Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 17.07.2013

sexuelle belästigung, ordentliche kündigung, unwirksamkeit der kündigung, arbeitsgericht

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 17.7.2013, 13 Sa 141/12
Kündigung wegen sexueller Belästigung - beidseitiger Auflösungsantrag der
Parteien
Leitsätze
1. Die sexuelle Belästigung eines Arbeitskollegen kann einen wichtigen Grund "an
sich" für eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses darstellen.
Maßgeblich sind aber die konkreten Umstände des Einzelfalls. Gegebenenfalls kann
auch eine Abmahnung als Reaktion auf eine solche Pflichtwidrigkeit ausreichen, so
dass sich eine Kündigung als unverhältnismäßig erweist.
2. Zur Bemessung einer Abfindung nach § 10 KSchG.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das
Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn - Kammern Crailsheim - vom 18. Oktober 2012
(Az.: 2 Ca 71/12) werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten außerordentlich
fristlos, hilfsweise ordentlich ausgesprochenen Kündigung des zwischen ihnen
bestehenden Arbeitsverhältnisses. Zwischenzeitlich beantragen beide Parteien -
der Kläger im Rahmen eines unechten Hilfsantrages, die Beklagte im Rahmen
eines echten Hilfsantrages - die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen
Zahlung einer Abfindung.
2 Der am 00.00.1968 geborene, ledige und weiter nicht zum Unterhalt verpflichtete
Kläger arbeitet auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 28.
September 1998 (vgl. Akten 1. Instanz Bl. 13 bis 18; I/13-18) seit dem 1. Januar
1999 bei der Beklagten - einem konzernangehörigen, weltweit tätigen
Maschinenbauunternehmen mit mehreren tausend Beschäftigten, davon allein
1150 am Standort C. - als Projekt- / Vertriebsingenieur. Er erzielte im Monat
Februar 2012 eine Vergütung von EUR 6.343,73 brutto (vgl. Abrechnung Anlage
B14; I/222), wobei er Anspruch auf bestimmte weitere jährliche Zahlungen hat.
3 Nach Anhörung des im Betrieb C. der Beklagten bestehenden Betriebsrates (vgl.
Anlage B10; I/190 ff.), kündigte diese das Arbeitsverhältnis des Klägers mit
Schreiben vom 20. März 2012 (Anlage K2; I/19), welches diesem spätestens am
22. März 2012 zuging, außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum
nächstzulässigen Termin, welchen die Beklagte mit dem 30. September 2012
angab.
4 Die Beklagte wirft dem Kläger vor, er habe als Teilnehmer an einer
Vertriebskonferenz vom 7. bis 9. Februar 2012 in J. S. am 7. Februar 2012
anlässlich eines gemeinsamen Abendessens der Konferenzteilnehmer einen
anderen Konferenzteilnehmer - den Mitarbeiter einer Tochtergesellschaft der
Beklagten, Herrn S. C. - gegen 21:15 Uhr dadurch sexuell belästigt, dass er
diesen, der mit anderen Konferenzteilnehmern stehend im Gespräch vertieft war,
auf dem Weg zur Toilette zunächst mit der Hand in der Magengegend angefasst
und dann auf dem Rückweg von hinten mit den Armen auf Höhe der
Magengegend umschlungen und sich an ihn gepresst habe. Letzteres habe Herrn
C. angewidert und abgestoßen, weshalb er sich einen Monat später mit einer E-
Mail vom 7. März 2012 (vgl. I/148; beglaubigte Übersetzung aus der englischen
Sprache: I/149) an den Vorgesetzten des Klägers gewandt habe.
5 Mit seiner am 29. März 2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der
Beklagten am 3. April 2012 zugestellten Klage wendet sich der Kläger gegen die
Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung vom 20. März 2012
und begehrt Weiterbeschäftigung als Vertriebsingenieur.
6 Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, für die Kündigung vom 20. März 2012
gebe es keinen wichtigen oder sozial rechtfertigenden Grund. Ferner sei diese
auch aus zahlreichen anderen Gründen unwirksam.
7 Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen und mit einem
am 18. Juli 2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem Kläger am 27. Juli
2012 zugestellten Schriftsatz hilfsweise beantragt, das Arbeitsverhältnis gegen
Zahlung einer Abfindung zum 30. September 2012 aufzulösen, wobei sie einen
Betrag von EUR 18.400,00 für angemessen hielt. Für den Fall, dass - anders als
von ihr angenommen - sich die Kündigung als unwirksam erweisen sollte, sei das
Arbeitsverhältnis aufzulösen, da keine den Betriebszwecken dienliche weitere
Zusammenarbeit zwischen den Parteien zu erwarten sei. Dies hat die Beklagte
erstinstanzlich neben einem Vertrauensverlust gegenüber dem Kläger wegen
sexueller Belästigung unter anderem damit begründet, dass der Kläger gegen sie
unberechtigte und haltlose Diskriminierungsvorwürfe erhoben habe, verbunden mit
einer Klage in einem Parallelverfahren auf Zahlung von EUR 240.000,00
Entschädigung zuzüglich weiteren Schadensersatzes von über EUR 45.000,00.
8 Der Kläger ist erstinstanzlich dem Auflösungsantrag der Beklagten
entgegengetreten. Die Beklagte könne eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses
nicht verlangen, da die Kündigung nicht allein mangels sozialer Rechtfertigung,
sondern auch aus zahlreichen anderen Gründen unwirksam sei. Es liege auch
kein Auflösungsgrund für die Beklagte vor.
9 Im Übrigen wird hinsichtlich des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien gemäß §
69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG auf den Tatbestand des mit der Berufung angegriffenen
Urteils des Arbeitsgerichts (dort Seite 2 bis 17; I/633-648) Bezug genommen.
10 Das Arbeitsgericht hat mit einem am 18. Oktober 2012 verkündeten Urteil der
Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben, den
Weiterbeschäftigungsantrag aber abgewiesen und das Arbeitsverhältnis gegen
Zahlung einer Abfindung durch die Beklagte in Höhe von EUR 38.479,37 zum 30.
September 2012 aufgelöst. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitere allerdings
weder an der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung, der Zurückweisung der
Kündigung mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde noch an der fehlenden
Vollmacht zum Ausspruch der Kündigung. Die außerordentliche Kündigung sei
aber, sowohl als Verdachts- als auch als Tatkündigung, mangels Vorliegens eines
wichtigen Grundes unwirksam. Es falle bereits schwer, das Berühren von Herrn C.
in der Magengegend als sexuelle Handlung einzustufen. Allerdings beschreibe der
Vortrag der Beklagten, wonach der Kläger Herrn C. von hinten auf Höhe der
Magengegend mit den Armen umschlungen und sich an ihn gepresst habe, kein
sozial adäquates Verhalten, selbst wenn man berücksichtige, dass es sich um
einen geselligen Abend gehandelt habe. Doch sei es der Beklagten möglich, ein
solches Fehlverhalten des Klägers beispielsweise durch eine Abmahnung zu
unterbinden, was dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspreche, da auch nach
dem Vortrag der Beklagten nicht von einem gravierenden Fehlverhalten des
Klägers auszugehen sei. Selbst wenn man einen wichtigen Grund annehme,
scheitere die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung an einer
Interessenabwägung im konkreten Fall, nachdem das Arbeitsverhältnis des
Klägers 13 Jahre unbeanstandet bestanden habe und es keine Hinweise auf
andere Pflichtverletzungen gegeben habe. Auch die hilfsweise ordentliche
Kündigung sei (ausschließlich) mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam. Ohne
Ausspruch einer entsprechenden Abmahnung gebe es für eine solche Kündigung
keinen Anlass. Der Auflösungsantrag der Beklagten sei in Bezug auf die hilfsweise
ordentliche Kündigung zulässig und begründet. Es sei aufgrund des Verhaltens
des Klägers nach Ausspruch der Kündigung keine dem Betriebszweck dienliche
weitere Zusammenarbeit der Parteien zu erwarten. Ein Auflösungsgrund liege
bereits in der Erhebung einer völlig überzogenen Entschädigungsklage, in deren
Rahmen vom Kläger Behauptungen aufgestellt würden, deren Haltlosigkeit offen
zu Tage trete. Ein weiterer Auflösungsgrund ergebe sich aus dem Verhalten des
Klägers im Zusammenhang mit der Zurückweisung der Kündigung mangels
Vollmacht beziehungsweise Vorlage einer Vollmachtsurkunde. Das
Arbeitsverhältnis sei zu dem Zeitpunkt aufzulösen, zu dem es aufgrund
ordentlicher Kündigung nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der
Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg geendet hätte, also dem 30.
September 2012. Hinsichtlich der Höhe der Abfindung sei das Alter des Klägers
und seine aufgrund einer Alkoholerkrankung schlechten Chancen auf dem
Arbeitsmarkt ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass es sich bei der
Beklagten um ein großes, leistungsstarkes Unternehmen handele und das
Arbeitsverhältnis 13 Jahre unbeanstandet bestanden habe. Andererseits habe der
Kläger keine Unterhaltspflichten und die Kündigung sei nicht offensichtlich grob
sozialwidrig. Gegen den Kläger spreche, dass er sich im Prozess in erheblichem
Maße ehrverletzend gegenüber der Beklagten geäußert und ihr beispielsweise
unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen habe, was durch nichts belegt worden sei.
Bei der Höhe des Monatseinkommens seien neben dem monatlichen Grundgehalt
(EUR 6.343,73 brutto), auch die jährlich gezahlten Vergütungsbestandteile VTA-
Bonus (EUR 1.895,00 brutto), C.-Bonus (EUR 1.200,00 brutto) und das
Urlaubsgeld (EUR 4.735,20) zu berücksichtigen. Das Urlaubsgeld sei fest in das
Vergütungsgefüge des Klägers eingefügt gewesen. Das jährliche Weihnachtsgeld
(EUR 3.620,50 brutto) sei dagegen nicht zu berücksichtigen, da es in Anlehnung
an die tariflichen Bestimmungen gezahlt werde, welche eine Staffelung nach
Zeiten der Betriebszugehörigkeit und ein Entfallen des Anspruchs für Zeiten des
Ruhens des Arbeitsverhältnisses vorsähen. Diese Sonderzahlung weise
Gratifikationscharakter auf. Die so bestimmte Vergütung des Klägers sei mit 13,75
(Anzahl der Beschäftigungsjahre zum Auflösungszeitpunkt) sowie dem von der
Kammer als angemessen betrachteten Faktor von 0,4 zu multiplizieren.
11 Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 19. November 2012 und
dem Kläger am 20. November 2012 zugestellt. Gegen das Urteil hat der Kläger am
19. Dezember 2012 Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist mit
einem am 18. Februar 2012 eingegangenen Schriftsatz begründet. Die
Berufungserwiderungsfrist für die am 21. Februar 2012 zugestellte
Berufungsbegründung wurde für die Beklagte auf deren Antrag bis Montag, 22.
April 2012 verlängert. Mit ihrer am 18. April 2012 eingegangenen
Berufungsbegründung begehrt die Beklagte im Wege der Anschlussberufung die
vollständige Abweisung der Klage. Mit einem am 26. Juni 2012 eingegangenen
und der Beklagten am 2. Juli 2013 zugestellten Schriftsatz beantragt der Kläger im
Wege eines unechten Hilfsantrages die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum
30. Juni 2013 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von mindestens EUR
92.960,00.
12 Der Kläger trägt vor, der Auflösungsantrag der Beklagten sei unzulässig, da die
Kündigung vom 20. März 2012 nicht lediglich wegen Sozialwidrigkeit unwirksam
sei, sondern auch wegen Verstoßes gegen § 134 BGB iVm § 85 SGB IX, § 623
BGB iVm § 125 BGB, § 102 BetrVG, § 13 KSchG sowie des Vorliegens einer
unwirksamen außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist. Der Auflösungsantrag
der Beklagten sei auch mangels Vorliegens eines Auflösungsgrundes unwirksam.
Der Kläger habe keine sexuelle Belästigung begangen. Es liege auch keine
Diskriminierungsklage mit haltlosen Behauptungen gegen die Beklagte vor.
Vielmehr sei der Kläger von der Beklagten in mehrfacher Weise diskriminiert
worden und die Höhe der von ihm geltend gemachten Ansprüche nicht überzogen.
Eine so begründete Auflösung verstoße ferner gegen das Maßregelungsverbot. Es
liege kein Fall einer treuwidrigen Zurückweisung der Kündigung der Beklagten
durch ihn vor. Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers sei zulässig und
begründet. Selbst wenn das Arbeitsgericht das Arbeitsverhältnis zu Recht
aufgelöst haben sollte, hätte es als Beendigungstermin nicht den 30. September
2012 nehmen dürfen. Die tariflichen Kündigungsfristen des § 4.5. des
Manteltarifvertrages seien unionsrechtswidrig und auf das Arbeitsverhältnis der
Parteien nicht anwendbar, so dass keine ordentlichen Kündigungsfristen gelten
würden. Da der Kläger dem Betrieb länger als drei Jahre angehöre, könne ihm
ferner nach der tarifvertraglichen Regelung in § 4.4 des Manteltarifvertrages nur
noch außerordentlich gekündigt werden, auch wenn er das 53. Lebensjahr noch
nicht vollendet habe. Die letztgenannte tarifvertragliche Voraussetzung sei
insbesondere aus unionsrechtlichen Gründen nicht anwendbar. Dies führe dazu,
dass das Arbeitsverhältnis aufgrund vertraglicher bzw. tarifvertraglicher Regelung
erst mit dem Renteneintrittsalter des Klägers ohne besondere Kündigung ende.
Das Arbeitsgericht habe auch nicht die richtige Abfindungshöhe berechnet und die
abwägungserheblichen Umstände nicht ausreichend berücksichtigt. Statt eines
Abfindungsfaktors von 0,4 erscheine eher ein Faktor von 0,8 angemessen, wobei
ein umgerechnetes monatliches Bruttoentgelt des Klägers von EUR 8.300,00
zugrunde zu legen sei. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht das Weihnachtsgeld
nicht in seine Berechnung einbezogen. Die Beschäftigungsjahre des Klägers seien
gemäß § 1a Abs. 2 Satz 3 KSchG von 13,75 Jahren auf 14 Jahre aufzurunden.
Die Differenzierung nach Alter im Rahmen von § 10 KSchG sei unionsrechtswidrig.
Das Arbeitsgericht habe zwar den Gesundheitszustand des Klägers mit in seine
Erwägungen einbezogen, nicht aber den Verfall seiner
Betriebsrentenanwartschaften.
13 Die Anschlussberufung der Beklagten sei unbegründet. Die gegenüber dem
Kläger ausgesprochene Kündigung sei unwirksam. Dies ergebe sich schon aus
den oben geschilderten formalen Gründen. Der Kläger habe aber auch nicht
gegen arbeitsvertragliche Verhaltenspflichten schuldhaft verstoßen. Damit liege
schon kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung "an sich" vor. Eine
Interessenabwägung falle angesichts eines seit 13 Jahren unbeanstandeten
Arbeitsverhältnisses zu Gunsten des Klägers aus. Jedenfalls komme ein
Ausspruch der Kündigung nicht ohne vorangehende Abmahnung in Betracht. Die
Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten. Die Anhörung des Klägers und
die Anhörung des Betriebsrates seien nicht ordnungsgemäß erfolgt, zumal nicht
der Betriebsrat in C., sondern derjenige in H. zuständig sei. Ebenso sei die
hilfsweise ordentliche Kündigung vom 20. März 2012 unwirksam. Da der Kläger
Herrn C. nicht sexuell belästigt habe, sei die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt.
Auch hier fehle es an einer vorhergehenden Abmahnung und eine
Interessenabwägung falle zu Gunsten des Klägers aus. Der Auflösungsantrag der
Beklagten sei weder zulässig noch begründet, zumal die Kündigung aus einer
Vielzahl anderer Gründe unwirksam sei und auch kein Auflösungsgrund für die
Beklagte vorliege. Dies gelte auch, soweit die Beklagte in der Berufungsinstanz
weitere Umstände aufführe. Eine Entschädigungsklage in den USA gegen die
Beklagte wegen Diskriminierung werde vom Kläger nicht mehr weiterverfolgt. Der
Beschäftigungsantrag des Klägers sei zulässig und begründet, da die Parteien
nach wie vor darüber stritten, ob das Arbeitsverhältnis bereits beendet sei. Ebenso
sei der Auflösungsantrag des Klägers zulässig und begründet. Ihm sei die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten. Dies ergebe sich aus der
Art und Weise der Prozessführung der Beklagten, die insbesondere fortgesetzt
eine sexuelle Belästigung durch den Kläger behaupte und ihn durch
verschiedenen schriftsätzlichen Vortrag im Rechtsstreit entwürdige und anfeinde.
Die Abfindung sei unter Berücksichtigung der Benachteiligungen des Klägers zu
bemessen, wobei § 15 AGG ein besonderes Gewicht zukomme, der § 10 KSchG
als speziellere Norm verdränge. Die tarifvertraglichen Kündigungsfristen seien
ebenso wie die gestaffelten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB unwirksam.
Die Ausführungen der Beklagten zum VTA-Bonus seien nicht geeignet, dessen
korrekten Wert darzulegen. Der an den Kläger in der Vergangenheit in diesem
Zusammenhangausgezahlte Betrag von EUR 1.895,00 sei fehlerhaft, da zu
niedrig. Das Weihnachtsgeld habe keinen Gratifikationscharakter und sei bei der
Berechnung - zumindest anteilig - zu berücksichtigen. Die Betriebszugehörigkeit
sei auf den Zeitpunkt des Auflösungsurteils - nicht vor dem 17. Juli 2013 - zu
beziehen und betrage dann 14,5 Jahre, was auf 15 Jahre aufzurunden sei. Eine
Anwendung von § 10 KSchG scheide wegen Unionsrechtswidrigkeit der
Altersgruppenbildung aus. Die Höhe der Abfindung liege damit allein im
pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Es werde bestritten, dass dem Kläger
keine Betriebsrentenanwartschaften verfielen. Die von der Beklagten in den Raum
gestellte Abfindungshöhe von EUR 18.400,00 sei völlig abwegig.
14 Der Kläger beantragt:
15
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Heilbronn - Kammern Crailsheim - vom 18.10.2012, Az. 2 Ca 71/12, dem
Kläger zugestellt am 19.11.2012, teilweise abgeändert:
16
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
nicht durch die Kündigung vom 20.03.2012 beendet worden ist.
- Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den im Arbeitsvertrag vom
28.09.1998 und im Änderungsvertrag vom 11.11.2011 geregelten
Arbeitsbedingungen als Projekt- / Vertriebsingenieur in C. zu beschäftigen.
17
Hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1.:
18
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Heilbronn - Kammern Crailsheim - vom 18.10.2012, Az. 2 Ca 71/12, dem
Kläger zugestellt am 19.11.2012, teilweise abgeändert:
19
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
nicht durch die Kündigung vom 20.03.2012 beendet worden ist.
- Das Arbeitsverhältnis wird gegen Zahlung einer Abfindung durch die
Beklagte in Höhe von 92.960,00 EUR mit Ablauf des Monats, in dem der
Kläger das 67. Lebensjahr vollendet, aufgelöst.
20
Höchst hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit Antrag zu 1. und Antrag
zu 2.:
21
3. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Heilbronn - Kammern Crailsheim - vom 18.10.2012, Az. 2 Ca 71/12, dem
Kläger zugestellt am 19.11.2012, teilweise abgeändert:
22
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
nicht durch die Kündigung vom 20.03.2012 beendet worden ist.
- Das Arbeitsverhältnis wird gegen Zahlung einer Abfindung durch die
Beklagte in Höhe von 92.960,00 EUR zum 30.09.2012 aufgelöst.
23
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
24 Die Beklagte beantragt:
25
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn -
Kammern Crailsheim - vom 18.10. 2012, Az.: 2 Ca 71/12 wird
zurückgewiesen.
26
II. Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des
Arbeitsgerichts Heilbronn - Kammern Crailsheim - vom 18.10.2012, Az.: 2 Ca
71/12 wie folgt abgeändert:
27
Die Klage wird abgewiesen.
28
III. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
29 Der Kläger beantragt:
30
5. Die Anschlussberufung der Beklagten vom 18.04.2013 wird
zurückgewiesen.
31
Hilfsweise, für den Fall des Obsiegens des Klägers:
32
6. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird auf Antrag des Klägers zum
30.06.2013 gegen Zahlung einer Abfindung, dessen Höhe in das Ermessen
des Gerichts gestellt wird, die jedoch einen Betrag von 92.960,00 EUR nicht
unterschreiten sollte, aufgelöst.
33
7. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
34 Die Beklagte trägt vor, die Klage sei abzuweisen, da die gegenüber dem Kläger
ausgesprochene Kündigung wirksam sei. Das Verhalten des Klägers gegenüber
Herrn C. stelle eine sexuelle Belästigung dar, was die Beklagte zum Ausspruch
einer außerordentlich fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung berechtige.
Eine Unwirksamkeit der Kündigung ergebe sich nicht aus formalen Gründen. Das
Arbeitsgericht überspanne die Anforderungen an einen wichtigen Grund im Sinne
des § 626 Abs. 1 BGB. Auch eine Interessenabwägung falle nicht zu Gunsten des
Klägers aus. Eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung sei entbehrlich, da
eine sexuelle Belästigung eine äußerst schwere Pflichtverletzung darstelle.
Jedenfalls sei die hilfsweise ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung zum 30.
September 2012 wirksam. Wenn man, wie das Arbeitsgericht, von einer
Unwirksamkeit der Kündigung ausgehe, sei das Arbeitsverhältnis der Parteien
nach den §§ 9, 10 KSchG aufzulösen, wie es das Arbeitsgericht zu Recht getan
habe. Die Kündigung sei nicht aus anderen Gründen als ihrer Sozialwidrigkeit
unwirksam. Es liege - schon mangels mangels Schwerbehinderung des Klägers -
kein Verstoß gegen §§ 134 BGB, 85 SGB IX vor, die Formerfordernisse für den
Ausspruch der Kündigung seien gewahrt, es liege kein Verstoß gegen §§ 174, 180
BGB vor und der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Die hilfsweise
ordentliche Kündigung durch die Beklagte sei nicht tariflich ausgeschlossen. Eine
außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist habe die Beklagte nicht
ausgesprochen. Der Auflösungsantrag der Beklagten sei auch begründet. Es
bestehe ein vollständiger Vertrauensverlust gegenüber dem Kläger aufgrund der
sexuellen Belästigung. Ferner habe er gegen die Beklagte zahlreiche haltlose
Diskriminierungsvorwürfe erhoben und eine völlig überzogene
Entschädigungsforderung geltend gemacht. Nunmehr versuche der Kläger auch,
diese Entschädigungsforderung mit Hilfe einer US-amerikanischen Anwaltskanzlei
in den USA durchzusetzen, obwohl der Sachverhalt keinen Bezug zu den USA
aufweise und der Kläger für die Beklagte dort auch nie tätig gewesen sei. Dies
zeige, dass dem Kläger jedes Mittel recht sei, um die Beklagte unter Druck zu
setzen. Ein Auflösungsgrund ergebe sich auch aus der treuwidrigen
Zurückweisung der Kündigung durch den Kläger mit Schreiben vom 22. März 2012
(vgl. I/577-586). Es liege kein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot vor. Der
Beschäftigungsantrag des Klägers sei - schon wegen Beendigung des
Arbeitsverhältnisses - unbegründet. Als Zeitpunkt der Auflösung des
Arbeitsverhältnisses sei nach der insoweit nicht zu beanstandenden tariflichen
Kündigungsfristenregelung der 30. September 2012 festzulegen. Eine Abfindung
sei auf maximal EUR 18.400,00 festzusetzen. Die Angabe eines Monatsgehalts
von EUR 8.300,00 brutto durch den Kläger sei nicht nachvollziehbar. Anders als
vom Arbeitsgericht angenommen, müsse bei der Bestimmung der
Monatsvergütung des Klägers auch das Urlaubsgeld außer Betracht bleiben, da
auch dieses wie das Weihnachtsgeld als Gratifikation zu betrachten sei. Für eine
Aufrundung der Dauer der Betriebszugehörigkeit sei im Rahmen des § 10 KSchG
kein Raum. Als Bemessungsfaktor für die Abfindung sei aufgrund des Verhaltens
des Klägers nur ein Wert von 0,2 anzusetzen. § 10 KSchG sei nicht
europarechtswidrig. Es würden keine Betriebsrentenanwartschaften des Klägers
verfallen. Auch das weitere Verhalten des Klägers in dem parallelen
Entschädigungsprozess mit mehrfach falschen Zitaten in den Schriftsätzen
rechtfertige die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ebenso, wie sein Vorgehen im
Zusammenhang mit dem Verlangen eines Zeugnisses.
35 Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis aufgrund des nunmehr auch vom Kläger
gestellten Auflösungsantrags unabhängig vom Vorliegen von Auflösungsgründen
zum Ablauf des 30. September 2012 aufzulösen, auch wenn die vom Kläger
behaupteten Auflösungsgründe nicht vorlägen. Der Beendigungszeitpunkt 30.
September 2012 ergebe sich aus § 9 Abs. 2 KSchG. Die vom Kläger geforderte
Abfindung in Höhe von EUR 92.960,00 sei überhöht. Die Ausführungen des
Klägers zum VTA-Bonus seien nicht nachvollziehbar. Bei der
Betriebszugehörigkeit sei auf das Beendigungsdatum, also den 30. September
2012, abzustellen. Die eigene überhöhte Abfindungsforderung werde vom Kläger
nicht begründet.
36 Im Übrigen wird hinsichtlich des Vortrags der Parteien auf die zwischen ihnen in
beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze und Anlagen sowie die
Sitzungsprotokolle Bezug genommen. Dies gilt insbesondere für die
zweitinstanzlichen Schriftsätze des Klägers vom 18. Februar 2013 (vgl. Akten 2.
Instanz Bl. 83 bis 285; II/83-285), 26. Juni 2013 (II/520-653) und 16. Juli 2013
(II/735-763) sowie die zweitinstanzlichen Schriftsätze der Beklagten vom 18. April
2013 (II/371-508) und 9. Juli 2013 (II/681-705).
Entscheidungsgründe
A
I.
37 Die Berufung des Klägers ist zulässig, da sie das Bestehen eines
Arbeitsverhältnisses betrifft, § 64 Abs. 2 Buchstabe c ArbGG. Die Berufung ist auch
frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64
Abs. 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO.
38 Allerdings sind seine mit der Berufungsbegründungsschrift vom 18. Februar 2013
angekündigten Anträge nicht eindeutig klar. Soweit er die Feststellung begehrt,
dass sein Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 20. März 2012 beendet
ist, fehlt es an einer Beschwer des Klägers, da dies der erstinstanzlichen
Tenorierung im Urteil des Arbeitsgerichts entspricht. Soweit er die "hilfsweise" und
"höchsthilfsweise" angekündigten Auflösungsanträge für den Fall des Unterliegens
mit seinem Hauptantrag stellen will, wäre dies keine schlüssige Antragstellung, da
ein Auflösungsantrag immer nur im Zusammenhang mit einem erfolgreichen
Kündigungsschutzantrag in Betracht kommt. Allerdings ist aus der
Berufungsbegründung das ursprüngliche Ziel der Berufung erkennbar: Der Kläger
wendet sich der Sache nach gegen eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses,
jedenfalls zu den Bedingungen, wie sie im erstinstanzlichen Urteil enthalten sind.
Auf diese "echten" Hilfsanträge des Klägers kommt es nunmehr nicht mehr an, da
er mit Schriftsatz vom 26. Juni 2013 im Rahmen eines "unechten" Hilfsantrags - für
den Fall des Obsiegens mit dem Bestandsschutzantrag - einen eigenen
Auflösungsantrag gestellt hat.
II.
39 Auch die Anschlussberufung der Beklagten ist zulässig, da sie innerhalb der Frist
des § 524 Abs. 2 und 3 ZPO eingelegt und begründet worden ist.
B
40 I. Anschlussberufung der Beklagten
41 Zunächst war über die Anschlussberufung der Beklagten zu entscheiden, da nur
bei einer Unwirksamkeit der Kündigung vom 20. März 2012 eine Auflösung des
Arbeitsverhältnisses in Betracht kommt.
42 1. Die Anschlussberufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat
zu Recht und mit zutreffender Begründung entschieden, dass die von der
Beklagten mit Schreiben vom 20. März 2012 ausgesprochene Kündigung sowohl
als außerordentlich fristlose Kündigung - mangels wichtigen Grundes hierzu im
Sinne von § 626 Abs. 1 BGB - als auch als hilfsweise ordentliche Kündigung -
mangels sozialer Rechtfertigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG - unwirksam ist
und das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht auflöst. In diesem Zusammenhang
nimmt das Landesarbeitsgericht gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug auf die
zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter A II. 4. und B II. 3 der
Entscheidungsgründe des mit der Berufung angegriffenen Urteils (dort Seite 26 bis
30; I/657-661 und Seite 32 bis 33; I/663-664), denen es folgt.
43 2. Die Ausführungen der Beklagten in der Anschlussberufung veranlassen
lediglich folgende kurze Ergänzungen:
44 a) Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass eine sexuelle Belästigung am
Arbeitsplatz grundsätzlich für den Ausspruch einer außerordentlichen oder
ordentlichen Kündigung geeignet sein kann. Soweit die Beklagte aber meint, dass
ein solches Verhalten stets eine Kündigung rechtfertigt, da es sich um ein
gravierendes Fehlverhalten handele, übersieht sie, dass auch der Gesetzgeber
eine sexuelle Belästigung nach § 3 Abs. 4 und § 7 AGG zwar als Verletzung
vertraglicher Pflichten wertet, dies aber nicht als "absoluten" Kündigungsgrund
ansieht, sondern in § 12 Abs. 3 AGG ausdrücklich den das Arbeitsrecht vielfach
durchdringenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anführt, und als
Reaktionsmöglichkeiten auf einen solchen Pflichtverstoß zunächst beispielsweise
die Abmahnung oder Versetzung benennt und nur als letztes der dort aufgeführten
Mittel die Kündigung des Arbeitsverhältnisses angibt. Ob ein solches Verhalten
eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung rechtfertigen kann, hängt von
den Umständen des Einzelfalls ab, unter anderem von seinem Umfang und seiner
Intensität (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16, NZA 2011, 1342 ff.; BAG
25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - Rn. 18; NZA 2004, 1214 ff.; ErfK-Schlachter, 13.
Auflage 2013, § 12 AGG Rn. 3).
45 b) Vorliegend würde es sich auch nach dem Vortrag der Beklagten allenfalls um
einen einmaligen Pflichtverstoß des Klägers mit geringer Intensität handeln, der
den Ausspruch einer außerordentlichen oder auch ordentlichen Kündigung ohne
vorherige Abmahnung unverhältnismäßig sein ließe.
46 aa) Soweit die Beklagte schildert, der Kläger habe Herrn C. auf dem Weg zur
Toilette mit der Hand in der Magengegend berührt, kann schon nicht von einer
sexuellen Belästigung ausgegangen werden. Das Arbeitsgericht hat in diesem
Zusammenhang bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass hier ein sexueller
Bezug nicht erkennbar ist. Darüber hinaus hat Herr C. in seiner E-Mail vom 7.
März 2012 (vgl. Anlage B3, I/147 f.; beglaubigte Übersetzung aus dem Englischen
I/149) dazu ausgeführt, dass ihn dies "niemals wirklich störte" ("which never really
bothered me"), so dass das Vorliegen einer sexuellen Belästigung im Sinne von §
3 Abs. 4 AGG in diesem Zusammenhang fernliegend ist. In der ergänzenden
Erklärung von Herrn C. vom 21. September 2012 (vgl. Anlage B17, I/524 f.;
beglaubigte Übersetzung aus dem Englischen I/526 ff.) führt dieser außerdem
aus, dass der Kläger ihn damit darauf habe hinweisen wollen, dass er
übergewichtig sei ("in a way to suggest that I was overweight"). Dies zeigt, dass
weder vom objektiven Gehalt des Vorgehens des Klägers, noch vom subjektiven
Erleben des Herrn C. hier eine sexuelle Belästigung vorgelegen hat.
47 bb) Soweit der Vortrag der Beklagten zutreffen sollte, der Kläger habe auf dem
Rückweg Herrn C. von hinten mit den Armen in Höhe der Magengegend
umschlungen und sich an ihn gepresst, läge - wie das Arbeitsgericht zutreffend
ausgeführt hat - allerdings auch dann kein sozial adäquates Verhalten vor, wenn
man berücksichtigt, dass sich dies in einer geselligen Runde abgespielt hat. Ob
das Verhalten überhaupt einen sexuellen Bezug hat, wie die Beklagte meint, soll
hier zu ihren Gunsten angenommen werden. Herr C., der in seiner E-Mail vom 7.
März 2012 mitteilt, darüber wirklich nicht begeistert gewesen zu sein ("I was really
not impressed with this") hat in dieser E-Mail diese Verknüpfung allerdings nicht
hergestellt und beschränkt sich bei seiner während des erstinstanzlichen
Verfahrens eingereichten weiteren Stellungnahme vom 21. September 2012 auf
die Bezeichnung "Belästigung" ("Harrasment"). Wenn man aber, mit den
ausführlichen Überlegungen der Beklagten hierzu, einen sexuellen Bezug der
Belästigung annehmen wollte, wäre diese von einem so geringen Ausmaß und
geringer Schwere, dass als verhältnismäßige Reaktion der Beklagten der
Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung ohne
vorangegangene Abmahnung nicht in Betracht kommt. Es handelt sich um einen
einmaligen Vorfall mit geringer Einwirkung auf einen anderen Arbeitnehmer, dem
insbesondere auch kein Kontext beigefügt ist, der auf eine Herabsetzung,
Erniedrigung, Entwürdigung, Anfeindung, Provokation, Bloßstellung, Beleidigung
oder ernsthafter Bedrängung von Herrn C. abzielte. Es handelte sich um einen
Vorfall von der Dauer weniger Sekunden, bei dem offenkundig nicht einmal Worte
gefallen sind, wie Herr C. in seinem Schreiben vom 21. September 2012 angibt,
und bei dem Herr C. sich der von ihm als unangenehm empfundenen Situation
ohne Schwierigkeiten sofort entziehen konnte. Ein solches Verhalten des Klägers
hätte keine soziale Adäquanz gehabt. Die Beklagte hätte aber berechtigt
annehmen können, dass beispielsweise der Ausspruch einer Abmahnung
ausreichend ist, um künftige etwaige Pflichtverletzungen durch den Kläger zu
verhindern.
48 cc) Das Arbeitsgericht hat ferner zur Recht darauf hingewiesen, dass unabhängig
von den vorstehenden Erwägungen, sich eine außerordentliche oder ordentliche
Kündigung jedenfalls im Rahmen einer abschließenden Interessenabwägung als
unwirksam erweist. Angesichts eines seit mehr als 13 Jahren unbeanstandet
bestehenden Arbeitsverhältnisses des Klägers und des geringen Ausmaßes des
ihm vorgeworfenen Pflichtverstoßes überwiegt das Interesse des Klägers an einer
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Hierzu hat bereits das Arbeitsgericht alles
Erforderliche ausgeführt, ohne dass die Beklagte hierzu im Berufungsrechtszug
wesentlich neue Aspekte hat vortragen können.
49 3. Soweit die Beklagte in ihrer Anschlussberufung ergänzend geltend macht, die
Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das Arbeitsgericht habe nur gegen einen
niedrigeren Abfindungsbetrag erfolgen dürfen, ist dieses unzutreffend. Auf die
Höhe der angemessenen Abfindung wird unten im Rahmen der Berufung des
Klägers eingegangen.
50 II. Berufung des Klägers
51 Auch die Berufung des Klägers ist unbegründet. Es ist nicht zu beanstanden, dass
das Arbeitsgericht das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2012
gegen Zahlung einer Abfindung durch die Beklagte in Höhe von EUR 38.479,37
aufgelöst hat. Aufgrund dieser Auflösung des Arbeitsverhältnisses besteht auch
kein (Weiter-) Beschäftigungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte.
52 1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien war nach § 9 Abs. 1 KSchG aufzulösen.
53 a) Prozessual ist vorrangig der Auflösungsantrag des Klägers zu prüfen, da es
sich bei ihm um einen unechten Hilfsantrag handelt, während der
Auflösungsantrag der Beklagten ein echter Hilfsantrag ist (vgl. KR-Spilger, 10.
Auflage 2013, § 9 KSchG Rn. 65).
54 b) Der Auflösungsantrag des Klägers ist zulässig. Insbesondere liegt ein Fall der
Sozialwidrigkeit der hilfsweise ordentlich ausgesprochenen Kündigung der
Beklagten mit Schreiben vom 20. März 2012 vor.
55 c) Der Auflösungsantrag ist auch begründet. Da nicht nur der Kläger, sondern
auch die Beklagte einen Auflösungsantrag gestellt hat ist davon auszugehen,
dass beide Parteien aus ihrer Sicht eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
nicht mehr für durchführbar halten. In einer solchen Situation bedarf es nicht der
Prüfung der Auflösungsgründe durch das Gericht (vgl. APS-Biebl, 4. Auflage 2012,
§ 9 KSchG Rn. 71; ErfK-Kiel, 13. Auflage 2013, § 9 KSchG Rn. 24; jeweils mwN).
Es gibt keinen Grund, die Parteien gegen ihren Willen am Arbeitsverhältnis
festzuhalten.
56 2. Als Auflösungszeitpunkt war gemäß § 9 Abs. 2 KSchG der 30. September 2012
festzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt hätte das Arbeitsverhältnis bei sozial
gerechtfertigter Kündigung geendet.
57 a) In ihrem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 28. September 1998 haben die
Parteien in Nr. 11.1 (vgl. Anlage K1; I/17) die Tarifverträge für die Arbeiter und
Angestellten der Metallindustrie in Nordwürttemberg und Nordbaden in ihrer
jeweils gültigen Fassung einbezogen. In Nr. 10.1 des Vertrages ist geregelt, dass
nach einer sechsmonatigen Probezeit die tariflichen Kündigungsfristen gelten.
58 Nach § 4.5.2 des Manteltarifvertrages für Beschäftigte in der Metall- und
Elektroindustrie in Nordwürttemberg / Nordbaden vom 14. Juni 2005,
abgeschlossen zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-
Württemberg e.V. - Südwestmetall - und der Industriegewerkschaft Metall Bezirk
Baden-Württemberg ist ab einer Betriebszugehörigkeit von 12 Jahren eine
Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres geregelt.
59 Da das Kündigungsschreiben dem Kläger spätestens am 22. März 2012
zugegangen ist, läuft die Frist von 6 Monaten zum Schluss eines
Kalendervierteljahres am 30. September 2012 ab.
60 b) Die Kammer teilt die vom Kläger vorgebrachten Bedenken bezüglich der
Unwirksamkeit der tarifvertraglichen Kündigungsfristenregelung, insbesondere aus
europa- und verfassungsrechtlichen Gründen, nicht. Dabei ist darauf hinzuweisen,
dass der Kläger nicht von den kündigungsrechtlichen Regeln in § 4.5.1 des
Manteltarifvertrages betroffen ist, da die Parteien für die Dauer der Probezeit von 6
Monaten ausdrücklich eine andere Regelung getroffen haben. Ferner spielt es
keine Rolle, ob die Regelung in § 4.5.3 des Manteltarifvertrages im Hinblick auf die
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH 19. Januar 2010 - C
555/07 (Kücükdeveci)) bedenklich ist, da dies für das Arbeitsverhältnis des
Klägers keine Rolle spielt. Bei Begründung des Arbeitsverhältnisses mit der
Beklagten hatte er bereits das 30. Lebensjahr vollendet, so dass die auf das 25.
Lebensjahr abstellende Regelung in § 4.5.3 des Manteltarifvertrages sogar
entfallen könnte, ohne dass sich am Ergebnis nach § 4.5.2 des
Manteltarifvertrages etwas ändern würde. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass für
den Kläger, angesichts seiner 12 Jahre übersteigenden Betriebszugehörigkeit
ohnehin die längste tarifliche Kündigungsfrist zu Grunde zu legen ist, die auch
länger ist, als die für ihn geltende gesetzliche Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Nr.
5 BGB. Die Argumente, die der Kläger zur Frage der ordentlichen Kündigungsfrist
und der Anwendung des § 9 Abs. 2 KSchG vorgetragen hat, insbesondere im
Hinblick auf verfassungs- und europarechtliche Fragen, wurden von der Kammer
geprüft, aber nicht für zutreffend angesehen. Damit verbleibt es bei dem
Beendigungszeitpunkt 30. September 2012.
61 3. Die von der Beklagten an den Kläger zu zahlende Abfindung ist gemäß § 10
KSchG auf EUR 38.479,37 festzusetzen.
62 a) Das Gericht teilt nicht die Ansicht des Klägers, dass § 15 AGG als speziellere
Norm § 10 KSchG in seiner Anwendbarkeit verdrängt. Vielmehr ist § 10 KSchG für
die spezielle Frage der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses die einschlägige
Norm, die gerade auf die Frage der Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei
Unzumutbarkeit der Fortsetzung eingeht.
63 b) Das Gericht teilt ebenfalls nicht die europa- und verfassungsrechtlichen
Bedenken des Klägers an der Regelung in § 10 KSchG, insbesondere bezüglich
der dort vorgesehenen "Deckelung". Darauf kommt es im Übrigen auch nicht
entscheidungserheblich an. Zum einen wirken sich die Altersstufen in § 10 Abs. 2
KSchG nicht zu Lasten des Klägers aus, da sein Arbeitsverhältnis nicht
mindestens 15 beziehungsweise 20 Jahre bestanden hat. Das Arbeitsverhältnis
des Klägers hat zum Zeitpunkt seiner Auflösung am 30. September 2012 nur
13,75 Jahre bestanden. Ferner macht der Kläger selbst keine Abfindung geltend,
die von einer "Deckelung" durch § 10 Abs. 1 KSchG betroffen wäre. Der Kläger
hält selbst eine Abfindung mit dem Faktor 0,8 bezogen auf 14 beziehungsweise
15 Jahre Betriebszugehörigkeit für angemessen. Unabhängig von der
Fehlerhaftigkeit dieser Betriebszugehörigkeitsberechnung, würde sich dann eine
Abfindung in Höhe von 11,2 beziehungsweise 12 Monatsverdiensten ergeben, so
dass sich eine "Deckelung" nicht auswirkte.
64 c) Das für die Berechnung der Höhe der Abfindung maßgebende Monatsgehalt
des Klägers ist mit EUR 6.996,25 zu bestimmen und ergibt sich aus der laufenden
monatlichen Vergütung des Klägers in Höhe von EUR 6.343,73 (vgl. Abrechnung
für Februar 2012, Anlage B14; I/222) und den mit jeweils 1/12 zu
berücksichtigenden jährlichen Zahlungen "C.-Bonus" von EUR 1.200,00 (vgl.
Abrechnung für Dezember 2011; Anlage BK7; II/281), VTA-Bonus mit EUR
1.895,00 (vgl. Abrechnung für Januar 2012; Anlage BK7; II/284) sowie dem
Urlaubsgeld nach dem tariflichen Urlaubsabkommen (vgl. Nr. 2.2 des
Arbeitsvertrages der Parteien, I/14) in Höhe von EUR 4.735,20. Das
Weihnachtsgeld ("Jahresendvergütung entsprechend den tariflichen
Bestimmungen", vgl. Nr. 2.3 des schriftlichen Arbeitsvertrages; I/14) in Höhe von
EUR 3.620,50 war nicht hinzuzurechnen.
65 aa) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das Urlaubsgeld bei der Berechnung
zu berücksichtigen, da es fest in das Vergütungsgefüge des Klägers eingebaut ist
und damit Entgeltcharakter hat (vgl. KR-Spilger, 10. Auflage 2013, § 10 Rn. 33).
Nach § 4.3 des Urlaubsabkommens besteht eine feste Anknüpfung des
zusätzlichen Urlaubsgeldes an das Urlaubsentgelt.
66 bb) Soweit der Kläger die Höhe des abgerechneten und an ihn ausgezahlten
VTA-Bonus als zu niedrig bestreitet, ist daraus nichts Vorteilhaftes für ihn
abzuleiten. Insbesondere behauptet er nicht - zumal nicht schlüssig - einen
abweichend konkret höheren Betrag des VTA-Bonus. Seine Ausführungen hierzu
sind ohne Substanz. Das Weihnachtsgeld war nicht zu Gunsten des Klägers zu
berücksichtigen, da diesem im vorliegenden konkreten Fall Gratifikationscharakter
zukommt (vgl. KR-Spilger, 10. Auflage 2013, § 10 KSchG Rn. 33). Die
Sonderzahlung nach dem Tarifvertrag über die Absicherung betrieblicher
Sonderzahlungen knüpft in § 2.1 und 2 an den ungekündigten Bestand des
Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Stichtag und die Dauer des bisherigen
Bestandes an, belohnt also vergangene und künftige Betriebstreue.
67 d) Für den Kläger ist eine Dauer der Betriebszugehörigkeit von 13,75 Jahren zu
berücksichtigen, da das am 1. Januar 1999 begonnene Arbeitsverhältnis zum 30.
September 2012 aufzulösen war. Anders als vom Kläger angenommen ist für die
Berechnung der Dauer des Arbeitsverhältnisses der vom Gericht im Urteil
festzulegende Auflösungszeitpunkt maßgebend (vgl. ErfK-Kiel, 13. Auflage 2013,
§ 10 KSchG Rn. 4). Die Aufrundungsregelung in § 1a Abs. 2 Satz 3 KSchG betrifft
den dort geregelten Fall eines schematisiert geregelten Abfindungsanspruchs bei
betriebsbedingter Kündigung und kann nicht auf den vorliegenden Fall einer
Auflösung des Arbeitsverhältnisses übertragen werden. Unabhängig davon käme
einer solchen Rundung auch keine Bedeutung zu, da im Rahmen des § 10
KSchG insgesamt eine angemessene Abfindung festzusetzen ist, ohne die starre
Rechenregel des § 1a KSchG.
68 e) In einer Abwägung aller Umstände hielt die Kammer eine Abfindung in Höhe
von 5,5 Monatsverdiensten des Klägers für angemessen, was EUR 38.479,37
entspricht. Soweit der Kläger einen erheblich höheren Betrag und die Beklagte
einen deutlich niedrigeren Betrag als angemessen ansieht, konnte die Kammer
den Betrachtungen beider Parteien nicht folgen. Die Auflösungsentscheidung des
Arbeitsgerichts erweist sich auch insoweit als zutreffend.
69 aa) Hinsichtlich der Bemessungsfaktoren für die Abfindung kann im Wesentlichen
von den folgenden Eckpunkten ausgegangen werden (vgl. ErfK-Kiel, 13. Auflage
2013, § 10 Rn. 5 ff.; mwN). Bei der Festsetzung der Abfindung haben die Gerichte
für Arbeitssachen ein pflichtgemäßes Ermessen auszuüben, wobei sie nicht an
die Anträge der Parteien gebunden sind. Eine Schematisierung würde dem
Charakter einer notwendigen Einzelfallprüfung widersprechen. Die wichtigsten
Faktoren sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des
Arbeitnehmers. Zu berücksichtigen ist ferner, welche Chancen der Arbeitnehmer
besitzt, um auf dem Arbeitsmarkt eine neue Stelle zu finden, denn die Abfindung
soll den Arbeitnehmer für den Verlust seines Arbeitsplatzes entschädigen. Das
Gericht kann weitere Sozialdaten wie Familienstand, die Anzahl der
unterhaltspflichtigen Personen und den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers
in die Bemessung der Abfindung einbeziehen. Bedeutung kann bei der
Bemessung der Abfindung dem Umstand zukommen, dass der Arbeitnehmer
eine verfallbare Anwartschaft auf Ruhegeld verliert. Auch die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers kann berücksichtigt werden. Die
Sanktionsfunktion der Abfindung verlangt, dass das Gericht den Grad der
Sozialwidrigkeit der Kündigung würdigt. Auf der anderen Seite ist das Verhalten
des Arbeitnehmers nach Ausspruch der Kündigung und im Prozess zu bewerten.
70 bb) Bereits das Arbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass zu
Gunsten des Klägers sein Alter und die aufgrund seiner Alkoholerkrankung
geminderten Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen sind. Ferner
handelt es sich bei der Beklagten um ein großes, leistungsstarkes Unternehmen,
in dem der Kläger mehr als 13 Jahre unbeanstandet gearbeitet hat. Die von ihr
ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit sozialwidrig und
bedarf einer angemessenen Sanktion.
71 cc) Nicht zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen waren seine nunmehrigen
Ausführungen zu einem angeblichen Verfall seiner Betriebsrentenansprüche. Sie
erfolgen ins Blaue hinein, ohne dass sich die Beklagte eines solchen Umstandes
berühmt. Sie sind mit Blick auf § 1b BetrAVG und der Zusage einer betrieblichen
Altersversorgung bereits im Arbeitsvertrag der Parteien auch nicht
nachvollziehbar. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Kündigung durch die
Beklagte zwar sozialwidrig war, aber aufgrund der Beschwerde eines anderen
Arbeitnehmers, also nicht ohne jeden Anlass erfolgte. Die Meinung des Klägers,
dass die Kündigung für ihn diskriminierende Umstände habe, teilt die Kammer
nicht. Die Beklagte wollte erkennbar, wenn auch im Ergebnis fehlerhaft, ihren
Pflichten aus § 12 AGG nachkommen, wozu sie durch die Beschwerde eines
Arbeitnehmers veranlasst wurde. Dies begrenzt das Sanktionsbedürfnis für die
sozialwidrige Kündigung. Anders als der Kläger meint, ist weder das Verhalten der
Beklagten im Zusammenhang mit der Kündigung, noch ihr Vorgehen im Prozess
in besonderer Weise zu seinen Gunsten bei der Bemessung der Abfindung zu
berücksichtigen. Insbesondere beschränkt sich die Beklagte im Rechtsstreit
darauf, in deutlicher Form ihren Rechtsstandpunkt darzulegen. Dies ist ihr
gestattet, ohne dass dies im Rahmen der Bemessung der Abfindung
Berücksichtigung finden müsste.
72 dd) Erheblich zum Nachteil des Klägers bei der Bemessung der Abfindung ist
dessen Verhalten in Bezug auf die Beklagte nach Ausspruch der Kündigung zu
sehen. Zwar ist es auch dem Kläger - zumal bei Ausspruch einer unwirksamen
Kündigung durch die Beklagte - gestattet, seine Rechte mit Nachdruck zu
verfolgen. Allerdings muss er hierbei die Grenzen zulässiger Wahrnehmung
berechtigter Interessen beachten. Vorliegend hat der Kläger aber ein Verhalten an
den Tag gelegt, mit dem die Beklagte trickreich überlistet, drohend
eingeschüchtert und mit unbegründeten Vorwürfen überzogen werden sollte.
73 (1) Das Schreiben des Klägers an die Geschäftsführung der Beklagten vom 22.
März 2012 (vgl. Anlage K8, I/577-586) ist der trickreiche Versuch des Klägers,
eine Rüge nach § 174 BGB vorzutragen, ohne dass die Beklagte hierauf
unverzüglich reagieren konnte, weil der Kläger in der berechtigten und auch
erfüllten Hoffnung gehandelt hat, die Rüge werde überlesen. Im Rahmen eines 10
Seiten langen, eng bedruckten Schreibens, welches sich jedem auch noch so -
gemessen an der Kündigung - abseitigen Thema, wie dem Wohlergehen von
Fischen im Tierheim, der Verdopplung der Preise durch den Euro, Stuttgart 21,
Süßigkeiten für Kinder, einer langen Wiedergabe der beruflichen Entwicklung des
Klägers, sowie Schilderungen zur Lage von Krankenhäusern in Polen und
Russland widmet, finden sich auf den Seiten 2, 5 und 8 mitten im laufenden Text
ohne besondere Hervorhebungen kurze Sätze, mit denen die Kündigung
mangels Vollmachtsvorlage zurückgewiesen wird. Auf diesen
Unwirksamkeitsgrund hat sich der Kläger im Rechtsstreit auch - einen Tag vor der
mündlichen Verhandlung vor der Kammer des Arbeitsgerichts - berufen. Ein
solches auf Überlistung des Prozessgegners abzielendes Vorgehen, stellt keine
zulässige Wahrnehmung eigener Rechte dar. Die wortreichen Ausführungen des
Klägers zur Rechtfertigung dieses Vorgehens hat die Kammer zur Kenntnis
genommen, ohne freilich davon beeindruckt zu sein.
74 (2) Der Kläger hat die Beklagte mit unbegründeten Vorwürfen überzogen, indem
er beispielsweise in seiner Entschädigungsklage gegen die Beklagte geltend
macht, diese habe ihn wegen seiner ethnischen Herkunft als Deutscher
diskriminiert, da sie ihm das Beschwerdeschreiben des Herrn C. im Rahmen einer
Anhörung im englischen Originaltext vorgelesen habe. Der Kläger, der angesichts
seiner Tätigkeit für die Beklagte betreffend auch außereuropäische Gebiete wie A.
offenkundig in englischer Sprache kommunizieren kann, mag gegebenenfalls zur
klareren Auseinandersetzung mit den Vorwürfen von der Beklagten eine
Übersetzung des Beschwerdeschreibens verlangen. Dass ihm dieses
übersichtlich kurze Schreiben aber in der Originalfassung vorgelesen wird, die
auch mit einfachen Englischkenntnissen verständlich ist, stellt weder eine
Diskriminierung des Klägers dar, noch hat sie etwas mit seiner ethnischen
Herkunft als Deutscher zu tun. Der Kläger hat den betreffenden
Diskriminierungsvorwurf gegenüber der Beklagten nicht einmalig in einer
unbedachten Situation erhoben, sondern hält an ihm weiterhin fest und macht ihn
auch zum Vortrag im vorliegenden Verfahren. Dies hat nichts mit einer sachlich
zulässigen Verfolgung eigener Rechtspositionen zu tun, sondern zeigt, dass der
Kläger nichts unversucht lässt, seine eigene Rechtsposition gegenüber der
Beklagten mit noch so absurden Mitteln zu verbessern.
75 (3) Schließlich gab es auch keinen Anlass für den Kläger, der gegenüber der
Beklagten in einem Parallelverfahren vor dem Arbeitsgericht Heilbronn - Kammern
Crailsheim - (2 Ca 164/12) Entschädigungsansprüche wegen Diskriminierung in
Höhe mehrerer hunderttausend Euro verfolgt, diese Ansprüche auch noch über
eine Anwaltskanzlei in Chicago (vgl. Anlage BBK1; II/449 ff.) geltend machen zu
lassen, nachdem das Arbeitsverhältnis der Parteien keinerlei Bezug zu den USA
aufweist. Dieses Vorgehen ist erkennbar auf eine Einschüchterung der Beklagten
angelegt, die sich einem aufwendigen und unkalkulierbaren Verfahren in den USA
ausgesetzt sehen soll. Dass der Kläger nunmehr lapidar erklärt, die
Rechtsverfolgung in den USA nicht weiter zu betreiben, ändert nichts an dem
Umstand, dass er seine Interessen mit noch so fernliegenden Druckmitteln
versucht, gegen die Beklagte durchzusetzen.
76 ee) In einer Gesamtschau all dieser Umstände hielt die Kammer einen
Abfindungsbetrag von 5,5 Monatsverdiensten des Klägers für angemessen, was
nach der beliebten - im Gesetz aber nicht vorgesehenen - Bewertung nach
Faktoren einem Wert von 0,4 Bruttomonatsvergütungen pro Jahr der
Beschäftigung entspricht. Darin sieht die erkennende Kammer, wie auch schon
das Arbeitsgericht, eine angemessene Bewertung aller für die Auflösung des
Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigenden Faktoren.
77 4. Der (Weiter-) Beschäftigungsantrag des Klägers war als unbegründet
zurückzuweisen. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2012
aufgelöst wird, besteht für eine (Weiter-) Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers
kein Raum.
78 5. Die vom Kläger angekündigten (echten) Hilfsanträge und höchsthilfsweisen
Anträge sind nicht zur Entscheidung angefallen, da der Kläger hinsichtlich des
Kündigungsschutzantrags obsiegt hat. Sie wären als echte Hilfsanträge des
Klägers für den Fall des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag auch
erkennbar unsinnig, da dann das Arbeitsverhältnis schon aufgrund der Kündigung
geendet hätte. Davon unabhängig hätte das Gericht inhaltlich hierzu dieselben
Ausführungen wie unter 2. und 3. gemacht.
C
79 Da die Parteien in etwa gleichem Umfang obsiegt haben und unterlegen sind,
waren die Kosten des Berufungsverfahrens gegeneinander aufzuheben, § 92 Abs.
1 ZPO. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen, weil die
Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt sind.