Urteil des LAG Düsseldorf vom 29.11.1999

LArbG Düsseldorf: arbeitsgericht, wahrscheinlichkeit, mutwilligkeit, mutwille, beitrag, beschwerdekammer, kündigung, datum, rechtfertigung, arbeitsrecht

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 15 Ta 553/99
Datum:
29.11.1999
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 Ta 553/99
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Düsseldorf, 7 Ca 2683/99
Schlagworte:
Normen:
§ 114 ZPO
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Es bleibt in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden
Auffassung in Rechtsprechung und Literatur dabei, dass nicht
Erfolgsgewissheit verlangt wird, wenn in § 114 ZPO die Rede ist von
hinreichender Aussicht auf Erfolg. Es reicht aus, wenn bei einer allein
erlaubten vorläufigen Prüfung der Parteivortrag als vertretbar bezeichnet
werden kann, wobei die Anforderungen an die tatsächlichen und
rechtlichen Voraussetzungen nicht überspannt werden dürfen; es
genügt, wenn der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat,
keineswegs ist eine überwiegendeWahrscheinlichkeit erforderlich.2. Die
Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe gegeben sind, hat zum rechten Zeitpunkt zu erfolgen.
Das ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife. Bewilligungsreife ist
eingetreten, wenn Prozesskostenhilfe hätte bewilligt werden können und
müssen, wenn also alle Voraussetzungen für die Bewilligung und
insbesondere auchErfolgsaussicht im oben geschilderten Sinn
vorhanden waren. Es geht nicht an, in diesem Augenblick nicht zu
entscheiden und erst nach einer späteren Entscheidung in der Sache
gegen die Prozesskostenhilfe wünschende Partei die
Prozesskostenhilfe zu verweigern mit der Begründung, angesichts der
Entscheidung in der Sache fehle es an hinreichender Aussicht auf
Erfolg. Wird über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
doch so spät zu spät entschieden, ist doch abzustellen auf den früheren
Zeitpunkt der Bewilligungsreife mit der Folge, dass ohne Rücksicht auf
die Entscheidung in der Sache die begehrte Prozesskostenhilfe
rückwirkend auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife zu bewilligen ist;
das gilt nur dann nicht,wenn inzwischen feststehen sollte, dass einer der
Fälle aus § 124 ZPO vorliegt.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers vom 25.10.1999 wird der Beschluss
des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 08.10.1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Bescheidung des vom Kläger gestellten
Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe an das Arbeitsgericht
Düsseldorf zurückverwiesen.
G r ü n d e :
1
1. Der Kläger musste mit seiner nach den §§ 127 Abs. 2 Satz 2 und 567 Abs. 1 ZPO
zulässigen Beschwerde Erfolg haben. Denn das Arbeitsgericht hat durch den
angegriffenen Beschluss den Antrag des Klägers auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe zu Unrecht zurückgewiesen mit der Begründung, die Klage sei
offensichtlich mutwillig. Dem kann sich das Beschwerdegericht nicht anschließen, es
geht von hinreichender Aussicht auf Erfolg jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt aus,
es verneint Mutwilligkeit und damit erst recht offensichtliche Mutwilligkeit.
2
a) Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 ZPO ist gegeben.
3
aa) Wenn in § 114 ZPO Erfolgsaussicht verlangt wird, so bedeutet das nicht
Erfolgsgewissheit. Es ist ausreichend, dass der die Klage begründende bzw. zur
Abwehr einer Klage vorgebrachte Vortrag vertretbar ist. Die Anforderungen an die
rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen dürfen nicht überspannt werden.
Hinreichend ist eine Erfolgsaussicht schon dann, wenn der Erfolg eine gewisse
Wahrscheinlichkeit noch nicht einmal überwiegende Wahrscheinlichkeit für sich hat.
Schließlich genügt eine vorläufige Prüfung der Erfolgsaussicht, nur eine solche
vorläufige Prüfung darf überhaupt stattfinden (vgl. zu all dem nur
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 57. Aufl., § 114 Rdnr. 80 ff.;
Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 114 Rdnr. 3).
4
bb) Nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab kann in Übereinstimmung mit der
Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 23.11.1999 von hinreichender Aussicht auf
Erfolg im Sinne von § 114 ZPO ausgegangen werden. Der Kläger hat im Rechtsstreit
detaillierte Erklärungen abgegeben zu den ihm zur Rechtfertigung der streitigen
Kündigung gemachten Vorwürfen. Er hat insbesondere auch einen
schuldausschließenden Krankheitszustand vorgetragen. Ob das dem Kläger letztlich zu
einem Erfolg mit seiner Klage verhelfen kann, ist nicht abschließend zu entscheiden im
Zusammenhang mit der Bescheidung seines Antrags auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe. Es genügt die vorläufige Feststellung, dass der Vortrag des Klägers
möglicherweise dazu geeignet ist, seiner Klage zum Erfolg zu verhelfen. Diese
Möglichkeit reicht aus, um ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe wird dabei nicht verhindert dadurch, dass das Arbeitsgericht schon
vor der Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Klage
durch Urteil vom 13.09.1999 als unbegründet abgewiesen hat. Es geht nicht an, auf die
im PKH-Verfahren nur erlaubte vorläufige Prüfung der Erfolgsaussicht zum rechten
Zeitpunkt zu verzichten und sie zu ersetzen durch endgültige Prüfung mittels eines
Urteils; die abschließende Prüfung streitiger Sach- und Rechtsfragen darf nicht
vorverlagert werden in das PKH-Verfahren, sie ist dem Urteil selbst vorbehalten und darf
sich jedenfalls nicht rückwirkend auf das Ergebnis des PKH-Verfahrens auswirken. Das
gilt jedenfalls dann, wenn tatsächlich auf die Lage zum rechten Zeitpunkt abgestellt
wird. Es ist geboten, darauf abzustellen. Es ist für die Bescheidung eines Antrags auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach der ständigen Rechtsprechung der
Beschwerdekammer abzustellen auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife gerade auch
5
dann, wenn es um die Beurteilung der Erfolgsaussicht geht (so schon gerade zur
Erfolgsaussicht Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 09.07.1996 15 Ta
127/96 -). Bewilligungsreife ist der Zeitpunkt, zu dem das Gericht bei
ordnungsgemäßem unverzüglichen Geschäftsgang die beantragte Prozesskostenhilfe
frühestens hätte bewilligen können, bei Vorliegen der Voraussetzungen hätte bewilligen
müssen (vgl. nur Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 114 Rdnr. 82 und
108 sowie § 119 Rdnr. 4 und 5, jeweils mit weiteren Nachweisen). Dieser maßgebliche
Zeitpunkt der Bewilligungsreife war hier schon mit Eingang des Antrags auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe beim Arbeitsgericht im Mai 1999 spätestens aber im Juli 1999 -
gegeben mit der Folge, dass das Arbeitsgericht in diesem Augenblick über den Antrag
auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hätte entscheiden können und müssen. Damals
musste aber gewiss und zweifelsohne hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von §
114 ZPO angenommen werden. Demgegenüber spielt es keine Rolle, dass das
Arbeitsgericht im Zeitpunkt der späten Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe andere Erkenntnisse gewonnen hatte. Im Fall der späten
Entscheidung über den Antrag dürfen inzwischen gewonnene gerichtliche
Kenntnisse/Erkenntnisse selbst und gerade dann nicht genutzt werden, wenn sie der
Bewilligung von Prozesskostenhilfe an sich entgegenstehen würden (vgl. wiederum
LAG Düsseldorf a. a. O.).
b) Auf diesem Hintergrund lässt sich die Auffassung des Arbeitsgerichts, der
Bewilligung von Prozesskostenhilfe stehe Mutwille und gar offensichtlicher Mutwille
entgegen, erst recht nicht halten. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife
war das gewiss nicht der Fall.
6
c) Weil weder von Mutwilligkeit noch von fehlender Erfolgsaussicht ausgegangen
werden kann, gibt es in diesem Bereich keinen Grund, dem Kläger die beantragte
Prozesskostenhilfe zu verweigern. Indes konnte das Beschwerdegericht über den
Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe noch nicht abschließend
entscheiden. Es steht noch nicht fest, ob die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse des Klägers wegen der durch § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO gegebenen
Änderungsmöglichkeit: die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zum
Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe jetzt tatsächlich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erlauben,
mit oder ohne eigenen Beitrag des Klägers. Diese Prüfung ist zunächst Aufgabe des
Arbeitsgerichts. Es war daher Gebrauch zu machen von der durch § 575 ZPO eröffneten
Möglichkeit der Zurückverweisung an das Arbeitsgericht zu diesem Zweck.
7
2. Gegen diesen Beschluss findet keine weitere Beschwerde statt (§ 78 Abs. 2 ArbGG).
8
gez.: Klupp
9