Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 21.10.2009

LArbG Berlin-Brandenburg: ordentliche kündigung, betriebsrat, verdachtskündigung, anhörung, kopie, diebstahl, arbeitsgericht, gespräch, betriebsordnung, abend

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 13.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 Sa 2621/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 626 Abs 1 BGB
Außerordentliche Kündigung wegen des Verdachts des
Diebstahls von Metallhalbschalen
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder)
vom 21.10.2009 - 6 Ca 221/09 - abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits bei einem Streitwert von 8219,12 Euro in
der II. Instanz.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der zweiten Instanz noch um die Wirksamkeit einer
außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung wegen eines Diebstahls bzw. eines
Diebstahlverdachts von 4 Messinghalbschalen im Gesamtschrottwert von 409,20 € bzw.
einer Rohrzange im Wert von 80,65 € sowie um die Weiterbeschäftigung des Klägers. Der
Kläger ist rechtskräftig wegen einer Fundunterschlagung der 4 Messinghalbschalen zu
einer Geldstrafe verurteilt worden (vgl. das Urteil des Amtsgerichts E. vom 15.
September 2009 Bl. 150 ff d. A.).
Der am …… 1969 geborene Kläger, der 2 Kindern unterhaltspflichtig ist, war mit einer ab
dem 01. Januar 1995 zu berücksichtigenden Betriebszugehörigkeit ausweislich des
schriftlichen Arbeitsvertrages vom 01. Dezember 2004 (vgl. den Arbeitsvertrag Bl. 25 -
28 d. A. in Kopie) bei der Beklagten als erster Betriebsschlosser bei einer
Bruttomonatsvergütung von 2.054,78 € beschäftigt. Bei der Beklagten besteht ein
Betriebsrat. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Vollzeitarbeitnehmer mit
Ausnahme der Auszubildenden.
Am Freitag, dem 09. Januar 2009, hielt sich der Kläger außerhalb seiner regulären
Arbeitszeit abends auf dem Betriebsgelände der Beklagten auf. Er passierte nach den
Daten der elektronischen Zutrittskontrolle mittels seines Dienstausweises um 20.37 Uhr
das Tor Sinteranlage, um das Betriebsgelände zu befahren, und verließ es wieder um
20.49 Uhr.
Am Montag, dem 12. Januar 2009, stellte der Schichtleiter der Beklagten während der
Frühschicht fest, dass Material in Form von 4 Messinghalbschalen à ca. 80 Kilogramm
aus dem Bestand fehlte.
Dies nahm die Beklagte zum Anlass, am 12. Januar 2009 über ihren Werkschutz die
zuständige Kriminalpolizei zu informieren und Anzeige zu erstatten. Im Rahmen der
daraufhin eingeleiteten polizeilichen Ermittlungen wurde aus den Betriebsunterlagen der
in E. ansässigen Firma T. S. GmbH (Schrotthandel) bekannt, dass der Kläger an diese
am 12. Januar 2009 4 Messinghalbschalen zu einem Erlös in Höhe von insgesamt 409,20
€ veräußert hatte. Eine Besichtigung des Materials durch Vertreter der Beklagten ergab,
dass es sich hierbei um im Eigentum der Beklagten stehendes Material handelte.
Am 13. Januar 2009 erhielt der Kläger eine polizeiliche Vorladung für den 16. Januar
2009. Im Verlauf der Vernehmung wurde ihm eröffnet, dass er unter dem Verdacht
stehe, die von ihm verkauften und im Eigentum der Beklagten stehenden
Messinghalbschalen zum Nachteil der Beklagten von deren Betriebsgelände entwendet
zu haben. Diesen Sachverhalt nahm der Kläger zum Anlass, noch am 16. Januar 2009 in
der Personalabteilung der Beklagten vorstellig zu werden, um zu den erhobenen
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der Personalabteilung der Beklagten vorstellig zu werden, um zu den erhobenen
Vorwürfen Stellung zu nehmen. Im Verlauf dieses Gesprächs erklärt sich der Kläger
dahingehend, er habe sich bereits Ende November 2008 aus dem Betrieb der Beklagten
eine Rohrzange ausgeliehen, die er am Freitag, dem 09. Januar 2009, zurückgebracht
habe. Dies sei der Grund für seinen abendlichen Aufenthalt auf dem Betriebsgelände der
Beklagten zwischen 20.37 Uhr und 20.49 Uhr gewesen. Am Sonnabend, dem 10. Januar
2009, habe er mittags Besuch von einem Bekannten, Herrn D. K., bekommen, der mit
ihm über seine privaten Probleme habe sprechen wollen. Zu diesem Zweck sei man aus
der Stadt herausgefahren und habe sich schließlich entschieden, zunächst den
Baufortschritt der neuen Papierfabrik in Augenschein zu nehmen und dann noch an den
Kanal zu fahren. Als Herr K. dort in der Nähe des Werkzaunes außerhalb des
Betriebsgeländes der Beklagten zum Austreten zur Seite gegangen sei, sei er über die
mit Schnee bedeckten Messinghalbschalen gestolpert. Nach einigem Überlegen und da
sie die Messingschalen keinem Eigentümer hätten zuordnen können, hätten sich beide
entschieden, die 4 Messinghalbschalen in den PKW des Klägers zu laden und an dem
darauf folgenden Montag beim Schrotthändler „abzugeben“ (vgl. dazu die von Herrn K.
unterzeichnete Erklärung vom 02. Februar 2009 in Kopie Bl. 70 d. A.).
Mit Schreiben vom 21. Januar 2009, dem Kläger am 22. Januar 2009 zugegangen,
kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß
zum Ablauf des 30. Juni 2009.
Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 10. Februar 2009 beim Arbeitsgericht
Frankfurt/Oder eingegangenen und der Beklagten am 16. Februar 2009 zugestellten
Klage gewandt und die Betriebsratsanhörung mit Nichtwissen bestritten. Die Beklagte
hat auf die schriftliche Betriebsratsanhörung vom 20. Januar 2009 (Bl. 57 f. d. A. in
Kopie) nebst vorbereitetem Kündigungsschreiben vom 20. Januar 2009 (vgl. das
Schreiben in Kopie Bl. 84 f. d. A.) sowie auf die Erwiderung des Betriebsrats vom 21.
Januar 2009 („der Betriebsrat widerspricht der Kündigung nicht fristlos x fristgemäß x“ Bl.
59 d. A.), worauf die Beklagte das Kündigungsschreiben vom 21. Januar 2009 gefertigt
und am 22. Januar 2009 um 14.05 Uhr in den Briefkasten des Klägers geworfen habe.
Das Arbeitsgericht Frankfurt/Oder hat mit Urteil vom 21. Oktober 2009 festgestellt, dass
das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch
durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Januar 2009 aufgelöst worden
sei, und hat die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Kündigungsrechtsstreits verurteilt. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt, dass das „Entleihen“ der Rohrzange keine außerordentliche
Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter dem Gesichtspunkt des erwiesenen Diebstahls
sei. Selbst bei zutreffender Einlassung des Klägers stellt das Verhalten des Klägers nur
den einmaligen Verstoß gegen die Vorschriften der Betriebsordnung dar, wonach es nur
gegen Ausfüllen eines Entnahmescheins und Genehmigung erlaubt sei, Gegenstände
aus dem Betrieb mitzunehmen. Dieser einmalige Verstoß würde nicht derartig
schwerwiegend, dass er schon die Qualität eines wichtigen Grundes i. S. v. § 626 Abs. 1
BGB aufwiese. Die Verletzung der Arbeitsordnung durch den Kläger stelle aber auch
nicht eine derartig gravierende Pflichtverletzung dar, dass - ausnahmsweise - der
Ausspruch einer - hier nicht erfolgten - Abmahnung entbehrlich gewesen wäre.
Hätte der Kläger bei seiner Sachverhaltsdarstellung aber gelogen, hätte er auch nach
der Behauptung der Beklagten die Rohrzange nicht gestohlen.
Auch der behauptete Diebstahlsverdacht wegen der hier 4 entwendeten
Messinghalbschalen könne weder eine außerordentliche noch eine ordentliche
Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Auch wenn das Verhalten des Klägers,
am Freitag, dem 09. Januar 2009, außerhalb seiner regulären Arbeitszeit um 20.37 Uhr
auf das Werksgelände zu fahren, um angeblich eine Rohrzange zurückzubringen, in
Verbindung mit dem unstreitigen Verkauf der Messinghalbschalen am Montag, dem 12.
Januar 2009, an einen Schrotthändler, verdächtig erscheine, verdichteten sich diese
Verdachtsmomente zur Überzeugung der Kammer noch nicht zu dem im Rahmen einer
Verdachtskündigung erforderlichen dringenden schwerwiegenden Verdacht, dass der
Kläger am Abend des 09. Januar 2009 die 4 Messinghalbschalen mittels seines PKW
tatsächlich vom Betriebsgelände der Beklagten entwendet habe. Dabei könne offen
bleiben, ob die Eigeninitiative des Klägers zu dem am 16. Januar 2009 geführten
Personalgespräch den Anforderungen der Rechtsprechung an eine vorherige Anhörung
des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer (außerordentlichen) Verdachtskündigung
genüge oder ob diesbezüglich nicht der Arbeitgeber von sich aus hätte aktiv werden
müssen. Denn darauf komme es streitentscheidend nicht an. Selbst wenn hierdurch
dem Anhörungserfordernis als Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung
genüge getan worden wäre, so hätte die Beklagte nicht genügend Indizien
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genüge getan worden wäre, so hätte die Beklagte nicht genügend Indizien
zusammengetragen, um ihren gegen den Kläger erhobenen Verdacht des Diebstahls
am Abend des 09. Januar 2009 als dringend erscheinen zu lassen. Solange die Beklagte
nicht die Zeitspanne zwischen der Frühschicht am 09. Januar 2009 und dem Befahren
des Betriebsgeländes durch den Kläger am Abend dieses Tages um 20.37 Uhr nach dem
Ausschlussprinzip dergestalt zu schließen vermöge, dass zumindest über Indizien der
Schluss gerechtfertigt sei, um 20.37 Uhr seien die 4 abhanden gekommenen
Messinghalbschalen noch auf dem Werksgelände vorhanden gewesen, seien die aus
Sicht der Kammer durchaus gegebenen Verdachtsmomente gegen den Kläger noch
nicht stark genug, um die streitbefangene außerordentliche Kündigung unter dem
Gesichtspunkt des bloßen Diebstahlverdachts rechtfertigen zu können.
Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Sachvortrags
der Parteien erster Instanz wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt/Oder vom 21.
Oktober 2009 Bl. 90 - 109 d. A. verwiesen.
Gegen dieses ihr am 13. November 2009 zugestellte Urteil richtet sich die beim
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am 30. November 2009 eingegangene und am
27. Januar 2010 nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 31. Januar
2010 begründete Berufung der Beklagten. Sie greift das Urteil des Arbeitsgerichts
Frankfurt/Oder konkret an. Nach der eigenen Behauptung des Klägers habe dieser eine
Rohrzange im Wert von 80,65 € im November 2008 angeeignet. Er habe sich diese
Rohrzange nicht „entliehen“, sondern den Gewahrsam der Beklagten, der durch die in
der Betriebsordnung beschriebenen Sicherungsmaßnahmen geschützt werden sollte,
gebrochen. Die Beklagte mache sich diesen Vortrag des Klägers als „gleichwertiges
Parteivorbringen“ zu Eigen. Sie glaube ihm jedoch nicht, dass er diese Rohrzange am
09. Januar 2009 zurückgegeben habe, da die aufgefundene Rohrzange verstaubt
gewesen sei.
Die außerordentliche Kündigung sei aber auch zumindest wegen des Verdachts des
Diebstahls der 4 Messinghalbschalen gerechtfertigt. Die Einlassung des Klägers zu den
Geschehnissen in der Zeit vom 09. Januar 2009 (mittags seien die Schalen noch im
Betrieb gewesen, abends sei der Kläger außerhalb seiner Dienstzeit auf das
Werksgelände gefahren) bis hin zum 12. Januar 2009 (Verkauf der Halbschalen an den
Schrotthändler) seien entweder nicht glaubhaft oder widerlegt worden. Der Kläger sei vor
der Kündigung zu den Verdachtsmomenten angehört worden, der Betriebsrat sei
ebenfalls sowohl schriftlich als auch zusätzlich mündlich zu der beabsichtigten Kündigung
wegen des Diebstahlverdachts von Rohrzange und/oder Messinghalbschalen angehört
worden.
Die Beklagte beantragt,
das am 21. Oktober 2009 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt/Oder -
6 Ca 221/09 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und verweist darauf, dass die Beklagte
selbst in der Betriebsratsanhörung nicht von einem Diebstahl, sondern von einer nicht
genehmigten Ausleihe der Rohrzange ausgehe, so dass sie nunmehr nicht wegen des
Diebstahls der Rohrzange kündigen könne. Die Beklagte habe durch die Beifügung eines
Fotos selbst sehr anschaulich gemacht, dass die Verbringung und der Transport der 4
Messinghalbschalen in bzw. mit einem Kraftfahrzeug von einer einzelnen Person, in
einem zeitlichen Rahmen von 12 Minuten, überhaupt nicht habe realisiert werden
können, da eine Halbschale allein schon ca. 80 Kilo wiege. Bereits erstinstanzlich sei
vorgetragen worden, dass der Berufungsbeklagte auch wegen an der Wirbelsäule
bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen überhaupt gar nicht dazu in der Lage
gewesen wäre.
Wegen des weiteren konkreten Vortrags der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die
Schriftsätze der Beklagten vom 25. Januar 2010 (Bl. 120 ff d. A.) und des Klägers vom
01. März 2010 (Bl. 147 ff d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die gem. §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe b, Abs. 6; 66 Abs. 1 S. 1 und S. 5
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Die gem. §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe b, Abs. 6; 66 Abs. 1 S. 1 und S. 5
ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist auch formgerecht und
fristgemäß eingelegt und begründet worden.
II.
Die Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg. Das Urteil des Arbeitsgerichts
Frankfurt/Oder war abzuändern und die Klage abzuweisen, da das Arbeitsverhältnis der
Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 21. Januar 2009 zum 22. Januar
2009 aufgelöst worden ist. Die außerordentliche Kündigung vom 21. Januar 2009 ist
gem. § 626 Abs. 1 BGB wegen des Diebstahlverdachts bezüglich der 4
Messinghalbschalen im Schrottwert von 409,20 € gerechtfertigt und gem. § 626 Abs. 2
BGB innerhalb der 2-Wochen-Frist nach der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung
ausgesprochen worden. Es kommt damit auf den weiteren Vorwurf des begangenen
Diebstahls der Messinghalbschalen und einer Rohrzange im Wert von 80,65 € nicht an.
1.
a) Wie das Arbeitsgericht insofern zutreffend ausgeführt hat, kann nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht nur eine erhebliche Vertragsverletzung
wie zum Beispiel ein Diebstahl, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer
strafbaren Handlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i. S. v. §
626 Abs. 1 BGB darstellen. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der
Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht
erwiesenen) strafbaren Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
erforderliche Vertrauen zerstört. Eine Verdachtskündigung ist nur dann zulässig, wenn
sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die
Verdachtsmomente geeignet sind, dass für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren
Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem
Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Dabei ist die vorherige
Anhörung des Arbeitnehmers Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung. Die
Kündigung verstieße anderenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie
wäre nicht ultima ratio (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. nur
BAG 23.06.2009 - 2 AZR 474/07 - EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung, zu
Rz 51 m. w. N. aus der Rechtsprechung).
b) Diese Voraussetzungen der Verdachtskündigung sind vorliegend erfüllt.
aa) Die Beklagte hat vorliegend die Kündigung vom 21. Januar 2009 ausweislich des
Kündigungsschreibens auch wegen des Diebstahlverdachts ausgesprochen (vgl. dazu
das Kündigungsschreiben in Kopie Bl. 7 - 8 d. A.).
bb) Es liegen starke Verdachtsmomente für einen Diebstahl vor, die sich auf objektive
Tatsachen gründen:
(1) Am Freitag, dem 09. Januar 2009, gegen Mittag waren die Messinghalbschalen noch
an ihrem Lagerplatz in der Halle Mechanische Werkstatt Sinteranlage im Betrieb der
Beklagten. Der Kläger hat diese mehrfach aufgestellte Behauptung der Beklagten unter
Zeugenbeweisantritt weder in der ersten noch in der zweiten Instanz bestritten. Sie gilt
gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.
(2) Am 09. Januar 2009 fuhr der Kläger um 20.37 Uhr durch das Tor Sinteranlage,
welches sich nur 300 Meter von der Halle mit den Messinghalbschalen entfernt befindet,
auf das Werksgelände und verließ um 20.49 Uhr das Werksgelände wieder mit seinem
Ausweis.
(3) Am Montag, dem 12. Januar 2009 bemerkte die Beklagte den Verlust der
Halbschalen und erstattete Anzeige.
(4) Im Rahmen der polizeilichen Ermittlung wurde aus den Unterlagen des
Schrotthändlers S. bekannt, dass der Kläger am 12. Januar 2009 die Messinghalbschalen
an den Schrotthändler verkauft hat. Eine Besichtigung des Materials ergab, dass es sich
um die entwendeten Messinghalbschalen handelte.
cc) Sämtliche Einwendungen, die der Kläger zu seiner Entlastung in der Anhörung und im
vorliegenden Prozess vorgebracht hat, sind entweder unglaubhaft, widerlegt worden oder
lebensfremd.
(1) Die Behauptung, dass der Kläger am 09. Januar 2009 um 20.37 Uhr eine Rohrzange
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(1) Die Behauptung, dass der Kläger am 09. Januar 2009 um 20.37 Uhr eine Rohrzange
zurückgebracht habe, die er sich im November 2008 gegen die Vorschriften der
Betriebsordnung unbefugt „entliehen“ habe, glaubt die Kammer dem Kläger nach dem
gesamten Akteninhalt und der mündlichen Verhandlung vom 12. März 2009 gem. § 286
Abs. 1 ZPO nicht. Die Zange, die die Mitarbeiter in dem vom Kläger bezeichneten
Schrank des Gebäudes fanden, aus dem die Messinghalbschalen entwendet wurden, war
mit Blick auf den erheblichen Verstaubungsgrad lange Zeit nicht benutzt bzw. berührt
worden. Der Kläger hat diese Behauptung der Beklagten im Schriftsatz vom 08. April
2009, S. 4 (Bl. 48 d. A.) nicht bestritten, sie gilt als zugestanden gem. § 138 Abs. 3 ZPO.
Dass der Kläger trotzt des Verbots in Ziff. 7.4 der Arbeitsordnung - Aufenthalt im Werk
(zum Wortlaut der Ziff. 7.4 vergl. den Schriftsatz vom 25.01.2010, S. 7, Bl. 126 d. A.) -,
auf welche er noch im Herbst 2008 im Rahmen einer Belehrung hingewiesen wurde (vgl.
den Nachweis der Unterrichtung Bl. 64 d. A., Anl. 9 zum Schriftsatz der Beklagten vom
08.04.2009), außerhalb seiner Arbeitszeit am Freitagabend ins Werk gefahren sein will,
um eine Zange zurückzubringen, ist ebenfalls unglaubhaft. Es wäre viel
unproblematischer gewesen, die Zange zum Schichtbeginn mitzubringen und dann
wieder in den Schrank zu packen.
(2) Die Behauptung, dass er an einem Bandscheibenproblem leidende Kläger die je ca.
80 Kilogramm wiegenden Metallteile nicht habe allein in 12 Minuten in sein Auto habe
laden können, glaubt ihm das Gericht. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Kläger sie
nicht gestohlen hat. Denn auch nach der Behauptung des Klägers hat er zusammen mit
seinem Bekannten die Metallteile vom Zaun des E.-Werks zu seinem Auto getragen.
Wenn der Kläger dazu in der Lage war, dann war er auch in der Lage, die Metallteile
zusammen mit seinem Bekannten auf dem Werksgelände einzuladen. Dass der Kläger
nur alleine auf dem Werksgelände war, wird durch die Torkontrolle nicht bestätigt, die
lediglich die Zugangskarte des Klägers elektronisch prüft (s. Anl. 6 zum Schriftsatz vom
08.04.2009, Bl. 61 d. A.).
(3) Die Einlassung des Klägers, wie er an die Messinghalbschalen gelangt sei, ist
ebenfalls unglaubhaft und teilweise unwahr. Allein die Schilderung des Geschehens in der
Erklärung des später mitverurteilten Herrn K. trägt märchenhafte Züge. Sie belegt aber,
dass diese Erklärung vom Kläger dem mitverurteilten Herrn K. vorgelegt wurde und von
diesem unterschrieben wurde. Denn es ist anzunehmen, dass Herr K. weiß, wie sein
Nachname geschrieben wird, während der Kläger dies offensichtlich nicht wusste, da der
Nachname auf der Erklärung vom 02. Februar 2009 durchgestrichen ist und dann auch
noch falsch korrigiert wurden, nämlich in „Kr.“, während Herr K. mit „K.“ unterschrieben
hat.
(4) Die Messingteile können auch nicht unter dem Schnee gelegen haben. Wie die
Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat, hat es in der Zeit vom 07. Januar 2009, 0.00
Uhr, bis 12. Januar 2009, 24.00 Uhr, in E. keinen Niederschlag gegeben, demzufolge
auch nicht geschneit (vgl. dazu den nicht bestrittenen Beweisantritt über die
Wetteraufzeichnungen der Firma F. im Schriftsatz vom 25.01.2010, S. 11, Bl. 130 d. A.).
(5) Dass der Kläger die Messingteile nicht der Beklagten zuordnen konnte, nimmt das
Gericht dem Kläger ebenfalls nicht ab. Zum einen hat auch insofern wieder
unwidersprochen und damit gem. § 138 Abs. 3 ZPO zugestanden die Beklagte unter
Beweisantritt vorgetragen, dass der Kläger oft Umgang mit den Lagerschalen hatte
(Schriftsatz vom 25.01.2010, S. 11, Bl. 130 d. A.). Zum anderen ist es absolut
lebensfremd anzunehmen, dass der Kläger als Betriebsschlosser des E.-Stahlwerks am
Zaun des Betriebsgeländes 4 Messingschalen findet und nicht auf die Idee kommt, dass
diese zum Eigentum der Beklagten gehören könnten, dem einzigen Arbeitgeber in der
näheren Umgebung, der diese Metalle in seinen Produktionsprozessen einsetzt (vgl.
auch hier wiederum den unwidersprochenen Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom
08.04.2009, S. 4, Bl. 48 d. A.).
(6) Endlich ist die Erklärung des Klägers vom 02. Februar 2009, die er nach Meinung des
Gerichts aufsetzte und von seinem Bekannten, Herrn K. unterschrieben ließ,
kriminalpsychologisch interessant und bestätigt den Gesamteindruck, den die Kammer
vom Geschehen gewonnen hat. Der Kläger lässt seinen Bekannten erklären, dass sich
die beiden Täter entschlossen hätten, die Messinghalbschalen in die „Garage zu bringen
und Montag beim Schrotthandel abzugeben“. Der Kläger verdrängt damit ersichtlich
seine Erkenntnis, dass er die Schalen, die ihm nicht gehörten, verkauft und damit
jedenfalls unterschlagen hat. In seinem Vortrag erster Instanz nimmt der Kläger genau
diese Version des „Abgebens“ wieder auf (s. Schriftsatz vom 18.05.2009, S. 3, Bl. 68 d.
A.).
dd) Der Kläger ist zu all diesen Verdachtsmomenten im Gespräch vom 16. Januar 2009
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dd) Der Kläger ist zu all diesen Verdachtsmomenten im Gespräch vom 16. Januar 2009
angehört worden. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Kläger von sich aus zu diesem
Gespräch auf die Beklagte zugegangen ist oder die Beklagte den Kläger zu einem
Gespräch geladen hat. Sinn der Anhörung vor einer Verdachtskündigung ist es gerade
dann, wenn der Arbeitnehmer wie hier aufgrund der kriminalpolizeilichen Ermittlungen
weiß, was ihm vorgeworfen wird, dem Arbeitnehmer Gelegenheit zum Vorbringen der
entlastenden Tatsachen und Gesichtspunkte zu geben (vgl. BAG 28.11.2007 - 5 AZR
952/06 - EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4). Dazu hatte der
Kläger am 16. Januar 2009 ausreichend Gelegenheit, die Beklagte hat die vom Kläger
vorgebrachten Entlastungsbehauptungen geprüft und für nicht glaubhaft gehalten bzw.
sogar als Eingeständnis eines weiteren Diebstahls der Rohrzange (vgl. dazu das dem
Betriebsrat als vorgesehene Kündigung verfasste Schreiben vom 20.01.2009, S. 1 Bl. 84
d. A., überreichte Anl. zum Anhörungsschreiben vom selben Tag).
c) Eine Abmahnung anstelle der Kündigung wegen des Verdachts eines Diebstahls von
Messinghalbschalen aus dem Werk der Beklagten mit einem Schrottverkaufswert von
über 400,00 € bedurfte es nicht. Der Arbeitnehmer muss in einem solchen Fall, der
vorliegend zu einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Unterschlagen führte, von
vornherein wissen, dass der Arbeitgeber ein derartiges Fehlverhalten nicht duldet und
missbilligt.
d) Endlich sind auch bei einer abschließenden Interessenabwägung keine Gründe
ersichtlich, die gegen die Wirksamkeit der Kündigung sprechen. Zwar ist der Kläger seit
dem 01. Januar 1995 im Betrieb der Beklagten tätig. Er ist 2 Kindern im Alter von 14 und
9 Jahren zum Unterhalt verpflichtet. Allerdings wiegt der Verdacht des Diebstahls und die
dabei gezeigte kriminelle Energie des Klägers, die angesichts des Gewichts der
Metallhalbschalen auch erhebliche körperliche Anstrengungen erforderte, diese
Umstände mehr als auf. Der Kläger hat im Übrigen einen anderen Arbeitsplatz
gefunden, auf dem er zumindest seit dem 15. Oktober 2009 arbeitet (vgl. die Schreiben
des Klägervertreters vom 15.10.2009, Bl. 80 d. A. sowie vom 04.03.2010, Bl. 154 d. A.).
2. Die Beklagte hat die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten, da sie erst am
12. Januar 2009 den Diebstahl bemerkte, am 13. Januar 2009 vom Verkauf der
Messinghalbschalen an den Schrotthändler erfuhr, am 16. Januar 2009 bereits den
Kläger anhörte und am 22. Januar 2009 die Kündigung dem Kläger zuging.
3. Die Beklagte hat den bei bestehenden Betriebsrat vor der beabsichtigten
Verdachtskündigung ordnungsgemäß gem. § 102 Abs. 1 BetrVG angehört.
a) Nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe für die
Kündigung mitzuteilen, das heißt der Arbeitgeber muss schriftlich oder mündlich den
Betriebsrat neben näheren Informationen über die Person des betroffenen
Arbeitnehmers die Art und den Zeitpunkt der Kündigung und die seiner Ansicht nach
maßgeblichen Kündigungsgründe mitteilen. Der für den Arbeitgeber maßgebende
Sachverhalt ist unter Angabe der Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss
hergeleitet wird, näher so zu beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene
Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu
prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden. Kommt der Arbeitgeber
diesen Anforderungen an seine Mitteilungspflicht nicht oder nicht richtig nach und
unterlaufen ihm insoweit bei der Durchführung der Anhörung Fehler, ist die Kündigung
unwirksam. Allerdings ist die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers subjektiv determiniert.
An sie sind nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungs- und
Beweislast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess. Es müssen dem Betriebsrat
also nicht alle objektiv kündigungsrechtlich erheblichen Tatsachen, sondern nur die vom
Arbeitgeber für die Kündigung als ausschlaggebend angesehenen Umstände mitgeteilt
werden (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. nur BAG 23.06.2009,
a. a. O., Rz 34 m. w. N. aus der Rechtsprechung).
b) Diesen Maßstäben genügt bereits die schriftliche Anhörung des Betriebsrats, wie sie
dem Gericht als Anl. 4 zum Schriftsatz vom 08. April 2009 eingereicht worden ist. Diese
Anhörung verweist auf das vorbereitete Kündigungsschreiben vom 20. Januar 2009,
welches ebenfalls dem Betriebsrat überreicht wurde (vgl. dazu das Kündigungsschreiben
vom 20.01.2009, Bl. 84 f. d. A.). Der Betriebsrat hat mit Schreiben vom 21. Januar 2009
der Kündigung ausdrücklich nicht widersprochen, so dass die Beklagte danach die
Kündigung aussprechen konnte. Nach dem Inhalt des Anhörungsschreibens und der
vorbereiteten Kündigung vom 20. Januar 2009 wird der Diebstahlsverdacht hinsichtlich
der 4 Messinghalbschalen mit seinen objektiven Tatsachen, den
Entlastungsbehauptungen des Klägers und der Wertung der Beklagten dem Betriebsrat
ausführlich mitgeteilt. Dies reicht aus.
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4.) Da das Arbeitsverhältnis zum 22. Januar 2009 durch die außerordentliche Kündigung
aufgelöst worden ist, bestand nach den Grundsätzen, die der Große Senat des
Bundesarbeitgerichts im Beschluss vom 27. Februar 1985 aufgestellt hat (vgl. BAG - GS
1/84 - BAGE 48,122) kein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers.
III.
Der Kläger trägt daher die Kosten des Rechtsstreits gem. § 91 Abs. 1 ZPO.
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Für eine Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
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