Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 02.04.2017

LArbG Berlin-Brandenburg: ablauf der frist, arbeitsgericht, beendigung, auszahlung, handwerk, rückzahlung, erfüllung, fälligkeit, prozesskosten, anfang

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 26.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
26 Ta 2060/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 114 ZPO, §§ 114ff ZPO, § 11a
ArbGG, § 4 Abs 1 TVG, § 127 Abs
2 ZPO
Zuständigkeit des Landesarbeitsgerichts für die Entscheidung
über die sofortige Beschwerde gegen PKH-Entscheidung des
Landgerichts nach Verweisung - tarifliche Ausschlussfrist -
Rückzahlung einer Sozialplanabfindung)
Leitsatz
1. Nach einer Verweisung an das Arbeitsgericht ist für die Entscheidung über die sofortige
Beschwerde gegen eine Entscheidung des verweisenden Gerichts das Landesarbeitsgericht
zuständig. Der Rechtsstreit ist mit Rechtskraft der Verweisungsentscheidung bei dem
Arbeitsgericht so anhängig geworden, als ob er bei ihm von Anfang an anhängig gewesen
wäre. Die bisherigen Prozesshandlungen der Parteien und des Gerichts sind so zu behandeln,
als seien sie vor oder von dem Gericht vorgenommen worden, an das der Rechtsstreit
verwiesen worden ist. Das gilt jedoch nur, soweit das Verfahrensrecht des übernehmenden
Gerichts keine Besonderheiten aufweist. Im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe
sieht § 11a ArbGG eine solche Besonderheit vor. Das Arbeitsgericht war daher durch den
Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts nicht gebunden, sondern gehalten, jedenfalls
ergänzend die Voraussetzungen einer Bewilligung nach § 11a ArbGG zu prüfen.
2. Zur Erfolgsaussicht einer Klage des Arbeitgebers gegen eine sich in Verbraucherinsolvenz
befindende Arbeitnehmerin nach Auszahlung eines Teils einer Abfindung an diese
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin
vom 19. Mai 2008 – 14 O 90/08 – teilweise abgeändert.
Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für die Verteidigung gegen die Klage vom 6. März
2008 auch insoweit, als dies bisher nicht geschehen ist, mit Wirkung vom 15. April 2008
mit der Maßgabe bewilligt, dass keine eigenen Beiträge aus dem Einkommen oder
Vermögen zu zahlen sind. Zur Wahrnehmung ihrer Rechte wird ihr Rechtsanwalt U.
H.beigeordnet.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (Beklagte und Beschwerdeführerin) verteidigt sich gegen die
Inanspruchnahme auf Rückzahlung eines Betrages, der ihr durch die Klägerin ohne
Rechtsgrund gezahlt worden ist.
Sie war bei der Klägerin und deren Rechtsvorgängerin in der Zeit ab dem 25. Februar
1985 als Montiererin beschäftigt. Mit Schreiben vom 25. Februar 1985 teilte die
Rechtsvorgängerin der Klägerin der Antragstellerin Folgendes mit:
Am 5. März 2004 wurde über das Vermögen der Antragstellerin das Insolvenzverfahren
eröffnet. Im Rahmen der Aufgabe des Produktionsstandortes in Berlin ergab sich
zugunsten der Klägerin eine Sozialplanforderung in Höhe von 51.699,32 Euro
(abgerechnet am 20. März 2006, wobei die Abrechnung zwei Nettobeträge auswies,
wobei der eine mit „Überweisung Pfändung/ABT.“ gekennzeichnet und der andere zur
Überweisung an die Beklagte), die die Klägerin trotz Kenntnis der Insolvenzeröffnung in
Höhe von 14.625,93 Euro an die Beklagte zahlte. Die Beklagte gab den Betrag
umgehend aus. Mit Schreiben vom 27. März 2006 forderte der Treuhänder die Beklagte
zur Herausgabe des Geldes auf. Am 11. Januar 2007 erließ das Amtsgericht Tiergarten
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zur Herausgabe des Geldes auf. Am 11. Januar 2007 erließ das Amtsgericht Tiergarten
gegen die Beklagte einen Strafbefehl wegen Gläubigerbegünstigung. Außerdem
verklagte der Insolvenzverwalter die Klägerin vor dem Arbeitsgericht Berlin in dem
Verfahren 9 Ca 1513/07 auf Zahlung zur Insolvenzmasse. In dem Verfahren schlossen
die dortigen Parteien am 7. März 2007 einen Vergleich, wonach die Klägerin 15.250 Euro
(14.625,93 Euro zzgl. Zinsen) an den Insolvenzverwalter zu zahlen hatte. Der Klägerin
sind im Rahmen des Verfahrens Kosten in Höhe von 2.381,19 Euro entstanden. Im
Rahmen des vorliegenden Verfahrens nimmt die Klägerin die Beklagte auf Zahlung der
Summe dieser Beträge (17.631,19 Euro) in Anspruch. Die Klägerin beantragte zunächst
am 7. Dezember 2007 den Erlass eines Mahnbescheides und begründete nach dem
Widerspruch der Beklagten am 7. Januar 2008 die Klage mit am 10. März 2008 beim
Landgericht eingegangen Schriftsatz.
Unter den Parteien sind die Umstände (insbesondere Vorgespräche zwischen der
Beklagten und Mitarbeitern der Klägerin), unter denen es zur Auszahlung des Betrages
an die Beklagte kam, streitig. Nach der Darstellung der Beklagten gab es vor
Auszahlung des Abfindungsteilbetrages durch die Klägerin sowohl zwischen ihr und dem
Insolvenzverwalter als auch mit einem Mitarbeiter der Klägerin Gespräche über die
Frage, ob zu ihren Gunsten noch ein Restbetrag verbleibe. Ein Herr W. habe ihr (der
Beklagten) nach mehreren Anrufen mitgeteilt, dass zu ihren Gunsten noch ein Betrag in
Höhe von etwa 14.000 Euro verbleibe. Im Hinblick auf die entstandenen Kosten beruft
sich die Beklagte auf ein Mitverschulden der Klägerin. Außerdem sei eine Forderung
jedenfalls nach § 16 des Manteltarifvertrages für das metallverarbeitende Handwerk
Berlin vom 26. März 1986 (MTV Metallhandwerk) verfallen.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Ansprüche ergäben sich aus Delikt und
ungerechtfertigter Bereicherung. Sie beruft sich hinsichtlich der Ausschlussfristen darauf,
der Manteltarifvertrag für das Berliner Metallgewerbe vom 26. März 1986 finde keine
Anwendung, da „es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis handele“.
Das Landgericht Berlin hat mit Beschluss vom 19. Mai 2008 dem Antrag der Beklagten
auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe teilweise stattgegeben, soweit die Klägerin eine in
den Prozesskosten enthaltene Vergleichsgebühr geltend mache. Im Übrigen hat des den
Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der
Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger
Schädigung zu. Die Beklagte habe gewusst, dass sie nicht berechtigt gewesen sei, den
erhaltenen Betrag auszugeben. Außerdem habe sie nicht ausreichend dargelegt, wann
und wofür sie das Geld konkret ausgegeben habe. Auch die Kosten im Zusammenhang
mit dem Verfahren gegen den Verwalter könne die Klägerin ersetzt verlangen.
ausgenommen sei nur die Vergleichsgebühr.
Gegen diesen ihm am 21. Mai 2008 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit
Schriftsatz vom 26. Mai 2008 beim Landgericht sofortige Beschwerde eingelegt und
diese ergänzend damit begründet, dass etwaige Ansprüche nach § 16 MTV
Metallhandwerk Berlin verfallen seien. Mit Beschluss vom 16. Juni 2008 hat das
Landgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und ausgeführt, dass der MTV
Metallhandwerk Berlin auf den Anspruch nicht anwendbar sei. Außerdem habe die
Beklagte in der Klageerwiderung eingeräumt, dass sie gewusst habe, dass sie sämtliche
Beträge oberhalb der Pfändungsfreigrenze habe abgeben müssen. Ihr Ziel sei es
gewesen, einen Zugriff der Gläubiger auf den Geldbetrag zu verhindern.
Das Landgericht hat sich außerdem mit Beschluss vom 2. Juni 2008 für zuständig erklärt.
Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde war beim Kammergericht erfolgreich. Das
Kammergericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 15. September 2008 an das
Arbeitsgericht Berlin verwiesen, ohne über die sofortige Beschwerde gegen die PKH-
Ablehnung zu entscheiden. Zur Begründung des Verweisungsbeschlusses hat es
ausgeführt, die Weitergabe und der Verbrauch des an sie überwiesenen Geldes stehe in
einem kausalen und nicht nur zufälligen Verhältnis zum ehemaligen Arbeitsverhältnis
der Parteien, wobei die Klägerin durch Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen
Nebenpflichten (falsche Abrechnung und Auszahlung) zu dem Kausalverlauf beigetragen
habe.
II.
1. Die nach § 11a Abs. 3 ArbGG i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte sofortige
Beschwerde des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 78 Satz 1 ArbGG
i. V. m. §§ 127 Abs. 2 Satz 3, 569 ZPO).
2. Für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde ist das Landesarbeitsgericht
zuständig. Der Rechtsstreit ist mit Rechtskraft der Verweisungsentscheidung bei dem
Arbeitsgericht so anhängig geworden, als ob er bei ihm von Anfang an anhängig
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Arbeitsgericht so anhängig geworden, als ob er bei ihm von Anfang an anhängig
gewesen wäre. Die bisherigen Prozesshandlungen der Parteien und des Gerichts sind so
zu behandeln, als seien sie vor oder von dem Gericht vorgenommen worden, an das der
Rechtsstreit verwiesen worden ist. Das gilt jedoch nur, soweit das Verfahrensrecht des
übernehmenden Gerichts keine Besonderheiten aufweist. Im Rahmen der Bewilligung
von Prozesskostenhilfe sieht § 11a ArbGG eine solche Besonderheit vor. Das
Arbeitsgericht war daher durch den Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts nicht
gebunden, sondern gehalten, jedenfalls ergänzend die Voraussetzungen einer
Bewilligung nach § 11a ArbGG zu prüfen. Das ist hier nicht geschehen. Von einer
Rückgabe an das Arbeitsgericht ist aus Beschleunigungsgründen und aus den Gründen
zu 3) abgesehen worden.
3. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der Klägerin ist Prozesskostenhilfe
unbeschränkt zu bewilligen.
a) Nach § 114 Satz 1 ZPO ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung/Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint. Dabei dürfen wegen des verfassungsrechtlichen Gebots der
Rechtsschutzgleichheit – das Gebot der weitgehenden Angleichung der Situation
Bemittelter und Unbemittelter bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (BVerfG
14.12.2006 – 1 BvR 2236/06) – die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht
überspannt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der
Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens
treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der
Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern nur zugänglich machen.
Dem genügt das Gesetz, indem § 114 ZPO die Gewährung von Prozesskostenhilfe
bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussicht besteht, ohne dass der
Prozesserfolg schon gewiss sein muss (BVerfG 07.04.2000 – 1 BvR 81/00; 24.07.2002 – 2
BvR 2256/99).
b) Bei Anlegung dieses Prüfungsmaßstabes ist Prozesskostenhilfe für die Verteidigung
gegen die Klage zu bewilligen.
Die hinreichende Erfolgsaussicht ergibt sich hier bereits aus dem Umstand, dass
manches für den Verfall der geltend gemachten Beträge spricht. Jedenfalls ist die
insoweit durch die Beklagte vertretene Auffassung gut vertretbar. Dabei kann es
dahinstehen, ob der Manteltarifvertrag für das metallverarbeitende Handwerk Berlin vom
26. März 1986, allgemeinverbindlich seit dem 1. Januar 1987, oder der in dem Hinweis
der Rechtsvorgängerin der Klägerin vom 25. Februar 1985 in Bezug genommene und
damit an sich für den Inhalt des Arbeitsverhältnisses maßgebende Tarifvertrag für die
Berliner Metallindustrie Anwendung findet Beide Tarifverträge beinhalten etwa gleich
lautende Formulierungen.
In dem Manteltarifvertrag für das metallverarbeitende Handwerk Berlin vom 26. März
1986 heißt es unter § 16:
Nr. 14 des Manteltarifvertrages für die Arbeiter der Metallindustrie in Berlin und
Brandenburg (Tarifgebiet I) vom 10. Mai 1990 lautet:
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Sieht eine tarifliche Ausschlussfristenregelung die Formulierung „Ansprüche aus dem
Arbeitsverhältnis“ vor, ohne dass insoweit Einschränkungen vorgenommen worden sind,
fallen darunter nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
Sozialplanansprüche, insbesondere aber auch bereicherungsrechtliche Ansprüche.
Dabei können diese Ansprüche auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
entstehen, was zB. bei Sozialplanansprüchen nicht selten ist. Das Kammergericht hat
bereits darauf hingewiesen, dass die vermeintlichen Ansprüche der Klägerin ihre Wurzeln
im Arbeitsverhältnis der Parteien finden. Hier sind etwaige Ansprüche auf Rückzahlung
der Abfindung nach dem Sozialplan bereits im März 2006 – und damit auch im
unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis - entstanden. Es
kann daher dahinstehen – was dem Vortrag der Parteien bisher nicht zu entnehmen ist –
ob zu diesem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis noch bestanden hat. Die Ausschlussfristen
erfassen grds. alle geltend gemachten Ansprüche, auch hinsichtlich des Ersatzes der
Prozesskosten. Hinsichtlich der Haftung wegen Vorsatzes gibt es jedoch Schranken, die
wegen § 202 BGB jedenfalls seit dem 1.1.2003 zur Teilunwirksamkeit zu weit gehender
Ausschlussfristenregelungen führen (BAG 16.5.2007 - 8 AZR 709/06 - AP Nr. 5 zu § 611
BGB Mobbing = EzA § 611 BGB 2002 Persönlichkeitsrecht Nr. 6 = NZA 2007, 1154,
mwN). Die Beklagte hat Indizien vorgetragen, wonach fehlender Vorsatz nicht
ausgeschlossen werden kann. Darlegungs- und beweisbelastet für vorsätzliches Handeln
der Beklagten ist die Klägerin. Soweit die Klägerin ihre Forderung auf Kosten der
Prozessführung gegen den Insolvenzverwalter stützt, ist die Notwendigkeit der
Veranlassung der Kosten aus ihrem bisherigen Vortrag nicht erkennbar.
4. Auch die übrigen Bewilligungsvoraussetzungen liegen vor.
III.
Eine Beschwerdegebühr wird nicht erhoben; eine Kostenentscheidung ist nicht
veranlasst. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde, §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2
ArbGG liegen nicht vor.
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