Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 19.11.2013

freiwillige leistung, arbeitsgericht, personenverkehr, übung

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 19.11.2013, 22 Sa 27/13
Erstattung von Weiterbildungssachkosten nach § 5 Berufskraftfahrer-
Qualifikationsgesetz - BKrFQG
Leitsätze
§ 15.2 des o.g. Manteltarifvertrages ist dahingehend auszulegen, dass
Lehrgangsgebühren nach dem BKrFQG vom Arbeitgeber zu tragen sind.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg -
Kammern Villingen-Schwenningen vom 16.05.2013, Az. 8 Ca 52/13 wird
zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Erstattung von Weiterbildungskosten.
2 Der 63-jährige Berufungsbeklagte (fortan Kläger) war mit Unterbrechungen lange
Jahre selbstständiger Handelsvertreter und arbeitete gelegentlich als Busfahrer.
Seit 2005 ist er bei der Berufungsklägerin (fortan Beklagten) gegen ein
Bruttostundenentgelt in Höhe von 15,31 EUR in Vollzeit als Busfahrer angestellt
und mittlerweile freigestellter stellvertretender Betriebsratsvorsitzender.
3 Die Beklagte betreibt die S. GmbH mit regelmäßig ca. 40 Busfahrern.
4 Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der zwischen dem
Arbeitgeberverband Verkehr Baden-Württemberg für den WBO Verband Baden-
Württ. Omnibusunternehmer e.V. und ver.di am 09.03.2012 abgeschlossene
Manteltarifvertrag für das private Omnibusgewerbe in Baden-Württemberg (fortan
MTV-nF) Anwendung. Der MTV-nF vom 09.03.2012 enthält auszugsweise
folgende Regelungen:
§ 15
5
Besondere Regelungen für das Fahrpersonal
6
15.1 Jeder Arbeitnehmer ist verpflichtet und hat dafür Sorge zu tragen, dass seine
Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung rechtzeitig beantragt und verlängert wird.
7
15.2 Die Kosten und Gebühren für die Verlängerung des Ausweises für
Omnibusfahrer einschließlich der gesetzlich vorgeschriebenen Untersuchungen
trägt der Arbeitgeber. Für die erste Wiederholungsprüfung übernimmt der
Arbeitgeber die Hälfte der Gebühren.
8
15.4 Der Arbeitnehmer mit Beschäftigung im Fahrdienst erhält jährlich einen
Betrag in Höhe von 100,00 EUR brutto als Qualifizierungszuschuss (Lohnersatz).
sofern er zur Fahrerweiterbildung gemäß BKrFQG verpflichtet ist. Dieser Betrag ist
spätestens am 15. Dezember auszuzahlen, erstmals zahlbar im Kalenderjahr
2012. Ausgenommen hiervon sind Aushilfskräfte.
9 § 15.2 MTV-nF entspricht wortgleich der Vorgängerfassung in § 15.2 des
Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer im privaten Kraftomnibusverkehr in
Baden-Württemberg vom 17.10.2005 (fortan MTV-aF), der mit
"Omnibusfahrerausweis" überschrieben war. Die Absätze 4-6 des § 15 MTV-nF
wurden im Zuge der Tarifverhandlungen eingefügt, Abs. 3 neu gefasst.
Eingegliedert wurde mit Blick auf das am 01.10.2006 in Kraft getretene
Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz (fortan BKrFQG, BGBl. I S. 1958)
insbesondere Abs. 4.
10 Zur Auslegung dieses Absatzes existieren konträre Stellungnahmen des
Arbeitgeberverbandes (vorgelegt als Anlage B6 im erstinstanzlichen Verfahren)
und des Landesbezirkes von ver.di (Anlage B10). Die Beklagte hat seit 2006 die
gesamten Schulungskosten übernommen, diese Praxis jedoch aufgrund der
Änderungen des Tarifvertrages eingestellt. Stattdessen zahlte sie aufgrund einer
informellen Absprache mit dem Betriebsratsvorsitzenden einen freiwilligen
Sachkostenzuschuss in Höhe von 20,00 EUR.
11 Der Kläger begehrte mit seiner am 11.02.2013 eingereichten Klage die Erstattung
für eine am 01.12.2012 durchgeführte Weiterbildung nach dem BKrFQG (über den
bereits von der Beklagten bezahlten Anteil hinaus) in Höhe von 75,00 EUR. Diesen
Betrag hat er mit Schreiben vom 14.12.2012 bei der Beklagten angefordert. Er war
der Meinung, § 15.2 MTV-nF beziehe sich auf die Erstattung aller Kosten und
Gebühren für vorgeschriebene Weiterbildungen. § 15.4 MTV-nF betreffe im Sinne
einer Spezialvorschrift lediglich Lohnersatz. Dafür sprächen die Tarifsystematik,
der Wille der Tarifvertragsparteien und die gelebte Tarifpraxis. Seit der Einführung
des BKrFQG hätten die Arbeitgeber in Baden-Württemberg regelmäßig die Kosten
und Gebühren der Weiterbildung auf der Grundlage von § 15.2 MTV-nF
übernommen. Diese landesweite Praxis sei Ausdruck eines Tarifkonsenses, bei
dem die Tarifvertragsparteien übereinstimmend davon ausgegangen seien, dass
Schulungskosten nicht Gegenstand des § 15.4 MTV-nF sondern
erstattungspflichtig nach § 15.2 des MTV-nF seien. Die entsprechenden
Zahlungen seien keine freiwillige Leistung und basierten auch nicht auf einer
Regelungsabrede. Darüber hinaus stehe dem Kläger ein Anspruch aus
betrieblicher Übung zu, da die Schulungskosten mindestens seit dem Jahr 2006
durch den Arbeitgeber komplett übernommen worden seien.
12
Der Kläger beantragte beim Arbeitsgericht:
13 Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 75,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu
bezahlen.
14
Die Beklagte beantragte,
15 die Klage abzuweisen.
16 Die Beklagte vertrat beim Arbeitsgericht die Auffassung, die Erstattung der
Schulungskosten sei früher lediglich freiwillig erfolgt und ein Anspruch stehe dem
Kläger weder aus dem Tarifvertrag noch aus betrieblicher Übung zu. § 15.2 MTV-
nF betreffe nicht die Fahrerweiterbildung, sondern nur die Kosten für die
Verlängerung des Omnibusführerscheins. Die Verlängerung des
Omnibusführerscheins sei auch ohne den Nachweis der
Berufskraftfahrerqualifikation möglich. Ver.di habe sich in den
Tarifvertragsverhandlungen mit der Forderung nach Erstattung der
Qualifizierungskosten nicht durchsetzen können. Zwar sei die Kostenübernahme
in manchen Betriebsvereinbarungen vorgesehen, dies gelte aber nicht für die
Beklagte.
17 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Bereits der Wortlaut des § 15.2
MTV-nF streite für die Auslegung im Sinne des Klägers. Die Norm spreche von der
Verlängerung des Ausweises für Omnibusfahrer. Die Zulassung für Omnibusfahrer
zur Personenbeförderung setze anders als der normale Busführerschein die
Durchführung der Maßnahmen nach dem BKrFQG voraus. Auch Sinn und Zweck
der Vorschrift führe in diese Richtung. Da die Weiterbildung eine zwingende
Voraussetzung für die Personenbeförderung darstelle, betreffe sie typische
Tätigkeiten eines Berufsbusfahrers. Der Arbeitgeber könne in aller Regel einen
Omnibusfahrer ohne diese Qualifizierung nicht einsetzen. Weder aus der
Systematik der tarifvertraglichen Vorschriften noch aus den Tarifverhandlungen
lasse sich ein einheitlicher Wille der Tarifvertragsparteien ermitteln. Dies sei jedoch
auch nicht notwendig, da angesichts des klaren Wortlauts und nach dem Sinn und
Zweck der Regelungen ein Auslegungsergebnis gewonnen werden könne.
18 Das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen vom
16.05.2013 wurde der Beklagten am 28.05.2013 zugestellt. Die zugelassene
Berufung der Beklagten ging am 10.06.2013 beim Landesarbeitsgericht ein und
wurde sogleich begründet. Die Berufung und deren Begründung sind damit
rechtzeitig.
19 Im Berufungsrechtszug meint die Beklagte, das Arbeitsgericht setze sich nicht
hinreichend mit dem Fahrerlaubnisrecht auseinander. Die Führerscheinklasse D,
die zum Führen von Kraftomnibussen berechtige, enthalte automatisch die
Befugnis zur Personenbeförderung. Damit sei klar, dass die Tarifvertragsparteien
schon in der Vorgängerfassung mit dem Begriff "Ausweis für Omnibusfahrer" die
"Fahrerlaubnis für Fahrgastbeförderung" gemeint hätten.
20 Die Fahrerlaubnis Klasse D werde befristet auf 5 Jahre erteilt und müsse dann
verlängert werden. Weder § 24 der Fahrerlaubnisverordnung Baden-Württemberg
(fortan FeV) noch die darin genannten Anlagen 5 und 6 und auch nicht die §§ 7-19
FeV machten die Verlängerung der Fahrerlaubnis Klasse D davon abhängig, dass
der Busfahrer nach dem BKrFQG qualifiziert sei. Es handele sich bei letzterem um
eine vom Führerschein unabhängige zusätzliche gesetzliche Verpflichtung. Da
nun § 15.2 MTV seit ehedem ausschließlich die Kosten und Gebühren für die
Verlängerung des "Ausweises für Omnibusfahrer" (= Fahrerlaubnis Klasse D)
regele, könnten damit bereits nach dem Wortlaut nicht auch die Kosten und
Gebühren für Maßnahmen nach dem BKrFQG gemeint sein.
21 Nichts anderes ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung. Natürlich
könne ein unzureichend fortgebildeter Arbeitnehmer nicht als Berufskraftfahrer tätig
sein. Diese Unmöglichkeit könne sich jedoch auch aus vielen anderen Gesetzen,
etwa dem Ausländerrecht, ergeben. Auch die Kosten und Gebühren für derartige
Verwaltungsverfahren müsse der Arbeitgeber ja nicht übernehmen. Vor diesem
Hintergrund sei es nicht einleuchtend, weshalb der Arbeitgeber ohne klare
Tarifanordnung die Qualifizierungskosten übernehmen müsse.
22 Schließlich habe das Arbeitsgericht die Auffassung der Tarifvertragsparteien
berücksichtigen müssen, wobei lediglich die Beklagte mit Substanz den
Standpunkt des Arbeitgeberverbandes dargelegt und unter Beweis gestellt habe.
Zu Recht habe das Arbeitsgericht die klägerischen Überlegungen zur
Tarifsystematik nicht berücksichtigt. Allerdings sei zur gelebten Tarifpraxis (die in
Bezug auf andere Arbeitgeber bestritten werde) in den Blick zu nehmen, dass §
15.2 MTV mit dem identischen Wortlaut schon im MTV vom 04.05.1999 gestanden
habe und bereits deswegen unmöglich das 2006 in Kraft getretene BKrFQG
gemeint haben könne. Insofern habe es für die Tarifvertragsparteien angesichts
der Formulierung in § 15.4 MTV-nF ausgesprochen nahegelegen, eine
entsprechende Erstattungspflicht in den Wortlaut des § 15.2 MTV-nF ausdrücklich
aufzunehmen. Genau dies sei jedoch nicht erfolgt, was deutlich zeige, dass eine
Sachkostenerstattung nicht gewollt gewesen sei.
23 Nicht zuletzt könne die betriebliche Übung nach höchstrichterlicher
Rechtsprechung keine Anspruchsgrundlage darstellen, was sich im Übrigen auch
aus § 2.1 MTV-nF ergebe.
24
Die Beklagte beantragt im Berufungsrechtszug,
25 das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen - vom
16.05.2013, Az. 8 Ca 52/13 abzuändern und die Klage abzuweisen.
26
Der Kläger beantragt,
27 die Berufung der Beklagten/Berufungsklägerin zurückzuweisen.
28 Der Kläger verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil. Es sei durchaus
nachvollziehbar, dass sich die Zulassung für Omnibusfahrer von der des
Busfahrers unterscheide. Die Tarifvertragsparteien seien in der Wahl ihrer
Formulierungen frei. Diese hätten keineswegs klargestellt, dass es um die
Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung gehe. Schon der unmissverständliche
Wortlaut spreche dagegen. In § 15.1 MTV-nF sei von "Fahrerlaubnis" die Rede, in
§ 15.2 MTV-nF von "Ausweis". Die Berufungsangriffe der Beklagten zum
"Terminus technicus" gingen an der Sache vorbei. Vielmehr hätten die
Tarifvertragsparteien für den Fall der Beschränkung von § 15.2 MTV auf
Führerscheinverlängerung genau diesen "Terminus technicus" verwenden
müssen.
29 Zweifelsohne gebe es eine Vielzahl gesetzlicher Hürden für Omnibusfahrer. Der
Phantasie seien keine Grenzen gesetzt, was der Vortrag der Beklagten
eindrucksvoll belege. Die Qualifizierung nach dem BKrFQG sei eine obligatorische
Bedingung zur Beförderung von Personen und damit typischerweise eine
konkrete, erstattungspflichtige Arbeitsvoraussetzung.
30 Der Vortrag des Klägers zum Willen der Tarifvertragsparteien sei hinreichend
substantiiert, wobei es darauf nach richtiger Auffassung des Arbeitsgerichts nicht
ankomme. Die klägerischen Ausführungen zur Tarifsystematik würden
aufrechterhalten. Es sei im übrigen durchaus nichts Ungewöhnliches, dass
tarifliche Neuregelungen Verbesserungen für die Arbeitnehmer mit sich brächten.
Es sei nicht erkennbar, weshalb es für den Arbeitgeber unzumutbar sein solle, die
Weiterbildungssachkosten zu erstatten.
31 Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt
der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und in
Bezugnahmen sowie auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls verwiesen.
Entscheidungsgründe
32
I.
Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach arbeitsgerichtlicher
Entscheidung zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchst. c ArbGG) sowie in gesetzlicher Form
und Frist eingelegt (§ 519 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1
ArbGG) und innerhalb der Frist (§ 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) auch ordnungsgemäß (§
520 Abs. 3 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG) begründet worden.
33
II.
Die Berufung der Beklagten hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die
Entscheidung des Arbeitsgerichts ist richtig. Die Auslegung des § 15.2 MTV-nF
ergibt, dass der Kläger Anspruch auf Erstattung der Weiterbildungssachkosten
nach dem BKrFQG hat.
34 1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages wird an der
Interpretation von Gesetzen orientiert.
35 Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger
Rechtsprechung den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln, §§ 133,
157 BGB (s. etwa BAG vom 26.01.2011 – 4 AZR 159/09, NZA 2011, 808; BAG
vom 19.01.2011 – 3 AZR 29/09 NZA 2011, 860). Es ist zunächst vom Tarifwortlaut
auszugehen, wobei der maßgebende Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne
am Buchstaben zu haften. Nur bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der
wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den
tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist dabei auf
den tariflichen Gesamtzusammenhang. Erst, wenn zweifelsfreie
Auslegungsergebnisse so nicht erzielbar sind, dürfen die Gerichte für
Arbeitssachen weitere Kriterien ergänzend heranziehen, etwa die
Entstehungsgeschichte oder die praktische Tarifübung. Im Zweifel ist derjenigen
Tarifauslegung der Vorzug zu geben, die zu einer vernünftigen, sachgerechten,
zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG vom
20.03.2012 – 9 AZR 518/10 juris).
36 2. Der Tarifwortlaut ist mehrdeutig und lässt verschiedene Interpretationen zu.
37 § 15.2 MTV-nF regelt die Übernahme der Kosten und Gebühren für die
"Verlängerung des Ausweises für Omnibusfahrer". Gemeint ist damit nach dem
Wortlaut die Verlängerung einer Urkunde, die beglaubigt bzw. den Nachweis führt,
dass der Inhaber weiterhin ermächtigt ist, einen Omnibus zu führen (in Anlehnung
an Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 9. Aufl. 2011, Stichwort Ausweis). Diese
Berechtigung wiederum setzt in Bezug auf Omnibusse selbstredend zunächst
voraus, dass der Fahrer über eine gültige Fahrerlaubnis der Klasse D (ggf.
Unterklassen) verfügt. Die Fahrerlaubnis der Klasse D umfasst die Befugnis zu
Fahrten im Personenverkehr. Das BKrFQG hat mit Wirkung ab 01.10.2006 weitere
Anforderungen an Omnibusfahrer eingeführt. Hiernach hat der Omnibusfahrer
zusätzlich eine Grundqualifikation nach § 4 des BKrFQG und weitere
turnusmäßige Qualifikationsnachweise (§ 2 Abs. 2, Abs. 5 BKrFQG, alternativ § 5
BKrFQG) zu erwerben. Diese Zusatzausweise sind nach § 2 Abs. 2 BKrFQG
allerdings nur dann nötig, wenn der Omnibus im Personenverkehr zu gewerblichen
Zwecken gefahren wird. Im Ergebnis kann die "Verlängerung des Ausweises für
Omnibusfahrer" damit die Verlängerung des Führerscheins meinen. Gemeint sein
könnten jedoch auch sämtliche Papiere, die einen Omnibusfahrer als befugten
Fahrer im Personenverkehr "ausweisen". Diese Deutung von § 15.2 MTV-nF
würde in der Folge die Sachkostenerstattung für Maßnahmen nach dem BKrFQG
erfassen.
38 3. Mit dem Arbeitsgericht ist festzustellen, dass auch die Tarifsystematik kein
eindeutiges Ergebnis hervorbringt.
39 Die Tatsache, dass in § 15.4 MTV-nF Lohnersatz für die absolvierten Stunden der
Fahrerweiterbildung gemäß BKrFQG zugesagt ist, erlaubt keine zwingende
Deduktion auf die Qualifizierungssachkostenerstattung nach § 15.2 MTV-nF. Ein
Erst-Recht-Schluss kann wegen des Analogieverbotes nicht gezogen werden. Die
Tarifvertragsparteien können beide Sachverhalte unterschiedlich regeln und ein
verständiger Arbeitnehmer kann - wenngleich naheliegend - aus dem
Lohnzuschuss nicht zwangsläufig auch eine Sachkostenerstattung ableiten. Man
kann andererseits auch die Auffassung der Berufung nachvollziehen, dass die
Erwähnung des BKrFQG in § 15.4 MTV-nF einen Rückschluss auf die bewusste
Nichterwähnung in § 15.2 MTV-nF als plausibel erscheinen ließe. In diese
Richtung führt auch die historische Interpretation, nach der bereits in dem
wortlautidentischen § 15.2 MTV vom 04.05.1999 lediglich die
Sachkostenerstattung für die Verlängerung der Fahrerlaubnis geregelt war. Dazu
scheint der Sachzusammenhang mit § 15.1 MTV-nF zu passen, der (ebenfalls seit
dem 01.05.1999) die Verpflichtung der Arbeitnehmer zur Verlängerung der
Fahrerlaubnis, nicht jedoch die Verpflichtung zur Qualifizierung nach dem BKrFQG
festlegt. Wirklich hilfreich sind derart historisch überlagerte systematische
Überlegungen jedoch nicht, da im Zuge von Tarifverhandlungen redaktionelle
Unschärfen auftreten können. Möglicherweise haben die Tarifvertragsparteien
nicht den gesamten Wortlaut des damals gültigen MTV im Hinblick auf das
BKrFQG durchleuchtet und auch nicht durchgängig synchronisiert.
40 4. Ein einheitlicher Wille der Tarifvertragsparteien lässt sich nicht feststellen und hat
im Tarifwortlaut keinen Niederschlag gefunden.
41 Unabhängig von möglicherweise bestehenden Differenzen in den Angaben von
Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden kann ein einheitlicher Wille der
Tarifvertragsparteien zum Inhalt des § 15 MTV-nF bereits deshalb nicht
zugrundegelegt werden, weil ein derartiger Wille nach den Darlegungen unter 2. in
den tariflichen Normen keinen Niederschlag gefunden hat. Damit sind zweifelsfreie
Auslegungsergebnisse aus dem Tarifvertrag allein nicht zu erzielen. Die
Berufungskammer ist befugt, ergänzend weitere Kriterien heranzuziehen, wobei
sie die praktische Tarifübung und die im allgemeinen geltenden Rechtsgrundsätze
zur Kostentragung bei beruflicher Qualifizierung der Arbeitnehmer herangezogen
hat.
42 5. Die Kostenerstattung für die Lehrgangsgebühren nach dem BKrFQG entspricht
im Geltungsbereich der streitigen Tarifbestimmung einer sachgerechten Verteilung
der Qualifizierungslasten.
43 Um die Grundsätze der sachgerechten Lastenverteilung in Qualifizierungs- und
Weiterbildungsfragen näher bestimmen zu können, ist die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts zur Inhaltskontrolle von Rückzahlungsklauseln (etwa BAG
19.02.2004 - 6 AZR 552/02) erhellend. Das Bundesarbeitsgericht orientiert sich im
Zusammenhang mit Art. 12 Abs. 1 GG an einer umfassenden Interessen- und
Güterabwägung. Dabei wird das Interesse des Arbeitgebers, eine berufliche
Qualifikation möglichst langfristig für den Betrieb nutzen zu können mit dem
Interesse des Arbeitnehmers an der Erhöhung seiner Arbeitsmarktchancen
abgewogen. Auf die vorliegende Rechtsfrage bezogen kommt es hiernach für die
Suche nach einer sachgerechten Lösung (unabhängig vom Adressaten des
BKrFQG) zur Beurteilung der Kostenlast darauf an, wer die Qualifizierung braucht
und wer sie nutzen kann. Das ist vorliegend eindeutig und allein der
Busunternehmer, da der Nachweis von Qualifikationen nach § 2 Abs. 2, Abs. 5, § 5
BKrFQG ausschließlich dazu dient, dem Fahrer Fahrten im Personenverkehr "zu
gewerblichen Zwecken" zu gestatten. Mit anderen Worten: Diese Qualifikation
muss ein Omnibusfahrer ausschließlich dann erwerben und nachweisen, wenn er
seine Fahrerlaubnis Klasse D gewerblich nutzen will. Das ist im Arbeitsverhältnis
für den Arbeitnehmer in keiner Fallgestaltung realisierbar. Denknotwendig profitiert
im Arbeitsverhältnis allein der Arbeitgeber/Busunternehmer von der Befugnis zur
gewerblichen Nutzung der Fahrerlaubnis seines Omnibusfahrers. Damit ist es
vernünftig, sachgerecht und zweckorientiert § 15.2 des MTV-nF dahingehend
auszulegen, dass zu den Kosten und Gebühren für die Verlängerung des
Ausweises für Omnibusfahrer auch die Kosten und Gebühren von
Weiterbildungslehrgängen nach § 5 BKrFQG gehören. Das scheint auch der seit
Oktober 2006 zwischen den Parteien gültigen praktischen Tarifübung (auf die
insoweit streitigen Folgen der Betrieblichen Übung kommt es nach alledem nicht
an) zu entsprechen. Die Neufassung des MTV erlaubt insofern keine Änderung, da
§ 15.2 MTV wortgleich geblieben ist.
44
III.
Da die Beklagte mit ihrer Berufung unterlegen ist, hat sie deren Kosten zu
tragen.
45 Die Revisionszulassung folgt § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.