Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 26.09.2014

nummer, gratifikation, gewinnbeteiligung, allgemeine geschäftsbedingungen

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 26.9.2014, 17 Sa 20/14
Unangemessen lang hinausgeschobene Fälligkeit einer als Gratifikation
bezeichneten Gewinnbeteiligung
Leitsätze
Eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, nach der eine als Gratifikation
bezeichnete Gewinnbeteiligung erst 25 Jahre nach Abschluss der Vereinbarung in
zehn jährlichen Raten auszubezahlen ist, enthält jedenfalls dann eine unangemessen
lange Frist für die Erbringung einer Leistung gemäß § 308 Nr. 1 BGB, wenn eine
Insolvenzsicherung und eine Verpflichtung zur angemessenen Verzinsung fehlt.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 25.
März 2014 - 16 Ca 7533/13 - wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 65.134,51 brutto nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. Juni 2013 zu bezahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Fälligkeit von gutgeschriebenen
Gewinnbeteiligungen, die sie als Gratifikationen bezeichnen.
2 Die Beklagte stellt Heilmittel aus der Natur für den Menschen her. Der Kläger war
bei der Beklagten vom 1. Mai 1997 bis zum 30. September 2012 als Mitarbeiter im
Lager beschäftigt. Sein monatliches Entgelt belief sich zuletzt auf EUR 2.700.00
brutto.
3 Die Beklagte erläutert „Hintergründe zur Gehaltsfindung und Verteilung von
Gewinn und Verlust“ in einer Broschüre (vgl. Anlage B 1, Bl. 129 f. der
erstinstanzlichen Akte), die sie ihren Arbeitnehmern aushändigt – so auch dem
Kläger. Nach II 3 der Broschüre bildet neben dem monatlichen Entgelt eine
„Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmenserfolg einen weiteren Baustein zum
Gesamteinkommen“. Einzelheiten zur Mitarbeiterbeteiligung am
Unternehmenserfolg sind unter II 4.4. der Broschüre wie folgt geregelt:
4
„4.4 Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmensergebnis
5
Da die Bestandteile (4.1 bis 4.3) des Einkommens als Vorauszahlung gelten, wird
die Gesamtjahresabrechnung erst dann möglich, wenn das
Unternehmensergebnis vorliegt.
6
Die Gewinnbeteiligung am Gesamteinkommen heißt Gratifikation.
Diese wird zum Teil bar ausgeschüttet und fließt zum anderen Teil unbar in Form
von Mitarbeiterdarlehen in das Unternehmen zurück.
7
Im Herbst eines jeden Jahres erfolgt eine Hochrechnung des voraussichtlichen
Gewinns. Auf dieser Basis wird eine Barausschüttung an alle berechtigten
Mitarbeiter vorgenommen. Bezugsgrundlage hierfür ist das Jahresarbeitsentgelt.
Auch die unbare Ausschüttung wird proportional zu den Jahresvorauszahlungs-
Einkommen errechnet.
8
Nach dem Bilanzabschluss, der in der Regel im Frühjahr des Folgejahres erfolgt,
entscheidet der Stiftungsvorstand auf Vorschlag der GmbH-Geschäftsführung, ob
und in welcher Höhe eine unbare Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter vorgenommen
wird. Diese fließt wieder an das Unternehmen zurück und kommt zu einem
späteren Zeitpunkt zur Auszahlung, frühestens nach 25 Jahren oder mit dem
Bezug einer Rente. Übersteigt die Gesamtsumme der Mitarbeiterdarlehen 70 %
der Bilanzsumme, so muss dieser Überschuss ausgezahlt werden. Dabei werden
die ältesten Darlehensverträge zuerst berücksichtigt, die jüngsten zuletzt.
9
Zur Berechnungsmethode für die Verteilung bar und unbar wird das
Jahresarbeitsentgelt (4.1 + 4.2 + 4.3) zugrunde gelegt.“
10 Dementsprechend schlossen die Parteien am 1. Januar 2000 nachfolgende
„Gratifikationsvereinbarung“ ab (vgl. Anlage B 3, Bl. 143 erstinstanzliche Akte):
11 1) W. gewährt dem Mitarbeiter auf rein freiwilliger Basis für die Zukunft von der W.
abänderbar und nur nach den vorliegend aufgestellten und vom Mitarbeiter
akzeptierten Regeln eine Gratifikation, auf die ein Anspruch lediglich gemäß
vorliegendem Text und nur dann erwachsen kann, wenn der Mitarbeiter ab dem
ersten Tag des Arbeitsverhältnisses mindestens 3 Jahre ununterbrochen und
ungekündigt bei der W. tätig war; ist dies nicht der Fall, verfallen etwaige
Anwartschaften.
12 Die Höhe der jeweiligen freiwilligen jährlichen Gratifikation wird dem Mitarbeiter nur
kurz, mit Hinweis auf die Gratifikationsregelung gemäß vorliegendem Text, jährlich
neu bekannt gegeben.
13 2) Für die Auszahlung der Gratifikation an den Mitarbeiter gelten folgende
Bestimmungen:
14 a) Der Mitarbeiter kann die Auszahlung der Gratifikation nach dem Ablauf von 25
Jahren (seit heute gerechnet) schriftlich verlangen, und zwar auch dann, wenn er
vorher aus der W. ausgeschieden ist - gleich auf wessen Veranlassung und
gleich aus welchem Grund;
15 b) sobald die in der konsolidierten Handelsbilanz der W.-Stiftung und der W.
ausgewiesenen Rückstellungen für Gratifikationen (i. S. dieser Vereinbarung) 70
% der Bilanzsumme übersteigen, wird W. - unabhängig von den Voraussetzungen
des Buchst. a) - jeweils die Rückstellungen durch die Auszahlung von
Gratifikationen auf 70 % der Bilanzsumme zurückführen. Dabei werden die
Gratifikationen entsprechend der zeitlichen Reihenfolge ihrer Zusage -
gegebenenfalls teilweise ausbezahlt, d. h. jeweils die Gratifikationen mit der
älteren Zusage vor denen mit der jüngeren Zusage, im übrigen nach dem billigen
Ermessen von W.;
16 c) die Auszahlung der Gratifikation beginnt - unabhängig von den
Voraussetzungen der Buchst. a) und b) - spätestens mit dem Ausscheiden des
Mitarbeiters altershalber aus der W. oder mit dem Eintritt seiner Invalidität bzw.
seiner Teilinvalidität, maßgeblich ist der Rentenbescheid;
17 d) scheidet der Mitarbeiter infolge einer von der W. ausgesprochenen ordentlichen
Kündigung aus, so kann W. die gesamte Gratifikation sofort in einem Betrag an
den Mitarbeiter ausbezahlen;
18 e) scheidet der Mitarbeiter infolge einer von W. ausgesprochenen fristlosen
Kündigung aus wichtigem Grund aus, so kann W. mit einer ihr etwa gegen den
Mitarbeiter zustehenden Schadenersatzforderung gegen dessen
Gratifikationsanspruch aufrechnen;
19 f) die Auszahlung der Gratifikation erfolgt in den Fällen der Buchstaben a), b) und
c) in zehn gleichen Jahresraten, jeweils am Letzten eines Kalenderjahres,
erstmals am Letzten des Kalenderjahres, in dem die in den Buchst. a), b) und c)
bestimmten Voraussetzungen eingetreten sind. Unberührt bleibt das Wahlrecht
der W. gemäß Buchst. d);
20 g) bei teilweiser Invalidität erfolgt die Auszahlung entsprechend dem amtlich
festgestellten Grad der Invalidität;
21 h) nach dem Eintritt des Rentenalters kann die in Buchst. f) bestimmte
Auszahlungsdauer im gegenseitigen Einvernehmen verkürzt werden;
22 i) bei Auszahlung der Gratifikation - in Raten oder in einem Betrag - behält W. die
entsprechenden Steuern ein, ebenso etwaige anfallende
Sozialversicherungsabgaben, einschließlich dem Arbeitgeberanteil zur
Sozialversicherung.
23 3) Im Todesfall des Mitarbeiters gelten die Bestimmungen dieser Vereinbarung für
und gegen die Erben des Mitarbeiters in gleichem Umfange wie vorher für und
gegen den Mitarbeiter.
24 4) Die Verzinsung der Gratifikation beträgt entsprechend der Geschäftslage bis zu
maximal 6 % p. a. Aufgrund des in der Mitarbeiter-Information vorgestellten
bilanziellen Jahresergebnisses wird die Zinshöhe von der Geschäftsleitung
jährlich neu festgelegt, mit der Mitarbeiter-Vertretung beraten und in der
Mitarbeiter-Information begründet.
25 a) Tätigen Mitarbeitern oder wegen Altersrente, wegen Invalidität oder
Teilinvalidität ausgeschiedenen Mitarbeitern werden die Zinsen entsprechend den
gesetzlichen Regelungen mit oder ohne Steuern bis spätestens 31. Januar des
dem Kalenderjahr folgenden Jahres ausbezahlt.
26 b) Ehemalige, außer der unter 4a) genannten Mitarbeiter, erhalten Zinsen in der
jeweils festgesetzten Höhe für das Kalenderjahr ihres Ausscheidens. Danach
können Zinsen auch ganz entfallen.
27 c) Härtefälle werden nach billigem Ermessen der W. entsprechend 4a) oder 4b)
entschieden.
28 5) Der Gratifikationsanspruch darf weder abgetreten noch verpfändet werden.
29 6) Die Gewährung der Gratifikation gemäß Ziff. 1 begründet für den Mitarbeiter
keinen Anspruch auf die Zusage weiterer Gratifikationen in der Zukunft; dies gilt
auch dann, wenn ihm bereits für mehrerer Kalenderjahre (gleichgültig für welche
Anzahl - mit oder ohne Unterbrechungen) Gratifikationen gewährt worden sind.“
30 Nummer 10 des Arbeitsvertrags vom 13. Oktober 1998 enthält dazu folgende
Regelung (vgl. Anlage K 6, Bl. 244 f. erstinstanzliche Akte):
31 „Die Geschäftsführung empfiehlt Frauen nach Vollendung des 60. Lebensjahres
und Männern nach Vollendung des 63. Lebensjahres, von der Möglichkeit des
Bezuges der vorgezogenen gesetzlichen Altersrente Gebrauch zu machen. In
diesen Fällen ist die W. bereit, das aus den Mitarbeiter-Gratifikationen
angewachsene Darlehen entsprechend den Vertragsbedingungen vom Zeitpunkt
des Rentenbeginns an auszuzahlen.“
32 Arbeitsunfähigkeitszeiten ohne Entgeltfortzahlung bleiben bei der Ermittlung der
Gratifikationen unberücksichtigt.
33 Die Beklagte sagte dem Kläger auf dieser Basis Gratifikationen in Höhe von
insgesamt EUR 65.134,51 zu, im Einzelnen wie folgt (vgl. Anlage B4, Bl. 144 f. der
erstinstanzlichen Akte):
34
Jahr
Gratifikationsbetrag
1999
7.477,65
2000
9.059,58
2001
7.891,28
2002
6.688,00
2003
5.895,00
2004
4.408,00
2005
4.783,00
2006
5.370,00
2007
5.637,00
2008
7.925,00
Insgesamt: 65.134,51
35 In den schriftlichen Mitteilungen zu den einzelnen Gratifikationen spricht die
Beklagte jeweils von einer „freiwillige(n) Gratifikation für das Jahr … ohne
Rechtsanspruch für die Zukunft“ (vgl. Anlage B4, Bl. 144 f. der erstinstanzlichen
Akte). Ab dem Jahr 2004 dankte sie dem Kläger in den Mitteilungen dafür, „dass …
(er) durch … (sein) unternehmerisches Handeln an … (seinem) Arbeitsplatz und …
(seine) Einsatzfreude die positive Entwicklung der W. und damit diese Gratifikation
möglich gemacht …(habe)“ (vgl. Anlage B 4, Bl. 149 f. der erstinstanzlichen Akte).
36 Die angefallenen Zinsen sind an den Kläger jährlich ausgezahlt worden, insgesamt
1.302,69 EUR.
37 Nachdem der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 11. Juni 2013 erfolglos
aufgefordert hat, ihm sein gesamtes Gratifikationsguthaben bis zum 27. Juni 2013
auszuzahlen, hat er Klage auf Auszahlung seines gesamten
Gratifikationsguthabens erhoben. Zur Begründung seiner Klage hat er
vorgetragen, die Beklagte habe ihm schon jetzt seine gesamte Gratifikation
auszuzahlen. Dem stehe nicht die Fälligkeitsregelung in Nummer 2 Buchstabe a
der Gratifikationsvereinbarung in Verbindung mit Nummer 2 Buchstabe f der
Gratifikationsvereinbarung entgegen. Denn dabei handele es sich um eine
unwirksame allgemeine Geschäftsbedingung. Die Fälligkeitsregelung unterliege
der Kontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen, weil sie nicht die Hauptleistung,
sondern eine Modifikation derselben in Gestalt der Fälligkeit regele. Die
Fälligkeitsregelung sei eine unzulässige überraschende Klausel. Denn eine
Fälligkeit nach Ablauf von 25 Jahren in zehn jährlichen Raten sei so ungewöhnlich,
dass er - der Kläger - nicht damit habe rechnen müssen. Die Fälligkeitsregelung
sei außerdem intransparent. Ihr lasse sich nicht entnehmen, ab wann die Zeit von
25 Jahren zu laufen beginne. Darüber hinaus sei die Fälligkeitsregelung
unangemessen. Die hinausgeschobene Fälligkeit diene der Beklagten als
Finanzierungsinstrument. Dies gehe zu seinen Lasten. Denn die ihm
gutgeschriebenen Gratifikationen seien nicht insolvenzgeschützt mit der Folge,
dass er das Insolvenzrisiko trage, obwohl er mit seiner Arbeitsleistung seine
Gegenleistung für die Gratifikation bereits erbracht habe. Unabhängig davon gebe
es kein billigenswertes Interesse an einer hinausgeschobenen Fälligkeit.
Sozialabgabenfreiheit und verminderte Besteuerung bestünden nicht in jedem Fall
und seien zudem ungewiss. Im Übrigen gingen ihm mit den Sozialabgaben
einhergehende Leistungen, wie höhere Renten-, Arbeitslosengeld- und
Krankengeldansprüche, verloren. Entgegen der Angabe der Beklagten sei Zweck
der Gratifikation weder der einer Altersversorgung noch der einer
Vermögensbildung. Anstatt dessen bezwecke die Gratifikation eine Teilhabe an
dem Gewinn und belohne damit erbrachte Arbeitsleistung. Deswegen sei die
Gratifikation mit der Gutschrift auszuzahlen.
38 Der Kläger hat beantragt,
39
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 65.134,51 EUR brutto nebst Zinsen
hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.
Juni 2013 zu bezahlen.
40 Die Beklagte hat beantragt,
41
die Klage abzuweisen.
42 Die Beklagte hat ausgeführt, dass der Anspruch des Klägers auf Auszahlung
seiner gutgeschriebenen Gratifikationen noch nicht fällig sei, sondern nach
Nummer 2 Buchstabe a der Gratifikationsvereinbarung in Verbindung mit Nummer
2 Buchstabe f der Gratifikationsvereinbarung erst in 25 Jahren in zehn jährlichen
Raten. Die Fälligkeitsregelung sei wirksam. Sie unterliege nicht der Kontrolle
allgemeiner Geschäftsbedingungen, da sie eine Nebenbestimmung zu einer
zusätzlichen freiwilligen Leistung ohne Rechtsanspruch aufgrund eines Vertrages
sui generis sei. Deshalb könne sie – die Beklagte - neben dem Entstehen und der
Höhe des Rechtsanspruchs auch dessen Fälligkeit frei regeln. Andernfalls werde
ihre Privatautonomie unverhältnismäßig beeinträchtigt. Unabhängig davon sei die
Regelung weder überraschend noch intransparent. Überdies sei die
Fälligkeitsregelung angemessen. Sie diene entsprechend ihrer
anthroposophischen Leitlinien der Kapitalbildung und der Versorgung ihrer
Arbeitnehmer. Da die Gratifikationen weder eine betriebliche Altersversorgung
noch ein Wertguthaben seien, bestehe keine Verpflichtung zur
Insolvenzsicherung. Entgegen der Annahme des Klägers sei die Erbringung einer
Arbeitsleistung als Gegenleistung keine Voraussetzung für die Gewährung der
Gratifikation. Vielmehr belohne sie mit der Gratifikation Betriebstreue. Die
hinausgeschobene Fälligkeit bringe für ihre Arbeitnehmer Vorteile wegen einer
geringeren Besteuerung und wegen der Sozialabgabenfreiheit bei Auszahlung
nach Verrentung. Unabhängig davon sei zu berücksichtigen, dass die
streitgegenständlichen Fälligkeitsregelungen vor Inkrafttreten des
Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vereinbart worden seien. Daher sei im
Falle einer Unwirksamkeit der Fälligkeitsregelungen angesichts des
verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots eine ergänzende Vertragsauslegung
erforderlich, die jedenfalls keine sofortige Fälligkeit ergäbe.
43 Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 25. März 2014 die Klage abgewiesen. Der
Anspruch des Klägers auf Auszahlung der gutgeschriebenen Gratifikation sei
derzeit noch nicht fällig, sondern nach Nummer 2 Buchstabe a der
Gratifikationsvereinbarung in Verbindung mit Nummer 2 Buchstabe f der
Gratifikationsvereinbarung erst nach Ablauf von 25 Jahren in zehn jährlichen
Raten. Die Fälligkeitsregelung sei weder überraschend noch intransparent.
Darüber hinaus sei die Fälligkeitsregelung angemessen. Denn sie betreffe eine
freiwillige Gratifikation ohne Rechtsanspruch aufgrund eines wirksamen
Freiwilligkeitsvorbehalts. Eine Verpflichtung zur Insolvenzsicherung bestehe nicht.
Schließlich belohne die Beklagte mit der Gratifikation in erster Linie die
Betriebstreue ihrer Arbeitnehmer, die mindestens drei Jahre ununterbrochen
beschäftigt seien und in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis mit ihr stünden,
indem sie ihre Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Erfolg beteilige und zugleich deren
Versorgung im Rentenfall, spätestens nach Ablauf von 25 Jahren absichere.
Demgegenüber trete der Entgeltcharakter der Gratifikation zurück. Deswegen
könne die Fälligkeit der Gratifikation hinausgeschoben werden.
44 Gegen das ihm am 4. April 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger Berufung
eingelegt, die am 30. April 2014 eingegangen ist. Mit Verfügung vom 9. Mai 2014
ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 10. Juli 2014 verlängert worden.
Die Berufungsbegründung ist am 10. Juli 2014 per Fax und am 14. Juli 2014 im
Original eingegangen.
45 Der Kläger trägt zur Begründung seiner Berufung vor,
46 das Arbeitsgericht habe verkannt, dass es ausschließlich um die
Fälligkeitsregelung und nicht um den Freiwilligkeitsvorbehalt gehe. Denn die
Beklagte habe dem Kläger die streitgegenständlichen Gratifikationen
gutgeschrieben. Die Fälligkeitsregelung sei eine unwirksame allgemeine
Geschäftsbedingung, da überraschend, intransparent und unangemessen.
Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts ändere der Freiwilligkeitsvorbehalt
daran nichts. Im Weiteren vertieft der Kläger seine erstinstanzlich vorgetragenen
Argumente zu der seiner Meinung nach bestehenden Unangemessenheit der
Fälligkeitsregelung. Darüber hinausgehend beruft er sich erstmals im
Berufungsverfahren auf eine unzulässige mittelbare Altersdiskriminierung dadurch,
dass nach der Gratifikationsvereinbarung jüngere Arbeitnehmer erst nach Ablauf
von 25 Jahren einen Anspruch auf Auszahlung gutgeschriebener Gratifikationen
hätten, während ältere Arbeitnehmer vor Ablauf von 25 Jahren ab Verrentung
einen Anspruch auf Auszahlung gutgeschriebener Gratifikationen hätten.
47 Der Kläger beantragt,
48
das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
an ihn EUR 65.134,51 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. Juni 2013 zu bezahlen.
49 Die Beklagte beantragt,
50
die Berufung zurückzuweisen.
51 Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und vertieft ihren
erstinstanzlichen Vortrag. Soweit der Kläger im Berufungsverfahren erstmals eine
mittelbare Altersdiskriminierung durch die Fälligkeitsregelung rügt, führt die
Beklagte aus, dass die mittelbare Altersdiskriminierung aufgrund der
Fälligkeitsregelung durch ihr legitimes Ziel gerechtfertigt sei „ihren Beschäftigten
freiwillige Leistungen in Form einer Mitarbeiterbeteiligung als eine Art
Altersversorgung für die Zeit nach dem Erwerbsleben oder für den Zeitpunkt einer
späteren Lebensphase (nach Ablauf von 25 Jahren) zukommen zu lassen“.
52 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 313
Absatz 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen verwiesen.
Entscheidungsgründe
53 Die Berufung hat Erfolg.
I.
54 Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Absatz 2 Buchst. b ArbGG statthaft.
Außerdem wurde sie entsprechend § 66 Absatz 1 ArbGG, § 64 Absatz 6 ArbGG in
Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO frist- und formgerecht eingelegt und begründet.
II.
55 Die Berufung ist begründet.
56 1. Der Kläger hat unstreitig einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung einer
als Gratifikation bezeichneten Gewinnbeteiligung in Höhe von EUR 65.134,51
brutto aus Nummer 1 der Gratifikationsvereinbarung vom 1. Januar 2000 in
Verbindung mit der Mitteilung der Beklagten vom 29. November 2011.
57 2. Der Anspruch ist auch fällig.
58 a) Wie aus II 4.4 2. Absatz Satz 1 der Broschüre „Hintergründe zur Gehaltsfindung
und Verteilung von Gewinn und Verlust“ folgt, geht es vorliegend um eine als
Gratifikation bezeichnete Gewinnbeteiligung. Sondervergütungen in Form von
Gewinnbeteiligungen werden fällig, sobald die Bilanz für das betreffende
Geschäftsjahr festgestellt ist oder sobald die Bilanz für das betreffende
Geschäftsjahr hätte festgestellt werden können (vgl. BAG 3. Juni 1958 - 2 AZR
406/55 - , juris, Rn. 23; Preis, in: Erfurter Kommentar, 14. Auflage, § 611 Rn. 502;
Müller-Glöge, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage, § 614 Rn.6). Dies
folgt zwar nicht unmittelbar aus § 614 Satz 2 BGB, da der Bilanzabschluss kein
Zeitabschnitt ist, aber aus § 271 Absatz 1 BGB, da sich die Fälligkeit ab
Bilanzabschluss aus den Umständen ergibt. Denn Gewinnbeteiligungen können
erst ab Bilanzabschluss ermittelt werden. Dies bestätigt vorliegend die Regelung in
II. 4.4. Absatz 4 Satz 1 der Broschüre „Hintergründe zur Gehaltsfindung und
Verteilung von Gewinn und Verlust“. Danach entscheidet der Vorstand nach
Bilanzabschluss darüber, ob und in welcher Höhe die Beklagte eine
Gewinnbeteiligung gewährt. Folglich ist die Gewinnbeteiligung fällig.
59 b) Der Fälligkeit stehen nicht Nummer 2 Buchstabe a der
Gratifikationsvereinbarung in Verbindung mit Nummer 2 Buchstabe f der
Gratifikationsvereinbarung entgegen. Nach Nummer 2 Buchstabe a der
Gratifikationsvereinbarung erfolgt die Auszahlung der als Gratifikation
bezeichneten Gewinnbeteiligung erst auf Verlangen des Arbeitnehmers nach
Ablauf von 25 Jahren und nach Nummer 2 Buchstabe f der
Gratifikationsvereinbarung in zehn jährlichen Raten. Sowohl die Regelung in
Nummer 2 Buchstabe a der Gratifikationsvereinbarung als auch die Regelung in
Nummer 2 Buchstabe f der Gratifikationsvereinbarung sind nach § 308 Nummer 1
BGB unwirksam. Nach § 308 Nummer 1 BGB ist eine Bestimmung in allgemeinen
Geschäftsbedingungen unwirksam, durch die sich der Verwender eine
unangemessen lange Frist für die Erbringung einer Leistung vorbehält.
60 aa) Nummer 2 Buchstabe a der Gratifikationsvereinbarung und Nummer 2
Buchstabe f der Gratifikationsvereinbarung sind unstreitig allgemeine
Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 310
Absatz 3 Nummern 1 und 2 BGB. Sie wurden von der Beklagten für eine Vielzahl
von Fällen vorformuliert und einseitig gestellt.
61 bb) Nummer 2 Buchstabe a der Gratifikationsvereinbarung und Nummer 2
Buchstabe f der Gratifikationsvereinbarung unterliegen gemäß § 307 Absatz 3
Satz 1 BGB der Kontrolle nach § 308 Nummer 1 BGB. Denn sie weichen von der
gesetzlichen Fälligkeitsregelung in § 271 Absatz 1 BGB ab.
62 cc) Die Verpflichtung der Beklagten zur Auszahlung der gutgeschriebenen
Gewinnbeteiligung unterfällt § 308 Nummer 1 BGB.
63 (1) § 308 Nummer 1 BGB erfasst auch Zahlungspflichten einschließlich einer
Verpflichtung zur Entgeltzahlung (vgl. Coester-Waltjen, in: Staudinger, BGB,
Neubearbeitung 2013, § 308 Rn. 13).
64 (2) Die streitgegenständliche Gewinnbeteiligung ist eine Sondervergütung mit
Entgeltcharakter, weil sie als Gegenleistung für die in dem betreffenden
Geschäftsjahr erbrachte Arbeitsleistung gezahlt wird, die den Gewinn beeinflusst
(vgl. BAG18. Januar 2012 - 10 AZR 667/10 - , juris, Rn. 10; 5. Juli 2011 - 1 AZR
94/10 -, juris Rn. 35). Dies bestätigt II 2 letzter Absatz der Broschüre: Darin ist von
einer „Mitverantwortung“ der Arbeitnehmer am „wirtschaftlichen Erfolg“ der
Beklagten die Rede. Die Beklagte hat dies zudem seit 2004 in ihren Mitteilungen
an den Kläger über seine jährliche Gratifikation ausgedrückt, indem sie ihm für
sein unternehmerisches Handeln und seine Einsatzfreude gedankt hat.
Deswegen ist die „Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmenserfolg“ nach II 3 der
Broschüre ein weiterer „Baustein zum Gesamteinkommen“. Ihrer Berechnung liegt
nach II 4.4 letzter Absatz der Broschüre neben dem Gewinn das Jahresentgelt
zugrunde mit der Folge, dass die Gewinnbeteiligung nur für Zeiten mit einem
Anspruch auf Entgelt oder auf Entgeltfortzahlung gewährt wird. Dem
Entgeltcharakter steht nicht entgegen, dass die Beklagte die Gewinnbeteiligung
entsprechend Nummer 1 der Gratifikationsvereinbarung nur Arbeitnehmern
gewährt, die mit ihr seit drei Jahren ununterbrochen in einem ungekündigten
Arbeitsverhältnis stehen. Denn eine Sondervergütung kann sowohl Entgelt- als
auch Treuecharakter haben. Folglich ist die streitgegenständliche
Gewinnbeteiligung eine Leistung im Sinne von § 308 Nummer 1 BGB.
65 Daran ändert der Freiwilligkeitsvorbehalt nichts. Denn streitgegenständlich sind
gutgeschriebene, mithin zugesagte, Gewinnbeteiligungen. Deswegen spielt der
Freiwilligkeitsvorbehalt keine Rolle. Es kommt daher nicht auf dessen Wirksamkeit
an. Soweit die Beklagte meint, sie könne bei einer freiwilligen zusätzlichen
Leistung auch die Fälligkeit frei regeln, verkennt sie, dass sich der
Freiwilligkeitsvorbehalt nur auf das Entstehen und die Höhe – also das „OB“ - der
Gewinnbeteiligung, nicht aber auf die Nebenbestimmungen - also das „WIE“ - der
Gewinnbeteiligung bezieht. Gegenstand einer Kontrolle allgemeiner
Geschäftsbedingungen sind gerade die Nebenbestimmungen zu einer frei
ausgehandelten Hauptleistung, nicht die Hauptleistungen an sich (vgl. BAG, 18.
Januar 2006 - 7 AZR 191/05 -, juris, Rn. 27 mit weiteren Nachweisen). Entgegen
der Annahme der Beklagten beeinträchtigt die Kontrolle von Nebenbestimmungen
zu freiwilligen Sondervergütungen ohne Rechtsanspruch nicht ihre in Art. 12
Absatz 1 GG verbürgte Privatautonomie. Sie verkennt, dass auch der Kläger das
Grundrecht auf Privatautonomie aus Art. 12 Absatz 1 GG inne hat. Die inhaltliche
Kontrolle von Nebenbestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen bringt
die jeweils grundrechtlich geschützte Privatautonomie der Beklagten als
Verwenderin einerseits und des Klägers als ihres Vertragspartners anderseits im
Wege der praktischen Konkordanz miteinander in Einklang. Denn die Kontrolle
allgemeiner Geschäftsbedingungen nach §§ 305 f. BGB gewährleistet den Schutz
der Vertragspartner gegenüber den Verwendern von allgemeinen
Geschäftsbedingungen, die regelmäßig ihren Vertragspartnern überlegen sind, da
sie regelmäßig geschäftserfahrener und wirtschaftlich stärker sind, in einer
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise (vgl. BVerfG, 7. September
2010 - 1 BvR 2160/09, 1 BvR 851/10 -, juris, Rn. 34; 23. November 2006 - 1 BvR
1909/06 -, juris, Rn. 45 f.).
66 Schließlich haben die Parteien in der Gratifikationsvereinbarung keine
Darlehensvereinbarung getroffen. Soweit unter II 4.4. der Broschüre von einem
„Mitarbeiterdarlehen“ die Rede ist, führt dies zu keiner vertraglichen Abrede
zwischen den Parteien. Die Gratifikationsvereinbarung verweist insoweit nicht auf
die Broschüre. Vielmehr haben die Parteien in Nummer 1 der
Gratifikationsvereinbarung hervorgehoben, dass die Gratifikationen ausschließlich
Regeln „gemäß vorliegendem Text“ - dem Text der Gratifikationsvereinbarung -
unterliegen.
67 Mithin bleibt es dabei, dass die streitgegenständliche Gewinnbeteiligung eine
Sondervergütung mit Entgeltcharakter ist, die unter § 308 Nummer 1 BGB fällt.
68 dd) Die Beklagte behält sich in Nummer 2 Buchstabe a der
Gratifikationsvereinbarung und in Nummer 2 Buchstabe f der
Gratifikationsvereinbarung eine unangemessen lange Frist zur Auszahlung der
gutgeschriebenen Gewinnbeteiligungen vor.
69 (1) Ob eine Frist für die Erbringung einer Leistung unangemessen lang im Sinne
von § 308 Nummer 1 BGB ist, beurteilt sich nach Abwägung der widerstreitenden
Interessen des Verwenders einerseits und seines Vertragspartners andererseits
unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, wie der Art der
geschuldeten Leistung, des Interesses des Vertragspartners an einer alsbaldigen
Zahlung/Lieferung sowie der üblichen Beschaffungs- und Herstellungszeiten (vgl.
BGH, 25. Oktober 2006 - VIII ZR 23/06 - , juris, Rn. 24; 28. Juni 1984 - VII ZR
276/83 -, juris, Rn. 17; Dammann, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 6.
Auflage, § 308 Nummer 1 BGB Rn. 38; Wurmnest, in: Münchener Kommentar
zum BGB, 6. Auflage, § 308 Rn. 19). Dabei sind die im Arbeitsrecht geltenden
Besonderheiten nach § 310 Absatz. 4 Satz 2 BGB angemessen zu
berücksichtigen.
70 (2) Vorliegend sind weder die 25jährige Frist nach Nummer 2a der
Gratifikationsvereinbarung noch die zehn jährlichen Raten nach Nummer 2f der
Gratifikationsvereinbarung angemessen.
71 (a) Ob die hinausgeschobene Fälligkeit mit einem vermögensbildenden Zweck an
sich gerechtfertigt werden kann, kann dahin stehen. Denn vorliegend ist die
hinausgeschobene Fälligkeit auch dann unangemessen, wenn man eine
Vermögensbildung grundsätzlich als anerkennenswerten Zweck billigt, weil
sowohl eine Insolvenzsicherung als auch ein angemessener
Verzinsungsanspruch fehlen.
72 Das Fehlen einer Insolvenzsicherung führt dazu, dass der Kläger wie die anderen
Arbeitnehmer auch das Insolvenzrisiko der Beklagten trägt. Dies wird nicht
ausreichend durch die Regelung in Nummer 2 Buchstabe b der
Gratifikationsvereinbarung aufgefangen, nach der Gratifikationen vor Ablauf von
25 Jahren auszuzahlen sind, wenn und soweit Rückstellungen für die
Gratifikationen 70 % der Bilanzsumme übersteigen. Auch Rückstellungen
schützen nicht hinreichend im Falle einer Insolvenz. Deswegen trägt der Kläger
wie die anderen Arbeitnehmer auch letztlich das Insolvenzrisiko der Beklagten.
Dies ist nicht hinzunehmen, da der Kläger wie die anderen Arbeitnehmer auch
seine Arbeitsleistung in dem Geschäftsjahr, für das ihm die Beklagte eine
Gratifikation in Form einer Gewinnbeteiligung gutgeschrieben hat, bereits erbracht
hat. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Insolvenz der Beklagten tatsächlich
droht oder nicht, da künftige Entwicklungen über mehrere Jahrzehnte nicht
vorhersehbar und nicht immer beeinflussbar sind. Dies bestätigt der
Rechtsgedanke, der den Regelungen zur Insolvenzsicherung betrieblicher
Altersversorgungen in § 7 BetrAVG und zur Insolvenzsicherung von
Wertguthaben in § 7e SGB IV und der Richtlinie des Rates vom 20. Oktober 1980
über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers
(80/987/EWG) zugrunde liegt: Schutz der Zahlungsansprüche von Arbeitnehmern
im Falle einer Insolvenz ihrer Arbeitgeber.
73 Hinzu kommt vorliegend, dass der Kläger wie die anderen Arbeitnehmer auch
nach Nummer 4 der Gratifikationsvereinbarung keinen Anspruch auf Verzinsung
hat. Nach Nummer 4 der Gratifikationsvereinbarung legt die Geschäftsleitung die
Zinsen jährlich ohne Vorgaben fest. Daher droht eine Geldentwertung im Falle
einer Inflation. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Beklagte in der
Vergangenheit gutgeschriebene Gratifikationen verzinst hat. Entscheidend ist,
dass der Kläger wie andere Arbeitnehmer auch darauf keinen Anspruch hat. Dies
ist wiederum nicht hinzunehmen - zumal der Kläger wie die anderen Arbeitnehmer
auch seine Arbeitsleistung in dem Geschäftsjahr, für das ihm die Beklagte eine
Gratifikation in Form einer Gewinnbeteiligung gutgeschrieben hat, bereits erbracht
hat.
74 (b) Die hinausgeschobene Fälligkeit ist wegen der fehlenden Insolvenzsicherung
und der fehlenden Verzinsungspflicht auch dann unangemessen, wenn sie einer
Versorgung der Arbeitnehmer dienen sollte. Allerdings bestehen Zweifel daran,
dass die hinausgeschobene Fälligkeit einer Versorgung der Arbeitnehmer dienen
soll, da die streitgegenständliche Fälligkeit nach Ablauf von 25 Jahren
unabhängig davon eintritt, ob ein Versorgungsfall vorliegt. Dagegen spricht
weiterhin die Verpflichtung zur Auszahlung, wenn und soweit Rücklagen für die
Gratifikationen 70 % der Bilanzsumme übersteigen. Demgegenüber handelt es
sich bei den Auszahlungsverpflichtungen im Falle einer Verrentung oder
Invalidität nach Nummer 2 Buchstaben c, g und f der Gratifikationsvereinbarung
um Ausnahmeregelungen, die im Übrigen nicht streitgegenständlich sind.
Ungeachtet dessen gibt es eine weitere Ausnahmeregelung im Falle einer
ordentlichen Kündigung durch die Beklagte nach Nummer 2 Buchstaben d der
Gratifikationsvereinbarung, die keinen Versorgungsfall voraussetzt. Insgesamt
gesehen ist daher zweifelhaft, ob die hinausgeschobene Fälligkeit eine
Versorgung bezweckt.
75 (c) Eine etwaige Sozialabgabenfreiheit und eine etwaige günstigere Besteuerung
der Gratifikation rechtfertigen ebenso wenig die hinausgeschobene Fälligkeit. Sie
sind ungewiss. Zum einen hängen sie von weiteren Faktoren als dem
Auszahlungszeitpunkt ab, wie der Art und dem Umfang anderweitiger Einkünfte.
Zum anderen können sich die gesetzlichen Regelungen zur Besteuerung und
Abführung von Sozialabgaben im Laufe der Zeit ändern. Unabhängig davon
begründen Sozialabgaben Ansprüche auf Sozialleistungen, wie Renten-,
Krankengeld- und Arbeitslosengeldansprüche, so dass eine etwaige
Sozialabgabenfreiheit nicht zwingend vorteilhaft ist.
76 (d) Die Beklagte beruft sich auf keine weiteren Zwecke zur Rechtfertigung der
hinausgeschobenen Fälligkeit, insbesondere nicht auf einen
Finanzierungsbedarf. Ungeachtet dessen dürften auch andere Zwecke wegen
der fehlenden Insolvenzsicherung und des fehlenden Verzinsungsanspruchs die
hinausgeschobene Fälligkeit nicht als angemessen rechtfertigen.
77 ee) Darum sind die Regelungen in Nummer 2 Buchstabe a der
Gratifikationsvereinbarung und in Nummer 2 Buchstabe f der
Gratifikationsvereinbarung nach § 308 Nummer 1 BGB unwirksam mit der Folge,
dass nach § 306 Absatz 2 BGB die gesetzlichen Vorschriften greifen - also die
Fälligkeitsregelung in § 271 BGB, so dass die als Gratifikation bezeichnete
Gewinnbeteiligung bereits fällig ist. Eine geltungserhaltende Reduktion findet nicht
statt. Dem steht nicht entgegen, dass die Gratifikationsvereinbarung vor
Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetztes und damit vor
Inkrafttreten der Regelungen in §§ 305 f. BGB zum 1. Januar 2002 vereinbart
worden ist. Auch mit Blick auf das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot
kommt hier eine ergänzende Vertragsauslegung (vgl. BAG, 20. April 2011 - 5 AZR
193/10 -, juris, Rn. 13f.; 12. Januar 2005 - 5 AZR 364/04 -, juris Rn. 33f.) nicht in
Betracht. Zum einen kann die Lücke über § 271 BGB durch dispositives
Gesetzesrecht geschlossen werden (vgl. BAG, 11. Februar 2009 - 10 AZR 222/08
- , juris, Rn. 35; 24. Oktober 2007 - 10 AZR 825/06 -, juris, Rn. 33). Zum anderen
ist es für die Beklagten wegen ihrer Rückstellungen (vgl. Ausführungen der
Beklagten auf S. 19 ihres Schriftsatzes vom 17. September 2014, Bl. 176 d. A.)
zumutbar, an dem Vertrag auch ohne die Regelungen in Nummer 2 Buchstabe a
der Gratifikationsvereinbarung und in Nummer 2 Buchstabe f der
Gratifikationsvereinbarung festzuhalten (vgl. BAG, 11. Februar 2009 - 10 AZR
222/08 - , juris, Rn. 35; 19. Dezember 2006 - 9 AZR 294/06 - , juris, Rn. 36; 11.
April 2006 - 9 AZR 610/05 - , juris, Rn. 35). Es kann daher dahinstehen, ob
überhaupt ausreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, was die Parteien anstelle
der unwirksamen Regelungen vereinbart hätten (vgl. BAG, 24. Oktober 2007 - 10
AZR 825/06 -, juris, Rn. 35). Ebenso wenig bedarf es einer Auseinandersetzung
mit der Problematik, wie sich eine ergänzende Vertragsauslegung in Altfällen auf
die bei der Beklagten ebenfalls vorhandenen Neufälle auswirken würde.
Jedenfalls bleibt es vorliegend aus den oben genannten Gründen bei der
Fälligkeitsregelung in § 271 Absatz 1 BGB.
78 Demnach ist der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Auszahlung der
gutgeschriebenen Gratifikationen fällig.
79 3. Der Zahlungsanspruch ist gemäß §§ 288 Absatz 1, 286 Absatz 1 Satz 1 BGB
mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 28. Juni 2013 zu verzinsen,
nachdem die Beklagte der Zahlungsaufforderung des Klägers mit Schreiben vom
11. Juni 2013 unter Fristsetzung zum 27. Juni 2013 nicht nachgekommen ist.
80 Aus diesen Gründen war auf die Berufung des Klägers hin das arbeitsgerichtliche
Urteil abzuändern und der Klage stattzugeben.
III.
81 Der Beklagte hat nach § 91 Absatz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV.
82 1. Die Revision war gemäß § 72 Absatz 2 Nummer 1 ArbGG wegen
grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Das Bundesarbeitsgericht hat zwar in
einem gleichgelagerten Fall nach Anerkenntnis der Beklagten der Klage auf
Auszahlung der als Gratifikation bezeichneten Gewinnbeteiligung durch
Anerkenntnisurteil vom 20. März 2013 - 10 AZR 660/13 - stattgegeben. Da aber
streitig ist, ob das Anerkenntnis aus individuellen Gründen oder aus generellen
rechtlichen Erwägungen erfolgt ist, sind die grundsätzlichen Rechtsfragen nach
wie vor ungeklärt. Soweit ersichtlich, gibt es noch keine Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts zu § 308 Nummer 1 BGB. Diese Regelung dürfte über den
streitgegenständlichen Fall hinaus von Bedeutung sein.
83 2. Hingegen war keine Zulassung der Revision nach § 72 Absatz 2 Nummer 2
ArbGG wegen Divergenz veranlasst, nachdem das Bundesarbeitsgericht mit dem
oben genannten Anerkenntnisurteil die anderweitige Entscheidung des
Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 18. Juli 2011 – 15 Sa 110/10 - in
einem gleich gelagerten Fall aufgehoben hat.