Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 30.10.2013

unwirksamkeit der kündigung, schutz des arbeitnehmers, geschäftsführer, psychologische begutachtung

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 30.10.2013, 13 Sa 45/13
Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung - Maßregelungsverbot -
Darlegungslast
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Verstoßes
gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 24.
Mai 2013 (Az.: 9 Ca 390/12) wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer dem Kläger von der Beklagten
ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des zwischen ihnen bestehenden
Arbeitsverhältnisses.
2 Der am ... Dezember 1963 geborene Kläger arbeitet auf Grundlage eines
schriftlichen Arbeitsvertrages vom 9. Dezember 2011 (vgl. Bl. 19 bis 25 der
erstinstanzlichen Akten; I/19-25) seit dem 15. Januar 2012 bei der Beklagten als
Pilot (Flight Capitain) und Postholder Flight Operations (Fachbereichsleiter
Flugbetrieb) zu einer monatlichen Vergütung von EUR 11.000,00 brutto.
3 Die Beklagte - ein Luftfahrtunternehmen - betrieb zuletzt sechs Flugzeuge. Neben
dem Geschäftsführer sind bei der Beklagten jedenfalls sechs Arbeitnehmer
beschäftigt, nämlich der Kläger, vier Piloten und ein Wartungsmitarbeiter. Ob die
Beklagte im Hinblick auf weitere elf Piloten, die fallweise ihre Flugzeuge fliegen,
mehr als zehn Arbeitnehmer im Sinne von § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt, wird von
den Parteien unterschiedlich beurteilt.
4 Der Kläger, der einen russischen Minderheitsgesellschafter (49%) der Beklagten
unwidersprochen als deren eigentlich bestimmende Triebkraft ansieht, wandte sich
nach Rücksprache mit dem Geschäftsführer der Beklagten mit einer E-Mail vom
14. August 2012 (vgl. I/74 f.) an einen ihm bekannten Vertrauten dieses
Minderheitsgesellschafters und übermittelte diese E-Mail gleichzeitig dem
Geschäftsführer. In dieser E-Mail beklagte sich der Kläger über lückenhafte
Dokumentationen zu den betriebenen Flugzeugen sowie das Vorenthalten von
Informationen zur Ergänzung der Dokumentation. Er wies auf das Erfordernis einer
Benachrichtigung des Luftfahrtbundesamtes betreffend Maßnahmen zur
Behebung von Beanstandungen hin und machte deutlich, dass es zu seinen
Aufgaben gehöre, mit der Behörde zusammen zu arbeiten, und bat eindringlich
darum, bei derartigen Vorgängen nicht wieder übergangen zu werden.
5 Die Beklagte kündigte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit
Schreiben vom 28. August 2012 (vgl. I/26) ordentlich zum 30. November 2012.
6 Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 18. September
2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 25. September
2012 zugestellten Klage.
7 Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, die ihm gegenüber ausgesprochene
Kündigung sei gemäß § 612 a BGB unwirksam, da ganz offensichtlich sein
Ansinnen, sich gesetzeskonform zu verhalten und seine Dienstpflichten den
einschlägigen Vorschriften entsprechend auszuführen, der einzige
Kündigungsgrund gewesen sei. Der Kündigung liege auch zu Grunde, dass er sich
im Februar 2012 dem Verlangen des russischen Minderheitsgesellschafters
wiedersetzt habe, sich psychologisch begutachten zu lassen, wozu er nicht
verpflichtet sei und der Kläger eingefordert habe, entsprechend einer mündlichen
Vereinbarung eine Musterberechtigung zu erwerben. Außerdem sei das
Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden, da
die Beklagte auch weitere elf, im Betriebshandbuch aufgeführte Piloten
beschäftige, die als Arbeitnehmer der Beklagten anzusehen seien.
8 Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt:
9
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen Kläger und Beklagte
durch die Kündigung vom 28.08.2012 nicht aufgelöst worden ist.
10 Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
11 die Klage abzuweisen.
12 Die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, die elf namentlich benannten
weiteren Piloten seien keine Arbeitnehmer, sondern so genannte Freelancer, die
im Rahmen von Einzelhonorarverträgen gelegentlich eingesetzt würden. Die
Kündigung sei erfolgt, da sich der Kläger um wesentliche Dinge nicht gekümmert
habe. Es habe sich hierbei um einen schleichenden Prozess gehandelt. Der
eigentliche Kündigungsentschluss sei durch den Geschäftsführer wenige Tage vor
Ausspruch der Kündigung gefasst worden.
13 Im Übrigen wird hinsichtlich des unstreitigen und streitigen Vortrags der Parteien im
ersten Rechtszug gemäß § 69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG auf den Tatbestand des mit
Berufung angegriffenen Urteils des Arbeitsgerichts (vgl. dort Seite 2 bis 4; I/124-
126) Bezug genommen.
14 Das Arbeitsgericht hat mit einem am 24. Mai 2013 verkündeten Urteil nach dem
Antrag des Klägers erkannt. Auf die Frage des betrieblichen Anwendungsbereichs
des § 23 KSchG komme es nicht an, da sich die Kündigung gemäß §§ 612 a, 134
BGB als unwirksam erweise. Der Kläger habe dargelegt, dass er seinen
arbeitsvertraglichen Anspruch auf Erlangung einer Musterberechtigung geltend
gemacht und seine Rechte und Pflichten als Fachbereichsleiter Flugbetrieb
eingefordert habe. Auf seine E-Mail vom 14. August 2012 habe die Beklagte in
unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang und ohne auf diese E-Mail zu antworten
die Kündigung vom 28. August 2012 ausgesprochen. Die Beklagte sei dem
Vortrag des Klägers schriftsätzlich nicht entgegengetreten und habe nur in der
mündlichen Verhandlung marginale Angaben gemacht, ohne einen konkreten
Kündigungsanlass zu benennen.
15 Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 6. Juni 2013 zugestellt.
Hiergegen wendet sie sich mit ihrer Berufung, die am 5. Juli 2013 beim
Landesarbeitsgericht eingegangen ist und innerhalb verlängerter Frist mit einem
am 13. August 2013 eingegangenen Schriftsatz begründet wurde.
16 Die Beklagte trägt vor, die Kündigung des Klägers stelle keine unzulässige
Maßregelung im Sinne von §§ 612 a, 134 BGB dar. Insbesondere sei weder die E-
Mail des Klägers vom 14. August 2012 ein wesentliches oder gar
ausschlaggebendes Motiv für die Kündigung gewesen, noch habe sie in einem
zeitlichen Zusammenhang mit der Kündigung vom 28. August 2012 gestanden.
Vielmehr beruhe die Kündigung auf verschiedenen Gründen und sei Ergebnis
einer langfristigen Überlegung. Sie gründe vor allem auf der fehlenden Bereitschaft
des Klägers, sich als Führungskraft im Unternehmen der Beklagten entsprechend
zu engagieren. Der Kläger habe seine Führungsposition als "zweiter Mann" nach
dem Geschäftsführer nur ungenügend ausgeübt. Die E-Mail des Klägers vom 14.
August 2012 sei im Übrigen nichts Ungewöhnliches oder die "Beschwerde eines
unbequemen Mitarbeiters" gewesen, da oftmals an die M. Vertriebsstrukturen
Informationen über Probleme und Missstände gesandt würden. Der seit 1. Juli
2012 amtierende neue Geschäftsführer der Beklagten habe bereits bei einem
Vorbereitungsgespräch Ende Mai 2012 den Eindruck fehlender Bereitschaft des
Klägers zur engagierten Umstrukturierung des Unternehmens angesichts der
Wachstumsbestrebungen gehabt. Auch bei anderen Mitarbeitern der Beklagten sei
im Mai und Juni 2012 der Eindruck entstanden, dass der Kläger seinen Aufgaben
zur Mitarbeiterführung und Organisation des Flugbetriebs nur widerwillig
nachkomme, zumal er in dieser Zeit mehrere Wochen abwesend gewesen sei.
Dieser Eindruck habe sich bei einer Besprechung am 4. Juli 2012 erhärtet. Der
Kläger habe auch seine Pflichten zur Kontrolle des Flugbetriebs nur ungenügend
ausgeübt und die Verantwortung oftmals von sich gewiesen, wie etwa bei der
Frage nach dem Datum der Ankunft eines Luftfahrzeugs für anschließende
Wartungsarbeiten. Soweit sich der Kläger auf eine "psychologische Begutachtung"
vom 6. Februar 2012 beziehe, handele es sich dabei nur um ein Assessment,
stelle keinen Kündigungsgrund dar und liege auch schon ein halbes Jahr vor der
streitgegenständlichen Kündigung. Hinsichtlich der Musterberechtigung des
Klägers sei mit einem Mitarbeiter des Luftfahrtbundesamtes bei einer Besprechung
am 10. Juli 2012 stillschweigend vereinbart worden, dass der Beklagten noch
einige Monate gewährt würden, um diese Anforderungen zu erfüllen. Die fehlende
Einsatzbereitschaft des Klägers und die Schlechterfüllung der ihm obliegenden
Pflichten seien auch aus dem Zustand des Betriebshandbuchs ersichtlich, wie der
Nachfolger des Klägers im Dezember 2012 festgestellt habe.
17 Die Beklagte beantragt:
18
Das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 24.05.2013, Az. 9 Ca 390/12,
wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
19 Der Kläger beantragt,
20
die Berufung zurückzuweisen.
21 Der Kläger verteidigt das mit der Berufung angegriffene Urteil des Arbeitsgerichts.
Die Kündigung des Klägers sei deshalb erfolgt, weil er nach Auffassung des die
Beklagte wirtschaftlich bestimmenden russischen Gesellschafters unbotmäßig sei,
da er mit seiner E-Mail vom 14. August 2012 an den Ansprechpartner in Russland
die rechtlich gebotenen Verfahren angemahnt habe. Dies sei eine
Maßregelkündigung im Sinne von § 612 a BGB. Ferner sei die Kündigung erfolgt,
da der Kläger darauf bestanden habe, eine Musterberechtigung für ein von der
Beklagten betriebenes Luftfahrzeug auf deren Kosten zu erhalten. Der Vortrag der
Beklagten zu einer "stillschweigenden Vereinbarung" mit dem Luftfahrtbundesamt
sei unklar und falsch, wie die Mahnung des Luftfahrtbundesamtes mit Schreiben
vom 30. Juli 2012 (vgl. Akten 2. Instanz Bl. 74; II/74) zeige. Die nunmehrigen
Ausführungen der Beklagten zu angeblichen Leistungsmängeln des Klägers seien
"nachgeschoben" und inhaltsleer. Soweit der Kläger im April / Mai 2012 für zwei
Wochen nicht im Unternehmen gewesen sei, beruhe dies auf einer Anweisung des
damaligen Geschäftsführers, um Reise- und Unterkunftskosten für den Kläger zu
sparen. Die Ausführungen der Beklagten zum Inhalt einer Besprechung vom 4. Juli
2012 seien unklar und unzutreffend. Der Vorwurf der Beklagten, der Kläger habe
seine Pflichten zur Kontrolle des Flugbetriebs nicht ausgeübt seien unzutreffend,
da der Kläger für Wartungsfragen an den Luftfahrzeugen nicht zuständig sei. Die
Ausführungen der Beklagten zu unvollständigen Betriebshandbüchern träfen so
nicht zu und wobei die Beklagte selbst mitteile, davon erst Monate nach Ausspruch
der Kündigung erfahren zu haben.
22 Im Übrigen wird hinsichtlich des Vortrags der Parteien auf die zwischen ihnen in
beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
23 Die Berufung der Beklagten ist zulässig, da sie die Kündigung eines
Arbeitsverhältnisses betrifft, § 64 Abs. 2 Buchstabe c ArbGG. Die Berufung ist auch
frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64
Abs. 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO.
II.
24 Die Berufung der Beklagten ist aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu
Recht und mit zutreffender Begründung, der das Landesarbeitsgericht folgt, die
gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung nach §§ 612 a, 134 BGB als
unwirksam angesehen. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß
§ 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen. Die Ausführungen der Beklagten im
Berufungsrechtszug veranlassen lediglich folgende Ergänzungen.
25 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 19. April 2012 -
2 AZR 233/11 - NZA 2012, 1449 ff.; BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 384/10 - NZA 2012,
208 ff.; BAG 16. September 2004 - 2 AZR 511/03 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 142;
BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 426/02 - AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18), der die
erkennende Kammer folgt, darf nach der Norm des § 612 a BGB, die einen
Sonderfall der Sittenwidrigkeit betrifft, der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht
deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger
Weise seine Rechte ausübt. Als "Maßnahmen" im Sinne des § 612 a BGB
kommen auch Kündigungen in Betracht (BAG 20. April 1989 - 2 AZR 498/88 - RzK
I 8l Nr. 15).
26 a) Zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung muss ein unmittelbarer
Zusammenhang bestehen. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende
Beweggrund, das heißt das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme
sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die
Maßnahme bietet (BAG 12. Juni 2002 - 10 AZR 340/01 - AP BGB § 612a Nr. 8 =
EzA BGB § 612a Nr. 2). Ist der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers nicht nur
wesentlich, sondern ausschließlich durch die zulässige Rechtsverfolgung des
Arbeitnehmers bestimmt gewesen, so deckt sich das Motiv des Arbeitgebers mit
dem objektiven Anlass zur Kündigung. Es ist dann unerheblich, ob die Kündigung
auf einen anderen Kündigungssachverhalt hätte gestützt werden können, weil sich
ein möglicherweise vorliegender anderer Grund auf den Kündigungsentschluss
nicht kausal ausgewirkt hat und deshalb als bestimmendes Motiv für die
Kündigung ausscheidet. Eine dem Maßregelungsverbot widersprechende
Kündigung kann deshalb auch dann vorliegen, wenn an sich ein Sachverhalt
gegeben ist, der eine Kündigung des Arbeitgebers gerechtfertigt hätte (BAG 20.
April 1989 - 2 AZR 498/88 - RzK I 8l Nr. 15). Während das
Kündigungsschutzgesetz auf die objektive Sachlage zum Zeitpunkt der Kündigung
und nicht auf den Beweggrund der Kündigung durch den Arbeitgeber abstellt und
deswegen das Nachschieben materieller Kündigungsgründe - unbeschadet
betriebsverfassungsrechtlicher Vorschriften - insoweit zulässig ist, schneidet § 612
a BGB die Kausalkette für andere Gründe ab, die den Kündigungsentschluss des
Arbeitgebers nicht bestimmt haben. Kausal für die Kündigung ist dann vielmehr
allein der ausschließliche Beweggrund der unzulässigen Benachteiligung
gewesen.
27 b) Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen derjenigen Tatsachen, aus
denen sich die Unwirksamkeit der Kündigung wegen Verstoßes gegen § 612 a
BGB ergibt, liegt grundsätzlich beim Arbeitnehmer (vgl. BAG 21. Februar 2001 - 2
AZR 15/00 - BAGE 97, 92; BAG 25. April 2001- 5 AZR 360/99 - AP BGB § 242
Kündigung Nr. 14 = EzA BGB § 242 Kündigung Nr. 4; BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR
426/02 - AP KSchG § 1 Wartezeit Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 2).
Die Regel des § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG, wonach der Arbeitgeber die Tatsachen zu
beweisen hat, die die Kündigung bedingen, gilt außerhalb des
Kündigungsschutzgesetzes nicht (BVerfG 27. Januar 1998 - 1 BvL 15/97 -
BVerfGE 97, 169; BAG 21. Februar 2001 aaO). Der verfassungsrechtlich gebotene
Schutz des Arbeitnehmers wird dadurch gewährleistet, dass insoweit die
Grundsätze einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast Anwendung finden
(zusammenfassend: Lettl NZA-RR 2004, 64). Deshalb muss im ersten Schritt der
Arbeitnehmer, der die zur Kündigung führenden Überlegungen regelmäßig nicht
kennen wird, lediglich einen Sachverhalt vortragen, der die Unwirksamkeit der
Kündigung nach §§ 612 a, 134 BGB indiziert. Ergibt sich aus seinem Vorbringen
ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Maßregelungsverbot, muss dieser nach §
138 Abs. 2 ZPO sich qualifiziert auf das Vorbringen des Arbeitnehmers einlassen,
um es gegebenenfalls zu entkräften. Kommt der Arbeitgeber dieser sekundären
Behauptungslast nicht nach, gilt der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers
gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (vgl. BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 426/02
- aaO). Andernfalls hat der Arbeitnehmer die Tatsachen, aus denen sich die
Unwirksamkeit ergibt, zu beweisen.
28 2. Die Anwendung dieser Grundsätze führt im vorliegenden Fall zur Unwirksamkeit
der Kündigung nach §§ 612 a, 134 BGB.
29 a) Die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung steht in unmittelbarem
Zusammenhang mit der Ausübung arbeitsvertraglicher Pflichten und Rechte durch
den Kläger. Wie bereits das Arbeitsgericht in den Entscheidungsgründen des
angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt hat, hatte der Kläger gegen die
Beklagte einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Erlangung einer
Musterberechtigung auf Kosten der Beklagten. Diese Musterberechtigung für
eines von der Beklagten betriebenen Flugzeugmodelle war in seiner Position als
Fachbereichsleiter Flugbetrieb, welche in einem Luftfahrtunternehmen besetzt
sein muss, nach den Anforderungen des Luftfahrtbundesamtes auch erforderlich.
Der Kläger hat während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses die Beklagte in
seiner Funktion als Fachbereichsleiter Flugbetrieb hierauf und auf verschiedene
andere Missstände hingewiesen, wie die Unvollständigkeit von
Flugzeughandbüchern, die Beanstandung einer Flugzeuginspektion durch die
EASA, welche dem Kläger nicht mitgeteilt wurde, was im unstreitigen Teil des
Tatbestandes des arbeitsgerichtlichen Urteils festgehalten ist. Schließlich hat sich
der Kläger mit seinen Beanstandungen auch nochmals im August 2012 an den
Geschäftsführer und auf dessen Verweisung an den Ansprechpartner des
russischen Gesellschafters gewandt und eine Einschaltung des
Luftfahrtbundesamtes angekündigt. Zeitlich unmittelbar nachfolgend sprach die
Beklagte dem Kläger die streitgegenständliche Kündigung aus, ohne dass es eine
weitere Kommunikation der Parteien über die Beanstandungen des Klägers
gegeben hätte.
30 Die beschriebenen Aktivitäten stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit den
arbeitsvertraglichen Rechten und Pflichten des Klägers als Fachbereichsleiter
Flugbetrieb und dienen einer sicheren Abwicklung des Flugbetriebs. Auch die
Beklagte beanstandet nicht, dass der Kläger sich unzulässig Rechte angemaßt
oder diese in einem ungehörigen Ton vorgetragen hätte. Selbst in ihrem
Berufungsbegründungsschriftsatz vom 13. August 2013 (dort Seite 2; vgl. Akten 2.
Instanz Blatt 30; II/30) gibt die Beklagte an, dass die E-Mail des Klägers vom 14.
August 2012 weder vom Ton noch vom Inhalt zu beanstanden sei.
31 b) Dieser weitgehend unstreitig Sachverhalt indiziert eine unzulässige
Maßregelung des Klägers. Sein Begehren gegenüber der Beklagten,
arbeitsvertragliche Vereinbarungen und öffentlich-rechtliche
Sicherheitsvorschriften einzuhalten, wird von dieser der Sache nach mit einer
Kündigung beantwortet. Dies ist zunächst das klare Zeichen dafür, dass der
Kündigungsentschluss der Beklagten durch die zulässige Rechtsausübung des
Klägers bestimmt worden ist. Nunmehr wäre es Aufgabe der Beklagten im
Rahmen einer sekundären Behauptungslast, den schlüssigen Vortrag des Klägers
zu entkräften. Dies ist ihr in keiner Weise gelungen.
32 aa) Erstinstanzlich hat sich die Beklagte schriftsätzlich in zwei Schreiben allein mit
der Frage der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auf das
Arbeitsverhältnis beschäftigt und ist auf den bereits in der Klageschrift vom 18.
September 2012 gehaltenen substantiierten Vortrag des Klägers, dass die
Kündigung ferner eine unzulässige Maßregelung im Sinne von § 612 a BGB
darstelle, mit keiner Silbe eingegangen. Obwohl der Kläger auch in einem
nachfolgenden Schriftsatz vom 20. Dezember 2012 ausführlich darlegte, dass die
Kündigung eine unzulässige Reaktion der Beklagten insbesondere auf seine E-
Mail vom 14. August 2012 gewesen sei, hat sich die Beklagte in ihrem weiteren
Schriftsatz vom 15. Februar 2013 dazu überhaupt nicht geäußert und wie schon
in ihrem Schriftsatz vom 19. November 2012 nicht einmal andeutungsweise
angeführt, was Anlass und Grund der Kündigung sei. Offenkundig hat der
Geschäftsführer allein in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer des
Arbeitsgerichts hierzu einige vage Angaben gemacht, wie es im Tatbestand des
mit der Berufung angegriffenen Urteils (dort Seite 4; I/126) wiedergegeben wird,
wonach sich der Kläger um "wesentliche Dinge" nicht gekümmert habe und es
sich bei dem Kündigungsentschluss um einen "schleichenden Prozess"
gehandelt habe. Derart inhaltsleere Worthülsen vermögen den schlüssigen
Vortrag des Klägers zu einer verbotenen Maßregelkündigung nicht zu entkräften.
33 bb) Auch im Berufungsrechtszug ist dies der Beklagten nicht gelungen. Noch
immer gelingt es ihr nicht auch nur ansatzweise nachvollziehbar darzulegen,
warum dem Kläger mit Schreiben vom 28. August 2012 gekündigt wurde, wenn
nicht wegen seiner E-Mail vom 14. August 2012. Die Ausführungen der Beklagten
auf Seite 3 ihrer Berufungsbegründung (vgl. II/31), wonach der designierte
Geschäftsführer der Beklagten bei einem Gespräch Ende Mai 2012 den "Eindruck
fehlender Bereitschaft zur engagierten Umstrukturierung des Unternehmens"
durch den Kläger gehabt habe, ist in dieser Abstraktheit gänzlich ungeeignet
einen Anhaltspunkt für eine drei Monate später ausgesprochene Kündigung zu
geben. Ferner stellt die Beklagte auf eine angeblich längere Abwesenheit des
Klägers insbesondere in den Monaten März und Mai 2012 ab, ohne auch nur
nachvollziehbar sein zu lassen, ob und inwieweit dies angesichts der Einlassung
des Klägers hierzu pflichtwidrig gewesen sein soll beziehungsweise, dass der
Kläger während des Arbeitsverhältnisses darauf auch nur angesprochen worden
sein soll. Ferner ist der zeitliche Abstand zwischen diesen angeblichen Vorfällen
und dem Ausspruch der Kündigung unverständlich. Nach den Mitteilungen der
Beklagten im Schriftsatz vom 22. Oktober 2013 (dort Seite 3) war der Kläger am 4.
Juli 2013 nicht im Betrieb. Im Schriftsatz vom 13. August 2013 (dort Seite 4) gibt
sie an, der Kläger habe bei einer Besprechung "sämtlicher Fachbereichsleiter der
Beklagten am 04.07.2012" den Eindruck erweckt, dass er seinen Pflichten nur
ungern nachkomme beziehungsweise es ihm an Durchsetzungskraft fehle, was
aber im Gesamtzusammenhang nichtssagend ist. Auch hier fällt der zeitliche
Abstand zur später ausgesprochenen Kündigung auf. Auch aus dem E-
Mailwechsel betreffend einen Wartungstermin ist nicht einmal ansatzweise
abzulesen, dass es hier irgendwelche konkreten Punkte gibt, die einen
Arbeitgeber zur Kündigung eines Arbeitsverhältnisses - auch außerhalb des
Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes - veranlassen könnten.
Aus dem einzigen etwas detaillierten Vortrag der Beklagten betreffend die
Betriebshandbücher kann ein für die Kündigung des Klägers bestimmender
Grund bereits deshalb nicht abgeleitet werden, da die Beklagte hiervon nach ihren
eigenen Angaben erst nach Ausspruch der Kündigung und dem Ablauf der
Kündigungsfrist im Dezember 2012 vom Nachfolger des Klägers erfahren hat.
Deshalb kommt es nicht weiter auf ihre schwer verständlichen Ausführungen an,
wonach festgestellte Mängel eine umfassende und arbeitsintensive Revision der
Betriebshandbücher bedingt hätten (Schriftsatz vom 13. August 2013, Seite 6),
der Nachfolger des Klägers dies aber trotz zahlreicher Flugeinsätze in kürzester
Zeit geschafft habe (Schriftsatz vom 22.10.2013 Seite 4).
34 cc) Die Ausführungen der Beklagten, dass der Hinweis des Klägers in seiner E-
Mail vom 14. August 2012 auf das Luftfahrtbundesamt für sie kein Drohpotential
gehabt habe, da bei einer Besprechung mit einem Mitarbeiter des
Luftfahrtbundesamtes am 10. Juli 2012 mit diesem eine "stillschweigende
Vereinbarung" über eine weitere Frist von mehreren Monaten getroffen worden
sei, bis der Mangel einer fehlenden Musterberechtigung des Klägers behoben sei,
steht im erkennbaren Gegensatz zu dem Schreiben dieses Mitarbeiters des
Luftfahrtbundesamtes vom 30. Juli 2012 (vgl. II/74), in welchem er auf die bereits
abgelaufene Übergangsfrist hinweist und eine Klärung bis 17. August 2012
anmahnt. Unabhängig von der Frage eines Drohpotentials unterstreicht dies
jedenfalls den zeitlichen Zusammenhang zwischen der ungelösten Frage der
Musterberechtigung, die der Kläger auf Kosten der Beklagten erwerben sollte und
dem Ausspruch der Kündigung. Da es in den letzten sechs bis acht Wochen vor
Ausspruch der Kündigung selbst nach Angaben der Beklagten keine konkreten
Anhaltspunkte für eine unbefriedigende Arbeitsleistung des Klägers gab, auch die
Beklagte nicht behauptet, dass der Kläger jemals auf solches angesprochen
worden wäre, die Beklagte auch keine anderen nur halbwegs plausiblen Anlässe
für die Kündigung vorträgt, kommt als einziger den Entschluss tragender Umstand
das E-Mail des Klägers vom 14. August 2012 in Betracht, in welcher er Rechte
und Pflichten geltend macht. Wenn dies zum Anlass der Kündigung genommen
wird, verstößt es gegen das Maßregelungsverbot.
35 3. Angesichts dessen konnte es offen bleiben, ob sich die Kündigung auch als
sozial ungerechtfertigt erweist, weil das Kündigungsschutzgesetz auf das
Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Insoweit nimmt es das Gericht zur Kenntnis,
dass die Beklagte behauptet als Luftfahrtunternehmen sechs Luftfahrzeuge zu
betreiben und neben dem Geschäftsführer sowie dem Kläger nur vier Piloten und
einen Wartungsmitarbeiter zu beschäftigen sowie diverse "Freelancer", aber weder
Arbeitskräfte im Sekretariat, der Buchhaltung oder im Reinigungsbereich. Dagegen
benennt die Beklagte in ihrem Berufungsbegründungsschriftsatz verschiedene
ihrer Fachbereichsleiter als Zeugen (Bodenbetrieb, Qualitätsmanagement, CAMO),
ohne dies allerdings auf die Frage der Arbeitnehmerzahl zu beziehen. Hierauf
kommt es nach dem oben Gesagten aber nicht weiter an.
36 Da es ebenso auf den Schriftsatz des Kläger-Vertreters vom 28. Oktober 2013 bei
der Entscheidungsfindung nicht ankam, brauchte der Beklagten hierzu kein
weiteres Schriftsatzrecht eingeräumt zu werden.
III.
37 Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen, weil die
Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt sind.