von einem Monat
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nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
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Graf-Bernadotte-Platz 5,
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34119 Kassel,
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eingelegt werden.
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Die Revision ist gleichzeitig oder
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innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
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schriftlich zu begründen.
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Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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gez.: Funke gez.: Schöps gez.: Wansleben
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