Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 10.04.2013

betriebsrat, geschäftsordnung, gerichtlicher vergleich, beratung

LArbG Baden-Württemberg Beschluß vom 10.4.2013, 2 TaBV 6/12
Geschäftsordnung des Betriebsrats - Zulässigkeit der Bildung von
Koordinationsausschüssen
Leitsätze
Der Betriebsrat kann im Rahmen seines Ermessens neben den gesetzlich
vorgesehen Ausschüssen (§§ 27, 28 BetrVG) in seiner Geschäftsordnung auch die
Errichtung anderer Ausschüsse (hier: Koordinationsausschüsse) und so genannter
Fachbeauftragter für bestimmte Themen regeln.
Tenor
1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom
12.09.2012 - 29 BV 75/12 - wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Geschäftsordnung des
Betriebsrats.
2
Die Arbeitgeberin, ein Großunternehmen der Automobilindustrie, beschäftigt in
ihrem Betrieb 1 (Werk S. und Entwicklung PKW mit mehreren Standorten, im
Folgenden: Werk U.) derzeit ca. 20.700 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Im
Werk U. gibt es einen Betriebsrat mit derzeit 43 Mitgliedern. Dabei sind 34
Mitglieder in der Gewerkschaft IG Metall (Mehrheitsfraktion), 2 sind Mitglieder der
Christlichen Gewerkschaft Metall und 7 gehören unabhängigen Listen an (UAG
78/Die Unabhängigen, Liste Zentrum Offensive Metaller). Alle
Betriebsratsmitglieder sind von ihrer beruflichen Tätigkeit entweder gemäß § 38
Abs. 1 BetrVG oder - wenn sie es wollen - faktisch freigestellt.
3
Die Antragsteller Ziff. 1 bis 7 sind Betriebsratsmitglieder und gehören den
Minderheitsfraktionen an.
4
Nach der Betriebsratswahl 2010 beschloss der Betriebsrat am 8. Juli 2010 eine
Geschäftsordnung, die von Mitgliedern der Minderheitsfraktionen gerichtlich
angegriffen wurde. In diesem Verfahren (Arbeitsgericht Stuttgart: 16 BV 244/10)
wurde am 19. Juli 2011 ein gerichtlicher Vergleich geschlossen, der
auszugsweise folgendermaßen lautet:
5
"1. Die Beteiligten Ziff. 1 bis 8 sind sich darüber einig, dass die
Geschäftsordnung des Beteiligten Ziff. 8 (Anm. des Gerichts: Betriebsrat) vom
8.7.2010 durch Beschluss des Beteiligten Ziff. 8 vom 25.11.2010 rechtswirksam
aufgehoben wurde und deren Bestimmungen damit keine Wirkung mehr
entfalten, auch nicht im Wege einer Nachwirkung.
6
2. Die Beteiligten Ziff. 1 bis 8 sind sich darüber einig, dass mit dem unter Ziff. 1
des Vergleichs genannten Beschluss des Beteiligten Ziff. 8 vom 25.11.2010
auch die Bestellung der Centerkoordinatoren des Werkes U. und Entwicklung
PKW (Betrieb 1) in den Bereichen PAC, PMO, PTU, PGE, DLC und MTC durch
Beschluss des Beteiligten Ziff. 8 vom 8.7.2010 (vgl. Ziff. 3 des
Betriebsratsprotokolls Nr. 10/2010 vom 14.7.2010) hinfällig geworden und deren
Funktion voll umfänglich entfallen ist. Der Beteiligte Ziff. 8 verpflichtet sich, bei
der tatsächlichen Betriebsratsarbeit entsprechend dem Wegfall der
Centerkoordinatoren und der Ansprechpartner zu verfahren, insbesondere im
Hinblick auf den Informationsfluss, der für eine sachgerechte Betriebsratsarbeit
aller Betriebsräte notwendig ist, und dies entsprechend zu kommunizieren.
…"
7
Am 2. Februar 2012 beschloss der Betriebsrat eine neue
Rahmengeschäftsordnung (im Folgenden: RGO), die auszugsweise folgenden
Wortlaut hat:
8
"Sowohl Art und Umfang der Aufgaben, die dem Betriebsrat vorgegeben sind,
wie auch die Größe des Betriebsrats selbst, machen es notwendig, dass
9
– die Vorbereitung von Entscheidungen,
– wie auch die selbstständige Erledigung von Aufgaben in Ausschüssen gemäß
§ 28 BetrVG erfolgt.
10
I. Ausschüsse
11
I.1. Fachausschüsse
12
Es werden folgende Fachausschüsse gebildet:
13
14
I.2. Weitere Ausschüsse
15
Neben den Fachausschüssen werden Koordinationsausschüsse gebildet.
16
II. Fachbeauftragte
17
Für die dauerhafte Bearbeitung besonderer Themenkomplexe kann der
Betriebsrat aus seiner Mitte Fachbeauftragte benennen. Die Fachbeauftragten
unterstützen und beraten den Betriebsrat und seine Ausschüsse im Rahmen der
Beschlüsse in den spezifischen Themenbereichen und nehmen für den
Betriebsrat die in Anlage 3 definierten Aufgaben wahr, soweit der Betriebsrat
oder die Fachausschüsse die Aufgaben nicht selbst übernehmen.
18
Die Fachbeauftragten sind als Gast in den Betriebsausschuss und die Fach-
oder Koordinationsausschüsse einzuladen soweit sie nicht selbst Mitglied sind,
wenn dort Fragen des Themenkomplexes behandelt werden, mit dessen
Bearbeitung sie beauftragt sind. Die Fachbeauftragten werden vom Betriebsrat
in die entsprechenden Kommissionen des Gesamtbetriebsrates entsandt. Sie
vertreten außerdem den Betriebsrat in den entsprechenden Arbeits- und
Steuerkreisen des Unternehmens, falls dabei eine Beteiligung des Betriebsrates
vorgesehen ist.
19
Die Fachbeauftragten berichten regelmäßig dem Betriebsrat bzw. seinen
Ausschüssen und holen ggf. erforderliche Beschlüsse ein.
20
Anlage 1
21
Fachausschüsse
22
(Anm. des Gerichts: Es folgen Regelungen für 11 Fachausschüsse)
23
Anlage 2
24
Koordinationsausschüsse
25
1. Anzahl, Zuständigkeit und Zusammensetzung
26
Gebildet werden 6 Koordinationsausschüsse, deren Zuständigkeitsbereich sich
einerseits an den strukturellen Erfordernissen der Betriebsratsarbeit und
andererseits an den Strukturen des Unternehmens orientieren.
27
- PMO (7 Mitglieder)
- PAC (6 Mitglieder)
- PGE/PPA (5 Mitglieder)
- PTU (7 Mitglieder)
- DLC (7 Mitglieder)
- MTC (6 Mitglieder)
28
Über die Größe der Koordinationsausschüsse (Anzahl der Ausschussmitglieder)
entscheidet der Betriebsrat mit der Mehrheit seiner Mitglieder auf Basis der Zahl
der Beschäftigten und der strukturellen Bedingungen im Koordinationsbereich.
Die Mitglieder der Koordinationsausschüsse werden vom Betriebsrat gemäß der
§§ 27 und 28 BetrVG gewählt.
29
Der Betriebsrat wählt die Vorsitzenden der Koordinationsausschüsse und deren
Stellvertreter.
30
Die Vorsitzenden der Koordinationsausschüsse bzw. deren Stellvertreter
koordinieren die Wahrnehmung der Aufgaben durch die Mitglieder des
jeweiligen Koordinationsausschusses in ihrem Koordinationsbereich. Die
Koordinationsausschüsse nehmen ihre Aufgaben abteilungsübergreifend wahr.
Die Vorsitzenden der Koordinationsausschüsse bzw. deren Stellvertreter sind
der/die verantwortliche Ansprechpartner/-in für das Unternehmen im
Koordinationsbereich und im Rahmen der Aufgaben des
Koordinationsausschusses zur Entgegennahme von Erklärungen berechtigt.
31
2. Aufgaben der Koordinationsausschüsse
32
Die Koordinationsausschüsse betreuen die Beschäftigten in dem jeweiligen
Koordinationsbereich.
33
Der Betriebsrat überträgt den Koordinationsausschüssen folgende Aufgaben zur
selbständigen Erledigung, sofern davon ausschließlich Beschäftigte des
jeweiligen Koordinationsbereichs berührt werden und soweit kein
Fachausschuss speziell zuständig ist.
34
- Wahrnehmung der allgemeinen Aufgaben gemäß § 80 BetrVG.
35
- Empfehlung an den Betriebsausschuss zur Genehmigung bzw. Ablehnung von
Überzeit oder Mehrarbeit gemäß § 87 I Ziff. 3 BetrVG.
36
- Überprüfen von Entgeltänderungen, Ein- und Umstufungen, Empfehlung an
Entgeltausschuss sowie Beratung der Kollegen/innen im Rahmen im Rahmen
der Betriebsaufgaben bei Einstufungen und Umstufungen, ggf. Reklamationen
durch ÖPK
37
- Abklärung personeller Einzelmaßnahmen, nach Beauftragung PA; Empfehlung
an den Personalausschuss.
38
- Beteiligung des Betriebsrates am Projektteam Gruppenarbeit, REZEI sowie
Projektbegleitung Gruppenarbeit bei BR-relevanten Themen.
39
- Beteiligung des Betriebsrates an den Arbeitsgruppen zur Programmerfüllung.
40
- Beratung der Mitarbeiter/innen bei Entgeltfragen, Berufsbildungsfragen,
sozialen Angelegenheiten, Arbeitsplatzgestaltung, betriebliches
Vorschlagwesen.
41
- Unterstützung des Ausschusses für Arbeitssicherheit, Umwelt und Gesundheit
in Fragen des Arbeits- und betrieblichen Umweltschutzes gemäß § 89 BetrVG
sowie in Fragen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung gemäß § 9 AsiG.
42
- Prüfen von Unfallmeldungen
43
- Zustimmung zur Ernennung von Fachbeauftragten für Arbeitssicherheit gemäß
§ 9 Abs. 3 AsiG.
44
- Wahrnehmung der Unterrichtungs- und Beratungsrechte gemäß
Qualifizierungs-Tarifvertrag und Qualifizierungs-Betriebsvereinbarung.
45
- Erstellen von Vorschlägen für die Benennung von Beauftragten des
Betriebsrats aus seinem Koordinationsbereich. Die Beauftragten sollen das
Vertrauen des Betriebsrats und der Beschäftigten in ihrem Arbeitsbereich haben.
Der Koordinationsausschuss soll Beauftragte aus den verschiedenen
Arbeitsbereichen und Beschäftigungsarten vorschlagen. Das Geschlecht, das in
der Minderheit ist, soll angemessene Berücksichtigung finden.“
46
Anlage 3
Fachbeauftragte
47
1. Fachbeauftragte(r) für Diversity, Gleichstellung, Familie und Beruf
48
Aufgaben:
49
Förderung der Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und
Männern und der Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit
gemäß § 80 Abs. 2a und 2b BetrVG in Zusammenarbeit mit dem
Personalausschuss.
50
Mitwirkung im Steuerkreis „Frauenförderung“ am Standort.
51
2. Fachbeauftragte(r) (Aufgaben der Koordinationsausschüsse
52
Aufgaben:
53
Betreuung und Beratung der Beschäftigten der Ebene 4, insbesondere Beratung
in Fragen der Einstufung und des Leistungsentgelts für Ebene 4 gemäß ERA-
TV, Teilnahme an entsprechenden Projektgruppen/Arbeitskreisen auf Ebene
des Gesamtbetriebsrats.
54
3. Fachbeauftragte(r) für Beschäftigte der Ebene 5
55
Aufgaben:
56
Betreuung und Beratung der Beschäftigten der Eben 5, , insbesondere Beratung
in Fragen der Einstufung und des Leistungsentgelts für Ebene 5 gemäß ERA-
TV, Teilnahme an entsprechenden Projektgruppen/Arbeitskreisen auf Ebene
des Gesamtbetriebsrats (z. B. zum Meisterbild).
57
4. Fachbeauftragte(r) für Fragen zur Rente und betrieblichen
Altersversorgung
58
Aufgaben:
59
Beratung aller Beschäftigten in Fragen der Rente und betrieblichen
Altersversorgung.
60
Teilnahme an technischen Kommissionen, Projektgruppen zur Vorbereitung der
Verhandlung bzw. Umsetzung der betrieblichen Regelungen für den Standort.
61
Begleitung des Umsetzungsprozesses der betrieblichen Regelungen“
62 Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Bereiche PMO
(Produktleistungszentrum Motoren) zum 31. Dezember 2012 insgesamt 2964
Beschäftigte, PAC (Produktionleistungszentrum Achsen) 2925 Beschäftigte, PEG
(Produktionsleistungszentrum Getriebe) und PPA (Center Produktionsplanung
Aggregate) insgesamt 3028 Beschäftigte, PTU (Produktions-und
Technologiecenter Ur- und Umformen) 3097 Beschäftigte, DLC
(Dienstleistungscenter) 5384 Beschäftigte und MTC (M. Technology Center) 2613
Beschäftigte hatten.
63 Zwischen den Beteiligten steht weiter außer Streit, dass in alle 6
Koordinationsausschüsse jeweils ein Vertreter der Minderheitsfraktionen gewählt
ist und nur Betriebsratsmitglieder der Mehrheitsfraktion Fachbeauftragte sind.
64 Die Antragsteller der Minderheitsfraktionen des Betriebsrats halten die RGO in
großen Teilen für unwirksam.
65 Die Bildung von Koordinationsausschüssen verstoße schon gegen den
gerichtlichen Vergleich vom 19. Juli 2011, in dem so genannte
Centerkoordinatoren entfallen seien. Die Centerkoordinatoren lebten jetzt als
Koordinationsausschussvorsitzende fort. Weiter sind die Antragsteller der
Auffassung, dass mit den Koordinationsausschüssen Substrukturen innerhalb
des Betriebsrats geschaffen worden seien, die gegen das
Betriebsverfassungsgesetz verstießen. Mit diesen Koordinationsausschüssen
seien unzulässige Gremien geschaffen worden, die den Mitgliedern der
Minderheitsfraktionen des Betriebsrats die Möglichkeit nähmen, ihren Aufgaben
als Betriebsräte nachzukommen. Dadurch, dass die Koordinationsausschüsse
als Ansprechpartner für bestimmte betriebliche Bereiche gebildet worden seien,
werde sowohl der Kontakt zu den Arbeitnehmern dieser "Betriebsteile" als auch
der Kontakt zu den Vertretern der Arbeitgeberin unterbunden. Außerdem sei die
Übertragung der allgemeinen Aufgaben im Sinne des § 80 BetrVG auf die
Koordinationsausschüsse des jeweiligen Bereiches viel zu weit gefasst. Dadurch
begebe sich der Betriebsrat seiner Kernrechte und delegiere diese unzulässig auf
Bereichsbetriebsräte.
66 Auch durch die Benennung von Fachbeauftragten, die das
Betriebsverfassungsgesetz nicht kenne, werde der Versuch unternommen, die
Betriebsräte der Minderheitsfraktionen zu verdrängen. Nicht mehr der Betriebsrat
und dessen Fachausschüsse seien nunmehr Ansprechpartner der Arbeitnehmer,
insbesondere der Teamleiter (E4) und der Meister (E5), sondern die zuständigen
Fachbeauftragten.
67 Die Antragsteller sind der Meinung, dass die Mehrheitsfraktion im Betriebsrat
diese Regelungen in der RGO allein mit dem Ziel verfasst habe, um die
Betriebsratsmitglieder der Minderheitsfraktionen "auszuschalten".
68 Die Antragsteller haben erstinstanzlich beantragt (soweit für die vorliegende
Entscheidung noch von Bedeutung):
69
1. Es wird festgestellt, dass die am 2. Februar 2012 beschlossene
Rahmengeschäftsordnung für Ausschüsse des Betriebsrates der D. AG
Werk U. und Entwicklung PKW (Betrieb 1), vom 8. Juli 2010 in der
geänderten Fassung vom 2. Februar 2012 hinsichtlich des Punktes I.2
unwirksam ist.
70
2. Es wird festgestellt, dass die am 2. Februar 2012 beschlossene
Rahmengeschäftsordnung für Ausschüsse des Betriebsrates der D. AG
Werk U. und Entwicklung PKW (Betrieb 1), vom 8. Juli 2010 in der
geänderten Fassung vom 2. Februar 2012 hinsichtlich des Punktes II
"Fachbeauftragte" unwirksam ist.
71 Der Betriebsrat und die Beteiligten 10 bis 43 haben erstinstanzlich beantragt,
72
die Anträge zurückzuweisen.
73 Der Betriebsrat ist der Auffassung, dass weder die Bildung von
Koordinationsausschüssen noch die Benennung von Fachbeauftragten in der
RGO unwirksam seien.
74 Die Regelungen über die Koordinationsausschüsse verstießen nicht gegen den
gerichtlichen Vergleich vom 9. Juli 2011. Die nach den Grundsätzen der
Verhältniswahl gewählten Koordinationsausschüsse seien nicht mit den vom
Betriebsrat bestellten Centerkoordinatoren vergleichbar.
75 Mit den Koordinationsausschüssen würden auch keine unzulässigen
Parallelstrukturen zum Betriebsrat geschaffen. Der Aufgabenbereich, den der
Betriebsrat Ausschüssen gemäß § 28 BetrVG übertragen könne, sei nicht
begrenzt, sondern stehe in dessen Ermessen und unterliege lediglich einer
Missbrauchskontrolle. Es mache keinen Unterschied, ob Fachausschüsse
gemäß § 28 BetrVG inhaltlich oder räumlich abgegrenzt würden. Mit der
Übertragung von allgemeinen Aufgaben im Sinne des § 80 BetrVG gebe der
Betriebsrat nicht seine Kernrechte ab. Vielmehr würden den
Koordinationsausschüssen lediglich Unterrichtungs-, Beratungs- und
Empfehlungsrechte übertragen.
76 Auch die Fachbeauftragten verdrängten nicht den Betriebsrat und dessen
einzelne Mitglieder. Die Fachbeauftragten seien keine eigenständigen
betriebsverfassungsrechtlichen Organe, sondern hätten lediglich Botenfunktionen
wahrzunehmen. Den Antragstellern würden dadurch keine Rechte genommen.
77 Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 12. September 2012 die Anträge
zurückgewiesen. Der angefochtene Beschluss führt aus, dass die von den
Antragstellern beanstandeten Bestimmungen in der RGO nicht unwirksam seien.
Die Bildung von Koordinationsausschüssen verstoße nicht gegen den
gerichtlichen Vergleich vom 19. Juli 2011. Auch aus
betriebsverfassungsrechtlichen Gründen sei die Bildung von
Koordinationsausschüssen nicht zu beanstanden. Auf die
Koordinationsausschüsse seien keine Kernrechte des Betriebsrates übertragen
worden. Auch gegen die Benennung von Fachbeauftragten bestünden rechtlich
keine Bedenken. Den vom Betriebsrat beauftragten Betriebsratsmitgliedern seien
lediglich Sonderaufgaben zugewiesen worden. Den anderen
Betriebsratsmitgliedern sei es unbenommen, sich ebenfalls um diese Themen zu
kümmern.
78 Gegen diesen den Antragstellern am 1. Oktober 2012 zugestellten Beschluss
richtet sich die am 25. Oktober 2012 eingelegte und am 29. November 2012
ausgeführte Beschwerde. Die Antragsteller vertiefen das erstinstanzliche
Vorbringen und sind nach wie vor der Auffassung, dass die beanstandeten
Bestimmungen in der RGO allein mit dem Ziel verfasst worden seien, die Rechte
der Betriebsratsmitglieder der Minderheitsfraktionen zu schmälern.
79 Die Antragsteller beantragen,
80
den angefochtenen Beschluss abzuändern und nach den Schlussanträgen
der 1. Instanz zu entscheiden. Diesen Anträgen haben sich auch die
Beteiligten 44 und 45 im Anhörungstermin angeschlossen.
81 Der Betriebsrat und die Beteiligten 10 bis 43 beantragen,
82
die Beschwerde zurückzuweisen.
83 Der Betriebsrat verteidigt den angefochtenen Beschluss und vertieft ebenfalls
sein erstinstanzliches Vorbringen.
II.
84 Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige
Beschwerde der Antragsteller hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht
hat die Anträge zu Recht zurückgewiesen, da die RGO des Betriebsrats in den
angegriffenen Punkten nicht unwirksam ist.
85 1. Die Regelungen in I.2. der RGO (Koordinationsausschüsse) sind nicht
unwirksam.
86
a) Die antragstellenden Betriebsratsmitglieder können die Unwirksamkeit der
Geschäftsordnung des Betriebsrats geltend machen. Auch wenn die
Geschäftsordnung nur interne Wirkung für die Mitglieder des Betriebsrats besitzt,
handelt es sich bei den Bestimmungen der Geschäftsordnung um echte
Rechtsnormen, da sie Befugnisse und Rechte abgrenzen und Pflichten einzelner
Personen begründen. Deshalb hat die Geschäftsordnung für die Mitglieder des
Betriebsrats verbindliche Kraft und unterliegt der Nachprüfung durch das Gericht
(für die Geschäftsordnung des Personalrats: BVerwG 7. November 1969 - VII P
3.69 -juris, Rn. 20).
87
b) Die in der RGO vorgesehene Bildung von Koordinationsausschüssen verstößt
nicht gegen den Inhalt des gerichtlichen Vergleichs vom 19. Juli 2011.
88
Zwar ist in diesem Vergleich die (ursprüngliche) Geschäftsordnung des
Betriebsrats vom 8. Juli 2010 aufgehoben worden. Damit wurde auch die
Bestellung der damals eingesetzten Centerkoordinatoren rückgängig gemacht. In
diesem Vergleich ist der Betriebsrat jedoch keine Verpflichtung eingegangen,
dass er nicht auch in Zukunft Centerkoordinatoren oder ähnliche Einrichtungen
aufgrund einer neuen Geschäftsordnung bilden kann. Im Übrigen sind die
mehrköpfigen und im Rahmen der Verhältniswahl gebildeten
Koordinationsausschüsse nicht mit den durch Mehrheitsbeschluss ernannten
Koordinatoren vergleichbar.
89
c) Gegen die in der RGO vorgesehenen Koordinationsausschüsse bestehen
keine rechtlichen Bedenken.
90
In größeren Betrieben ist der Betriebsrat verpflichtet, gemäß § 27 BetrVG einen
Betriebsausschuss zu bilden, der die laufenden Geschäfte des Betriebsrats führt.
Daneben kann der Betriebsrat gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 BetrVG andere
Ausschüsse bilden und ihnen bestimmte Aufgaben übertragen (so genannte
Fachausschüsse). Hierdurch sollen nach der Vorstellung des Gesetzgebers die
Betriebsräte die Möglichkeit erhalten, "die Betriebsratsarbeit besser und effektiver
zu strukturieren und zu erledigen, indem sie für bestimmte Angelegenheiten
Fachausschüsse bilden können, die für fachspezifischen Themen zuständig sind
und diese für eine sachgerechte Beschlussfassung im Betriebsrat vorbereiten"
(BT-Drs. 14/5741, Seite 39/40). Dabei sind diese Fachausschüsse keine
eigenständige Vertretung der Arbeitnehmer, sondern Organe des Betriebsrats
und haben diesem gegenüber eine dienende, unterstützende Funktion (GK-
BetrVG-Raab 9. Aufl. § 28 Rn. 11). Ob und welche Arten von Ausschüssen der
Betriebsrat bildet und welche Aufgaben er diesen übertragen will, steht im freien
Ermessen des Betriebsrats (Fitting BetrVG 26. Aufl. § 28 Rn. 7; aA: GK-Raab Rn.
19: pflichtgemäßes Ermessen). Deshalb kann der Betriebsrat neben den
gesetzlich vorgesehenen Ausschüssen des Betriebsrats nach §§ 27 und 28
BetrVG durch Betriebsvereinbarung auch die Errichtung anderer, nicht im BetrVG
vorgesehener Ausschüsse errichten (Fitting aaO Rn. 12). Es bestehen keine
rechtlichen Bedenken, wenn der Betriebsrat neben Fachausschüssen, die für
bestimmte Themen für den ganzen Betrieb zuständig sind, auch
Koordinationsausschüsse, die nur für bestimmte räumlich abgegrenzte Teile des
Betriebes eine Zuständigkeit besitzen, bildet. Das Bundesarbeitsgericht hat in
diesem Zusammenhang keine Bedenken gegen einen so genannten
Koordinierungsausschuss gehabt, der sich aus 2 Mitgliedern aller in einer
bestimmten Region tätigen Betriebsräte eines Unternehmens zusammengesetzt
hat (BAG 15. Januar 1992 - 7 ABR 24/91 - AP Nr. 10 zu § 26 BetrVG 1972, juris
Rn. 49).
91
Der Betriebsrat kann vorbereitende Ausschüsse errichten oder den
Ausschüssen bestimmte Angelegenheiten zur selbständigen Erledigung
übertragen. Der Kreis der Angelegenheiten, der den Ausschüssen des
Betriebsrats übertragen werden kann, ist grundsätzlich nicht begrenzt, muss sich
jedoch im Rahmen der funktionellen Zuständigkeit des Betriebsrats halten. Die
Übertragung von Angelegenheiten zur selbstständigen Erledigung auf
Ausschüsse des Betriebsrats darf nur nicht so weit gehen, dass dem Betriebsrat
als Gesamtorgan nicht ein Kernbereich der gesetzlichen Befugnisse verbleibt
(BAG 20.Oktober 1993-7 ABR 46/93-AP Nr. 5 zu § 28 BetrVG 1972, juris Rn 26;
Fitting aaO § 27 Rn. 78).Im Gegensatz zum Betriebsausschluss ist für andere
Ausschüsse des Betriebsrats keine bestimmte Größe vorgeschrieben. Die Größe
braucht sich nicht an die des Betriebsausschusses anzulehnen; ihre Festlegung
liegt im Ermessen des Betriebsrats. Die Zweckmäßigkeit dieser Entscheidung
unterliegt keiner gerichtlichen Überprüfung. Die Größe von Ausschüssen ist einer
der Faktoren, die bei der grundsätzlich vorgeschriebenen Wahl der
Ausschussmitglieder in Verhältniswahl (§§ 28 Abs. 1 Satz 2, 27 Abs. 1 Satz 3
BetrVG) den Erfolg der einzelnen zur Wahl anstehenden Listen beeinflussen
kann. Je größer die Ausschüsse sind, umso mehr kommen die Grundsätze der
Verhältniswahl zum Tragen. Es besteht jedoch keine Verpflichtung des
Betriebsrats, im Hinblick hierauf die Größe der weiteren Ausschüsse so
festzulegen, dass eine bei der Betriebsratswahl erfolgreiche Liste auch bei der
Besetzung der weiteren Ausschüsse zum Zuge kommt. Denn einen derartigen
Schutz der bei der Betriebsratswahl angetretenen Listen kennt das
Betriebsverfassungsgesetz nicht. Ein solcher Schutz kann auch nicht mit
Billigkeitserwägungen begründet werden (BAG 20. Oktober 1993 aaO, juris Rn.
47 ff.; BAG 16. November 2005 -7 ABR 11/05 -, juris Rn. 26; Fitting aaO § 28 Rn.
26).
92
Wenn man die vorstehend genannten Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden
Sachverhalt anwendet, steht für die erkennende Kammer fest, dass gegen die
Bildung von Koordinationsausschüssen keine rechtlichen Bedenken
durchgreifen. Diesen Koordinationsausschüssen sind ausweislich der Anlage 2
zur RGO in ihrem Zuständigkeitsbereich begrenzte subsidiäre Aufgaben (sofern
die Fachausschüsse nicht zuständig sind) übertragen worden. Neben der
Wahrnehmung der allgemeinen Aufgaben gemäß § 80 BetrVG sind dies vor
allem vorbereitende Aufgaben für den Betriebsausschuss, Personalausschuss
und andere Ausschüsse (Empfehlungen und Unterstützung). Entgegen der
Rechtsansicht der Antragsteller ist mit dieser Aufgabenübertragung kein Eingriff
in die Kernkompetenzen des Betriebsrats gegeben. Diese
Koordinationsausschüsse werden gemäß Anlage 2 zur RGO auch nach den
Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Deshalb sitzen in allen 6
Koordinationsausschüssen auch Betriebsratsmitglieder der
Minderheitsfraktionen. Es kann also keine Rede davon sein, dass die Anzahl der
Mitglieder in den Koordinationsausschüssen in der RGO willkürlich so klein
bestimmt worden ist, dass nach der Verhältniswahl nur Betriebsratsmitglieder der
Mehrheitsfraktion zum Zuge kommen.
93
Die Bestimmungen über die Koordinationsausschüsse in der RGO sind deshalb
nicht rechtsunwirksam.
94 2. Auch die Regelungen in II. der RGO (Fachbeauftragte) sind nicht unwirksam.
95 Auch gegen die Ernennung von einzelnen Betriebsratsmitgliedern zu
Fachbeauftragten für bestimmte Themen durch Mehrheitsbeschluss des
Betriebsrats bestehen keine rechtlichen Bedenken.
96 Wie oben bereits ausgeführt, steht es im freien Ermessen des Betriebsrats
welche Arten von Ausschüssen er bildet und welche Aufgaben er diesen
übertragen will. Daneben kann der Betriebsrat einzelnen Betriebsratsmitgliedern
im Einzelfall Aufgaben übertragen (Fitting aaO § 28 Rn. 16; GK-Raab aaO § 28
Rn. 18; Richardi-Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 26 Rn. 44). Nur eine generelle
Übertragung bestimmter Aufgaben auf einzelne Betriebsratsmitglieder soll
zumindest in kleineren Betrieben im Sinne des § 28 BetrVG (weniger als 101
Arbeitnehmer) nicht zulässig sein (Fitting aaO § 28 Rn. 16; GK-Raab aaO § 28
Rn. 18). Allerdings darf dadurch der Betriebsrat auch hier sich nicht seiner Pflicht
begeben, seine Aufgaben selbst wahrzunehmen.
97 Den in der Anlage 3 zu RGO aufgeführten 4 Fachbeauftragten sind keine zur
selbstständigen Entscheidung führenden Aufgaben übertragen worden. Vielmehr
hat der/die Fachbeauftragte für Diversity, Gleichstellung, Familie und Beruf in
Zusammenarbeit mit dem Personalausschuss insbesondere die tatsächliche
Gleichstellung von Frauen und Männern und die Vereinbarkeit von Familie und
Erwerbstätigkeit zu fördern. Der/die Fachbeauftragte für Fragen zur Rente und
betrieblichen Altersversorgung hat vor allem die Beschäftigten in diesem
Themenkomplex zu beraten. Die Fachbeauftragten für Beschäftigte der Ebene 4
(Teamleiter) und Ebene 5 (Meister) haben insbesondere diese Beschäftigten zu
betreuen und zu beraten. Diese vom Betriebsrat durch Mehrheitsbeschluss
ernannten Fachbeauftragten sind deshalb in erster Linie Ansprechpartner für die
Beschäftigten.
98 Das Gericht verkennt nicht, dass die vom Betriebsrat ernannten
Fachbeauftragten mit der Bekanntmachung im Betrieb vorrangige
Kontaktpersonen im jeweiligen Bereich zu den Beschäftigten sind. Dies verstößt
jedoch nicht gegen die Prinzipien des Betriebsverfassungsgesetzes. Auch in
anderen Fragen kann der Betriebsrat die für den Kontakt zu den Beschäftigten
zuständigen Betriebsratsmitglieder benennen. So kann und wird der Betriebsrat
regelmäßig während der Arbeitszeit Sprechstunden einrichten (§ 39 Abs. 1 Satz 1
BetrVG). In diesem Zusammenhang entscheidet der Betriebsrat dann, welches
oder welche seiner Mitglieder er mit der Durchführung der Sprechstunden
beauftragt (Fitting aaO § 39 Rn. 8).
99 Wie der Anhörungstermin in der 2. Instanz deutlich gezeigt hat, geht es den
Antragstellern nicht um die Benennung von Fachbeauftragten an sich. Auch sie
räumen ein, dass Fachbeauftragte für bestimmte Themen (jedenfalls für Diversity,
Gleichstellung, Familie und Beruf/Rente und betriebliche Altersversorgung) in
Großunternehmen sinnvoll und geboten sein können. In erster Linie beanstanden
sie, dass die Betriebsratsmitglieder der Minderheitsfraktionen bei den
Mehrheitsbeschlüssen des Betriebsrats nicht zum Zuge kommen. Der Grundsatz
des Mehrheitsbeschlusses im Betriebsrat (§ 33 Abs. 1 BetrVG) und seine
Auswirkungen bedeutet aber nicht, dass die Bevollmächtigung von einzelnen
Betriebsratsmitgliedern für bestimmende Themengebiete unzulässig ist.
100 Deshalb sind auch die Bestimmungen über die Fachbeauftragten in der RGO
nicht rechtsunwirksam.
III.
101 Das Verfahren ist gemäß § 2 Abs. 2 GKG gerichtskostenfrei.
102 Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 72
Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.