Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 02.04.2017

LArbG Berlin-Brandenburg: vergleich, haftung des arbeitgebers, gesellschafter, gemeinsame einrichtung, rechtspersönlichkeit, arbeitsgericht, inhaber, erlass, vollstreckung, zahlungsunfähigkeit

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 17.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
17 Sa 1952/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§§ 705ff BGB, § 3 TVG, § 93 InsO,
§ 60 Abs 1 S 1 InsO, § 60 Abs 1
S 2 InsO
(Zur Befugnis des Insolvenzverwalters zum Vergleichabschluss
mit einem persönlich haftenden Gesellschafter in einem nach §
93 InsO geführten Rechtsstreit)
Leitsatz
Der Insolvenzverwalter ist in einem nach § 93 InSO geführten Rechtsstreit berechtigt, einen
Vergleich mit dem pers. haftenden Gesellschafter abzuschließen, auch wenn dies zu einem
teilweisen Erlass der Forderungen führt.
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23.
August 2006 – 97 Ca 73074/06 – geändert:
Die Entscheidung aus dem Versäumnisurteil vom 29. März 2006 wird aufgehoben und
die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten seiner Säumnis.
Der Kläger hat die übrigen Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte als Gesellschafter einer Gesellschaft
bürgerlichen Rechts (GbR) zur Zahlung von Sozialkassenbeiträgen und Zinsen
verpflichtet ist. Dabei ist vor allem umstritten, ob sich die Klägerin einen Vergleich
entgegenhalten lassen muss, der zwischen der Insolvenzverwalterin der GbR und dem
Beklagten abgeschlossen wurde.
Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (ZVK). Sie ist als
gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer
tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des
Baugewerbes.
Der Beklagte war Gesellschafter der C. GbR, über deren Vermögen am 3. September
2001 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Insolvenzverwalterin nahm den
Beklagten wegen Insolvenzforderungen, zu denen auch die im hiesigen Rechtsstreit
streitige Forderung der Klägerin gehörte, vor dem Landgericht Rostock (10 O. 141/03) in
Anspruch. Sie vereinbarte in diesem Rechtsstreit mit dem Beklagten am 10. September
2003 einen gerichtlichen Vergleich, in dem der Beklagte eine Schuld von 79.824,75 EUR
nebst Zinsen anerkannte. Die Insolvenzverwalterin ließ dem Beklagten nach, die Schuld
in monatlichen Raten von 50,00 EUR zu tilgen. Sofern der Beklagte bis zum 31.
Dezember 2004 einen Betrag von 4.500,00 EUR zahlen würde, sollte die restliche Schuld
erlassen sein. Wegen der Einzelheiten des Vergleichs wird auf Bl. 70 d.A. verwiesen.
Der Beklagte zahlte an die Insolvenzverwalterin vor dem 31. Dezember 2004 zur
Erfüllung des Vergleichs 4.500,00 EUR; auf die Forderung der Klägerin entfiel dabei ein
Betrag von 259,77 EUR.
Die Klägerin hat den Beklagten nach Abschluss des Insolvenzverfahrens erneut wegen
seiner persönlichen Haftung für die Verbindlichkeiten der GbR in Anspruch genommen.
Nachdem der Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung in dem Termin zur mündlichen
Verhandlung am 29. März 2006 nicht erschienen war, hat das Arbeitsgericht den
Beklagten durch Versäumnisurteil antragsgemäß zur Zahlung von 5.426,62 EUR
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Beklagten durch Versäumnisurteil antragsgemäß zur Zahlung von 5.426,62 EUR
verurteilt. Der Beklagte hat gegen das ihm am 6. April 2006 zugestellte Versäumnisurteil
am 7. April 2006 Einspruch eingelegt und geltend gemacht, er sei mit Wirkung vom 1.
Oktober 2000 aus der GbR ausgeschieden; auch müsse sich die Klägerin den genannten
Vergleich entgegenhalten lassen. Das Arbeitsgericht hat die Entscheidung aus dem
Versäumnisurteil durch ein am 23. August 2006 verkündetes Urteil aufrechterhalten. Der
Beklagte sei den von der Klägerin schlüssig dargelegten Forderungen nicht in erheblicher
Weise entgegengetreten. Er habe gegenüber der Klägerin den Rechtsschein gesetzt, am
30. April 2001 noch Gesellschafter der GbR gewesen zu sein; hieran müsse er sich
festhalten lassen. Die übrigen Einwendungen des Beklagten seien als unerheblich zu
betrachten.
Gegen dieses ihm am 26. Oktober 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 2.
November 2006 eingelegte Berufung des Beklagten, die er mit einem am 19. Dezember
2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Er hat vor
allem geltend gemacht, ihm sei die streitbefangene Forderung durch den gerichtlichen
Vergleich vom 10. September 2003 erlassen worden.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. August 2006 - 97
Ca 73074/06 - die Entscheidung aus dem Versäumnisurteil vom 29. März 2006
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Beklagte sei trotz des
gerichtlichen Vergleichs vom 10. September 2003 zur Zahlung verpflichtet. Die
Insolvenzverwalterin habe nicht die Rechtsmacht besessen, sich zu ihren - der Klägerin -
Lasten zu vergleichen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf
den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist begründet.
Die Klage ist unter Aufhebung der Entscheidung aus dem Versäumnisurteil vom 29.
März 2006 abzuweisen. Dem Anspruch der Klägerin steht der gerichtliche Vergleich vom
10. September 2003 entgegen.
1.
streitbefangenen Ansprüche. Die Insolvenzverwalterin der GbR hatte den Beklagten
aufgrund seiner persönlichen Haftung für die Verbindlichkeiten der GbR gemäß § 93 InsO
in Anspruch genommen und dabei auch die von der Klägerin erneut verfolgten Beitrags-
und Zinsansprüche gerichtlich geltend gemacht. Nach Nr. 3 des Vergleichs wurde dem
Beklagten u.a. die auf den Forderungen der Klägerin beruhende Schuld erlassen, weil er
bis zum 31. Dezember 2004 den vereinbarten Betrag von 4.500,00 EUR an die
Insolvenzverwalterin gezahlt hat.
2.
der GbR war entgegen der Auffassung der Klägerin insbesondere befugt, dem Beklagten
die Forderung der Klägerin in der geschehenen Weise zu erlassen.
a)
Insolvenzverfahren eröffnet, kann gemäß § 93 InsO die persönliche Haftung eines
Gesellschafters für Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des
Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Zweck dieser
Vorschrift ist es, einen Wettlauf der Gesellschaftsgläubiger zu verhindern. Diese würden
ansonsten versuchen, ohne Rücksicht auf die Verteilungsgrundsätze des
Insolvenzverfahrens ihre Forderungen bei den Gesellschaftern durchzusetzen. Sind die
Gesellschafter nur eingeschränkt leistungsfähig, wäre zu befürchten, dass andere
Gläubiger mit ihren Forderungen ausfallen würden; dies widerspräche dem Zweck des
Insolvenzverfahrens, eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger zu sichern (BAG,
Urteil vom 28. Juli 2005 - 3 AZR 463/04 - AP Nr. 59 zu § 16 BetrAVG; Urteil vom 14.
Dezember 2004 - 1 AZR 504/03 - AP Nr. 32 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitgebers). §
93 InsO entfaltet deshalb eine Sperr- und eine Ermächtigungswirkung. Die Gläubiger sind
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93 InsO entfaltet deshalb eine Sperr- und eine Ermächtigungswirkung. Die Gläubiger sind
für die Dauer des Insolvenzverfahrens gehindert, ihre Ansprüche selbst geltend zu
machen; sie verlieren ihre Einziehungs- und Prozessführungsbefugnis. Der
Insolvenzverwalter ist berechtigt, die Ansprüche der Gläubiger im eigenen Nahmen
treuhänderisch einzuziehen und als gesetzlicher Prozessstandschafter gerichtlich
durchzusetzen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2006 - II ZR 193/05 - DB 2007, 51 f.;
MünchKommInsO-Brandes, § 93 Rn. 14). Die Gläubiger bleiben materiell-rechtlich
Inhaber der Forderungen; § 93 InsO bewirkt keinen gesetzlichen Forderungsübergang.
b)
Vergleichs mit dem persönlich haftenden Gesellschafter ermächtigt, wenn dies zu einem
teilweisen Erlass der Forderung führt (vgl. hierzu Krüger, NZI 2002, 367, 369 f.; Wessel,
DZWIR 2002, 53, 55 f.; BK-InsO-Blersch/v.Olshausen, Stand Juli 2003; § 93 Rn. 7;
Schmidt, KTS 2001, 373, 377; Fuchs, ZIP 2000, 1089, 1094). Gegen eine derartige
Vergleichsbefugnis wird vor allem eingewandt, dass § 93 InsO den Insolvenzverwalter nur
bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens berechtige, für die Gesellschaftsgläubiger zu
handeln. Ein endgültiger Forderungsverzicht wirke jedoch über das Insolvenzverfahren
hinaus; da die Gläubiger Inhaber der Forderungen blieben, müssten sie nach Abschluss
des Insolvenzverfahrens noch in der Lage sein, ihre Ansprüche durchzusetzen. Die
gegenteilige Auffassung hält demgegenüber den Insolvenzverwalter nach § 93 InsO für
ermächtigt, Vergleiche über die ihm zur Einziehung zugewiesenen Forderungen
abzuschließen, zumindest wenn dies Vorteile für die Masse mit sich bringt.
c)
einen (Prozess-)Vergleich mit dem persönlich haftenden Gesellschafter über die
Forderung eines Gesellschaftsgläubigers abzuschließen. Dies bringt bereits die
treuhänderische Stellung des Insolvenzverwalters mit sich. Treuhandverhältnisse sind
dadurch gekennzeichnet, dass dem Treuhänder nach außen mehr Rechte zukommen,
als er sie im Verhältnis zu dem Treugeber ausüben darf (vgl. hierzu nur BGH, Urteil vom
10. Dezember 2003 - IV ZR 249/02 -, BGHZ 157, 178 ff. m.w.N.). Dass der
Gesellschaftsgläubiger mit einem Vergleich über seine Forderung nicht einverstanden
ist, berührt jedoch allein das Innenverhältnis zum Insolvenzverwalter; die nach außen
wirkende Rechtsmacht des Insolvenzverwalters, sich im Rahmen des § 93 InsO über die
Forderung zu vergleichen, wird hiervon nicht beeinträchtigt. Wird die Forderung - wie im
vorliegenden Fall - gerichtlich geltend gemacht, ist ferner zu berücksichtigen, dass der
Insolvenzverwalter als gesetzlicher Prozessstandschafter den Prozess im eigenen
Namen als Partei kraft Amtes führt. Wie jeder anderen Partei eines Zivilprozesses steht
auch ihm die Befugnis zu, über den Rechtsstreit als Ganzes zu verfügen und ihn z.B.
durch Abschluss eines Vergleichs mit dem Prozessgegner zu beenden. Auch der Zweck
des Insolvenzverfahrens, eine gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger zu
erreichen, spricht für eine Vergleichsbefugnis des Insolvenzverwalters. Dass der einzelne
Gläubiger die persönliche Haftung eines Gesellschafters während des
Insolvenzverfahrens nicht geltend machen kann, dient einem gemeinschaftlichen
Interesse aller Gläubiger, das von dem Insolvenzverwalter wahrzunehmen ist. Im Übrigen
kann ein von dem Insolvenzverwalter mit dem Gesellschafter abgeschlossener Vergleich
zu einer höheren Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger führen als dies bei einer
gesonderten Inanspruchnahme des Gesellschafters der Fall wäre. Häufig geht eine
Insolvenz der Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit mit einer Zahlungsunfähigkeit der
Gesellschafter einher. Die Gesellschafter sind jedoch - wie auch der vorliegende Fall
zeigen dürfte - im Interesse einer Gesamtbereinigung aller Ansprüche möglicherweise zu
Zahlungen bereit, die von den Gläubigern bei einer Vollstreckung der Ansprüche nach
Abschluss des Insolvenzverfahrens wegen des gesetzlichen Pfändungsschutzes nicht
durchgesetzt werden könnten. Die Gläubiger, deren Forderungen durch einen vom
Insolvenzverwalter abgeschlossenen Vergleich verkürzt werden, sind zudem nicht
schutzlos. Auch bei der Durchsetzung und Regelung von Ansprüchen nach § 93 InsO
muss der Insolvenzverwalter dem Sorgfaltsmaßstab des § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO
genügen; er muss „ordentlich und gewissenhaft“ handeln. Wird der Vergleich den
wirtschaftlichen Gegebenheiten bzw. den beiderseitigen Prozessrisiken nicht gerecht,
kommt deshalb eine Schadensersatzverpflichtung des Insolvenzverwalters gemäß § 60
Abs. 1 Satz 1 InsO in Betracht. Ferner können die Gläubiger in der
Gläubigerversammlung oder in einem Gläubigerausschuss mit dem Insolvenzverwalter
ein Vorgehen nach § 93 InsO abstimmen. Bei dieser Sachlage ist es nicht gerechtfertigt,
die Vergleichsbefugnis des Insolvenzverwalters einzuschränken.
3.
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Der entscheidungserheblichen Rechtsfrage, ob der Insolvenzverwalter im Rahmen eines
nach § 93 InsO geführten Rechtsstreits einen Vergleich zu Lasten der
nach § 93 InsO geführten Rechtsstreits einen Vergleich zu Lasten der
Gesellschaftsgläubiger abschließen kann, ist von grundsätzlicher Bedeutung.
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