Urteil des LAG Düsseldorf vom 18.06.2008

LArbG Düsseldorf: angemessene entschädigung, arbeitsgericht, eigenes verschulden, anfang, fax, form, ausländer, gesetzestext, unterlassen, zustellung

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 7 Sa 383/08
Datum:
18.06.2008
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Sa 383/08
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Essen, 3 Ca 1997/07
Schlagworte:
.
Normen:
.
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Sind die tatsächlichen Vorgänge, auf die eine Belästigung i. S. d. § 3
Abs. 3 AGG gestützt werden, bereits abgeschlossen, kann nicht von
einem Dauertatbestand ausgegangen werden, bei dem die
Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG nicht mit dem Zeitpunkt des
Bekanntwerdens, sondern mit seiner Beendigung beginnt. Von einem
Dauertatbestand zu unterscheiden sind Tatbestände, die bereits
abgeschlossen sind und nur noch fortwirken. In diesen Fällen beginnt
die Geltendmachungsfrist mit dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens.
Tenor:
I.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen
vom 24.01.2008 – 3 Ca 1997/07 – wird zurückgewiesen.
II.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
III.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Mit ihrer am 11.06.2007 beim Arbeitsgericht Essen eingegangenen Klage begehren die
Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs.
2 AGG.
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Die Kläger, die türkische Staatsangehörige sind, sind bei der Beklagten als
Kommissionierer im Lager F. zu einem monatlichen Bruttolohn von ca. 2.500,00 €
beschäftigt. Der Kläger zu 4) hat zusätzlich zur türkischen Staatsangehörigkeit im Jahre
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1999 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.
Im Lager F. sind 40 bis 50 Arbeitnehmer beschäftigt, davon ca. 50 % ausländische
Mitarbeiter.
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Für die ausländischen Mitarbeiter stellt die Beklagte bei Grillfesten einen separaten Grill
zur Verfügung, auf dem ausschließlich bei einem muslimischen Metzger erworbenes
Fleisch gegrillt wird. Für die muslimischen Mitarbeiter am Lagerstandort F. hat sie einen
Gebetsraum eingerichtet.
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In einem beim Arbeitsgericht Essen unter dem Az 7 Ca 1038/07 geführten
Kündigungsrechtsstreit des bei der Beklagten ebenfalls im Lager beschäftigten
Mitarbeiters U. hat dieser mit Schriftsatz vom 20.03.2007 die Verurteilung der Beklagten
zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 5.100,00 €
beantragt und dazu vorgetragen, mindestens seit Anfang 2006 seien zwei bis drei
Innentüren der fünf auf der Herrentoilette im Lager befindlichen Einzelkabinen mit
ausländerfeindlichen Beschriftungen versehen.
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Die Toiletten im Lager werden vom Betriebsleiter nicht benutzt, denn im Betrieb der
Beklagten existiert eine weitere Toilette für die kaufmännischen Mitarbeiter.
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Anfang April 2007 hat die Beklagte veranlasst, dass die Beschriftungen in den
Herrentoiletten beseitig werden.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 11.04.2007 haben die Kläger von der Beklagten die
Zahlung einer Entschädigung wegen einer Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 3 AGG
verlangt.
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Die Kläger haben vorgetragen, mindestens seit Anfang 2006, zum Teil erheblich früher,
hätten sich in mindestens zwei von fünf für die gewerblichen Arbeitnehmer
vorgesehenen Herrentoiletten im Lager ausländerfeindliche Beschriftungen, zum Teil
wohl in unterschiedlicher Handschrift, und außerdem ein Hakenkreuz befunden. Die
Beschriftungen hätten unter anderem folgenden Inhalt gehabt:
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„Scheiß Ausländer, ihr Hurensöhne, Ausländer raus, ihr Kanaken, Ausländer sind
Inländer geworden“.
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Bereits im September 2006 habe der Mitarbeiter U. den Niederlassungsleiter der
Beklagten, Herrn T., auf diesen Umstand hingewiesen. Herr T. habe dazu nur gesagt,
dass die Leute eben so denken würden. Im Januar/Februar 2007 habe der Kläger zu 2)
ebenfalls gegenüber dem Niederlassungsleiter die Beschriftungen anlässlich eines
Gesprächs über andere Dinge erwähnt und dazu geäußert, dass „ausländerfeindliche
Beschriftungen“ in der Toilette seien, die er „nicht korrekt“ finde. Herr T. sei über diesen
Umstand offensichtlich informiert gewesen, habe sich jedoch auf die Äußerung
beschränkt, er wisse auch nicht, wer das mache. Die Kläger haben die Auffassung
geäußert, die Beklagte habe das „AGG-Management“ bzw. die „AGG–Inventur“
verabsäumt. Sie habe nach Inkrafttreten des Gesetzes die Räumlichkeiten in ihrem
Organisationsbereich auf diskriminierende Tatbestände, Beschriftungen, Bilder usw.
prüfen müssen. Ihr sei sogar ein eigenes Verschulden vorzuwerfen, da sie es trotz der
Beanstandungen eines Mitarbeiters unterlassen habe, die Beschriftungen zu entfernen.
Anspruchserhöhend sei, dass die Beklagte die nach § 12 Abs. 2 AGG notwendigen
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Schulungen unterlassen und keine Beschwerdestelle unter Beteiligung des Betriebsrats
eingerichtet habe. Bei den Betriebsräten seien zudem von sieben Mitgliedern lediglich
drei geschult worden. Den Gesetzestext des AGG habe die Beklagte erst im März/April
2007, nachdem der erste Mitarbeiter sich wegen der Beschriftungen beschwert hatte, für
wenige Tage ausgehängt.
Die Kläger haben beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung gemäß § 15
Abs. 2 AGG zu zahlen, für den Kläger zu 2) mindestens 7.500,00 € netto, für die
übrigen Kläger mindestens je 10.000,00 € netto, nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem EZB-Basiszinssatz.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die geltend gemachte Entschädigung
entbehre jeglicher Sach- und Rechtsgrundlage. Die von den Klägern vorgetragenen
Beschriftung auf den Herrentoiletten sowie die Behauptung, der Mitarbeiter U. sowie der
Kläger zu 2) hätten Herrn T. auf die Beschriftungen hingewiesen, hat sie bestritten. Sie
hat behauptet, sie habe erstmals durch das Schreiben des Klägervertreters im
Kündigungsschutzprozess des Mitarbeiters U. von den Schmierereien Kenntnis
erhalten, die sodann unverzüglich entfernt worden seien. Auch beim Betriebsrat hätten
sich keine Mitarbeiter über Schmierereien beschwert. Ihrer Organisationspflicht sei sie
vollumfänglich nachgekommen. Bereits im September 2006 seien der Gesetzestext des
AGG, § 61 b ArbGG sowie weitere Informationen zum AGG den Mitarbeitern über das S.
Infonet und über das „Schwarze Brett“ bekannt gemacht worden. Als Ansprechpartner
für den Betrieb F. sei Herr T. benannt worden. Am 11.01.2007 sei sodann eine AGG-
Schulung für die Betriebsräte der Region West durchgeführt worden. Am 16. und
23.01.2007 wären die Betriebsleiter geschult worden. Im Betrieb herrsche ein
ausländerfreundliches Klima.
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Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen T. und X. sowie
Vernehmung des Klägers zu 2) als Partei. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 24.01.2008 (Bl 115 – 117 der Akte) Bezug
genommen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen und dazu im Wesentlichen ausgeführt,
der Eingriff in die Rechtssphäre der Kläger durch die Toiletten-Schmierereien sei nicht
so intensiv, dass von einer Schadensersatzansprüche auslösenden Benachteiligung
auszugehen sei. Das Erfordernis, dass durch die Beschriftungen ein von
Einschüchterung, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen
gekennzeichnetes Umfeld im Betrieb geschaffen worden sei, sei nicht erfüllt. Bei den
Beschriftungen, die weder einen konkreten Urheber noch einen konkreten Adressaten
auswiesen, handele es sich in aller Regel um „Dummheiten“ und „Boshaftigkeiten“, nicht
aber um diskriminierendes, mit rechtlichen Sanktionen zu belegendes Verhalten. So
habe der Zeuge T. ausgesagt, dass auf den Toiletten auch deutschfeindliche
Beschriftungen angebracht worden seien sowie zahlreiche Beschriftungen in arabischer
Sprache. Wäre im Betrieb der Beklagten ein ausländerfeindliches Umfeld geschaffen
worden, hätte dies zu Unruhen und Beschwerden ausländischer Mitarbeiter führen
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müssen. Vorliegend hätten sich allenfalls zwei Mitarbeiter, zudem eher beiläufig an den
Zeugen T. gewandt. Außerdem habe die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, dass
in ihrem Betrieb ein ausländerfreundliches Klima herrsche. Wie sich aus den Aussagen
der Zeugen ergebe, habe sie sich auch bemüht, ihre Organisationspflichten zu erfüllen.
Zu Gunsten der Beklagten sei zudem zu berücksichtigen, dass sich das AGG im hier
maßgeblichen Zeitpunkt noch in der „Aufbauphase“ befunden habe.
Gegen das den Klägern am 13.02.2008 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Essen
haben die Kläger mit einem am 03.03.2008 per Fax und am 04.03.2008 im Original bei
dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit
einem am 10.04.2008 per Fax und am 11.04.2008 im Original bei dem
Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Die Kläger rügen unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens, die
Auffassung des Arbeitsgericht, bei den Beschriftungen handele es sich um Dummheiten
und Boshaftigkeiten sei jedenfalls dann nicht richtig, wenn der Niederlassungsleiter T.
durch zwei Mitarbeiter auf die Beschriftungen hingewiesen worden sei, wie die Kläger
dies behaupten. Dann schlage die bisherige Dummheit und Boshaftigkeit in ein von
„Anfeindung gekennzeichnetes Umfeld“ um. In diesem Zusammenhang sei belanglos,
dass der Arbeitgeber einen Gebetsraum zur Verfügung stelle und auf die religiösen
Nahrungsgebote Rücksicht nehme. Zudem seien diese Maßnahmen der Beklagten an
der Religionszugehörigkeit ausgerichtet und stünden in keinem Bezug zur Nationalität
und Volkszugehörigkeit. Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht auf die Vernehmung des
Zeugen U., der zum Beweisaufnahmetermin entschuldigt nicht erschienen war,
verzichtet. Die Angaben des Zeugen T. seien mit Vorbehalt aufzunehmen, da er als
Lagerleiter verantwortlich war und eine schwere Pflichtverletzung begangen hätte, wenn
er den Hinweisen der beiden Mitarbeiter nicht nachgegangen wäre.
21
Die Kläger beantragen,
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unter Abänderung der Entscheidung des Arbeitsgerichts nach den Anträgen
der Kläger aus der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz zu
entscheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und weist darauf hin, der Zeuge T.
habe glaubhaft geschildert, von den Mitarbeitern auf die Schmierereien nicht
angesprochen worden zu sein. Vielmehr sei der Zeuge U. mit Vorbehalt aufzunehmen,
der aufgrund der von ihm selbst geltend gemachten Ansprüche ein erhebliches
Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits habe. Im F. Betrieb bestehe auch kein
feindliches Umfeld, das nur dann angenommen werden könne, wenn es für das
fragliche Arbeitsverhältnis prägende Bedeutung entfalte.
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Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf ihre in zweiter Instanz
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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I.
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Die statthafte (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes
zulässige (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- und fristgerecht eingelegte und begründete
Berufung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) ist
zulässig.
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II.
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Die Berufung der Kläger ist jedoch unbegründet und war demgemäss zurückzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen und festgestellt, dass den
Klägern gegen die Beklagte kein Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 S. 1 AGG
i.V.m. § 7 AGG zusteht.
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Nach § 15 Abs. 2 S. 1 AGG kann der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der
nicht Vermögensschaden ist, bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot
gemäß § 7 AGG i.V.m. § 1 AGG eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.
Darlegungs- und beweispflichtig für die Benachteiligung ist der Anspruchsteller. Aus §
22 AGG ergibt sich sodann für den Anspruchsteller eine gesetzliche
Beweiserleichterung, um den Kausalzusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu der
geschützten Gruppe gemäß § 1 AGG und dem Betroffensein von dem Nachteil zu
erleichtern (vgl. ErfK , 8. Aufl., § 22 AGG, Rdnr. 2).
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Die Kläger haben sich vorliegend auf eine Benachteiligung in Form einer Belästigung
gemäß § 3 Abs. 3 AGG berufen. Danach ist eine Belästigung eine Benachteiligung,
wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 AGG genannten Grund in
Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden
Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen oder
Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Für das Vorliegen dieser
Voraussetzungen sind die Kläger darlegungs- und beweispflichtig.
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Ob die Voraussetzung, dass eine unerwünschte Verhaltensweise vorliegt, die mit einem
in § 1 AGG genannten Grund in Zusammenhang steht und bezweckt oder bewirkt, dass
die Würde der betreffenden Person verletzt wird, erfüllt ist, kann vorliegend dahinstehen,
denn auch die Berufungskammer kann – wie bereits das Arbeitsgericht – nach dem
Vortrag der Kläger jedenfalls nicht feststellen, dass durch die „Toiletten-Schmierereien“
bewirkt worden ist, dass ein im Sinne des § 3 Abs. 3 AGG erforderliches „feindliches
Umfeld“ geschaffen wurde.
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§ 3 Abs. 3 letzter Teilsatz AGG stellt ausdrücklich darauf ab, ob ein durch
“Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder
Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld” geschaffen wird. Der letzte Teilsatz des Abs.
3 enthält mithin besonders schwerwiegende Beispiele für würdeverletzende
Verhaltensweisen, die notwendig zur Würdeverletzung hinzutreten müssen, was sich
aus der Verbindung „und“ zwischen den gesetzlichen Voraussetzungen ergibt. Sie
konkretisieren damit den Maßstab für den bei einer Belästigung gemäß Abs. 3
vorauszusetzenden Schweregrad einer unerwünschten Belästigung, der bereits
beträchtlich und deutlich oberhalb einer bloßen Lästigkeitsschwelle sein muss. Darüber
hinaus müssen diese Belästigungen das Umfeld nach dem gesetzlichen Wortlaut
„kennzeichnen“. Ein Umfeld „kennzeichnen“ können sie nur dann, wenn sie für das
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Arbeitsverhältnis prägende Bedeutung entfalten (vgl. ErfK, 8. Aufl., § 3 AGG, Rdnr. 16).
Eine „prägende Bedeutung“ kann grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn
einzelne Tathandlungen aufeinander aufbauen und ineinander greifen, d.h.
systematisch dazu dienen, die Würde des Betroffenen zu verletzen. Lässt sich eine
systematische Verklammerung einzelner Tathandlungen nicht feststellen, fehlt es am
„feindlichen Umfeld“. Damit soll gerade verhindert werden, dass eine einmalige
Handlung zur Annahme einer Belästigung führt. Insoweit sind strenge Anforderungen zu
stellen, wie etwa bei der Feststellung, ob Mobbing vorliegt. Auch das
Bundesarbeitsgericht geht in seiner Entscheidung vom 25.10.2007 (8 AZR 593/06,
zitiert nach juris) davon aus, dass ein Umfeld grundsätzlich nicht durch ein einmaliges,
sondern durch ein fortdauerndes Verhalten geschaffen wird.
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Nach dem eigenen Vortrag der Kläger bestehen die Beschriftungen auf zwei von fünf
Herrentoiletten bereits mindestens seit Anfang 2006. Dass immer wieder neue
Tathandlung in Form von neuen Beschriftungen hinzugekommen sind, haben die Kläger
selbst nicht behauptet. Damit liegt – soweit nach dem Vortrag der Kläger feststellbar -
nur eine Tathandlung oder mehrere, aber weit zurückliegende Tathandlungen vor, die
zwar – dies ist den Klägern zuzugestehen – eine Dauerwirkung entfalten, weil sie seit
Anfang des Jahres 2006 fortlaufend sichtbar waren, sofern Mitarbeiter diese beiden
Toiletten benutzten. Allein aus dieser Dauerwirkung kann nach Auffassung der
Berufungskammer jedoch nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass damit eine
systematische und fortgesetzte Herabwürdigung bezweckt oder bewirkt wird, die
prägende Bedeutung für die Arbeitsverhältnisse der Kläger entfalten. Möglicherweise
sind die Arbeitnehmer, die diese Beschriftungen anonym angebracht haben, gar nicht
mehr bei der Beklagten beschäftigt. In diesem Fall könnte nicht davon ausgegangen
werden, dass durch die Beschriftungen ein feindliches Umfeld geschaffen wird.
Anhaltspunkte dafür, dass sich das „feindliche Umfeld“ auch aus anderen
Tathandlungen ergibt, haben die Kläger nicht vorgetragen.
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Der Vortrag der Kläger, das feindliche Umfeld sei spätestens zu dem Zeitpunkt
entstanden, als der Niederlassungsleiter T. im September 2006 von den Beschriftungen
erfahren habe – den Vortrag der Kläger als richtig unterstellt – ist für die
Berufungskammer nicht nachvollziehbar. Unstreitig hat der Niederlassungsleiter sich mit
den behaupteten Beschriftungen nicht identifiziert. Es ist nicht ersichtlich und von den
Klägern auch nicht vorgetragen, wieso durch eine unterlassene Beseitigung der
Beschriftungen, die - von den Klägern unbeanstandet - seit Monaten in der
Herrentoilette vorhanden waren, ein feindliches Umfeld bewirkt worden sein soll. Die
Kläger haben sich auf die Behauptung beschränkt, dass dies so sei. Allein aufgrund
dieser Behauptung kann nicht festgestellt werden, dass Tathandlungen vorliegen, die
systematisch dazu dienen, die Würde der Kläger zu verletzen und für das
Arbeitsverhältnis prägende Bedeutung haben. Nach Auffassung der Berufungskammer
sind einmalige Tathandlungen selbst dann, wenn sie fortwirken, für sich genommen
nicht geeignet, die Annahme einer prägenden Bedeutung für das Arbeitsverhältnis zu
rechtfertigen, soweit nicht weitere Umstände hinzu kommen, aus denen geschlossen
werden kann, dass die Würde der Kläger systematisch verletzt werden soll.
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Selbst wenn unterstellt wird, dass eine Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 3 AGG
gegeben ist, steht den Klägern nach Auffassung der Berufungskammer ein
Entschädigungsanspruch auch deshalb nicht zu, weil die Kläger die
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Geltendmachungsfrist des § 15 Abs. 4 AGG nicht eingehalten haben.
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Die Zweimonatsfrist beginnt zu dem Zeitpunkt, in dem der Beschäftigte von der
Benachteiligung Kenntnis erlangt. Wie bereits ausgeführt, hatten die Kläger bereits seit
Anfang des Jahres 2006 Kenntnis von den Beschriftungen in der Herrentoilette. Selbst
wenn davon ausgegangen wird, dass das AGG trotzdem auf diesen Sachverhalt
Anwendung findet, weil dieser aufgrund seiner Fortwirkung in den Zeitpunkt
hineinreicht, ab dem das AGG Geltung erlangte, ist festzustellen, dass die Kläger
unstreitig bereits lange vor Geltendmachung der Entschädigung von der Belästigung
Kenntnis hatten.
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In diesem Zusammenhang kann nach Auffassung der Berufungskammer nicht von
einem Dauertatbestand ausgegangen werden, bei dem die Ausschlussfrist nicht mit
dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens, sondern mit seiner Beendigung beginnt, denn
Voraussetzung für die Annahme eines Dauertatbestandes ist, dass entweder fortlaufend
neue Tatsachen eintreten oder ein noch nicht abgeschlossener Zustand vorliegt. Diese
Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Von einem Dauertatbestand zu
unterscheiden sind Tatbestände, die bereits abgeschlossen sind und nur noch
fortwirken. Dies ist vorliegend der Fall, denn die tatsächlichen Vorgänge, die für die
Belästigung maßgeblich sind und auf die sie von den Klägern gestützt werden, sind
bereits abgeschlossen. Daher hätten die Kläger nach Auffassung der Berufungskammer
bereits zwei Monate nach der Geltung des AGG ihren Entschädigungsanspruch
aufgrund der fortwirkenden Belästigung geltend machen müssen. Spätestens jedoch
nach dem ersten – von den Klägern behaupteten - Hinweis an den Arbeitgeber im
September 2006, auf den alle Kläger sich berufen haben, hätten diese nach Ablauf von
zwei Monaten einen Entschädigungsanspruch geltend machen müssen, denn innerhalb
dieser Frist war für die Kläger leicht feststellbar und ersichtlich, dass die Belästigung
nicht beseitigt wird.
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Dass diese Sichtweise sachgerecht und unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks
des Gesetzes gerechtfertigt ist, ergibt sich auch aus folgender Betrachtung:
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Die Beklagte hat die Beschriftungen in der Herrentoilette Anfang April 2006 entfernt. Erst
danach, nämlich am 11.04.2006, haben die Kläger ihren Entschädigungsanspruch
geltend gemacht. Eine andere als die hier vertretene Betrachtungsweise würde im
Ergebnis dazu führen, dass ein einmalig gesetzter Tatbestand, der die Voraussetzungen
einer Belästigung erfüllt, über Jahre hinweg von einem Arbeitnehmer hingenommen
werden könnte und erst dann
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geltend gemacht werden müsste, wenn die Belästigung, die den
Entschädigungsanspruch begründet, beseitig worden ist. Dies ist weder mit dem Sinn
und Zweck des Gesetzes, das letztlich keinen Sanktions-, sondern Präventionscharakter
haben soll, noch dem Sinn und Zweck von Ausschlussfristen, die zu einer zeitgerechten
Rechtssicherheit und Rechtsklarheit führen sollen, vereinbar.
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Diese Auffassung steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts, das zum Beispiel in Mobbingfällen darauf abstellt, dass die
letzte Mobbinghandlung innerhalb der Ausschlussfrist liegen muss. Auch unter
Berücksichtigung dieser Rechtsprechung wird ersichtlich, dass nicht die fortdauernde
Wirkung einer Belästigung entscheidend ist, sondern die aufeinander aufbauenden und
ineinandergreifenden, mithin systematischen Tathandlungen.
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Danach war die Berufung der Kläger zurückzuweisen.
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III.
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Die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels waren gemäß 64 Abs. 6 ArbGG, 97
Abs. 1 ZPO den Klägern aufzuerlegen.
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IV.
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Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, da
entscheidungserhebliche Rechtsfragen vorliegen, die grundsätzliche Bedeutung haben,
für die Einheitlichkeit der Rechtsordnung von allgemeiner Bedeutung und
höchstrichterlich noch nicht entschieden sind.
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R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G
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Gegen dieses Urteil kann von den Klägern
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REVISION
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eingelegt werden.
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Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Revision muss
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innerhalb einer Notfrist von einem Monat
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nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
61
Hugo-Preuß-Platz 1,
62
99084 Erfurt,
63
Fax: (0361) 2636 - 2000
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eingelegt werden.
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Die Revision ist gleichzeitig oder
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innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils
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schriftlich zu begründen.
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Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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Paßlick Kulok Hartmann
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