Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 02.04.2017

LArbG Berlin-Brandenburg: vergleich, zeitliche kongruenz, vergütung, arbeitsgericht, zwangsvollstreckung, erfüllung, deckung, sozialleistung, einwendung, rechtskraftwirkung

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 26.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
26 Sa 2717/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 767 ZPO, § 794 Abs 1 Nr 1
ZPO, § 795 ZPO, § 114 S 1 ZPO,
§ 133 BGB
(Vollstreckungsgegenklage des Arbeitgebers gegen Anspruch
aus Prozessvergleich - Forderungsübergang nach § 115 SGB X -
kein Wille des Arbeitgebers zur Doppelzahlung)
Leitsatz
1. Die Einwendung des Forderungsübergangs nach § 115 SGB X kann mit der
Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO auch dann noch nach Abschluss eines Vergleichs
erhoben werden, wenn der Forderungsübergang bereits vor Vergleichsschluss erfolgt ist.
2. Ohne einen besonderen Hinweis im Vergleich führt im Falle der Titulierung der Vergütung
für bestimmte Zeiträume eine Auslegung nach §§ 133, 157 BGB regelmäßig dazu, dass dem
Arbeitnehmer nicht neben einer Erfüllung des nach § 115 SGB X übergegangenen Anspruchs
durch den Arbeitgeber zusätzlich auch noch eine Vergütung in gleicher Höhe zustehen soll (in
diesem Sinne bereits BAG 25. März 1992 - 5 AZR 254/91 - AP Nr. 12 zu § 117 AFG = NZA
1992, 1081 = EzA § 117 AFG Nr. 8, zu III 2 der Gründe mwN; LAG Mannheim 17. Januar 1978 -
7 Sa 130/77 - NJW 1978, 2055).
Tenor
1. Der Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
Berufungsverfahren 26 Sa 2717/09 wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich mit einer Vollstreckungsgegenklage gegen die Vollstreckung
des Beklagten aus einem gerichtlichen Vergleich.
Die Parteien schlossen am 12. Februar 2009 in dem Verfahren 11 Ca 17793/08 einen
Vergleich. Darin einigten sie sich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.
Dezember 2008. Außerdem verpflichtete sich die Klägerin zur Zahlung des
Arbeitsentgelts des Beklagten für den Monat Dezember 2008 in Höhe von 1.664 Euro
brutto bis zum 28. Februar 2009. Mit Schreiben vom 25. Februar 2009 forderte das
Jobcenter Neukölln die Klägerin auf, die Lohnzahlung für den Monat Dezember 2008
angesichts für Januar 2009 im Voraus erbrachter Leistungen in Höhe von 770,42 Euro
auf eines seiner Konten zu überweisen. Die Klägerin errechnete für den Monat Dezember
2008 einen Nettobetrag in Höhe von 1.315,80 Euro. 770,42 Euro überwies sie an das
Jobcenter und 545,38 Euro dem Beklagten. Abgaben führte sie ab. Am 2. März 2009
erteilte das Arbeitsgericht dem Beklagten antragsgemäß eine vollstreckbare
Ausfertigung des Vergleichs. Der Beklagte kam der Aufforderung der Klägerin nicht nach,
den Vollstreckungstitel herauszugeben. Vielmehr ließ er durch seinen
Prozessbevollmächtigten die Vollstreckung einleiten und einen Gerichtsvollzieher mit der
Einziehung des titulierten Betrages beauftragen. Der Gerichtsvollzieher lehnte nach
Rücksprache mit der Klägerin die Vollstreckung zunächst ab. Die Erinnerung des
Beklagten wies das Amtsgericht am 22. September 2009 zurück. Am 24. September
2009 stellte das Arbeitsgericht die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich vorläufig ein.
Am 9. Oktober 2009 hob das Landgericht Frankfurt (Oder) den Beschluss des
Amtsgerichts Straußberg vom 22. September 2009 auf und wies den Gerichtsvollzieher
an, die Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin antragsgemäß fortzusetzen, soweit er
sie wegen einer Zahlung von 770,42 Euro durch die Klägerin an das Jobcenter eingestellt
hatte. Es verwies die Klägerin zugleich auf den Weg der Vollstreckungsgegenklage.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die im Vergleich vom 12. Februar 2009 titulierte
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Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die im Vergleich vom 12. Februar 2009 titulierte
Forderung sei erloschen.
Sie hat beantragt,
die Vollstreckung aus dem Vergleich des Arbeitsgerichts Berlin von 12. Februar
2009, Geschäftszeichen 11 Ca 17793, vollstreckbare Ausfertigung vom 2. März 2009,
wird für unzulässig erklärt.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er meint, die Forderung sei nicht in
Höhe von 770,42 Euro erloschen. Das Jobcenter habe ihm für den Monat Dezember
2008 bereits anderweitiges Einkommen angerechnet, weshalb ihm für diesen Monat
lediglich 254,90 Euro ausgezahlt worden seien, was insoweit unstreitig ist.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und das damit begründet, es komme auf
die Anrechung des Einkommens des Beklagten auf die für den Monat Dezember 2008
errechneten Leistungen durch das Jobcenter nicht an. Maßgeblich sei vielmehr, dass das
Jobcenter die Leistungen für den Monat Januar 2009 nicht hätte erbringen müssen, wenn
die Klägerin die Zahlung für den Monat Dezember 2008 zum Fälligkeitszeitpunkt
geleistet hätte.
Der Beklagte hat gegen das Urteil vom 3. Dezember 2009 mit einem beim
Landesarbeitsgericht Berlin am 14. Dezember 2009 eingegangen Schreiben „Einspruch
erhoben“ und insbesondere auf einen Widerspruch zu dem Beschluss des Landgerichts
Frankfurt (Oder) hingewiesen. Nach dem Hinweis des Vorsitzenden auf das sich aus der
Rechtsmittelbelehrung ergebende Vertretungserfordernis hat der Beklagte mit einem
am 27. Dezember 2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz
„Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Zuordnung eines Rechtsanwalts
(Anwaltszwang)“ beantragt.
II.
Die Voraussetzungen des § 114 Satz 1 ZPO für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe
liegen nicht vor. Die Rechtsverfolgung hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1) Nach § 114 Satz 1 ZPO ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Dabei dürfen wegen des verfassungsrechtlichen Gebots der Rechtsschutzgleichheit –
das Gebot der weitgehenden Angleichung der Situation Bemittelter und Unbemittelter
bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfG 14.12.2006 – 1 BvR 2236/06 -
NJW-RR 2007, 649) – die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden.
Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das
Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des
Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den
Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern nur
zugänglich machen. Dem genügt das Gesetz, indem § 114 ZPO die Gewährung von
Prozesskostenhilfe bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussicht besteht,
ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss (vgl. BVerfG 24.07.2002 – 2 BvR
2256/99 – NJW 2003, 576, zu B I 1 der Gründe).
2) Auch bei Anlegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs steht dem Kläger
Prozesskostenhilfe nicht zu. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg.
a) Die Klage, gegen die sich der Beklagte wendet, ist nach §§ 767, 794 Abs. 1 Nr. 1, 795
ZPO als Vollstreckungsgegenklage zulässig. Mit dem Forderungsübergang und der
Erfüllung der Forderung macht die Klägerin materiell-rechtliche Einwendungen geltend.
b) Die Klage ist auch begründet. Der durch den Vergleich vom 12. Februar 2009 titulierte
Anspruch auf die Vergütung für den Monat Dezember 2008 ist erloschen. Der
Arbeitgeber erfüllt die Verbindlichkeit aus einer Vergütungsforderung, indem er die
Abgaben abführt und den Nettobetrag auszahlt. Insoweit besteht unter den Parteien
kein Streit darüber, dass die Klägerin der Abgabenpflicht nachgekommen ist. Der
Beklagte bestreitet auch nicht, einen Nettobetrag in Höhe von 545,38 Euro ausgezahlt
bekommen zu haben. Der restliche Betrag in Höhe von 770,42 Euro steht dem
Beklagten wegen eines Anspruchsübergangs nach §§ 33 Abs. 5 SGB II, 115 SGB X nicht
zu, auf den sich die Klägerin im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage auch noch
berufen kann.
aa) Die Klägerin ist mit der Einwendung des Forderungsübergangs nicht ausgeschlossen,
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aa) Die Klägerin ist mit der Einwendung des Forderungsübergangs nicht ausgeschlossen,
obwohl dieser mit Auszahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und
damit vor Abschluss des Vergleichs erfolgt war. Die zeitliche Beschränkung zulässiger
Einwendungen nach § 767 Abs. 2 ZPO gilt nicht für Einwendungen gegen den Anspruch
aus einem Prozessvergleich. Sinn und Zweck des § 767 Abs. 2 ZPO liegen darin, die
Rechtskraftwirkung des Urteils zu sichern. Eine diesem Sinn und Zweck „entsprechende”
Anwendung auf den Prozessvergleich ist nicht möglich, weil ihm keine Rechtskraftwirkung
zukommt. Er steht insoweit vielmehr der vollstreckbaren Urkunde gleich, bei der die
Anwendung des § 767 Abs. 2 ZPO durch § 797 Abs. 4 ZPO ausdrücklich ausgeschlossen
worden ist (vgl. BAG 9. Oktober 1996 - 5 AZR 246/95 - NZA 1997, 376, zu 4 der Gründe;
BGH 4. November 1976 - VII ZR 6/76 - NJW 1977, 583, zu I 2 der Gründe; 14. Mai 1987 -
BLw 5/86 (Oldenburg) - NJW-RR 1987, 1022, zu II 3 b der Gründe; 18. November 1993 - IX
ZR 244/92 - NJW 1994, 460, zu B II 2 e der Gründe).
bb) Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn das Arbeitsgericht den Vergleich im Ergebnis
nach §§ 133, 157 BGB dahin ausgelegt hat, dass dem Beklagten nicht ungeachtet eines
Anspruchsübergangs noch ein Betrag in Höhe der übergegangenen Forderung zustehen
sollte. Es kann ohne besonderen Hinweis im Vergleich kein Wille des Arbeitgebers
angenommen werden, neben der Erfüllung des übergegangenen Anspruchs auch noch
dem Arbeitnehmer eine zusätzliche Vergütung in gleicher Höhe zahlen zu wollen (in
diesem Sinne auch BAG 25. März 1992 - 5 AZR 254/91 - AP Nr. 12 zu § 117 AFG = NZA
1992, 1081 = EzA § 117 AFG Nr. 8, zu III 2 der Gründe mwN; LAG Mannheim 17. Januar
1978 – 7 Sa 130/77 – NJW 1978, 2055). Das meint auch der Beklagte nicht. Er beruft sich
vielmehr darauf, dass die Sozialleistung für den Monat Januar 2009 aus seiner Sicht nicht
auf die Vergütung für den Monat Dezember 2008 hätte angerechnet werden dürfen,
zumal die Sozialleistung für den Monat Dezember bereits aufgrund anderweitiger
Einnahmen in diesem Monat gekürzt worden sei.
cc) Aber auch insoweit sind die Annahmen des Arbeitsgerichts nicht zu beanstanden.
Das ergibt sich aus § 115 SGB X, § 33 SGB II. Für erbrachte Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts gilt nach § 33 Abs. 5 SGB II, dass die Bestimmung des § 115 SGB
X der Vorschrift des § 33 SGB II vorgeht. Soweit der Arbeitgeber den Anspruch des
Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger
Sozialleistungen erbracht hat, geht danach der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den
Arbeitgeber auf den Leistungsträger bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen über.
Der Anspruchsübergang nach § 115 SGB X setzt lediglich voraus, dass der Arbeitgeber
unberechtigterweise seiner Leistungspflicht nicht nachgekommen und der
Sozialleistungsträger berechtigterweise mit eigenen Leistungen eingetreten ist. Zweck
der Vorschrift ist es, dem Sozialleistungsträger die Leistungen zurückzuerstatten, die
nicht angefallen wären, wenn der Arbeitgeber seiner Leistungspflicht rechtzeitig
nachgekommen wäre. Voraussetzung ist also eine Kumulation von Ansprüchen in der
Person des Leistungsempfängers derart, dass für die Befriedigung eines identischen
Interesses ein Sozialleistungsträger und ein Arbeitgeber verpflichtet sind. Die
Bestimmung verlangt somit eine zeitliche Kongruenz dergestalt, dass die Sozialleistung
tatsächlich an die Stelle des Arbeitsentgelts getreten ist. Dabei kommt es schon nach
dem Wortlaut des § 115 SGB X im Bereich der Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nicht auf eine völlige zeitliche Deckung zwischen dem
arbeitsrechtlichen Vergütungszeitraum und dem sozialhilferechtlichen
Leistungszeitraum an. Entscheidend ist vielmehr, für welchen jeweiligen Zeitraum die
Leistungen des Arbeitgebers und die des Trägers der Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts im sozialrechtlichen Sinne zur Deckung des Lebensunterhalts
bestimmt sind. Das folgt auch aus den wesentlichen Grundsätzen des SGB II. Da
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts grundsätzlich nicht für vergangene
Zeiträume gewährt werden, werden sie für den jeweiligen Hilfezeitraum im Voraus
erbracht (vgl. BAG 26.05.1993 - 5 AZR 405/92 - AP Nr. 3 zu § 115 SGB X = EzA § 115
SGB X Nr. 2, zu 2 der Gründe).
Insoweit ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts für den Monat Januar 2009 im Voraus an den Beklagten entrichtet
wurden, wie dem vorgelegten Bescheid vom 30. Dezember 2008 zu entnehmen ist. Die
Vergütung für den Monat Dezember hingegen war nach § 614 BGB zum Ende des
Monats Dezember 2008 fällig. Hätte die Klägerin diese Vergütung rechtzeitig an den
Beklagten entrichtet, hätte sie diesem in dem Hilfezeitraum Januar 2009 zur Deckung
seines Lebensunterhalts zur Verfügung gestanden. Bedürftigkeit hätte dann im
Bedarfszeitraum Januar 2009 nicht vorgelegen, und der Beklagte hätte keinen Anspruch
auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe der 770,42
Euro gehabt.
3) Soweit der Beklagte auf einen vermeintlichen Widerspruch zu der Entscheidung des
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3) Soweit der Beklagte auf einen vermeintlichen Widerspruch zu der Entscheidung des
Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 9. Oktober 2009 hinweist, mit der dieses den
Beschluss des Amtsgerichts Straußberg vom 22. September 2009 aufgehoben und den
Gerichtsvollzieher angewiesen hat, die Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin
antragsgemäß fortzusetzen, besteht dieser nur scheinbar. Das Landgericht hatte über
eine andere Rechtsfrage zu entscheiden. Erfüllung und Forderungsübergang konnte die
Klägerin in dem dortigen Verfahren nicht erfolgreich einwenden. Dazu bedurfte es der
vorliegenden Vollstreckungsgegenklage. Allerdings hätte das Landgericht nach der am
24. September 2009 erfolgten Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das
Arbeitsgericht Berlin den Gerichtsvollzieher nicht mehr anweisen dürfen, die
Vollstreckung fortzusetzen. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich, dass es zu der
Entscheidung nur aufgrund einer Unkenntnis über die bereits im vorliegenden Verfahren
erfolgte Einstellung der Zwangsvollstreckung gekommen ist. Diese wiederum kann nur
darauf zurückzuführen sein, dass der Beklagte das Verfahren vor dem Landgericht auch
nach der Einstellung der Zwangsvollstreckung weiterbetrieben hat, ohne auf die
Einstellung durch das Arbeitsgericht hinzuweisen.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
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