Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 30.01.2014

zustellung, erlöschen des anspruchs, anpassung, zugang

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 30.1.2014, 21 Sa 42/13
Anwendungsbereich der Vorschrift über die Rückwirkung der demnächstigen
Zustellung
Leitsätze
Die Bestimmung des § 167 ZPO ist grundsätzlich nicht in den Fällen anwendbar, in
denen durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden soll, die auch durch
außergerichtliche Geltendmachung gewahrt werden kann.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart -
Kammern Ludwigsburg - vom 08.05.2013 - Az: 20 Ca 1087/12 - wird auf seine
Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision für den Kläger wird zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Höhe der Anpassung der Betriebsrente des Klägers.
2 Der Kläger war bis zum 30.04.1994 bei der Beklagten beschäftigt. Seit 01.05.1994
erhält er von der Beklagten eine Betriebsrente, welche sich zu Rentenbeginn
(umgerechnet) auf 1 464,85 EUR brutto monatlich belief. Der Anpassungsstichtag
ist bei der Beklagten zum 01.07. gebündelt. Die Betriebsrente an den Kläger wird
nachschüssig gezahlt. Zum 01.07.2009 hob die Beklagte die monatliche
Betriebsrente des Klägers unter Berufung auf eine Steigerung der Netto-Löhne der
vergleichbaren Arbeitnehmer um 2,91 % auf 1 816,66 EUR brutto an. Dem Kläger
ging eine entsprechende Anpassungsmitteilung im Jahr 2009 zu. Seit Juli 2009
zahlt die Beklagte an den Kläger eine monatliche Betriebsrente von 1 816,66 EUR
brutto.
3 Die Anpassung der monatlichen Rente des Klägers zum 01.07.2009 griff der
Kläger mit seiner am 28.06.2012 im Original nebst beglaubigter Abschriften beim
Arbeitsgericht eingegangenen Klage an und machte einen weitergehenden
Teuerungsausgleich (Teuerungsausgleich um 25,16 % - bezogen auf seine
Ausgangsrente - auf monatlich 1 833,41 EUR brutto). Diese Klage wurde der
Beklagten am 06.07.2012 zugestellt (vgl. Empfangsbekenntnis der
Prozessbevollmächtigten der Beklagten, Blatt 7 der ArbG-Akten). Ob der Kläger
durch außergerichtliches Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten (datiert) vom
29.05.2012 außergerichtlich die Höhe der von der Beklagten vorgenommenen
Anpassung seiner monatlichen Betriebsrente gerügt hat bzw. ob ein derartiges
Schreiben bei der Beklagten eingegangen ist, ist zwischen den Parteien streitig.
4 Hinsichtlich des weitergehenden unstreitigen und erstinstanzlich streitigen
Sachvortrags der Parteien einschließlich ihrer Rechtsansichten wird auf den nicht
angegriffenen Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern
Ludwigsburg - vom 08.05.2013 (Seiten 2 und 3 des Urteils, Blatt 58, 59 der ArbG-
Akten) gemäß § 69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG verwiesen.
5
Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Klägers,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine rückständige Betriebsrente
in Höhe von 770,04 EUR brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem
Basiszinssatz aus jeweils 16,74 EUR brutto seit dem 1. eines jeden Monats
des Zeitraums 01.08.2009 bis 01.05.2013 zu zahlen,
7
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab Mai 2013 über den bezahlten
Betrag in Höhe von 1 816,66 EUR brutto monatlich eine weitere Betriebsrente
von 16,74 EUR brutto, beginnend zum 01.06.2013, zu zahlen
8 vollumfänglich abgewiesen.
9 Zur Begründung führt das Arbeitsgericht aus, die Rügefrist für die
Anpassungsentscheidung im Jahr 2009 habe am 30.06.2012, unabhängig davon,
ob die Beklagte zu diesem Zeitpunkt eine Anpassungsentscheidung getroffen
gehabt habe oder ob diese fehlerhaft gewesen sei oder nicht, geendet. Das Recht
des Klägers auf nachträgliche Anpassung sei erloschen, nachdem er dies
gegenüber der Beklagten nicht jedenfalls außergerichtlich vor dem
Anpassungsstichtag des 01.07.2009 geltend gemacht habe. Die Beklagte übe
nicht in unzulässiger Weise ihre Rechte aus, wenn sie sich auf die Versäumung
der Rügefrist berufe. § 167 ZPO sei auf diese vom Kläger zu beachtende Rügefrist
nicht anwendbar. Der Kläger habe keinen Nachweis dafür erbracht, dass er die
Beklagte bereits vor Erhebung der Klage aufgefordert habe, seine Rente in
anderer Weise anzupassen.
10 Gegen diese dem Kläger am 03.06.2013 (vgl. Empfangsbekenntnis Blatt 67 der
ArbG-Akten) zugestellte Entscheidung richtet sich seine am 24.06.2013 mit
anwaltlichem Schriftsatz beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
eingegangene Berufung (vgl. gerichtlicher Eingangsstempel Blatt 1 der Akten), die
er mit am 23.07.2013 per Telekopie und am 24.07.2013 im Original beim
Landesarbeitsgericht eingegangenem anwaltlichen Schriftsatz (vgl. gerichtliche
Eingangsstempel Blatt 15 und 19 der Akten) begründet hat.
11 Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und
untermauert seine Ansicht, er habe die Rügefrist, die sich nicht unmittelbar aus §
16 BetrAVG ergebe, mit Einreichung der Klage bei Gericht vor dem 01.07.2009
gewahrt. Sinn und Zweck der Anpassungsrüge stehe der Rückwirkung gemäß §
167 ZPO nicht entgegen.
12 Eine außergerichtliche Geltendmachung der Höhe der Anpassung sei auch durch
Anwaltsschreiben vom 29.05.2012 per normaler Post an die Beklagte erfolgt.
Dieses Rügeschreiben habe die Prozessbevollmächtigte des Klägers
standardgemäß per normaler Post in hunderten von I.-Fällen an die Beklagte vor
Klagerhebung versandt, so auch beim Kläger. All die anderen Rügeschreiben
seien bei der Beklagten angekommen, und es sei kein Grund ersichtlich, warum
sein Schreiben nicht bei der Beklagten angekommen sein solle. Dieses Schreiben
sei auch von seiner Anwältin im Original unterschrieben gewesen. Warum gerade
dieses Schreiben nicht bei der Beklagte angekommen sein solle, sei nicht
ersichtlich.
13
Der Kläger beantragt:
14
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine rückständige Betriebsrente
in Höhe von 770,04 EUR brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem
Basiszinssatz aus jeweils 16,74 EUR brutto seit dem 01. Eines jeden Monats
des Zeitraumes 01.08.2009 bis 01.05.2013 zu zahlen.
15
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab Mai 2013 über den bezahlten
Betrag in Höhe von 1 816,66 EUR brutto monatlich eine weitere Betriebsrente
16,74 EUR zu bezahlen, beginnend zum 01.06.2013.
16
Die Beklagte beantragt,
17
die Berufung zurückzuweisen.
18 Sie trägt im Wesentlichen vor, im Interesse der Rechtssicherheit sei § 167 ZPO bei
nicht gerügten Anpassungsentscheidungen im Sinne des § 16 BetrAVG nicht
anzuwenden.
19 Ein außergerichtliches Rügeschreiben sei bei ihr, der Beklagten, nicht
eingegangen. Der bloße Umstand, dass die Rüge abgesendet worden sein solle,
begründe keinerlei Vermutung für ihren Zugang. Das Risiko des Zugangs eines
einfachen Briefes trage die klagende Partei. Anders als in den vom Kläger
angesprochenen zahlreichen anderen Fällen sei das von ihm behauptete
Schreiben vom 29.05.2012 nicht bei ihr eingegangen.
20 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß den §§
64 Abs. 6 ArbGG, 525, 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der zwischen den
Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen verwiesen.
Entscheidungsgründe
21 Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
A
22
Zulässigkeit der Berufung
23 1. Die Berufung des Klägers ist gemäß den §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. b
ArbGG statthaft. Sie ist auch gemäß den §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 Abs.
1 und 2, 520 Abs. 1 und 3 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und
innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet worden. Die Berufung setzt
sich insbesondere mit den Begründungen des Arbeitsgerichts auseinander, mit
denen die Klaganträge des Klägers abgewiesen worden sind.
24 2. Anderweitige Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht.
B
25
Begründetheit der Berufung
26 I.
Grundsätze
27 Wenn ein Versorgungsempfänger eine ausdrückliche Anpassungsentscheidung
des Arbeitgebers nach § 16 BetrAVG für unrichtig hält, muss er dies grundsätzlich
vor dem nächsten Anpassungsstichtag dem Arbeitgeber gegenüber wenigstens
außergerichtlich geltend machen. Mit dem nächsten Anpassungsstichtag erlischt
der Anspruch auf Korrektur einer früheren Anpassungsentscheidung (ständige
Rechtsprechung des BAG - etwa BAG 10. Februar 2009 - 3 AZR 627/07 - in AP Nr.
69 zu § 16 BetrAVG Rn. 26 mwN). Eine derartige Rüge kann formlos erfolgen und
bedarf keiner näheren Begründung (BAG 10. Februar 2009 - 3 AZR 627/07 - aaO
Rn. 33).
28 Willenserklärungen, die einem anderen gegenüber abzugeben sind, werden, wenn
sie in dessen Abwesenheit abgegeben werden, in dem Zeitpunkt wirksam, in
welchem sie ihm zugehen (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). § 130 Abs. 1 BGB gilt für
empfangsbedürftige Willenserklärungen jeder Art, auch für
amtsempfangsbedürftige und geschäftsähnliche Handlungen (Palandt BGB 2013
zu § 130 BGB Rn. 3). Bei der Geltendmachung einer Forderung handelt es sich
um keine (einseitige) Willenserklärung, sondern um eine einseitige
rechtsgeschäftsähnliche Handlung (BAG 16. April 2013 - 9 AZR 731/11 - in NZA
2013, 850). Unter Abwesenden geht eine
Willenserklärung/rechtsgeschäftsähnliche Handlung zu, wenn sie so in den
Machtbereich des Empfängers gelangt, dass dieser unter gewöhnlichen
Umständen vom Inhalt der Willenserklärung Kenntnis nehmen kann. Dies ist
regelmäßig beim Einwurf eines Briefes in den vom Empfänger zur Verfügung
gestellten Briefkasten anzunehmen, weil der Empfänger dann vom Inhalt des
Schreibens Kenntnis erlangen kann (BAG 28. Januar 2010 - 2 AZR 985/08 - in AP
Nr. 17 zu § 5 KSchG 1969 Rn. 11). Unerheblich ist hingegen, ob der Empfänger
vom Schreiben tatsächlich Kenntnis nimmt. Für den Zugang einer Willenserklärung
ist der Erklärende beweispflichtig (herrschende Meinung - vgl. Schaub-Linck
Arbeitsrechtshandbuch 14. Aufl. 2011 zu § 123 Rn. 48 mwN). Es gibt keinen
Anscheinsbeweis dafür, dass ein zur Post gegebener Brief den Adressaten
erreicht hat (Schaub-Linck aaO mwN).
29 II.
Bei Anwendung dieser Grundsätze
auf den vorliegenden Rechtsstreit ergibt
sich, dass der vom Kläger geltend gemachte Anspruch unbegründet ist. Der Kläger
verlangt die nachträgliche Anpassung einer monatlichen Betriebsrente ab
01.07.2009. Der aktuelle Anpassungsstichtag war zum Zeitpunkt der Erhebung der
Rüge gegenüber der Beklagten aber der 01.07.2012. Die Geltendmachung durch
den Kläger hätte deshalb noch vor dem 01.07.2012 erfolgen müssen. Dies ist
hingegen nicht der Fall.
30 1. Zur Überzeugung des Gerichts (§ 286 ZPO) steht nicht fest, dass das Schreiben
der Prozessbevollmächtigten des Klägers (datiert) vom 29.05.2012 an die Beklagte
(vgl. Blatt 23, 24 der Akte) bei der Beklagten vor dem 01.07.2012 eingegangen ist.
Allein die Tatsache, dass - dies sei zugunsten des Klägers unterstellt - seine
Prozessbevollmächtigte, wie in vielen anderen Fällen auch, das vorgelegte
Geltendmachungsschreiben an die Beklagte zur Post gegeben hat, genügt nicht
zur Annahme, dass das Schreiben auch bei der Beklagten eingegangen ist. Die
Möglichkeit des Verlustes dieses Schreibens nach dessen - unterstellten - auf den
Wegbringens durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers sind zu mannigfaltig,
um einen Verlust des Schreibens vor Eingang in den Machtbereich der Beklagten
mit hinreichender Sicherheit auszuschließen. Anderweitige
Sicherungsmaßnahmen zum Nachweis des Zugangs hat der Kläger auch nicht
vorgenommen. Es liegt hingegen nicht an der Beklagten darzulegen, warum
dieses Geltendmachungsschreiben im Gegensatz zu anderen nicht in ihren
Empfangsbereich oder zu ihrer Kenntnis gelangt ist.
31 2. Zwar kann der Anspruch auf rückständige Anpassung von Betriebsrente gemäß
§ 16 BetrAVG nicht nur außergerichtlich, sondern auch durch Klageerhebung
geltend gemacht werden (BAG 21. August 2007 - 3 AZR 330/01 - in NZA-RR 2008,
198). Es genügt hingegen nicht, wenn die Geltendmachung in der bloßen
Klageerhebung besteht, die der Beklagten erst nach dem Anpassungsstichtag
bekannt wird. Auch § 167 ZPO findet insoweit keine Anwendung.
32 Die 18. Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg hat hierzu in
einem Parallelrechtsstreit (Aktenzeichen 18 Sa 22/12) im Urteil vom 09.08.2012
ausgeführt:
33 "aa) Die streitbeendende Wirkung einer früheren, nicht gerügten
Anpassungsentscheidung begrenzt nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließt, die Verpflichtung zur
nachträglichen Anpassung (vgl. nur BAG 10. Februar 2009 - 3 AZR 610/07 - Rn.
20, AP BetrAVG § 16 Nr. 70). Eine derartige Anpassung liegt vor, wenn eine neue,
korrigierte Leistungsbestimmung zu einem früheren Anpassungsstichtag als dem
aktuellen getroffen werden soll. Aus welchen Gründen die begehrte Anpassung
zu einem früheren Anpassungsstichtag versagt worden ist, spielt keine Rolle
(BAG 17. August 2004 - 3 AZR 367/03 - zu II 2 a der Gründe, AP BetrAVG § 16
Nr. 55).
34 Wenn der Versorgungsempfänger eine ausdrückliche Anpassungsentscheidung
des Arbeitgebers nach § 16 BetrAVG für unrichtig hält, muss er dies grundsätzlich
vor dem nächsten Anpassungsstichtag dem Arbeitgeber gegenüber wenigstens
außergerichtlich geltend machen. Mit dem nächsten Anpassungsstichtag erlischt
der Anspruch auf Korrektur einer früheren Anpassungsentscheidung (st. Rspr.
des BAG seit 17. April 1996 - 3 AZR 56/95 - BAGE 83, 1; vgl. ua. 10. Februar
2009 - 3 AZR 610/07 - Rn. 21, AP BetrVG § 16 Nr. 70).
35 Das Erlöschen des Anspruchs auf nachträgliche Anpassung beruht nicht auf dem
allgemeinen Grundsatz der Verwirkung (§ 242 BGB), sondern auf der dem § 16
BetrAVG zu entnehmenden Befriedungsfunktion. Die streitbeendende Wirkung
einer früheren, nicht rechtzeitig gerügten Anpassungsentscheidung ergibt sich
aus dem Normgefüge und dem zum Ausdruck gebrachten Schutzzweck der
gesetzlichen Regelung. § 16 BetrAVG will einerseits eine Entwertung der
Betriebsrente durch Kaufkraftverluste möglichst verhindern, andererseits die
Gesamtbelastung aus bereits bestehenden Versorgungspflichten berechenbar
halten. Die gesetzlichen Anpassungsregelungen sind in ihrem
Gesamtzusammenhang zu sehen. Der für die Belange des
Versorgungsempfängers nach dem Betriebsrentengesetz maßgebliche
Prüfungszeitraum beginnt mit dem Eintritt in den Ruhestand und endet unmittelbar
vor dem jeweiligen Anpassungsstichtag. Da der Prüfungszeitraum nicht auf die
letzten drei Jahre vor dem jeweiligen Anpassungsstichtag begrenzt ist, sind
unzureichende Anpassungen wegen fehlerhafter Bestimmung der
reallohnbezogenen Obergrenze bei späteren Anpassungsentscheidungen mit
Wirkung für die Zukunft auszugleichen. Die streitbeendende Wirkung der neuen
Anpassungsentscheidung bezieht sich auf frühere Anpassungen und verhindert,
dass rückwirkend die Versorgungslasten des Arbeitgebers erhöht werden und
sich seine wirtschaftliche Lage rückwirkend verschlechtert. Prüfungszeitraum,
Anpassungsfrist, Rügefrist und die Grenzen nachträglicher Anpassungen sind
Teile eines gesetzlich geschaffenen, interessengerechten Gesamtgefüges (BAG
10. Februar 2009 - 3 AZR 610/07 - Rn. 23, AP BetrVG § 16 Nr. 70). Die
Änderungen des § 16 BetrAVG durch Art. 8 des Rentenreformgesetzes 1999 vom
16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2998, 3025) sprechen nicht gegen, sondern für
diese Gesetzesauslegung. Die Planungs- und Rechtssicherheit für den
versorgungspflichtigen Arbeitgeber sollte erhöht werden. Dem Gesetzgeber kann
nicht unterstellt werden, dass er entgegen dieser Zielsetzung gleichzeitig
nachträgliche Anpassungen ausweiten wollte (BAG 10. Februar 2009 - 3 AZR
610/07 - Rn. 24, AP BetrVG § 16 Nr. 70).
36 Das durch das Grundgesetz geschützte Recht des Klägers auf Eigentum wird
durch das Erlöschen des Anspruchs auf nachträgliche Anpassung bei
Versäumung der Rügefrist nicht verletzt. Die dem Betriebsrentengesetz zu
entnehmende Rügefrist ist integraler Bestandteil des Anpassungsanspruchs und
stellt zumindest eine zulässige Inhaltsbestimmung iSd. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG
dar. Die Rügefrist ist auch nicht unverhältnismäßig. Die Anforderungen an eine
Rüge sind sehr gering. Diese kann formlos erfolgen und bedarf keiner näheren
Begründung. Hat sich der Versorgungsempfänger rechtzeitig gegen die
Anpassungsentscheidung gewandt, so hat das Gericht nicht nur die geltend
gemachten Bedenken zu berücksichtigen, sondern die Anpassungsentscheidung
umfassend zu überprüfen. Die Versäumung der Rügefrist wirkt sich zudem nur
zeitlich begrenzt aus. Bei der nächsten Anpassung ist der Anpassungsbedarf
richtig festzustellen. Ein Eingriff in das Rentenstammrecht liegt nicht vor (BAG 10.
Februar 2009 - 3 AZR 610/07 - Rn. 27 ff, AP BetrVG § 16 Nr. 70).
37 bb) Mit diesen Grundsätzen ist es nicht vereinbar, § 167 ZPO anzuwenden und
die Rüge eines Versorgungsempfängers wegen der aus seiner Sicht unrichtigen
Anpassung auch dann noch als rechtzeitig mit der Folge der nachträglichen
Anpassungspflicht des Arbeitgebers zuzulassen, wenn der
Versorgungsempfänger die gerichtliche Zustellung der Rüge wählt und die Klage
vor dem nächsten Anpassungsstichtag bei Gericht eingegangen, nicht jedoch
dem Arbeitgeber zugegangen ist. Die Rügefrist, die am 30. Juni 2011 ablief, hielt
der Kläger deshalb nicht durch den Klageingang beim Arbeitsgericht am 29. Juni
2001 ein.
38 (1) Das gesetzlich geschaffene interessengerechte Gesamtgefüge des § 16
BetrAVG bestehend aus Prüfungszeitraum, Anpassungsfrist, Rügefrist und
Grenzen nachträglicher Anpassungen wird einerseits irreversibel gestört, wenn
die Geltendmachung einer aus Sicht des Versorgungsempfängers fehlerhaften
Anpassungsentscheidung auch nach dem nächsten Anpassungsstichtag geltend
gemacht werden könnte. Es ist insbesondere nicht erkennbar, wie lange sich der
Versorgungsempfänger nach Ablauf des Prüfungszeitraums und Eintritt des
nächsten Anpassungsstichtags Zeit lassen könnte, ohne dass ihm der Fristablauf
entgegen gehalten werden könnte. Die zu Gunsten des Arbeitgebers gewollte
Planungs- und Rechtssicherheit würde nicht eintreten. Andererseits ist nicht
ersichtlich, weshalb ein in der Regel dreijähriger Zeitraum für den
Versorgungsempfänger nicht ausreicht, um seine Ansprüche geltend zu machen,
zumal keine hohen Anforderungen zu stellen sind.
39 Zwar soll nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Rüge nur
"grundsätzlich" vor dem nächsten Anpassungsstichtag erfolgen. Selbst wenn
daraus abzuleiten wäre, dass auch eine spätere Rüge die Frist wahrt (so LAG
Berlin-Brandenburg 4. April 2012 - 23 Sa 2228/11), liegt dies nicht in der Norm des
§ 167 ZPO begründet. Danach wirkt die verspätete Zustellung auf den Zeitpunkt
zurück, in dem der Antrag oder die Erklärung (bei Gericht) eingegangen ist. Die
Geltendmachung ist also gerade nicht verspätet erfolgt. Ansonsten wäre § 167
ZPO seines Sinns beraubt, die Rückwirkung auf einen früheren Zeitpunkt als
denjenigen der tatsächlichen Zustellung zu bewirken, sofern die Zustellung
"demnächst" ausgeführt wurde. Der bis zur Zustellung bestehende
Schwebezustand, ob eine Rückdatierung erfolgt, endet in dem Zeitpunkt, in dem
die Zustellung erfolgt ist. Nunmehr gilt die Frist, die bereits vor der Zustellung
ablief, als gewahrt (vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht 16. Aufl. §
75 Rn. 2, die von "Vorwirkung" bzw. "Vordatierung" sprechen). Auf die
anspruchserhaltende Möglichkeit einer Ausnahme von dem "Grundsatz" des
Erfordernisses, die Rüge vor dem nächsten Anpassungsstichtag geltend zu
machen, käme es also nicht an.
40 Wenn das Bundesarbeitsgericht mit dem Begriff "grundsätzlich" eine
Einschränkung der generell bestehenden Rügepflicht vor Eintritt des nächsten
Anpassungsstichtags zulassen wollte, dann nur für Ausnahmefälle. Ein solcher
Ausnahmefall liegt aber nicht mehr vor, wenn jede Rüge, die auf dem Klagewege
erhoben wird, Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht entfaltet.
Das Vorliegen einer Ausnahme setzt voraus, dass die Klageerhebung an sich als
Ausnahmefall angesehen werden müsste, die außergerichtliche Geltendmachung
aber die Regel. Wie gerade die zahlreichen gegen die Beklagte geführten
Verfahren zeigen, lässt sich ein solches Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht
bejahen. Selbst wenn ein Versorgungsemfänger Ansprüche bezogen auf mehrere
Prüfungszeiträume geltend macht, liegt es nahe, dass er sie zusammen in einer
Klage verfolgt. Da er kein höheres Kostenrisiko zu befürchten hat - als Streitwert
ist nach § 42 Abs. 2 GKG lediglich einmal der 36-fache Wert der höchsten
eingeklagten Differenz, nicht jedoch zweimal der 36-fache Wert beider
Prüfungszeiträume festzusetzen (LAG Baden-Württemberg 12. Juli 2012 - 21 Sa
10/12) - ist die Geltendmachung von Rückständen einerseits und Klage auf
zukünftige Leistung andererseits bezogen auf die Ansprüche ab dem nächsten
Anpassungsstichtag sogar sinnvoll. Dies ist für den Kläger bezüglich der
Rückstände im Sinne von Ansprüchen auf nachträgliche Anpassung aber eben
nur dann gefahrlos möglich, wenn die Rügefrist - sofern die Rüge bislang nicht
erhoben worden war - trotz der gerichtlichen Zustellung durch Eingang der Klage
beim Arbeitsgericht eingehalten wird.
41 (2) Die Auslegung des § 167 ZPO verbietet zudem nach Auffassung der Kammer
die generelle Erstreckung auf Fristen, die auch ohne Inanspruchnahme eines
Gerichts gewahrt werden können (so aber BGH 17. Juli 2008 - I ZR 109/05 - Rn.
21 ff., BGHZ 177, 319). Ob von dieser Regel Ausnahmen zuzulassen sind, kann
unentschieden bleiben. Jedenfalls die streitgegenständliche Rügefrist nach § 16
BetrAVG erfordert eine solche Ausnahme nicht.
42 (2.1) Bei der Auslegung von Gesetzen ist zunächst vom Gesetzeswortlaut
auszugehen. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille des
Gesetzgebers und der damit von ihm verfolgte Sinn und Normzweck des
Gesetzes zu berücksichtigen. Abzustellen ist ferner auf den systematischen
Zusammenhang, sofern er im Gesetz erkennbaren Ausdruck gefunden hat, weil
häufig nur bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Sinn und
Zweck zutreffend ermittelt werden können. Als Auslegungsgrundsätze sind der
Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der
einschlägigen Vorschriften und deren Sinn und Zweck anerkannt (vgl. BVerfG 25.
Januar 2011 - 1 BvR 918/10 - Rn 68, BVerfGE 128, 193 mit Verweis auf BVerfG
24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - D. I. der Gründe, BVerfGE 93, 37, 81). Ein eindeutiger
Wortsinn ist grundsätzlich bindend. Von ihm darf nur abgewichen werden, wenn
der Gesetzeszweck eine abweichende Auslegung nicht nur nahe legt, sondern
gebietet. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer
zweckmäßigen, vernünftigen und gerechten Regelung führt (vgl. BAG 18. Mai
2006 - 6 AZR 615/05 - Rn. 14, ZTR 2006, 667 mwN). Diese Regeln gelten auch
für die Auslegung von Prozessvorschriften (Baumbach/Lauterbach/
Albers/Hartmann ZPO 70. Aufl. Einl. III Rn. 36).
43 (2.2) Der Wortlaut des § 167 ZPO ist nicht eindeutig: Er spricht generell von
Fristen, ohne dass eine Einschränkung auf solche geregelt ist, die gerade auf
Grund gesetzlicher Normierung durch die gerichtliche Geltendmachung
eingehalten werden können oder müssen (vgl. nur § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, § 4
KSchG, § 61b Abs. 1 ArbGG; vgl. auch Stein/Jonas/Herbert Roth ZPO 22. Aufl. §
167 Rn. 3).
44 (2.3) Die Entstehungsgeschichte der Norm spricht jedoch bereits für die
grundsätzliche Unanwendbarkeit auf Fristen, die nicht der gerichtlichen
Geltendmachung bedürfen. § 167 ZPO entspricht dem früheren § 270 Abs. 3
ZPO. Zu diesem hat der BGH (8. November 1979 - VII ZR 86/79 - BGHZ 75, 307
unter II. 2. a) der Entscheidungsgründe) wie folgt ausgeführt:
45 "Der Wortlaut des § 270 Abs. 3 ZPO (§ 261b Abs. 3 ZPO aF) stimmt mit
demjenigen des § 496 Abs. 3 ZPO aF überein, der im Zusammenhang mit der im
Jahre 1909 erfolgten Einführung des Amtsbetriebes im amtsgerichtlichen
Verfahren in die ZPO eingefügt wurde. In der amtlichen Begründung des
Gesetzentwurfs war ausgeführt, da Zustellungen mit der Einführung des
Amtsbetriebes der Einwirkung und insbesondere der Beschleunigung seitens der
Parteien entzogen würden, habe dafür Sorge getragen werden müssen, dass "in
den Fällen, in welchen die Zustellung zur Wahrung einer Frist oder zur
Unterbrechung der Verjährung erforderlich ist, der Zeitraum, den die Ausführung
der Zustellung nach der Einreichung oder Anbringung des Antrages oder der
Erklärung durch die Partei noch in Anspruch nimmt, dieser nicht zum Nachteile
gereiche" (Verhandlungen des Reichstages, Bd. 246 S. 4568). Nachdem der
Amtsbetrieb auch für das landgerichtliche Verfahren eingeführt worden war, wurde
im Jahre 1950 die bisher nur für die Amtsgerichte getroffene Regelung in § 261b
Abs. 3 ZPO auch für das landgerichtliche Verfahren übernommen (vgl. die
amtliche Begründung der Vereinheitlichungsnovelle von 1950, BTDrucks. 1.
Wahlperiode, Anl. 1a der Drucks Nr. 530). Diese Regelung hatte somit den
Zweck, den Parteien, die bis dahin die Zustellungen im Prozess selbst besorgten
und deshalb deren Zeitpunkt zuverlässig selbst bestimmen konnten, das von
ihnen nicht mehr kalkulierbare Risiko einer Verspätung der amtlichen Zustellung
abzunehmen, indem bestimmt wurde, dass die Zustellung auf den Zeitpunkt der
Einreichung des Antrags bei Gericht zurückwirken sollte."
46 Ein solches unkalkulierbares Risiko musste der Kläger hier nicht eingehen. Eine
bestimmte Form der Geltendmachung bzw. eine bestimmte Zustellung ist für die
Rüge nicht vorgesehen. Darauf weist der Kläger selbst hin.
47 (2.4) Auch der Gesamtzusammenhang lässt nach Auffassung der Kammer eine
Erstreckung der Anwendbarkeit des § 167 ZPO auf die hier streitgegenständliche
Rügefrist nicht zu.
48 Die Norm findet sich im 3. Abschnitt "Verfahren", 2. Titel "Verfahren bei
Zustellungen" im 1. Untertitel "Zustellungen von Amts wegen". Der
Anwendungsbereich der Norm ist damit klar umrissen: Er bezieht sich auf
Zustellungen, die eine Partei in einem - gerichtlichen - Verfahren nicht selbst
bewirken kann, sondern auf einen Dritten - das Gericht - angewiesen ist. Die Rüge
einer fehlerhaften Anpassung im Rahmen des § 16 BetrAVG kann dagegen ohne
Weiteres außergerichtlich erhoben werden. Will ein Versorgungsempfänger allein
eine Rüge erheben, ohne damit zugleich Ansprüche auf höhere Betriebsrente
klageweise zu verfolgen, kann er sich nicht des gerichtlichen Verfahrens
bedienen. Er führt gerade keine Klage. Selbst wenn die Rüge als Willenserklärung
anzusehen wäre, käme der Versorgungsempfänger nur dann in den Genuss der
Rückwirkung des § 167 ZPO, wenn er sich nach § 132 Abs. 1 Satz 1 BGB der
Vermittlung eines Gerichtsvollziehers bediente. Nach § 132 Abs. 1 Satz 2 BGB
iVm. §§ 191, 192 Abs. 2 Satz 1, 167 ZPO wird die Frist mit Übergabe des die
Willenserklärung enthaltenden Schriftstücks an den Gerichtsvollziehers
eingehalten. Diese Art der Zustellung soll den Zugang einer Willenserklärung, der
grundsätzlich in §§ 130 BGB geregelt ist, ersetzen. Dieser "Ersatzzugang" sollte
gewählt werden, wenn - insbesondere bei zu befürchtender Zugangsvereitelung -
der Zugang einer empfangsbedürftigen Erklärung nachweisbar sein soll
(MünchKommBGB/Einsele 6. Aufl. § 132 Rn. 1; Kaiser NJW 2009, 2187). Sinn
und Zweck des § 132 BGB sind daher auf Ausnahmesituationen ausgerichtet und
widerlegen das Vorliegen eines generellen Grundsatzes, die Rückwirkung des §
167 ZPO solle - bis auf Ausnahmen - generell auf alle Fristen zutreffen. Das
stimmt überein mit dem Grundsatz, dass der Erklärende und nicht der
Erklärungsempfänger das Risiko der nicht fristgerechten Übermittlung einer
Willenserklärung (Verzögerungsrisiko) trägt. § 130 Abs. 1 BGB regelt, dass eine
Willenserklärung gegenüber Abwesenden erst mit Zugang wirksam wird. Dieser
Grundsatz wird bestätigt durch Ausnahmevorschriften wie § 121 Abs. 1 Satz 2
BGB, wonach die einem Abwesenden gegenüber erfolgte Anfechtung als
rechtzeitig erfolgt gilt, wenn die Anfechtungserklärung unverzüglich abgesendet
worden ist. Hier wird ausnahmsweise das Verzögerungsrisiko dem
Erklärungsempfänger aufgebürdet (so auch Arbeitsgericht Stuttgart 29. November
2011 - 24 Ca 5176/11 - nicht rechtskräftig).
49 Wenn der Bundesgerichtshof ausführt, es wäre nicht gerechtfertigt, einer
Zustellung durch Vermittlung des Gerichts in gleichartigen Fällen die Rückwirkung
zu versagen (BGH 17. Juli 2008 - I ZR 109/05 - Rn. 24 aaO.), fehlt hierfür eine
tragfähige Begründung. Sofern damit eine planwidrige Regelungslücke
angesprochen wird, die die analoge Anwendung des § 167 ZPO begründen soll,
ist eine solche zu verneinen: Der Anwendungsbereich des § 167 ZPO beschränkt
sich auf das gerichtliche Verfahren. Der Zugang von Willenserklärungen ist
dagegen als Bestandteil der §§ 130 ff. BGB über das Wirksamwerden von
Willenserklärungen geregelt. Lediglich über die ausdrückliche Bestimmung des §
132 Abs. 1 Satz 2 BGB finden prozessuale Bestimmungen auf den Zugang von
Willenserklärungen Anwendung. Daraus wird die Trennung zwischen
außergerichtlich und gerichtlich veranlasstem Zugang erneut deutlich:
Willenserklärungen bedürfen keines gerichtlichen Verfahrens um wirksam zu
werden. Sieht der Gesetzgeber mit der Vermittlung durch den Gerichtsvollzieher
einen Zugang mit Rückwirkung vor, handelt es sich um eine Ausnahmeregelung,
deren weite Auslegung sich verbietet. Bedenken an einer Rückwirkung dürften
deshalb zwar nicht angebracht sein, sofern die Zustellung durch Vermittlung eines
Gerichtsvollziehers die Folge des § 167 ZPO nach sich zieht (a.A.
Stein/Jonas/Herbert Roth aaO.): Eben weil § 132 BGB ausdrücklich die
Möglichkeit des Zugangs einer Willenserklärung durch Vermittlung eines
Gerichtsvollziehers gleichberechtigt regelt und § 191 ZPO die entsprechende
Anwendung der Vorschriften über die Zustellung von Amts wegen anordnet, muss
auch für denjenigen, der sich diesem staatlichen Organ anvertraut, der Schutz
des § 167 ZPO greifen. Weiter geht der Schutz jedoch nicht.
50 (2.5) Eine Gleichstellung des gerichtlich vermittelten Zugangs mit dem - ggf. auch
durch Mitwirkung eines Gerichtsvollziehers - außergerichtlich bewerkstelligten
Zugang ist auch nicht mit Sinn und Zweck des § 167 ZPO zu rechtfertigen. Sofern
darauf hingewiesen wird, es sei nicht überzeugend, demjenigen, der bei der
Verfolgung seiner Ansprüche den sichersten Weg, nämlich die gerichtliche
Durchsetzung wählt, vorzuwerfen, er hätte parallel dazu privat Erklärungen
gleichen Inhalts an den Adressaten richten müssen, vielmehr sei dem Wortlaut
der Norm entsprechend § 167 ZPO auch in diesen Fällen grds. anzuwenden, die
Nichtanwendung stelle die begründungsbedürftige Ausnahme dar
(MünchKommZPO/Häublein 3. Aufl. § 167 Rn. 5), fehlt hierfür eine tragfähige
Begründung.
51 Sinn und Zweck des § 167 ZPO ergeben sich maßgeblich aus der
Entstehungsgeschichte. Insofern ist auf die vorstehenden Ausführungen unter (I.
2. d) bb) (2.3) der Entscheidungsgründe) zu verweisen. Die Regelung will den
Parteien das von ihnen nicht beherrschbare Risiko einer verspäteten amtlichen
Zustellung abnehmen. Damit ist es nicht in Einklang zu bringen, wenn eine Partei,
die auf eine solche Zustellung nicht angewiesen ist, zu lasten des
Erklärungsempfängers an den "Segnungen" der Rückwirkung teil hat. Hätte sie
die amtliche Zustellung nicht gewählt, wäre es ihr ggf. nicht möglich gewesen, die
Frist unmittelbar gegenüber dem Empfänger einzuhalten. Dies soll ihr nun durch
den Umweg über das Gericht möglich sein. Ein Grund für diese Privilegierung ist
nicht zu erkennen. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, dass eine Partei
insofern "das Gesetz beim Wort nimmt und zu Recht erwartet, dass die
Vermittlung des Gerichts Rückwirkung entfaltet" (BGH 17. Juli 2011 - I ZR 109/05 -
Rn. 25, BGHZ 177, 319). "Zu Recht" darf auf diesen Gedanken nach Auffassung
der Kammer allenfalls kommen, wer die Klage mit der Rüge so rechtzeitig bei
Gericht einreicht, dass bei normalem Geschäftsgang mit einem Zugang beim
Adressaten vor Fristablauf zu rechnen ist (so auch MünchKommZPO/Häublein
aaO). Will sich der Erklärende dagegen der Rückwirkung bedienen, weil er sieht,
dass auf außergerichtlichem Weg wegen der üblichen Postlaufzeiten die Frist
nicht einzuhalten, die Klageeinreichung per Fax bei Gericht dagegen am letzten
Tag der Frist noch möglich ist, fehlt es bereits an seiner Schutzwürdigkeit. Er
nimmt durch die gerichtliche Übermittlung bewusst Verzögerungen zu Lasten des
Adressaten in Kauf, um sich selbst Vorteile zu verschaffen.
52 Diesem Bedenken kann nicht Rechnung getragen werden, indem der
Anwendungsbereich des § 167 ZPO in diesem Fall teleologisch reduziert wird.
Soweit vertreten wird, der Zustellungsveranlasser müsse das Dokument zu einer
Zeit bei Gericht einreichen, zu der mit einem fristgerechten Zugang beim
Adressaten zumindest "bei zügigster Bearbeitung" gerechnet werden konnte
(MünchKommZPO/ Häublein aaO), entstellt dies die Norm des § 167 ZPO. Nach
dieser Auffassung wäre ein Versorgungsempfänger verpflichtet, ein Dokument so
rechtzeitig bei Gericht einzureichen, dass es dem Arbeitgeber als Empfänger nicht
nur "demnächst" iSv. § 167 ZPO zugestellt würde, wofür auch die nach Fristablauf
erfolgte spätere Zustellung genügte, da sie auf den Zeitpunkt des Eingangs bei
Gericht zurückwirkte. Vielmehr müsste der Versorgungsempfänger das
Schriftstück so rechtzeitig in den Machtbereich des Gerichts einbringen, dass
noch mit einer Zustellung vor Fristablauf zu rechnen ist. Der Regelungsgehalt des
§ 167 ZPO würde dadurch wegen des Hinzufügens des weiteren
Tatbestandsmerkmals einer rechtzeitigen Überlassung an das Gericht nicht
unwesentlich "gekappt": Nur dann - und eben nicht schon, wenn das Schriftstück
am letzten Tag der Frist bei Gericht eingeht - wirkt die demnächst erfolgte
Zustellung auf den Eingang bei Gericht zurück. Eine solche Veränderung des
Regelungsgehalts des § 167 ZPO überschreitet die Grenzen der Auslegung. Im
Übrigen ist auch nicht erkennbar, was unter einer "zügigsten" Bearbeitung zu
verstehen ist.
53 (2.6) Von Sinn und Zweck des § 167 ZPO ist es auch nicht gedeckt, die
Interessen des Erklärenden über das gebotene Maß hinaus über diejenigen des
Empfängers zu stellen. Folge der Anwendbarkeit des § 167 ZPO auf jedwede
Frist wäre aber, dass mit der durch die Rückwirkung regelmäßig einhergehenden
Verzögerung des Zugangs eine allgemeine Relativierung von gesetzlichen und
vertraglich vereinbarten Fristen einherginge, die der Gesetzgeber mit der
Bestimmung des § 167 ZPO nicht beabsichtigt hat (vgl. BGH 21. Oktober 1981 -
VIII ZR 212/08 - NJW 1982, 172 zu § 270 Abs. 3 ZPO a.F.). Dies wird der
gebotenen engen Auslegung auf Grund des Ausnahmecharakters der Vorschrift
nicht gerecht (vgl. OLG München 2. November 2004 - 13 U 3554/04 - Rn. 24,
NJW-RR 2005, 1109). Insbesondere lässt dies die erforderliche Abwägung der
Interessen des Erklärenden mit denjenigen des Empfängers vermissen.
54 Die Vorschrift schützt Zustellungsveranlasser vor Rechtsverlusten, die durch
Umstände eintreten, die nicht in ihrer Sphäre liegen und die sie nicht zu vertreten
haben. Die Vorschrift verwirklicht damit einen fundamentalen Grundsatz des
Prozessrechts. § 167 ZPO fasst die früher in §§ 207, 270 Abs. 3 und 693 Abs. 2
ZPO aF enthaltenen Regelungen zusammen. Die Norm berücksichtigt aber auch
das Vertrauen des Adressaten darauf, eine durch Fristablauf erlangte
Rechtsposition nicht zeitlich unbegrenzt wieder verlieren zu können (Zöller/Greger
§ 167 Rn. 1). Insbesondere die Tatsache, dass die Zustellung "demnächst"
erfolgen muss, scheint dafür zu sprechen, den Adressatenschutz in gleicher
Weise zu gewichten wie den Schutz des Zustellungsveranlassers (vgl.
MünchKommZPO/Häublein § 167 Rn. 1). Selbst wenn die Entstehungsgeschichte
der Vorgängervorschriften dafür sprechen sollte, dass es der Norm vorrangig um
den Schutz des Zustellungsveranlassers geht, können die Interessen des
Erklärungsempfängers nicht unberücksichtigt bleiben. Das zum Teil als
unglücklich bezeichnete Wort "demnächst" (MünchKommZPO/Häublein aaO) hat
die Rechtssicherheit des Adressaten der Klage im Auge. Auch wenn damit
schlicht die Zustellung im regulären Geschäftsgang gemeint gewesen sein sollte,
die typischer Weise dementsprechend erfolgt, so darf sich der Adressat doch auf
genau diesen zeitlichen Umfang verlassen, auch wenn dieser keine wie auch
immer geartete Höchstfrist beinhaltet. Angesichts der Vielzahl an Fällen, in denen
selbst eine mehrere Wochen oder Monate später erfolgte Zustellung noch als
"demnächst" angesehen wird (vgl. nur Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann §
167 ZPO Rn. 23), ist eine ausdehnende Auslegung des Anwendungsbereichs
des § 167 ZPO nicht vereinbar mit dem - auch - zu Gunsten des Adressaten
bestehenden Schutzgedanken.
55 Es mag auf den ersten Blick fraglich sein, ob der Unterschied in der Planungs-
und Rechtssicherheit für die Beklagte tatsächlich groß ist, wenn eine Rüge, die sie
noch am 30. Juni 2011 erreicht hätte, rechtzeitig wäre, eine am 1. Juli 2011
eingehende dagegen nicht, zumal sie ihre Anpassungsentscheidung für den
Zeitpunkt des 1. Juli 2011 bereits mit Schreiben vom 21. Juni 2011 verfasst hatte
und sie danach eingehende, aber noch rechtzeitige Ansprüche auf nachträgliche
Anpassung ohnehin nicht mehr in ihre Entscheidung einbeziehen konnte. Damit
würde die Rügefrist aber insgesamt leerlaufen: Ein Arbeitgeber wird nicht erst in
der Nacht des letzten Tages vor dem nächsten Anpassungsstichtag eine
Entscheidung über die Höhe der Anpassung vornehmen. Er muss hierzu ggf.
umfangreiche wirtschaftliche Berechnungen vornehmen und wird bereits geraume
Zeit vor dem folgenden Anpassungsstichtag seine wirtschaftliche Situation prüfen.
In diese muss er ggf. auch rückwirkend höhere Versorgungslasten einstellen,
wenn nach dem vorangegangenen Anpassungsstichtag rechtzeitig Forderungen
auf nachträgliche Anpassung eingingen. Seine wirtschaftliche Lage verschlechtert
sich durch solche Forderungen. Je eher Versorgungsempfänger ihre Ansprüche
geltend machen, desto besser kann ein Arbeitgeber planen. Dahin versteht die
Kammer die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, das den
Versorgungsempfänger für verpflichtet hält, wenigstens außergerichtlich die von
ihm angenommene Fehlerhaftigkeit der letzten Anpassungsentscheidung zu
rügen (vgl. nur BAG 10. Februar 2009 - 3 AZR 610/07 - Rn. 21, AP BetrAVG § 16
Nr. 70). Es geht hierbei entgegen der Auffassung des Klägers nicht darum, dass
der Versorgungsempfänger einen möglichst geringen Aufwand betreiben muss,
sondern um Planungssicherheit für den Arbeitgeber. Wenn er schon nicht mit
einer Klage rechnen darf, so muss doch zumindest irgendeine Art von Äußerung
des Versorgungsempfängers vorliegen, die der Arbeitgeber bei der Ermittlung
seiner wirtschaftlichen Situation einrechnen kann. Dieses Ziel würde in sein
Gegenteil verkehrt, wenn die Planungssicherheit nicht nur bis zum letzten Tag der
Rügefrist, sondern noch darüber hinaus nicht gesichert wäre."
56 Dieser Auffassung und überzeugenden Argumentation schließt sich die
erkennende Kammer auch in Anbetracht der Argumentation des Klägers unter
Verweis auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom
04.04.2012 (Aktenzeichen 23 Sa 2228/11) an und verweist zur Vermeidung von
Wiederholungen vollinhaltlich hierauf.
57 Der Kläger macht auch nicht geltend, dass die Beklagte keine
Anpassungsentscheidung getroffen hat. Der Kläger hat bereits in der Klageschrift
mitgeteilt, dass die Beklagte ihm eine Mitteilung der Anpassung seiner
Betriebsrente/Erhöhung seiner Betriebsrente zum 01.07.2009 gemacht habe. Eine
anderweitige Beurteilung des Geltendmachungszeitraumes beginnend erst mit
dem 01.07.2012 ist danach ausgeschlossen.
C
58
Nebenentscheidungen
59 1. Nachdem die Berufung des Klägers in vollem Umfang keinen Erfolg hat, trägt er
gemäß § 97 Abs. 1 ZPO deren gesamte Kosten.
60 2. Die Revision ist für den Kläger im Hinblick auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG
zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob § 167 ZPO auf Fristen Anwendung findet, mit
deren Einhaltung nicht die Klagerhebung notwendig ist, ist von genereller
Bedeutung für die Rechtsordnung, da die Regelung auf zahlreiche Fristen,
insbesondere die im Arbeitsrecht häufig auftretenden Ausschlussfristen,
Anwendung finden könnte. Die Rechtsfrage ist auch klärungsfähig,
klärungsbedürftig und entscheidungserheblich. Darüber hinaus hat das
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 04.04.2012 - Aktenzeichen
23 Sa 2228/11) bei einem gleichgelagerten Sachverhalt die Anwendbarkeit des §
167 ZPO im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
(Urteil vom 17. Juli 2008 - I ZR 109/05 - in NJW 2009, 765 ff.) bejaht.
61 Rieker Ocker Schröer